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4.  Demokratie

 

 

 

  Bedeutung der Demokratie 

Vor der Französischen Revolution vertrat Jean-Jacques Rousseau die Ansicht, die Demokratie sei eine so vollkommene Einrichtung, daß sie nur für die Götter, nicht jedoch für die Menschen tauge. Die Geschichte gab Rousseau in zweifacher Hinsicht Unrecht. Erstens haben die meisten Staaten westlicher Prägung die Demokratie mehr oder weniger verwirklicht, ohne daß sie von göttlichen BürgerInnen bevölkert sind. Und zweitens sind die modernen Demokratien keineswegs so vollkommen, wie er in idealisierender Schwärmerei annahm.

Auf eine Art hatte Rousseau mit seinem philosophischen Doppelfehlpaß trotzdem recht, denn aus der boolschen Logik wissen wir, zwei Negationen heben sich gegenseitig auf. Wer eben zweimal lügt, dem glaubt mensch nicht nicht. Meine Götter! Ob vollkommen oder unvollkommen, Demokratien sind um ein vielfaches humaner als Diktaturen, werden Sie gelangweilt erwidern. Sind sie es wirklich? Dazu müssen wir erst einmal untersuchen, was Demokratie will und welchen Ansprüchen sie heute genügt.

Nach dem Wortsinn bedeutet Demokratie politische Herrschaft des Volkes, genauer politische Herrschaft des Volkes in der Polis, dem antiken Stadtstaat.

Stellvertretend für Demokratien westlicher Prägung untersuchen wir das Politsystem unserer Bundesrepublik Deutschland. Welche Macht hat das gemeine Volk?

Laut Verfassung hat es das aktive und das passive Wahlrecht und es darf an der politischen Willensbildung durch Demonstrationen, Vereinsbildungen und sonstigen Meinungsverbreitungen teilnehmen.

 

Das aktive Wahlrecht

Durch das aktive Wahlrecht dürfen Sie alle vier Jährchen den Gang zur Urne antreten und bekommen ein reichhaltiges Menü von bis zu etwa zehn verschiedenen Parteien serviert. Von diesen Parteien haben allerdings nur fünf eine reale Chance, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen und nur zwei Parteien schaffen es mit sicherer Leichtigkeit, diesen Hürdensprung ohne gelegentliches Straucheln auszuführen.

Haben Sie Ihre Stimme einer Partei geschenkt, die — wie sich am demoskopischen Wahlabend herausstellt — an der Fünf-Prozent-Klausel gescheitert ist, war Ihre Stimme für die Katz. Ebenso für die Katz war Ihre Stimme, falls sie keinem weiteren Abgeordneten Ihrer Lieblingspartei zum Sitz im Parlament verhilft. Dies ist dann der Fall, wenn die ausgezählte Stimmenanzahl nicht gerade auf der Kippe für den Einzug des nächsten Abgeordneten steht. — Also fast immer. — Kein Wunder, daß so viele fette Katzen und “DemoKater” in der BRD rumstreunen.

Die ungefähre Wahrscheinlichkeit, daß Ihre Stimme bei der Bundestagswahl gezählt wird, läßt sich recht einfach berechnen:

P= Anzahl der Parlamentarier/Anzahl der wahlberechtigten Personen
(natürlich sofern Sie überhaupt wahlberechtigt sind)

Analysieren wir die Bundestagswahl mit Hilfe dieser Formel, müssen wir erschreckt konstatieren, daß bei der Bundestagswahl Ihre Parteipräferenz nur mit einer Wahrscheinlichkeit von rund 500/77.000.000 also 0,00065 Prozent gezählt wird. Oder anders ausgedrückt, mit einer Wahrscheinlichkeit von nur rund 0,00065 Prozent bewirken Sie mit Ihrer Teilnahme an der Bundestagswahl eine minimale Veränderung der Bundestagszusammensetzung! Auch eine Unterscheidung der Erst- und Zweitstimme würde an der Machtlosigkeit der WählerInnen prinzipiell nichts ändern.

 

Selbst diese vernichtend geringe Zahl ist noch sehr gnädig gegenüber unserer parlamentarischen Demokratie. Denn auch jene WählerInnen, die wundersam vom Glück begünstigt sind, können nicht die Partei wählen, die jeweils ihre spezifische Meinung vertritt, sondern nur diejenige Partei, die ihre spezifische Meinung am meisten vertritt. Ein feiner, aber entscheidender Unterschied!

Zum Beispiel hat die wahlberechtigte x-beliebige Person X in Sachen Finanzpolitik dieselbe Meinung wie Partei A, umweltpolitisch tendiert sie jedoch eher zu Partei B und in der Außenpolitik mag sie am liebsten Partei C. Vielleicht entscheidet sie sich nun für Partei C, da sie glaubt, die beiden anderen Splitterparteien hätten sowieso keine Chance.

Wenn wir die Wahlmöglichkeiten von Person X genauer analysieren, kommen wir zu dem Entschluß, X hat mehr als nur einen Kompromiß geschlossen. Lediglich ein kleiner Aspekt der komplexen Meinung von X wurde tatsächlich bei der Wahl berücksichtigt!

Person X ist kein Einzelfall. Die Meinung kaum eines Bürgers oder einer Bürgerin in der Bundesrepublik stimmt mit dem gesamten Parteiprogramm einer bestimmten Partei überein.

Dabei ist das deutsche Parteienspektrum relativ breit gefächert und läßt wenigstens einen verschwindenden Rest von Auswahlmöglichkeiten zu. Im Gegenteil zu dem freien Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wo die AmerikanerInnen faktisch nur die freie, unbegrenzte Auswahlmöglichkeit zwischen zwei Parteien haben, die obendrein fast dieselbe Meinung vertreten. Hier könnte Yankee gleich zu Hause bleiben, da er sowieso nur die Auswahl zwischen einer einzigen Meinung hat. Die “Demo-Carter-ie” ist zu einer Sympathiewahl für das Blendaxlächeln einer der beiden Präsidentschaftskandidaten verkommen.

Es läßt sich auch auf anderem Wege zeigen, daß das passive Wahlrecht der indirekten Demokratie den einzelnen BürgerInnen keinen entscheidenden Einfluß gewährt.

Nach der Grundidee der indirekten Demokratie sollte der Bundestag die Bevölkerung repräsentieren. Die Realität sieht jedoch ernüchternd aus. Nach Analyse der Zusammensetzung des Achten Deutschen Bundestages erkennen wir, daß er nicht im geringsten mit der Zusammensetzung der deutschen Bevölkerung korreliert. Der Anteil der Männer lag bei 92,6 Prozent und das Durchschnittsalter lag mit 47 Jahren weit über dem Durchschnittsalter der wahlberechtigten deutschen Bevölkerung. Die Klasse der Unterdreißigjährigen war dabei deutlich unterrepräsentiert.

Auch in beruflicher Hinsicht war die Bundestagszusammensetzung zugunsten bestimmter Interessengruppen verzerrt. Angehörige des öffentlichen Dienstes, die in der Bevölkerung einen Anteil von 13 Prozent haben, waren im Bundestag mit ganzen 40 Prozent vertreten. Genauso überrepräsentiert waren die Freiberufler mit zwölf Prozent, die in der Bevölkerungsstruktur nur ein mickriges Prozentchen ausmachen.

Hausfrauen, ArbeiterInnen, Arbeitslose, Zivildienstleistende, Azubis, StudentInnen und Rentner, die mit 70 Prozent das Gros der deutschen Bevölkerung darstellen, waren mit gerade mal zwei Prozent so gut wie nicht vertreten.

In letzter Zeit wird von Grünen und SPD versucht, wenigstens die geschlechtermäßige Ungerechtigkeit in der Bundestags­zusammensetzung durch eine Quotenregelung zu mindern. Ein lobenswerter Ansatz, der jedoch nur an den Symptomen eines kranken Politsystems herumquacksalbert, anstatt den wirklichen Ursachen für diese Ungerechtigkeit auf den Grund zu gehen.

Das aktive Wahlrecht hat einzig und allein eine konsolidierende, psychologische Funktion! Durch das allvierjährige Kreuzchenkritzeln bekommen Sie den Eindruck, ihre eigene Meinung zähle und würde durch den Staat geachtet, ja, für wichtig genommen. Ihnen wird vorgegaukelt, Sie könnten durch den Gang zur Urne etwas Entscheidendes in Ihrem Staate verändern.

Sie dürfen als armes Würstchen Ihren Senf Ihrer Wahl dazugeben, doch trotz der tränentreibenden Schärfe bleiben Sie den Machthabern Wurst. Derart verwurstet werden Sie von der Idee abgelenkt, gegen Mißstände zu revoltieren.

Das aktive Wahlrecht ist eine sehr subtile Art und Weise, das Volk zahm und “volk-sam” zu machen. Die durch das Flimmern der Massenmedien verblendete Mehrheit wird zu bequemen notorischen Ja-Sagern transformiert. Nirgendwo werden offensichtliche Mißstände so wenig beachtet wie in Demokratien.

Und zu kritisierende Mißstände gibt es zuhauf, selbst im superreichen Deutschland, das gemeinhin als Wohlfahrtsstaat tituliert wird. Halten Sie sich zum Beispiel folgende aktuellen Miseren in unserem angeblichen Wohlfahrtsstaat vor Ihre naiven Kulleraugen:

Jede einzelne der obengenannten Miseren wäre für sich alleine genommen schon Grund genug, um Millionen von Menschen auf die Barrikaden zu rufen. Doch die Menschen sehen dafür gar keine Notwendigkeit, da sie in einer parlamentarischen Demokratie leben. Politische Entscheidungen in ihrer indirekten Volksherrschaft sollen gefälligst ihren gewählten Parlamentariern da oben überlassen werden.

Die “DemoKröten” haben es sogar soweit gebracht, daß die Menschheit seelenruhig zusieht, wie ihr eigener Planet Erde durch eine schildkrötenschnelle Politflexibilität zugrundegerichtet wird. Es existiert noch ein weiterer wichtiger Grund, diesen “DämonsKröten”, die etwas im Schilde führen, zu mißtrauen. Im Kapitel Gesellschaftssysteme haben wir aufgezeigt, daß Marktwirtschaft stringent in faschistoidem Denken mündet. Die schildbürgerische “Demokrötie” dürfte somit mehr als Gefahr laufen, mit rechtsdrehenden “BiFrontiv-Aktiv-Kulturen” zu einer “Hess-lichen” braunen Schildkrötensuppe verarbeitet zu werden. Die Energie für die völkische Suppenerwärmung läßt sich dabei nur schwer ausmachen, denn sie beruht auf sogenannten demoskopischen “Kriechströmen.”

Ist beim Kreuz der WählerInnen nicht doch ein Haken dabei? Die wuchernden Wahlerfolge von Jean-Marie Le Pen mit seinem “AFront Nationale” in Frankreich, die Reps hierzulande und der internationale Rechtsdrift bestätigen diese Schlußfolgerung. Auch die Asyldebatte hat in dieser Hinsicht Bände gesprochen. Die Haltung aller Parteien zum Artikel 16 rutschte immer weiter nach rechts, bis sogar die SPD zu diesem Thema flüchtlingsfeindlicher war als die einstige CSU — in einer parlamentarischen Demokratie kann eben Rot bräuner als Schwarz sein. Weiterhin sollte uns das jähe Ende der Weimarer Republik zu denken geben. Als deutsche WählerInnen in den rechtsdrehenden Strudel der Weltwirtschaftskrise gerieten, “stahl-ihn-grad die NSDAP.” — Es ist ein Hakenkreuz mit der Demokratie!

 

Das passive Wahlrecht
oder
Friede, Freunde, Fraktionskuchen

 

Das passive Wahlrecht gestattet dem einzelnen Menschen theoretisch, am politischen Leben wirksam teilzunehmen. Die politische Praxis sieht jedoch ganz anders aus. Zwar haben die BürgerInnen das Recht, sich wählen zu lassen und Mitglieder des Bundestages zu werden, aber gerade in der Anfangsphase benötigen alle PolitikerInnen Kapital. Nur diejenigen, die den teuren Wahlkampf, bestehend aus KandidatInnenfaltblättern, KandidatInnenbroschüren, Werbefachleuten, Plakaten, Flugblättern, Beschallungsanlagen, WahlkampfberaterInnen usw. bezahlen können, haben die Chance, in höhere Ebenen der politischen Hackordnung aufzusteigen. Beispielsweise wird schon für einen einzigen trivialen Kommunalwahlkampf pro OberbürgermeisterkandidatIn von 100.000 DM bis 200.000 DM (in Großstädten bis zu 1,4 Millionen DM) ausgegangen.

Daher werden nur diejenigen PolitikerInnen in die gewichtigen Ränge aufsteigen, die entweder selbst gut betucht sind oder SponsorInnen haben.

Gerade der häufigere Fall des MäzenatInnentums ist gefährlich. Denn nur diejenigen PolitikerInnen werden GeldgeberInnen finden, der skrupellos ihre Interessen und ihr moralisches Gewissen zugunsten des Willens von machtsüchtigen, reichen MäzenInnen zurückstecken. Nur dem mit der etablierten Ordnung konformen, gewissenlosen Menschenschlag, der keine eigene Persönlichkeit besitzt, wird in unserem Staat die Möglichkeit gegeben, einen Sitz im Bundestag zu ergattern.

Auch einmal aufgestiegen, werden die PolitikerInnen nie die Chance bekommen, ihre Meinung durchzusetzen, denn sie stehen unter einem allgegenwärtigen Fraktionszwang. Sie werden ihre eventuelle persönliche Meinung zurückstecken, falls diese der Meinung der Parteiführung zuwiderläuft, um nicht von den eigenen Parteimitgliedern diskriminiert zu werden.

 

Das Demonstrationsrecht
oder
Der himmlerische Friede

 

Bleibt als einzige restdemokratische Säule das Demonstrationsrecht stehen. Leider beginnt der Staat auch diesen letzten Pfeiler anzusägen, der das Dach der BürgerInnenmitbestimmung trägt.

Schon Mitte der achtziger Jahre hat die CDU/CSU-Fraktion ein Vermummungsverbot und ein Verbot der passiven Bewaffnung eingeführt. Daß Vermummung selbst ein demonstrativer Akt beziehungsweise eine individuelle Schutzvorkehrung sein kann, kümmert die VerbotsenthusiastInnen wenig. Demonstration ohne Vermummungsrecht ist äquivalent zu einer Wahl ohne Wahlkabine! Die einzelnen DemonstrantInnen müssen ihre Identität preisgeben und können infolgedessen mit Repressalien seitens des Staates, der CheffInnen, der Familie oder der KollegInnen rechnen.

Insbesondere bei Demonstrationen, die totalitären Regimes ein Dorn im Auge sind, sind unvermummte DemonstrantInnen dem Staat hilflos ausgeliefert. Ein Beispiel hierfür ist die Demonstration auf dem Platz des himmlischen Friedens. Nachdem der “himmlische Friede” einem erdenhaften Unfrieden gewichen war, wurden die (unvermummten) DemonstrantInnen mittels Fotos reidentifiziert, verfolgt und verurteilt. Ähnliches ist bei Widerstandsversammlungen gegen den Einmarsch sowjetischer Truppen in die Ex-Ostblockländer geschehen.

Aber nicht nur unter totalitären Regierungen ist Vermummung ein notwendiges Mittel zum Schutz vor späteren Repressalien. Nein, auch in unseren westlichen Ländern sollte das Vermummungsrecht als elementares demokratisches Grundrecht verbrieft werden. Denn die Grenzen zwischen einem totalitären Staat und einem freiheitlichen Rechtsstaat sind fließend und keineswegs scharf gezogene Trennlinien und Staatsformen im allgemeinen haben die Eigenschaft, höchst instabil zu sein. Hat nicht auch das Deutschland der neunziger Jahre implizit totalitäre Tendenzen? Auch die Bundesrepublik wahrt schon lange nicht mehr die Menschenrechte.

Ein Dach über dem Kopf gehört zu den elementarsten Menschenrechten. In Großstädten wie Hamburg ist jedoch selbst die letzte Bruchbude nicht mehr unter 700 DM Miete monatlich zu haben. Zusätzlich steigen die Lebenshaltungskosten ständig. Viele Jugendliche und Arme vermögen diese horrenden Preise nicht zu bezahlen. Die Bestimmungen des BAföGs und des Wohnungsamtes wirken hier wie Ironie.

Von staatlicher Seite aus wird die zunehmende Gewalt bei Demonstrationen und Hausbesetzungen beklagt. Ein Staat jedoch, der sich selbst als Wohlfahrtsstaat tituliert und im gleichen Atemzug seinen BürgerInnen elementare Grundrechte verwehrt wie den Besitz einer eigenen Wohnung, braucht sich nicht zu wundern, wenn die Jugend um dieses Dach über dem Kopf kämpft, notfalls auch mit Gewalt. Es geht schließlich für sie um’s soziale Überleben. Nicht die DemonstrantInnen und HausbesetzerInnen sind die wahren Gewalttätigen, sondern das Wirtschafts- und Politsystem, das die Jugendlichen so sehr in die Enge treibt, daß ihnen nur die Wahl zwischen kriminellen Handlungen oder sozialer Verelendung bleibt. Für sie geht es um menschenwürdiges Leben oder seelischen Tot. Die Schlägereien mit der immer faschistoider werdenden Staatsgewalt sind ein Akt der Verzweiflung.

Das Demonstrationsziel ist Würde und Freiheit. Sie ist angeblich in unserer Verfassung garantiert. Es heißt im Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Doch, ach, würde Würde Würde sein.

Wir dürfen uns getrost fragen, ob die staatliche Gewalt denn wirklich die Würde des Menschen schützt? Wo ist sie denn — die Würde des Menschen? Wo ist sie denn geblieben — die Freiheit in unserem angeblichen Rechtsstaat?

Niemand trägt scheinbar in unserem ach so würdigen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat ausreichend Würde — ausgenommen natürlich die wenigen “Würdeträger.” Wo hat sie sich denn bloß versteckt, unsere vielgepriesene Würde?

Sie befindet sich an all jenen Stellen, in denen der Mensch versucht, sich vom unmenschlichen System abzukoppeln, wie beispielsweise in besetzten Häusern, in selbstversorgenden Wagenburgen und in autonomen Zentren. In diesen Freiräumen kann er wieder ein freier Mensch sein. Die Inseln im System müssen allerdings hart erkämpft werden. Unser übermächtiger Freund und Helfer ist schließlich gut in Schuß und gut im Schuß.

Daß der Staat unter diesen Umständen Schutzhelme der Demonstranten als passive Bewaffnung verbietet, stellt nur die sarkastisch-absurde Spitze des pervertierten Polizeijargons dar. Und mittels dieser korrumpierten Gesetze kann die Staatsgewalt Grundbedürfnisse des Menschen, wie das Recht einen Helm und ein Dach über dem Kopf zu haben, wortwörtlich niederknüppeln. Wir müssen allerdings zugeben, wenigstens benutzt sie in “NächstenHiebe” somit schlagende Argumente. Eine Volksvertretung mag es also in der parlamentarischen Demokratie geben, die Sache hat allerdings einen kleinen Haken: Das Volk wird ausschließlich mit Polizeistiefeln vertreten.

Auch bei fast jeder anderen Massendemonstration geht es um die elementarsten Lebensbedürfnisse. Es gibt nahezu keine andere Demonstration, die nicht primär auf einem Verteidigungsinteresse basiert. Das Grundmotiv ist eine duale Angstabwehr. Erstens gegen dem Massenangebot an bewaffneter Polizei, und zweitens gegen lebensbedrohliche Systemgefahren.

Als in der Habeas-Corpus-Akte in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung definiert wurde, waren Innen und Außen noch eindeutig getrennt. Es mußte erst eine Tür aufgebrochen werden, um in die Wohnung dringen zu können! Strahlen und Chemikalien dringen jedoch hemmungslos durch Türen hindurch und sie verletzen in der Terminologie Kants gesprochen auf dingliche Art persönliches Recht.

 

 

Die Autodynamik der Demokratie
oder
GeldDemokratie gleich WeltDiktatur

 

Ziehen wir Bilanz, ist von der Herrschaft des Volkes in den aktuellen Demokratien nichts mehr übriggeblieben.

Ja, die parlamentarische Demokratie ist sogar nicht einmal die Diktatur einer Majorität über eine Minorität der WählerInnen oder die Tyrannei einer Hand voll Interessengruppen über Millionen von BürgerInnen. — Schlimmer noch, sie ist die Diktatur des Politsystems über die Menschen!

Und keine Menschen üben mehr die Macht aus, sondern ein unbelebtes, autodynamisches System. Es könnte eine Szene aus einem schlechten Horroralptraum sein: Ein unbelebtes, seelenloses Etwas hat Besitz über die Menschheit ergriffen und läßt sie als Rädchen im System für sich schuften. Da autodynamische Systeme keine Persönlichkeit besitzen, kann mensch sie auch nicht hassen oder sie zur Verantwortung ziehen, wie er es mit dem absolutistischen König in der französischen Revolution tat. Der Mensch ist für unser System kein Mittelpunkt, sondern der Mensch ist für unser System ausschließlich ein Mittel — Punkt —

Die wenigsten haben begriffen, daß die gesamte Misere ursprünglich vom Wirtschafts- und Staatssystem kommt. Diese wenigen haben in tiefer Ohnmacht resigniert. Die anderen suchen krampfhaft Sündenböcke, denen sie die gesamte Schuld in die Hörner schreiben können. Die zu entdecken, ist denkbar einfach. Wollen Sie das Denken vermeiden, wählen Sie doch einfach ihr Gericht in folgendem Sündenbockmenü aus. Es ist auch in jeder Stammkneipe oder Witzeria erhältlich:

Die Auswahl an Sündenböcken ist immens, wie Sie sehen. Jeder Mensch hat seine eigenen Sündenböcke, denen er alles Böse in die Hörner schreibt. Sie sollten jedoch null Sündenbock auf gar nix haben! Es gibt nämlich keine definierten Menschengruppen, von denen alles Übel ausgeht. Wir sollten uns vor dieser Schwarzweißmalerei hüten! Sie ist anachronistisch.

Das Böse geht schon lange nicht mehr von Menschen aus, sondern vom Wirtschafts- und Politsystem!

Die Macht in unserem Staat hat weder eine Person im Singular noch Personen im Plural. Die Macht in unserem Staat haben falsch gewucherte Ideologien namens Demokratie und Marktwirtschaft, aus deren Ranken die Menschheit sich nicht mehr zu befreien vermag. Die Wurzeln dieses braunen Unkrautes haben sich so tief festgekrallt, daß sie den Boden unseres Planeten auslaugen und ihn letztlich zerstören werden.

Wir brauchen also vor allem in der Panokratie ein direktes Wahlverfahren, das die Schwächen der parlamentarischen Demokratie beseitigt und eine wahre Volksherrschaft ermöglicht. Diese direkte Beeinflussung durch das Volk nennt sich panokratischer Volksentscheid und wird im folgenden Abschnitt vorgestellt.

 

 

Der panokratische Volksentscheid
oder
Die Quelle der Wahl

 

Da Entscheidungen oberhalb der Poyzellenebene ausschließlich durch direkte Wahlverfahren zustandekommen, muß zu fortschrittlicheren und schnelleren Wahlverfahren geschritten werden als bisher. Schließlich werden von den BürgerInnen schätzungsweise um die fünf Volksentscheide täglich abverlangt.

Wäre die Wahl für die BürgerInnen zu umständlich, würde sich sehr schnell eine Wahlmüdigkeit einstellen, die den Bestand der Panokratie gefährden könnte. Daher ist für den panokratischen  Volksentscheid eine sekundenschnelle Stimmenauszählung per Computer unerläßlich, in dem die BürgerInnen interaktiv mit dem Wahlergebnis kommunizieren.

Das Wahlverfahren muß darüber hinaus für die TjonierInnen leicht einsehbar und überprüfbar sein, damit das Volk die korrekte Wahlausführung leicht kontrollieren kann. Dies muß auch für jene Personen gelten, die keine Ahnung von Informatik oder Elektronik haben.

 

Die Handurne
oder
Tauchen Sie rein!

 

Die Handurne ist ein länglicher Zylinder mit einem kleinen Loch von ~15 Zentimeter Durchmesser an einem Ende. Am gegenüberliegenden Ende sind an der Innenwand zwei Knöpfe angebracht. Der linke nennt sich Minusknopf und der rechte Plusknopf. Drücken die WählerInnen den Minusknopf, bedeutet dies ein Nein, Drücken sie den Plusknopf, ist die Entscheidung ein Ja. Drücken sie keinen der beiden, enthalten sie sich der Wahl. Die Handurne sendet bei Befragung durch einen Zentralcomputer den Status der beiden Knöpfe ab. Der Moyzellencomputer überprüft danach den Mündigkeitsgrad der WählerInnen, addiert die Stimmen, veröffentlicht das Ergebnis und sendet es gleichzeitig weiter an den Poyzellencomputer; dieser addiert ebenfalls die Ergebnisse aller seiner Moyzellen, veröffentlicht sie, und leitet sie hoch an den Fayzellencomputer usw.

Dieser Vorgang nennt sich Elementarentscheid oder kurz Elescheid. Haben insgesamt mehr subsidiarmündige WählerInnen den Plus- als den Minusknopf gedrückt, ist der Gesamtausgang des Elementarentscheides ein Ja. Haben insgesamt mehr subsidiarmündige WählerInnen den Minus- als den Plusknopf gedrückt, ist der Gesamtausgang des Elementarentscheides ein Nein. Der panokratische Volksentscheid besteht aus einer Reihe dieser Elementarentscheide.

Dies mag zuerst einmal recht kompliziert klingen, ist es aber nicht.

Jedes Hobby-Hacker-Kind könnte derartige Software für ein Wahlcomputerset programmieren. Sollte trotzdem aus unerfindlichen Gründen kein derartiges Computersystem verfügbar sein, könnten notfalls auch freiwillige PanokratInnen den Algorithmus per Blatt und Bleistift ausführen.

Die korrekte Ausführung des öffentlichen Wahlverfahrens ist darüber hinaus sehr leicht für jedermensch überprüfbar, da die Wahlergebnisse auf jeder Ebene einsehbar sind. Der große Clou des Verfahrens liegt darin, daß trotz der hohen Computerisierung des panokratischen Volksentscheides null Computerkenntnisse vorausgesetzt werden, um diese Wahlüberprüfung durchzuführen. Mißtrauische WählerInnen benötigen einzig und alleine etwas Grundschulmathematik.

Sie müssen die Stimmen auf jeder Subsidiarebene addieren und die Summe mit der Stimmenanzahl der nächsthöheren Subsidiarebene vergleichen. Sollten die beiden Werte nicht identisch sein, war an der ganzen Wahl etwas faul. Folglich sind Wahlfälschungen in der Panokratie unmöglich.

Zwar ist infolge der Stimmeinsehbarkeit die Wahl nicht mehr vollkommen geheim, dies ist jedoch nicht weiter schlimm, da in einer Panokratie nicht mit Repressalien infolge seiner Abstimmung zu rechnen ist.

Es gibt zwei Arten von panokratischen Volksentscheiden: Die Auswahl und die Wertwahl.

Damit durch die Art der Fragestellung der Ausgang des panokratischen Volksentscheides nicht manipuliert werden kann, sind die beiden folgenden Strategien für Auswahl und Wertwahl notwendig.

 

Panokratische Auswahl
oder
Das entschiedene Jain

 

Die panokratische Auswahl wird immer dann verwendet, wenn die subsidiarmündigen TjonierInnen zwischen verschiedenen Möglichkeiten auswählen. Die einfachste panokratische Auswahl ist diejenige, zwischen den zwei Möglichkeiten Ja und Nein. Sie wird panokratische Binärauswahl, kurz PABA, genannt.

Beispielsweise könnte die Vereinigung zweier kleinerer Moyzellen in jeweils beiden durch einen solche panokratische Binärauswahl erfolgen. Hier stehen nur die zwei Möglichkeiten Vereinigen (Ja) und Nicht-Vereinigen (Nein) zur Debatte. Die gesamte PABA besteht aus zwei Elementarentscheiden:

Etwas komplizierter wird die Sache, wenn das Volk zwischen mehr als zwei Möglichkeiten auswählen muß, beispielsweise zwischen den fünf Lösungsmögichkeiten Rot, Gelb, Orange, Grün und Blau.

Es läßt sich allerdings jede dieser Mehrfachauswahl auf eine Sequenz von panokratischen Binärauswahlen reduzieren. Unser obiges Farbbeispiel könnten wir folgendermaßen in eine PABA-Sequenz transformieren.

Eine erste PABA wählt zwischen warmen Farben (Rot, Gelb, Orange) und kalten Farben (Grün, Blau) aus. In diesem ersten PABA können drei Ergebnisse auftreten:

Beispielsweise wäre auch eine Teilung in Primärfarben (Rot, Gelb, Blau) und Sekundärfarben (Orange, Grün) möglich. Die erste PABA müßte danach so oft wiederholt werden, bis der Bestätigungselescheid ein Ja ergibt.

Nehmen wir einmal an, das wahlmündige Volk hätte sich für die warmen Farben entschieden. Dann könnte ein zweiter PABA zwischen Rot und Sonnentönen (Orange, Gelb) auswählen. Würde sich das Volk für die Sonnentöne entscheiden, würde der dritte und letzte PABA zwischen Orange und Gelb auswählen.

Danach wäre die gewünschte Farbe ermittelt.

Sie mögen sich nun fragen, wofür all der Umstand bei einer panokratischen Mehrfachauswahl gut sei? Könnten wir nicht einfach mehr Knöpfe in der Handurne anbringen?

Leider Nein! Nur durch diese Zurückführung auf panokratische Binärauswahlen lassen sich Manipulationen durch die Art des Wahlangebots vermeiden.

 

Beispielgeschichte für die panokratische Auswahl
oder
FederkoyotInnen zerfleischen sich

 

Auf dem Gelände der Surzelle der FederkoyotInnen steht ein altes ehrwürdiges historisches Museum. Der Zahn der Zeit hat allerdings schon stark an der Bausubstanz genagt. Überall bröckelt der Stuck von den maroden Wänden auf die wertvollen Oevres. Dem hundertzweijährigen Museumswärter blutet bei diesem Anblick sein rüstiges Herz. Er startet daher eine Unterschriftenaktion für die Renovierung des Museums. Da recht viele Menschen das Museum frequentieren, sind die nötigen zwei Prozent der FederkoyotInnen-SurzellistInnen schnell gesammelt.

Kaum geht im FederkoyotInnen-Radio die Ankündigung eines panokratischen Volksentscheides für nächste Woche über den Äther, da erhebt sich bei vielen FederkoyotInnen-SurzellistInnen vehementer Protest.

In der Redaktion des Senders laufen die Telefone heiß.

Ein aufgebrachter Physiker meint, die Surzelle der FederkojotInnen hätte wahrlich zur Zeit andere Probleme, als sich um unwichtige Museen zu kümmern. So sollte doch erst einmal die Recyclinghilfsanlage modernisiert werden. Außerdem bräche die Stromversorgung bei Überlastung oft zusammen.

Eine angesehene Architektin meldet sich zu Wort und bemerkt sachlich-nüchtern, daß sich die Museumsrenovierung nicht lohne. Die Renovierung würde schließlich mehr Arbeit machen, als ein kompletter Neubau.

Der hundertzweijährige Museumswärter berichtet am Abend in einer Extrasendung über die Historik des Feder-Diadems und seine kulturelle Bedeutung für die Surzelle. Dabei erwähnt der weise Greis, wie er als kleiner Pimpf in den guten alten Pionierzeiten der Panokratie eigenhändig eine computerunterstützte Luftfeuchtigkeitskontrolle für das Diadem installiert hatte. Genau diese computergestützte Luftfeuchtigkeitskontrolle sei letztens durch den herabstürzenden Kronleuchter zertrümmert worden. Das Diadem drohe nach 90 Jahren seliger Trockenheit zu verschimmeln.

Am Schluß ruft er mit zittrig weinender Stimme die SurzellistInnen dazu auf, alles zu tun, um ihr einzigartiges kulturelles Erbe zu bewahren. Zum Kulturerbe gehöre unter andrem auch das Museumsgebäude selbst.

Andere romantische LeserInnen meinen, gerade die abgewatzte Fassade mache den besonderen gemütlich-verstaubten Charme des Museums aus.

Bis zum Wahltag haben sich durch weitere Unterschriftenaktionen folgende Möglichkeiten herauskristallisiert:

Am Wahlabend sitzen 60 Prozent der surzellmündigen FederkoyotInnen-BewohnerInnen vor ihrem Radio mit der Hand in der Handurne. Die Wahlmoderatorin hat eine folgende Binärteilung der Möglichkeiten veranlaßt:

Abrißmöglichkeiten (1, 2, 3, 4, 5) als Nein und Erhaltungs- mit Renovierungsmöglichkeiten (6, 7, 8) als Ja.

Nach der sachlich-nüchternen Ankündigung dieser Teilungsart ruft sie schneidig durch den Äther: — Top, der Elescheid gilt!

Sie wartet fünf Sekunden. In dieser Zeitspanne fragen alle Moyzellencomputer die Plus- und Minusknöpfe aller Surzellhandurnen in der Moyzelle ab. Die Ja-, die Nein-, die Enthaltungs- und die Nichtaktiviert-Stimmen werden getrennt addiert. Die moyzellaren Elescheidergebnisse werden an die jeweiligen Poyzellencomputer weitergeleitet, diese summieren wiederum getrennt die Elescheidergebnisse ihrer jeweiligen Moyzellen und leiten wiederum die Elescheidsummen an ihre übergeordneten Fayzellencomputer weiter. Diese addieren die Elescheidergebnisse ihrer untergeordneten Poyzellen und geben sie an den Surzellencomputer der FederkoyotInnen weiter dieser addiert wiederum die Elescheidergebnisse seiner untergeordnerten Fayzellen und leitet das finale Ergebnis des Hauptelementarentscheides direkt ins Radiostudio: Der Hauptelscheid hat ergeben: 21 Prozent für NEIN, 34 Prozent für JA, 5 Prozent sind aktive Enthaltungen und 40 Prozent nicht betätigte Handurnen. — Es gibt also mehr JA- als NEIN-Stimmen. Die SurzellistInnen bevorzugen demgemäß eine Erhaltung beziehungsweise eine der beiden Renovierungsmöglichkeiten. Nun folgt der Bestätigungselescheid. Sind Sie mit der Teilungsart und dem Wahlablauf einverstanden? — Top, der Elescheid gilt!

Wiederum laufen die Wahlcomputer heiß! Nach fünf Sekunden erscheint am Display im Studio, daß es diesmal mehr Nein- als Ja- Stimmen gibt: Der Bestätigungselescheid hat den Hauptelescheid nicht bestätigt. Die erste PABA ist damit für null und nichtig erklärt. Ich schlage folgende neue Teilungsart vor: Erhaltungsmöglichkeit (6) als NEIN gegen alle andern Möglichkeiten (1, 2, 3, 4, 5, 7, 8) als JA. — Top, der Hauptelescheid gilt.

Diesmal stimmen ganze 52 Prozent für Ja. Die Wahlmoderatorin berichtet das Ergebnis des Hauptelescheides und ruft den Bestätigungselescheid aus. Diesmal wird der Hauptelescheid mit 35 Prozent gegen 25 Prozent Stimmen bestätigt.

Der erste PABA ist fertig. Die Möglichkeit, das Museum ohne Renovierung zu erhalten scheidet als Möglichkeit aus: Nun schlage ich folgende Teilungsart des zweiten PABAs vor: Abrißmöglichkeiten (1, 2, 3, 4, 5) als NEIN contra Renovierungsmöglichkeiten (7, 8) als JA. — Top, der Hauptelescheid gilt!

Im Hauptelescheid gewinnen ebenso wie im anschließenden Bestätigungselescheid die Ja-Stimmen vor den Nein-Stimmen. Das bedeutet, nur noch die Renovierungsmöglichkeiten bieten sich an.

Im dritten und letzten PABA wird zwischen alleiniger Renovierung (Möglichkeit 7) und Renovierung mit Neubau eines zusätzlichen Museumsgebäudes (Möglichkeit 8) ausgewählt. Es gewinnt Möglichkeit Nummer 7 im Hauptelescheid. Die letzte PABA wird danach auch knapp durch den Bestätigungselescheid akzeptiert. Das Museum wird renoviert und der Museumswärter wurde glücklich 115 Jahre.

 

Panokratische Wertwahl
oder
Teile und herrsche nicht!

 

Ein neues Wahlverfahren wird angewandt, wenn ein bestimmter Wert ermittelt werden soll. Nehmen wir als Beispiel Normierungen oder bestimmte offizielle Grenzwerte. Sie können durch bisherige Wahlverfahren nicht fixiert werden. In einer Panokratie müssen aber oberhalb der Poyzellenebene auch solche Werteermittlungen per Volksentscheid getroffen werden. Dafür wird eine sogenannte Wertwahl angewandt.

Es wird ein Intervall festgelegt, dessen Grenzen auf jeden Fall den Endwert umschließen. Vorab wird ein Elementarentscheid ausgeführt, ob eine Normierung beziehungsweise Grenzwertfestlegung oder Größenermittlung in dem festgesetzten Intervall überhaupt erfolgen soll. Dieser erste Wahlvorgang wird Vorelementarentscheid genannt. Stimmen mehr als die Hälfte der WählerInnen in diesem Vorelementarentscheid mit Ja, folgt die eigentliche Wertermittlung.

Das Intervall wird halbiert. Danach entscheiden die subsidiarmündigen BürgerInnen durch einen Elementarentscheid, in welchem der beiden Intervalle der Endwert liegen soll. Dabei bedeutet ein Ja als Ergebnis des Elementarentscheides, die obere Hälfte des Intervalls wurde gewählt. Ein Nein heißt dementsprechend, daß sich die Mehrzahl der WählerInnen die untere Hälfte wünscht.

Das so erhaltene kleinere Intervall wird zum Ausgangspunkt für die erneute Halbierung und Auswahl gemacht. Das ganze Verfahren wird solange wiederholt, bis der Wert mit ausreichender Genauigkeit fixiert ist.

Dies wird mit einem finalen Bestätigungselementarentscheid bestätigt. Drücken in diesem Bestätigungselementarentscheid nicht die Hälfte der teilnehmenden WählerInnen den Plusknopf, ist die gesamte Wahl ungültig. Somit werden Wahlmanipulationen durch die Genauigkeitsintervallfestlegung oder die Wahldurchführung unmöglich.

 

Beispielgeschichte für die panokratische Wertwahl
oder
Feuerblut ist Feuer und Flamme

 

In der Hyperzelle des Feuerblutes hat sich ein neues Ballspiel namens Bow entwickelt. Bow ist eine eigenartige Mischung zwischen australischem Rugby, deutschem Korbball, koreanischen Hapkidoextrakten und eigenen Neuelementen. Bow ist zur sportlich-kulturellen Besonderheit dieser Hyperzelle geworden.

Nun existiert aber folgendes Problem: Jede Poyzelle spielt Bow nach anderen Regeln. Insbesondere die Größe des Bowballes variiert zwischen Tischtennisballgröße und Medizinballgröße. Bei interhyperzellaren Turnieren gibt es daher Auseinandersetzungen, mit welcher Bowballgröße angetreten werden soll. Es mehren sich Stimmen in der Hyperzelle des Feuerblutes, die eine Normierung des Bowballes fordern. Auf einer umhergehenden Liste für eine Bowballnormierung schreiben sich auch prompt 1,52 Prozent der HyperzellistInnen ein. Es wird also ein Bowgrößen-Volksentscheid durchgeführt.

Im Feuerblut-TV wird eine Talk-Show über den Bowball ausgestrahlt. Sie wird mit hitzigen Worten ausgefochten, wie es für die Mentalität der Feuerblut-HyperzellistInnen üblich ist.

Der berühmte Bowballspieler Bumm-Bumm-Bowis meint, das Bowspiel spiele sich am besten mit Bowbällen in Tennisballgröße.

Die eingeladene Sporthistorikerin ist da ganz anderer Meinung: Bowbälle in Medizinballgröße wären die ersten Bowbälle der Bowgeschichte gewesen. Da Bow eine Sportart mit hohem Traditionswert sei, müsse unbedingt zu jener Maximalgröße zurückgefunden werden.

Eine Medizinerin kontert und warnt vor der Belastung der Wirbelsäule, die beim hohen Gewicht der großen Bowbälle besonders gravierend ausfällt. Demgemäß plädiert sie für einen Bowball in Tischtennisballgröße.

Der gegenübersitzende Laufjunge wird bei diesem Plädoyer richtig barsch. Die liebe Frau Doktor solle auf dem Bowballfeld mit gebücktem Rücken selbst mal ihre mickrigen Bowbällchen suchen und einsammeln. Dann wüßte sie erst, was richtige Wirbelsäulenbelastung ist.

Ein Bowballfan gibt dem Laufjungen Rückendeckung. Bei kleinen Bowbällen könne er das Spiel gar nicht mitverfolgen, da er den Bowball ständig aus seinen kurzsichtigen Augen verlöre.

Ein Bowballhersteller meint, die Bowballsuche und -verfolgung stelle auch bei kleinen Bowbällen kein Problem mehr dar; denn schließlich sei seine neue Bowballkreation in Neonrot gehalten. Er halte weiterhin kleine Bowbälle für am sinnvollsten, da diese am leichtesten herzustellen und am robustesten seien.

Ein anrufender Zuschauer fragt, ob es denn unbedingt nötig sei, den Bowball zu normieren. Er finde die Bowballpluralität eine Bereicherung für die Hyperzelle des Feuerblutes.

Am Ende der Talk-Show wird der ersehnte panokratische Volksentscheid als Wertwahl durchgeführt. Die HyperzellistInnen können es kaum noch erwarten. Seit drei Wochen sind sie mit Flugblättern der verschiedensten Bowball-Lobbies bombardiert worden. Seit drei Wochen ist die Bowballnormierung Diskussionsstoff in der Hyperzelle des Feuerblutes.

Nach dieser Diskussion wird der Bildschirm für fünf Minuten zu einem tiefen Ultramarinblau gedimmt.

Die Zuschauer sollen sich sammeln und ihr eigenes Urteil bilden. Danach erscheint ein Sprecher vor einem Ted sowie eine Leuchtskala von 0 bis 100 Zentimeter.

Zuerst wird ein Vorelementarentscheid durchgeführt, ob überhaupt eine Normierung unter den bekannten Wahlbedingungen erfolgen soll:

Bitte greifen Sie in ihre Handurnen! Sind Sie für eine Normierung, drücken Sie Ihren Plusknopf. Sind Sie dagegen, drücken Sie Ihren Minusknopf! — Top, der Vorelescheid gilt!

Ein Moyzellencomputer überprüft binnen Sekunden alle Handurnen der hyperzellenmündigen MoyzellistInnen. Das Elescheidergebnis gibt er schnell aufwärts an den Poyzellencomputer weiter; dieser addiert alle Moyzellenelescheidergebnisse und übergibt die Summe wiederum aufwärts an den Poyzellencomputer. Jener summiert wiederum alle Poyzellenelescheidergebnisse und überreicht diese an den Fayzellencomputer. Der Fayzellencomputer summiert alle Fayzellenelescheidergebnisse und offeriert sie an den Hyperzellencomputer, der zum letzten Mal die Elescheidergebnisse seiner Untersubsidiarzellen zusammenzählt und das Resultat des Vorelementarentscheides dem Ted überreicht. Durch dieses subsidiäre Verfahren läßt sich die korrekte Wahlausführung mittels Individualwacht leicht überprüfen.

Der Ted hebt nach ein paar Minuten seinen Plusarm und senkt seinen Minusarm. Als Zeichen, daß alle Stimmen ausgezählt sind, nickt er mit dem Kopf. Eine Balkengraphik erscheint. Das Ergebnis ist überwältigend: 83 Prozent der Hyperzellenmündigen waren für eine Normierung, acht Prozent waren dagegen und neun Prozent haben sich enthalten.

Damit folgt die eigentliche Normierung, Sie wird im Divide-and-Conquer-Verfahren durchgeführt:

Wenn Sie für einen Bowball zwischen 0 und 50 Zentimeter Durchmesser sind, drücken Sie auf ihren Minusknopf. Wenn Sie dagegen für einen Bowball zwischen 50 und 100 Zentimeter stimmen wollen, drücken Sie auf ihren Plusknopf. — Top, der Elescheid gilt! kommentiert der Sprecher.

Nach einigen Sekunden zeigt der Ted auf Minus und nickt. Es wird also einen Bowball zwischen 0 und 50 Zentimeter geben.

Dieses Intervall wird zur Grundlage für den darauffolgenden Elementarentscheid gemacht:

Wenn Sie einen Bowball zwischen 0 und 25 Zentimeter wünschen, drücken Sie auf Ihren Minusknopf, wenn Sie dagegen für einen Bowball zwischen 25 und 50 Zentimeter plädieren, drücken Sie auf Ihren Plusknopf! — Top, der Elescheid gilt!

Wiederum hebt der Ted nach einigen Sekunden seinen Minusarm und nickt. Das Intervall, in dem sich der Bowball bewegen wird, ist auf 0 bis 12,5 Zentimeter geschrumpft. Bei der darauffolgenden, nächsten Wahl hebt der Ted seinen Plusarm. Die Hyperzellenmündigen der Hyperzelle des Feuerblutes haben das Intervall auf 6,25 bis 12,5 Zentimeter halbiert.

Es folgen sechs weitere Elementarentscheide, die den Bowballdurchmesser immer genauer einkreisen. Danach hat die Normierung eine ausreichende Präzision. Es wird ein Bowball von 10,5 Zentimeter gewählt. Es folgt als krönender Abschluß der finale Bestätigungselementarentscheid, bei dem 98 Prozent der WählerInnen den korrekten Wahlablauf bestätigen. Feuerblut hat einen neuen Bowball.

 

 

Vorteile des panokratischen Volksentscheides 
(oder: Wir über uns)

Das Wahlverfahren parlamentarischer Demokratien ist repräsentativ und somit indirekt. Es werden bestenfalls ungefähre RepräsentantInnen ausgewählt, die anstelle des Volkes die Entscheidungen treffen. Wie gesehen gehen bei dieser Demokratie praktisch hundert Prozent der Wahlinformationen verloren. Dies gilt auch dann, wenn die parlamentarische Demokratie ab und zu einige Alibivolksentscheide zuläßt.

Das Wahlverfahren in einer Panokratie ist dagegen direkt. Wahlinformationen werden unverfälscht weitergegeben. Dies geschieht ohne skurrile Umwege durch’s parlamentarische Knie über’s demokratische Ohr.

Die gesamte Regierung und alle sonstigen Verwaltungsapparate können entfallen. In einer Panokratie wird jede auch noch so unbedeutende Entscheidung oberhalb der Moyzellenebene durch einen panokratischen Volksentscheid getroffen. Seien es das Aussehen eines zukünftigen Gebäudes, das Fernsehprogramm, die Größe einer neuen Werkzeugnorm, usw.

Wahlen in einer Panokratie haben daher eine ganz andere Note als bisherige Wahlen. Sie sind alltäglich und kommunikativ. Es scheint fast so, als würde das Volk mit sich selbst plaudern.

 

 

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