Anmerk      Start 

542 Tage

Für Franz (Widmung)

 

9-19

Dienstag 1.11.1983, 0.15 Uhr  [noch zu Hause]

Letzte Nacht habe ich geträumt, ich sei in New York, doch hatte ich nicht einen Dollar und mußte alles klauen, was ich wollte oder brauchte. Das war ein Traum – jetzt folgt die Realität. Seit 15 Minuten bin ich offiziell kein Zivilist mehr. Und in wenigen Stunden geht es ab. Der Tag, vor dem ich schon so lange gezittert habe, ist nun gekommen. Ich habe überhaupt nichts unternommen – wie erbärmlich.

Schon vor einem Jahr habe ich in meinem Kalender den 1.11.1983 angekreuzt und drauf geschrieben: Der schwarze Dienstag.

Das bißchen Freiheit ist jetzt auch noch flöten. Was habe ich für große Töne gespuckt, als ich aus Moskau zurückkam – alles Schall und Rauch. Wie hasse ich diesen Staat, der (wie wahrscheinlich jeder) mit einem macht, was er will. In den nächsten 1 ½ Jahren ist es mir auch verboten, Tagebuch zu führen2 – was darf man überhaupt?

Wie tief ist der Abgrund zwischen Wunschtraum und Realität. Gestern noch in New York und morgen früh Schütze Arsch im letzten Glied – für die Bonzen den Arsch hinhalten. Eines ist mir jetzt wieder klar – Ich haue eines Tages ab. Hoffentlich schiebe ich diese Entscheidung nicht ein Leben lang vor mir her, so wie ich es auch mit dem Leben selbst oft versuche. Habe ich was zu verlieren? Besteht die Möglichkeit, was zu verlieren? Ja, zu verlieren hätte ich eine materielle Sicherheit, die ich mir hier eventuell erhalten könnte. Doch gewinnen könnte ich die Welt oder die Gosse. Aber diese Gedanken können jetzt 1 ½ Jahre ruhen. Lebe wohl, Du kleine, ganz scheinbare Freiheit


01.11.19833

Am 1. November wurde ich zum Militär eingezogen. Was ich am ersten Tag erlebt habe, übersteigt alles, was ich mir bisher vorstellen konnte.

Es begann alles in einem langen dunklen Flur mit vielen numerierten Türen. Nur ein schwaches Licht, das durch die verglaste Tür an der Stirnseite einfiel, streifte den auf Hochglanz gebohnerten dunkelroten Fußbodenbelag. Vor einigen Türen wurde dieser Glanz durch Löcher unterbrochen, in denen der bloße bröcklige, staubige Beton freigelegt war. Ein abstoßender Geruch von Bohnerwachs, Waffenöl, Küchendunst und Schweiß stach mir in der Nase, als die Tür der Stirnseite mit einem gläsernen, stumpfen Ton wieder in das Schloß fiel. 

Im kurzen Moment des Eintretens konnte ich am Ende des Flures undeutlich eine stumme Menschengruppe erkennen. Jetzt war die Tür geschlossen und nur noch ihr Schweigen zu vernehmen, die Stelle zu ahnen. Jeder meiner Schritte bis zum anderen Ende des Flures wurde von einem gebrochenen, schleichend hinterhältigen Echo verfolgt. Rechts und links Türen, eine wie die andere, grau mit einer dunkelroten Nummer oben links. Plötzlich stand ich als letzter am Ende der Schlange. Einige wendeten sich kurz zu mir um, um zu sehen, wer noch gekommen ist, um gleich wieder dumpf geradeaus zu gucken.

Es waren Männer, wie man ihnen auf der Straße begegnet, solche, die man nie beachtet hätte, nie angesprochen, sich nie zu ihnen an einen Kneipentisch gesetzt hätte, solche, wie man sie selbst kannte, solche, mit denen man befreundet sein könnte. Doch jeder Blick war leer, erschrocken, noch vom vielen Alkohol des Abschieds gestern oder heute betäubt.

10


Am Abend wurden wir alle, 30 Mann, nackt in eine bis an die Decke gelb gekachelte, mit drei Neonröhren spärlich beleuchtete Kammer getrieben. Aus der weiß gekachelten Decke ragten acht, sich immer zu zweit gegenüberstehende Wasserrohre, die als Brausen über unseren Köpfen endeten. Aus den Brausen spritzte heißes Wasser auf unsere nackten Körper. In dem Nebel war kaum noch ein Körper von dem anderen zu unterscheiden.

Das Desinfektionsmittel, das sich mit dem Wasserdampf vermischte und in dem kahlen, mit zusammengedrängten Menschen überfüllten Raum aufstieg, reizte die Augen, bis sie tränten. In der Luft war mehr Formalin als Sauerstoff. Jeder Atemzug ätzte – quälte. Dann – das Ende – raus.

Doch führte der einzige Weg vorbei an einem Paar schwarzer, auf Hochglanz polierter Schaftstiefel, in denen eine glatte, etwas schmuddelige Stiefelhose steckte, deren Bund von dem Saum einer dunkelblauen Uniformjacke überdeckt war. Eine kurze weiße Kragenbinde lag festgeknöpft in der Innenseite des schäbig um den Hals liegenden Kragens. Rechts und links bäumten sich zwei geknickte, silber umrandete Schulterstücke auf. Ein schmaler Hals, mit einein Kopf, an dem das große Loch einer Zahnlücke abstoßend grinste, stand zwischen zwei zaghaft hochgezogenen Schultern. Von der tief ins Genick geschobenen Schirmmütze war nur noch der schwarze Schirm zu sehen. Vor uns stand Unteroffizier Fischer, mit einem grünen Gartenschlauch in der Hand.

Nur an ihm führte der Weg vorbei: Jedem, der raus wollte – und raus mußten alle – befahl er, sich im Abstand von 1 ½ m mit Blick zu ihm aufzustellen. Grinsend hielt er den Wasserschlauch in der Hand, mit dessen eisigen Wasserstrahl er auf Gesicht, Brust, Schenkel der Nackten einspritzte. Wenn ihn der Haßblick eines Gepeinigten traf, befahl er ihm, sich umzudrehen, um von hinten auf ihn einzuspritzen. "Der Nächste..."

11


Sonntag, d. 25.12.1983 [zu Hause]

Jetzt ist bereits die Hälfte meines Urlaubs vorbei. Doch, es ist wirklich schön, mal wieder hier zu sein. Gestern habe ich mit vielen Leuten telefoniert und wieder mal ein Lebenszeichen von mir gegeben. Unter anderem habe ich mit Dieter telefoniert, der an seine 18 Monate auch noch die schrecklichsten Erinnerungen hat und mich in dieser Beziehung in allem versteht. Kein Staat hat das Recht, einen unschuldigen Menschen 18 Monate seines Lebens zu berauben und ihn in dieser Zeit zu erniedrigen und zu schikanieren. Daß es aber so ist, werde ich nie verstehen und erst recht nicht akzeptieren. Gestern nachmittag war ich, wie auch die letzten zwei Jahre, in der Kirche zum Heilig-Abend-Gottesdienst. Es ist schön, wieder unter Menschen zu sein.

Das Wichtigste ist, daß ich nicht vergesse, nachdem ich aus der Scheiße wieder raus bin, wie beschissen das Leben sein kann. Das ist das Wichtigste. Bloß die Scheiße nicht vergessen. Deshalb wäre es wichtig, Tagebuch zu führen, nicht völlig abzuschalten:

1. Tag — "Maskenball"4
2. Nacht: Lichtschalter abmelden: "Genosse Lichtschalter, gestatten Sie, daß ich Sie betätige"
3. Dobbert5 drückt Mäckelburg den Schlauch der Gasmaske ab. Mäckelburg holt mit dem Gewehrkolben aus.
4. Dobbert spielt mit Kreiensen "Schildkröte"6
5. Tage abbellen

Fischer: "Ihr bleibt jetzt hier im Stillgestanden stehen, ohne euch zu rühren, ohne woanders hinzugucken — nur auf einen Punkt. Ich beobachte euch. Wer sich rührt, dem werde ich es lernen"

Fischer: "Haben Sie denn immer noch nicht begriffen, daß Sie hier nicht denken brauchen."

12


Thomas grinst Dobbert an: bekommt 20 min Sonderbehandlung: Entengang, Häschen hüpf, Liegestütze u.sw., muß Strafloch von 1x1x1 m graben.

Bis jetzt: 1 x im Kino gewesen, 1 x im Club gewesen.7

Nach der sogenannten Komplexausbildung in Losten habe fast alle gesagt: "Wenn wir den Schweinen Draußen begegnen, bringen wir sie um."

Aus den Staaten habe ich, seit ich weg bin, auch nichts mehr gehört. Sollte es mein Schicksal sein, hier eingesperrt und abgeschnitten zu existieren?8

Morgen ist schon wieder mein letzter Tag: Dann ist wieder alles vorbei! Die ganzen zwei Tage fühle ich mich etwa so wie an meinen letzten zwei Tagen in Freiheit. Es besteht nur der Unterschied, daß ich jetzt weiß, was mich erwartet.

 

25.12.1983  19.45 Uhr [zu Hause]

Im Moment bin ich wieder total fertig. Der Alptraum rückt wieder erschreckend näher. Ich fühle mich wie am ersten Tag vor der Einberufung – beschissen. 
Scheiße
Heute Abend war Christine bei mir. Ich wollte mit ihr schlafen. Ich glaube, daß es auch dazu gekommen wäre, wenn sie nicht mit dem Mann, mit dem sie glücklich ist, zusammenleben würde. Ich glaube, daß sie das einzige Mädchen ist, das ich bis jetzt geliebt habe und immer noch liebe (außer Margret9). Vielleicht bin ich an dem Tag, an dem ich sie bekomme, unglücklicher denn je.

Jetzt ist schon wieder Schluß (23 Uhr). Im Urlaub ist doch nichts Weltbewegendes passiert.

Heute Nachmittag war ich bei Lolf10 (meine Eltern auch). Doch leider, es fiel mir erst am Abend ein, habe ich mit ihr nicht über die Problematik meines letzten Briefes gesprochen, wo es unter anderem um mein Verhältnis zu Margret ging.

Lolf hat mir heute gesagt, daß sie nicht sicher sei, ob nicht ihre Post gelesen und ihre Telefongespräche abgehört werden.

13


Weiterhin habe ich heute eine Neujahrskarte an Margret und eine an Gretchen11 geschrieben. I hope that they will keep in touch. Dann war heute abend noch Motte12 für 10 min bei mir. Fünf Minuten später haben uns Beyers besucht. Dieter wollte mich mal wieder sehen und wissen, wie's mir geht. Ich glaube, wenn ich mir immer sage, daß diese Scheiße für mich wichtig ist, daß sie zu meinem Wachstum beiträgt, ist sie um vieles leichter zu ertragen.

 

Sonntag 5.2.1984  [zu Hause]

Mal wieder zu Hause. Heute Ausgang mit Standorterweiterung.13  24 Uhr muß ich wieder drinnen sein. Vorhin habe ich Jens seit dem 1.11.1983 das erste Mal wieder gesehen. Er hatte Fahrschule und ist mit seinem Raketentransporter und auch dem Fahrschullehrer hier vorbeigekommen.

Im letzten Monat war ich in Magdeburg zur Saniausbildung. Es war wirklich nicht schlecht. Endlich mal wieder mit ordentlichen Leuten zusammengewesen. Man konnte mal wieder philosophieren, lesen und vor allem lachen. Wie haben wir — Georg14 und ich — die Leute verarscht. Doch der Abschied vor einer Woche war ziemlich schmerzlich. Mir war wirklich zum Heulen zumute, da ich wirklich tolle Freunde gefunden habe — sehen wir uns wieder? Am 27. April 1985 wollen wir uns in Lübbenau bei Karsten treffen. Hoffentlich klappt es!

Die Zeit in Magdeburg war wirklich schön. Und dann das Erwachen in Bad Kleinen – wie nach einem Traum zurück in der Wirklichkeit.

Eine Nacht in Magdeburg auf dem Krankenrevier — Verzweiflung! Was mache ich, wenn ich fertig mit der Scheiße bin. Was will ich? Werde ich an meinem Leben etwas ändern? Will ich wirklich Fotografie studieren? Will ich mir hier das Leben so gut wie möglich einrichten? Oder will ich abhauen? Ist es dort wirklich besser? Habe ich dort mehr Möglichkeiten? Würde sich dort etwas an meinem Gefühl der Machtlosigkeit und des Eingesperrtseins ändern? 

14


Oder ist das Einzige meine innere Einstellung? Gibt es einen Ausweg (Weg) für mich? Wahrscheinlich bin ich nur ein großer Spinner mit einer großen Schnauze, der im Endeffekt immer nur den Schwanz einzieht!?

Jetzt habe ich noch knapp eine Stunde (18 Uhr 45). 
Zur Zeit arbeite ich noch bis Ende Februar in Wismar im Dahlberg­krankenhaus. Die Arbeit macht mir wirklich Spaß und erfüllt mich auch. Ich sehe nach langer Zeit endlich mal wieder einen Sinn in meinem Tun. 
Noch 445 days.

 

Sonnabend  18.2.84  [zu Hause]

Heute wieder mal zu Hause. Horst, Carola, Sven und Ines sind hier. Erholsam ist es nicht gerade. Totales Chaos in meiner Bude. Ines und Sven sorgen intensiv dafür. Genau das, was ich am meisten hasse.

Seit 14 Uhr bin ich nun hier. Es ist so unwirklich, so kurz. In 5 ½ h muß ich wieder drinnen sein. Doch die letzten 3 Wochen waren wirklich nicht schlecht. Mit Höhen und Tiefen, doch oft unter Menschen.

Vor P/z Wochen habe ich den ersten Brief von Georg bekommen. Ich kann wirklich froh sein, ihn kennengelernt zu haben. Etwa zur selben Zeit habe ich einen Brief von Margret erhalten. Es war wieder ein Erlebnis, diesen Brief zu lesen. Es war ein Orgasmus für Geist und Seele. Ich glaube, daß sie wirklich der Mensch ist, den ich suche. Und nun ist sie mir noch weiter entrückt. Doch habe ich in letzte Zeit wieder öfter von ihr geträumt. Große Entfernungen und physische und psychische Unterdrückung können die Wünsche eines Menschen doch nicht so leicht zerstören. Sie leben immer wieder auf. Margret ist ein Mädchen mit Geist, Gefühl, Willensstärke und bestimmt v.a.m.

Ich kann und will sie nicht vergessen. Ich würde neben ihr bestimmt nur wie ein verdorrtes Mauerblümchen erscheinen, doch habe ich mir bis jetzt wenig Gedanken darüber gemacht. Ich möchte

15


nur wissen, worin ihr Interesse an mir besteht. Weshalb hält sie die Beziehung zu mir aufrecht?

Nachdem ich ihren Brief gelesen hatte, überfiel midi ein wirklich gutes Gefühl. Ich wußte, trotz allem denkt sie an mich. Ich habe etwas, was ihr nicht habt. Ich bin reicher, stärker. Es gibt größere und wichtigere Dinge, das Gefühl, die Beziehung zu anderen Menschen. I love you

Lebe ich nur in einer Illusion? Was soll ich tun? Wahrscheinlich muß ich weniger wünschen und hoffen und mehr handeln, oder? Was will ich?

Ich weiß nicht, ob ich es schon einmal aufgeschrieben habe, doch auch wenn es der fall ist, es ist wert, oft aufgeschrieben zu werden. Es war eines der größten Erlebnisse meines Lebens. Ich habe die Kraft des Glaubens erlebt.

Es war bei einer Komplexausbildung, genauer gesagt, beim Rückmarsch unter Gas, das letzte Stück vor Bad Kleinen. Zuerst mußten wir vor dem LKW herlaufen, danach hinterher, mit ihm Schritt halten. Und er ist weiß Gott nicht langsam gefahren. Ich war kurz vor dem Abklappen. Da habe ich Gott angefleht, mir Kraft zu geben, daß ich den Schweinen nicht den Triumph gönne, mich kleingekriegt zu haben. Ich stellte mir die Prozession Jesu vor, wie er gelitten und bestanden hat. In mir sammelte sich eine unheimliche Kraft, und mein Geist hellte sich auf, ich lachte mit Tränen in den Augen und lief und lief und bestand!

 

18.2.1984  [zu Hause]
Eines Tages breche ich aus! Es geht wieder los! Scheiße!

 

1.3.1984  [zu Hause]

Ich bin mal wieder zu Hause. EU15 von Donnerstag bis Freitag - der längste Urlaub, den ich je gehabt habe. I am glad to be back home for some days. Some days ago I got a letter from Margret. She didn't forget me. It's a great feeling.

16


Am Montag habe ich einen Brief von "Blitz" bekommen. Er schloß mit den Worten: "Wir waren der Entlassung noch nie so nah wie heute." Wie wahr!!!

Es ist jetzt fast ein Jahr her, daß ich Margret kennengelernt habe. Das erste und letzte Mal haben wir uns am 11.3.1983 gesehen, gefühlt, gespürt und lange geliebt.

Gestern abend habe ich den ersten Tag bei dem Scheißverein in mein Gedächtnis zurückgerufen, jedoch nur teilweise. Die Rückbesinnung auf den l .11.1983 an nur einem Abend hätte ich nicht ertragen.

 

Donnerstag  8.3.1984  [zu Hause]

So langsam nähere ich mich wieder einem Tiefpunkt. Mein Urlaub ist fast vorbei — noch ein Tag. Doch er war nicht schlecht — aber leider zu kurz. Gestern hatte mein Vater Geburtstag (59). Ich kann mich noch gut an seinen 50. erinnern. Sind das schon wieder 9 Jahre? — Dumme Frage.

Am Montag habe ich, als ich mit Motte im "Balaton" beim Fasching war, ein Mädchen kennengelernt. Sie ist Betreuerin für eine Gruppe behinderter Kinder, was mich beeindruckte. Was mir auffiel, war ihr aufwendiges Make-up: ein weißer Schwan, der einer schwarzen Schlange gegenüberstand und deren Reviere durch eine schwarze Zickzacklinie, die von der Stirn bis zur Brust ging, abgegrenzt wurden. Auf ihren Wangen war zu lesen: "Make love not war". Das habe ich dann am Dienstag auch versucht umzusetzen. Doch es ist nichts passiert. Ich hatte das Gefühl, daß sie Angst hat. Ich glaube, daß sie sich sehr allein fühlt, aber trotzdem Angst hat, sich anderen Menschen in irgendeiner Form zu verpflichten. Vielleicht liegt es auch daran, daß schon einmal jemand versucht hat, sie zu vergewaltigen. Irgendetwas arbeitet in ihr, geht in ihr vor, doch ich weiß nicht was.

Am Dienstagnachmittag war ich bei Lolf. Es war wieder ein Erlebnis für mich, sie zu sprechen. Sie hat mich über die Form meiner Beziehung zu Margret gefragt. Ich glaube gemerkt zu haben, daß sie sich für mich gefreut hat, als ich ihr auf die Frage, ob es mir ernst sei, mit Ja geantwortet habe.

17


Ich habe bis jetzt einmal in meinem Leben bewußt bemerkt, daß meine Träume auch farbig sind, daß ich auch Farben empfinde.

Lange habe ich mir diese Frage gestellt, und das Leben hat sie mir selbst beantwortet.

Etwa vor einem Jahr habe ich Margret kennengelernt. Eines der größten, wenn nicht das größte Erlebnis in meinem Leben. Ich liebe sie immer noch.

 

Freitag,  9.3.1984  [zu Hause]

Nachdem ich heute bei Sunday war und vor der Ostsee stand, hatte ich den fast unwiderstehlichen Drang, in die Ostsee zu gehen. Ich hatte die Schnauze voll. Wären meine Eltern nicht, ich hätte es wahrscheinlich getan. Doch ich wollte es ihnen nicht antun. Sattler habe ich heute abend im "Balaton" getroffen. Ich habe mich sehr gut mit ihm unterhalten. Er hätte mich fast dazu überredet, doch noch Biologie zu studieren. Er ist großartig. Sunday werde ich wahrscheinlich nie wieder sehen. Heute habe ich wieder einen Brief an Margret geschrieben. Hoffentlich kommt er an!

 

Sonntag  18.3.1984  [zu Hause]

Jetzt ist es schon wieder 9 Tage her, daß ich das letzte Mal in dieses Buch geschrieben habe. Zwischendurch hatte ich eine schreckliche, aber auch herrliche Zeit. Als ich am Freitag aus dem Urlaub kam, hat man mich gleich "gebührend" empfangen: "Na, warte nur auf heute abend". Doch dann bin ich in der Woche dreimal auf Wache gezogen und hatte somit etwas Ruhe vor diesen Vollidioten. Drei Wachen stand ich zusammen mit "Kuddel". Man kann wirklich viel von ihm lernen. Als Seemann hat er schon relativ viel gesehen und erlebt.

18


Einen EK16 von meiner Bude, der mich schikanieren wollte, habe ich einfach einen Abend und einen Vormittag lang ignoriert, ihn übersehen und nicht mit ihm gesprochen. Daraufhin fing er am nächsten Mitlag wieder an, normal mit mir zu reden. Manchmal stimmt das Sprichwort "Reden ist Silber, Schweigen ist Gold", eben doch.

Nebenbei habe ich auf Wache ein Gedicht von Hermann Hesse gelernt, das mir "Blitz" geschickt hat. Es strahlt Melancholie, Mut, Kraft und Wille aus, alles das, was mich beim Militär berührt und was ich brauche:

Gestutzte Eiche:17
Wie sie Dich Baum verschnitten
Wie stehst Du fremd und sonderbar
Wie hast Du hundertmal gelitten,
bis nichts in Dir als Trotz und Wille war
Ich bin wie Du,
mit der verschnittnen gequälten Welt brach ich nicht
und tauche täglich aus durchlittnen Rohheiten die Stirn ans
Licht
Was in mir weich und zart gewesen,
hat mir die Welt zu Tod gehöhnt
doch unzerstörbar ist mein Wesen
Ich bin zufrieden, bin versöhnt geduldig,
neue Blätter treib ich aus Asten,
hundertmal zerspällt
Allem Weh zum Trotze
bleib ich verliebt in die verrückte Welt

 

Heute nachmittag war ich bei Sattler, gute Unterhaltung, tolle Lebenseinstellung, starke Haltung.

Mittwoch kommen wir, glaube ich, von den 400 runter. Ich finde das Tagezählen beschissen, aber trotzdem mache ich es, man muß sehen, wie es weniger wird.

Doch ich war der Entlassung noch nie so nah wie heute.

19

#

 

 ^^^^ 

www.detopia.de