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    Idee einer Rettungsregierung  (Regierungserklärung)

 

Bahro-1987. Alternative Regierungserklärungen bei Amery-1983 und Ferst-2002 

 

 

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Nun können wir auf dem langen Wege eine Menge Kommunen und andere kleine Lebenskreise schaffen, und es gibt wahr­scheinlich keinen besseren, um positiv die Grundlagen einer neuen Kultur zu schaffen. Wir können auch etwas schneller vorankommen als damals beim "Übergang von der Sklaverei zum Feudalismus" im spätantiken Italien. 

Offenbar werden wir dennoch zu spät kommen, wenn sonst nichts passiert und wir darauf warten, bis die Bevölkerungs­mehrheit von sich aus zu einer überlebens­fähigen Ordnung übergeht. 

Wir können fordern, welche Demokratie wir wollen: liberale, sozialistische, Basis- oder Rätedemokratie — die Subjekte, die sich damit retten und gar befreien sollen, stecken viel zu tief in den Gewohnheiten und Vorurteilen, die in der Logik der Selbst­aus­rottung liegen.

So befinden wir uns mit unserer Kritik am Staat in einer überaus paradoxen Situation. 

Steckt nicht schon in seiner bloßen Existenz von vornherein das Grundübel der Machtlogik? Ist nicht Politik als machtbezogenes, staatsbezogenes Verhalten, das ja auch seinen Menschen absorbiert, die Endursache des Übels, mindestens einer seiner ältesten Aspekte? Kann es überhaupt ökologische Politik, Friedenspolitik geben? 

Vielleicht ist der früh von mir aufgenommene Spruch: "Seht den Zustand des Königreiches! Es ist geboten, daß Humanisten streitbar sind und auch reiten" (Heinrich Mann in seinem "Henri Quatre") eine Falle?

 wikipedia  Die_Jugend_des_Königs_Henri_Quatre 

Ist es nicht ein Widerspruch in sich, von einer gewaltfreien Politik zu reden? Ja, es gibt den Unterschied zwischen gierigem und gelassenem Zugriff, zwischen eroberndem und beschützendem Machtimpuls. Es sind nicht alle Katzen grau, aber es sind alles Katzen, und zwar — darin natürlich liegt das Problem — gegenüber Mäusen.

Ist denn die Voraussetzung richtig, gehört sie denn zur impliziten ORDNUNG, daß es Staat, daß es ein Gewaltmonopol, also ein Institut des Krieges nach innen und außen geben muß? Wenn es unvermeidlich warist es unvermeidlich, muß es unvermeidlich bleiben

Falls es von der Komplexität großer Gesellschaften bedingt ist, vielleicht soll es keine großen Gesellschaften geben? Oder vielleicht haben wir nur noch nicht bewältigt, große Gesellschaften bloß zu verwalten? Vielleicht belegen Werden und Existenz des Staates nur eine (vorläufige?) Unzulänglichkeit, eine Un-ORDENT­LICHKEIT der menschlichen Natur, des menschlichen Geistes? 

Trotz alledem müssen wir jetzt, da überhaupt kein anderes Instrument absehbar ist, um die Todesspirale anzuhalten, mit dem Staat (nicht mit dem in der Megamaschine gegebenen, aber mit dem Prinzip staatlicher Ordnung) rechnen. Es gehört zur Realität der Situation, in die wir geraten sind, auch für den Ausgang.

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Dann ist das wichtigste Verantwortungsproblem des Politikers wie des politischen Menschen, sich vom Staat zu entidentifizieren, von der Lust am Staat, von der Lust am Machtpolitik­machen, am Katz- und Maus-Spielen mit anderen Menschen, an der Behandlung der Erde, der Pflanzen und Tiere als Einsatzmünzen in diesem Spiel. 

Was wir aus einer solchen Haltung, aus der gezielten Bemühung um sie [Haltung] in der Bundesrepublik als erstem Land der westlichen Metropolis brauchen, wenn wir überhaupt die Zeit und den Raum freihalten wollen, um eine andere Kultur zu bauen, das ist eine gute, starke und auch in ihrem Durchgreifen populäre Regierung, eine elterlich-liebevolle Regierung, die sich aktiv die Zustimmung für die notwendigen Maßnahmen organisiert.

Ich sage "Regierung"; ich hätte auch altmodisch, aber genauer von einem "Regiment" sprechen können. Denn gemeint ist nicht die Exekutive allein, gemeint sind mit "Regierung" die Institutionen der Rettung in ihrer Gesamtheit. Genauso nehme ich auch die Kanzler- bzw. in meinem Entwurf nachher eher die Präsidentenfunktion im Sinne einer allgemeinen Repräsentanz. 

Wer aus der Anderen Großen Koalition heraus für das Präsidial- bzw. Kanzleramt kandidiert, müßte auf dem Fernsehschirm erscheinen und etwa die folgende Erklärung abgeben:

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Nach allen Informationen, die wir besitzen, haben wir nur zu wahrscheinlich mit einem weltweiten Zusammenbruch des Ökosystems zu rechnen, der noch zu Lebzeiten der jetzigen mittleren und jüngeren, nicht einmal erst der jüngsten Generation einsetzen wird. In unserem dichtbesiedelten Land wird er — wahrscheinlich an den Küsten und an den Flüssen beginnend — besonders dramatisch verlaufen. 

Der Versuch, sich dann noch aus dem Stand zu retten, wird in einen fürchterlichen Kampf aller gegen alle ausarten. Vielleicht können wir unser Militär einsetzen, um noch eine Weile die Ordnung aufrecht­zuerhalten und vor allem die Versorgung von außen zu sichern. Gewiß ist insbesondere das letztere keineswegs, denn die Waffen verbreiten sich schnell. In zwanzig Jahren wird es sehr viel mehr Atom­waffen­staaten als heute geben und auch einen atomaren Terrorismus. Und wir wissen, wie anfällig unsere komplexen Infrastrukturen sind.

Wenn wir das alles nicht wollen, müssen wir der Gefahr jetzt begegnen, wo wir eine vielleicht gerade noch hinreichende Bremsstrecke haben.

Freilich kann niemand genau sagen, wie weit wir schon Unumkehrbares, Nichtwiedergutzumachendes angerichtet haben — es wird keine ausgestorbene Art wieder auferstehen. Aber einigen wir uns auf einen Plan, wie wir die endgültige Überlastung und damit den Kollaps der Biosphäre und der Atmosphäre verhindern können! Wenn wir unsere Vernunft zusammennehmen und unseren Egoismus zügeln, ist das möglich.

Der Hauptgedanke besteht darin, die Grundlast, mit der unsere Zivilisation auf die lebendige Erde drückt, um den Faktor von mindestens 10 zu 1 zu senken. Wir können sagen, das muß weltweit geschehen, das ist ein Problem aller industriell entwickelten Länder zusammen, die hier die Maßstäbe setzen, also auch gemeinsam handeln müßten. Richtig. Wir wissen aber von den Abrüstungsverhandlungen, daß so etwas auf dem Vorverhandlungswege nicht funktioniert. Es hilft nur etwas, was wir einseitige industrielle Abrüstung nennen mögen.

Die Bundesrepublik ist das Land, das mit der Rettungspolitik beginnen wird — in der Hoffnung, daß sukzessiv einige andere Länder Westeuropas und vielleicht sogar Japan mitziehen, daß möglicherweise auch einige Länder des Ostblocks und sogar einige Länder der Dritten Welt ihren Industrialisierungsprozeß bremsen und umlenken, aber ohne daß wir uns von deren Nachfolge abhängig machen. Die Risiken, die wir nach konventionellen Kriterien eingehen (Währungsverfall, Verluste gegenüber der Konkurrenz usw.), sind alle nicht ausschlaggebend. Wir werden sehen, was im einzelnen auf uns zukommt und dann jeweils Lösungen finden. Jedenfalls drückt die ökologische Krise nicht auf uns allein.

Was heißt "die Grundlast senken"? Seien wir uns klar: Sie ergibt sich aus der Zahl der Köpfe pro Einheit Erdoberfläche und aus der Höhe des Pro-Kopf-Anspruchs. Wenigstens bei unserem heute gewohnten Pro-Kopf-Anspruch ist die Bevölkerungszahl zu groß, und zwar gerade in den entwickelten Ländern, wo eben ein Mensch viel mehr Schaden macht als in den nach unseren Kriterien armen. Wir sind wohl alle der Meinung: Es gibt zu viele Menschen auf der Welt. Wir müssen aber bei uns anfangen:

Es gibt zu viele Deutsche in Deutschland, besonders in Westdeutschland, das noch viel dichter besiedelt ist als die DDR. Unser Territorium hält unsere täglich durchschnittlich 150-160 verbrauchten Kilowattstunden pro Kopf nicht aus. Laßt uns also wenigstens den Geburtenrückgang akzeptieren; natürlich muß auch die vom Industriesystem der Metropolen verursachte moderne Völkerwanderung aufhören, die nur Probleme schafft und keine löst.

Und dann betrifft die Senkung der Grundlast unsere materiellen Grundbedürfnisse nach Nahrung, Kleidung, Wohnung, Bildung und Gesundheit sowie die Bedürfnisse nach (militärischer) Sicherheit (???), nach Mobilität und nach Kommunikation, auch die Bedürfnisse nach Genuß- und Entwicklungsmitteln. Infolge der Großorganisation, der Großtechnologie, den weltmarktbedingten Transporten und der sicherheitsfixierten Psychologie befriedigen wir sie uns mit ganz unverhältnismäßig hohem Aufwand. Wir "lösen" auch die deshalb auftretenden Probleme — nicht zuletzt das des Umweltschutzes — mit immer neuen Zugriffen auf die nicht erneuerbaren Ressourcen des Planeten. Da aber dieses Vorgehen strukturbedingt, also in dem gegebenen zivilisatorischen Muster unlösbar ist, müssen wir die Struktur selbst grundlegend ändern.

Das wird gerade dann besonders klar, wenn wir uns ansehen, was alles wir abschaffen müssen — weil dann nämlich ohne tiefergehende Strukturveränderung nur ein schäbiger Torso der industriellen Megamaschine übrigbliebe, von dem nichts als Frustration ausginge. Was muß denn offensichtlich weg? Offensichtlich die Atomenergieerzeugung. Aber wir müssen auch den privaten Autoverkehr aufgeben, den Lastwagen- und Spezialfahrzeugverkehr weitgehend einstellen und die Flughäfen größtenteils schließen (selbstverständlich müssen auch die militärischen Räder stillstehen). 

Die chemische Massenproduktion, die Autoproduktion müssen wir weitestgehend zurückfahren, die Rüstungsindustrie ganz abschaffen. Unfälle mit dem Atom, der Chemie, der Technologie und Technik überhaupt wird es immer geben, von den zu spät erkannten Folgen "normaler" Massenproduktion (etwa in der Chemie und in der Landwirtschaft) zu schweigen. Also können wir uns diese unmenschlichen Maßstäbe einfach nicht mehr leisten. Es ist keine Lösung gut, bei der der Mensch nicht mehr versagen darf.

Welchen Weg können wir gehen, wenn so die industriellen Arbeitsplätze massenhaft aufgelassen werden und wir hauptsächlich mit den mineralischen, agrarischen und atmosphärischen Ressourcen auskommen müssen, die wir im eigenen Land noch vorfinden? Dann müssen wir uns zuerst daran erinnern, daß der Mensch nicht immer von der nährenden Erde und von den Werkzeugen seiner Arbeit getrennt war — getrennt nicht nur durch Entfernungen, sondern auch durch Eigentumsverhältnisse.

Trotz der dichten Besiedlung reicht das Land in der Bundesrepublik noch für unser aller Selbstversorgung aus biologischem Anbau, insbesondere dann, wenn wir das Fleischessen zurückschrauben. Also können wir uns mit unserer Hände Arbeit ernähren.

Für Werkzeuge, Gefäße, Speicher, Wohnungen reicht es kleinindustriell allemal, wenn wir unsere Grundversorgung wieder auf den Nahbereich zusammenziehen — sagen wir auf einen Transportradius von 25-30 Kilometern. Wenn wir unser Ingenium auf eine konviviale Technik vom Stamme "Small is beautiful" konzentrieren, kann das ein hochproduktives Werkzeugsystem werden, das uns nicht mehr als 4 Stunden täglich für die materielle Reproduktion abverlangt.

Es kommt auf die Bereitschaft zu so einer um die Kommune (lokal und als Lebensgemeinschaft) organisierten Existenzform an. Die Arbeitsteilung würde wesentlich von dort aus neu aufgebaut werden. Im Zentrum aber wird nicht Arbeiten, sondern Leben stehen, zwischenmenschlicher Verkehr einer hohen, liebevollen Kultur, wo die Werte des Seins über denen des Habens stehen. 

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Es kommt jetzt nicht darauf an, das alles zu genau auszumalen, etwa um mit schönen Bildern zu locken. 

Vielmehr müssen sich eine politische Kraft und ein politischer Wille formieren, damit der auf diese Weise vorgestellte Auftritt eines Kanzlerkandidaten überhaupt realistisch vorstellbar wird. Wenn das gegeben ist, werden viele Wege nach Rom führen, und die Mittel werden wir haben. Schließlich bleibt, wenn wir das Große Geschäft liquidieren und planmäßig dabei zu Werke gehen, eine erhebliche Konkursmasse übrig, die in den neuen Anfang investiert werden kann.

Ein wesentlicher Schritt wäre, jedem erwachsenen Mitglied der Gesellschaft und den Müttern zusätzlich für die Kinder ohne Rücksicht auf die Eigentums­verhältnisse am Boden oder gar auf dem EG-Agrarmarkt, von dem wir uns schnellstens verabschieden sollten, das Anrecht auf den Nießbrauch von 1000 m2 landwirt­schaft­licher Nutzfläche zuzusprechen (ob die dann gleich in Anspruch genommen werden oder nicht). Eine Nutzungs­gebühr wäre staatlich festzulegen. Ein wirklicher Mehrheitswille kann die damit zusammenhängenden Gewohnheits- und Machtfragen lösen.

Ein anderer wesentlicher Schritt wäre, langfristige Kredite für den Start in ganzheitliche neue Lebens­zusamm­en­hänge bereitzustellen, die die Individuen dann zusammenlegen können, um sich eine Basis der Selfreliance, d.h. der kommunitären Selbstversorgung mit menschheitsweitem kulturellem Horizont, zu schaffen. Dann würde sich als erstes zeigen, daß der Engpaß gar nicht in den materiellen, sondern in den psychischen Ressourcen für so eine Umstellung liegt.

So geht es also jetzt in erster Linie darum, sich mit dem Gedanken kommunitären Zusammenrückens vertraut zu machen und allmählich nach anderen Menschen, Familien, Gruppen Ausschau zu halten, mit denen man/frau das Abenteuer eines anderen Lebens wagen würde. Je eher der Prozeß des Heran­tastens an engere Beziehungen zu einer größeren Zahl von Menschen beginnt, um so solider kann man hineinwachsen. Es sind natürlich viele Zwischen­schritte möglich. 

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Auch gibt es inzwischen zahlreiche Menschen im Lande — Individualisten einstweilen auch sie —, die mancherlei Erfahrung darin erworben haben, wie ein liebevolles Gruppenklima entsteht und wie Konflikte würdiger und effektiver, entwicklungsbegünstigender als bisher gelöst werden können. Solche Menschen müßten nur die Therapeuten- und Beraterrolle hinter sich lassen und voll mit einsteigen.

Diese ganze soziale Umgruppierung kann und soll nicht etwa von der Regierung, und wäre es die beste aller möglichen, bewerkstelligt werden. Die soll nur den rechtlichen Rahmen für die Transformation schaffen und Hilfen bereitstellen, vor allem aber, wie schon gesagt, gegen die Katastrophe, die von unserer bisherigen Zivilisation ausgeht, Zeit und Raum dafür freihalten. Die Veränderungen werden unbequem sein — am unbequemsten allerdings dann, wenn sie nur "das Schlimmste verhindern" und nicht zugleich einen neuen Anfang setzen sollen. Für so eine Regierung, so eine Kanzlerschaft zu votieren, das ist vergleichbar mit dem Akt, sich abends einen Wecker zu stellen, weil man am nächsten Morgen früher aufstehen will, als einem lieb sein wird, wenn er dann wirklich rasselt. Wer gute Gründe zum Frühaufstehen hat, wer früh aufstehen muß, wird sich den Wecker nicht nur einstellen, sondern wird ihm am nächsten Morgen auch gehorchen, wird der Versuchung widerstehen, ihn nur totzumachen und weiterzuschlafen.

Wir brauchen eine letzte Revision der Staatsidee, noch über die Marxsche Vision des Übergangs von der Herrschaft über Menschen zur Verwaltung von Sachen hinaus. Die allgemeine Emanzipation des Menschen wird nur dann zur Beendigung von Herrschaft führen, wenn sie auch eine allgemeine Emanzipation von der Selbstsucht, vom Habenmüssen wird.  

Damit aber rückt eine Praxis spiritueller Befreiung in den Mittelpunkt des sozialen Projekts.

Politisch wird damit — der Substanz nach — erneut die Idee des Gottesstaates aktuell (so wenig damit gemeint ist, was üblicherweise darunter verstanden werden mag, wenn man Gott als Totempfahl oder als patriarchalen Götzen anstatt als eine Instanz des individuellen Menschen und des Ensembles menschlicher Wesen begreift).

Dem Augustinus war einst selbst dieser Gottesstaat noch nicht das Höchste, noch nicht das Christusreich, und später dem Joachim di Fiore war auch das Christusreich noch nicht genug, sondern Christus sollte sich noch auflösen in die Kommune erleuchteter Frauen und Männer, die alle gleich nahe zur Gottheit leben. 

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So ist diese letzte Revision der Staatsidee eine Restitution:  

Wir müssen da etwas wiederherstellen, was zwar noch nicht verwirklicht, aber schon größer gedacht worden ist als jemals in der rationalistischen Moderne. Die war insofern ein Abfall, als sie in ihrem emanzipatorischen Fortschritt so vieles nicht aufgehoben hat, was niemals hätte ausgeblendet werden sollen.

Allerdings hat die Moderne dafür gesorgt, daß die Idee des Gottesstaates nun über die politische und soziale Autonomie des Individuums und deren institutionelle Garantie vermittelt werden muß. Gerade aus dieser Errungenschaft der bürgerlichen Ära erwuchs trotz all ihrer Problematik die Möglichkeit, das Staatsdilemma doch noch von innen aufzulösen. Der Gottesstaat ist danach nicht mehr derselbe, kann im Grunde gar nicht mehr in Totalitarismus zurückfallen, soweit die individuelle Autonomie wirklich konstituiert ist.

Wie weit ist sie konstituiert? 

Bisher brauchte der Mensch für sein unsicheres Ich ein ganzes Stützgerüst (von Riten und Sitten bis zu Moral und Recht), dem gegenüber er sich selbst in der Regel nicht als autonom gesetzt hatte. Dann begann er, sich davon zu emanzipieren, wurde antiautoritär, manchmal ohne den sozialen Notwendigkeiten geistig und emotional ihr Recht zu lassen, ohne sie hinlänglich nach innen zu nehmen und von dorther neu gelten zu lassen.

Jetzt hat uns unsere aufgeklärte, individualistische, anthropozentrische, soziozentrische Praxis mit der irdisch­en Gesamtnatur konfrontiert, von der wir stärker abhängig sind als unsere Vorfahren von der bestimmten Nahnatur, aus der sie schließlich aufbrechen konnten. Gerade unsere Vorfahren hatten diese Kriegs- und Wanderlösung gewählt — was liegt näher, als jetzt den Kosmos zu erobern, so lächerlich und lustfeindlich das auch ist? Statt dessen müssen wir uns, höher über demselben Punkt der Spirale, an dem unsere Vorfahren mit ihren Tabus gestanden haben, von der Gaia, der Erde und dem Kosmos her (so weit wir eben von all dem wissen) erneut eine unantastbare, heilige Ordnung geben, diesmal auf dem Niveau der Individuation. Pubertäre Projekte wie Sternenkrieg fallen dann von selber weg.

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Es werden dann aber alle Urprobleme, die die Menschen jemals initiatisch zu lösen suchten, neu akut und aktuell. Denn der Mensch der nachindustriellen Ära muß so sein, daß er die natürliche Ordnung nicht mehr stört. Wir werden entweder platonische Wächter haben oder jeder unser eigener Hüter sein. Das Biedenkopfsche Entweder-Oder (Institutionen oder Menschen ändern) wird sich dahin auflösen müssen, daß wir institutionell einen Einweihungsweg für alle in die Kenntnisse und in die Geheimnisse der menschlichen Existenz, in ihre Möglichkeiten und Grenzen im planetaren Zusammenhang sichern.

In unserem Übergang aber stoßen wir immer wieder auf das Problem der Mittel, mit denen wir unserem weit aus dem Gleichgewicht geratenen sozialen Zustand abhelfen könnten: das Problem einer heilsamen Tyrannis. Nicht nur für den Staat, auch für die Wissenschaft wird gern gesagt, nur durch die Waffe, die die Wunde geschlagen hat, könne sie auch geheilt werden. Aber das Schwert wird nur antiseptisch sein, wenn es absolut selbstlos gehandhabt wird — und außerdem noch jenseits der zerstörerischen Methode, mit der wir den Menschen zu disziplinieren und die Natur zu befragen pflegen.

Es geht gar nicht um das Schwert, es geht um uns. Ein unbekannter Chinese schrieb vor mehr als 1500 Jahren diese Verse:

Ein Schwert, fünf Fuß lang, hab ich mir gekauft 
und an den Mittelbalken hingehängt. 
Oft streichle ich's und mit mehr Zärtlichkeit, 
als ich je einem Mädchenleib geschenkt. (186)

So steht es mit unseren Kräften und Mächten. Sie sind von unserem Selbstschutzbedürfnis, unserm Narzißmus, unserem Stolz durchtränkt. Und wenn jemand sicher ist, der Samurai zu sein, der "nicht mehr ist", wenn sein Schwert tanzt, so dürfen wir daran zweifeln. Im Ursprung hat nie ein Schwert getanzt.

Vielleicht kann eine Gruppe von Menschen den Abstand überwinden, der jeden "König der Endlichkeit", und jede Königin auch, von der ursprünglichen Großen Ordnung trennt? Können wir unsere Reinheiten und Selbst­losigkeiten zusammenlegen und unsere Unreinheiten und Selbstsüchte nicht mittun machen, wenn wir zu handeln beschließen? 

Wie könnten wir uns so bewußt machen, daß wir uns gegenseitig durchsichtig sind im Göttlichen, Menschlichen und Allzumenschlichen? Wir können nicht zeitig genug danach fragen, wie schwach wir auch "realpolitisch" noch sein mögen, denn im Augenblick der Tat entscheidet dann, wer wir wirklich sind: Das prägt die neue Ordnung, die wir schaffen können. Deshalb eben ist die Subjektivität der Rettung auch politisch das erste.

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Logik der Rettung - Rudolf Bahro - 1987