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  2.5  Bahro trifft Bhagwan, "der wichtigste Ort auf der Welt"   

  Anmerk 

   

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Auf der Frontseite der <Rajneesh Times> prangte im August 1983 der Titel <Rudolf Bahro in Rajneeshpuram>; daneben ein Foto, das einen jugendlich und locker aussehenden Mann zeigt. 

Nach vierwöchigem Aufenthalt im Hinterland des US-amerikanischen Bundesstaates Oregon war aus dem Grünen kein Guru-Jünger geworden. Sonst hätte er neben orangefarbigen oder lila Kleidern auch die Mala getragen: eine Halskette aus Holzperlen und einem Medaillon mit dem Bild von Bhagwan Shree Rajneesh — dem indischen »Meister«, der in der westlichen Welt damals viel Furore machte. 

Und doch wirkte Bahro in seiner bunten Kleidung so »ganz entspannt im Hier und Jetzt«, daß in der Bundesrepublik die Saga umging, er sei »auf den Bhagwan gekommen«6) (<Spiegel>, Nr. 46, 14.11.1983).

Wer war dieser »Bhagwan«? 

Er wurde 1931 als Rajneesh Chandra Mohan in einem Dorf im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh geboren. Mohan interessierte sich früh für spirituelle Themen und hatte nach eigenen Angaben mit 21 Jahren ein Erleuchtungserlebnis. Nach Abschluß des Philosophiestudiums war er einige Zeit als Hochschul­lehrer tätig. Ende der 60er Jahre gab Acharya (»Lehrer«) Rajneesh seine Universitätskarriere auf, nachdem er zuvor schon in ganz Indien herum­gereist war und Reden gehalten hatte. 

Der Heißsporn provozierte mit heftiger Kritik an Gandhi und den Gandhianern. Deren Konzept eines dörflichen Sozialismus hielt er für rückständig:

»Nach meiner Erkenntnis wird der Sozialismus nicht mit Sarvodaya, der Utopie von der einfachen, gerechten Gesellschaft der Vergangenheit, eintreffen [...] Der Sozialismus kann nur nach der vollen Entfaltung des Kapitalismus kommen.« (Bhagwan 1985, 170)

Und im übrigen sei der Kapitalismus »eine Lebensphilosophie, die sich in völliger Übereinstimmung mit dem Menschen und seiner Natur befindet« (ebd., 171). Das sind Sätze aus einer Vortragsreihe, die der Wanderprediger im April 1970 in Bombay hielt. Bahro kommentierte später: eine »halb vulgär­marxistische, halb pro-kapitalistische Entwicklungsideologie für arme Länder« (Logik, 456). 

*(d-2014:)  Bhagwan/Osho auf detopia     wikipedia  Osho     wikipedia  Jörg Andrees Elten  *1927   Video Pankow 1992 - Bahro spricht über Bhagwan, Stasi und Psychologie 


Noch stärker forderte Acharya Rajneesh die indische Gesellschaft durch seine freizügigen Thesen zur Beziehung zwischen den Geschlechtern heraus. Er brach mit allen orthodox-hinduistischen Vorstellungen und sprach von der »Göttlichkeit der Sexualität« (Bhagwan 1979, 32).

Dieser Lehrer dozierte nicht nur, er leitete auch Meditationen an. 1970 ließ er sich in Bombay nieder, gab sich ein Jahr später den Namen »Bhagwan« — der »Gesegnete« — und zog 1974 mit seinen Getreuen nach Poona, ca. 100 Kilometer südöstlich von Bombay. Der dort entstehende Ashram — eine Art klösterlicher Gemeinschaft — wurde rasch zum Anziehungspunkt für Sucherinnen und Sucher aus aller Welt, insbesondere solche aus dem Westen. 

Unzählige Medienberichte sorgten dafür, daß der »Guru des reichen Mannes«, wie Bhagwan bald einmal hieß, zu berüchtigter Berühmtheit gelangte. Vor allem zwei Fälle machten Poona zum Gegenstand skandalumwitterter Aufmerksamkeit: Ende der 70er Jahre besuchte der Stern-Reporter Jörg Andrees Elten Bhagwans Kommune — und blieb. Er kündigte seinen lukrativen Job, der ihn auf Schlachtfelder wie Staatsbankette geführte hatte, und bekam von Bhagwan einen neuen Namen: Swami Satyananda. 

Etwa zur gleichen Zeit verbreitete die Schauspielerin Eva Renzi, sie sei in einer der in Poona angebotenen Therapiegruppen (bei denen es in jenen Jahren ziemlich rauh zu- und hergehen konnte) beinahe vergewaltigt worden. Nach diesem Skandal untersagte Bhagwan die Anwendung physischer Gewalt in den Gruppen. (Später, in Rajneshpuram, wurde den Teilnehmerinnen und Teilnehmern solcher Veranstaltungen mitgeteilt: »Sex und Gewalt sind nicht erlaubt.«) 

Die indische Regierung ließ verbreiten, das Geschehen im Ashram von Poona vermittle »kein realistisches Bild von Indien« (Süddeutsche Zeitung, 17.11.1978; zitiert nach Thoden/Schmidt 1987, 75).

 

Bhagwan schaffte sich zunehmend politische Feinde in Indien und verließ deshalb im Juni 1981 das Land. Im Sommer des gleichen Jahres kaufte Ma Anand Sheela (bürgerlich: Sheela Silverman), seine damalige persönliche Sekretärin und lange Zeit mächtigste Frau in der Gemeinschaft, eine 260 Quadratkilometer große, heruntergekommene Ranch im Hochland von Zentral-Oregon in den USA. Eine kleine Gruppe von Bhagwan-Schülerinnen und -Schülern, sogenannte Sannyasins (»die Entsagenden«), begann mit dem Urbarmachen des Landes. Bhagwan, der mit einem Touristenvisum in den Vereinigten Staaten lebte, bezog im September 1981 sein Haus in Rajneeshpuram, der »heiligen Stadt des Königs des Vollmonds«.

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Im Mai 1982 wurde diese Stadt mit Zustimmung der zuständigen Bezirksverwaltung offiziell aus der Taufe gehoben. Zwei Monate später fand das erste Weltfestival der Sannyasins statt. Rund 5000 Frauen, Männer und Kinder aus vielen Erdteilen kamen während einer Woche zusammen, um Bhagwan wieder­zusehen und zu feiern.

 

Das Oregon-Experiment begann mich zu jener Zeit ganz persönlich zu interessieren. Die linksradikalen Kämpfe und Organisationsversuche in den 70er Jahren mündeten in die schmerzliche Einsicht, daß die erhofften Veränderungen so nicht zu erreichen waren. Ich benötigte dringend ein paar Lockerungsübungen für Körper, Seele und Geist. Mit Genuß und Erkenntnisgewinn besuchte ich die workshops einer Therapeutin, die sich in Poona verschiedene Techniken zur Entkrampfung gestreßter Westlerinnen und Westler angeeignet hatte. 

Eine ehemalige Freundin, mit der mich die Herkunft aus der maoistischen KPD verband und die Sannyasin geworden war, empfahl mir einen Besuch in der Bhagwan-Kommune. Was ich dort sah, das konnte kurze Zeit darauf auch Bahro erleben: Rajneeshpuram — ein paar Häuser und unbefestigte Straßen inmitten der Weite und Stille eines hügeligen, sonst menschenleeren Landes. Außerdem einige landwirtschaftliche Anlagen und ein See in nächster Nähe. Das größte Gebäude war die Buddha-Halle, in der sich vom 2. bis 8. Juli 1983 die 15.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der <Second Annual World Celebration> versammelten. Eine solche feierliche Freude wie im »Satsang« — einer »Kommunikation von Herz zu Herz« — hatte ich noch selten erlebt.

 

Ein paar Tage nach Ankunft notierte ich: »Bhagwan ist ein Gaukler, einer, der alle Tricks des Lebens kennt und sie wie in einem Spiegel vorführt. [...] Als Personenkult sehe ich das, was hier abläuft, nicht. Oder bin ich auch schon zu sehr verblendet?« Offenbar hatte ich etwas überhört — oder überhören wollen. Sheela kündigte nämlich beim Begrüßungsmeeting an, es werde ein Buch erscheinen, das »das Wesentliche der Rajneesh-Religion zusammenfassen soll«, lese ich in meinen Notizen. Wenige Tage später tauchte dann auch eine Broschüre über den »Rajneeshismus« auf. 

Der Versuch, aus den vielfältigen lebensreformerischen und bewußtseins­verändernden Ansätzen, die in den von Bhagwan inspirierten Gruppen zusammenflossen, ein einheitliches, verbindliches und nicht hinterfragbares Lehrgebäude zu schaffen, war vermutlich ein entscheidender Auslöser für das baldige Ende dieser Bewegung — zumindest, was ihre gesellschaftliche Bedeutung betraf.

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Doch zurück zu Rudolf Bahro: 

Der auch in Nordamerika zu Prominenz gelangte Philosoph war zu einer Vortragsreise an verschiedene Universitäten in die Vereinigten Staaten eingeladen worden. Dies nahm er zum Anlaß, der Kommune in Rajneeshpuram im August 1983 einen Besuch abzustatten und an Meditationsübungen teilzunehmen. Wer erkannt habe, daß der Mensch seinen Aufstieg als eine »Reise nach Innen« fortsetzen muß, wie es in der <Alternative> hieß, der komme »am Kommune-Experiment von Rajneeshpuram« nicht vorbei, erklärte Bahro der <Rajneesh Times>. Und weiter:

»Ich erlebe die Kommune — ich meine ihre Grundlage — wie die Verwirklichung eines Archetyps, den ich immer in mir hatte. So wie hier nämlich auf den Umbau der Innenwelt der beteiligten Menschen sind all die großen Kulturen gegründet worden, die wir kennen. Ein solcher Entwurf, in der Praxis durchgeführt, ist mehr wert und wird mehr lehren als tausend papierne Konzepte.« 

(Die Rajneesh Times. Deutsche Ausgabe, Nr. 16, 31.8.1983; leicht verändert wieder abgedruckt in Pfeiler, 207)

Zu seinem persönlichen Verhältnis der Kommune gegenüber erklärte er:

»Ihr seht mich hier meistens in Rot, aber ohne Mala. Das drückt zugleich eine Nähe und einen Abstand aus. Die Nähe ist nicht Identifizierung, der Abstand ist nicht Distanzierung. Soweit ich sehe, wird beides bleiben, wie es ist. Die Stadt, die Kommune, ist mir eine wesentliche Erfahrung, die mich sehr auf meinem eigenen, etwas anderen Weg bestätigt, auf dem ich von weither unterwegs bin.« (Ebd., 206)

Bahros Kontakt zur Bhagwan-Bewegung entwickelte sich über Agnete Kutar, eine Indologin aus Westberlin. Als er sie kennenlernte, war sie bereits stark an Bhagwan interessiert, ging rotgekleidet und bereitete sich auf einen Besuch in Poona vor, wo sie im Januar 1980 die Mala erhielt. Die Frau, die heute als Psychotherapeutin tätig ist, gab Rudolf Bahro ein Buch von Bhagwan zu lesen: <Intelligenz des Herzens> — eine Sammlung von Antworten auf kritische Fragen, die Bhagwan vor allem von politisch Interessierten gestellt worden waren. Mit dem, was er dort las, sei er einverstanden gewesen, erinnerte sich Bahro an seinen ersten Eindruck:

»Ich sah Bhagwans Vision als eine Synthese des östlichen und westlichen Gedankenguts, die mit meiner eigenen Idee einer neuen friedlichen Kultur übereinstimmte.« (Ebd., 207)

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Im November 1981 nahm Bahro im ICC-Berlin an der <Orange Connection>, einem Sannyasin-Festival mit Meditation, Musik, Tanz und Theater teil. In einer Diskussion warnte er die Bhagwan-Bewegung ziemlich unverblümt davor,

»dieses <Therapieunternehmen zu einer reaktionären Sekte verkommen zu lassen, so wie viele befürchten>, für den Fall, daß sie sich von anderen gesellschaftlichen Strömungen wie der Friedensbewegung abkopple«. (Stuttgarter Zeitung, 30.11.1981) 

Nach Rückkehr aus den USA erläuterte Rudolf Bahro gegenüber der Zeitschrift <Grüne Informationen> der grünen Partei in Niedersachsen seine Haltung:

»Wofür ich stehen möchte, ist die Politisierung dieser Psychoszene und die Spiritualisierung der Politik.« (Pfeiler, 218)

Der taz-Reporter Klaus Wolschner hatte in Rajneeshpuram eine »Stimmung kindlicher Freundlichkeit« entdeckt. Bahro erläuterte ihm in einem Interview, dieser kindhafte Zustand sei kein Ziel an sich, sondern nur ein Mittel der Selbstveränderung. 

»Die Sannyasins werden veranlaßt, ihre alten Charakterstrukturen weitgehend fallenzulassen (diesbezüglich darf man ausdrücklich an Wilhelm Reich denken) und so einen freien Innenraum zu schaffen, in dem sich etwas Neues ereignen (<something happens>) kann. Niemand weiß vorher genau was — diese Offenheit ist wichtig. Erst aus wirklich freigesetzten Energien kann eine grundlegend andere Gesellschaft werden. Wer will, soll sich daran erinnern, was Mao gemeint haben mag, als er <weiße Blätter> pries.«  (tageszeitung, 29.8.1993; wieder abgedruckt in Pfeiler, 211) 

Auf den ersten Blick sei die Gesellschaft von Rajneeshpuram »reiner Honig, auf den zweiten Blick ist ein totalitärer Zug nicht zu übersehen, der den berühmten Tropfen Teer darstellt, der bekanntlich den ganzen Geschmack des Fasses Honig verderben kann«. Eines der wichtigsten Prinzipien von Bhagwans Meditationen sei die Katharsis: nichts verdrängen, sondern ausagieren — auch das, was dunkel in dir ist. Und wie in diesen Meditationen komme offenbar auch in der Kommune »zuerst einige Finsternis«.

Insgesamt äußerte sich Bahro sehr wohlwollend über Rajneeshpuram: »Soweit es nach mir geht, sollte das Experiment, das Bhagwan mit einem Teil der (<westlichen>) metropolitanen Intelligenzija unternimmt, auf keinen Fall gestört und behindert werden.« (Ebd., 212) 

Klaus Wolschner war skeptisch und beobachtete eine »Ordnungsliebe, die mit dem immerfort vorgeschobenen Sicherheitsproblem nicht mehr zu erklären ist« (<tell>, Nr. 21, 3.11.1983). 

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Die Kommune von Rajneeshpuram stand in einem gespannten Verhältnis zu ihrem gesellschaftlichen und politischen Umfeld: Nach anfänglicher Begeisterung für den Tatendrang der Sannyasins stellte die Gemeinschaft für viele Bürger und Bürgerinnen Oregons mehr und mehr eine Provokation dar.

Wolschner vermutete, hier entwickle sich »ein neuer Geist der Kommune« — weg vom liebenswerten Hippieleben in Poona, hin zu Arbeitsethos und Geschäfts­tüchtigkeit der westlichen Mittelklassen. Diesem Geist werde jegliche Kritikfähigkeit geopfert. Zur Erläuterung seiner These beschreibt er den Ablauf einer als »ganz wichtig« deklarierten Vollversammlung, bei der Sheela Silverman verkünden ließ, ein Teilbereich der Kommune habe »selbstsüchtig sein Partial-interesse angemeldet«. Dem sei man begegnet, und nun wäre wieder alles geregelt. Anschließend gingen alle zufrieden zum Abendessen. »Als ich dort Rudolf Bahro etwas ungeduldig fragte, ob er kapiert habe, was da losgewesen sei, meinte er verständnisvoll: Natürlich, das sei bei der SED auch oft so gewesen, und auf den Anlaß des Streites [...] käme es gar nicht an.« (Ebd.)

Noch während seiner Redereise durch US-amerikanische Universitäten erreichten die ersten Signale die westdeutsche Öffentlichkeit:

Der Stern teilte mit, Rudolf Bahro finde in Shree Rajneesh einen »Seelenverwandten« und auch die »Erleuchtung des Ost-West-Wanderers« habe »nicht lange auf sich warten« lassen. Außerdem wurde vom Stern (Nr. 37, 8.9.1983) noch vermerkt, die Kosten von Bahros Aufenthalt beim »Meister der orange-roten Bhagwan-Gemeinde und Besitzer von 28 Rolls-Royce« beliefen sich auf 3700 Mark.

Bei seinem Auftritt an der Universität von Berkeley gab es einen Eklat. Christine Schröter, seine damalige Lebensgefährtin, die ihn begleitete, berichtet:

»Trotzkisten, die Witwe [des Philosophen Herbert] Marcuse, alle möglichen Schattierungen des linken Spektrums erwarteten mit Rudolf Bahro einen neuen Sonnenaufgang. Jedoch es geschah etwas Entsetzliches: Noch unter dem Einfluß Bhagwans begann Rudi von der neuen Spiritualität zu schwafeln, es rumorte im Saal, Füßescharren und dann der Satz: <Grün und Orange gehören zusammen.> Pfiffe — ich schnappte sein Mikro: <Wir brauchen keinen neuen Guru>. Die Witwe Marcuse kam zu mir, umringt von Anhängern. Es herrschte Chaos — Rudi stand abseits. Eine Journalistin der <Frankfurter Rundschau> berichtete nach Deutschland. Allen weiteren Auftritten war dieser Skandal vorausgeeilt, es plätscherte bis zum Schluß. Zu Hause zog der Bundesvorstand (der grünen Partei) Rudi in einer außer­ordentlichen Sitzung zur Verantwortung.« 

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Lukas Beckmann äußert im Gespräch viel Verständnis für Bahros damaliges Verhalten: Rudolf sei ihm in den frühen 80er Jahren wie ein »ausgetrockneter Schwamm« vorgekommen, der alle intellektuellen und emotionalen Anreize aufgenommen habe. Ein »ungeheures Nachholbedürfnis« sei bei ihm spürbar gewesen, die Postulate und Debatten der Studentenbewegung selbst durch alle Untiefen hindurch nachvollziehen und verarbeiten zu wollen. 

An der grünen Basis gab's Gegrummel über Bahros Bhagwan-Eskapaden. »<Kommentar überflüssig> oder <jetzt spinnt er komplett> — so junge Menschen und ältere aus dem grünen Spektrum zu Deinem Interview in der taz. Deinen Aufenthalt in Oregon betreffend«, schrieb Ursula Schwarzenberger in einem offenen Brief an Rudolf Bahro (Archiv Grünes Gedächtnis, Bestand B.II. l, Akte Nr. 394). Die Schreiberin machte ihm Vorhaltungen, er hätte sich besser bei anderen Kommunen umsehen sollen als gerade in Rajneeshpuram.

Noch Ende 1984 mußte sich Bahro gegen Vorwürfe verteidigen, er wolle in Worms, wo er erst seit wenigen Wochen mit Christine Schröter lebte, eine Außenstelle der Bhagwan-Gemeinschaft errichten. In einem offenen Brief von ihm ist zu lesen: »Wer mich jemals genauer wahrgenommen hat, weiß, ich bin entschieden genug, mich rot zu kleiden und die Mala mit dem Bild des Meisters anzulegen, wenn ich ihm anhänge. Ich trage weder die Kleidung noch die Mala.« (Archiv Grünes Gedächtnis, Bestand B.I.1, Akte Nr. 02)

Ein paar Jahre nach der Oregon-Exkursion kam Bahro in einem Exkurs der <Logik der Rettung> auf das Experiment der Bhagwan-Stadt und ihr zwischen­zeitliches Scheitern zurück. Zur Erinnerung:

Im Spätsommer 1985 fand eine offene Auseinandersetzung im Führungskreis der Kommune statt. Die Rafneesh Times titelte: Bhagwan Shree Rafneesh über Sheela: »Der Wille zur Macht ist das größte Verbrechen!« (Deutsche Ausgabe, Nr. 22, 20.9.1985) Die langjährige Vertraute hatte versucht, die ganze Macht zu übernehmen. Als dies nicht gelang, floh sie nach Deutschland. Das brachte eine Lawine ins Rollen: Die Ranch wurde von verschiedenen staatlichen Organen eingehend untersucht, gab es doch reichlich Gesetzesverstöße. In einer Nacht- und Nebelaktion verließ Bhagwan Rajneeshpuram. Mit der Anklage, die Einwanderungsbestimmungen der USA verletzt zu haben, wurde Bhagwan festgenommen und zu zehn Jahren Haft und 400.000 US-Dollar Geldstrafe verurteilt. 

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Gegen ein Geständnis setzte das Gericht die Haftstrafe zur Bewährung aus, und Bhagwan konnte die Vereinigten Staaten am 14.11.1985 verlassen. Ohne Bhagwans Präsenz ließ sich die Kommune in Oregon nicht mehr halten: Wenige Tage später wurde ihre Auflösung bekanntgegeben.

»Vielleicht sollte ich klüglich nicht daran erinnern, daß mir Rajneeshpuram 1983 als der wichtigste Ort der Welt erschien und zwar, obwohl mir schon Verschiedenes auffiel, was hoffentlich korrigiert werden würde. Indessen war die Kommune ein Versuch genau an jenem <Ort> [...], an dem er unternommen werden muß [...] und sie meinte jenen kleinen Kreis, in dem Gemeinschaft und Gesellschaft [...] wieder zur Deckung kommen können.« (Logik, 455) 

Bahro ging noch einmal der Frage nach, worin »der innere Entwurf, den Bhagwan Shree Rajneesh selbst repräsentierte, nicht gestimmt« haben kann, und sein überraschendes Resultat lautete: »Nichts anderes als Politik hat die Kommune von innen gesprengt.«

 

Nicht in kriminellen Handlungen, die Sheela und anderen Führungsleuten zur Last gelegt wurden (und für die sie die US-amerikanische Justiz auch zur Rechenschaft zog), habe das Problem gelegen, »sondern in einer Vorvereinbarung über den Ausschluß der Verantwortlichkeit für alle sozialen Angelegen­heiten«. Jedes Gegensteuern sei durch die von Bhagwan geschaffene Organisationsform institutionell unmöglich gemacht worden. »Erleuchtung an und für sich« beinhalte »keinen sozialen Auftrag, keine soziale Struktur« (ebd., 456) — zumindest nicht von vornherein. 

Gerade deshalb sei dieses Experiment wertvoll gewesen: Es habe gezeigt, »daß das machtwillige Ich bis in die schönsten Erleuchtungsträume <überleben> kann und summa summarum in einer Bewußtseinskommune erst einmal noch viel mehr, viel <qualifizierter> auf die Bühne springen wird als irgendwo sonst« (ebd., 457).

Die Fragen, die Bhagwan und die sich um ihn Gruppierenden stellvertretend aufwarfen, scheinen heute an Bedeutung verloren zu haben. Menschen auf der spirituellen Suche werden, zumindest in unseren Breitengraden, kaum mehr als gesellschaftliche Bewegung wahrgenommen. Spirituelle Praxis findet in privaten Räumen statt — weitgehend abgeschirmt von öffentlicher Auseinandersetzung. 

Dies könnte sich auch wieder ändern, denn das Spannungsverhältnis zwischen dem Individualismus, für den das westliche Lebensmodell steht, und dem Bedürfnis nach Teilhabe am Ganzen, das sich in einer Renaissance des Religiösen (bis hin zu Fundamentalismen aller Art) äußert, fordert weiterhin zu Lösungs­versuchen heraus.

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Für einen solchen — möglicherweise erfolgreicheren — Versuch biete sich, so Bahros Vorschlag, die alte Dreigliederungsidee von Rudolf Steiner an. Deren Grundgedanke lautet, daß soziales (wirtschaftliches) und rechtliches (staatliches) Leben gegenüber dem Geistesleben relativ autonom und verbindlich geregelt werden müssen, um Willkür zu verhindern. In diesem Sinne hatte der Begründer der Anthroposophie im Frühjahr 1919 — zu einer Zeit, als viele Menschen auf einen gesellschaftlichen Neubeginn hofften — ein Manifest über <Die Kernpunkte der Sozialen Frage> veröffentlicht. In seinen Entwurf bezog Steiner die drei großen Forderungen der Französischen Revolution ein: Freiheit im Kultur- und Geistesleben, Gleichheit in den Rechtsverhältnissen zwischen den Menschen, Brüderlichkeit (heute eher: Geschwisterlichkeit} in wirtschaftlichen Belangen. 

Der von Rudolf Steiner initiierte <Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus> konnte in den 20er Jahren die von ihm erwünschte Wirkung nicht entfalten. Ein fernes Echo stellen nach 1968 entstandene Gruppen aus dem Umkreis der Anthroposophie und darüber hinaus dar, die sich für mehr direkte Demokratie einsetzen. 

Einen an Rudolf Steiner orientierten Entwurf legte auch der Rechtsanwalt Rolf Henrich kurz vor dem Ende der SED-Herrschaft in der DDR vor. Der Philosoph und Sozialökologe Johannes Heinrichs hat in der Weiterentwicklung von Steiner eine Viergliederungsthese verfaßt, mit der sich Bahro noch wenige Wochen vor seinem Tod beschäftigte.

 

Im Zusammenhang mit dem Experiment von Rajneeshpuram wurde immer wieder die Angst vor religiösem Totalitarismus laut. Der Massen(selbst)mord von Angehörigen der Volkstempler-Sekte 1978 in Guayana diente als warnendes Beispiel für die Folgen von spirituell fundiertem Fanatismus. 

Später kamen noch andere Fälle hinzu: 1993 der gewaltsame Tod von Davidianern im texanischen Waco, 1994 und 1995 die Selbstmorde bzw. Morde bei den esoterischen Sonnentemplern in der Schweiz, Kanada und Frankreich, das Giftgas-Attentat der Sekte <Aum Shinrikyo> auf die Tokioter U-Bahn 1995, sowie die Suizidaktion von <Heaven's Gate> 1997. Dazu Bahro: 

»Je mehr die Megamaschine selbst ihren universalistischen Despotismus etabliert [...], desto bedrohlicher malt sich ängstlichen Geistern ausgerechnet die totalitäre Gefahr, die von jedem dagegengesetzten spirituellen Konzept auszugehen scheint.« (Logik, 458)

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Ein genauerer Blick auf die tödlich ausgegangenen Gruppenexperimente würde vermutlich zeigen, daß die Vorstellungen dieser Gruppen allzusehr dem Funktionieren der Megamaschine verhaftet waren und keine lebbare Alternative dazu boten. 

Beispiele dafür bietet die Studie des Schweizer Historikers Jean-Francois Mayer über die Sonnentempler: Am Anfang stand eine spirituelle Gemeinschaft, die zur Gesundung der Welt beitragen wollte. Deren harter Kern glaubte schließlich, sich angesichts der apokalyptischen Entwicklungen auf der Erde nur noch durch Selbstzerstörung »retten« zu können. Dabei rissen sie auch andere Gruppenmitglieder, die nichts von den Plänen der »Eingeweihten« wußten, in den Tod (Mayer 1998).

Bahro hatte keine Angst davor, »über eine spirituelle Praxis nachzudenken, die eine Umkehr tragen würde« — selbst wenn dies Kräfte auf den Plan rufen sollte, die sich am liebsten einer »überväterlichen Instanz« (ebd., 459) an den Hals werfen möchten. Bis zur <Logik der Rettung> war seine eigene spirituelle Praxis allerdings nicht die eines Menschen in Gemeinschaft, sondern eher jene eines Einzelgängers. Die Motive für seinen Bhagwan-Besuch und die Teilnahme an spirituellen Workshops erklärte er 1990 rückblickend so: 

»Mein Hauptmotiv ist die Selbsteinsicht gewesen, wie sehr ich als Parteisoldat und Parteimönch hier Mensch-im-Futteral gewesen bin, eingesperrt und verpanzert in mir selbst. Wenn man dann noch zwei Jahre Untersuchungshaft und Knast genossen hat, im Nahkampf mit der bis dahin eigenen Partei Recht haben will, auch nichts zugeben darf, in der gegebenen Situation, verhärtet man sich noch viel mehr. Man zieht sich zusammen, versteckt sich hinter der Brille, lebt also nur auf Sparflamme, bloß den Kopf voller Druck. Da ist es für mich überaus befreiend gewesen, mich auf diese therapeutischen Praktiken einzulassen.«  (Aus der Einführungsvorlesung 1990, in: <Rückkehr>, 26)

Auch wenn er ein »neues Benediktinertum« predigte, so war er doch bis jetzt eher dem Ideal der einsiedlerischen Kartäuser gefolgt. Was das bedeutet, veranschaulicht eine Reportage von Martin Ahrends, der Bahro in Worms besucht hatte. Sie greift zeitlich ein wenig vor, doch in Bahros Bremer Bleibe wird es nicht viel anders ausgesehen haben: 

»Wir sitzen in der Küche, deren Mobiliar den Stil der frühen 50er Jahre konserviert. Die kleinen roten Sessel, der Küchenhocker, auf dem das Kofferradio steht, können eigentlich nur aus der DDR stammen. Auf dem Küchentisch liegen Papiere, stapelweise sind Papiere auch im Nebenzimmer verstreut. Seine Ordnung hat Bahro anderswo hergestellt, jedenfalls nicht hier, im Reiche des Sichtbaren.  
Bahro ist ein Visionär, der es geschafft hat, einen Ausschlupf zu finden aus der Angst und Bedrängnis, die der Wirtschafts­mechanismus der modernen Industrie­gesellschaft, die krisengeschüttelte <Megamaschine> verbreitet. 
Bahro ist ein glücklicher Einsiedler, der seinen Frieden mit der Welt geschlossen hat, indem er sie verwarf.«

(Zeit-Magazin  8.1.1988)

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 Von Kurt Seifert 2002