Marie-Louise
/ Maria Luisa
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1950 304 Seiten DNB.Buch auf deutsch 1982 detopia: |
Inhalt Inhalt.pdf
Vorwort von George Woodcock (7) Einführung von Marie L. Berneri (11)
1982
by Karin Kramer Verlag Berlin
Die Utopie eines Tramp (286) Register (290) Anmerkungen (293) Nachwort (294) Literatur (297) Der
Karin Kramer Verlag existiert nicht mehr. |
1. Utopien der Antike (19)
2. Utopien der Renaissance (55)
3. Utopien der englischen Revolution (135) 4. Utopien der Aufklärung (163)
5. Utopien des 19. Jahrhunderts (191)
6. Moderne Utopien ab 1900 (265) Wells, Berdjajew, Huxley, Samjatin |
Ohne die Utopien anderer Zeiten lebten die Menschen noch in Höhlen, elend und nackt. Es waren Utopisten, die den Weg zur ersten Stadt bahnten... Aus großzügigen Träumen entstehen nützliche Wirklichkeiten. Utopie ist das Prinzip allen Fortschritts und der Entwurf einer besseren Zukunft. Anatole France
Mit
der Utopie beginnt der moderne Sozialismus. Ein
Morgen Land in Middlesex ist besser als ein Fürstentum in Utopia.
Utopien werden im allgemeinen als literarische Kuriositäten betrachtet, denen eher bekannte Namen zu Ansehen verhelfen, als der ernstzunehmende Beitrag zu politischen Problemen, die das Zeitalter, in dem sie erschienen, beschäftigten. H.F. Russell
Eine Weltkarte, auf der Utopia nicht verzeichnet ist, ist noch nicht einmal eines flüchtigen Blickes wert, denn auf ihr fehlt das einzige Land, wo die Menschheit immer landet. Und wenn die Menschheit dort landet, hält sie Ausschau, und wenn sie ein bessere Land sieht, setzt sie die Segel. Der Fortschritt ist die Verwirklichung von Utopien. Oscar Wilde Nicht
in Utopia, — unterirdischen Gefilden, —
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Vorwort 1949 von George Woodcook
kanadischer Historiker des Anarchismus. 1912-1995
(83) 7 In <Reise durch Utopia> gibt uns Marie Louise Berneri eine Beschreibung und kritische Einschätzung der wichtigsten - nicht unbedingt die bekanntesten - utopischen Schriften, die — seit Plato in seinem <Staat> den Träumen vom goldenen Zeitalter und von idealen Gesellschaften zum ersten Mal eine literarische Form gab — zweifellos den Menschen seit Beginn seiner bewußten Beschäftigung mit gesellschaftlichen Problemen verfolgen. Ein paar Worte der Erinnerung sind, glaube ich, notwendig, um die Form, die das Buch angenommen hat, zu erklären. Anfang 1948, als der Plan an sie herangetragen wurde, eine Zusammenstellung von Auszügen von Utopien zu veröffentlichen, erklärte sie sich bereit, die Auswahl zu übernehmen, meinte jedoch, daß das ursprüngliche Vorhaben nicht so sehr geeignet sei, da die gefeierten Utopien für den, der sich ernsthaft darum bemühte, in der einen oder anderen Form wohl leicht erhältlich seien, und daß man nicht eine bloße Zusammenstellung brauchte, sondern eher eine Arbeit, die Information und Kommentar verband, sie ausführlich darstellte, jedoch gleichzeitig diskutierte und sie derart verknüpfte, daß die Entwicklung des utopischen Gedankens und seine Rolle in der Geschichte gesellschaftlicher Bedingungen und Ideen deutlich hervortrat. Ihr Vorschlag wurde leicht abgewandelt angenommen, und sie machte sich mit charakteristischer Sorgfalt an die Arbeit, sowohl die verborgenen als auch die vertrauten Utopien aufzuspüren. Schon ein kurzer Blick in dieses Buch und seine Bibliographie zeigt, wie erfolgreich sie war; und man wird feststellen, daß einige der Utopien, die sie aus der Vergessenheit hervorgeholt hat, wie zum Beispiel die von Gabriel de Foigny, sowohl literarisch interessant als auch wichtige Reflexionen der gesellschaftlichen Bestrebungen ihrer Epoche sind. In einigen Fällen gab es keine englische Ausgabe, und Marie Louise Berneri mußte selbst aus dem Französischen oder Italienischen übersetzen; dies war der Fall bei Diderots Nachtrag zu Bougainvilles Reise und Cabets Reise nach Ikarien, während sie Campanellas Sonnenstaat, basierend auf der italienischen Fassung des Originals, neu übersetzte, welche einige Jahre älter war als die lateinische Fassung, die der frühere englische Übersetzer benutzt hatte. Soweit ich hinsichtlich der gegenwärtigen Standardwerke über Utopien feststellen kann, hat keines von ihnen ein so weites Spektrum wie der vorliegende Band, noch es geschafft, das Thema in so erfrischender und anregender Weise zu präsentieren. In ihrem Bericht über Utopien betont Marie Louise Berneri nachdrücklich den intoleranten und autoritären Wesenszug der meisten dieser Visionen, wohingegen die Ausnahmen, wie Morris, Diderot und Foigny nur eine unbedeutende Minderheit bilden. Und weiterhin weist sie darauf hin, daß die Marxisten, obwohl sie immer den Anspruch erhoben haben, im Gegensatz zu den utopischen Sozialisten „wissenschaftlich" zu sein, in der Praxis ihrer tatsächlichen gesellschaftlichen Experimente zu der allgemein rigiden Struktur tendierten, die viele der charakteristischen institutionellen Züge der klassischen Utopien besitzt. Zum Glück haben die Lehren aus dieser Entwicklung ihre Wirkung auf die Menschen heute nicht verfehlt, seien sie nun Intellektuelle oder Arbeiter. Visionen einer idealen Zukunft, wo jegliche Handlung, wie in den Entwürfen Cabets oder Bellamys, sorgfältig reglementiert und in einen Modellstaat eingebettet ist, sind nicht mehr populär, und man kann sich kaum vorstellen, daß ein solches Buch heute zu dem Ruhm gelangte, dessen sich Bellamys <Rückblick aus dem Jahre 2000> Ende des 19. Jahrhunderts erfreute. Es ist bezeichnend, daß es nicht nur Schriftsteller gibt, die sich heutiger gesellschaftlicher Mißstände bewußt sind und Anti-Utopien schreiben, um die Leute vor den Gefahren zu warnen, die ein Weitergehen in Richtung eines reglementierten Lebens mit sich bringt, sondern daß eben diese Bücher dieselbe Popularität besitzen wie die spießigen Visionen eines sozialistischen Paradieses vor 1914. Nach Beendigung von <Reise durch Utopia> erschienen noch zwei bedeutende Bücher dieser Art, die Marie Louise Berneri zweifellos erwähnt hätte, wenn sie noch gelebt hätte. Das eine ist Aldous Huxleys Affe und Wesen (Ape and Essence), eine wahrhaft makabre Zukunftsvision nach dem Atomkrieg, wenn die Menschen in Kanada zu Teufelsanbetern geworden sind in einer Gesellschaft, die sich auf dem Kult des Bösen und des Hasses gründet. Dieses Werk steht streng in der utopischen Tradition und betont seine Lehren für die Gegenwart mit sehr viel mehr Grausamkeit als derselbe Autor in seiner früheren Anti-Utopie Schöne neue Welt (Brave New World). Die zweite dieser neuen Anti-Utopien ist <1984> (Nineteen Eighty Four) des späten George Orwell, eine noch mächtigere Vision einer von Autorität zerstörten Welt, eine Art Verlängerung der logischen Schlüsse aus Platos Staat und allen anderen Utopien, die der menschlichen Individualität feindlich gegenüberstehen. In Orwells <Zimmer 101> (Airstrip One) wird alle Individualität am Ende ausgemerzt, und sogar die Gedanken werden reglementiert in einer Weise, wie sie in früheren Utopien unvorstellbar war. Man kann sich vorstellen, mit welchem Vergnügen ein autoritärer Utopist der Vergangenheit sich dieser Techniken zur Herstellung gedanklicher Gleichförmigkeit bemächtigt hätte, denn in jenen Tagen war all dies noch zu weit entfernt, um Thema von Lehnstuhlvisionen zu werden. Heute bricht der Alptraum über uns herein, die Utopien der Vergangenheit nehmen um uns herum Gestalt an, und wir stellen schließlich fest, daß die scheinbar vergnüglichsten dieser Entwürfe notwendig zu einem grausamen Gefängnis werden, wenn sie nicht fest und sicher auf der Grundlage individueller Freiheit basieren, wie im Fall jener glänzenden Ausnahme Kunde von Nirgendwo (News from Nowhere). Marie Louise Berneris Buch ist nicht nur von akademischem Interesse. Es ist mehr als eine bloße Zusammenstellung und Kritik von Utopien, denn es stellt in erschreckender Weise die enge und verhängnisvolle Beziehung zwischen utopischem Denken und gesellschaftlicher Wirklichkeit heraus und nimmt einen Platz unter den bedeutenden Büchern ein, die in den letzten Jahren erschienen sind und uns von verschiedenen Gesichtspunkten her vor dem Schicksal warnen, das uns erwartet, wenn wir so töricht sind, unser Vertrauen auf eine geordnete und reglementierte Welt zu setzen.
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