Bahrobuch    Ferstbuch

Der Ausstieg ist nötig, 

 

auch der aus dem kleinen Auto

 

Marko Ferst in der Tageszeitung 'Neues Deutschland' am 26.07.1991 

 

 

Mit dem Buch "Die Alternative" setzte Rudolf Bahro Maßstäbe für die Kritik der scheinsozialistischen Systeme. Nach der DDR-Haft und zeitweiser Mitgliedschaft in den Grünen entstand "Logik der Rettung", ein Werk, das die monopolkapitalistische Industriegesellschaft in Verbindung mit der ökologischen Krise und der menschlichen Bewußtseinsverfassung analysiert und Konturen einer überlebensfähigen Ordnung aufzeigt.

Die gigantischen ökologischen Teilprobleme, mensch denke nur an den Treibhauseffekt und das Ozonloch, ergänzen sich zu einer allumfassenden Totalkrise. An den Einzelproblemen herumzuoperieren, bedeutet nur auf der Symptomebene zu agieren, meint Bahro. Von dorther sei die Todesspirale nicht zu stoppen. Eher beschwört mensch damit eine Ökodiktatur herauf. Der Ausstieg aus der kapitalbestimmten Produktionsweise ist nötig, aber auch der aus dem kleinen Auto und vielen anderen sogenannten zivilisatorischen Errungenschaften.

Traditionelle Umverteilungspolitik herkömmlicher Oppositionen zugunsten der Unterklassen und Randgruppen des Industriesystems legitimiert unsere Verbrechen gegenüber der "dritten Welt" und führt uns näher an unseren eigenen Untergang heran. Alle Fragen, die diesen Umverteilungsaspekt betreffen, scheint mir Bahro etwas undifferenziert zu betrachten. Sein Gedanke von einem sozialen Rahmenplan relativiert das etwas.

Bahro sucht nach den Ursachenschichten der Selbstausrottung. Den Untergrund für das Industriesystem, das durch den kapitalistischen Antrieb in Gang gehalten wird und expandiert, bildet für ihn die europäische Weltsicht, die er als eine aggressive und herrschaftliche Form der Initiative bezeichnet, die über alle anderen Verhaltensweisen dominiert. Eine solche Entwicklungsrichtung setze das Patriarchat voraus. Als letztes Glied in der Ursachenkette benennt Rudolf Bahro unsere Bewußtseinsverfassung. Sie sei der Ausgangspunkt der Selbstausrottungstendenz. Der Mensch, der sich an seinem selbstsüchtigen Eigenwillen orientiert, wird den Weg zum Neubau der Kultur und zur radikalen Veränderung der Ökonomie und der Institutionen nicht finden.

Bahro plädiert für eine Bewußtseinsrevolution. Sie müsse damit beginnen, daß wir begreifen, wie wir alltäglich leben, auf welche Weise wir der Selbstausrottungslogik verhaftet sind. Verbunden sein sollte das mit der Kontrolle unserer Kräfte und Mächte vom Herzen her. Meditation könne helfen, die Innenwelt zu verändern und sich vom unbewußten Fremdbestimmtsein und der Dominanz der Ich-Perspektive zu befreien.

Die Vision für eine Umkehr in den Metropolen hänge davon ab, wie schnell der Mehrheit klar werde, daß sie aus der eigenen Interessenlage heraus die monopolkapitalistische Gesellschaftsform beseitigen und eine andere materielle Versorgungsgrundlage schaffen muß. 

Die Alternative sieht Bahro nach wie vor im Aufbau von Basisgemeinden der neuen Ordnung in Gestalt eines netzwerkartigen Verbundes von Gleichgesinnten, die überall lokale kommunitäre Zusammenhänge schaffen. Dabei sollte die ökonomische Grundlage so weit wie möglich der Entwicklung der sozialen Verhältnisse, dem Selbstentfalten und -verändern untergeordnet werden - ein Ansatz, der durch eine nichtkonventionelle Opposition flankiert werden müßte. Opposition als Thema aber taucht bei Bahro nur in den herkömmlichen, zweifellos kritikwürdigen Existenzformen auf.

Der Ansatz für eine neue Politik wäre seiner Ansicht nach schon möglich, wenn die Massenkommunikation und die Institutionen schrittweise von den herkömmlichen Macht- und Besitzstandsinteressen befreit werden könnten. Die gültigen ökonomischen und politischen Zwänge sollen durch die Einsicht, daß unsere gesellschaftliche Praxis in allen Ebenen tod-orientiert ist, von innen her aufgeweicht werden. Mit Hilfe von einflußreichen Menschen oder solchen, die es werden. Diese könnten dann auch eine schrittweise Neuinstitutionalisierung vornehmen, um den Boden für die Umkehr zu bereiten.

Die Rechtssphäre und der Staat müßten herausgelöst werden aus der Funktion, Diener der materiellen Expansion zu sein. Ein Oberhaus sollte Fragen des Allgemeinwohls unabhängig von den speziellen Sonderinteressen behandeln. Eine Rettungsregierung als begrenztes Projekt, um die Megamaschine anzuhalten und den Ersatz für ihre Versorgungsfunktionen zu schaffen, könnte den Durchbruch im Überbau leisten.

Sind jedoch die Grundlagen in der Bevölkerung dafür nicht entwickelt, würden wir m. E. sehr schnell eine ökodiktatorische Notstandsregierung haben. Welch wichtige Funktion hätte deshalb in diesen Prozessen eine Opposition, die auf die neue Ordnung orientiert! Natürlich kommt es dabei darauf an, den Gegner mitzuerlösen. 

Für ganz entscheidend hält Bahro eine Volksbewegung, die bis zur Volkserhebung geht, um die ökonomische Expansion zu stoppen. Nur von woher wird der Impuls dafür kommen? 

Für die neue Ordnung müßte die Grundversorgung wieder auf den Nahbereich zusammengezogen werden. Die Arbeitsteilung würde wesentlich von den Kommunen her neu aufgebaut. In diesem Bereich sind wesentliche Konflikte unbehandelt, da sich Gesellschaftsart auch danach richtet, wie und was hergestellt wird, und unter welchen Bedingungen sich der Austausch der Produkte vollzieht.

Für ziemlich problematisch halte ich, daß die Analysen nicht vom Allgemeinverständlichen zum schwerer Begreifbaren aufgebaut sind. Dadurch werden konflikt­beladene Sachverhalte nicht genügend differenzierbar. Es käme darauf an, die verschiedenen Gedankenebenen zu hinterfragen und von unterschiedlichen Ausgangskonstellationen die Vision einer neuen Ordnung weiter zu entwickeln.

Auf jeden Fall liegt hier ein Werk vor, in dem Fragen unserer Zukunft behandelt werden. Es könnte den Anstoß für eine Rettungsbewegung geben, die sich in verschiedenen Formen manifestiert, jedoch ein gemeinsames Ziel verfolgt. 

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