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   5.5. <Feeling-Therapie>: Befreiung durch Gefühle   

5.6 

 

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Die psychologische Welle schwappt weiter. Von den in Amerika entwickelten Therapien haben Gestalttherapie, Transaktionsanalyse, Bioenergetik, Primärtherapie und Realitätstherapie in der BRD genügend publizistische Verbreitung gefunden, so daß der interessierte Leser sich weiter informieren kann. Neu auf dem Therapiemarkt ist die <Feeling-Therapie> (Fühlen steht im Vordergrund), »welche die Leute genauso behandelt wie sie sind«.(138)

Eine Gruppe junger Psychologen, von denen einige durch Janovs Urschreiwolf gedreht wurden, bevor sie ihm den Rücken kehrten, sehen ihr Konzept als die totale Therapie, wo es keinen Unterschied mehr zwischen Therapeut und Patienten gibt, wo in therapeutischen Wohngemeinschaften jeder jeden therapiert. Ein äußerer Unterschied (für uns ein sehr gewichtiger) besteht jedoch noch: Die Patienten zahlen und die Therapeuten kassieren.

<Going Sane> ist der Titel eines Buches, in dem drei junge <Feeling-Therapeuten> Seite für Seite nachzuweisen versuchen, daß zwar jede Therapieschule etwas richtig gesehen habe, vieles aber außer acht gelassen usw. In diesem Stil klappern sie die einzelnen Schulen ab. Alle diese Lücken schließt die <Feeling-Therapie>. 

In Werbeprospekten liefern sie Interessierten eine Selbstdarstellung, die wir deshalb wiedergeben, weil sich dadurch die Denkhaltung der Feeling-Therapie am besten zeigt, die Kommentare in Klammern sind von uns. 

Um gesund werden zu können, muß man sein Leben zuerst einmal so sehen, wie es wirklich ist — was aus ihm geworden ist. Es ist nicht mehr länger von Bedeutung, ob man <Erfolg> oder <Mißerfolg> gehabt hat. Was zählt ist, daß man das Bewußtsein hat, daß etwas im Leben fehlt, und man daher etwas dagegen tun will. Das ist der erste Schritt, um gesund zu werden. Die Erfahrung, die man bei dieser Therapie macht, läßt sich so beschreiben: man stelle sich vor, man springt aus einem Flugzeug in 3000 m Höhe und entdeckt, daß man fliegen kann, man gewinnt eine Erfahrungsvielfalt aus Furcht und Aufregung (excitement), Lust und Vision, Macht und Erkenntnis. 

<Feeling-Therapie> wendet sich gegen den Wahnsinn des normalen Durchschnittsmenschen. Sie ist die erste Therapie (und wahrscheinlich nicht die letzte), welche die Worte >neurotisch< und >psychotisch< gleichsetzt und die Leute genauso behandelt, wie sie sind. (Offenbar meinen die >Feeling-Therapeuten< damit, daß der normale Durchschnittsmensch neurotisch und psychotisch ist. Damit haben sie natürlich das Klientel bedeutend erweitert.)

Die meisten Leute belügen sich selbst und ihre Umgebung mit dem, was sich in ihnen abspielt: sie denken und fühlen in einer Richtung und handeln anders, als sie denken und fühlen. Das verstehen die »Feeling-Therapeuten« unter Wahnsinn, und das versucht die Feeling-Therapie zu ändern. (Erstaunlich, wie einfach Wahnsinn zu erklären und zu heilen ist.) 

Wenn man die Unterhaltungen aufnehmen könnte, die in den Köpfen der Leute vor sich gehen, würde offensichtlich, daß alle ein Doppelleben führen. Äußerlich erscheinen sie gesund, im Innern sind sie wahnsinnig. Der einzige Unterschied zwischen Patienten in psychiatrischen Krankenhäusern und den Leuten auf der Straße besteht darin, daß man sehen und hören kann, was die hospitalisierten Patienten denken, während die Leute auf der Straße ihre ganze Zeit damit verbringen, an sich herumzuflicken und sich zusammenzureißen, um eine gute Figur zu machen. Was für ein Wahnsinn, anders zu handeln als man denkt und fühlt. Aber jeder macht das. (Unsere Erfahrung mit Psychiatriepatienten ist anders, die Psychotiker werden meist so stark sediert, daß sie nur noch lallen können.) 

Der >Feeling-Therapeut< stoppt alle Lügen. Er stoppt die unverblümten und unausgesprochenen Lügen, er stoppt die verrückten und intelligenten, die sexuellen und törichten Lügen. Er hält den Patienten davon ab, etwas zu tun, was er nicht selbst ist. Er konfrontiert den Patienten mit seiner eigenen inneren Falle und gibt ihm dann die Wahl zu fühlen und auszudrücken, wer er wirklich ist.

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Das Ziel jeder Therapiesitzung ist daher, dem Patienten zu helfen, sich in das zu vertiefen, und ihn mit dem in Berührung zu bringen, was er innerlich fühlt und davon nach außen zum Ausdruck bringt. Das scheint eine einfache Aufgabe zu sein, es wirkt aber so zerstörerisch und überwältigend, daß die Patienten das Gefühl haben, als ob sie zu einem schrecklichen Unbekannten geführt würden. Was aber wirklich passiert, ist die Verwandlung des Patienten. Der Therapeut hilft dem Patienten, sein ganzes Leben zu verwandeln.

Verwandlung bedeutet wirklich der zu werden, der man ist, und nicht der man sein sollte. (Was sind die Bedingungen für dieses Sein, was sind die Zielvorstellungen der Feeling-Therapeuten, wie sieht ihr <Feeling-Mensch> aus, was ist ihre Metapsychologie — wir hören aus dieser Darstellung nur Vulgär­existenzialismus heraus, ähnlich wie bei dem Seelenheilverkäufer Werner Erhard mit seinem EST-Programm <Sei, wie Du bist>.) 

Wenn alle Lebensstückchen eines Patienten beginnen zusammen zu kommen, fühlt er sich, als ob er zum erstenmal aufgewacht ist. Es ist, als ob etwas von ihm Besitz ergriffen hätte. In Wirklichkeit sind seine Gefühle zum Durchbruch gekommen und die Veränderung seines Lebens hat begonnen. Durch die Feeling-Therapie rücken die Leute von ihren alten Rollen und Glaubens- und Wertvorstellungen ab, sie kommen zur Einfachheit ihrer Gefühle. Wenn sie alle Interaktionen der Patienten und Therapeuten miteinander verbinden, gelangen sie zu einer neuen Kultur, die auf Gefühlen basiert. (Für uns eine Glashauskultur, ein utopisches Gefühlsniemandsland.)

Sie nennen ihre Therapie <Feeling-Therapie>, weil Gefühle die grundlegenden Konnexionen zum Leben sind. Diese Therapie unterscheidet sich deshalb von allen anderen Therapien so stark, weil sie "von neun Therapeuten begonnen wurde, die wußten, daß sie Hilfe brauchten und Hilfe geben konnten". Deshalb entwickelten sie eine <working therapy>, die wirkungsvoll arbeitet (that works).

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Ein einmaliges Charakteristikum der Grundstruktur ihrer Therapie ist, daß alle Patienten mit der Zeit dazu trainiert werden, sich einander selbst zu helfen. So erhalten und geben Therapeuten und Patienten sich ständig Hilfestellung. (Dieses Prinzip wird von der Synanongemeinschaft schon seit 1958 ohne jeden professionellen Therapeuten verwirklicht.)

<Feeling-Therapie> ist die erste Therapie, wo der Patient nicht abhängig bleibt; er übernimmt Verantwortung für sich selbst wie auch für seine Freunde. (Das ist ein Ziel jeder guten Therapie.) Feeling-Therapie ist eine intensive Therapie und ist nicht für jedermann. (Das ist der einzige ansatzweise kritische Satz der gesamten Selbstdarstellung.)  

 

Wenn wir uns so die Versprechungen der <Feeling-Therapeuten> ansehen, müssen wir sagen: 

Mehr kann man sich eigentlich von einer Therapie nicht wünschen. Das totale Hervorholen der intimsten Regungen soll die totale Veränderung hervorrufen. Schwer zu trennen sind dabei allerdings der Narzißmus und die Omnipotenz der Therapeuten von der Verzerrung von allgemeinen gesellschaftsabhängigen Sozialisationsdefekten. Die Therapieverheißungen stehen in nichts denen der kommerziellen Werbung nach. Ihr Ziel ist einfach und konkret, ihre Sprache ist direkt, ihr Trick ist das Spiel mit den Wünschen, Illusionen und Mythen der Menschen. 

Irma, eine junge deutsche Psychologin aus Frankfurt, die schon selbst gruppendynamisch und gruppentherapeutisch gearbeitet hat, befindet sich seit zwei Jahren in der <Feeling-Therapie>.139) 

Sie war vom Urschreifieber gepackt und wollte zu Arthur Janov. Dann hörte sie von der neuen Therapie, meldete sich an und wurde aufgenommen. Inzwischen zog sie schon von <Feeling-Wohngemeinschaft> zu Wohngemeinschaft, sie sucht Halt und Geborgenheit. Sie berichtet von ihren Erfahrungen in zum Teil strukturierten, zum Teil improvisierten <Feeling-Gruppen>, bei denen immer Therapeuten anwesend sind. Sie berichtet von großen persönlichen Erfolgen: sie wurde leistungsfähig und lebensfroh und benötigt nur noch wenig Schlaf. 

Sie stellt die Technik der Gruppe vor allem in folgenden Hinsichten als effektiv heraus: im Rollenspiel (sie spielt die Eltern oder eine feine Dame), sie stellt ihre Gefühle dar, die Gruppenmitglieder drücken sich durch ihren Körper aus, sie sind echt. Sie rechtfertigt die Ohrfeige, die ihr einmal ein Therapeut gibt, bedingungslos, ohne auch nur im geringsten zu reflektieren, was da in dem Therapeuten vor sich ging.

Bei meinen Besuchen in ihren therapeutischen Wohngemeinschaften setzte sich bei mir (Molter) oft ein unwohles Gefühl im Magen fest. Oft traf ich die gleiche Szenerie an: irgend jemand war am heulen, Gefühle ausdrücken oder in depressiver Stimmung. Wenn ich mit den Leuten, die mir sympathisch waren, diskutierte, hielten sie mir oft den Satz entgegen: »Stop it, was du jetzt sagst, da steht kein Gefühl dahinter. Du redest nur mit dem Kopf.« Mich ärgerte das, weil ich den Satz sehr schnell als stereotype Redensart der <Feeling-Leute> entlarvte. Sie hatten Angst, daß bei dem ganzen <in den Gefühlen wühlen> etwas nicht stimmen könne. Extrem gesehen kamen sie mir dann so vor: voll von Gefühlen, leer in den Köpfen.

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   5.6  - Durch »Healing« Kontakt zum höheren Selbst   

 

Heilen mit Hilfe von übersinnlichen und überirdischen Kräften ist in den letzten Jahren so etwas wie der letzte Schrei im <Psychoboom> geworden. <Psychic Healing> muß nicht mehr in den Hinterstuben im Verborgenen getrieben werden. Mittlerweile zieht sich über Kalifornien ein Netz von <Psychic Institutes>. Sie versuchen die selbst heilenden Fähigkeiten des Individuums mit der transzendentalen Macht des <Healing-Meisters> zu verbinden.140)

<Healing Meister> verstehen sich als spirituelle Wesen, die bei früheren Inkarnationen einen hohen Stand von Kenntnis und Erfahrung im Heilen erreicht haben. Sie haben sich dafür entschieden, als <Healing-Meister> zu dienen und mit den sich selbst heilenden Individuen zu arbeiten. Manche <Healing-Meister> machen das von einem <höheren Sein> aus, denn sie haben sich entschlossen, auf diesem Planeten nicht mehr Gestalt anzunehmen. Lebende <Healing-Meister> können mit ihnen in Verbindung treten.

Die <Heilmethode> beruht auf dem Ineinanderfließen der Energie des <Healing-Meisters> mit der Energie des zu Heilenden. Mit Hilfe der <Hand-chakra> (ein Energiezentrum in der Hand) kann der Meister die heilenden Kräfte dorthin lenken, wo sie benötigt werden.

Um mit der <Heilkraft> umgehen zu können, lehren die Meister <Heilungstechniken>. Denn der unkontrollierte Umgang mit <Heilungsenergie> kann sowohl für den Meister wie auch den <Schüler> extrem gefährlich werden. Vor allem der <Schüler> muß lernen, wie er verhindern kann, eine Krankheit oder ein Symptom eines <Patienten> dadurch zu übernehmen, daß er zu stark mit dem Patienten sympathisiert. Er darf nur als neutraler Kanal im <Heilungsprozeß> dienen. Ein guter <Healing-Meister> muß die Funktion der <Aura> (Energiefeld um uns herum) und der <Chakras> verstehen, um sie für die emotionale, geistige und körperliche Gesundheit richtig einsetzen zu können. 

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Auf einem unserer Streifzüge durch die Los Angeles <healing scene> lernten wir eine Reihe von <Psychies> (Healing-Meister) kennen, die uns einluden, an ihren Seancen teilzunehmen. Einer von ihnen überreichte uns eine Geschäftskarte mit der Berufsbezeichnung <Prophet Joel von Arcadia>. Arcadia ist ein Stadtteil von Los Angeles. 

Wir entschieden uns für Kai, die Tochter eines Baptistenpfarrers und heute selbst Pfarrerin in der <Church of the Universal Master>. Nach kalifornischem Recht garantiert das Pfarramt auch das Recht, Heiltätigkeit (healing and miracle Service) auszuüben. Daher bat ich (Molter) Kai, an einem ihrer Heilungs­wochenenden teilnehmen zu dürfen. Sie gab sofort ihre Einwilligung. 

Kai, groß und dick, kurzes weißgefärbtes Haar, strahlte auf mich eine natürliche Wärme aus. Sie hatte große und wache Augen. Mit ihrem Erscheinungsbild assoziierte ich verstehende Mütterlichkeit. Der Gedanke, daß ich es mit einer <Hexe> zu tun haben könnte, kam mir erst, als sie mir mit einem zwinkernden Auge erzählte, daß sie im Mittelalter wohl verbrannt worden wäre.

Sie drückte mir eine Broschüre ihres <Awareness Center> in die Hand. Daraus erfuhr ich, daß sie ihre strenge christliche Erziehung in ein umfassendes Wissen fernöstlicher Philosophien integriert hat. Aus dieser Mischung schöpft sie große Energien direkt aus höheren Bewußtseinsebenen. In ihren Kursen lehrt sie jeden, wie er sein höheres Selbst erreichen und die Kanäle zu spiritueller Bewußtheit öffnen kann, um der Seele Grund zu finden, aus dem die reine >Energie< entspringt

Mit einer ähnlichen Sprache habe ich es das ganze Wochenende zu tun: Kai spricht immer in Wir-Form, d.h. übersetzt, die >guten Geister< und ich machen jetzt das oder das. Geradezu Schlüsselworte sind die Worte Energie und Dimensionen höheren Bewußtseins. Wenn Kai mit jemandem aus der Gruppe arbeitet, muß sie sich erst mal auf das Gruppenmitglied >ein-stimmen< (tune in). Wenn sich jemand nicht konzentrieren kann, heißt das in Kais Sprache: der hat zuviel Energie. 

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Um ihn konzentrationsfähig zu machen, muß sie bei ihm erst einmal Energie abführen (running off). Dazu verwendet sie eine besondere Technik: sie oder ein anderes Gruppenmitglied faßt das >Energiebündel< mit der Hand unter der linken Kniekehle an, die Energie kann dann entweder auf die ausführende Person übergehen (er kann sich aufladen lassen wie eine Batterie), oder sie fließt durch den anderen Arm des Agierenden ab in den großen >Energiefluß<. Diese Arbeit (picking up energies) ist sehr schwierig. Wenn der Energieempfänger davon müde wird, dann hat er zuviel geladen.

Ein weiteres Wort ist Trance. Wenn Kai zu jemandem sagt: »Du bist in Trance«, dann bedeutet das: diese Person verläßt jetzt ihren Körper und schwebt umher. Kai muß diese Person dann wieder auf die Erde zurückbringen. Kai spricht ihre >Fachsprache< mit einer Selbstverständlichkeit, wie auch andere Berufsgruppen fachsimpeln. Sie ist immer bereit, während ihrer Tätigkeit den Unwissenden Übersetzungshilfe bei ihrer westöstlichen Esoterikersprache zu geben. Wenn man ihren Prämissen glaubt, lassen sich Heilungen mit dieser Sprache leicht erklären: sie sind dann genauso logisch wie der Satz vom zureichenden Grund.

An einem Samstagmorgen treffe ich mit 10 Unbekannten in Kais Strandappartement mit Blick auf den Segelhafen von Redondo Beach zusammen. Ich bin neugierig, es herrscht eine gespannte, fast knisternde Atmosphäre ähnlich dem Beginn von Selbsterfahrungsgruppen. Punkt 10 Uhr fangen wir an. Kai bittet jeden einzelnen, sich vorzustellen: »Erzählt ein bißchen über euch selbst, Beruf, Familie. Habt ihr Erfahrung mit esoterischem Gedankengut?« 

Links von Kai beginnt Howard, ein asketisch wirkender Gymnasiallehrer Sohn eines methodistischen Missionsehepaares in China. Verheiratet, acht Kinder. Er ist an Höherem interessiert. Glen arbeitet selbständig im Marketing. Er ist skeptisch, aber will sich das mal angucken. Dann Vivian, Psychotherapeutin in Beverly Hills. Sie will mehr erfahren. Sie hat Kai schon arbeiten sehen. Sie hat einen Hang zu Spinnereien, vielleicht ist da was, das sie bei ihrer Therapie einsetzen kann. 

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Neben ihr sitzt Shirley steif und verkrampft auf ihrem Stuhl. Sie erzählt der Gruppe, daß sie schon längere Zeit mit Kai arbeitet, da sie an einer arthritischen Hüftverformung leidet. Die Ärzte hatten keinen Erfolg. Dank Kai kann sie wieder besser gehen. Mary sitzt im Yogasitz auf dem Stuhl. Sie sagt, sie fühle sich wie eine sechzehnjährige, obwohl schon fast vierzig. Sie war Alkoholikerin, seit einigen Jahren ist sie trocken. Sie hat ein neues Leben begonnen. Für die daneben sitzende Beverly übernimmt Kai die Vorstellung: »Wir müssen Euch sagen, daß Beverley ein Medium ist. Sie hat in einem anderen Leben auf der Stufe der Entscheidung freiwillig gewählt, wieder zur Erde zurückzukehren. Ihre Funktion ist es, für andere auf der Erde zu dienen.«  

Beverly erzählt weiter, daß sie schon mehrfach von der Parapsychologin Thelma Moss an der Universität Kalifornien, Los Angeles, getestet wurde. Ab und zu schaut sie mal in die Artikel, die Thelma Moss über sie geschrieben hat, sie weiß nicht, ob das etwas mit ihr zu tun hat. Kai greift wieder ein, als Beverly darüber redet, daß sie einfach ganz normal sein möchte: »Du mußt lernen, deine riesengroße Energie zu kontrollieren, damit du wirklich auf unserem Planeten leben kannst, du hast vor den <guten Geistern> deine Entscheidung getroffen.«

Dann folgt Betty, eine Anhängerin Kais. Sie hat Probleme mit ihrem Mann, einem Alkoholiker, den sie in einem eigenen kleinen Betrieb mit durchschleppen muß, Kai schaltet sich ein: »Wir können sagen, daß Betty auf der Reise in die höheren Sphären des Bewußtseins schon weit gekommen ist, sie ist schon fast soweit, den Menschen als <healer> zu dienen.« Moss, der sich selbst als Schriftsteller bezeichnet, macht eine Ausnahme in der Runde. Er kann kaum sprechen, er zittert, sagt, daß er Angst hat. Kai läßt ihm Zeit, sie drängt ihn nicht. Schließlich preßt Moss hervor, daß in den letzten Jahren nur eine von seinen Stories veröffentlicht wurde. Zuletzt sagte er lakonisch: »Ich hab 'ne Menge netter Briefe von Verlegern, das bringt natürlich kein Geld.« Als einige der Gruppe, einen interessanten Fall witternd, sich mit Fragen auf Moss losstürzen, bremst Kai sie ab: »Die <guten Geister> wissen, warum Moss sich in dieser Lage befindet.«  Und zu Moss gewandt: »Hab keine Angst, die Geister werden uns in deinem Fall weiterhelfen.«

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Dann bin ich an der Reihe. Ich erzähle, daß ich Kai bei der Arbeit beobachten möchte, weil ich darüber schreiben möchte. Kai läßt erst gar keine Diskussion aufkommen, sie übernimmt für mich: »Es ist uns eine große Freude, Haja heute hier zu haben. Wir wünschen ihm viel Erfolg.« Nach mir ist Harvey an der Reihe. Er schreibt zusammen mit Kai ein Buch. Von ihm sagt Kai noch ehe er beginnen kann: »Unserem Leben ist er eine große Freude, auch an diesem Wochenende wird er unser Assistent sein, wann immer wir ihn benötigen.«

Aus dem Kreis fehlt noch Bee, die in der offenen Küche das Mittagessen vorbereitet. Kai übernimmt die Vorstellung: »Bee ist unsere rechte Hand, sie führt die Buchhaltung und erledigt die Korrespondenz. Bee ist eine Seherin, die mir bei meiner Arbeit hilft. Wir selbst gehören zu den Wissenden, wir wissen, wir brauchen keine Begründung. Manchmal müssen wir aber auch sehen, dann rufen wir Bee zur Hilfe. Wir wissen z. B., daß in dem Körper eines Menschen eine Krankheit drinsteckt, wir möchten aber auch sehen, wo sie steckt.« 

Den Rest des Morgens verbringt Kai damit, uns in ihre geheimen Lehren einzuführen. Sie redet mit monotoner, gleichmäßiger Stimme, aufrecht sitzend mit halb geschlossenen Augen: »Die Menschheit teilen wir in vier Grundkategorien ein. Wir wissen sofort, welcher Kategorie jeder von euch angehört. Einige von euch sind Seher, die anderen sind Hörende, weiter sind einige Fühlende und andere wie wir selbst Wissende.« Harvey, der Assistent, unterbricht Kai und macht einen Verweis auf die Charaktereinteilung C. G. Jungs. Dann übersetzt er: »Stellt euch vor, vier Männer sitzen in einem Boot. Der eine sagt, ich sehe etwas auf uns zukommen. Der nächste sagt, ich höre etwas auf uns zukommen. Der dritte sagt, ich hab das Gefühl, da kommt etwas auf uns zu. Der vierte schließlich sagt, irgend etwas passiert.«

Kai hält einen fast einstündigen Vortrag. Harvey schiebt illustrierende Beispiele dazwischen. Kai gerät etwas aus dem Konzept, als sie von den >bösen Geistern< redet, welche die >guten< bekämpfen. Ihre Erklärung schien Vivian, der Therapeutin, nicht plausibel. Kai deklamiert: >Ihr guten Geister helft diesen Punkt zu klären.<

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Um 14.00 Uhr nach der Mittagspause geht es weiter. Kai möchte mit Einzelarbeit (healing) beginnen. Zur Einstimmung macht sie einige Imaginations- und Meditationsübungen mit uns, die uns zu einer total anderen Dimension unserer Existenz, einer Erweiterung unseres Selbst führen sollen. Zum erstenmal spannend wird es, als Vivian zum Fall wird. Kai hat etwas bei ihr bemerkt. Es hängt mit der Brust zusammen. Vivian sagt, sie habe Verknotungen in der Brust. Kai versucht die Brust zu lesen (reading), sie sagt, es handelt sich um die Brustmuskeln. Sie bittet Beverly, mit einzusteigen (tune in). Kai: »Jetzt kommt heilendes Licht auf die dunklen Stellen.« Mary tastet die Brust ab, um die Knoten zu lokalisieren. Beverly ist zu Kai gewandt, sie hat die Augen geschlossen. »Jetzt kommt Hitze aus dem Zentrum meines Vorderkopfes. Wir sehen eine helle und klare Brust.« Vivian fühlt sich besser, sie wirkt entspannter, so sagt sie wenigstens. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß sie die ganze Sache inszeniert hat, um Kai zu testen.

16.35 Uhr. 
Howard liegt mit dem Rücken auf einer Matte. Er klagt über Magenbeschwerden, er könne schon lange nichts mehr Vernünftiges essen. Harvey steigt mit ein, er begibt sich an Howards Kopf, Kai und Bee knien sich rechts und links neben Howard. Harvey breitet seine Hände über Howards Kopf, ohne ihn zu berühren. Bee macht eine Geste, als ob sie etwas aus dem Magen herausnimmt, und schleudert es mit einer heftigen Bewegung auf den Boden. Das wiederholt sie mehrere Male. Kai meditiert, sie hat die Augen geschlossen. Howard liegt steif, fast unbeweglich da. Nach einer Weile wendet sich Kai an die Gruppe: »Howard hat eine Schwäche im Verdauungssystem, er assimiliert nicht seine Nahrung, er hält seine Nervosität innerlich fest.« Während sie spricht, schütteln sie und Bee Energie aus ihren Händen. Plötzlich lacht Kai laut auf: »Seht, wie er da liegt, der kleine Junge.« 

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Und zu Howard: »Das bedeutet für dich, daß dein Leben dich dazu gezwungen hat, aus einem natürlichen kleinen Jungen einen rigiden Erwachsenen zu machen.« Beverly schaltet sich ein: »Etwas in ihm wünscht zu sterben.« Kai: »Ein Teil von ihm ist schon gestorben.« Howard meldet sich zu Wort, zögernd sagt er: »Ich fühle mich nicht erfüllt und unbefriedigt. Meine Frau verweigert den Geschlechtsverkehr.« Kai antwortet: »Du kannst einen >Nicht-Fühlenden< nicht zwingen.« 

Dann stoppt sie die <Heilung> und sagt: »Seine Frau wollte auch kommen, sie sagte in letzter Minute ab. Wir müssen mit beiden arbeiten. Wir sind in seinen Körper gegangen, um zu sehen, wo das Problem liegt. Aber da ist nicht sein eigentliches Problem.« Howard richtet sich auf, er setzt sich in den Kreis zurück. Bee holt ihm aus der Küche etwas zu essen.

Den Rest des Nachmittags arbeitet Kai noch mit Betty. Sie bleibt immer Herrin der Situation, läßt Harvey übersetzen und fordert die Gruppe für eine Weile auf, Ratschläge zu geben. Sie zeigt Witz und Humor und konfrontiert einige Gruppenmitglieder hart mit sich selbst.

21.00 Uhr. 
Beverly, das Medium, hat schlimme Magenschmerzen. Sie legt sich auf die Matte. Kai wird ganz nervös. Sie ruft nach Bee: »Du bist die Seherin, schau, ob du was sehen kannst.« Kai stöhnt: »Diesem Körper ist früher etwas ganz Schlimmes widerfahren.« Bee setzt sich neben Beverly, ihre Hände zittern unruhig. Sie hält sie über Beverlys Magen. Dann macht sie Bewegungen, als ob sie Wasser von den Händen abstreifte. Dann bewegt sie die Finger wie eine Schere über Beverlys Magen. Kai zur Gruppe: »Sie schneidet es ab.« Bee: »Ich sehe viel in diesem Magen, es ist so schlimm.« Sie macht wieder Streifbewegungen, verzieht das Gesicht zu einer Grimasse: »Oh, da hängt ein schwerer Block drin.« Beverly erzählt uns, daß sie vor einem Monat im Krankenhaus zur Behandlung von Blutgerinnseln im Bauch gewesen sei. Kai stößt fast weinerliche Schreie aus: »Das ist der schwierigste Körper, den wir je gesehen haben. Das tut uns so weh.« Sie wird leiser: »Wir haben Kopfschmerzen, wir wissen nicht, was wir tun sollen, wir haben alles versucht, wir werden jetzt so müde, aber wir geben nicht auf, wir sind in Trance.« 

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Harvey versucht zu übersetzen: »Kai hat sich jetzt in Beverly verwandelt.« Kai: »Nein, wir sind beides, Kai + Beverly, alles, wir könnten weinen, wir werden es nicht tun. Du, Beverly, du hältst es zurück, wir versuchen deinen Körper zu reinigen.« Kai rülpst, würgt und schüttelt sich. Ihr Gesicht ist hochrot, ihr schwerer Körper wirkt wie ein unbeweglicher Sack: »Ihr Engel kommt herein, dieser Körper muß geheilt werden.« Kai legt ihren Kopf auf Beverlys Bauch, streckt sich vor ihr aus und atmet schwer: »Es beginnt sich zu erhellen, der Körper ist jetzt besser.« Bee ruft freudig: »Ja, ich sehe es.« Kai lacht grell: »Das hat geholfen.« Sie umarmt spontan Harvey, dann verschwindet sie. Bee verrät, daß sie sich umzieht, sie will ganz die Persönlichkeit Beverlys annehmen, um dann an ihrem Kopf zu arbeiten. 

Kai kommt in einem langen wallenden Kleid zurück. Sie setzt sich an Beverlys Kopf nieder: »Oh, unsere Hände brennen. Harvey, riecht da nicht was verbrannt. Oh, das brennt fürchterlich.« Dann findet Kai mit Beverly in einem Gespräch heraus, daß das an einem bestimmten Medikament liegen müsse, das ihr der Arzt verschrieben hat. Dann fährt sie fort: »Dieser Körper muß lernen, sein Los auf der Erde anzunehmen. Beverly muß ihren Grund finden.« Sie wendet sich an die Gruppe: »Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie uns das bedrängt. Das ist hier einer der mächtigsten Orte - sie weist auf Beverly -, die wir jemals berührt haben. Ich will seine Macht nicht beschneiden, bis Beverly mir die Erlaubnis dazu gegeben hat. Sie soll fähig werden, in einem fleischlichen Körper zu leben.« 

Beverly fragt nach: »Was macht mich so mächtig. Kann ich den anderen als heilende Kraft dienen?« 
Kai: »Ja, du mußt mit uns längere Zeit leben, und wir lehren dich dann, wie du deine Macht kontrollieren kannst.« 
Aus der Gruppe fragt jemand: »War das Exorzismus?« 
Harvey wimmelt ab: »Nein, das ist die Energie, die heraus will, der Körper wehrt sich, das ist es.« 
Die Sache schleppt sich hin, auf mich wirkt es wie Leerlauf. Harvey versucht noch, Beverlys Energie abzuführen. Beverly behauptet, daß sie immer noch Bauchschmerzen habe. 
Kai ermahnt sie: »Die Geister haben dich hierhin geführt, um mit mir zu arbeiten.« Beverly setzt sich wieder hin, sie erzählt uns von den Tests, denen sie unterzogen wurde. Die Gruppe stellt - wie aus Verlegenheit - eifrig Fragen.

Dieser kurze Einblick möge genügen. Am nächsten Tag nahm ich nur noch an der Morgensitzung teil, weil ich mittags einen anderen Termin hatte. Kai erzählte über sich, daß sie aus Kansas nach Kalifornien gekommen sei, weil sie die Berufung fühlt, den Menschen zu dienen. Sie hat Mann und Haus zurückgelassen. Oben in Kansas war sie als Hexe verschrien. Hier haben ihr die Geister eine neue Heimat geschenkt. 

Ich habe Kai in sympathischer Erinnerung behalten. Wenn sie sich nicht so sehr auf die Geister verließ, sondern intuitiv spontan handelte - wie in Howards Fall -, bewies sie Intuition und Einfühlungsvermögen. An diesem Wochenende wurde meinem Eindruck nach jedenfalls niemand geheilt. 

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