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6   /  Der Ehemann als Stasi-Spitzel  /  Vera Lengsfeld 

 

Vera Lengsfeld, geschiedene Wollenberger, war eine der Symbolfiguren der Friedens- und Umweltbewegung in der DDR der achtziger Jahre. Weltweites Aufsehen erregte ihre Verhaftung während der Liebknecht/Luxemburg-Demonstration am 17. Januar 1988, wo sie mit eigenen Plakaten auftreten wollte, und ihre anschließende Verurteilung zu sechs Monaten Freiheitsstrafe. Wegen der Welle des Protestes schien das DDR-Regime einzulenken und erlaubte ihr zu Studienzwecken die Ausreise nach England. Tatsächlich wurde sie mit dieser Abschiebung Opfer einer Stasi-Operation, an der nicht nur ihr Verteidiger Wolfgang Schnur, sondern auch ihr Ehemann Knud beteiligt war. Erst lange nach der Wende erfuhr sie, daß beide Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi waren und sie grob getäuscht hatten.

 

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Der Mann, den sie geliebt und dem sie länger als zehn Jahre während ihrer gefährlichen Bürgerrechtsarbeit vertraut hatte, sollte ein Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi sein? Sie konnte es nicht fassen, als erste Informationen aus den Stasi-Akten zu ihr drangen. »Versündige dich nicht«, warnte sie ihren Sohn, der ihr die Gerüchte überbrachte. Doch dann wurden die Informationen immer konkreter — Knud aber leugnete alles, »beim Leben unserer Kinder«.

Doch die Akten der Stasi lügen hier nicht, und als Vera Lengsfeld, die damals noch den Ehenamen Wollenberger trug, in der Gauck-Behörde ihre eigene Opfer-Akte zu lesen bekam, war sie voll mit den ordinärsten Spitzelberichten eines IM »Donald« alias Knud Wollenberger. Alles, ihre Gespräche mit den Kindern, ihre Korrespondenz, ihre politischen Pläne, selbst über ihre Gesundheit hatte der Ehemann der Stasi ausführlich berichtet.

Und weil Vera Wollenberger eine der Schlüsselfiguren der Berliner Bürgerrechtsbewegung Mitte der achtziger Jahre war, gab es für den Spitzel Knud alias »IM Donald« viel zu berichten. Wäre es nicht alles ganz anders gekommen, als die SED und ihre Spitzel es glaubten, hätte das Material für eine Verurteilung zu vielen Jahren Zuchthaus »gereicht«.

Als alles Lügen nichts mehr half und Knud alias IM »Donald« nur noch sagen konnte: »Ich glaube, wir müssen uns trennen«, da schrie alles in ihr auf.

»Ich blickte in Abgründe. Was ich in jenen Tagen durchmachen mußte, wünsche ich keinem Menschen, nicht einmal meinen ärgsten Feinden. Der Zustand, in dem ich mich befand, war unbeschreiblich. Lieber hätte ich jahrelangen Stasi-Knast auf mich genommen, als das erleben zu müssen«, sagt Vera Lengsfeld heute.

Stasi-Haft war ihr dennoch nicht erspart geblieben — weil sie am 17. Januar 1988 ihr nach der DDR-Verfassung verbrieftes Recht auf Demonstrationsfreiheit am Tag der traditionellen SED-»Kampfdemonstration« zu Ehren Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts mit eigenen, keinesfalls anti-marxistischen Losungen wahrnehmen wollte.

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Denn sie stammt aus einer Familie des »kommunistischen Mittelstandes«: der Vater war bei der Stasi, die Mutter »Neulehrerin«. Die Tochter studierte Philosophie und glaubte zu wissen, wie der Sozialismus zu verbessern sei. Es folgten Debatten, Einschüchterungen, Maßregelungen, und schließlich 1983 der Ausschluß aus der SED, als sie öffentlich gegen die Stationierung von Atomraketen in der DDR protestierte. Einen Tag später wurde ein Berufsverbot gegen die Philosophin verhängt.

So hatte sie Zeit, sich verstärkt in den Friedensgruppen der Kirche zu engagieren. In Pankow gehörte sie zu den Begründern des Friedenskreises. Sie war aktiv in der »Kirche von unten«, die den keineswegs immer christlichen Bürgerrechtlern ein Forum bot.

1987 trat sie erstmals namentlich auf dem Kirchentag in Ost-Berlin hervor: »Wir wollen den Menschen Mut machen, ihre eigenen Angelegenheiten wieder in die eigenen Hände zu nehmen, ihre Wünsche selbst auszusprechen und selbst durchzusetzen«, sind ihre öffentlich ausgesprochenen Wünsche auf dem Kirchentag.

Die Stasi beobachtete das alles akribisch in Operativvorgängen mit markanten Bezeichnungen wie »Virus« und »Heuchler«. Bald wurde sie mit ihren Freunden in SED-Publikationen mit »faschistischen Schlägern« gleichgesetzt — Vera Wollenberger zeigte den Autor wegen Verleumdung an, ein bis dahin in der DDR einmaliger Vorgang.

Bei der Paralleldemonstration im Januar 1988 ging die Stasi hart, ja brutal gegen die beträchtliche Zahl der »provokativen« Demonstranten vor — Hunderte von ihnen wurden damals mit Vera Wollenberger festgenommen und in der Haftanstalt Rummelsburg unter entwürdigenden Umständen eingepfercht, später teilweise unter harten Schlägen in das Stasi-Gefängnis nach Hohenschönhausen überführt.

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Es folgten viele Vernehmungen und die Anklage: Erst sollte sie wegen »Rowdytums«, dann wegen Landesverrats abgeurteilt werden - schließlich legte die SED sich auf »versuchte Zusammenrottung« fest, und das Gericht unter dem Vorsitz des berüchtigten Richters Jürgen Wetzenstein-Olleschläger folgte dieser Leseart willig.

So hart die Stasi im Auftrag der SED damals mit der mutigen Bürgerechtlerin umging — angesichts der breiten Solidarisierung der Bürgerrechtsbewegung in der DDR mit ihr und den anderen Bürgerrechtlern, angesichts der Mahnwachen, die in Kirchen für sie beteten, wollte die Stasi sie dann plötzlich loswerden, und ähnlich wie Freya Klier und Stephan Krawczyk ins Ausland abschieben. Diese Bürgerrechtler waren, bevor ihnen klar wurde, wie ihnen geschah, gegen ihren Willen nach West-Deutschland abgeschoben worden. Vera Wollenberger dagegen sollte zum Studium nach England geschickt werden.

Verkehrte Welt: Die Bürgerrechtler wollten — anders als viele ihrer Nachbarn — die DDR nicht verlassen. Im Gegenteil, sie wollten dort weiterarbeiten für eine bessere, gerechtere DDR. Deshalb setzte das System alle Helfer ein, über die es verfügen konnte: Den Rechtsanwalt Schnur alias IM »Torsten« bzw. »Dr. Schirmer« und den Ehemann Knud Wollenberger alias IM »Donald«. Vera Wollenberger sieht im Rückblick allen Anlaß, auch der Verteidigerrolle der Rechtsanwälte Wolfgang Vogel, Gregor Gysi sowie des Kirchenvertreters Manfred Stolpe zu mißtrauen.

Denn diese gemeinsam erreichten es, die in Einzelhaft sitzenden Bürgerrechtler durch Verschweigen wichtiger Informationen, durch Desinformation und durch das Verschwindenlassen wichtiger Post zwischen den Gefangenen dazu zu bewegen, ihrer jeweiligen Ausreise zuzustimmen.

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Zu der Desinformation gehörte die Behauptung, es gebe keine oder kaum Mahnwachen, obwohl überall in der DDR Menschen aus Solidarität mit den Inhaftierten in die Kirchen strömten. Gleichzeitig gingen Anwälte und der Ehemann Wollenberger alias IM »Donald« in die Kirchen und verbreiteten dort die »Bitte« der politischen Gefangenen, man möge die Mahnwachen beenden.

Zu den Lügen zählte auch, daß den Gefangenen bei den brutalen und entwürdigenden Stasi-Verhören gesagt wurde, die jeweils anderen Bürgerrechtler seien zur Ausreise in den Westen bereit. Briefe, die das Gegenteil aussagten und zum Durchhalten bestärkten, ließen die Verteidiger verschwinden oder reichten sie an die Stasi weiter.

Das mit Lügen und Betrug erreicht zu haben, war ganz im Sinne der SED und ihrer Stasi: Enttäuscht über den Ausreise-»Verrat« ihrer Leitfiguren, zog sich die Bürgerrechtsbewegung in der DDR zunächst frustriert zurück. Insgesamt aber sollte die Wut der Menschen auf das SED-Regime dadurch zunehmen und schließlich zu neuen, machtvolleren Formen der Opposition führen. Das SED-Regime hatte lediglich Zeit gewonnen - daß es schon 20 Monate später zusammenbrechen würde, ahnte damals niemand.

Der »Rechtsanwalt« Wolfgang Schnur alias IM »Torsten« bzw. »Dr. Schirmer« ist für seine schäbige Rolle als Vertrauter der damaligen politischen Angeklagten Freya Klier und Stephan Krawczyk im März 1996 zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Das Gericht sah als erwiesen ansah, daß er seine Mandanten in Wirklichkeit der Stasi ans Messer geliefert habe. Für das Gericht stand fest, daß Rechtsanwalt Schnur »24 Jahre lang zuverlässig für die Stasi gearbeitet« hat. Über die anderen an diesen Ereignissen beteiligten Herren liegen zwar anklagende Aufzeichnungen der damals Betrogenen vor, doch scheint dies für eine Verurteilung nicht auszureichen.

Vera Lengsfeld erinnert sich in ihrem Buch »Virus der Heuchler« an diese Tage in der Haft sehr genau: »Alle drei mit uns befaßten Rechtsanwälte — Schnur, Gysi und für Wolfgang Templin wäre noch Lothar de Maiziere zu nennen — haben alles in ihren Möglichkeiten stehende getan, uns den Weg in den Westen zu ebnen« — eine Ausreise, von der die Rechtanwälte genau wußten, daß die Köpfe der Friedens- und Bürgerbewegung sie ablehnten.

Als dann auch noch ihr in Ost-Berlin verbliebener Sohn von der Stasi in die Enge getrieben wurde, kam Vera Wollenberger aus England zurück — just am Morgen jenes 9. November 1989, als sich nachts die Mauer öffnete. So war sie wieder zur Stelle, als ein neues Kapitel deutscher Geschichte begann, und sie schrieb es mit: Vera Lengsfeld ist seit 1990 Abgeordnete, zunächst in der Volkskammer, heute im Deutschen Bundestag. Sie war bis Dezember 1996 Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen; wegen der ihr unzureichend erscheinenden Abgenzung dieser Partei gegenüber der PDS trat sie der CDU bei.

Vom IM »Donald« ist sie seit Dezember 1991 geschieden.

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Literatur:    Vera Wollenberger: Virus der Heuchler, Elefanten Press, Berlin 1992.    Freya Klier: Aktenkundig, Rowohlt, Berlin 1992.  

 

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