Michael Jäger 

Leben und "Werk" lassen sich bei
Bahro so wenig wie bei Goethe trennen

 

Freitag.de 

11.10.2002 

Bahro.Biografie   

Bahro.Start

Jäger lang im Ökonet

 

 

Dass fünf Jahre nach Rudolf Bahros Tod eine mehr als 600seitige Biografie über ihn erscheinen würde, war nicht unbedingt zu erwarten, hat er doch keine Institution, keine Schule, keine Lehre hinterlassen und war schon zu Lebzeiten einflusslos, ja geriet zunehmend in geistige Isolation. 

 

Wenn dieser Mann trotzdem erinnerungs­würdig sein sollte, was wäre der Grund? Das ist die Frage, die man sich beim Lesen stellt. Antwort: Zunächst zweifellos sein filmreifer Lebenslauf. Leben und "Werk" lassen sich bei Bahro so wenig wie bei Goethe trennen. 

 

Bis 1979 in der DDR zum prominentesten Dissidenten aufgestiegen, dann führender Politiker, bald schon führender Dissident der Grünen in Westdeutschland, 1989 zurück nach "drüben", dort der scheiternde Versuch, ein "Institut für Sozialökologie" an der Humboldt-Uni aufzubauen — dabei überlässt er eine von ihm gegründete Landkommune sich selbst, sie geht in gerichtlich geführten internen Auseinandersetzungen unter, während er es interessant findet, in Sachsen eine neue anzuregen — ein Mann, in dessen theoretischen Äußerungen Liebe und erlösende Weiblichkeit eine Hauptrolle spielen, in dessen Beziehungs­leben aber der Selbstmord seiner zweiten Ehefrau Beatrice vorkommt, die mit ihrem Sprung von der Siegessäule ein leicht lesbares Zeichen setzt — eine geistige Entwicklung vom schöpferischen Marxisten der <Alternative> (1977) zum "spirituellen" Ökologen der <Logik der Rettung> (1987) welchen Reim soll man sich darauf machen?

 

Die Autoren geben die Frage an den Leser weiter. Sie selbst haben nur akribisch Fakten und Zitate zusammengetragen. Hier und da verallgemeinern sie, sprechen aber kein Gesamturteil aus. 

Obwohl sie ihr Objekt bewundern, ja für bedeutend halten, stellen sie es schonungslos dar und sogar bloß. Den Mann und auch seine Umstände. Allein schon die ausführliche Darstellung des Prozesses, den Bahro in der DDR über sich ergehen lassen muss, weil er das SED-kritische Buch <Die Alternative> geschrieben und im westdeutschen gewerkschaftsnahen EVA-Verlag veröffent­licht hat, würde die Lektüre der Biografie lohnen.

 

 

Wer sich fragt, ob die DDR nicht doch ein Rechtsstaat gewesen ist, kann hier fündig werden. Der "Rechtsstaat" verbot es den Anklägern, offen zu sagen, dass sie einen Mann mundtot machen wollten, der Kommunist und dennoch — nein, gerade deswegen — Systemkritiker der DDR war. Oh ja, sie hielten sich an das Verbot. 

Sie führten den "Nachweis", dass Bahro ein spionierender Nachrichtensammler sei: Das Buch, das er aus einem Schwulst uninteressanter Sätze zusammengepappt habe, diene nur dem Zweck, Nachrichten in ihm zu verstecken — ungefähr so, wie man Maden im Speck aussetzt — und mittels der Idioten vom EVA-Verlag dem imperialistischen Spionagedienst in die Hände zu spielen.

Man hat den Eindruck, dass selbst Bahro, als er vor diesem Gericht stand, dessen Perfidie nicht ertrug und deshalb nicht bis auf den Grund durchschaute. Denn warum argumentierte er umständlich, die angeblichen Nachrichten seien überall bekannt; es handle sich um Empirie, die er zur Abstützung seiner Theorie gebraucht habe? Die Ankläger wussten doch, dass er das wusste. 

 

Sie irrten weder, noch wäre es treffend, sie als Lügner zu bezeichnen. Vielmehr übten sie verbale Gewalt. Sie gaben Bahro zu verstehen, dass ihre Übermacht ihnen jedes noch so absurde Unsinnswort gestattete. Es kam nur darauf an, dass sie sprachen, was auch immer, während von Bahro bald nichts mehr zu hören sein würde. Darin freilich hatten sie sich getäuscht. Ganz so wehrlos, wie diese "Materialisten" glaubten, war das Recht denn doch nicht. Internationaler Druck zwang sie, Bahro bald aus der Haft zu entlassen. Seine Übersiedlung nach Westdeutschland glich einem Triumphzug.

Die Gedankenwelt, die Bahro in Westdeutschland entfaltete, ist ohne seine Erfahrung mit der SED wohl kaum zu verstehen. Man muss sich vor allem klar machen, dass er wenig Grund hatte, die kaputte Staatskommunikation der DDR nur von außen zu kritisieren; er selbst hatte sie als junger Mann gepflegt, bevor der Einmarsch der Warschauer Pakt-Staaten in die CSSR ihn zum Oppositionellen machte. 

 

Die Autoren der Biografie gehören zu denen, die Bahros "spiritueller" Wende in den achtziger Jahren etwas abgewinnen können, aber fassungslos halten sie fest, wie er sich in den Neunzigern dem gestürzten Erich Honecker politisch und menschlich anzunähern versuchte. 

Der Schnittpunkt der unvereinbar scheinenden Strebungen könnte die früh in der DDR erworbene Nihilismus-Erfahrung sein. Nihilismus nicht als Weltanschauung, damit hatte Bahro nie Probleme, war er doch selbst lebenslang damit beschäftigt, Weltanschauungen zu erfinden. Nihilismus vielmehr als Erlebnis der eigenen privaten Nichtigkeit, so wie Hannah Arendt — die für den späten Bahro ein besonders wichtiger Bezugspunkt wurde — es als Mentalitätsmerkmal der Glieder totalitärer Massen beschrieb. 

Wenn wir ihn so interpretieren, passt es zusammen, dass er auf der einen Seite Honecker als seinesgleichen akzeptieren, auf der andern seinen faustischen Forschungs­drang auf die Frage konzentrieren konnte, als wer oder was man eigentlich auf der Erde zerstörerisch herumläuft. Denn das ist der Focus seiner "spirituellen" Neugierde.

 

Seit den frühen 80er Jahren vergleicht er immer wieder die Situation der oppositionellen Gruppe, in der er kämpfend leben will — das sind ein paar Jahre die Grünen, dann sucht er selbst eine neue Gruppe aus dem Boden zu stampfen —, mit der Situation der Urchristen im antiken Rom. Das war nun eine nihilistische Zeit, hochzivilisiert mit Arenen, in denen die Massen zusahen, wie von zwei Gladiatoren einer den anderen töten musste. Sogar der Kirchenvater Augustin gab zu, dass er, schon Christ geworden, sich der Faszination solcher Mord-Inszenierungen kaum entziehen konnte. 

 

Dahin entwickelt sich unsere Zeit zurück oder wieder voran, glaubt Bahro offenbar. Er möchte sich wie Augustin mit anderen zu einer Art Kloster zusammentun, um den eigenen nihilistischen, "exterministischen" Anteil zu verwinden. Schon in der <Alternative>, die am Realsozialismus noch ähnlich Kritik übt wie die Trotzkisten, auch mit vergleichbarem Wissenschaftler-Gestus, schlägt am Ende eine Sehnsucht durch, die SED, reformuliert als "Bund der Kommunisten", möchte eher Kirche als Partei sein. In der <Logik der Rettung> spricht Bahro dann offen von der "Gemeinschaft der Heiligen".

 

Wie hätten das die Grünen begreifen sollen, ihm gar folgen können? Ein Rezept, das den Hintergrund eines so dunklen Zeitalters voraussetzte, schien einfach anachronistisch zu sein. Man brauchte sie nur anzusehen: Trotz aller Radikalität ihres "ökologischen" Protests lebten sie unverkennbar in einer heilen Welt. 

Bahro hingegen sagte nicht bloß wie viele andere, dass die Nazi-Zeit eine nihilistische Regression war, sondern dass sie quasi andauerte. Deshalb seine Enttäuschung über die Grünen: Weil diese nicht wie Urchristen, sondern eher mehr und mehr wie gewöhnliche Parteitaktiker agierten, fürchtete er schon 1984 eine Rekonstitution der Nazibewegung mitanzusehen. 

Es war nur konsequent, dass er bald darauf seine eigene Hoffnung in das anstößige, ja skandalöse Bild des neuen "grünen Adolf" fasste. Das hieß eben: So nihilistisch, wie es die Nazis erkennbar waren, sind alle im Osten wie im Westen, weshalb sich nur von innen heraus, nur durch die zerstörten Existenzen selber ein Exodus formieren ließe. 

 

Doch änderte die Unterscheidung des guten vom bösen Adolf nichts daran, dass Bahro, gar nicht anders als Adolf der Reale, jedenfalls eine Kirche neben der vorhandenen Kirche errichten wollte. Der Konservative Günther Rohrmoser schlug deshalb das Gespräch mit ihm aus.

 

Wie Bahro in den Vorlesungen der 90er Jahre versucht, Lebensbedingungen "sozialökologischer Gemeinschaften" auf Basis der Selbstveränderung der Individuen theoretisch zu klären, wobei er nicht nur auf Hannah Arendt, sondern auch auf Norbert Elias, Martin Heidegger, Hans Jonas, Claude Lévi-Strauss und viele andere zurückgreift, kann in der Biografie nachgelesen werden. 

Es ist eine spannende Lektüre auch für den, der Bahros geistige Vorstöße nicht überzeugend findet. 

Die entscheidende Frage ist, ob man sein Problem­bewusstsein für ein Problem­bewusstsein hält oder nur für eine irre Marotte.

 

 

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