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3.6  Politische Auseinandersetzungen

 

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Ein Mann wie Bahro, dessen Lebensinhalt das Verändern gewesen ist, mußte ein politischer Mensch sein. Die <Alternative> war ein philosophisches, soziologisches, polit-ökonomisches Buch, aber auch ein politisches — und wirkte auch so in der Öffentlichkeit. Die <Logik der Rettung> war - bei anderer Zielstellung - ein ähnliches Buch, nur wirkte es vergleichsweise wenig. 

Die Jahre mit den <Grünen> waren eine intensive politische Zeit, und nach seinem Austritt schien es so, als habe er weniger Interesse an der Politik. Zumindest war er weitgehend aus den Medien verschwunden, und das bestärkte diesen Eindruck. Seine ihn neben der Ökologie umtreibende Frage war die nach den Kräften - den Subjekten - der gesellschaftlichen Umkehr und Erneuerung.

Es war nicht mehr die »historische Mission der Arbeiterklasse« aus seiner Studentenzeit, waren nicht mehr die Wissenschaftler und Techniker oder der »Bund der Kommunisten« aus dem Konzept der <Alternative>, nicht mehr die Eurokommunisten - wie in der Haftzeit entwickelt -, nicht mehr die <Grünen>, auch nicht der »Ökologische Rat«. 

Was er dann andachte, war der Principe, den er bei Machiavelli kennenlernte und den er nach 1985 glaubte in Gorbatschow gefunden zu haben. Also statt Veränderung von unten durch eine aufgeklärte und inspirierte Basis ein aufgeklärter (und mit den nötigen Machtmitteln versehener) <Fürst der ökologischen Wende>. 

Weil Bahro Demokratien mit ihrem kurzfristigen Denken und ihrem Buhlen um die Wählergunst — das keine schmerzhaften und radikalen Veränderungen favorisiert — für unfähig hielt, einen tiefangelegten Rettungsweg zu beschreiten, mußte er sein ursprüngliches Konzept revidieren und die Möglichkeiten einer »guten und starken Regierung«, einer »Rettungsregierung« als einer »dosierten Revolution von oben« (Logik der Rettung; 466, 480) durchdenken. 

Dies war bereits in jenem Buch von 1987 angelegt, doch ging er darin noch einen riskanten Schritt in eine andere Richtung, wenn er schreibt: 

»Ich halte die Frage nach dem Positiven, das vielleicht in der Nazibewegung verlarvt war und dann immer gründlicher pervertiert wurde, für eine aufklärerische Notwendigkeit, weil wir sonst von Wurzeln abgeschnitten bleiben, aus denen jetzt Rettendes erwachsen könnte.« (Ebd., 461)

Oberflächlich gelesen, könnte man annehmen, daß Bahro damit auf den im Nationalsozialismus vielleicht enthaltenen Sozialismus (als Antikapitalismus, Volksgemeinschaft usw.) hinweisen würde, doch mit dem Satz zielt er auf etwas anderes. Denn an einer anderen Stelle heißt es deutlich: 

»In dem feigen Antifaschismus [...] haben wir es verweigert, nach der Kraft zu fragen, die hinter der braunen Bewegung stand, und die selbst nicht braun, [...] sondern einfach die Vitalität selbst war. [...] Es kann aus derselben Energie, die damals auf die Katastrophe hin disponiert war, sogar aus der Neigung zum Furor teutonicus, wenn sie bewußt gehalten und dadurch kontrolliert wird, heute etwas Besseres werden. Kein Gedanke verwerflicher als der an ein neues anderes 1933?! Gerade der aber kann uns retten.« (Ebd., 346)

Es wäre mehr als verwunderlich, wenn solche Sätze widerspruchslos überlesen oder hingenommen worden wären. 
Ich beschränke mich hier aber auf die Zeit nach 1990.

Der schlimmste Angriff kam von dem <Verein zur Förderung der Psychologischen Menschenkenntnis> (VPM) aus der Schweiz.17  Drei Autoren (M. Dietrich, K. Schlink, S. Steinfels) verfaßten ein umfangreiches Pamphlet (Der Faschismus der Neuen Linken — Rudolf Bahros »Logik der Rettung«), das an Bösartigkeit nicht zu übertreffen ist.

Sie zählen ihn eingangs zusammen mit Rainer Langhans und Jochen Kirchhoff zu jenen Ideologen, »die sogar den Faschismus als Vorbild für ihre Phantasien von einer zukünftigen Gesellschaft nach ihrer Machtübernahme ansehen«

Nun plante Bahro nicht die Machtübernahme und hätte den Artikel in Ruhe weiterlesen können. Auch hätte er sogar sehnsüchtig lächeln können, als er erfuhr, daß er an der Humboldt-Universität einen »Lehrstuhl mit zehn Mitarbeitern« habe. Doch dann wurde es ganz giftig: 

»Bahro haßt die Menschheit ebenso wie die gegenwärtige Gesellschaft«, er »will mit allen diesen gesellschaftserhaltenden Werten aufräumen«, will »die Menschen manipulieren, daß sie sich, in Panik versetzt, blind einer unheilvollen Macht unterwerfen«, alle »bestehenden zwischenmenschlichen Beziehungen, wie Familie, Ehe, Freundschaft, Kollegialität, sollen aufgelöst werden, und all das, was dem Menschen wert und vertraut ist, soll vernichtet werden«. 

sekten-sachsen.de/vpm.htm      agpf.de/VPM.htm 

  wikipedia  Verein_zur_Förderung_der_Psychologischen_Menschenkenntnis (1986-2002)   

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In diesem Stil geht es eine ganze Weile weiter, und nachdem Bahro - so phantasieren die Autoren - die Bevölkerung willfährig gemacht habe, der einzelne Mensch entwurzelt wurde und in diesem »destruktive Gefühle wie Unzufriedenheit, Groll, Wut und Aggressionen geschürt, gebündelt und gezielt einsetzbar gemacht werden«, beginne das eigentliche Werk: die »Errichtung einer ökofaschistischen Diktatur«

Wer sich dieser autoritären Machtergreifung kritisch gegenüberstelle, dem drohe Bahro mit Gewalt: »Wie diese Gewalt aussehen wird, läßt Bahro offen. Er bringt aber unverhohlen zum Ausdruck, daß diese dem nationalsozialistischen Terror in nichts nachstehen wird.«  

Noch ein letzter Satz: »Eine kleine Elite soll diktatorisch dem Rest der versklavten Menschheit als <Stimme Gottes> vorschreiben, wie sie zu leben hat, was sie zu denken und zu fühlen hat.« 

Der Leser wird sich fragen, was das alles mit dem »real existierenden Bahro« zu tun haben kann. Für mich ist das das MfS-Gutachten über die Alternative mit anderen Vorzeichen. Die Ähnlichkeit geht bis in die Methode: 47 Fußnoten sollen suggerieren, daß dieser Rufmord-Artikel sich direkt aus der Logik der Rettung und zwei Interviews ergebe.

Und nun das Überraschende: Die herangezogenen Zitate sind korrekt wiedergegeben, und bis auf wenige, aber entscheidende Entgleisungen kann man nicht einmal sagen, daß sie - nach Stasi-Manier - willkürlich aus dem Zusammenhang gerissen seien und den dortigen Sinn zerstören! Wie ist das zu erklären — der echte Text und die unglaublichen Verleumdungen?

Nun will ich nicht Bahro mit dessen Zitaten verteidigen. Aber das ganze Gerede von der »ökofaschistischen Diktatur« paßt nicht auf einen seiner Grund­gedanken zur Rettungspolitik: 

»Auf dem Wege der Rettung wird sich allmählich eine neue spirituelle Autorität herausbilden. Ich nenne sie eine Unsichtbare Kirche, die allen offensteht, der alle angehören mit den für die neue Welt freien Anteilen ihres Bewußtseins. Sie existiert als horizontales, multilaterales Netz. Sie verbietet sich jede direkte oder indirekte Konstituierung als kommandierende soziale oder politische Macht. [...] Keine noch so wohlmeinende Tyrannis würde eine gute, heile Gesellschaft schaffen.« (Logik der Rettung, 314)

Wenn die Termini »Faschismus« oder »Diktatur« einen analytischen Sinn haben, dann widerlegt dieses eine Zitat jeglichen Bezug auf diese. Und trotzdem. So sehr die Autoren Bahro verteufeln - und damit den Verfassungsschutz auf den Plan rufen müßten -, völlig richtig haben sie herausgelesen, daß Bahro mit diesem Buch die gesamte bürgerlich-kapitalistische Ordnung - und damit auch die herkömmliche Demokratie - verändern will: evolutionär über die Umbildung der Gefühle und des Bewußtseins, ab einem bestimmten günstigen Punkt sicher auch revolutionär.

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Und da Bahro kein voll funktionsfähiges Subjekt sieht - die Grünen sind nur noch ein inkonsequenter Vorläufer - will er mögliche Subjekte dort suchen, wo die Rechten für ihre Vorstellungen von »Deutschland« auch suchen. Das muß Mißverständnisse erzeugen — und die drei Autoren erzeugen sie bewußt und hemmungslos.

Bahro setzt sich natürlich zur Wehr: Er schreibt empört an den Herausgeber der Freiheit der Wissenschaft - dort erschien das Pamphlet - und kann sogar erreichen, daß seine Erwiderung im nächsten Heft abgedruckt wird. 

Doch solche Entgegnungen werden wenig gelesen, das minutiöse Zurechtrücken des Sinns der in falsche Zusammenhänge gestellten Zitate kontrolliert sowieso kaum jemand. Doch kaum war dieser Text erschienen, da veröffentlichte ein Bielefelder Provinzblatt einen Artikel Die Abschußliste Rudolf Bahros: Humanismus, Freiheit, Demokratie, mit der Unterzeile Professor an der Humboldt-Universität fordert eine »Ökodiktatur«.  

Dieser Beitrag wiederholt explizit — mit Dank an die Freiheit der Wissenschaft — in gekürzter Form den genannten Artikel, womit auch das Bahro-Zitat vom »grünen Adolf« ein weiteres Mal kolportiert wird. Auch hier wendet sich Bahro voller Empörung an den Chefredakteur (der zugleich Autor des Artikels ist), auch hier wird die Erwiderung vollinhaltlich publiziert.

Dafür erscheint ein weiterer Aufsatz, mit dem Titel <New Age. Die spirituelle Rehabilitierung des Nationalsozialismus durch Rudolf Bahro, Rainer Langhans und Jochen Kirchhoff>, in dem wieder der »grüne Adolf« auftaucht. Bahro wird zwar nicht als Faschist bezeichnet, aber mit den beiden anderen Genannten der Rechtfertigung oder zumindest »Relativierung des historischen Faschismus« geziehen. Außerdem soll er einen »strikten Antikommunismus« vertreten und »als Dank für seine antikommunistische Missionsarbeit [...] eine Professur an der Humboldt-Universität in Berlin geschenkt« bekommen haben.

Ein kleines Blättchen mit dem Titel Der rechte Rand veröffentlichte in seiner Nummer vom September/Oktober 1992 einen Artikel von Peter Kratz (der sich auf die Bahro-Verfolgung spezialisiert hatte) Bahros »grüne Adolfs« — der bald darauf als Flugblatt gedruckt und in den Berliner Universitäten verteilt wurde. Auch dieses Pamphlet schlägt in die Kerbe der Schweizer VPM-Sekte, traktiert dieselben Zitate, bezeichnet Bahro als denjenigen »Theoretiker des

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>Neuen Denkens<, der sich am weitesten, offen und ohne jede Scham zum spirituellen Gehalt des Faschismus als der angeblich einzigen Möglichkeit für eine >Rettung< von Natur und Menschheit bekennt« — und damit als »Verfassungsfeind im öffentlichen Dienst« (womit sich vielleicht schwer die Zwischenüberschrift Eine Professur im Interesse der Herrschenden verträgt).

In einem zu den Vorlesungen ausgelegten Papier von 1993 geht Bahro auf das Interview ein, das in der Jungen Welt (siehe dazu das Kapitel Rückkehr in die revolutionäre DDR) und in der Streitschrift drei Jahre zuvor erschienen ist — seines Wissens, ohne daß er es zum Autorisieren vorgelegt bekommen hat —, und erklärt endlich seine damalige Absicht: Nicht er habe nach einem »grünen Adolf« gerufen, sondern festgestellt, daß es in den »Volkstiefen« danach rufe — und er habe daraus den Ratschlag formulieren wollen, den Unterschied zwischen grün und braun »zum Anlaß für einen anderen Umgang mit dieser Herausforderung« von rechts zu nehmen. 

Was er meinte, war, daß man im linken Lager aus lauter Furcht vor dem braunen Gespenst die Chance verpassen würde, angesichts der ökologischen Krise ganz anders als 1933 mit dem braunen Potential fertigzuwerden. Sein Ratschlag (und der war zu verklausuliert) sollte heißen: die Braunen — also die Rechtsradikalen, Neonazis — nicht auszugrenzen, da sie sich dann ungestört und unbeeinflußt sammeln können, sondern sie »über ihre immer stärker auch vorhandenen grünen Bewußtseinsanteile« zu integrieren. 

Das also die Idee, die nicht verstanden wurde. Sicher wäre diese Reintegration ein politisch kluger Schachzug, wenn solche grünen Bewußtseinsanteile vorhanden wären — doch die zu finden dürfte dort schwierig sein.

Wie er selbst angesichts aller politischen Anwürfe gegen ihn den unbefangenen Umgang mit den vom linken Lager diffamierten Positionen ansieht, macht er dabei deutlich: Er möchte Heidegger, Carl Schmitt oder Jünger erst mal lesen, sich ihrer Wirklichkeitssicht stellen und dann mit ihnen auseinandersetzen, anstatt sie leichtfertig zu ignorieren oder zu verteufeln — wie er selbst auch nicht für seinen langjährigen »und bei aller Selbstkritik vom Grunde des Engagements her unbereuten Kommunismus« verteufelt werden möchte.

Und er schließt sehr wirkungsvoll: 

»Sicher wird ein Mensch wie ich — ohne neurotische Schwierigkeiten mit meinem Deutschtum, mit dem Thema Heimat, mit dem Thema Spiritualität — da leichter Zugang finden. Aber es ist und bleibt eine Frage der politischen Einstellung. Wenn man bestimmte Kontakte als solche fürchtet wie der Teufel das Weihwasser, ist ja meist willkürliche Ausgrenzung des anderen ins Böse schon vorausgesetzt.« 

(<Einige Hinweise zu der aus einem bestimmten Teil des linken Spektrums gegen mich lancierten »Ökofaschismus«-Anmache>)

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Diese Standortbestimmung wiederholt er auch in seiner (statt der von Duhm und Lichtenfels nicht gehaltenen) Vorlesung <Über »Sekten« und über »Ökofaschismus«> (am 24.05.1993) und setzt sich dabei besonders mit seiner früheren Mitstreiterin bei den GRÜNEN Jutta Ditfurth auseinander. Er wirft ihr vor, daß sie seine aus dem Geist des Dau-De-Dsching begründete Position verfehlen müsse, weil sie sich 

»bloß auf Hintergrundloses aus Zeitungen und auf zitierte Zitate verläßt. [...] Wie ich sehe, kennt sie gar nicht das Anliegen, die Anregung meiner Auseinandersetzung mit der Grün-Braun-Problematik, so daß sie auf die systematischen Verfälschungen herein­fallen muß, deren sich bestimmte Leute extrem rechts wie extrem links (wie sich die Bilder gleichen!) befleißigen, weil sie der Mut meiner Analyse erschreckt. Wie üblich wird der Seismograph für das Erdbeben verantwortlich gemacht.« 

So sehr er sich mit Recht gegen deren Anwürfe vom Ökofaschismus verteidigt — er benutzte dabei eine Studium-generale-Vorlesung zu einer persönlichen Rechtfertigung, die man bei einer Podiumsdiskussion akzeptieren könnte, bei einer Universitäts-Vorlesung aber eher nicht. 

Einen Monat später schreibt er ihr einen sehr ausführlichen Brief, in dem er auf ihre Angriffe eingeht und versucht, seine politische Position zu erklären. Zu den von mehreren seiner Kritiker aufgegriffenen Stellen über Grün und Braun aus der <Logik der Rettung> erläutert er, daß sie aus der ältesten Schicht des Buches stammen — geschrieben etwa »um meinen etwas hysterischen Auftritt auf dem Hamburger Dezemberparteitag der GRÜNEN«

Er sei dort noch mit seiner alten DDR-Identität beschäftigt gewesen und entsetzt darüber, daß er an der Gründung einer Partei beteiligt gewesen sei, die mithelfe, das »Imperium« statt mit Braun diesmal mit Grün zu restaurieren. 

Soweit also sein nicht sehr klarer Rechtfertigungsversuch. 

Fair war sein Angebot an Jutta Ditfurth, im Wintersemester im Audimax eine zweistündige Vorlesung mit anschließender Diskussion zu halten — ein Angebot, auf das seine Kritikerin nicht reagierte, die statt dessen in einer erweiterten Neuausgabe ihres Buches <Feuer in die Herzen> erneut gegen ihn polemisierte und im November 1994 einen Auszug daraus als ganzseitigen Artikel in der <Jungen Welt> veröffentlichte.

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Ihr Text <Ein grüner Adolf? Rudolf Bahro zwischen Esoterik und Ökofaschismus> gipfelt in dem bösen Schlußsatz: »Bahrosche Weltanschauung ist Herrschaftsideologie pur.«

(Für dieses Buch war Jutta Ditfurth zu einem Interview mit Kurt Seifert nicht bereit. Sie habe kein Interesse am Projekt einer Bahro-Biographie und wolle es durch ihre Mitarbeit nicht auch noch aufwerten. Am Telefon erklärte sie, Bahros Haltung sei Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre ins Reaktionäre gekippt. Er habe eine spirituell befrachtete Lehre vertreten, die eine moderne Form der völkischen Ideologie darstelle. Ihr Haupt­vorwurf sei übrigens gar nicht der Ökofaschismus. Sie habe das Gespräch mit Bahro aufgegeben, als dieser ihr empfahl, das Werk des Inders Aurobindo Gosh (1872-1950), bekannt als Sri Aurobindo, zu lesen. Dieser sei offenbar in Bahros letzten Lebensjahren zu dessen Guru geworden. Es handle sich dabei um »rechtsextremen Dreck«. Wer so etwas empfehle, sei entweder durchgeknallt oder habe ein echtes Problem.)

Soweit die Auseinandersetzungen mit dem ihn über Jahre verfolgenden Verdikt des »Ökofaschismus«. 

Doch es gibt für ihn noch andere politisch brisante Themen.

 

Im Sommer 1992 geht Bahro noch einmal daran, die DDR in wesentlichen Punkten zu verteidigen. Um seine geradezu SED-fixierte Einstellung zu verstehen, sei daran erinnert, daß diese Apologie in einem mit der Öffnung der Stasi-Akten einsetzenden »Verdammungsklima« der SED/MfS-Diktatur stattfand, an der sich die Medien in West und Ost mit ganzer Kraft beteiligten und dem sich nur wenige entziehen konnten. Dagegen Bahro: 

»Wir müssen das anerkennen, was in uns selber DDR ist. Im Guten wie im Bösen. Der Druck der Medien, wie die Bewältigung vermarktet wird, das darf nicht davon abhalten, bei sich selbst reinezumachen, anzusehen, was gewesen ist. Es geht nicht um theoretische Selbstkritik, die — wie bei der PDS — parteiprogrammatisch formuliert ist. Es geht um die Frage, warum habe ich so lange mitgespielt? Was war es, was uns so lange warten, so gehorchen ließ? Warum haben wir erwartet, daß es Gorbatschow für uns richten werde?« (<In Wirklichkeit wollten wir alle Sonnenkönige werden>, Berliner Zeitung vom 13.7.1992)

Seinen nächsten Beitrag schrieb er für den <Spiegel>, der ihn (aus gleich verständlichen Gründen) nicht annahm, so daß er am 24. Juli im Freitag und kurz darauf noch einmal am 7. August in der Schweizer <WochenZeitung> erschien — beidesmal unter verunglückten Überschriften (<Wenn Erich heimkommt> bzw. <Freispruch für Hitler>).

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Was war das für eine schwache Stunde, als er von sich glaubte, den im Moabiter Untersuchungsgefängnis einsitzenden Erich Honecker verteidigen zu müssen? Er schildert seine Versuche, über Rechtsanwalt Vogel dem Ehepaar Honecker seine Hilfe anbieten zu lassen, und als diese nicht angenommen wurde, muß er geglaubt haben, in der Öffentlichkeit gegen den Prozeß auftreten zu müssen. Doch mit welchen Argumenten! Schlimm bereits seine verbale Einstellung zur bundesdeutschen Justiz: Er spricht von den »juristischen Zwergen der Siegerseite«, von den »Siegern in ihrer Rechtsheuchelei«, von der »revanchistischen Anmaßung, sich überhaupt mit Prozeßvorbereitung zu befassen«besser hätten es die Altkader der SED auch nicht sagen können. 

Was Bahro nachweisen möchte, ist die Legitimität der DDR — das war verständlich. Doch wie er es macht, liegt wieder auf dem niederen Niveau der SED: Natürlich sei es legitim gewesen, die Mauer zu bauen, und um dieser den nötigen Respekt zu verschaffen, sei der Schießbefehl — als die Ultima ratio — ebenfalls legitim gewesen. (»Schießbefehl« und »Vernunft« — welch abwegige Verbindung.) Dann ein inzwischen typischer Bahro-Schritt: »Sofern Honecker und ein paar andere für die Schüsse an der Mauer vor Gericht sollen, gehöre ich zu den Mitangeklagten.« 

Weil er nämlich am 13. August in Greifswald »innerlich ausgerufen«(!) hatte: »Endlich!« Woraus er sofort den Schluß zieht: »Also trage ich wesentlich dieselbe Verantwortung.« (Ein Jurist hätte ihn mal belehren müssen, daß es da kleine Abstufungen gibt.) Diese Passage über die Mauer war es dem <Neuen Deutschland> übrigens wert, daraus einen Artikel <Logisch nächster Zug> (23. Juli 1992) zu machen. 

Aber mit dem Mauerbau nicht genug. Der 17. Juni 1953 wird angeführt, aber nur um der Bundesrepublik vorzuwerfen, daß sie »für <die Zone> Selbstbestimmung der Landsergeneration von gestern eingefordert« habe. 

Und dann entwickelt Bahro seinen Nachweis von der historischen Legitimität der DDR genau auf der Linie, die einst von der SED entworfen wurde, so ausgewählt und unwahr, daß er schließlich selbst einräumen muß, daß die »DDR nicht wirklich auf dieser Basis — einer massenhaft gar nicht vorhandenen deutschen revolutionären Kontinuität — existiert« habe. Wozu dann erst diese historische Kausalkette? Und sein letzter Beweis ist reine Rhetorik: »Wenn die rote Fahne auf dem Reichstag 1945 legitim und mehr als legitim war, dann hat die DDR nicht nur sein dürfen, sondern sein müssen.«

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Das Ganze hat übrigens seine Vorgeschichte: Schon am 29. Januar 1990 verkündete er in einem Vortrag im Rathaus Schöneberg (Hat die DDR eine Chance?), daß er jetzt der politische Anwalt Honeckers werden will. Damals noch mit dem zusätzlichen Gedanken: Mache man ihm einen Prozeß, so müßte man auch Lenin vor Gericht stellen.

Nach seinem Freitag-Artikel wandte er sich am 17. August 1992 direkt an Honecker, um sich für dessen Verteidigung anzubieten. Er suche die »menschliche Verständigung zwischen uns« über unsere »sicherlich immer noch vorhandene Meinungsverschiedenheit über den Weg der DDR«, entschuldigte fast sein Verhalten, das »zum Untergang der DDR beigetragen haben« mag, und äußerte Verständnis, daß Honecker ihn als »konterrevolutionär« angesehen habe und ihn selbst heute noch so bewerten könnte.

 

Honecker antwortete am 23. Oktober aus dem Gefängnis Moabit in einem ziemlich nichtssagenden Brief — »Wertschätzung«, »humanistischer Gehalt Ihres Denkens und Handelns«, »die Erde lebenswert gestalten« u.a. —, und Bahro beeilt sich, sofort darauf zu erwidern.

Am 2. November verfaßt er einen langen und beinah unterwürfigen Brief, nennt dessen kurzes Schreiben einen »herzlichen Brief« und freut sich, daß es »endlich doch zu einer persönlichen Begegnung zwischen uns gekommen« ist — der Brief Honeckers war völlig unpersönlich! —, »die eine Versöhnung auf der menschlichen Ebene bedeutet«. 

Honecker wird das ganz anders gesehen haben, doch Bahro fällt ihm fast um den Hals: »Da löst sich etwas, und ich bin sehr dankbar dafür.« Dann entschuldigt er sich beinahe für die Alternative, von der er jetzt wisse, »in welchem Grade mein ganzer Ritt auch ein persönlicher Machttrip war, daß ich tatsächlich — zwar bestimmt nicht nur und doch immer wieder — auch in der Positur eines Möchtegern-Generalsekretärs in spe und also gar nicht besonders alternativ am Schreiben gesessen bin«.

Schließlich bedauert er, daß er von Honecker »in der Terminologie für Bündnispartner« angesprochen wurde (wo dieser vom »humanistischen Gehalt Ihres Denkens und Handelns« schreibt), und möchte ihm versichern, daß es doch »ein und dieselbe Sache gewesen ist, um die wir damals mit den — ich sage mal — je vorgezeichneten Mitteln gestritten haben«. Und zwischen Anfang und Ende des Briefes wieder die Attacke gegen die bundesdeutsche Justiz ähnlich wie in seinem Artikel.

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Kopie des Brief von Erich Honecker an Bahro vom 23.10.1992

 

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Daß er Honeckers Brief aus Moabit in der Vorlesung vom 2. November und dann ein zweites Mal am 24. Mai 1993 seinem Auditorium vorgetragen hat, mag etwas aufgesetzt wirken. Doch erstaunlich ist sein Kommentar dazu. Beim ersten Verlesen schilderte er seine Erwartung an Honecker, »daß man überhaupt miteinander reden könne, daß das damalige Urteil gegen mich aufgehoben wäre [...] seelisch, meine ich, denn das ist das Wichtige«. 

War es sein Ernst, daß Honecker innerlich bereuen sollte, daß er ihn zu acht Jahren Haft verurteilen ließ? Wie Bahro sich das zurechtlegte, hat er auch dem Auditorium mitgeteilt: Er fragte den einstigen Staats- und Parteichef, ob es ihm nicht möglich wäre einzugestehen, »daß unsere damalige Konfrontation eine interne war, selbst in ihm innen, also ein Streit um eine trotz allem gemeinsame Sache«

Vermutlich hatte Bahro in seiner kommunistischen Sentimentalität vergessen, daß die <Alternative> vom Politbüro der SED nichts mehr übrigließ. Beim zweiten Vorlesen kommentierte er: 

»Jetzt hätte er mir auch schreiben können: <Ich stehe noch dazu, das mußte damals sein.> So hätte es zu seiner sonstigen Position auch nach dem Untergang der DDR gepaßt. Aber was ich vor allem aus dem Brief entnehme und worüber ich froh bin, daß er zuletzt mit mir versöhnt war. Das war mir wichtig.« (Als »verlorener Sohn« mit Honecker versöhnt zu sein?)

Schon vorher hatte Bahro auf einer stark linksgerichteten Veranstaltung (28. November 1991) in der Humboldt-Universität zur Abwehr der Vorwürfe einer IM-Tätigkeit von Rektor Fink — kurz vor dessen Entlassung durch den Wissenschaftssenator — auch diesen in Schutz genommen: Er sei völlig von der menschlichen Integrität Heinrich Finks überzeugt und kritisiert alle an der Universität, die das nicht seien. Dann in puncto Staatssicherheit wieder die bekannte Wendung: »Jeder Mensch, der in der DDR jemals Kommunist war oder auch nur Parteimitglied gewesen ist, [...] ist ursächlich mitverantwortlich für die Existenz dieses Unterdrückungsorgans.« Und um sich nicht auszunehmen, schließt er an: »Nach den Kriterien, die hinter der offiziellen Intrige gegen Heinrich Fink stehen, werde ich wohl auch mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet haben, besonders während der neunmonatigen Untersuchungshaft« — weil er da eine Darstellung seiner <Alternative> für jemanden »ganz oben« geschrieben habe.

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Daß er zur selben Zeit auch Gregor Gysi in Schutz nimmt, versteht sich fast von selbst, und in einer Parforce-Attacke — da öffnet sich ihm das <Neue Deutschland> — wehrt er sich gegen die Bezeichnung »Unrechtsstaat DDR«, relativiert er den angerichteten Schaden der Staatssicherheit und findet — genau wie dessen pensionierte Generäle —, »er könne sich keine größere Selbstbeschädigung vorstellen als das Amt von Herrn Gauck«, das die Menschen »niederdrücke«. (ND, 7.5.1992)

Um ein weiteres Beispiel seiner Verteidigungsattitüde zu nennen: 

Daß die politisch belastete, ideologie­abhängige und geistig sterile marxistisch-leninistische Philosophie an der Humboldt-Universität nicht weiterbetrieben werden sollte, schien allen Reformern nur allzu klar — nicht aber Bahro. In einer Vorlesung vom 17.12.1990 fragte er: 

»Was bedeutet es, an dieser Universität die Philosophie <abzuwickeln>? Ich habe dieses Fach hier einmal studiert und dabei wohl den Grundstock für die theoretische Auseinandersetzung mit dem System gelernt, die ich dann später entfalten konnte.« 

Er findet es absurd, »eine zeitweilige Verdunkelung durch den Mißbrauch, den die Macht mit Philosophie getrieben hat und den die Philosophen allgemeinmenschlich mit sich treiben ließen, zum Anlaß zu nehmen, um diesen Fachbereich, der hier einmal durch Fichte und Hegel vertreten war, womöglich zuzumachen oder erst einmal derart zu beenden, daß es später eigentlich nicht mehr derselbe Körper ist«. 

Das ging an den Tatsachen vorbei. 

Schon daß er während seines Studiums den Grundstock für seine spätere Auseinandersetzung mit dem real existierenden Sozialismus gelernt habe, ist nicht zutreffend, wäre letztlich aber auch kein Argument, diese Philosophie nicht abzuwickeln (zum Zustand der Philosophie in der DDR siehe auch meine beiden Bücher im Literaturverzeichnis). Doch noch verdrehter ist die Berufung auf Fichte und Hegel, denn genau diese philosophische Tradition ist in der DDR zerstört worden, und Bahros Sorge, daß jener Fachbereich »später nicht mehr derselbe Körper ist«, bedeutet im Klartext, daß er die marxistisch-leninistische Philosophie an der Universität erhalten haben möchte.

Bahro hatte auch sonst keinerlei politische Berührungsängste und suchte das Gespräch mit allen ihm wichtigen Gruppen und Personen. Am bekanntesten ist wohl die Diskussion mit Kurt Biedenkopf, dem Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen (22. Juli 1991), bei der die Idee zum Lebensgut Pommritz mit staatlicher Anschubfinanzierung entstand; oder er diskutierte zur Frage <Hat die DDR sein müssen?> mit dem letzten Innenminister der DDR, Peter-Michael Diestel (9. Juni 1992), und noch während seiner tödlichen Krankheit polemisierte er vor vielen Zuhörern gegen den Parteivorsitzenden Lothar Bisky in der Frage <Scheitern die Parteien an der ökologischen Krise?> (12. April 1996).

Und diese Aufzählung ließe sich fortsetzen.

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Eine dringend nötig gewesene politische Auseinandersetzung fand leider nicht statt, vermutlich aus zwei Gründen: wegen Bahros fortgeschrittenem Krankheits­zustand und seiner an der Bergpredigt geschulten übergroßen Milde gegenüber den Tätern des SED-Staates.

Seit Februar 1996 wurde vor dem Berliner Landgericht gegen die Juristen verhandelt, die 1978 den Prozeß gegen Bahro geführt hatten. Der damalige Vorsitzende Richter Hugot wurde wegen Herzerkrankung nach Hause geschickt, so daß allein der frühere Staatsanwalt Gläßner und der Beisitzende Richter Hubert Lehmann sich zu verantworten hatten. Wie im Prozeß-Kapitel eindeutig belegt ist, wurde auf Druck und mit Hilfe der Staatssicherheit die Anklage aus willkürlichen Interpretationen und Unterstellungen fabriziert, auch die Richter beugten sich der Parteiführung und der Staatssicherheit und sprachen Unrecht. Dieser Rechtsbeugung mußten sich alle beteiligten DDR-Juristen bewußt sein.

Doch Rudolf Bahro nahm die Angeklagten in Schutz, indem er — sicher zu Recht — das Politbüro für seine Verurteilung verantwortlich machte. Daß Rechtsbeugung einen Straftatbestand darstellt (selbst nach DDR-Recht), mußte Bahro wissen. Trotzdem stellte er sich vor diese Juristen, betonte, daß er gegen sie keinen Groll hege, und reduzierte deren Verantwortung auf die Bemerkung, »sie haben nur eine Rolle« gespielt und hätten kein Unrechts­bewußtsein. 

Wie in seiner eigenen Kassationsverhandlung erklärte er auch hier, daß der Prozeß gegen die Juristen eine »Farce« sei, und wie in seiner seltsamen Verteidigung Honeckers sprach er erneut von »Sieger Justiz«. Dagegen wandte sich mit Nachdruck der Vorsitzende Richter des Berliner Landesgerichtes Peter Faust und stellte klar, daß laut Einigungsvertrag das DDR-Recht zugrunde gelegt werde. Weil sich Bahro schützend vor seinen früheren Ankläger und einen damaligen Richter gestellt hatte, kamen beide mit Bewährungsstrafen davon.

Soviel Milde, Rücksicht, Verteidigungsbereitschaft gegenüber Personen und Ereignissen aus der DDR werfen Fragen auf. Er fühlte sich stets als Kommunist — vielleicht als parteiloser spiritueller Kommunist —, und wenn er inzwischen die SED und die PDS auch aus vollem Herzen ablehnte, es blieb für ihn etwas, das vor dem Westen geschützt werden mußte. Seine Rückkehr in die revolutionäre DDR sei »fast zwanghaft« gewesen, schrieb er Ende 1991, und: »Ich kann nur von hier aus [Ostberlin] ganz in Deutschland ankommen, nachdem mir die bundesrepublikanische Verfaßtheit letztlich doch fremd geblieben war.«

Zur Erklärung seiner merkwürdigen Haltung:

Ihm war die DDR zwar nicht der bessere Staat, die bessere Wirtschaft, aber doch das bessere Land mit den besseren Menschen. Nur er durfte als Kommunist den realen Sozialismus kritisieren. Wenn es von einer nichtkommunistischen Position aus geschah, warf er sich fast reflexhaft zum Verteidiger auf. Manchmal wie ein kommunistischer Jesus, der die Sünden der SED auf sich nimmt. Um die DDR-Bürger damit zu versöhnen? Zu erlösen?

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von Herzberg