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6.  Virtuelle Irrealität 

Brandenburg-1999

 

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Der Traum des ägyptischen Pharaos war furchterregend. Er sah sieben Rinder, stark und wohlgenährt, und sie wurden verschlungen von sieben ausgezehrten Rindern, die dadurch aber nicht fetter wurden. Dasselbe geschah mit sieben Weizenähren, die voll und schwer im Korn standen und von sieben mageren und verdörrten Ähren verschlungen wurden, was diese ebenfalls kein bißchen nährte. Die Rinder und die Weizenähren symbolisierten die Lebensgrundlage und den Reichtum Ägyptens, dieses vielleicht großartigsten und bestregierten Staates im Altertum.

Zum Glück für Ägypten und die damals bekannte Welt hatte der Pharao einen exzellenten Berater. Josef, der Israelit, deutete die Träume als einen warnenden Fingerzeig Gottes auf sieben bevorstehende fette und sieben magere Jahre. Er riet dem Pharao, in den Jahren des Überflusses Getreidevorräte für die darauffolgenden Jahre der Not anzulegen. Der Pharao befolgte Josefs Rat, und so blieben Ägypten und die angrenzenden Regionen und damit auch Josefs Familie von einer Hungersnot verschont.

Diese einfache Parabel aus den Anfängen der überlieferten Geschichte beschreibt das Vorgehen einer verantwortungsvoll handelnden Regierung, und sie zeigt ferner die Bedeutung eines unserer beliebten Haustiere: die der Katze.

Das Hauptnahrungsmittel der Ägypter war das Brot. Wie auch heute noch wurde Hefe damals als Treibmittel beim Backen verwendet, die im Teig Kohlendioxid bildet und so Blasen in ihm erzeugt, die ihn aufgehen lassen. Ein anderes Nahrungsmittel, das aus Getreide hergestellt wird, nämlich das Bier, erfreute sich bei den Ägyptern ebenfalls großer Beliebtheit. Auch hier wird beim Gärungsprozeß Kohlendioxid gebildet, das die natürlichen Kohlensäurebläschen erzeugt.

In einem Land, in dem Bier und Brot zu den Grundnahrungsmitteln zählten, mußten natürlich größere Getreidemengen eingelagert werden. Die Ägypter wußten, wie man Getreide aufbewahrt, aber ohne die Katzen wäre es ihnen niemals gelungen, es sieben Jahre lang zu lagern.

Im trockenen Klima Ägyptens kann Getreide in Stein- oder Tongefäßen und in Räumen mit Steinboden gelagert werden, ohne daß es schimmelt. Genau diese Trockenheit könnte dem Nil übrigens in der Zukunft zum Verhängnis werden, wenn es auch nur zu einer geringfügigen klimatischen Veränderung kommen sollte. Das war es jedoch sicher nicht, was den Ägyptern jener Tage Sorgen machte. Aber stellen wir uns diese Variante des pharaonischen Traums doch einmal vor — Kohlendioxid, das im Wasser des Nils wie im Brot und in der Hefe freigesetzt wird und den mächtigen Strom verschlingt.

In Ägypten gab es, wie fast überall auf der Erde, Mäuse und getreidefressende Insekten, und um ihre Vorräte zu schützen, mußten sich die Menschen eine wirkungsvolle Strategie gegen diese unverwüstlichen Schädlinge überlegen. Und so kamen die Ägypter vermutlich auf die Katze. Katzen haben zwar ein etwas eigenbrötlerisches Wesen, sind aber effektive kleine Raubtiere. Und da sie Insekten und Mäuse als Jagdbeute bevorzugen, waren sie die perfekte Lösung für die Probleme der Ägypter.

Katzen und Menschen gingen eine symbiotische Beziehung ein, von der beide Seiten profitierten. Die kleinen Räuber waren in Ägypten hochgeschätzt, sie wurden verehrt, bewundert und ohne Zweifel geliebt. Seit dieser Zeit leben die Menschen in inniger Gemeinschaft mit den Katzen.

*

Es war ein etwas ungewöhnlicher Standort für ein so bedeutendes Investmentunternehmen. Jedenfalls operierte die Securities Exchange Company, die mehr als eine Million Dollar pro Woche umsetzte, vom Bell In Hand aus, einer Kneipe in der Pi Alley in der Nähe der Washington Street in Boston. Stammkunden schienen keine Mühe zu haben, die Firma unter ihrer neuen Adresse zu finden, und sie waren offensichtlich auch bereit, über die ungewöhnlichen Geschäftsräume hinwegzusehen, solange sie ihr Geld bekamen.

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Tatsächlich erwiesen sich nicht wenige Kunden, darunter eine Reihe von Bostoner Geschäftsleuten, die sich ansonsten in solchen Dingen bestens auskannten, monatelang als blind gegen die eher fragwürdigen Aspekte der Securities Exchange Company; wie beispielsweise die Tatsache, daß ein Unternehmen, das mit einem 38prozentigen Aktienanteil an der kapitalstarken Hanover Trust Bank beteiligt war, einer 18jährigen Geschäfts­führerin unterstand.

Nun mag Lucy Bell eine kluge und talentierte junge Frau gewesen sein, aber selbst dann ist es kaum vorstellbar, daß eine Buchhalterin, die frisch von der Highschool kam, die Fähigkeiten besaß, ein Unternehmen mit 30 Angestellten in drei Bostoner Büros und weiteren Niederlassungen in anderen Städten zu führen. Aber wenn das große Geld winkt, neigen die Menschen dazu, solche Kleinigkeiten zu übersehen. Wer macht sich schon Gedanken, solange der Erfolg sicher scheint?

Das Geschäft basierte auf einem einfachen Prinzip. Es machte sich die Wertunterschiede der im voraus bezahlten Postsendungen in den verschiedenen Ländern zunutze — ähnlich den frühen Deviseninvest­ment­geschäften. Die entsprechenden Wertmarken wurden für ein oder zwei Cent pro Stück in irgendeinem anderen Land gekauft und zum Nennwert, der den Kaufpreis oft um das Drei- bis Vierfache überstieg, bei der US-Post eingelöst. Diese fantastischen Gewinne versprach die Securities Exchange Company mit ihren Investoren zu teilen. Die waren ohnehin nicht daran interessiert, wie das Geschäft funktionierte, solange es nur hohe Gewinne abwarf — und die versprochene Rendite betrug 500 Dollar bei einer Einlage von 1000 Dollar über einen Zeitraum von 90 Tagen, wobei die Gesellschaft die Einlage stets schon nach 45 Tagen mit den vollen 50 Prozent Zinsen zurückzahlte.

Wie man sich vorstellen kann, war es damals genauso ungewöhnlich wie heute, wenn eine Gesellschaft ihren Kunden mehr bot, als sie versprochen hatte, um so mehr angesichts der ohnehin schon unglaublich hohen Gewinnspanne. Die strahlenden Anleger investierten in ihrer Euphorie die Gewinne sogleich wieder in neue Papiere und sorgten so dafür, daß die Securities Exchange Company im Sommer 1920 zum Gesprächsthema der Ostküste wurde.

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Dennoch war so manch einer von denen, die sich im Bell in Hand die Klinke in die Hand gaben, ein wenig besorgt. Das hatte seinen Grund in den kritischen Stimmen, die in jüngster Zeit in der Presse lautgeworden waren. Besonders die Kleinanleger, die im allgemeinen nicht sonderlich risikofreudig sind, befürchteten einen kurzfristigen Konjunkturrückgang und waren nun gekommen, um sich die Renditen aus ihren Einlagen schon vor Ablauf der vertraglich vereinbarten Frist auszahlen zu lassen. Die warnenden Pressestimmen hatten sie aufgeschreckt. Ein Sprecher des Unternehmens versicherte den Leuten jedoch, daß sie sich keine Sorgen zu machen brauchten, und so war es auch. Jeder, der darum bat, erhielt sein Geld auf der Stelle zurück.

Nachdem der Bezirksstaatsanwalt von Massachusetts eine Untersuchung angeordnet hatte, begannen die Anleger die Geschehnisse um die Securities Exchange Company argwöhnisch zu verfolgen. Da es aber keinerlei Beweise für betrügerische Machenschaften gab und kein Anleger jemals auch nur einen Cent verloren hatte, ihr folglich das Beweismaterial für ein Vergehen fehlte, konnte die Staatsanwaltschaft nicht viel mehr tun, als eine Prüfung der Geschäftsbücher anzuordnen. 

Der Firmeninhaber protestierte energisch dagegen, daß sich der Staat anmaßte, sich in die Geschäftsbeziehungen zwischen dem Unternehmen und seinen Kunden einzumischen, und diese Kunden werden ihm vermutlich angesichts der satten Gewinne, die sie einstrichen, recht gegeben haben. Das einzige Verbrechen, dessen sich das Unternehmen schuldig gemacht hatte, war wohl sein augenscheinlicher Erfolg, der die Gegner der freien Marktwirtschaft auf den Plan rief. Dennoch erklärte sich der Firmeninhaber bereit, vorübergehend keine neuen Investmentgeschäfte mehr abzuwickeln. Als die Presse davon und von der bevorstehenden Buchprüfung berichtete, gerieten viele der Anleger in Panik.

Am nächsten Tag stürmte eine Meute von Gläubigem die Räume der Firmenniederlassung in der School Street. Es waren sieben Polizeibeamte nötig, um die Ordnung wiederherzustellen. In diesem ganzen Chaos erhielten die Anleger die Zusage, daß für alle fälligen Schuldscheine der Kapitalbetrag samt Rendite sofort ausgezahlt würde, und selbst die Schuldscheine, für welche die Zahlungsfrist noch nicht abgelaufen war, sollten ohne Abzüge ausgezahlt werden, sofern die Kunden dies wünschten.

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Das klang wie ein großzügiges Angebot, zumal es keinen rechtlichen Anspruch auf diese vorzeitige Rückerstattung gab. An diesem Montag, dem 26. Juli, hatten sich so viele Kunden im Büro der Firma eingefunden, daß sich die Unternehmensleitung gezwungen sah, die erwähnte »Zweigstelle« im Bell in Hand zu eröffnen, um im Hauptbüro in der School Street nicht völlig überrannt zu werden. Und so kam es, daß sich an diesem Morgen vor dem Bell in Hand eine Schlange bis zur nächsten Kreuzung bildete, die den ganzen Tag über nicht kürzer wurde.

In der Schankstube prüfte ein Firmenangestellter die Unterlagen der Kunden, und wenn sie in Ordnung waren, zahlte ein Kassierer das Geld an Ort und Stelle aus. Eigens für diesen Zweck war gleich neben dem Hinterausgang ein behelfsmäßiges Kassenhäuschen errichtet worden. Alles ging glatt über die Bühne. Es gab kaum Diskussionen oder Reibereien. Über 1000 Transaktionen wurden an diesem Tag durchgeführt. Während viele gekommen waren, um ihre Schuldscheine einzulösen, gab es auch einige, die nur die Rendite für ihre Kapitaleinlagen abholen wollten und diese nicht selten sofort wieder investierten.

Am nächsten Tag bildete sich wieder eine Schlange vor dem Büro, aber die Securities Exchange Company reagierte gelassen und servierte den Wartenden Kaffee und Hotdogs. Unter dem Eindruck, daß trotz der schwierigen Umstände wieder Normalität eingekehrt sei, überlegten es sich viele Kunden anders und gingen wieder nach Hause, ohne sich ihre Einlagen auszahlen zu lassen. Andere sahen eine Chance, aus der Situation Profit zu schlagen, und boten den Wartenden an, ihnen die Schuldscheine abzukaufen. Im Laufe dieses einen Tages wurden eine Million Dollar ausbezahlt, und in einer kurzfristig anberaumten Presse­konferenz wies das Unternehmen am selben Abend auf seine Seriosität hin. Die Kunden faßten allmählich wieder Vertrauen. Einige zufriedene Kunden waren so empört über das als ungerecht empfundene staatliche Vorgehen, daß sie sich spontan zusammenschlossen und dem Unternehmen in einer gemeinsamen Resolution ihr Vertrauen aussprachen.

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Am Ende der Woche warteten morgens nur noch wenige darauf, daß das Büro seine Pforten öffnete. Der Ansturm war vorüber, und es sah so aus, als hätte die Securities Exchange Company die Krise überstanden. Die Welt stand der freien Marktwirtschaft wieder offen — allerdings nicht lange. Am darauffolgenden Montag gab es aufgrund neuer Zeitungsberichte wieder einen Ansturm. Die Firma warf sich noch einmal ins Zeug und zahlte Unsummen an ihre Kunden aus. Wie durch ein Wunder ebbte der Sturm zum Ende der Woche hin wieder ab, und diesmal schien die Krise ein für allemal überwunden, wäre da nicht ein kleiner Schönheitsfehler gewesen — das Unternehmen stand mit der Kleinigkeit von 441.878,07 Dollar bei den Banken in der Kreide. Und damit platzte der ganze Schwindel, der das Geschäft von Anfang an gewesen war.

Charles Ponzi, der Gründer der Securities Exchange Company, hatte sich eine simple Strategie ausgedacht. Die ersten Einzahler erhielten ihre Renditen aus den Einlagen der nächsten Investoren. Solange sich immer neue Investoren fanden, funktionierte das System wunderbar, und die lobenden Worte der zufriedenen Kunden riefen scharenweise neue Anleger auf den Plan. Viele kauften von ihren Renditen neue Schuldscheine, in der Hoffnung, noch mehr Geld zu verdienen, so daß sich das vorhandene Kapital ständig erhöhte. Beim »Ponzi-Modell«, das heute besser bekannt ist unter der Bezeichnung »Schneeballsystem«, wird durch immer neue Investitionen verschleiert, daß letzten Endes kein Gewinn erwirtschaftet werden kann. 

Dem charmanten Finanzjongleur Charles Ponzi gelang es, den Schein lange Zeit zu wahren. Und anders als viele seiner Nachahmer machte sich der vorbestrafte Ponzi nicht mit dem Geld seiner Kunden aus dem Staub. Er harrte bis zum bitteren Ende aus und war offensichtlich selbst dann noch von seiner Unschuld überzeugt, als er zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. Der Schwindel war so gut, daß der Schwindler selbst darauf hereinfiel. Ponzi schien seiner eigenen Propaganda aufgesessen zu sein und glaubte an seine großartige Geschäftsidee, obwohl in Wirklichkeit selten oder nie auch nur eine einzige Wertmarke gekauft oder eingelöst wurde.

Aber wozu brauchte die Securities Exchange Company auch Wertmarken, wenn sie sich auf die Habgier der Leute stützen konnte.

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Natürlich beißen den Letzten die Hunde, wenn ein solches System zusammenbricht, was zwangsläufig irgendwann geschehen muß. Aber bis zu diesem Moment gilt das Geschäft nicht als Betrug. Bis zu dem Augenblick, in dem die Sache platzt, kann alles tadellos aussehen. So war es auch in Ponzis Fall. Alles funktionierte prächtig, bis mit einem gewaltigen Schlag das ganze Gebäude wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel und die Letzten fassungslos mit leeren Händen dastanden, während sich die früheren Investoren ihrer bereits eingestrichenen Gewinne freuten und sich keiner Schuld bewußt waren.

 

Wir müssen uns vor Augen halten, wie ein Schneeballsystem funktioniert, denn wir befinden uns derzeit mitten in einem solchen, und der Zusammenbruch ist nur noch eine Frage der Zeit. Dabei ahnen die wenigsten Menschen, was auf sie zukommt. Wir sind Spieler in einem Schneeballsystem, das seit über 100 Jahren seinen Lauf nimmt, aber nun ist das Spiel bald aus.2 Dieses Schneeballsystem ist so sehr ein Teil unseres täglichen Lebens, daß es uns ganz normal erscheint. Da es so unsichtbar für uns ist wie die Luft, würden die meisten behaupten, alles sei in Ordnung. Aber leider ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie die Realität eines Besseren belehren wird.

Ginge es um die Machenschaften der Securities Exchange Company, so wären wir jetzt analog bei dem Zeitpunkt angelangt, zu dem die ersten negativen Schlagzeilen in den Zeitungen auftauchten. Aber in unserem Fall würden in den Zeitungen keine Berichte über den Anfangsverdacht einer Staatsanwaltschaft gegen ein Investmentunternehmen stehen, sondern es würde vielleicht heißen:

»Wissenschaftler entdecken Anzeichen einer globalen Klimaveränderung«, oder »Rekordschäden durch Naturkatastrophen«. Es geht vielen Menschen heute wie den durch Ponzis Machenschaften geschädigten Investoren: Sie sehen, was in der Welt vor sich geht, und kommen zu dem Schluß, daß alles in Ordnung sei. Alle verdienen Geld. Auf den Aktienmärkten werden Rekorde erzielt. Allen geht es gut. In Chicago mußten wir letzten Winter noch nicht einmal Schnee schaufeln.

Und so läuft es in jedem Schneeballsystem ab — bis schlagartig gar nichts mehr geht. Plötzlich bricht alles zusammen.

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Eben noch waren wir auf dem besten Weg zum Millionär, und plötzlich geht irgend etwas schief — das Kohlendioxid in der Luft, die Ernte, die Meeresströmungen, der Regen —, die Natur gibt uns keinen Kredit mehr, und unser letzter Scheck, ausgeschrieben auf ein längst überzogenes Konto, wird nicht mehr eingelöst. Von einem Augenblick zum anderen hört das Leben, wie wir es bisher kannten, auf zu existieren.

In Anzug und Krawatte überquerte ich eine Straße in der Nahe des Weißen Hauses in Washington, D. C. Es war ein strahlender klarer Morgen im Juli 1985. Ich war in eine neue Stadt gezogen und hatte eine neue Stellung angetreten, aber meine Arbeit war fast die gleiche wie zuvor. Mir war die Flucht aus Albuquerque gelungen. Ich hatte mein Haus verkauft und war ins nördliche Virginia gezogen, in eine Vorortgegend südlich des Pentagons. Reagans Rüstungskampagne ging in ihr sechstes Jahr, und im Land machte sich so etwas wie Siegesstimmung bemerkbar. Aber es lag noch etwas anderes in der Luft. Der Wind trug das ferne Klagen einer geisterhaften Katze durch die Lüfte ...

 

Die Katze war in einem Gedankenexperiment geboren worden, postuliert von dem österreichischen Physiker Erwin Schrödinger, dem 1933 der Nobelpreis für Physik verliehen wurde. Schrödinger hatte das Experiment entwickelt, um die paradoxe Natur der Quantenmechanik zu verdeutlichen, welche die Welt der subatomaren Teilchen beschreibt.3)

In dem Experiment wird eine Katze zusammen mit drei Dingen in einen Stahlbehälter gesperrt. Das eine ist ein zerbrechliches Gefäß, gefüllt mit einem tödlichen Gift. Das zweite ist ein Hammer, der über dem Gefäß mit dem Gift angebracht ist. Als drittes gibt es einen Mechanismus, mit dem der Hammer verbunden ist und der durch den Zerfall eines radioaktiven Atoms ausgelöst wird — ein Ereignis, das unwillkürlich irgendwann eintritt oder auch nicht.

Obwohl wir nicht ins Innere des Behälters hineinsehen können, wissen wir, daß nach Ablauf einer Stunde eines von zwei möglichen Ereignissen eingetreten sein wird.

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Die Katze ist entweder tot oder sie lebt noch, je nachdem, ob das Atom zerfallen ist oder nicht. Aber die Quantenmechanik, nach deren Gesetzen es unmöglich ist, den genauen Zustand des Atoms festzustellen, kennt noch einen dritten möglichen Zustand des Atoms: eine »Überlagerung« der beiden anderen Zustände (zerfallen/nicht zerfallen).

Solange wir also den Behälter nicht öffnen, müssen wir annehmen, daß sich das Atom in einem Zustand der Überlagerung befindet, einer Mischung aus beiden anderen Zuständen. Die Frage ist daher: Befindet sich die Katze, ebenso wie das Atom, in einem Mischzustand zwischen tot und lebendig? Was ist mit der Katze geschehen?

Die virtuelle Katze ist also gleichzeitig tot und lebendig, vergleichbar mit der Doppelbelichtung einer Fotografie. Erst wenn wir den Behälter öffnen, können wir mit Sicherheit sagen, ob die Katze getötet wurde. In diesem Augenblick der Gewißheit sind wir in der Lage, den Zustand der Katze präzise wiederzugeben, bis dahin kann man jedoch nur die Wahrscheinlichkeit für den einen oder anderen Zustand errechnen. Es existieren zeitgleich zwei Wirklichkeiten. In der einen ist die Katze tot, in der anderen lebt sie. Schrödingers Katze, zur gleichen Zeit tot und lebendig, ist ein sauberes, steriles Gedankengebäude und das Thema vieler intellektueller Diskussionen.

Manche glauben, die bedauernswerte Katze in ihrem Käfig mit dem giftgefüllten Behälter, der beim Zerfall eines einzigen Atoms zerstört wird, sei das Produkt eines entrückten, weltfremden Erfindergeistes, aber das ist ein Irrtum. Die Universität von Berlin wurde ab 1932 immer wieder von marodierenden jugendlichen Nazibanden heimgesucht, die dort jeden anpöbelten und nicht selten körperlich angriffen, den sie für einen Juden hielten. Die Polizei griff nicht ein, sondern errichtete Absperrungen rund um den Campus und schaffte so eine Art Belagerungszustand. Die Universitätsbediensteten mußten Passierscheine vorweisen, wenn sie zu ihrer Arbeitsstelle gelangen wollten, eines von vielen Zeichen für den Haß und das Mißtrauen der Nazis gegenüber der akademischen Welt. Schrödinger war ein überzeugter Liberaler, der nicht davor zurückschreckte, persönlich einzugreifen, wenn er sah, daß Juden auf der Straße angegriffen wurden.

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Als sich das faschistische System des Dritten Reichs allmählich auf alle Bereiche des täglichen Lebens auszuweiten begann, bereitete er seine Flucht aus Berlin vor, denn ihm war klar, daß auch für ihn als Nichtjuden das Leben, wie er es bisher gelebt hatte, dem Untergang geweiht war.

Schrödinger wußte, daß der Tod seiner Quantenkatze nicht sauber und steril sein konnte. Die virtuelle tote Katze hatte bereits ihren Todesschrei ausgestoßen und sich gegen die Wände ihres Gefängnisses geworfen, während sich ihre Lungen mit dem tödlichen Gas füllten. In einem letzten Aufbäumen schlug sie ihre Krallen in die Wand. In dem Augenblick, in dem die Phiole zerbirst, gewinnt die Katze mit einem Mal eine Einsicht, die allen anderen verborgen bleibt. Aber ihre plötzliche Erkenntnis kommt zu spät, und ihr Tod kommt weder kurz noch schmerzlos, aber unausweichlich. Der Schrei der sterbenden Katze hallte bereits durch die Luft, als Schrödinger 1935 an der Berliner Universität sein Gedankenexperiment entwickelte, bevor er dem Schrecken in Deutschland zwei Jahre später den Rücken kehrte und nach England ins Exil ging. Er hatte gehört (und weitergegeben), was eine Geisterkatze über die schleichende Gefahr eines tödlichen Gases berichtete. Hatte Schrödinger mit seinem Gedankenexperiment die drohende Wirklichkeit des Holocausts erkannt?

 

Es war ein herrlicher Julimorgen, an dem — nicht in Berlin, sondern in Washington, D. C. — der Todesschrei von Schrödingers Katze in der Luft zu hängen schien. Sie war in der Nacht zuvor durch die Gänge geschlichen. Es war eine riesige Katze, groß wie ein Bär, stark wie ein tollwütiger Wolf, bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, so radioaktiv geladen, daß die Luft in ihrer Umgebung infolge der Cherenkov-Lichtblitze blau leuchtete. 1985 hatten wir das Stadium der Giftgasphiolen hinter uns gelassen. Unser virtueller Tod würde nicht durch den Zerfall eines einzelnen Atoms ausgelöst werden, sondern durch die alles vernichtende Implosion einiger Kilogramm Plutonium. Ich war zu dieser Zeit einer der vielen Wissenschaftler, die im Rahmen des SDI-Programms fieberhaft daran arbeiteten, Abwehrsysteme gegen eine solche Implosion zu entwickeln, und ich empfand dies angesichts des drohenden thermonuklearen Holocausts als eine große persönliche Herausforderung.

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An diesem Tag achtete ich nicht auf den Geist der Katze. Ich hatte andere Sorgen, denn ich hatte mich verlaufen. Ich suchte die Straße nach dem imposantesten Gebäude ab, weil ich annahm, daß darin die Akademie der Wissenschaften untergebracht sein müsse, und dort sollte die Marskonferenz stattfinden, an der ich heute teilnehmen wollte. Leider gab es um mich herum nur imposante Gebäude. Also suchte ich mir eines davon aus und überquerte die Straße, um dorthin zu gelangen. Es hatte eine prachtvolle weiße Marmorfassade, die aber keinen Aufschluß darüber gab, was sich dahinter verbarg. Das einzige menschliche Wesen im näheren Umkreis war ein kleiner, kräftiger Mann in einem grünen Anzug, der an der Ecke des Gebäudes stand. Ich ging auf ihn zu und erkundigte mich, ob sich in dem Gebäude die Akademie der Wissenschaften befinde. Meine Trage schien ihn zu verwirren; er sah aus, als hätte er geträumt und mich überhaupt nicht bemerkt. Jetzt fuhr er herum, sah mich mit großen Augen an, stammelte ein »Ja« und entfernte sich dann eilends.

Glücklich, hier an der richtigen Adresse zu sein, schritt ich durch das stattliche Eingangsportal. Erst als ich mir für die Eröffnungsrede einen Platz im Vortragssaal gesucht hatte und der Mann im grünen Anzug plötzlich die Bühne erklomm, wurde mir bewußt, daß ich mitten in Washington, D. C., einen russischen Kosmonauten, Valerij Kubasov, nach dem Weg gefragt hatte.

Im Konferenzsaal traf ich auf Vince DiPietro und einen Freund, und gemeinsam berieten wir, welche Vorträge wir uns anhören wollten. Für mich war diese Marskonferenz eine willkommene Ablenkung. An meinem neuen Arbeitsplatz lief alles glatt, aber meine Ehe drohte nach zwölf Jahren an meinen Marsforschungen zu zerbrechen. Zu Hause packte meine Frau gerade ihre Sachen, um ohne mich nach Albuquerque zurückzukehren, und meine vierjährige Tochter war am Abend zuvor weinend zu mir gekommen und hatte gesagt: »Papa, ich habe die Mama lieb.« Mir waren die Tränen in die Augen geschossen, und ich hatte sie in den Arm genommen und gesagt: »Ja, natürlich hast du das. Natürlich hast du das.« Mir war klar, daß die Entscheidungen, die ich für mein lieben getroffen hatte, schmerzliche Konsequenzen für mich und für die Menschen hatten, die ich liebte, aber ich hatte mich nun einmal mit Leib und Seele der Wissenschaft verschrieben.

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Die Einsamkeit des Wissenschaftlers ist das Privileg und der Fluch seiner Berufung. Wie Archimedes ins Bad zu steigen und zu beobachten, wie das Wasser daraufhin über den Rand der Wanne läuft, und mit einem Schlag zu begreifen, was da geschieht — das ist die Freude des Wissenschaftlers. Und aus dieser Freude heraus sprang Archimedes aus dem Bad, lief nackt und tropfnaß durch die Straßen nach Hause und rief: »Eureka! Eureka!« (Ich habe es gefunden!). Als diese freudige Entdeckung unmittelbar dazu führte, daß der königliche Juwelier wegen Betrugs hingerichtet wurde, weil jetzt die Metallzusammensetzung der Krone des Königs von Syrakus festgestellt werden konnte, war dies der Fluch der Wissenschaft. Die göttliche Erkenntnis hat in der irdischen Realität manchmal furchtbare Folgen. Angeblich weigerte sich Archimedes nach diesem Ereignis, die Wissenschaft zur Lösung praktischer Probleme anzuwenden, und beschränkte sich fortan auf die reine Mathematik — ein abstraktes Gebiet, auf dem sich die gesellschaftlichen Folgen der Wissenschaft nur selten bemerkbar machen. Die wahre Wissenschaft hofft immer, mit ihren Erkenntnissen nur Gutes zu bewirken. Ein Wissenschaftler sehnt sich danach, das Penizillin zu entdecken, den Mikro­prozessor zu erfinden — kurz, der Menschheit einen großen Dienst zu erweisen.

 

Meine Beschäftigung mit dem Mars verlangte mir einerseits leidenschaftliche Hingabe, andererseits aber auch nüchterne Distanz und Unvoreingenommenheit ab, und beides versuchte ich zu erfüllen. Die Konferenz war eine spannende Angelegenheit. In jeder Rede spiegelte sich die faszinierende Vision vom Aufbruch der Menschheit zu den Sternen. Und obwohl die Flüge zum Mars nicht auf direktem Wege zur Lösung unserer irdischen Probleme führen werden, ist der Drang, den Kosmos zu erforschen, doch tief in der Evolutionsgeschichte der Menschheit verwurzelt. Und der Mars ist unser nächst-liegendes Ziel.

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Carl Sagan war einer der Hauptredner der Konferenz. Er sah in einer gemeinsamen Marsmission der Sowjetunion und der USA eine Chance, die vielleicht dazu beitragen konnte, daß sich die beiden Nationen nicht gegenseitig vernichteten. Sagan hatte die bemannte Raumfahrt zuvor als eine ungeeignete Methode der Raumforschung abgelehnt und der Robotertechnik den Vorzug gegeben. Aber die Geschehnisse auf der Erde hatten ihn veranlaßt, seine Meinung zu ändern. Vielleicht war dieser Meinungsumschwung nicht logisch, aber das war der Kalte Krieg auch nicht. Viele Teilnehmer dieser Konferenz teilten jedenfalls die Hoffnungen, die er in eine gemeinsame Marsmission der beiden Weltmächte setzte.

Ich traf Sagan später im Foyer und gratulierte ihm zu seinem Vortrag. Er begrüßte mich herzlich. Wir führten einen lebhaften, wenn auch nicht immer harmonischen Briefwechsel, seit wir das erste Mal miteinander gesprochen hatten. Einmal hatte ich ihm einen Entwurf für einen Artikel über Cydonia geschickt. Er hatte ihn zerrissen und mit einem Zitat des Quantenphysikers Wolfgang Pauli kommentiert, der einmal im Streit zu einem Kollegen gesagt hatte: »Sie haben noch nicht einmal unrecht!« Carl entschuldigte sich später für sein Verhalten, worüber ich mich freute. Ein Wissenschaftler sollte stets in der Lage sein, seine Meinung zu überdenken, was Sagan ja auch jetzt getan hatte, als er seine Einstellung zur bemannten Raumfahrt änderte. Ironischerweise tendierte gerade Pauli, der immer ein rigoroser Vertreter seiner wissenschaftlichen Überzeugung gewesen war, gegen Ende seines Lebens immer stärker zum Mystizismus.

Sowohl Sagan als auch ich selbst waren vor allem an quantifizierbaren Erkenntnissen über den Mars interessiert. Die Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Cydonia-Region ergaben, waren zu Fragen nach der Vergangenheit des Mars geworden. Wir debattierten darüber, wie die Ergebnisse der Viking-Mission zu interpretieren seien. Und wir stritten über die konkrete Frage, wie lange es auf dem Mars Wasser in flüssigem Zustand gegeben habe. War dessen Geschichte der des Mondes vergleichbar, hatte es flüssiges Wasser dort nur in der Frühgeschichte des Planeten und nur für kurze Zeit gegeben? Oder war der Mars über eine lange Zeitspanne hinweg der Erde ähnlich gewesen und hatte somit die Voraussetzungen für die Entstehung von lieben, wie wir es kennen, erfüllt?

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Sagan war wie ich der Meinung, daß die Geschichte des Mars ähnlich wie die der Erde begonnen hatte. Wir waren uns sogar einig, daß auf dem Mars in dieser frühen Periode Leben entstanden sei, vergleichbar vielleicht den Bakterien, die man als »Mikrofossilien« in den ältesten Erdgesteinen gefunden hat. Aber wie lang war die Zeitspanne, in der auf beiden Planeten vergleichbare Bedingungen herrschten? Wie lange war der Mars der Erde ähnlich? Uns beiden war klar, daß dies die entscheidende Trage war.

Das Alter bestimmter Charakteristika der Marsoberfläche, auch das der ausgetrockneten Wasserläufe, wurde bestimmt, indem man die Anzahl der Krater auf einer begrenzten Fläche zählte. Viele Krater deuteten auf einen geologisch alten Wasserlauf hin - wenige Krater ließen einen relativ jungen Wasserlauf vermuten. Wir stritten also letzten Endes um einen Zahlenwert, die Verkraterungsrate auf dem Mars.

Man nahm an, daß die Verkraterungsrate auf dem Mars ähnlich wie auf dem Mond war. War die Verkraterungsrate jedoch halb oder auch doppelt so groß wie angenommen, konnte dies einen Unterschied von mehreren Milliarden Jahren bedeuten. Und das entscheidende Problem war, daß man die Zahl nicht bestimmen, sondern nur schätzen konnte.

Die Verkraterungsrate des Mars, die bestimmt, ob die Vergangenheit des Mars erdähnlich oder mondähnlich war, wurde anhand der Kraterdichte auf dem Mond geschätzt. Der Mond ist wie der Mars mit Kratern übersät, und man hat sich die Mühe gemacht, diese zumindest in den wichtigeren Regionen zu zählen. Tatsächlich weist die Mondoberfläche weit mehr Krater auf als der Mars, weil es dort niemals zu Erosionen durch fließendes Wasser kam. Der Mond und sein nächster Machbar, unsere (nahezu kraterfreie) Erde, repräsentieren die beiden Extreme in der Geschichte unseres Sonnensystems. Aber es reicht nicht, einfach nur Krater zu zählen. Ein bloßer Zahlenwert hat nichts zu bedeuten. Glücklicherweise waren Menschen auf dem Mond gewesen und haben Gesteinsproben von dort mitgebracht, deren Alter anhand ihrer schwachen natürlichen Radioaktivität bestimmt werden konnte. Da außerdem die Zahl der Krater in den Ursprungsregionen dieser Gesteinsproben bekannt war, konnte man nun bestimmen, in welchem Zeitraum die Verkraterung stattgefunden hatte.

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So gab es also erstmals einen Ort im Sonnensystem, von dem wir mit einiger Sicherheit sagen konnten, mit welcher Geschwindigkeit sich dort neue Krater unterschiedlicher Größe bildeten. Wenn man also das geologische Alter einer Planetenoberfläche bestimmen möchte, muß man nur die Krater in einem Planquadrat zählen, und schon verfügt man über einen relativ sicheren Schätzwert.

 

Natürlich war diese Methode nicht unproblematisch, und sie konnte keine 100prozentig sicheren Ergebnisse liefern, aber sie gab uns einen Vergleichswert für die Bemessung der Verkraterungsrate in unserem Sonnensystem an die Hand — den einzigen, der uns zur Verfügung stand. Als man diesen Vergleichswert für die Altersschätzung des Mars heranzog, ergab sich ein Alterswert, der dem des Mondes ähnelte — die lunare Marstheorie war geboren. Dieses Ergebnis hatte nur einen kleinen Schönheitsfehler, den auch Sagan einräumte: Der Mars befindet sich nicht in der Nähe des Mondes. Er befindet sich viel weiter draußen im Sonnensystem, in unmittelbarer Nähe des Asteroidengürtels.

 

Ein anderer interessanter Mann, dem ich auf dieser Konferenz begegnete, war Buzz Aldrin, der als zweiter Mensch nach Neil Armstrong den Mond betreten und das Landemodul gesteuert hatte. Er stand alleine herum, also ging ich zu ihm und machte mich mit ihm bekannt. Aldrin interessierte mich aus mehreren Gründen - vor allem natürlich, weil er auf dem Mond gewesen war, in zweiter Linie aber auch deshalb, weil wir eine Lebenserfahrung teilten: Wir waren beide in Grenzgebiete des menschlichen Wissens vorgedrungen und hatten infolge dessen mit einigem inneren Aufruhr zu kämpfen. 

In seinem Buch Rückkehr zur Erde beschreibt er den Zusammenbruch, den er nach seinem überwältig­enden Erlebnis auf dem Mond erlebte.4  Er konnte nicht akzeptieren, daß der Flug zum Mond bei allen großartigen Visionen, die damit verbunden waren, offensichtlich keine direkten Auswirkungen auf die Menschheit hatte, und seine Enttäuschung hatte ihn schier zur Verzweiflung gebracht.

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Aber Aldrin hatte, ohne sich dessen bewußt zu sein, zu einer großartigen, wenn auch wenig beachteten Entdeckung beigetragen, die unsere Erde und die Menschheit retten könnte. Hoffnung findet sich manchmal an unerwarteter Stelle; in diesem Fall fand man sie auf dem Mond, in den Fußspuren eines Astronauten.

Die obere Schicht der Mondoberfläche besteht aus pulverisiertem Gestein, das durch das ständige Meteoriten­bombardement immer wieder umgepflügt worden ist. Diese zwei Meter dicke Staubschicht bedeckt den Mond schon seit ewigen Zeiten. Den Prozeß des Umpflügens durch wiederholte Einschläge von Objekten mit Hyperlicht­geschwindigkeit bezeichnen die Mondforscher als »Landschafts­gestaltung«. Die Staubschicht, die sich auf der Mondoberfläche befindet, ist ständig dem Sonnenwind ausgesetzt. Der Sonnenwind ist ein Partikelstrom aus Atomen und Ionen, der in den heißesten Regionen der Sonnenatmosphäre entsteht. Die Teilchen des Sonnenwindes bewegen sich so schnell, daß sie sich wie Geschosse in die Mondoberfläche bohren und dort gefangen bleiben.

Die Apollo-Astronauten nahmen Kernbohrungen auf dem Mond vor, während sie die Oberfläche erforschten. Der in den Kernbohrungen zutage geförderte Staub war überladen mit den Gasen, aus denen der Sonnenwind besteht. Als Armstrong und Aldrin mit dem Staub des Mondes zur Erde zurückkehrten, hatten sie ein Stück Sonne in Form von atomaren Teilchen im Gepäck, von denen einige nach irdischen Maßstäben äußerst selten waren. Tatsächlich könnte eines dieser seltenen Partikel, die man im Mondstaub entdeckte, die Menschen in die Lage versetzen, sich die Kräfte der Sonne nutzbar zu machen und damit dem Ausstoß von Kohlendioxid in die Atmosphäre ein Ende zu setzen.

Als man den Mondstaub erhitzte, gab er ein Gas frei, das reich war an Helium-3, einem Heliumisotop, das auf der Erde ausgesprochen selten vorkommt. Helium-3 entsteht beim Fusionsprozeß im Inneren der Sonne. Von dort wird es zur Oberfläche befördert, wo es mit dem Sonnenwind davongetragen wird. Helium-3 ist nicht radioaktiv. Man könnte es als Teil der Fusionsenergie der Sonne betrachten, die in einem Atom gefangen ist. Wenn man Helium-3 (He3) zusammen mit Deuterium (D = einem stabilen Wasserstoffisotop, das auf der Erde häufig vorkommt) verbrennt, entstehen Helium und Wasserstoff, und es wird Energie in Form von Bewegungsenergie der dabei entstehenden Protonen freigesetzt.

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Diese Form der Kernfusion wird D-He3-Fusion genannt, und sie ist bei Kernforschern deshalb so populär, weil sie in jeder Hinsicht »sauber« ist. Das Ausgangsmaterial sowie die Endprodukte sind nicht radioaktiv.

Die D-He3-Fusion galt unter Atomwissenschaftlern jedoch als nicht realisierbar, da auf der Erde nicht genügend He3 zur Verfügung stand. Deshalb geriet ein Atomforscher der Universität von Wisconsin in helle Aufregung, als er beim Mittagessen zufällig hörte, daß sein mit der Mondforschung befaßter Kollege in dem im Mondstaub enthaltenen Gas eine große Menge He3 gefunden hatte. Ich nahm die aufsehenerregende Neuigkeit mit einem Gefühl unendlicher Dankbarkeit auf, denn sie verhieß die Rettung der Menschheit. Mit der Entdeckung von He3 auf dem Mond erhöht sich die Wahrscheinlichkeit beträchtlich, daß sich die Kernfusion als sicherer Energielieferant auf der Erde durchsetzen kann.

Die Kernfusion versorgt das Universum mit Wärme und Licht. In ihr manifestiert sich die Bereitschaft des Wasserstoffs, sich zu schwereren und komplexeren Atomen zu verdichten, ein Prozeß, an dessen Ende das Eisenatom steht. Die Fusion ist die Quelle des Sonnenlichts und des kosmischen Staubes - langsam, zuverlässig, voller Schönheit — Natur in ihrer lebenerhaltendsten Form. Und obwohl Reisen zum Mond oder zum Mars die Probleme der Menschheit nicht direkt zu lösen vermögen, könnten sie indirekt sehr wohl einen wesentlichen Beitrag dazu leisten. Das Schönste an jeder Reise ist die Entdeckung des Unerwarteten.

 

Am frühen Morgen des 26. April 1986 endete die Nachtschicht im schwedischen Kernkraftwerk Karlskrona wie immer um diese Zeit. Während die Arbeiter der Nachtschicht sich verabschiedeten und ihre Kollegen von der Tagschicht gerade an die Arbeit gehen wollten, begannen plötzlich die Alarmsirenen zu heulen, und die Tore schlossen sich. Die Strahlensensoren an den Toren hatten Radioaktivität entdeckt — der schlimmste Alptraum schien wahr zu werden —, die Männer der Nachtschicht mußten befürchten, durch ein unbemerktes Leck im System verstrahlt worden zu sein.

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Als das Sicherheitspersonal des Kraftwerks herbeieilte, um das Leck zu suchen, stellte man verblüfft fest, daß nicht die Nachtschicht den Strahlenalarm ausgelöst hatte, sondern die Angestellten der Tagschicht, die von außerhalb kamen. Die Strahlungsquelle befand sich außerhalb des Kraftwerks, und die Radioaktivität, der die Bevölkerung ausgesetzt war, betrug das Hundertfache der natürlichen Hintergrundstrahlung.5 Es handelte sich also nicht um ein kleines Leck im Kraftwerk, das man hätte auffinden und abdichten können. Irgendwo dort draußen mußte sich eine Katastrophe ereignet haben.

Während man in Schweden noch verzweifelt nach der Quelle der Radioaktivität suchte, wurde überall in Mitteleuropa ebenfalls Alarm ausgelöst. Eine von Osten nach Westen ziehende Wetterfront hatte eine riesige radioaktive Wolke mitgebracht. Während man in Europa allmählich die furchtbaren Ausmaße der Wolke erkannte und rätselte, woher sie gekommen sein mochte, hatte man im Pentagon ihre Quelle bereits ausgemacht und war fassungslos.

Mitten in der Nacht des 26. April hatten die streng geheimen Lauschposten und Satelliten der westlichen Verbündeten im Westen der Sowjetunion eine rätselhafte Zunahme des codierten Funkverkehrs festgestellt, auf den umgehend die Mobilmachung des Katastrophenschutzes folgte — aus allen Landesteilen der Sowjetunion setzten sich Rettungstruppen in Bewegung. Ihr Ziel war ein Ort namens Tschernobyl.

Was war in Tschernobyl? Das war die entscheidende Frage, und die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: In Tschernobyl stand ein großes Atomkraftwerk. Im selben Augenblick kamen bereits die ersten erschreckenden Bilder von den steuerbaren Aufklärungssatelliten. Der Grund für die Aktivitäten des Katastrophenschutzes war nun offensichtlich: In Tschernobyl war es zu einem Unfall gekommen — und wie die Bilder und Berichte über die von dort sich ausbreitenden radioaktiven Wolken befürchten ließen, mußte es sich um eine Katastrophe handeln.

Als der Morgen kam und die Satelliten ihre Kameras, Infrarot- und Strahlungssensoren auf das Atomkraftwerk in Tschernobyl richteten, offenbarte sich das ganze Ausmaß der Katastrophe. In dem Kraftwerk wüteten mehrere große Feuer, und der Brandherd im Zentrum der Katastrophe war so heiß, daß Wasser nichts dagegen ausrichten konnte.

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Das Wasser aus den Schläuchen der Feuerwehren verdampfte in der Luft, bevor es die Flammen erreichte; der Rauch des Feuers war derart radioaktiv und enthielt so viele giftige Gase, daß er alles Leben im Umkreis tötete. Dennoch versuchten die Feuerwehrleute verzweifelt, das Feuer unter Kontrolle zu bringen. Es war das Inferno eines Spaltungs­reaktorkerns aus Graphit (eine Form von Kohlenstoff, dichter als gewöhnliche Kohle), der nach einer explosiven Kernschmelze unkontrollierbar brannte. Der nukleare Brennstoff bildete zusammen mit atomaren Abfallprodukten und dem Graphit selbst eine tödliche Mischung aus entfesselter Radioaktivität und Schmelzofentemperaturen. Eine Staffel schwerer Militärhelikopter traf ein, und die Piloten steuerten sie mit dem Mut der Verzweiflung mitten in die tödliche Rauchwolke hinein, um über dem brennenden Kern Chemikalien, angeblich eine giftige Mischung aus Blei und Sand, abzuwerfen.

Es dauerte den ganzen Tag und die folgende Nacht bis in den nächsten Tag hinein, bis es endlich gelang, die Feuer unter Kontrolle zu bringen. Die tatsächliche Zahl der Opfer wird bis heute geheimgehalten oder ist vielleicht auch nicht exakt bestimmbar. Aber aus Washington, D.C., verlautete in den Tagen der Katastrophe, daß Hunderte von Feuerwehrleuten und Piloten durch chemische Vergiftung oder tödliche Strahlendosen ums Leben gekommen seien. Greenpeace schätzt, daß mindestens 400.000 Weißrussen, Russen und Ukrainer gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen, und daß mindestens noch 270.000 Menschen in Gebieten leben, in denen die dort erzeugten Nahrungsmittel aufgrund der starken Verstrahlung strengsten Kontrollen unterliegen.6  

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und diverse Regierungs­kommissionen haben die fatalen Auswirkungen auf die Gesundheit der 800.000 an der Feuerbekämpfung und den folgenden Aufräumarbeiten beteiligten Rettungskräfte untersucht. Ein Gebiet von mehr als 160.000 Quadratkilometern ist so stark verseucht, daß es bis zu 130 Jahre dauern wird, bis sich die Verhältnisse dort einigermaßen normalisiert haben werden.7

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Als die Feuer vollständig gelöscht waren, begann man, unter den immer noch weißglühenden Kern Tunnel zu graben und diese mit flüssigem Stickstoff zu füllen, um zu verhindern, daß sich der geschmolzene Kern durch das Erdreich bis in die Grund­wasser­schicht fraß — das gefürchtete »China-Syndrom«, das eine massive thermische Explosion zur Folge haben und den größten Teil des radioaktiven Materials des Kraftwerks in die Atmosphäre schleudern würde. Die Ruine des gesamten Reaktorblocks wurde in einem »Betonsarg« verschlossen.

Das China-Syndrom war zwar abgewendet worden, aber die Folgen waren auch so katastrophal. Eine riesige radioaktive Wolke breitete sich zuerst über Europa, dann über die gesamte nördliche Hemisphäre aus. Sowohl die Größe als auch die Höhe der Wolke zeugten von der ursprünglichen Wucht der Explosion. In ganz Europa wurden Vorkehrungen gegen eine Verseuchung der Nahrungsmittel getroffen, und in manchen Gegenden mußten die Menschen Jodtabletten einnehmen, um ihren Körper vor der Aufnahme radioaktiven Jods aus der Luft zu schützen. Die Zahl der Opfer, die unter Spätfolgen zu leiden haben werden, kann man nur schätzen, aber sie wird wahrscheinlich in die Millionen gehen. Eines aber steht fest — das Vertrauen der Industrie in die Kernspaltung wurde zutiefst erschüttert.

 

In Europa war man der Kernenergie gegenüber noch positiv eingestellt, als das Vertrauen der Amerikaner in die Kerntechnologie bereits im Schwinden begriffen war. In den Augen der meisten Europäer war selbst Three Mile Island (TMI) bei Harrisburg, Pennsylvania, ein zwar bedauernswerter, aber vermeidbarer Zwischenfall. Es wurde sogar argumentiert, daß der Unfall von Three Mile Island die Sicherheit der Kernenergie bewiesen habe, da die Inkompetenz der Betreiber so groß gewesen sei, daß sie nicht einmal größeren Schaden hätten anrichten können, wenn sie absichtlich versucht hätten, eine Kernschmelze auszulösen. Aus Three Mile Island war kein Tschernobyl geworden, weil der Reaktor mit einem schweren Schutzgehäuse ausgestattet war, das dem enormen Druck widerstehen konnte.

In Tschernobyl, wo so viele ihr Leben ließen, überlebten paradoxerweise die für die Explosion verantwortlichen Ingenieure, ähnlich dem betrunkenen Lastwagenfahrer, der als einziger den von ihm verursachten Autounfall überlebt, bei dem eine ganze Familie ausgelöscht wird.

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Sie stolperten aus den Ruinen und wurden verhaftet. Sie wurden gefragt, was die Katastrophe ausgelöst habe. Nachdem sie ihre Geschichte erzählt hatten, wurden sie wegen Fahrlässigkeit unter Anklage gestellt. Die Geschichte, die sie erzählten, zeugte von unglaublicher Dummheit und Fahrlässigkeit, Faktoren, die in Kombination mit der haarsträubend veralteten Bauweise des Reaktors zu der Katastrophe geführt hatten.

Unter Seeleuten gibt es eine Redensart, die lautet: »Nichts ist narrensicher. Narren sind viel zu schlau.« Torheit kann selbst das sicherste Szenario in eine Katastrophe verwandeln. Um so mehr ein Szenario, bei dem die Katastrophe beinahe vorprogrammiert ist. Tschernobyl 4, ein Reaktor der ersten Generation und als solcher von geradezu kriminell primitiver Bauweise, benutzte als Reaktionsbremse Graphit. Graphit wurde als Hauptbestandteil des Reaktorkerns mit dem eigentlichen Brennstoff vermischt, weil Graphit der erste bekannte Stoff war, der eine Kernspaltungskettenreaktion in natürlichem Uran auslöst.

Normalerweise sind die bei einer Kernspaltung freiwerdenden Neutronen zu schnell, um weitere Spaltungen und somit eine Kettenreaktion zu verursachen. Um die Neutronen zu verlangsamen, werden sie in einen Reaktionsbremser eingebettet. Von allen Reaktions­bremsern ist Graphit der am wenigsten kontrollierbare. In einem Reaktor westlicher Bauart ist der Bremser gleichzeitig das Kühlmittel. Auf diese Weise wird die Kettenreaktion abgebrochen, wenn das Kühlmittel verlorengeht oder der Reaktor sich überhitzt. Der Reaktor schaltet sich ab und produziert nur noch über den Zerfall der nuklearen Spaltprodukte Hitze.

Der Unfall von Three Mile Island hat gezeigt, daß es dabei trotzdem zu einer Kernschmelze kommen kann. In Tschernobyl hingegen verlangsamte das Kühlwasser die Kettenreaktion, so daß sich, als es verschwunden war, die Kettenreaktion im Kern beschleunigte und unkontrollierbar wurde. Und während sie durch das Graphit immer noch gebremst wurde, erhitzte sich der Kern so stark, daß am Ende das Graphit selbst verdampfte. Da Graphit aber eines der hitzebeständigsten Materialien ist, die wir kennen, verdampfte der Brennstoff zuerst. Daraufhin wurde die gesamte Kettenreaktion unkontrollierbar, und schließlich explodierte der Reaktorblock wie eine Bombe.

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Dabei wurde mehr radioaktives Material frei als bei den Atombombenexplosionen von Hiroshima und Nagasaki zusammen, auch wenn es sich um andere Radionuklide handelte. Unter den Bedingungen, die im Reaktorkern von Tschernobyl 4 in dieser Nacht herrschten, dauerte der gesamte Prozeß nur eine Sekunde.

Nach Tschernobyl findet man sich auch in Europa nicht mehr so einfach mit den Risiken der Kerntechno­logie ab. Und wenn man bedenkt, daß sich der radioaktive Staub aus Tschernobyl in den Gletschern der Schweiz noch immer nachweisen läßt, ist diese Haltung berechtigt. Was wir brauchen, ist eine neue Energiequelle, die sauberer und sicherer ist als die Kernspaltung, aber dennoch für den Fortschritt einer umweltbewußten Weltbevölkerung große Mengen an Energie liefern kann. Die Kernfusion ist eine solche Energiequelle.

Doch läßt sich angesichts der Schrecken von Tschernobyl und Three Mile Island und angesichts der wachsenden Furcht vor der Bedrohung durch Atomwaffen das Vertrauen der Menschen in die Nukleartechnologie überhaupt wiederherstellen?

 

 

Am Patricks-Day 1986 begannen wir im obersten Stockwerk eines 30stöckigen Bürogebäudes den totalen thermo­nuklearen Krieg. Es handelte sich um eine Kriegssimulation der SDI-Mitarbeiter, an der ein blaues und ein rotes Team sowie das Goldteam als neutrale Beobachter und Schiedsrichter teilnahmen. Die Mitglieder des Goldteams betraten den Raum und begaben sich zu ihren Plätzen — griesgrämige alte Männer, Generäle und Admiräle im Ruhestand, ergraute Wissenschaftler und Ingenieure, Veteranen des Kalten Krieges und Augenzeugen der frühen überirdischen Atomtests. Sie waren ein Häuflein verbitterter, harter und wettergegerbter Gestalten.

Das rote Team, zu dem ich gehörte, repräsentierte die Sowjetunion, die den Krieg beginnen sollte. Wir starteten einen Überraschungs­angriff auf die Vereinigten Staaten, die zu ihrer Verteidigung über eine frühe, noch nicht ganz ausgereifte Version des SDI-Arsenals verfügten. Dieses nahmen wir mit einer Reihe weltraum- und bodengestützter Waffensysteme als erstes unter heftigen Beschuß. Das US-Team verteidigte sich mit seinen SDI-Waffen, und schon war ein massiver Krieg im All entfesselt.

Was nach fünf Minuten noch von diesem System übrig war, griffen wir mit nuklear bestückten bodengestützten Abwehrraketen an. Die Ergebnisse wurden mit Hilfe von Wahr­schein­lich­keitsrechnungen kalkuliert. Eine Art Endzeit-Monte-Carlo.

Erst nachdem sich Dutzende von Atomexplosionen in niedriger Umlaufbahn über der Sowjetunion ereignet hatten, starteten wir unseren Hauptangriff mit SS-18-Interkontinentalraketen, um das Atomwaffenarsenal der Vereinigten Staaten zu enthaupten und zu dezimieren. Unser Angriff konnte nur einen Teil des SDI-Arsenals zerstören, und wir verloren wie erwartet einige unserer SS-18, was wir damit beantworteten, daß wir Ziele hoher Priorität mehrfach beschossen.  

Wir tranken unseren Kaffee und sahen alle zu, wie die Gefechtskopfschwärme einer nach dem anderen auf einem Computerbildschirm einschlugen und wie sich der Krieg in diesen ersten 40 surrealen Minuten entwickelte. Der Krieg dauerte den ganzen Morgen, dann machten wir eine Mittagspause. Am Nachmittag ging es weiter. Als wir ihn beendeten, war die Welt bis in ihre Grundfesten zerstört. Das einzige, was die SDI-Waffen zur Verteidigung gegen einen Angriff ausgezeichnet hatte, waren ihre Zuverlässigkeit und das Überraschungsmoment, das damit verbunden war.

Bemerkenswerterweise folgte danach beim Goldteam eine lange Diskussion über die Ergebnisse. Alles, was den Menschen irgend etwas bedeutet hatte, war in unserer Simulation zerstört worden. Jetzt entbrannte eine hitzige Debatte darüber, welche Mischung aus Boden- und Luftzündungen die Sowjets im Ernstfall programmiert haben mochten, um die amerikanischen Raketensilos zu zerstören. Es wurde über Druckwellen, Überdruck und Mach-Geschwindigkeiten diskutiert. Wie durch einen Schleier beobachtete ich die heftig gestikulierenden Männer um mich herum.  

Dann ging ich in einen irischen Pub, wo ich am Abend mit Freunden verabredet war. Ich hatte meine erste Erfahrung mit einem Atomkrieg gemacht, und ich fühlte mich so benommen, als wäre ich der letzte Überlebende. An diesem Abend mußten mich meine Freunde aus der Bar hinaustragen, vielleicht eine etwas zu heftige Reaktion auf die Erlebnisse dieses Tages, aber doch irgendwie passend. Ich traf am nächsten Morgen ziemlich verkatert zum zweiten Teil der Veranstaltung ein.

Am zweiten Tag setzte sich die hitzige Debatte über Boden- oder Luftzündungen fort und dauerte bis zum Abend. Und die Empörung, in die sich diese Männer hineinredeten, war absurd genug, denn es war nichts mehr übrig auf der Welt, um das zu streiten sich gelohnt hätte.

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