Michael Jäger

 

Auf der Suche nach dem verlorenen Selbst 

 

Rudolf Bahro, Hannah Arendt,
Hitler und das alte Rom

 

2002 

 

 

Goog.Autor  

Oeko-Net.de  

 

detopia

Bahro.Start 

Bahro.Biografie 

Jäger kurz im Freitag

31 Anmerkungen  

 

"Das von ihm Geschaffene steht als Torso da; nun gilt es, daran weiter zu denken." So endet die Rudolf-Bahro-Biografie von Herzberg und Seifert. Eine Rezension über dieses bewegende Buch habe ich schon geschrieben. (<Freitag>, 42/2002).

Hier möchte ich der Einladung der Autoren folgen und das, was mir Bahros hauptsächlicher Denkanstoß zu sein scheint, skizzieren, zuspitzen und zum Teil auch kritisieren.

Bahro hat bald nach seinem Umzug in die Bundesrepublik Hannah Arendts Buch über den Totalitarismus gelesen (S. 510 f.). Das lag nahe für einen, der sein Leben in der DDR verbracht hatte. 

Viel deutet darauf hin, dass dieses Buch eine Art Konversion in Bahro bewirkte. Denn als er es rezensierte, nahm er eine wesentliche Korrektur an der Argumentation der <Alternative> vor, des 1977 veröffentlichten Buchs, das ihn bekannt gemacht hatte. Dort hatte man lesen können, der stalinsche Terror, so sehr er den nur "protosozialistischen" Charakter der Sowjetunion demonstriere, sei geschichtlich notwendig gewesen, denn die sowjetische Gesellschaft habe in die Industrialisierung hineingetrieben werden müssen (S.177).

Bahro folgte hier noch dem realsozialistischen Geschichtsverständnis, das einst von Stalin kodifiziert worden war: dass eine Reihe von historischen Stadien (Gesellschafts­formationen) "gesetzmäßig" mit dem Endergebnis des Kommunismus aufeinander folgten. Von Bahro wurden zwar andere Stadien postuliert als von den realsozialistischen Lehrbüchern, doch der Stadienlogik als solcher blieb er treu und musste deshalb die "Notwendigkeit" des Stalinismus "beweisen", weil sonst im Geschichtsablauf eine Lücke geklafft hätte. 

Nun aber, nachdem er Arendt gelesen hatte, schrieb er, der Weg der sowjetischen Industrialisierung sei falsch gewesen: Er sei nur daraus erklärlich, dass die Sowjetunion sich "reaktiv" ins Schlepptau des Westens habe nehmen lassen.

 

Ich stelle mir vor, dass Hannah Arendts Ausführungen über die Psychologie totalitärer Menschen ihn tief erschüttert haben müssen. Spuren dieses Bebens findet man über sein ganzes weiteres Leben verstreut. "Ich gehe der Frage nach: Warum zerstört der Mensch sich selbst und die Erde?" (S. 506) 

Kein Zweifel, hier spricht der Kommunist, der sich zum Ökologen gewandelt hat. Aber wenn der Ökologe noch 1992 hinzufügt: "Wir müssen das anerkennen, was in uns selber DDR ist. Im Guten wie im Bösen" (S. 523), dann gewinnt die Rede von Selbstzerstörung eine Tiefendimension, die über das Thema Ökologie weit hinausreicht. Denn von Selbstzerstörung hat Arendts Totalitarismus-Buch auch ohne ökologische Konnotation zu berichten. 

Totalitäre Bewegungen, lesen wir da, löschten "die individuelle Identität des einzelnen für die Dauer seines Lebens ... aus".2

"Selbstlosigkeit, nicht als Güte, sondern als Gefühl, dass es auf einen selbst nicht ankommt, dass das eigene Selbst jederzeit und überall durch ein anderes ersetzt werden kann, wurde ein allgemeines Massen­phänomen".3

Nicht einmal Nietzsche habe dieses "Phänomen eines radikalen Selbstverlusts" vorausgesehen, "diese zynische oder gelangweilte Gleichgültigkeit, mit der die Massen dem eigenen Tod begegneten oder anderen persönlichen Katastrophen, und ihre überraschende Neigung für die abstraktesten Vorstellungen, diese leidenschaftliche Vorliebe, ihr Leben nach sinnlosen Begriffen zu gestalten, wenn sie dadurch nur dem Alltag und dem gesunden Menschenverstand, den sie mehr verachteten als irgend etwas sonst, entgehen konnten".4

 

Wenn man die Konstellation von Selbstverachtung und Abstraktionsgläubigkeit noch um das Moment vervollständigt sieht, dass das materielle Elend der totalitären Massen "zumeist durchaus erträglich [war] dank der Sozialversicherung moderner Staaten""aber das gab ihnen die verlorene Beziehung zu einer gemeinsamen Welt nicht wieder"5 —, dann fällt es schon nicht mehr schwer, ein mögliches Analyse-Instrument nicht nur des Lebens in Nazi-Deutschland, sondern auch des DDR-Lebens, aber auch des Lebens in der Bundesrepublik darin zu sehen. 

Das jedenfalls kam Bahro sofort in den Sinn, eben weil er den stalinschen Totalitarismus als "reaktiv" und die gewöhnliche europäische Arbeits- und Lebensweise, also den Kapitalismus und seine Kultur, als Quell einer "Massenvernichtungs- und Selbstmordlogik" ausmachte, die sich auch ökologisch auswirkte.

Und er fragte weiter: Arendt hatte die moderne Massenbewegung schlechthin als totalitär begriffen; musste von diesem Urteil nicht auch die neueste ökologische und Friedensbewegung betroffen sein? (S. 510 f.) Wem eine solche Frage überzogen scheint, der möge sich an Habermas' legendäre Bemerkung über den "linken Faschismus" der 68er-Bewegung erinnern. 

Von hier aus erklärt sich Bahros irritierender Auftritt beim Hamburger Parteitag der Grünen, der im selben Jahr 1984 stattfand, in dem er die Arendt-Rezension veröffentlichte. Dass die Grünen ihm zufolge nach einem formell ähnlichen Muster wie die Nazis aufstiegen, bedeutete schlicht, sie stiegen als Bewegung auf, und zwar als die Menschen ihrer Epoche, welche sie allenfalls in dem Maß hätten transzendieren können, in dem es ihnen möglich geworden wäre, sie, die Epoche, zu begreifen. 

Eben das, so sah Bahro, war durchaus nicht der Fall und wurde gar nicht ernsthaft versucht. Vielmehr wollten die Grünen einfach zur Macht, das heißt zunächst in die Koalition mit der SPD und damit "in die Metropolis", wie er extrapolierte und verallgemeinerte. (S. 409)

Er hielt eine solche Entwicklung zwar nicht für zwangsläufig, glaubte aber, sie könne nur durch einen "Prozess der Selbstreinigung" vermieden werden (S. 511). Daran wollte er nun außerhalb der Grünen weiterarbeiten. Das war sein Dilemma: Gerade weil er den Anspruch der Bewegungsförmigkeit nicht aufgab, führte ihn Arendts Analyse zu der Frage, wie eine Bewegung ungeachtet der löblichen Ziele, die sie proklamieren mochte, vor allem sich selbst entdecken und umstülpen konnte. Von daher versteht man sein Lob für Martin Heidegger. Dieser Mann habe als Nazi den Nazismus von innen heraus überwunden. Und zwar habe er mit eben dem Willen zur Macht gebrochen (S. 579), den Bahro auch an den Grünen kritisierte. Bahro konnte von der Entwicklung der Ökopax-Bewegung nur bestenfalls erhoffen, dass sie dem Heidegger-Modell folgte: totalitär entstehend und doch imstande, das Nazi-Analoge in sich selbst zu beseitigen.

Das fasste er in die Worte, es gelte diesmal statt eines braunen einen "grünen Adolf" hervorzubringen (S. 517 ff.). Vielleicht meinte er damit sich selbst, denn jenen Willen zur Macht entdeckte und geißelte er auch in der eigenen Person (S. 385). Die Worte waren geschmacklos; Bahro hatte eine fatale Neigung, sich möglichst läppisch auszudrücken, wohl weil er glaubte, die Sache selbst komme dadurch ungeschminkter zum Ausdruck. Wie sehr es jedoch in der Sache gegründet war, dass sein Gedanke so prompt auf Hitler fiel, werden wir sehen.

 

Was Arendt Totalitarismus nennt, muss als eine Konkretion von Nihilismus angesehen werden, wenn "Selbstlosigkeit, nicht als Güte" ihr psychologisches Merkmal ist. Von Arendt angestoßen, wird Bahro auf eine Vielzahl von Dimensionen des Nihilismus, also von Zuständen der Leere und des horror vacui, der Absurdität und der abstrakten ziellosen Macht,(6) eigenständig aufmerksam. Ihm hilft das Katastrophen-Szenario der Zeit seines Umzugs in die Bundesrepublik: die Erfahrung einerseits der ökologischen Krisen, andererseits des "Exterminismus" der NATO, welche, wie es nach 1980 den Anschein hat, die atomare Auslöschung der Bundesrepublik als möglichen Kollateralschaden einer Raketenstationierung in Kauf nimmt. 

Ihm hilft auch die Erinnerung an die eigene DDR-Biografie — er begreift sich nachträglich als Glied einer totalitären Masse. Brechts frühe Gedichte über die Städte, von denen "bleiben [wird]: der durch sie hindurchging, der Wind", fallen ihm ein (S. 512). Bei Mumford kann er lesen, die Raumrakete sei für das System der "Megamaschine" auch deshalb exemplarisch, weil sie "am zwecklosesten in bezug auf greifbare, nützliche menschliche Resultate ist".(7) 

Der Nihilismus war zu sehen, wenn man nur die Augen aufsperrte, und Bahro sah ihn nicht zuletzt im Irak-Krieg. Schon dessen Beginn sagte ihm genug, er brauchte nicht den "11. September" abzuwarten:

"Man begreife die heutige internationale Konstellation überhaupt nicht, wenn man diese als Gegensatz Totalitarismus bzw. Fundamentalismus versus Demokratie fasse. Fundamentalistische Tendenzen, wie sie sich etwa in Saddam Hussein — einer ursprünglich vom Westen hochgezogenen <Kreatur> — manifestieren, seien Reaktionen auf den <Selbstlauf dieser riesigen zivilisatorischen Maschine, die wir uns hier geschaffen haben, mit den Konsequenzen, die das auch für unsere eigenen Interessen bis ins Militärsystem hinein hat, die wir uns manchmal gar nicht klarmachen. Denn dieser komfortable Lebensstandard hier ist natürlich unhaltbar, wenn nicht die Waffensysteme mindestens bereitstehen — wir würden erstürmt werden, wir wissen das. Unterschwellig wissen wir das.> 
Hier bei uns, in den Metropolen, müsse die Hauptverantwortung gesucht werden für die <despotischen Verhältnisse, für den Terror, der sich über die übrige Menschheit legt>" (S. 511 f.), 

... inzwischen aber, wie wir wissen, auf die Metropolen selber zurückschlägt.

 

Diese Metropolen nun erinnern Bahro immer wieder — und das hatte er nicht bei Arendt gelesen — an das antike Rom als Metropolis-Modell. Damit aber an die Alte Kirche, die es erfolgreich unterwühlte. Er stellte sich vor, die von ihm inspirierte Bewegung könne sich, statt nach dem Muster der Nazis, vielmehr nach dem Muster der Alten Kirche entwickeln. Eben in einem "Prozess der Selbstreinigung" — von Menschen, die, obwohl in nihilistischer Zeit sozialisiert, aus ihr dennoch den Ausstieg fanden. Dieser Ansatz bedingte, dass Bahro sein Konzept in einer religiös strukturierten Sprache durchdenken musste, angefangen mit der Vorstellung, sozial­ökologische Gemeinschaften würden etwas wie "Klöster" sein; er sprach von "spirituellen" Erfahrungen, einer "Glaubens- und Pfingstzeit" und dem gelingenden "Wettlauf mit der Apokalypse" (S. 405 ff., 436). 

Hieran ist beides interessant: die Anlehnung an christliche Muster, aber auch die zugrunde liegende Idee, es gebe eine Analogie zwischen Zuständen im 20. Jahr­hundert und solchen im antiken Rom, wobei offenbar unterstellt ist, dass eine Wiederkehr nihilistischer Zivilisation stattfindet. Viele werden die Idee absurd finden. Aber uns muss auffallen, dass Hitler sie auch hatte — von dem Joachim Fest meint, er habe die Angst seiner Epoche repräsentiert und nur das, neben der Unterstützung der Industrie selbstverständlich, könne der Grund seines erstaunlichen Erfolgs gewesen sein.(8)

 

Hitler stand auf der anderen Seite einer Barrikade, die er mit auffallend ähnlichen Worten beschrieb wie später Bahro. Als seine Lebensaufgabe sah der "Führer" es an, den Wiederholungsfall der erfolgreichen Unterwühlung jenes Roms zu verhindern.(9) Das schloss auch direkt die Vernichtung der Kirche ein, die er für die Nachkriegszeit plante. Er wollte den Papst auf dem Petersplatz hängen sehen.(10) Wie Bahro am Stil der Christen, wollte er sich am Stil der Cäsaren orientieren.(11) Seine Herrschaftsmethode und -ideologie weist auch tatsächlich Ähnlichkeiten mit dem römischen Vorbild auf. Dieses bedeutete den Durchbruch zu einer Ordnung, die auf nackter militärischer Gewalt basierte. Die römischen "Kaiser" waren eigentlich weiter nichts als Militärdiktatoren. Gewalt setzten sie nicht nur nach außen, sondern auch gegen Bürgerkriegskonkurrenten ein. 

Im Krieg verschiedener römischer Armeen gegeneinander lag überhaupt der Ursprung des neuen "Prinzipats". Es suchte sich aber als Macht der Ordnung gegen das Chaos zu rechtfertigen — ein Rückgriff auf älteste Mythen, der anfangs durchschlagend erfolgreich war. Zu den tradierten Institutionen verhielt sich die neue Macht parasitär: Der Senat zum Beispiel blieb bestehen, verlor aber jeden Einfluss. Die Cäsaren stützten sich auf das einfache römische Volk in Waffen, dem Arbeit (d. h. damals Land) versprochen wurde als Folge der Zugehörigkeit zur soldatischen Gemeinschaft. 

All das beobachten wir cum grano salis auch bei Hitler, der im Übrigen ja auch eine Sklavenhaltergesellschaft aus Herrenvolk und "unterworfenen Fremdstämmigen" wiedererrichten wollte.(12)

Die hysterische, offenkundig aus Angst gespeiste Begeisterung des römischen Volkes,(13) aber auch eines Staatsdichters wie Vergil für Augustus, lässt sich schon mit der Begeisterung für den deutschen Princeps, den "Führer", vergleichen. Doch gegen Augustus wurde Christus verkündet.(14) Die das taten, unterstrichen in einem Frontalangriff gegen die Ideologie des Prinzipats dessen Nihilismus. Während Vergil den Cäsaren die Beendigung des Krieges zuschreibt — "dann sänften sich rauhe Geschlechter"(15) —, sieht Paulus, wenn er über "die Leiden der jetzigen Zeit" schreibt, vielmehr eine "der Nichtigkeit unterworfene" Welt, eine "Knechtschaft des Verderbens".(16) 

Der Verfasser der "Offenbarung des Johannes" enthüllt ein paar Jahrzehnte später den Mechanismus dieser Welt: Das Nackte, Nihilistische der Macht verschwindet vorerst hinter dem glitzernden Schein der Metropole — "Und deine Händler waren die Großen der Erde, denn von deinen Zauberkünsten wurden alle Völker in Irrwahn geführt"(17) —, doch das wird aufhören, die Macht selber wird diese Hüllen abwerfen müssen, sie wird gezwungen sein, ihren Zynismus und ihre Perspektiv­losigkeit zu zeigen.(18) Als das bald tatsächlich geschah, verstanden es viele, weil die Kirche es angekündigt hatte. So wurde das System unterwühlt — und man fragt sich, ob Hitler, wenn er diese Situation für das Modell hielt, darin nicht sogar so weit gegangen sein könnte, auch seinerseits die Kirche — nicht irgendeine Analogie zur Alten Kirche, sondern die Kirche selber, wie sie noch im 20. Jahrhundert buchstäblich existierte — als seinen Hauptfeind zu begreifen.

Sie gehörte ja jedenfalls neben dem "Weltjudentum" und dem Bolschewismus zu Hitlers großen Feinden. Dass er sie zunächst noch nicht angriff, kann ihre geringere, aber auch ihre größere Bedeutung in seinen Augen bedeuten. Er hätte jedenfalls, wenn sie der Hauptfeind gewesen sein sollte, gar nicht anders handeln können, als er es tat: sie als den Feind, der am meisten in der Gesellschaft verankert war, erst am Ende auszuschalten. Im Übrigen bildeten Christen, Juden und Kommunisten, wenn man sie aus hinreichendem Abstand und in nihilistischer Perspektive betrachtete, eine einzige Konstellation. Das Christentum ist überhaupt weiter nichts als der Versuch, die Heilsgüter der jüdischen Religion, wie sie die "Propheten" verstanden haben, der ganzen Welt zuzuleiten — das hieß damals: der ganzen römischen Welt. Es waren ja auch Juden, die als Erste die christliche Religion in der römischen Welt verbreiteten, so dass die Cäsaren, wäre damals schon die Rassenideologie vertreten worden, wohl auf den Gedanken hätten kommen können, die neue Lehre als Rassen-Eigentümlichkeit anzusehen und entsprechend zu verfolgen. 

Von Hitler aus gesehen, stand hinter der Bedrohung der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung, die vom Kommunismus ausging, eine dem Christentum ähnliche, ja ihm letztlich verpflichtete Ideologie, und das Christentum seinerseits wurzelte im Judentum.(19) Insofern, als das Christentum im Judentum wurzelte, wären die Juden dann doch Hitlers nicht nur vorgeblicher, sondern wirklicher Hauptfeind gewesen. Und ich vermute ohnehin: Man kann im Antisemitismus aller Jahrhunderte die meist uneingestandene Wut vieler Menschen darüber sehen, dass die Kirche ihnen die Botschaft jenes Gottes der Juden aufgezwungen hatte, der ihren "Willen zur Macht" nicht unterstützte und ihnen auch nicht ersatzweise ein Leben nach dem Tod verhieß.

Doch kommen wir auf Bahro zurück. 

Ein Vergleich Bahros mit Hitler zeigt zweierlei: Bahro bewunderte zwar die Christen, während Hitler ihren Verfolgern nacheiferte; aber wenn Hitler entschlossen war, die Verfolgung buchstäblich fortzusetzen, so war Bahro weit entfernt, den Bogen zur Gegenwart ebenfalls zu schlagen und sich auf die Seite der vorhandenen Kirche zu stellen.

 

Wenn Bahro der Meinung war, es gebe eine Analogie zwischen den Zuständen im 20. Jahrhundert und der nihilistischen Welt des Roms der Cäsaren, so hatte er viel Anlass, seine Geschichtsphilosophie zu überdenken. Ich erwähnte schon, dass er den historischen Stellenwert des Sowjetkommunismus ganz anders bewertete, nachdem er begonnen hatte, die Welt des 20. Jahrhunderts als nihilistische Welt einzuschätzen. Doch eigentlich war seine ganze Idee, die Geschichte als Abfolge von Gesellschaftsformationen zu begreifen, in Frage gestellt. 

Bahro hatte sie zwar schon in der <Alternative> etwas anders vorgetragen, als man es aus den realsozialistischen Lehrbüchern kannte: Wie Schichten, lehrte er, lägen die Formationen aufeinander, sodass eine aktuelle Revolution wie die sozialistische erst einmal nur zur Abtragung der obersten Schicht führen könne; dann würden die vorkapitalistischen Herrschaftslogiken sichtbar, die bei bloßer Beseitigung des Kapitalismus fortdauerten, ja ihr Haupt erst richtig erhöben (S. 175 f.). 

Jetzt war er aber auf eine ganz andere Logik gestoßen: Es schien, als kehrte eine vergangene Epoche, der andere Epochen gefolgt waren, einfach wieder. Was bedeutete die Wiederkehr "Roms"? War es ein "Rückfall" in die "Barbarei"? Oder umgekehrt der Wiederaufstieg zu einer besonders hohen Zivilisationsstufe, wobei sich als Merkmal von Zivilisationshöhe nicht Barmherzigkeit, sondern Grausamkeit erwies?

 

Bahro blieb trotz der Erinnerung an Rom bei seinem Schichten-Modell. Er sprach jetzt von einer "Tektonik des Verderbens". Freilich waren die Schichten, die er 1987 in der <Logik der Rettung> vorstellte, ganz anders geartet als jene, die er zehn Jahre zuvor in der <Alternative> beschrieben hatte. Damals hatte er kapitalistisches Privateigentum, Ausbeutung der Frau und Herrschaft der Stadt über das Land sowie der Kopf- über die Handarbeit unterschieden (S. 175 f.). Das waren nicht die Formationen aus Stalins Geschichtsschema, doch blieb Bahro der offiziellen Linie darin nahe, dass auch diese die "Muttermale" älterer Gesellschaften bemerkt und zu ihrer Beseitigung aufgerufen, ja energische (dabei oft selbst wieder barbarische) Anstrengungen dafür unternommen hatte. Es bestand auch darin eine Übereinstimmung, dass die Leitfrage der Aufzählung von Schichten die Frage nach Formen der Ausbeutung gewesen war. Diesen "Ökonomismus" hatte Bahro in der <Logik der Rettung> abgelegt. 

In seiner zweiten Tektonik unterschied er ganz allgemein zwischen Formen der Entfremdung von der Natur mit zerstörerischen Folgen. Zuoberst lagen nun der Exterminismus als letztes Stadium der Zivilisation, das Industriesystem der Megamaschine und der Expansionismus des Kapitals. Hier programmiert und dirigiert die Maschine den Menschen, erklärte Bahro. Die Schicht darunter war die "europäische Kosmologie", ein von Johan Galtung geliehener Begriff. Hier erscheint der Mensch als Herrscher über die Natur und Gott als projiziertes "Über-Ego". Noch tiefer grabend stieß man auf das Patriarchat. Ganz unten aber, so Bahro, begegnet der "Genotyp", die conditio humana überhaupt. (S. 416 ff.)

Man sieht auf den ersten Blick: 

In der zweiten Tektonik ist zwar das gegenwärtige Zeitalter als nihilistisches beschrieben, doch fehlt jeder Hinweis, dass es "Rom" schon einmal gegeben hat. Bahro folgt vielmehr einem Modell der Entfaltung; die Tektonik hat vor allem die Funktion, den gegenwärtigen Nihilismus auf eine ursprüngliche Keimform zurückzuführen, eben den "Genotyp". Im Prinzip ließen sich beide Modelle, das der Wiederkehr und das der Entfaltung, wohl miteinander vereinbaren. Man könnte es so sehen, dass Bahro sich eben darauf beschränkt, gleich nach dem zu fragen, was die Grundlage des Wiederkehrenden sei. Dies scheint für ihn die Entfremdung von der Natur zu sein. Sie wirkt sich verschieden aus, je nachdem, was die Charakteristika der Schicht sind. So könnte man ihn interpretieren, so wird man auch seinem Gedanken gerecht, dass in allen Schichten etwas Aufhebenswertes sei und man sie insoweit gar nicht abzutragen, sondern einzutragen, zu integrieren habe (S. 507) in den erhofften "Homo integralis" der nahen Zukunft. Jedes Mal aber, so glaubt Bahro mit Jean Gebser, einem Kulturphilosophen der Zwischenkriegszeit, sei die Entfaltung einer Schicht auf eine "defiziente Phase" hinausgelaufen; da legt sich die Vermutung nahe, dass es so etwas wie einen allgemeinen Mechanismus der Defizienz geben könnte, wenn nicht gar den ursprünglichen Fall in die Defizienz.(20)

 

Solche Überlegungen sind durchaus notwendig. Man sieht es, wenn man sich der vorhandenen Parallelen und Alternativen erinnert. Denn Geschichtsbilder machen sich auch andere. Zu den allfälligen Versuchen, Geschichte als fortschreitende Rationalisierung zu erklären, wie etwa denen von Weber und Cassirer,(21) befindet sich Bahro in wohltuendem Gegensatz. Sein Geschichtsbild ist nicht linear, so wenig wie das Michel Foucaults, mit dem er auch das archäologische Herangehen teilt. Es ist auch nicht eindimensional wie jenes der Historiker der "Energiesysteme".(22) Das alles spricht für seinen Ansatz. Gegen ihn spricht, dass Bahro nicht wie Foucault in Diskursformationen, sondern allein dinglich — physisch und psychisch — denkt. Dieser Umstand ist dafür verantwortlich, dass die Ergebnisse, die er mit dem Ansatz erzielt, eher oberflächlich und pauschal, ja banal wirken. Denn welchen Anhalt kann er haben, die Überlagerung seiner Schichten zu beschreiben? Es muss notwendig spekulativ bleiben. Ein Diskursanalytiker ist in einer viel komfortableren Situation. Er hat es mit Sprachzeugnissen zu tun. Wie ein und derselbe Text als Palimpsest verschiedener Diskurse und damit der hinter ihnen stehenden Institutionen und Praktiken funktioniert, kann gegebenenfalls sehr konkret gezeigt werden.(23)

Als "Genotyp" stellt uns Bahro das "übergewichtige" Großhirn des Menschen vor. Es habe die Möglichkeit der Verselbständigung gegen den "fühlenden Körper" geboten, als dessen Organ es eigentlich funktionieren soll. Diese Möglichkeit sei realisiert worden. So sei aus dem Gehirn ein kompensatorisches Machtinstrument geworden. Daraus sei die "Expansionsdynamik" des Menschen entstanden. (S. 420 f.) Das ist Bahros tiefste Erklärung des Nihilismus. Ich glaube nicht, dass sich daraus irgendetwas retten lässt. Aber soviel kann man sagen: Es ist deshalb ein Fehlschlag, weil Diskursanalyse fehlt. Bahro zahlt eben den Preis der Verdinglichung. Insofern ist es doch wieder nützlich, gerade an Bahro anknüpfend über Bahro hinauszudenken.

Man wird fragen: Was soll das Diskursive am "Genotyp" sein? Etwa die "Sprache" der DNS-Moleküle? Nein, keineswegs. Ich möchte eine Behauptung über den "genotypischen Diskurs" gar nicht aufstellen. Nur darauf, dass die Kirche das tut, will ich hinweisen. Dieser Hinweis ist deshalb wesentlich, weil wir damit noch einmal Anschluss zur Grundkonstellation finden: unsere nihilistische Zeit — in der "Rom" wiederkehrt — das von der Kirche unterwühlt wurde — was Hitler für die Zukunft ausschließen will — woran jedoch Bahro anknüpft. Bahro wollte für die Kirche nicht Partei nehmen, wohl aber sich an ihr ein Beispiel nehmen. Werden wir zuletzt feststellen, er hätte gut daran getan, sich auch gerade an dem, was sie für den "genotypischen Diskurs" hielt und welchen Umgang damit sie einrichtete, ein Beispiel zu nehmen?

Die historisch erste Gestalt, in der sich die Kirche hierüber äußerte, war die Lehre von der "Erbsünde". Diese Lehre ist selber stark biologistisch geprägt, wenn auch weniger stark als Bahros Lehre. Denn die Sünde wurde nie als etwas Biologisches expliziert. Biologisch war aber der Weg, auf dem sie von einer Generation zur nächsten angeblich übertragen wurde. Freilich reden wir von einer Lehre nicht des Neuen Testaments, sondern Augustins, der sie mehrere hundert Jahre nach Christus formulierte. Die Sätze der Bibel, auf die er sich bezog, werden von der heutigen Theologie ganz anders verstanden: ohne Biologie, vielmehr rein diskursiv. Es handelt sich um eine von Paulus angestellte Überlegung, die mit den Hinweis beginnt, dass "durch den einen Menschen" — nämlich Adam — "die Sünde in die Welt hereinkam, und durch die Sünde der Tod"; entsprechend sei "auch der Tod zu allen Menschen" durchgekommen.(24)

In der hebräischen Bibel wird erzählt, wie das kam. Es war kein Ereignis der Evolutionsgeschichte, sondern ein originärer Wortwechsel. Gott verbot etwas, Adam tat es trotzdem; zur Rede gestellt, begann er zu lügen. Was verbot Gott? Adam sollte sich nicht anmaßen, über Gut und Böse richten zu wollen. Denn dies war nur Gott möglich, dem Inbegriff des Endes der Zeiten. Der Mensch, der es vorher tat, vergewaltigte die ihm unbekannten, im Schoß der Zeit noch schlummernden Möglichkeiten. Doch Adam war zu hochmütig und zu träge, um das Verbot befolgen zu wollen.(25) Deshalb brach er es. Und es trat ein, was Gott für diesen Fall vorausgesagt hatte: Todes- und Nichtsangst — "Nacktheit" — bemächtigte sich seiner.(26) Aber er gestand es nicht ein. Er log.

Es ist heutzutage nicht schwer, die Aktualität dieses Modells zu erkennen, sind uns doch repräsentative Menschen, die die Welt in Schurkenstaaten, Laue und Gottes eigenes Land einteilen, wohl bekannt. Aber von diesem Modell aus können wir auch bereits die Explikation des Begriffs der grundsätzlichen Sünde durch die moderne Theologie verstehen: Er bezeichnet eine Todes- und Nichtsangst, die man dadurch schlecht bewältigt, dass man andere vorschiebt und vernichtet, tötet oder schädigt, quält, verachtet, lieblos behandelt, weil man sich selber ungeliebt nichtig erlebt; aus Hochmut und Trägheit verdeckt man diese Angst durch Lügen. Alles, auch der Hochmut und die Trägheit selber und vor allem die Lieblosigkeit, findet in den Lügen ihre Artikulation und Zusammenfassung. Und damit sehen wir: Wir haben es mit einer diskursiven Logik zu tun. Denn Lügen sind Sprechakte, ob man sie nun zu anderen, zu sich selbst oder zu Gott spricht.

 

Mir scheint, dass man auf diesem Weg sehr gut den Ort der "Sünde" in der Welt begreifen kann, die Bahro mit uns allen geteilt hat. Mit dem Umstand, dass jeden Tag 24.000 Menschen an den Folgen von Hunger sterben,(27) haben "du und ich" natürlich rein gar nichts zu tun. Aber zwischen mir und, sagen wir, dem Konzernchef von Monsanto liegen nur drei oder vier Diskurs-Relaisstationen: Ich habe schon mit mehr als einem Bundesminister gesprochen, dieser mit dem Bundeskanzler, dieser mit dem US-Präsidenten, dieser mit Monsanto. Außerdem leben wir in einer Demokratie und in der atlantischen Gemeinschaft. Und es gibt Wahlen. Alles, was geschieht, ist also in einem dichten diskursiven Netz, das ich voll mittrage und mitverantworte, miteinander verknotet. Gegen dieses Netz und seine grotesken Lügen — es ließe sich gegen die 24.000 Todesfälle pro Tag nichts tun, oder es würde schon genug getan, oder es würde alles getan, was im Bereich des Möglichen liege — könnte man sehr wohl sehr viel mehr tun. Man tut es nicht, weil man hochmütig und träge ist und lügt; weil man Angst hat.

Diese Verfassung des Menschen wird von der Kirche nicht als genotypisches Naturgesetz aufgefasst, sondern als universelle Folge eines kontingenten Diskur­sereignisses. Das Ereignis wird in der Bibel als ein einziges dargestellt, man muss sich aber natürlich vorstellen, dass es immer wieder geschah, jedes Mal nämlich, wenn Adam auf den Plan trat, das ist "der Mensch". Der Mensch ist bekanntlich das Tier, das die Fähigkeit erlangte, den eigenen Tod voraussehen zu können. Mit jener Lüge, die die Bibel in Erinnerung ruft, hat er kontingent, aber mit universeller Folgewirkung darauf reagiert. So universell die Wirkung aber auch ist, kann sie selbst wieder nur eine kontingente sein. 

Wir haben es eben mit einem ganzen Diskurs der Lüge zu tun, dessen Dominanz sehr wohl unvorhanden sein könnte, es aber faktisch nicht ist — der, mit einem Wort, nur als in Frage gestellter existiert. Eine kühne Behauptung? Vom Standpunkt der Bibel nicht. Denn sie zeigt diesen Diskurs von vornherein und immer wieder als einen, dem widersprochen wird. Es ist auch tatsächlich so, dass man ihn nur unter der Bedingung, dass er als schon zurückgewiesener erscheint, überhaupt sehen kann. Die "Sünde" existiert nur für die, die wissen, dass sie sie nicht haben wollen und doch fallweise immer wieder haben.

Der Diskurs der "Sünde" ist also immer schon eingeschlossen in den Diskurs, der ihm widerspricht; das ist die conditio humana und — wenn man will — der "Genotyp". "Denn Gott hat sie alle im Ungehorsam zusammengesperrt, um sich ihrer aller zu erbarmen."(28) Auf der Ebene der Verdinglichung stellt es sich freilich umgekehrt dar. Da sieht man die Institutionen, auf die sich der Diskurs des Widersprechens stützt, und man sieht, sie sind ihrerseits eingeschlossen, ja marginalisiert und oft bedroht von einem übermächtigen, sie auch selbst durchdringenden Meer der Lüge.

Und doch sollen sich die Widersprechenden selber einer anderen Wahrnehmung befleißigen: "Ihr seid das Licht der Welt"; das Licht darf nicht "unter dem Scheffel" stehen,(29) denn die Welt muss es sehen können; also sind jene Institutionen nötig — nicht als Leinwand im Autokino, die den Film der siegreichen Wahrheit zeigt, sondern als erster Stein des Anstoßes im Blickfeld derer, denen widersprochen wird. Als das "Dass" vor dem "Was" der Botschaft.

Wie gesagt:  

An der kirchlichen Betrachtung der grundsätzlichen Sünde nahm sich Bahro, als er über den "Genotyp" nachdachte, kein Beispiel. Aber ist er damit aus der Konstellation entlassen, die sein Denken wie mit Hitler so auch mit Hitlers Feind, eben der Kirche, subjektiv und objektiv verbindet? Jedenfalls erkennt man erst vor dem Hintergrund der referierten kirchlichen Vorstellungen, worauf Bahro eigentlich zusteuerte: Er glaubte tatsächlich, er könne in seinen Arbeitsgruppen, in der "Lernwerkstatt", der "Landkommune" mit der Abschaffung der Sünde beginnen!

Schon seine Auseinandersetzung mit den Grünen war auf diesen Fluchtpunkt zugelaufen. Was hatte er der Partei denn vorzuwerfen, als er 1984 mit ihr brach? Dass ihr Machtstreben "in die Metropolis" führe, war noch nachvollziehbar. Jedoch worin ihr "Prozess der Selbstreinigung" hätte bestehen sollen, bleibt schleierhaft. 

Charakter­istisch Bahros Worte, als er den Bruch vollzog: "Die Grünen ... wollen nirgends raus." (S. 409) 

Wohl hat er damals gewusst, dass er der Partei damit zumutete, sie solle sich wie die Urkirche aufführen, der gesagt war: Ihr seid nicht von dieser Welt.(30) Er bedachte aber niemals, dass nicht einmal die Kirche je auf den Gedanken gekommen war, die Sünde abschaffen zu wollen — und dass sie trotzdem beträchtliche Veränderungen in eben der Welt durchsetzte, von der sie nicht war. Sollte ihr das nicht gerade deshalb gelungen sein, weil sie im Kampf mit der Sünde realistisch bescheiden blieb und deren Abschaffung allein Gott überließ? So trat sie auch nie dem Umstand, dass es staatliches Machtstreben gibt, als solchem entgegen, sondern bestand nur darauf, daneben auch zu existieren. Sie bestand auf dem kritischen Dialog mit der jeweiligen Macht. Die Kirche lehrte niemals den Ausstieg, vielmehr die Umkehr — das ist etwas ganz anderes.

Bahros Neigung zum totalen Bruch war dem Herangehen der Kirche keineswegs überlegen. 

Diese Feststellung entwertet aber nicht seine Diagnose, wir erlebten die Wiederkehr spätrömischer nihilistischer Zustände. Im Gegenteil, gerade diese Diagnose lässt uns fragen, warum er sich nicht auf die Seite der Kirche stellte, die gegen jene Zustände einmal entstanden war und eben deshalb von Hitler als Feind angesehen wurde. Warum wollte er stattdessen eine neue Kirche erfinden — eine "vorgeordnete institutionelle Ebene ganz anderen Charakters", die "dem Primat ... des Friedens Ausdruck ... verleiht"?(31) 

Doch das ist nur eine von vielen Fragen, die sich stellen, wenn wir Bahros Rom-Hypothese ernst nehmen — ich meine, wir sollten sie ernst nehmen, nicht nur weil heute sogar ausdrücklich von einem "Neuen Rom" die Rede ist —, an der es nun weiterzudenken gilt. 

Bahro hätte mit den Grünen nicht brechen, sondern ihnen einen politisch praktikablen Weg des Umgangs mit nihilistischen Zuständen vorschlagen sollen.

 

 

 Ende

 

Anmerkungen: 

1)  Rudolf Bahro — Glaube an das Veränderbare., Links, Berlin 2002, S. 582. Weitere Hinweise auf Seitenzahlen der Biographie sind in den Haupttext eingerückt. Meine Rezension ist in Freitag 42/2002 erschienen. 

2)  Hannah Arendt: <Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft>, München 1986, S. 507.

3)  A.a.O., S. 510 f.    4)  A.a.O., S. 512.      5)  A.a.O., S. 511.

6)  In seinem letzten Vortrag spricht Bahro ähnlich wie Nietzsche von einer "Annihilation des Wertehimmels", vgl. "Die Idee des Homo integralis — oder ob wir eine neue Politeia stiften können", in: kultuRRevolution 38/39, Essen 1999, S. 8-12, hier S. 10.

7)  Lewis Mumford: Mythos der Maschine. Kultur, Technik und Macht, Frankfurt am Main 1977, S. 683.

8)  Vgl. Hitler. Eine Biographie, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1976, S. 15 ff., S. 127 ff., S. 144 f.

9)  "In einem Brief aus dem Jahre 1941 schrieb Hitler an Mussolini, die letzten fünfzehnhundert Jahre seien nichts anderes als eine Unterbrechung, die Geschichte stehe im Begriff, 'auf die Wege von einst zurückzukehren‘. Und wenn es ihm nicht darum ging, die Verhältnisse von ehedem wiederherzustellen, so doch deren Wertsystem, ihren Stil, ihre Moral angesichts der von allen Seiten hereinbrechenden Kräfte der Auflösung: 'Endlich einen Damm gegen das hereinbrechende Chaos!‘, wie Hitler ausrief." (a.a.O., S. 148)

10)  A.a.O., S. 943.    11)  A.a.O., S. 733 f.     12)  A.a.O., S. 928.

13)  Vgl. Pierre Grimal: Der Aufbau des römischen Reiches (Fischer Weltgeschichte Bd. 7), Frankfurt am Main 1966, S. 237 f.

14)  Lukas 2, 1 ff.; vgl. Jacob Taubes: Die Politische Theologie des Paulus, München 1993

15)  Aeneas 1, 291. Und schon damals glaubt man auf etwas wie Konzentrationslager als Realität dieses Versprechens zu stoßen (1, 293 ff.): "Des Kriegs durch eiserne Klammern gefügtes,/ Schreckliches Tor fällt zu. Da drinnen hockt die vermessne/ Wut auf dem Mördergewehr, durch hundert Fesseln im Rücken,/ Eherne, fest umstrickt und knirscht mit dem blutigen Maule."

16)  Römer 8, 20 f.    17)  Offenbarung 18, 23.      18)  Vgl. Offenbarung 17, 16 f.

19)  Hitler hat diesen Gedanken einmal ausdrücklich vorgetragen "unter Berufung auf Jesaja 19, 2-3 und Exodus 12, 38": vgl. Fest, Hitler, A. a. O., S. 302.

20)  Vgl. Die Idee des Homo integralis, a.a.O., S. 9. Bahro referiert zustimmend Gebsers Annahme, das Wiederkehrende in den Phasen der Defizienz sei "die Inflation der Quantität", was für den Ausgang der Antike mit dem "Wirrwarr und Mischmasch der Mythen" belegt wird — aber wenn der spätrömische Nihilismus nicht viel mehr wäre als das, wäre er Bahro niemals als Modell erschienen.

21)  Max Weber: "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus", in Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I, Tübingen91988, S. 17-206; Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, 3 Bde., Darmstadt21953/54.

22)  Z. B. Debeir / Deléage / Hémery: Prometheus auf der Titanic. Geschichte der Energiesysteme, Frankfurt am Main/New York/Paris 1989.

23)  Bahros vehemente Zurückweisung von Diskursanalyse ist dokumentiert in kultuRRevolution 20, Essen 1988, S. 62-64 ("Ein Brief von Rudolf Bahro"): "Alle regulären Diskurse spielen im Unwesentlichen ..." "Diskurstheorie lenkt offenbar alle Energie und Aufmerksamkeit auf die tote Ebene", sie "lenkt ab von dem Versuch, Kontakt mit der biosozialen Realität der Historie selbst aufzunehmen". Auch in diesem Brief kommt Bahro auf Rom zu sprechen.

24)  Römer 5, 12.

25)  Die Trägheit lag darin, dass er Eva nicht widersprach. Ohne den sexistischen Charakter der Rollenverteilung zwischen "Adam" und "Eva" in Abrede zu stellen, muss man doch wissen, dass in anderen Texten der hebräischen Bibel das jüdische Volk insgesamt als verführbare Frau Gottes metaphorisiert wird (Hosea, Hesekiel) und dass auch Adam nicht als moderner Privatmann — Robinson — auftritt, sondern wie Eva als Kollektivperson. Wahrscheinlich ist er als biblische Alternative zum Pharaonen- und sonstigen Gottkönigtum aufzufassen: auch als Mumie nicht haltbar, "denn Staub bist du und zum Staub wirst du kehren" (Genesis 3, 19). Augustin verglich Adam mit Aaaron, der "bei Anfertigung des Götzenbildes dem irrenden Volk ... zustimmte, ... weil er seinem Drucke nachgab" (Vom Gottesstaat. Buch 11 bis 22, hier Buch 14, Kap. 11; München 1955, S. 181). Analog scheint Karl Barth die Aburteilung Jesu durch Pilatus, der dem Volk nachgibt, in der Perspektive der Adamsgeschichte zu sehen (vgl. "Rechtfertigung und Recht", in Theologische Studien 1, Zürich 1938, S. 3-47, hier S. 9 ff.).

26)  Zur Interpretation der Metapher der Nacktheit vgl. 2. Korinther 5.: "Wir stöhnen denn auch im Hiesigen — voll Sehnsucht: unsere himmlische Hausung darüberzuziehen, da wir ja nur, wenn wir sie übergezogen, nicht nackt erfunden werden."

27)  Medienhandbuch Entwicklungspolitik 2002 (Hrsg. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), Berlin 2002, S. 139.

28)  Römer 11, 32.
29)  Matthäus 5, 14 f.
30)  Johannes 15, 19.
31)  Die Idee des Homo integralis, A.a.O., S. 12.

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