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3.7  Start in die Subsistenz, neue Lebensformen im Experiment

   

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Seit den politischen Umwälzungen in der DDR hatte sich Rudolf Bahros Lebens-Mittelpunkt immer stärker von Niederstadtfeld nach Berlin verschoben. Er pendelte zwischen beiden Orten — oft mehrmals in einer Woche. Bahro habe irgendwann vorgeschlagen, die Lernwerkstatt in den Osten zu verlegen, erinnert sich Angelika Koch. »Wir sind alle mal nach Berlin gefahren, aber das war eine sehr deprimierende Erfahrung.«

Reinhard Spittler hat dies ganz anders in Erinnerung und bemerkt dazu: »Rudi wehrte sich mit Händen und Füßen dagegen, daß irgendwelche Leute aus dem Westen in den Osten kommen. Er versuchte, <seine> DDR gegenüber den Westlern abzuschotten.« Bei einigen Mitgliedern der Niederstadtfeld-Gemeinschaft habe es »riesige Aversionen gegenüber den Ossis« gegeben. 

Gleich nach der sogenannten Wende nahmen viele Frauen und Männer aus der Noch-DDR an Seminaren und Tagungen der Lernwerkstatt teil. »Die Leute aus dem Osten saßen mit offenen Ohren da — die hatten so etwas noch nie gehört«, schildert Spittler. Er erinnert sich an ein Seminar zu Ostern 1990, das einen Querschnitt durch das Lernwerkstatt-Angebot bieten sollte. Dort sei für ihn klar geworden, »daß die aus dem Westen nichts mit denen aus dem Osten zu tun haben wollen. Nachdem die Ossis ihren ersten Schock überwunden hatten, gingen sie ebenfalls auf Distanz.« 

Das Lernwerkstatt-Programm war wieder sehr weit gespannt. So kam beispielsweise Rainer Langhans im April 1990 nach Niederstadtfeld, um über seine Kommune­erfahrungen in den 60ern zu sprechen. Auf einem Treffen im November des gleichen Jahres, an dem u.a. Langhans und Jochen Kirchhoff teilnahmen, ging es um die »Frage nach den Licht- und Schattenseiten einer Verbindung von Spiritualität und Politik«

Der Trierer <Volksfreund> berichtete am 14.11.1990 über ein Seminar zu dem »höchst brisanten Thema: Wie können und müssen wir mit der national-sozialistischen Vergangenheit umgehen? Gibt es in der heutigen Suche nach einem <neuen Zeitalter> nicht auch gefährliche Parallelen zum <Dritten Reich>?« Dieses Seminar habe von »tiefen Irritationen und oft hilfloser Sprachverwirrung« gezeugt — »angesichts eines Themas, das in seiner Ungeheuerlichkeit im Alltag kaum Beachtung findet«. 

Im gleichen Jahr hatte die Lernwerkstatt noch weitere prominente Gäste: So leitete Robert Jungk eine »Zukunftswerkstatt« und Johan Galtung sprach zum Thema »Self-reliance und die Weltgesellschaft«.

 

Während des zweiten Golfkrieges lud die Lernwerkstatt zu einem Seminar mit Alfred Mechtersheimer und dem libanesischen Publizisten Abdul Mottaleb Husseini ein. 

»Bahro kam zu einer unüblichen Sicht des Fundamentalismus, indem er eine Trennung vollzog zwischen der staatstragenden Dogmatik etwa des iranischen Regimes mit seinen grausamen Verfolgungen von Gegnern und dem radikalen Wunsch nach einem gottgemäßeren Leben, was er durchaus positiv sah.« 

Er setze »auf die Möglichkeit, die auch im Islam enthalten sei, zu einem Verhältnis zum Göttlichen und zur Natur zu finden, das befreit sei von der Herrschaft der Ökonomie«. Die Regionalzeitung resümiert: »So ergaben sich im Seminar — abseits der Großdemonstrationen — leise Töne der Nachdenklichkeit und Verständigung, vorsichtige Wagnisse des Denkens, die alle Systeme gelten lassen: Moslems, Juden, Christen und Materialisten in einem friedlichen Kreis, der jedem die Daseinsberechtigung zuspricht.« (Trierischer Volksfreund, 2./3.2.1991)

In der Folge drehten sich die Veranstaltungen der Lernwerkstatt immer stärker um das Verhältnis der Geschlechter. Das Thema eines Seminars Ende Mai 1991 hieß: Paare — Himmel und Hölle. Krieg der Geschlechter oder große Versöhnung. Gleich am Wochenende darauf ging es um Die Sinnlichkeit des Göttlichen — Theologie als Befreiung? mit Christa Mulack und Elga Sorge, zwei feministischen Theologinnen, sowie Rudolf Bahro. 

Eine der Fragen dieses Treffens lautete: »Wie kann eine lebendige, befreiende und mit dem Weiblichen versöhnte Religion heute entstehen und aussehen?« Es bedürfe einer Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zur Frau hin, erklärte Bahro. Das Seminar spiegelte etwas davon wider: Dieses Mal waren wesentlich mehr Frauen als Männer gekommen. Spannende Diskussionen führte ich dort mit Frauen aus der ehemaligen DDR, die mir bewußtmachten, wie sehr wir Männer uns daran gewöhnt haben, Seilschaften zu bilden, um Einfluß und Macht zu sichern — selbst wenn wir nichts mit der Welt der »Machos« zu tun haben wollen. Im Oktober des gleichen Jahres kam Christina Thürmer-Rohr nach Niederstadtfeld. Der Titel der Tagung lautete: Die Frau, die Natur und der Tod. »Ohne Kritik am Patriarchat keine Ökologie!«

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Aus Angelika Kochs Sicht ergaben sich für die Lernwerkstatt-Gemeinschaft durch Rudolf Bahros schrittweisen Weggang »größere Chancen, eigene Themen durchzubringen. Andererseits hatte uns Rudolf nicht losgelassen. Er fühlte sich weiterhin für das Programm zuständig, kriegte die Gruppendynamik in Niederstadtfeld aber nicht mehr mit.« Bahro spürte die wachsende Entfremdung und bat die Mitglieder der Gemeinschaft »um euer offenes Herz für meinen Weg, und daß ihr nicht aufhört, mit mir zu rechnen« (Rundbrief, Nr. 13 — Anfang 1991). 

Hatte seine Lebenskerze zuvor »an zwei Enden« gebrannt, so wollte er im Sommer 1991 nicht mehr so weitermachen und teilte den Niederstadtfeldern mit: »Es muß hier im wesentlichen ohne mich weitergehen.« (Rundbrief, Nr. 14 — Anfang 1993) Seinen faktischen Abschied von der Lernwerkstatt verband er mit einer heftigen Kritik an den Umgangsformen innerhalb der Gemeinschaft: »Ich finde, es herrscht ein ruppiger, andermal zynisch <realistischer> Ton vor. Endgültig fertige Bilder von anderen werden weitgehend vorausgesetzt, das Sosein wird höchstens noch toleriert, nicht mehr angenommen.«

 

Der Niedergang der Lernwerkstatt wurde durch heftige interne Auseinandersetzungen beschleunigt. Der Streit drehte sich letztlich um die Eigentumsfrage. Nach der Scheidung von ihrem Ehemann Franz Josef Ingermann Anfang 1988 wurde Beatrice zur alleinigen Besitzerin des Hauses. Mit dem Trägerverein bestand seit 1983 ein Mietvertrag. Einige Mitglieder des Vereins stellten sich nach Rudolf Bahros Weggang auf den Standpunkt, der durch den Um- und Ausbau der Lernwerkstatt geschaffene Wertzuwachs gehöre der Gemeinschaft. Dabei war es Beatrice Bahro, die für die notwendigen Kredite gesorgt und gebürgt hatte.

Ende Mai 1992 war Beatrice von den Auseinandersetzungen so entnervt, daß sie plante, aus Niederstadtfeld wegzugehen (Brief Rudolf Bahros vom 24.5.1992). Ende 1992 kam es in der Lernwerkstatt dann zum offenen Zerwürfnis. Im März 1993 verkündete Beatrice Bahro, sie wolle wegen der gegen ihre Person gerichteten Anwürfe die Gemeinschaft verlassen und das Haus verkaufen. Spittler berichtet, damals seien sowohl Vermittlungs­versuche als auch Verkaufsverhandlungen gescheitert.

Beatrice Bahro verlor den Boden unter den Füßen: Ihre Ehe war zerbrochen (mehr dazu im übernächsten Kapitel), und durch den Konflikt um die Besitzrechte ging auch ihr vertrautes Umfeld in die Brüche.

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Nach ihrem Suizid entbrannte der juristische Streit um die Lernwerkstatt. Rudolf Bahro (als Erbe seiner verstorbenen Ehefrau) kündigte den Mietvertrag zum Ende des Jahres 1993. Weil der Verein das Anwesen nicht herausgeben wollte, kam es zur Räumungsklage. Der Verein konterte mit einer Forderung auf Zahlung von 650.000 DM. Die Summe ergebe sich »aus durch den Verein erbrachte Sach-, Geld- und Arbeits­leistungen«, heißt es in einem vom 23. Februar 1994 datierten Schreiben der Vorstandsmitglieder an Rudolf Bahro. Er habe den Wunsch, sich von der Last dieses Konflikts zu befreien, der ihm über die Entfernung schon gar keinen Sinn mehr macht, nur Kraft verbraucht und verdunkelt, ist in dem Entwurf eines Antwortschreibens von Bahro an den Verein vom März 1994 zu lesen.

Im Juni 1995 unterbreitete das Landgericht Trier einen Vergleich: Der Kaufpreis sollte auf 540.000 DM festgelegt werden, »abzüglich eines bestrittenen Verwendungs­ersatzanspruches für den Beklagten [Freie Lernwerkstatt e.V.] in Höhe von 240.000 DM«. Mit anderen Worten: Die von Rudolf Bahro nicht anerkannten Forderungen des Vereins wurden lediglich zu etwas mehr als einem Drittel in Rechnung gestellt. Bahro war zu jener Zeit schon sehr krank und wollte den Streit noch zu Lebzeiten beenden. Deshalb stimmte er dem Vergleich zu. Der Verein ließ ihn aber im August 1995 zunächst einmal platzen, bis es im Dezember 1995 dann doch noch zur Einigung und zum Verkauf kam.

In einem Gespräch, das ich im Herbst 1995 mit Rudolf Bahro führen konnte, fragte ich ihn auch nach seiner Sicht der Gründe für das Scheitern der Lernwerkstatt. Bahros Antwort: 

»Ich denke nicht, daß eine Kommunität, die sich heute gründet, dann gescheitert ist, wenn sie in zehn Jahren nicht mehr zusammen ist. So habe ich das mit Niederstadtfeld nie gesehen — auch Beatrice gegenüber nicht. Wir haben dort unsere Arbeit gemacht, und was wir veranstaltet haben, war eigentlich immer fruchtbar. Das zählt für mich. Mit dem Ende der Lernwerkstatt-Gemeinschaft ist auch etwas verlorengegangen, das würde ich nicht bestreiten. Doch wenn das versammelte Bewußtsein erst einmal eine solche Krise produziert, dann heißt das doch, daß die daran Beteiligten einen solchen Durchgang für ihren weiteren Weg brauchten.«

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Im Osten ergaben sich inzwischen neue Handlungsmöglichkeiten für Rudolf Bahro. Er wollte nicht nur Professor sein, sondern auch über die Universität hinaus wirken. Dazu schien die Zeit des Umbruchs besonders günstige Voraussetzungen zu schaffen. 

Im Juni 1990 fand in Kleinmachnow bei Berlin das erste Ost-West-Treffen über Landkommunen, Ökodörfer und spirituelle Lebensgemeinschaften statt. Von den rund 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmern kamen gut zwei Drittel aus der DDR. Plutonia Plarre schrieb in der tageszeitung:  

»Den größten Zulauf hatte Rudolf Bahro. Ein 27jähriger Buchbinder aus Ostberlin erklärte Bahros große Beliebtheit damit, daß Bahro <am realistischsten> auf die Verhältnisse in der DDR eingegangen sei, weil er es trotz der vielen Jahre in der BRD geschafft habe, <innerlich> DDR-Bürger zu bleiben. Eine 33jährige Kindergärtnerin aus Magdeburg zollte Bahro großen Respekt für <die Tiefe und Weite seines Blickfeldes>: <Mir ist es wie Schuppen von den Augen gefallen, als er sagte, die kommende Arbeitslosigkeit in der DDR ist auch eine Gunst der Stunde, um sich frei zu machen für den subsistenz-wirtschaftlichen Weg. Die großen Brachflächen sind doch da, die will keiner mehr machen. Wir müssen sie uns nur nehmen.>« (taz, 20.6.1990)

 

Die »schwierige psychologische, soziale und ökonomische Situation« in Ostdeutschland fordere »zu großen sozialen Experimenten heraus«, die über die Form bisheriger Alternativprojekte hinausweisen, formulierte Bahro 1992 in einer Denkschrift über kommunitäre Subsistenzwirtschaft. Und weiter: »Wir haben die Wahl, die Krise der gesamten Lebenswelt in den neuen Bundesländern als Belastung oder als Chance zu nehmen. <Unterentwicklung> kann ein Vorteil sein, kann den Aufbruch in eine andere Kultur begünstigen, wenn man sie nicht einseitig in der Perspektive konventioneller (industrieller) oder auch postindustrieller <Entwicklung> sieht.« (Apokalypse, 176 f.)

Vorausgegangen war dieser Schrift eine Vorlesung des sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf und ein öffentliches Gespräch zwischen ihm und Rudolf Bahro im Juli 1991. In seiner <Logik der Rettung> hatte sich Bahro intensiv mit dessen Buch <Die neue Sicht der Dinge> befaßt: Der Wachstums­kritiker Biedenkopf habe verstanden, daß wir uns in einer »Begrenzungskrise« (Logik, 59) befinden. Was er in seinem Buch zu umreißen versuche, sei »nichts anderes als eine ökologische Wende-Regierung» (ebd., 68). Es werde spannend, »ob sich bei der außerordentlichen Gelegenheit, die die ökologische Krise bietet, doch konservative Kräfte finden, die den (materiellen) Fortschritt nicht vorantreiben, sondern abbremsen und darauf setzen wollen, die menschliche Substanz zu bewahren«. 

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Biedenkopf stelle sich in seinem Buch allerdings nicht der Aufgabe, »den Motor abzustellen«. Er wolle »nur vom höchsten Gang herunter und jedenfalls mit dem Fuß vom Gaspedal weg, will auch den Mitfahrern die Antreiberei abgewöhnen. Die Erfahrung, daß uns auch dieser Fahrstil noch nicht retten kann, wird die Gesellschaft wohl erst noch machen müssen.« (Ebd., 70)

 

Nach Erscheinen der Logik der Rettung entwickelte sich so etwas wie eine freundschaftliche Beziehung zwischen beiden Männern. Bahro lud Biedenkopf ein, im Rahmen der Veranstaltungsreihe Grundlagen ökologischer Politik einen Vortrag an der Humboldt-Universität zu halten. Dessen Quintessenz lautete: »Ob die Begrenzungskrise überwunden wird, ist in erster Linie eine Frage an die Gesellschaft und an jeden von uns. Eine Verlagerung der Verantwortung alleine auf den Staat, möglicherweise auch noch mit dem geheimen Vorbehalt, daß die Politiker, wenn sie denn Begrenzungen einsetzen, im Grunde gegen das demokratische Votum der Mehrheit der Bevölkerung handeln, ist nicht wirkungsvoll.« (Apokalypse, 36)

Im nachfolgenden Gespräch fragte Bahro seinen Gast, ob er bereit sei, als sächsischer Ministerpräsident Starthilfe für neue Lebensgemeinschaften zu leisten, die sich auf Subsistenzwirtschaft orientieren. Darauf Biedenkopf: »Worum es Ihnen geht, wenn ich Sie richtig verstehe, ist die Verwirklichung des Nachhaltigkeitsprinzips, daß also nicht mehr verbraucht werden darf als wieder hinzukommt. [...] Ich habe noch keine ausreichend klare Vorstellung von dem, was Sie mit >staatlicher Unterstützung< meinen. Denn wenn eine Subsidienwirtschaft der dauernden staatlichen Unterstützung bedarf, dann muß es ja irgendwo Wirtschaften geben, die mehr haben, als sie brauchen, denn sonst kann ich ja die anderen nicht unterstützen.«

Gerade über diese »Subsidienwirtschaft« wolle er hinaus, entgegnete Bahro. Es gehe ihm um »Starthilfe für Leute, die in dem offiziellen Beschäftigungs­system keine Arbeit finden« (ebd., 170). Oder wie er in einem Aufsatz über Subsistenz ausdrückt: Es sei damit »mehr als eine Wirtschaftsweise gemeint, nämlich eine wieder in die Naturgleichgewichte eingeordnete Lebensform. >Wir brauchen nicht mehr Geld, wir brauchen mehr Leben<, hat denn auch die Subsistenzforscherin Claudia von Werlhof geschrieben. Mehr Geld nämlich, das zeigt sich inzwischen alltäglich fühlbar, heißt nicht mehr Leben, sondern mehr Tod. Die geldgetriebene Lebensweise ist expansiv auf einem endlichen Planeten. Subsistenz ist wirtschaftlich kontraktiv, d.h. zieht die Funktionen der materiellen und kulturellen Reproduktion auf den kleinen Lebenskreis zusammen.« (Subsistenz, 16)

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Claudia von Werlhof weist darauf hin, daß es sich bei Subsistenz nicht nur um ein »Ernstnehmen« der Versorgung handle. »Es ist vielmehr auch das Annehmen der grundlegenden Dinge im Leben, der Kindererziehung, der Liebesverhältnisse, der Bande zwischen den Menschen, ihrer souveränen Begegnung, des respektvollen Umgangs mit der Natur in und um uns, des sich gegenseitig Anerkennens und des Sein-Lassens, immer Macht über andere haben zu wollen. Es geht darum, auf diesen Trick, Macht, Geld und Moral für sich beanspruchen zu müssen, nicht mehr hereinzufallen.« (Apokalypse, 118)

 

Biedenkopf unterbreitete Bahro ein Angebot: »Entwickeln Sie doch mal, wie das aussehen soll und was Sie vom Staat und der Administration erwarten, damit so etwas umgesetzt werden kann. Dann werden wir mal sehen, ob wir das machen können.« (Apokalypse, 171 f.) Als Antwort darauf verfaßte Bahro die bereits erwähnte Denkschrift. Biedenkopfs Sorge war, ob sich genügend Menschen finden würden, die den Versuch neuer Lebensformen wagen. Um das herauszufinden, wurde zu einem Treffen im Juni 1992 in Schönnewitz (Gemeinde Krögis) bei Meißen eingeladen.

Im Vorfeld dieser Veranstaltung befragte das Neue Deutschland Rudolf Bahro zu seiner Sicht der Lage in den neuen Bundesländern und der Chance kommunitärer Subsistenzwirtschaft. Bahro konstatierte, zu vieles werde noch »mit Verbitterung verarbeitet statt mit Verstehen«. Die Krise der ehemaligen DDR sei eine »Minivorwegnahme« von Verhältnissen, »auf die die reichen Länder beschleunigt zusteuern«. Diese Situation könne auch als Chance wahrgenommen werden: Sie eröffne sich gerade jenen Menschen, die einen »Kontinuitätsbruch« erlebt haben. Damit die Energie dafür frei werde, müsse man allerdings »das Verlorengegangene innerlich verloren geben« (Neues Deutschland, 30./3l.5.1992).

 

 

An der Begegnung auf dem Hof Frohberg in Schönnewitz nahmen weit über 300 Menschen teil — vor allem aus dem Osten Deutschlands. »Versammelt ist das ganze Spektrum, das sich auf solchen Treffen eher beiläufig über die eigene Bewußtseinslage verständigt: Öko-Aktivisten und Szene-Beobachter*, Aussteiger und solche, die ihrer Meinung nach in das, was sie verächtlich <die Gesellschaft> nennen, nie eingestiegen sind. [...] Daß die großen Wirtschaftsprobleme hier gelöst werden, glaubt wohl kaum einer, doch ein bißchen dichter dran als der Rest der Menschheit fühlen sich die meisten schon«, stellte Dietmar Pieper im Spiegel fest (Nr. 26, 22.6.1992). 

*detopia-2005:  Ich war auch da — auch auf dem Spiegel-Foto. 

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Und Nana Brink berichtete in der tageszeitung: »Beglückt zeigte sich Rudolf Bahro [...], daß vor allem Anhänger der Ökodorf-Szene aus den neuen Bundesländern nach Sachsen gefunden hatten. Dies bestätige ihn, der den Ausstieg aus der >Megamaschine der industriellen Zivilisation< nimmermüde predigt, in der Überzeugung, daß <gerade in der Ex-DDR überaus günstige Bedingungen für die Suche nach neuen Lebensplätzen da sind — nämlich freigesetzte Kräfte und Materialien im Überfluß>. [...] Viel beklatscht wurde Bahros leidenschaftliche Philippika auf die Apokalypse der Moderne, mehr Aufmerksamkeit jedoch erregte ein Gast, den man nicht ohne weiteres hier vermutet hätte.« (taz, 16.6.1992) 

Ministerpräsident Kurt Biedenkopf hatte nämlich seinen Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, Hermann Kroll-Schlüter, entsandt. Maik Hosang faßt dessen Stellungnahme so zusammen: »Der Staat ist seinen Bürgern auch für die Zukunft verantwortlich, welche angesichts der heutigen sozialen und ökologischen Probleme mit bestehenden Strukturen nicht sicher ist. Daher ergibt sich der Sinn öffentlicher Unterstützung eines in diesen Punkten orientierten Experiments, die umfassende Hilfe für menschliche Initiativen, die nicht staatlich gestützte Privatidylle, sondern wirkliche Lösungen für sich und die Welt suchen.« (Apokalypse, 189).

Der Staatssekretär sprach von einem ehemaligen Staatsbetrieb in der Oberlausitz, der für einen Versuch kommunitärer Gemeinschaft zu günstigsten Konditionen zur Verfügung stehe. Im Monat darauf fand die Besichtigung statt: Es handelte sich um ein einstiges Ritter- und späteres Lehrgut in Pommritz (Gemeinde Hochkirch), einem Dorf mit rund 100 Menschen (und eigenem Bahnhof!), an einem nördlichen Ausläufer des Lausitzer Berglandes, zwischen Bautzen und Löbau gelegen. Das Gut umfaßte mehrere, teilweise noch gut erhaltene Gebäude sowie 80 Hektar Acker- und Weideland. 

Im Sommer und Herbst 1992 wurden Verhandlungen geführt. So mußte beispielsweise der Bürgermeister der Gemeinde, der zunächst einmal an mögliche Arbeitsplätze für die Bevölkerung des Dorfes dachte, vom Vorhaben überzeugt werden. Viel entscheidender war allerdings die Frage, wie die Gemeinschaft aussehen soll, die ein solches Projekt verwirklichen kann.

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Der Verein »Neue Lebensformen« wurde gegründet und lud zu einem Wochenendtreffen im Dezember 1992 ein. Dort kamen rund 40 Frauen und Männer zusammen, die sich entscheiden mußten, ob sie mitmachen wollen. Dieter Federlein, der bereits in der Niederstadtfelder Lernwerkstatt dabei war, erinnert sich: »Wir saßen im Clubraum und es hieß: >Wollen wir das Gut oder wollen wir es nicht?< Wer hier bleiben wollte, der sollte aufstehen. Das war der Anfang.« Mit 13 Menschen startete das »LebensGut«, wie die Gemeinschaft sich dann nannte. Die Vorhut des Projekts traf im Mai 1993 ein, nachdem die Gemeinde­vertreter­versammlung Ende April »ihre nicht juristisch, aber politisch-psychologisch ausschlaggebende Zustimmung« gegeben hatte (so Bahro in einem Brief vom 25.4.1993 an Karl Ludwig Schweisfurth).

Bald darauf ergaben sich neue Probleme: Es stellte sich heraus, daß das Pommritz-Gut nicht dem Land Sachsen, sondern der Treuhand gehörte. Die Projektmitglieder wurden von der Verwaltung angefragt, ob sie nicht bereit wären, in ein anderes Objekt umzuziehen. Ihre Antwort lautete: Nein, wir gehen da nicht wieder weg! Bahro wandte sich deshalb an die Treuhand-Chefin Birgit Breuel: »Wie ich annehme, sehen Sie auf Anhieb, daß es hier um mehr als eins der zahllosen ostdeutschen Sozialprobleme geht. Wir brauchten dringend Modelle auch noch für einen zweiten, sozusagen anderen Entwicklungstyp, und wann/wo, wenn nicht jetzt in Ostdeutschland, sollen wir sie schaffen?« (Schreiben vom 23.6.1993). Wenige Monate später konnte ein vorläufiger Pachtvertrag mit dem Land Sachsen und der Treuhand abgeschlossen werden.

Im April 1994 gaben sich die Mitglieder der Gemeinschaft eine Verfassung, die den Rahmen des Gesamtprojekts beschreibt. Dort ist u.a. zu lesen: »Wer hier lebt, engagiert sich bewußt und aktiv am Aufbau einer Permakultur, das heißt einer infolge ihrer Kenntnis und wissenden Anwendung der Naturgesetze dauerhaft lebensfähigen Kultur des Menschen auf unserem Planeten. [...] Wir sind uns bewußt, Bestandteil und verantwortliche Mitgestalter der Schöpfung zu sein. Wir leben mit der Natur dieses uns anvertrauten Fleckchens Erde, doch wir fühlen und wissen uns verbunden mit allen Menschen und allen Wesen der Erde und des Kosmos. [...] Durch die Befreiung aus den traditionellen Käfigen von Selbstzweifeln, Angst, Neid und Eifersucht kann jeder all seine Lebensenergien entfalten, im Spiel der Gemeinschaft seine Einzigartigkeit erkennen und seine freie Entwicklung als Bedingung für die freie Entwicklung aller begreifen.« (Apokalypse, 191)

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Rudolf Bahro zog selbst einmal in Erwägung, in Pommritz zu wohnen. Sein erster Gedanke sei gewesen: »an diesem Ort möchte ich dabei sein«, schrieb er im bereits erwähnten Brief an Karl Ludwig Schweisfurth. Doch in der Folge war er dort nur selten anzutreffen. Manchmal kam er an Wochenenden und hielt Vorträge. 

Mit den praktischen Seiten des Projekts wollte er nichts zu tun haben, berichtet Maik Hosang. Nach seinem Weggang von Niederstadtfeld sei Bahro erst einmal gründlich »gemeinschaftssatt« gewesen. Er habe seine Aufgabe weniger darin gesehen, durch ein Projekt absorbiert zu werden, sondern er wollte »mehr[ere] anschieben, initiieren«. Reinhard Spittler ergänzt: »Rudi hatte nicht die Absicht, in einer Gemeinschaft um der Gemeinschaft willen zu leben. Seine wichtigste Aufgabe sah er im Umfeld der Humboldt-Universität. Rudis Kerngedanke eines <neuen Klosters> bestand darin, daß jeder einzelne seinen >eigenen Vertrag mit Gott< schließt. Jeder sollte auf die eigene Suche nach seiner Aufgabe gehen. Ein >gutes Klima< in der Gemeinschaft fand er zwar wichtig, aber es war ihm doch sekundär. Das galt schon in Niederstadtfeld und dann auch für die Projekte im Osten.«

Bahro setzte sich nach Kräften für den Fortgang des Vorhabens in Pommritz ein. So schrieb er im Juli 1994 einen ausführlichen Brief an Kurt Biedenkopf, weil die Unterstützung des LebensGuts durch die sächsische Agrarverwaltung nicht im zugesagten Maß erfolgte. Es zeige sich, so Bahro, daß Projekte wie jenes der Pommritzer nicht an die für die Entwicklung des ländlichen Raums vorgesehenen Mittel herankommen, »weil die Kriterien <naturgemäß> nicht auf den Start in die Subsistenz zugeschnitten sind; die ganze Orientierung ist dem Landwirtschaftsministerium fremd« (Apokalypse, 201). Um dem Pommritzer Experiment mehr Akzeptanz zu verschaffen, bat Bahro den damaligen Direktor des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt und Energie, Ernst Ulrich von Weizsäcker, eine Studie über das LebensGut in die Wege zu leiten.

Die Politikwissenschaftlerin Uta von Winterfeld besuchte Pommritz und legte Anfang 1995 ihren Bericht vor, der in Apokalypse oder Geist einer neuen Zeit veröffentlicht wurde. Ihre Untersuchung vermittelt einen guten Einblick in die Geschichte und die zu jener Zeit absehbaren Entwicklungstendenzen des LebensGuts. Bei den Gruppenmitgliedern unterschied sie zwischen »Pionieren« und später Gekommenen.

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Zu den Wegbereitern zählten Menschen aus verschiedenen Milieus, aber meist Studierte — so um die 30, einige auch schon um die 50, »engagierte und mutige Leute« (ebd., 209). Die erst nach der Startphase Eingetroffenen suchten eine Gemeinschaft, eine neue Heimat. »Diese Gruppe wird eher von Angst nach Pommritz getrieben.« (Ebd., 210) Auf dem Weg zur Subsistenz entwickle die Gemeinschaft zwei verschiedene Visionen: »Die einen wollen keinen Wachstumszwang und wollen eine höchstmögliche Autarkie über die Landwirtschaft bzw. die Eigenproduktion erreichen. Dieser Pol beruht auf der Abgrenzung nach außen und der Selbstversorgung nach innen.« 

Der andere Pol sehe die Gefahr der Autarkie. Das übergeordnete Ziel, »der Welt eine neue Form zu geben«, dürfe nicht aus den Augen verloren werden. »Hierzu bedarf es der Öffnung nach außen sowie der Vernetzung mit anderen Gemeinschaften und ökologisch orientierten Akteuren.« (Ebd., 218) Uta von Winterfelds Fazit: Ein Experiment wie jenes in Pommritz könne nur dann in die Gesellschaft hineinwirken, wenn es »Resonanz erhält« (ebd., 228).

Am 4. Dezember 1997 — einen Tag, bevor Rudolf Bahro starb — ging ein Teil des Gutshofes in vertragliches Eigentum des Trägervereins <Neue Lebensformen> über. Für die EXPO 2000 wurde das LebensGut als eines von drei ostdeutschen Projekten ausgewählt. Einen Versuch gesellschaftlichen Wirkens stellen die regelmäßig in Pommritz stattfindenden <Rudolf-Bahro-Zukunftswerkstätten> dar. 

Im Spätherbst 1998 besuchte ich eine dieser Veranstaltungen und schrieb in der Zeitschrift <Spuren> über meine Eindrücke vom LebensGut. Hier einige Auszüge daraus:

»Gegenwärtig gehören rund 60 Personen zu diesem Projekt, etwa 35 Erwachsene und 25 Kinder. Kathrin Schanze, 34, Journalistin, wohnt mit ihren beiden Töchtern sowie ihrem Partner in der <Villa>, die zum Gut gehört. Sie zog im Sommer 1993 nach Pommritz. Vielleicht würde es gelingen, nach dem Ende des <realexistierenden Sozialismus> in der DDR an diesem Ort den Kommunismus im Kleinem vorwegzunehmen, hatte sie gedacht. Kathrin lacht über ihre eigene Naivität, und sie wirkt dabei keineswegs verbittert: <Das ist auch etwas, was ich gesucht habe — wieder arglos sein zu dürfen, nicht lügen zu müssen, um bestehen zu können. Doch so unbefangen darf ich leider auch nicht sein.>

Neue Lebensformen fallen nicht vom Himmel. Das zeigt sich beispielsweise in der Kindererziehung. <Bei uns ist es noch weitgehend so: Die Männer machen die Sachen nach außen, die Frauen kümmern sich ums Innere>, wozu eben auch die Kinder gehören. <Mein Bedürfnis wäre es, ganz viel nach außen zu gehen, aber ich habe eben die Kinder> erklärt Kathrin Schanze, und dabei lacht sie ein wenig verlegen.

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<Irgendwie> stehe die Emanzipation in Pommritz noch bevor. >Ich habe das Gefühl, wir lassen uns da ganz schön viel vorsetzen.< Die >weibliche Energie<, die Kathrin im LebensGut spürt, ist eine Kraft, die nicht die Differenzen betont, sondern das Verbindende sucht. Anlaß zu Differenzen gibt es auch im LebensGut. Für einige vor allem in der Landwirtschaft tätige Männer steht die Frage im Vordergrund, ob es gelingt, selbsttragende Arbeitsplätze zu finden.

Bislang leben viele Bewohnerinnen und Bewohner des Lebens-Guts von staatlichen Leistungen. Das weckt bei Außenstehenden den Eindruck, die LebensGut-Leute seien <Schmarotzer>. Dieter Federlein weist diesen Vorwurf zurück. Die entscheidende Frage ist für ihn: <Wie können wir den Freiraum, den das LebensGut uns bietet, in einer Weise nutzen, die auch der Gesellschaft etwas bringt?> Dieser Beitrag ist für ihn nicht in erster Linie materieller, sondern ideeller Art: <Die sozialen und wirtschaftlichen Fragen, die sich heute stellen, können wir mit unserem alten Bewußtsein nicht mehr lösen. Wenn genügend Menschen die neue — um mit den Worten des amerikanischen Denkers Ken Wilber zu sprechen — transpersonale Bewußtseinsstruktur gewissermaßen mit Fleisch gefüllt haben, werden uns auch die passenden Lösungen einfallen.>« 

(Spuren, Magazin für neues Bewußtsein, Nr. 50, Winter 1999, 60 f.)

 

Die Aussage Federleins, die meisten Bewohnerinnen und Bewohner würden von staatlichen Transfer­leistungen leben, ist inzwischen überholt: Von den rund 25 Vereinsmitgliedern, die im LebensGut ansässig sind, beziehen gegenwärtig noch fünf Arbeitslosengeld. Die anderen haben finanzierte Arbeits­verhältnisse im eigenen Betrieb (fünf Personen in der Landwirtschaft, drei in einem Solarunternehmen, zwei in der Verwaltung) bzw. in Sozial- und Bildungsprojekten (vier Personen) oder beziehen Erziehungsgeld (in den letzten zwei Jahren wurden in der Gemeinschaft fünf Babys geboren).

In einer Selbstdarstellung schreibt das LebensGut: 

»Der Prozeß der Gemeinschaftsbildung braucht den Willen zur Gemeinschaft und viel Zeit. Es gibt Phasen der Euphorie und des Enthusiasmus, aber auch solche des Verzweifelns. Wir können nicht voneinander erwarten, daß wir unsere in vielen Jahren erlernten und geübten Verhaltensmuster, Ängste und Kommunikationsbarrieren von heute auf morgen verändern bzw. abbauen. Gemerkt haben wir aber, daß am wichtigsten Liebe und Geduld sind — zu sich selbst und zu anderen.«

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Doch nach den Informationen von Maik Hosang ist das Projekt im Frühjahr 2002 durch administrative Enge real bedroht: 

»Die Treuhand-Nachfolgegesellschaft BWG will die zum Gut gehörigen 80 Hektar, welche die Grundlage des Pommritzer Ökolandbaus mit seiner artgerechten Tierhaltung, Käserei und Bäckerei sind, in den kommenden Monaten zum Verkauf ausschreiben. Der projekttragende Verein <Neue Lebensformen> und dessen Ökolandbaubetrieb haben zwar ein Vorkaufsrecht, jedoch nicht die dafür erforderlichen 400.000 Euro. Wenn die Flächen an irgendeinen der dann begünstigten Alteigentümer gehen und dieser die jetzigen Pachtverträge nach acht Jahren auslaufen läßt, bedeutet dies den Verlust einer entscheidenden Lebensader und damit das frühzeitige Ende der gerade erst wachsenden Pommritzer Utopie. 

Da es nichts hilft, den Kopf in den Sand zu stecken, wurde nach möglichen Lösungen gesucht. Die Bitte an den Freistaat Sachsen, das einst gegebene Versprechen gesicherter Rahmenbedingungen für solch ein Lebens­forschungsprojekt doch noch einzulösen, ist die eine Variante. Vorbilder für eine andere Möglichkeit wurden in den alten Bundesländern gefunden. Um das für ihre biologische Landwirtschaft erforderliche Land zu kaufen, haben einige Demeter-Betriebe in Zusammenarbeit mit der Bochumer Bank für Leihen und Schenken (GLS) sogenannte Landwirtschaftsfonds aufgelegt. Menschen, die selbst nicht in diesen Demeter-Betrieben arbeiten, dennoch deren Arbeit gut finden und diese befördern möchten, können Anteile am Bodenfonds erwerben und sind dadurch ideell und materiell an den Ergebnissen beteiligt.« 

Dieses Modell will das LebensGut in nächster Zeit weiterverfolgen. 

Resümiert man die bisherigen Erfahrungen der Pommritzer Gemeinschaft und vergleicht sie mit jenen der Lernwerkstatt, so springen vor allem die Unterschiede ins Auge: Das Lebensgut versucht auch auf der materiellen Ebene etwas vom »Self-reliance«-Gedanken zu verwirklichen, während sich die Lernwerkstatt vor allem auf die bewußtseinsverändernde Arbeit konzentrierte und »Selbstversorgung« eher postulierte als praktizierte. 

Anders als in Niederstadtfeld ist es den am LebensGut-Projekt Beteiligten bislang gelungen, die auftretenden Konflikte so zu lösen, daß das Überleben der Gemeinschaft nicht gefährdet wurde. Die Ansprüche an das gemeinschaftliche Leben scheinen in Pommritz weniger weit gefaßt als in der Lernwerkstatt zu sein. Dies betrifft vor allem Fragen der Sexualität und der Spiritualität, die in Pommritz »konventioneller« gehandhabt werden: Weder »freie Liebe« noch eine verbindliche spirituelle Gemeinschaftspraxis stehen hier auf dem Programm. 

Was beide Projekte verbindet: Es handelt (bzw. handelte) sich um Laboratorien — Orte des sozialen Experiments. Die Zeit für solche Versuche war in den 80er Jahren im Westen und zu Beginn der 90er Jahre in den neuen Bundesländern vielleicht günstiger als heute. Trotzdem sind sie notwendig im wahrsten Sinne des Wortes. Das Bewußtsein dafür zu wecken, daß es Alternativen zu den (selbst)zerstörerischen Kräften der Megamaschine geben muß, wenn es nicht zum <Global Exit> (so der Titel eines Buches von Carl Amery) kommen soll — dafür steht mir das Unternehmen des LebensGuts. 

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   Von Kurt Seifert    #  * (d-2015:)   C.Amery    U.Grober      Bahro.Start    

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