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Teil 6 von Bach/Molter 1976

 6.2

6.1 - Die Simplifizierung des Lebens 

190-199

In der explosionsartigen Ausweitung des <Psychobooms> zeigen sich - wie wir schon beschrieben haben - starke Tendenzen, das isolierte, sich selbst entfremdete Selbst in einem ungeheuren therapeutischen Enthusiasmus zum Gott zu erheben. 

Der verzweifelten, fast ausweglosen Situation unterdrückter Klassen steht eine arrogante Einstellung gutsituierter Bürger gegenüber, deren Weltsicht sich ganz auf ihre kleinen Wehwehchen konzentriert. Erstrebenswert ist nur individuelles Glücklichsein und Überleben. Ungeniert verneinen sie menschliche Gegenseitigkeit und Gemeinschaft. Ihre Haltung formulieren sie achselzuckend: »Was kann ich schon daran machen, wenn es anderen nicht so gut geht; die Hauptsache, ich habe meinen Spaß, was wollt ihr eigentlich, ich bin doch im Besitze eines höheren, sprich besseren Bewußtseins.«

Der amerikanische Futurologe Paul Ehrlich, der gegen die Bevölkerungsexplosion zu Felde zieht, verkündet das nahe Ende des Überflusses. Eine seiner Konsequenzen daraus ist: Er propagiert und rät den Leuten, die Keller mit Vorräten zu füllen, sich ein Gewehr zu kaufen und sich weder auf Freunde, noch auf Nachbarn zu verlassen.176

Das folgende Beispiel unterstreicht diese Aussage:   wikipedia  Harper's_Bazaar

Peter Marin berichtet in der Zeitschrift <Harpers>, Oktober 1975, von einer Frau, die gerade durch das EST-Training gegangen ist. Ihr Beispiel unterstreicht unsere Ansicht über EST, da es auf eine geradezu verblüffend perfekte Art und Weise zeigt, wie das Selbst der Frau scheinbar befreit — wir würden sagen: verführt und umgekrempelt — wird. Die EST-Teilnehmerin berichtete Marin ganz offen über ihre Einsichten, die sie aus EST gewonnen hat:

1) Der Wille eines Individuums kann alles durchsetzen und bestimmt unser Schicksal total, mit anderen Worten: wer will, der kann.

2) Sie hat nun keine Scham- oder Schuldgefühle mehr wegen des Schicksals anderer. Die Armen und Hungernden haben sich dieses Schicksal selbst gewünscht. Sie lehnt jede soziale Verantwortung ab.

3) Die Nordvietnamesen haben die Bombardierung ihrer Städte sich selbst herbeigewünscht. Sonst hätte so etwas doch gar nicht passieren können.

4) Eine ihrer Freundinnen, die in San Francisco vergewaltigt und ermordet wurde, muß dafür bedauert werden, daß sie es sich selbst gewünscht hat.

5) Durch die Wochenenden bei EST hat sie nun die hundertprozentige Erleuchtung.

6) Sie ist nun Gott selbst. 

7) Was auch immer sie selbst für wahr befindet, ist wahr, selbst wenn viele Argumente dagegen sprechen.

8) Jeder andere ist auch sein eigener Gott, seine Ideen sind auch wahr, aber sie besitzen nicht den gleichen Wahrheitsgehalt wie ihre Gedanken, es sei denn, er ist auch durch EST-Training gegangen.

9) Es ist unfair und nicht richtig, Verstand und logisches Denken als Instrument der Kritik an ihrem Glauben anzuwenden. Sie kann nicht sagen, warum das so ist, denn irrationale Gründe sprechen dafür. 177) 

 

Einer ähnlichen Philosophie begegnete ich (Molter) bei einem Einführungsabend des <Self-Improvement-Institute> (SII) in St. Monica, den ich besuchte. Der Seniorautor hatte Dr. Neev, den Alleindarsteller des Institutes, bei einer Strandwanderung in Venice-Beach getroffen.

Dr. Neev, der von sich behauptet, übersinnliche Kräfte zu besitzen, ordnete diese Begegnung denn auch gleich in das Feld des Übersinnlichen ein. Er erzählte, daß er gerade darüber meditiert habe, einen berühmten Mann zu treffen, und siehe da, in diesem Augenblick war schon der glückliche Zufall hergestellt.

<Glückliche Zufälle> (happy coincidence), das ist Dr. Neevs Philosophie, das Arrangement von glücklichen Umständen führt zur Verbesserung des Selbst: 

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Er möchte den Leuten beibringen, wie sie durch übersinnliche Kräfte (phychic powers) Harmonie mit dem Leben herstellen können. Auf dem Einführungs­abend sagte Dr. Neev, daß wir das alles an zwei intensiv gestalteten Wochenenden (das bewährte EST-Konzept) lernen können. Was er so alles erzählte, wirkte auf mich wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht: unser Leben wird sich total ändern, wir werden keine Schwierigkeiten mehr haben, weil es eigentlich gar keine mehr gibt; das einzige, was wir tun müssen, wir müssen unsere eigene innere Kraft wiederentdecken, an uns selbst glauben und dann wörtlich: »Wir brauchen niemanden, der uns liebt, denn wir stehen in Harmonie mit dem Leben, mit dem ewigen kosmischen Gesetz.«

Dr. Neev, ein drahtiger junger Israeli, korrekt und proper gekleidet, erinnert mich an jene Art von Werbeveranstalter, die ältere Damen und Herren zu Kaffeekränzchen-Touren einladen und ihnen dann während des Verzehrs von Kaffee und Kuchen eine Heizsonne unterjubeln, die sie niemals richtig gebrauchen können. Ein ähnliches Publikum, meist ältere Damen und Herren, war an jenem Abend um Dr. Neev versammelt. Aus ihren Fragen ging hervor, wie gutgläubig und naiv sie Dr. Neevs Worte aufnahmen. Kaum einer äußerte Skepsis. 

Dr. Neev hatte noch einen speziellen Werbetrick parat. Ab und zu unterbrach er seine Rede und trank aus einer Plastikflasche mit der Aufschrift <Joy> (Freude) — <Joy> ist ein amerikanisches Spülmittel. Wie in der amerikanischen Fernsehreklame, die alle sieben bis zehn Minuten während der Sendung einen Werbespot bringt, wies er so mit seinem eigenen <Commercial> immer wieder auf sein Programm hin.

Was er uns so in den drei Abendstunden bot, war ein gut gemixter Cocktail aus Banalitäten und Lebensweisheiten, Zitaten aus dem Talmud und Aussprüchen berühmter Leute wie etwa Einsteins Aphorismus: »Imagination ist wichtiger als Intellekt.« Wer wagt da noch zu widersprechen.  

Inzwischen hat Dr. Neev seine Werbung erweitert, er verteilt Plastikbeutel mit der Aufschrift: »Reinige Seele, Körper und Umwelt und komme in Harmonie mit deinem Leben durch übersinnliche Kräfte.«

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Werner Erhard und Maharishi, die großen, und Dr. Neev, der kleine Seelenheilverkäufer, sind nicht die einzigen, welche die Ware <Bewußtseins­erweiterung> verkaufen. Die einen versuchen es mit sog. Wissenschaft, die anderen mit transzendentalen und parapsychologischen Phänomenen oder beidem. 

Während unserer gemeinsamen Arbeit an diesem Buch haben wir einmal die täglich eindringende Flut von Werbeprospekten am <Institut für Gruppen­psychotherapie>, Los Angeles, kritisch überprüft. Durchschnittlich erhielten wir täglich 8-10 Prospekte, die <Bewußtseinserweiterung> als <Ware> und <Wahrheit> zum Verkauf anbieten. 

Immer wieder schießen neue Firmen aus dem Boden. Oft entdeckten wir, daß sich nur der Name geändert hat, weil die alte Firma — meist wegen unseriöser Werbepraktiken — aus dem Verkehr gezogen werden mußte. Auch in der BRD beginnen solche Firmen zu florieren, sie sprechen, wie es in einem Prospekt heißt, nur den <Menschen als Individuum>178) an. Dieser Prospekt hält es mit der Wissenschaftlichkeit, er wendet sich an Unternehmer, Beamte, Hausfrauen, Ärzte, Pädagogen, Angestellte und Selbständige, Studenten und Künstler. Es handelt sich um die <Persönlichkeitsschulung nach der Methode Dr. Walter Stille>, die in <Instituten für Bewußtseinstraining> überall in der BRD angeboten werden. 

Wie das gemacht wird, darüber gibt der Prospekt in pseudowissenschaftlicher Sprache Auskunft: 

»Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, daß Gedanken in Form von Energie existieren, sowie die neuesten Errungenschaften der <Psychologischen Entscheidungstheorie von Dr. Walter Stille> zeigen die Funktion unserer Denktätigkeit und die direkte Auswirkung des Denkens auf unser Leben. Hierdurch wird dieses Phänomen in seinem Ursprung deutlich. Damit sind die wissenschaftlichen Voraussetzungen gegeben, durch Bewußtseinstraining zur vollen Persönlichkeitsentfaltung zu gelangen.« 179) 

Dann folgt eine Liste von Punkten, die beweisen sollen, daß der Teilnehmer am Programm einen Erfahrungs- und Erkenntnisprozeß macht, der seinem Leben eine entscheidend positive Wende gibt. Das Beste daran ist: »Diese Ergebnisse sind sofort spürbar und vor allem dauerhaft.«

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Dieser Trend, der neue Enthusiasmus für das Selbst, reflektiert kaum noch Werte wie Gemeinschaft, Beziehung, Nachbarschaft, Freundschaft, ganz zu schweigen von politischer Verantwortung. Narzißmus wird als die Befreiung, das Auskommen ohne den anderen als Erleuchtung proklamiert. Diese Lebens­anschauung erlaubt den Leuten genau das zu bleiben, was und wer sie sind. Sie nehmen die Umwelt so hin, wie sie ist. Sie kreieren einen neuen Sinn für Gerechtigkeit in Form von Selbstrechtfertigung, indem sie alles mit kosmischen Gesetzen und ewigem Energiefluß in Einklang bringen. 

Mit Recht weist Marin darauf hin, daß Carlos Castanedas Werk über <Don Juan> mit auf dieser Welle schwimmt.180) Don Juan sagt: »Man muß die Verantwortung dafür übernehmen, daß man in einer kosmischen Welt lebt.«181) Marin verweist in diesem Zusammenhang auf das Werk von Claude Levi-Strauss, für den die Welt des Magischen und des Mythos immer eine menschliche Welt ist, ein Bereich, der erforscht und bewohnt wird von Menschen wie wir selbst. 

Dagegen bietet für Marin Castane der Mythos über Don Juan keine Alternative zu unserer gegenwärtigen Situation, sondern ist eine Metapher dafür. Es ist ganz einfach der bekannte Mythos vom einsamen Trapper, übersetzt in eine spirituelle Sprache. Aus der Comic-Strip-Geschichte von Superman oder Kapitän Marvel machte er (Castane) eine intellektuell aufgemachte Legende für Erwachsene. Sie legitimiert unsere Einsamkeit und tröstet uns mit dem Mythos, daß wir in unserer Isolation eine Macht finden, um uns selbstsicher zu machen.182) 

Diese Art der Verabsolutierung eigener Verantwortlichkeit und die bedingungslose Glorifizierung des menschlichen Selbst sehen wir als eine gefährliche Verzerrung der humanistisch psychologischen Bewegung. Wir wollen nicht mißverstanden werden. Die humanistisch orientierte Bewegung hat viele wertvolle Anstöße gegeben. Aber viele der Anstöße beginnen sich zu verselbständigen und beanspruchen ein Eigenleben, das die Beziehung zum Ganzen aufgibt.

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Wir stehen zu der Offenheit und dem wissenschaftlichen Pluralismus der humanistischen Psychologie. Wir sind davon überzeugt, daß die bisher vorliegenden wissenschaftlichen Erklärungsmuster nicht ausreichen, menschliches Verhalten und Erleben zu erklären, noch dazu in der Lage sind, Phänomene in den Griff zu bekommen, die unseren bisherigen westlichen Erfahrungsbereich überschreiten. Wir wollen der Erforschung des Übersinnlichen und Transzendentalen nicht den stereotypen Stempel der Unwissenschaftlichkeit aufdrücken. Auch begrüßen wir es, daß Fragen aus Religion und Philosophie wieder ernst genommen werden in der Psychologie. Wir können nämlich nicht an der Tatsache vorbeisehen, daß die Menschheit durch Jahrtausende hindurch die Frage nach der spirituellen Basis menschlicher Existenz gestellt hat.

Wir interpretieren das, was heute in der psychologisch-therapeutischen Szene vor sich geht, auch als eine tief im Menschen verwurzelte Sehnsucht nach einem Sinn oder einer Struktur im Leben, die über die physiologischen und materiellen Bedürfnisse hinausgeht. Besonders deutlich zeigt sich dieser Hunger in der Aufnahme, die östliche Religionen und Philosophien in den letzten Jahren gefunden haben. Der intuitiv-subjektive Ansatz östlicher Traditionen kann sicherlich das angeblich wertfreie rational-objektive Vorgehen westlicher Schulen bei der Erforschung des menschlichen Verhaltens, Erlebens und Bewußtseins bereichern, da er die Leib-Seele-Spaltung nicht kennt, sondern eine ganzheitliche Sichtweise des Menschen hat. 

Andererseits hat die humanistische Psychologie nicht vermocht, die Geister, die sie rief, in überschaubaren Grenzen zu halten. Vermeintlich totale Offenheit hat Zwänge produziert, wo die Befreiung des Selbst, die sog. Selbstverwirklichung, zum mißglückten Abklatsch eines Guru oder einer therapeutischen Richtung führt. Wobei der Begriff des Guru, des Lehrmeisters, bis zur Lächerlichkeit pervertiert wurde, denn der beste Guru hat keine Anhänger. Ein buddhistischer Spruch besagt: »Triffst du Buddha unterwegs, töte ihn.« Als der Seniorautor vor ein paar Jahren Indien besuchte, erklärte man ihm die Funktion eines Guru durch eine Allegorie: »Schau«, sagte man ihm, »wenn der Guru acht Meter weit springt, dann springt sein schwächster und unbegabtester Schüler mindestens acht Meter zehn weit.«

Die Szene der humanistischen Psychologie in Kalifornien weist durchaus Parallelen zur Hollywoodatmosphäre auf. Wir sehen darin positive und negative Aspekte: Als positiv bewerten wir einen gewissen Pragmatismus: Dinge, die sonst nicht möglich scheinen, sind — wie im Film — machbar. Diese Atmosphäre gibt vielen Innovationsbestrebungen Raum zum Experimentieren und zur Entfaltung. Andererseits ist die Szene auch durchsetzt von einem >Hollywoodglamour< mit vielen Stars und Starlets, welche eine künstliche Welt vortäuschen. Extreme und viel Unsinn sind Tatsache und nicht zu leugnen. Sie rechtfertigen aber nicht — genausowenig wie das Versagen anderer therapeutischer Richtungen — die Ablehnung der praktizierten humanistischen Psychologie überhaupt.

195-196


6.2  - Autonomie und soziale Verantwortung  

 

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Wie wir gezeigt haben, herrschen innerhalb therapeutischer oder pseudotherapeutischer Richtungen und der Encounterbewegung Tendenzen, die unter einem Ungleichgewicht zwischen ichbezogener Selbsterfüllung bis Selbstgefälligkeit und dem notwendigen Interesse an anderen auf einer zwischenmenschlichen, gruppenbezogenen oder politischen Ebene leiden. 

Von unserem kommunikationstherapeutischen Standpunkt aus gesehen halten wir eine überzogene Betonung eines dieser beiden Extreme für psychologisch ungesund. Wir sehen keine Möglichkeit, wie Autonomie ohne den anderen erreicht werden kann. Dazu sind Kommunikationstechniken notwendig. Beide Autoren stimmen darin überein, daß die Verleugnung der Realität zwischenmenschlicher Abhängigkeit zu einem guten Teil Flucht und Angst vor einer Komplexität repräsentiert, die sicht- und spürbar wird, wenn es darum geht, das zwischenmenschliche Geschehen zu meistern. Denn in interpersonalen Beziehungen sind Konflikte, Frustrationen und Mißverständnisse ständig potentiell vorhanden und erfordern unter Umständen aggressive und assertive Konfrontation und Korrektur. 

Das Selbstverständnis eines Individuums ist dadurch bestimmt, wie es sich selbst und wie es von anderen eingeschätzt wird. Nur ein totaler Narziß kann ohne Anerkennung und positive Wertschätzung und Verstärkung durch andere auskommen. Die Menschen leben glücklicher, wenn sie von ihren Mitmenschen respektiert und geschätzt und von einigen geliebt werden. Kurt Lewin betrachtete als psychologische Basis jeder Persönlichkeit den >Lebensraum<, die Gruppenzugehörigkeit des Individuums. Er sprach in diesem Zusammenhang vom >Charakter der Gruppenzugehörigkeit<. Schließlich wachsen wir in einem Gruppenprozeß auf, und viele unserer alltäglich anstehenden Probleme sind Gruppenprobleme. Wir halten es daher für eine gefährliche Doktrin, wenn auch nur unterschwellig postuliert wird, daß der soziale Kontext für das eigene psychische Wohlbefinden bedeutungslos ist.

Das starre Festhalten an personalistischer oder transpersonaler Autonomie hindert die Menschen, sich mit jenen Fertigkeiten auszurüsten, die notwendig sind bei der Lösung sozialer Probleme. Indem das Individuum mit anderen in Austausch tritt — eine wesentliche Voraussetzung kulturellen Fortschritts —, erweitert es seinen eigenen Spielraum im Leben. Wir finden es fast peinlich, auf solche Selbstverständlichkeiten hinzuweisen, aber sie werden negiert, wenn man mit Leuten spricht oder an Gruppensitzungen teilnimmt, wo Autonomie als einzige Dimension menschlicher Existenz hingestellt wird. 

Der Preis, den man für eine solche autonome Lebensweise zahlen muß, liegt in dem Verlust einfühlsamer Zuwendungsfähigkeit. Menschliche Bezugsverhältnisse — Eltern/Kind, Lehrer/Schüler, Therapeut/Klient — erfordern in ihrer gegenseitigen Gestaltung neben kritischer Auseinandersetzung (konstruktive Aggression) die Fähigkeit, sich einfühlen und herausbekommen zu können, wo der abhängige andere — Kind, Schüler, Klient — emotional steht, und welche Einwirkung man auf ihn hat. 

Die alleinige und autistische Ausrichtung auf Autonomie verhindert das Erlebnis und die inspirierende Ansteckungskraft, die gut funktionierende kohäsive Gruppen haben. Vor allem bleibt das Individuum ohne adäquate Ausrüstung, wenn es darum geht, selbst Einfluß auf Gruppen auszuüben oder sich vor Manipulationen einzelner oder kleiner Gruppen zu schützen, die versuchen, den Gruppenenthusiasmus für ihre Zwecke auszubeuten und zu mißbrauchen.

Besonders gefährlich wird die narzißtische Umarmung der Autonomie und die Verleugnung gegenseitiger Abhängigkeit, wenn ein Individuum sich in einer Krise befindet. Wer kann von sich behaupten, daß er nicht krisenanfällig sei. Wer hat nicht Krisen in seiner Entwicklung durchgemacht, die einschneidende Veränderungen notwendig machten? 

Selbst in guten Zeiten treten Wendepunkte auf, die Entscheidungshilfe erfordern. Dazu muß man die Fähigkeit besitzen, mit anderen Beziehung aufzunehmen, indem man ein Signal seiner Krise gibt, eine konstruktive Intervention einleitet, anderen vertraut und Hilfe akzeptiert, anstatt sich im Bewußtsein falscher Autonomie sein Grab zu schaufeln.

Wir sehen das Individuum in einem ständigen Austauschprozeß zwischen dem Streben nach Autonomie und sozialer Interdependenz. Die einseitige Betonung der Autonomie auf Kosten anderer bis hin zur gesellschaftlichen und politischen Passivität zerstört die Hoffnung auf eine Gesellschaft, in der Freunde und Verbündete sich solidarisch eine Lebenswelt schaffen, die persönliches Wachstum fördert und sozial-kulturelle Entwicklungen ermöglicht, die ohne totalitäre Führer oder falsche Gurus auskommen. 

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Ende

 

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