Ingolfur Blühdorn Unhaltbarkeit -
2024 bei suhrkamp, 370 Seiten
Ein Mensch sieht
schon seit Jahren klar:
Allein – am
längsten, leider, hält, Eugen Roth |
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Unhaltbarkeit ist eine Expedition in radikal neues Terrain. Ingolfur Blühdorn durchdenkt das bisher für undenkbar Gehaltene, dass nämlich das Projekt der ökologisch-emanzipatorischen Avantgarden seinerseits emanzipatorisch überholt und dadurch anachronistisch wird. Mit dem Untertitel Auf dem Weg in eine andere Moderne knüpft er bei Ulrich Becks Klassiker Die Risikogesellschaft (1986) an und führt dessen Analyse konsequenter weiter, als Beck selbst es sich zugetraut hatte. Das Buch leistet einen entscheidenden Beitrag zur Theorie der Spätmoderne, zur Soziologie der (Nicht-)Nachhaltigkeit und zum Verständnis der Transformation der westlichen Moderne. Für die aktiven und ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit (IGN), denen ich mich in großer Dankbarkeit verbunden fühle. Leseprobe.pdf vom Verlag |
Inhalt
Nach dem Untergang der Menschheit (9) / 1 Das ökoemanzipatorische Projekt 19 / 2 Arbeitsfragen und Kontinuitätslinien 28 / 3 Das Undenkbare 38 / 4 Fahrplan 45
Grenzerfahrungen (53) / 1 Am Abgrund 57 / 2 Krise als Chance? 65 / 3 Transformationspolitik in der Falle 72 / 4 Zerplatzte Illusionen 79 / 5 Jenseits der kritischen Orthodoxien 88
Große Transformationen (97) / 1 Krise des Kapitalismus 102 / 2 Planetare Grenzen und das Anthropozän (113) / 3 Die autokratisch-autoritäre Wende 125 / 4 Digitalisierung und künstliche Intelligenz 136 / 5 China und der neue Systemkonflikt 151 / 6 Zwischenbilanz: Transformation der Moderne 159
Reflexive Modernisierung (168) / 1 Die neue Konjunktur der Modernisierungstheorie 171 / 2 Warum der Rückgriff auf Ulrich Beck? 179 / 3 Becks Begriff der zweiten Moderne 185 / 4 Ökologisierung, Demokratisierung, Weltgesellschaft 195 / 5 Himmelsgeschenk 206
Entzauberung einer Legende (210) / 1 Kein automatischer Übergang 213 / 2 Reflexivität und Destabilisierung 222 / 3 Das ökologische Paradox 230 / 4 Metamorphose zur dritten Moderne 237 / 5 Zwischenbilanz II: Drei Phasen der Moderne 242
Die emanzipatorische Katastrophe (253) / 1 Reflexivität und Dialektik 255 / 2 Dialektik der Nachhaltigkeit 260 / 3 Dialektik der Emanzipation 281 / 4 Dialektik der Demokratie 308 / 5 Emanzipatorisch überholt 326
Interregnum (331) / 1 Pessimistisch, deterministisch, reaktionär? 336 / 2 Was ist damit gewonnen? 342 / 3 Zur Bewältigung des Traumas 346 / 4 Kritische Soziologie, transformative Nachhaltigkeitsliteratur, politische Bildung 355
Literaturverzeichnis (365)
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1 Nach dem Untergang der Menschheit
»Ende oder Wende!«, »Weiter so ist keine Option!«, »Fünf vor zwölf!«, »Sozialökologische Transformation oder Unbewohnbarkeit des Planeten!«.
Seit den Anfängen der Umweltbewegung bestimmen diese und ähnliche Formeln den umweltpolitischen Diskurs. Bis in die Gegenwart werden sie wiederholt: »Wir stehen am Abgrund!«, sagte UN-Generalsekretär António Guterres im November 2022. »Die Menschheit hat die Wahl: Zusammenarbeiten oder Untergehen. Entweder ein Pakt der Klimasolidarität oder ein Pakt des kollektiven Selbstmords.«(1) Aber diese Rhetorik ist alt und stumpf geworden. Sie verfehlt die Realität spätmoderner Gesellschaften. Die Bedrohungen sind heute tatsächlich größer und akuter denn je. Doch dieses Denken verdunkelt mehr, als es erhellt.
Es ist an der Zeit, aus dem Dualismus von Einsicht oder Untergang auszubrechen.
Um die Wende zu den achtziger Jahren bekamen ökoapokalyptische Untergangsvisionen erstmals große, breitenwirksame Mobilisierungskraft. Neben tiefgreifenden Umweltveränderungen waren damals Großtechnologien wie die Atomkraft, die Gentechnik, die aufkommenden Heimcomputer sowie das Wettrüsten im Kalten Krieg entscheidende Auslöser. Vor diesem Hintergrund formierte sich das Projekt des zivilgesellschaftlich organisierten sozialökologischen Umbaus der kapitalistischen Industrie- und Konsumgesellschaft. Es sollte ein demokratisch-emanzipatorischer Umbau sein, der ein selbstbestimmtes und gutes Leben für alle in einer intakten natürlichen Umwelt ermöglichen sollte. Das Projekt zielte letztlich auf eine sozial und ökologisch befriedete Weltgesellschaft.
Zwischenzeitlich entstand mal der Eindruck, dem Projekt gehe die Luft aus. Der gesellschaftliche Wertewandel, der für dieses Projekt ganz entscheidend war, schien zum Erliegen zu kommen. Eine neue »Zeitenwende« sei erkennbar, behaupteten führende Meinungsforscher: »Die Verbissenheit ist verschwunden, […] der Weltuntergang findet nicht statt.«(2) Sogar von einem »Aufstand gegen die siebziger und achtziger Jahre« war die Rede, von einer »aufgestauten Gegenrevolte«.(3) Doch der Protest gegen die fortschreitende Zerstörung, gegen die sozialökologischen Auswirkungen der Industrie-, Wachstums- und Konsumgesellschaft hielt an. Das Bewusstsein einer sich zuspitzenden Krise und die Einsicht, dass ein »Weiter so« nicht möglich ist, wurden immer breiter.
Heute ist der Glaube an die unbedingte Notwendigkeit dieses Umbaus beinahe hegemonial geworden, auch wenn die Wege zur praktischen Umsetzung weiterhin unklar sind. Ein gesellschaftlicher Konsens scheint erreicht, dass gerade in den reichen Ländern des Globalen Nordens ein grundlegender Strukturwandel unverzichtbar und dringend ist.
(1) Guterres 2021, 2022. (2) Noelle-Neumann und Petersen 2001, S. 22; vgl. auch Hradil 2002. (3) Beck und Beck-Gernsheim 1994, S. 33
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»System change, not climate change!«, skandieren nicht nur Klimaaktivisten, sondern inzwischen äußern sich sogar die Spitzen der Wirtschaft, der Europäischen Union oder der Vereinten Nationen in diesem Sinne. CO2-Neutralität ist dabei jetzt das große Mantra. Firmen, Gemeinden, Bundesländer, Nationalstaaten, die EU – alle haben mittlerweile klar deklarierte Jahreszahlen, bis zu denen sie CO2-neutral sein wollen. Über Jahrzehnte haben Philosophen, Bürgerinitiativen, soziale Bewegungen, grüne Parteien, internationale NGOs, kritische Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler und vielfältige andere Akteure als gesellschaftliche Avantgarden für die große Transformation gestritten. Doch just in dem Moment, in dem mehr Einigkeit zu herrschen schien denn je und in dem auch die ökologisch-soziale Dringlichkeit höher scheint denn je, ist das ökoemanzipatorische Projekt selbst plötzlich in eine tiefe Krise geschlittert.
Klimapolitisch, ökologisch, sozial und auch sicherheitspolitisch ist die Lage heute fraglos noch brisanter als in den achtziger Jahren. Mit der digitalen Revolution und der rasanten Entwicklung künstlicher Intelligenz gibt auch der technologische Fortschritt heute nicht weniger Grund zur Sorge als in den achtziger Jahren. Aber in spätmodernen Gesellschaften breitet sich ein Gefühl der politischen Macht- und Einflusslosigkeit aus. Der zivilgesellschaftliche Optimismus und das Vertrauen der Bewegungen in die eigene Organisationsfähigkeit und politische Gestaltungsfähigkeit sind sichtbar angeschlagen. Die Aktionen von Gruppen wie Extinction Rebellion oder Letzte Generation wirken hilflos – und lösen trotz allseitiger Bekenntnisse zum Ziel der Nachhaltigkeit erhebliche Gegenreaktionen aus.
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Tatsächlich wird der inzwischen klima- und nachhaltigkeitswissen-schaftlich umfassend begründete Konsens, dass ein grundlegender Strukturwandel moderner Gesellschaften unbedingt erforderlich und deren größte Herausforderung ist, mit Verve wieder aufgeschnürt. Agrarwende, Energiewende, Verkehrswende, Artenschutz, Klimaziele, all das wäre sicher politisch wünschenswert, aber angesichts akuter Krisen – Pandemie, Inflation, Krieg, Terrorismus, Migration, Weltmachtanspruch Chinas – scheint anderes dringender.
Die Prioritäten verschieben sich; ökologische Agenden werden zurückgestellt. Atomkraft – ein Symbolthema für die Umweltbewegung wie kaum ein anderes – wurde von der EU mit dem 1. Januar 2023 als »nachhaltig« eingestuft und entsprechende Investitionen damit für »klimafreundlich« erklärt. Kohle erlebt im Zeichen der westlichen Sanktionen gegen Russland und seinen Krieg in der Ukraine weltweit eine Renaissance. Nicht nur in der Verkehrspolitik werden Klimaziele nachgeordnet. Europäische Vereinbarungen zum Naturschutz werdenin vielen Ländern nur verzögert und unvollständig umgesetzt. Tierwohl, Flächenschutz und ökologischer Landbau scheinen zweitrangig. Primär sind demgegenüber die Sorge um den erreichten Wohlstand und die Angst vor dem Groll potenzieller Rechtswähler. In Alaska hat US-Präsident Joe Biden mit Willow im Frühjahr 2023 wieder ein gigantisches neues Ölbohrprojekt bewilligt. In Europa wehrten sich liberale und konservative Parteien erfolgreich gegen das zügige Verbot von Verbrennungsmotoren.
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Die aufwändige Energiesanierung der Innenstädte treibe die Mieten in die Höhe und die Gentrifizierung voran, heißt es. Erhöhte Anforderungen an das Tierwohl treibe die Bauern in den Ruin und mache das Schnitzel zum Privileg der Besserverdiener. Die hohen Kosten erneuerbarer Energien bedrohten die Konkurrenzfähigkeit des Wirtschaftsstandorts. Sozial und ökologisch produzierte Textilien oder Elektronikartikel seien für die meisten Menschen unbezahlbar. Allenthalben wird dabei das Argument der sozialen Gerechtigkeit und Teilhabe ins Feld geführt. Und die Masse derer, die das Ökologisch-Soziale schlicht nicht bezahlen können, wird gegen die privilegierteren Teile der Gesellschaft und ihr ökoemanzipatorisches Projekt in Stellung gebracht. Und überhaupt, so der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer, gebe es für die »Untergangsapokalypse« gar keine Beweise; mit dem Anstieg des Meeresspiegels könne man schon umgehen lernen.4
Hatten kritische Beobachter im Zusammenhang mit der Ideologie des Marktliberalismus noch gerade eine umfassende Entpolitisierung und eine Ära der Postpolitik diagnostiziert,5 so ist gerade in der Klima- und Nachhaltigkeitspolitik plötzlich eine deutliche Repolitisierung mit zunehmend polarisierten Positionen unübersehbar. Dabei verschieben sich die Koordinaten und Konfliktlinien: Anders als in der klassischen Industriegesellschaft stehen nun nicht mehr die Arbeiter gegen das Kapital.
4 Karl Nehammer in seiner Rede »Zur Zukunft der Nation« am 10. März 2023.
5 Vgl. z.B.Wilson und Swyngedouw 2014.
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Und anders als in den siebziger und frühen achtziger Jahren stehen auch nicht mehr die Neuen Sozialen Bewegungen (NSB) der postindustriellen Gesellschaft gegen die traditionelle Politik und ihre Institutionen. Vielmehr verlagert sich der zentrale Konflikt heute ins Zentrum der gesellschaftlichen Mittelklasse: Während sich im oberen Teil der Wohlstandspyramide und an deren Sockel Reichtum und Armut weiter stabilisieren und unveränderbar scheinen, verläuft die aktive politische Konfliktlinie zwischen denen, die um ihren mittelständischen Wohlstand und Lebensstil fürchten, und denen, die mit ihren Forderungen nach einer sozialökologischen Transformation als Bedrohung für beides wahrgenommen werden.
Die »aufgestaute Gegenrevolte« scheint nun tatsächlich real: Die Vorkämpfer dieses Transformationsprojekts sehen sich plötzlich mit den Vorwürfen konfrontiert, sie seien vor allem selbstgerecht, hätten sich letztlich immer schon mehr um die eigenen Identitäts- und Diversitätsinteressen gekümmert als um die soziale Umverteilung und Gleichheit und seien selbst die gesellschaftliche Schicht, die von der partizipatorischen Revolution seit den siebziger Jahren am allermeisten profitiert hätte. Solche Vorwürfe sind traumatisch für sie. Sie widersprechen radikal ihrem Selbstverständnis, die Avantgarde zu sein, die im gesamtgesellschaftlichen Wandel überlegt und überlegen, einsichtig und vernünftig, moralisch und verantwortlich vorangeht. Und der globalpolitische Kontext verstärkt diese Verunsicherung noch: Das Selbstverständnis der vermeintlich fortschrittlichsten Gesellschaften der Welt bröckelt.
Ihr Bewusstsein der moralischen Überlegenheit und wirtschaftlich-politischen Vorherrschaft wird zunehmend unhaltbar.
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Der sogenannte »freie Westen« und seine »offenen Gesellschaften« verlieren gegenüber autoritären Regimen zunehmend an Bedeutung bzw. werden selbst zunehmend postdemokratisch. Genau das, und nicht einfach nur die drastische Erhöhung des Militärbudgets, ist die »Zeitenwende«,6 die seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 zum großen Thema geworden ist. In den Sozialwissenschaften wird sie schon länger diskutiert. Jetzt ist sie auch in der breiten alltagspolitischen Debatte angekommen.
»Ende oder Wende!«, »Weiter so ist keine Option«, »Wir stehen am Abgrund«. Diese Formeln müssen jetzt neu interpretiert werden. Eine Wende ist zweifellos erkennbar, eine Zeitenwende, die sich einstweilen noch schwer auf den Begriff bringen lässt. Überdeutlich ist aber: Es ist nicht die Wende, die Erhard Eppler sich einst vorgestellt hatte,7 und auch nicht das, was in sozialwissenschaftlichen und Bewegungskreisen heute als »sozialökologische Transformation« firmiert. Auch ein Ende ist deutlich erkennbar. Aber es ist nicht der Untergang der Menschheit oder die Unbewohnbarkeit des Planeten, vor denen Aktivistinnen und Aktivisten seit Jahrzehnten warnen. Beides sind mögliche Szenarien, aber beides scheint nicht unmittelbar akut. Beendet scheint vielmehr die Konjunktur des ökoemanzipatorischen Projekts und des Glaubens an die von Eppler einst beschworene Machbarkeit des Notwendigen.8
6 Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Rede im Deutschen Bundestag vom 27. Februar 2022.
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Nachdem Soziologinnen und Soziologen zunächst vom »Ende der Nachhaltigkeit« gesprochen hatten,9 diagnostizieren sie nun eine Verschiebung in der Umweltdebatte weg von »apokalyptischen« Diskursmustern, die darauf zielten, große sozialökologische Katastrophen zu verhindern, hin zu »postapokalyptischen« Diskursmustern, die davon ausgehen, dass es fürs Verhindern bereits zu spät ist und spätmoderne Gesellschaften dabei sind, sich mit der ökologischen Katastrophe zu arrangieren und sich in den ökologisch-sozialen Ruinen des Kapitalismus und der liberalen Welt einzurichten.10
Ähnlich wie man sich Ende der achtziger Jahre von der Idee des sozialistischen Umbaus der kapitalistischen Industriegesellschaft verabschiedete, verabschiedet man sich heute (un)heimlich von der Utopie der sozialökologischen Transformation der Gesellschaft.
Das bedeutet nicht, dass umwelt-, klima- und nachhaltigkeitspolitische Fragen nun plötzlich irrelevant würden. Diese Fragen bleiben aktuell. Sie gewinnen sogar weiter an Bedeutung. Sie werden aber anders gerahmt und verhandelt als bisher. Die Vorzeichen haben sich verändert. Was an ökopolitischem Transformationskonsens bisher erreicht worden war, wird repolitisiert. »Ende oder Wende!« bezieht sich damit nicht mehr nur auf die Struktur moderner Gesellschaften, ihr Verhält-
8 Ebd.
9 Z.B. Foster 2015; Benson und Craig 2017; vgl. auch Kapitel 5.
10 Z.B. Tsing 2016; Latour 2017; Wakefield 2018; Callegard und Thörn 2018; Blühdorn 2020a; Wainwright und Mann 2021; de Moor 2022; Staab 2022.
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nis zur Natur und ihren Umgang mit ihren biophysischen Grundlagen, sondern auch auf die Art und Weise, wie umweltpolitische Fragen thematisiert werden. Was zuletzt, zumindest auf deklaratorischer Ebene, noch als kategorischer Imperativ bezeichnet wurde – Klimaschutz, Menschenrechte, Demokratie, Artenreichtum, planetare Grenzen, ein gutes Leben für alle –, wird nun offen in Frage gestellt, weil es vorherrschende Freiheitsverständnisse bedroht, den erreichten Wohlstand gefährdet und im internationalen Wettbewerb handfeste Nachteile bringt, während die versprochenen Vorteile bestenfalls langfristig sind, eher fernen Ländern und fremden Menschen zugutekommen und ohnehin keineswegs sicher sind.
Das genau ist, was der Titel dieses Buches – Unhaltbarkeit – einfangen will: die Gleichzeitigkeit der tiefen Krise westlicher Gesellschaften und der Krise des öko-emanzipatorischen Projekts, das diese Gesellschaften transformieren wollte. Gerade in den wohlhabenden Konsumgesellschaften des Globalen Nordens fällt die Unhaltbarkeit des einen, der gesellschaftlichen Ordnung der Nicht-Nachhaltigkeit, mit einer Krise des anderen, des Projekts der sozialökologischen Transformation, zusammen. Und Letztere hat ihre Ursache nicht einfach in den Widerständen des kapitalistischen Systems.
Vielmehr zerbricht, wie ich später ausführen werde, das ökoemanzipatorische Projekt ganz wesentlich auch an seiner eigenen Logik und seinen inneren Widersprüchen.11 Es wird gewissermaßen emanzipatorisch überschritten.
11 Vgl. dazu vor allem Kapitel 5.
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Insbesondere für die zahlenstarke Generation derer, die in und mit den NSB seit den ausgehenden sechziger Jahren sozialisiert worden sind und dieses Projekt einst aus der Taufe gehoben haben, bedeutet diese doppelte Unhaltbarkeit den traumatischen Untergang ihrer Selbstverständnisse, ihrer Sinnerzählungen und ihrer Welt. Doch der Untergang ihrer Welt bedeutet eben weder die Unbewohnbarkeit des Planeten noch den Untergang der Menschheit. Vielmehr eröffnet er die Perspektive auf eine neue Moderne, eine nächste Gesellschaft,(12) die sich nach dem (Narrativ vom) Untergang der Menschheit entfalten.
Darin liegt kein Versprechen und keinerlei Trost. Inwieweit das als Bedrohung wahrgenommen wird, wird sich weisen. In jedem Fall ist es keine Option, die man wählen oder ablehnen könnte, sondern etwas Unvermeidliches, ein eigendynamischer Zwang. Tatsächlich zwingt die doppelte Unhaltbarkeit – gerade weil der Untergang der Menschheit nicht akut ist – westliche Gesellschaften (und ihre Sozialwissenschaften) auf den Weg in eine andere Moderne. Der Vers von Eugen Roth, der diesem Buch vorangestellt ist, muss heute also gegen den Strich gelesen werden; der ursprüngliche Titel »Leider« müsste ergänzt werden zu »Leider nicht mehr«: Plötzlich wäre es tröstlich, wenn das Unhaltbare noch länger hielte, denn das Unhaltbare, um das es heute geht, umfasst auch das ökoemanzipatorische Projekt und dessen modernistische Leitnormen. Und während bisher die hartnäckige Haltbarkeit des Unhaltbaren als das große Problem erschien, wird nun dessen Ablösung zum Trauma – zumindest für die, die bislang an dieses Projekt geglaubt und auf es gehofft hatten.
12 Den Begriff übernehme ich von Baecker 2007.
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1.1 Das ökoemanzipatorische Projekt
Was genau ist dieses ökoemanzipatorische Projekt, von dem nun schon wiederholt die Rede war und das angeblich in einer fundamentalen Krise steckt? Zunächst einmal ist das ein ziemlich sperriger Begriff, den ich zur Vereinfachung fortan als ÖEP abkürze. Dann gleich zur Vermeidung von Missverständnissen: Natürlich hat es nie ein einheitliches, klar definiertes, in sich konsistentes und über die Zeit stabiles ökologisches Projekt gegeben, auch kein ökoemanzipatorisches.
Umweltpolitische Diskurse und Agenden waren immerschon viel-dimensional, in sich widersprüchlich und konfliktreich. Sie waren auch immer schon instabil und in einem fortlaufenden Veränderungsprozess begriffen. Ihre normativen Grundlagen, Problemrahmungen, Lösungsperspektiven etc. waren seit jeher vielfältig und wurden fortlaufend angepasst. Immer schon gab es romantisierend antimodernistische, (rechts)konservative, nationalistische, kapitalismus- und herrschaftskritische, liberale, radikal linke und solche Strömungen, die sich als dezidiert unpolitisch beschreiben.
Das Umweltthema, hat Ulrich Beck einmal treffend gesagt, ist ein »politisches Chamäleon«; es gibt kaum eine ideologische Orientierung, die aus dem Thema keinen Honig saugen....
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