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8. Der Wirbel

Brandenburg-1999

Im Frühling des Jahres 1912 verließ eines der größten von Menschen je geschaffenen beweglichen Objekte Southampton und nahm Kurs auf New York. Es war der Inbegriff der technischen Errungen­schaften unseres industriellen Zeitalters — ein kraftvolles Symbol für Technologie, Reichtum, Luxus und Fortschritt. Es war mit 66.000 Bruttoregistertonnen vermessen. Sein stählerner Rumpf erstreckte sich über eine Länge von vier Häuserblocks. Jede seiner Maschinen hatte die Größe eines Einfamilienhauses. Und es war auf dem Weg zu einer schicksalhaften Begegnung mit den Naturgewalten. Das Objekt war die <Titanic> — ein Ungetüm von einem Schiff, gegen alle Angriffe der Natur scheinbar bestens gewappnet. In den Augen des Kapitäns, der Besatzung und der meisten Passagiere war sie unsinkbar.1

 

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Die Welt um uns herum gleicht der Titanic. Sie ist großartig, glänzend, kraftvoll, und sie gleitet mühelos durch ein kaltes Meer voller Eisberge. Sie verfügt nicht über genügend Rettungsboote, und diejenigen, die sie hat, werden unzureichend bemannt sein. Die Amerikaner, Europäer und Japaner zählen zu den Passagieren der Ersten Klasse. Die Bewohner der Dritten Welt sind die Passagiere des Zwischendecks. Wenn wir den Kurs nicht ändern, wird ein Unglück, vielleicht sogar eine Katastrophe unvermeidlich sein. Wie auf der Titanic werden es die Passagiere des Zwischendecks sein, die unter der Katastrophe am meisten zu leiden haben, während die Passagiere der Ersten Klasse in ihren halbleeren Rettungsbooten sitzen und sich Augen und Ohren zuhalten.

Daß sich die Menschen plötzlich wieder lebhaft für das Schicksal der Titanic interessieren, hat seinen triftigen Grund: Sie ist die perfekte Metapher für unseren Planeten. In gewisser Weise ist es uns bewußt: Wir befinden uns auf der Titanic. Wir wissen nur noch nicht, daß die Havarie bereits stattgefunden hat. 

Der Tod so vieler Menschen an Bord der Titanic wurde durch die Kollision mit einem Eisberg verursacht, zu der es durch eine Mischung aus Leichtsinn und Pech kam. Anstatt mit einem Eisberg sind wir mit einem Treibhaus — der globalen Erwärmung — kollidiert, einem Hindernis mit großem Trägheitsmoment, das nur schwer zu stoppen ist.

Wenn es uns nicht gelingt, den Treibhauseffekt aufzuhalten, wird er ein unvorstellbares, 50 Jahre währendes Drama für die gesamte Menschheit auslösen. Die vier Apokalyptischen Reiter sind unterwegs, aber das Ende der Welt kommt nicht mit einem Schlag. Das wäre zu leicht und zu gnädig. Wir reden uns trotz der unübersehbar steigenden Temperaturen ein, alles sei in Ordnung. Wir würden uns den Veränderungen schon anpassen. Aber diese Illusion entbehrt jeglicher analytischer und historischer Grundlage.

Bis heute kann keine fundierte Aussage über das Wechselspiel zwischen der Atmosphäre, den Ozeanen, unserer Biosphäre und der menschlichen Spezies gemacht werden. Der letztgenannte Faktor ist schwer zu begreifen, und die ersten drei verhalten sich ihrem Wesen entsprechend unvorhersehbar und ungezähmt. Niemand weiß, was wirklich geschehen wird. Es ist ein verrücktes Experiment, ungefähr so, als würde man sein Haus anzünden, um die Rauchmelder zu überprüfen. Die Geschichte hält auch kein geeignetes Beispiel parat, denn weder haben wir Menschen den Planeten je zuvor in einer solchen Zahl bevölkert, noch haben wir seine Ressourcen jemals so exzessiv ausgebeutet.

Wir können der Geschichte lediglich die Lehre entnehmen, daß natürliche Klimaveränderungen bisher eigentlich immer großes Leid und Blutvergießen unter den Menschen verursacht haben. Die Menschen tendieren dazu, sich auch in Zeiten stabiler klimatischer Bedingungen gegenseitig Leid zuzufügen und Kriege selbst dann vom Zaun zu brechen, wenn keine äußeren Streßfaktoren gegeben sind. Man muß schon sehr viel Fantasie besitzen, um anzunehmen, die Menschheit werde ausgerechnet angesichts steigender Temperaturen, verheerender Stürme und schmelzender Polkappen einsichtig werden. Unterdessen wird die wissenschaftlich begründete Verharmlosung unserer Lage zu einem eigenen lukrativen Berufszweig.

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Uns Menschen sind solche Beschwichtigungsversuche gutes Geld wert. Die Industrie ruft ständig neue Institute ins Leben, in denen sie die Harmlosigkeit der weltweiten Klimaveränderung nachweisen läßt, genau wie die Tabakindustrie, die durch interne Studien feststellen läßt, daß Rauchen völlig ungefährlich sei. Es überrascht nicht sonderlich, daß in solchen Studien kein ursächlicher Zusammenhang zwischen Rauchen und der Häufigkeit bestimmter Krebsarten festgestellt werden konnte.

Da sich eine Klimaveränderung der Art, wie wir sie zur Zeit verursachen, nicht akkurat anhand eines Modells darstellen läßt, erinnern die derzeitigen Verharmlosungen des Treibhauseffektes fatal an die Reaktion der Offiziere auf der Californian, jenem Schiff, das die Notsignale der Titanic ignorierte, obwohl es nur zehn Seemeilen entfernt war, als der Luxusdampfer sank. Den Offizieren der Californian hatte es einfach an Vorstellungskraft gemangelt. Wie wir mittlerweile wissen, kann Mangel an Vorstellungskraft tödliche Folgen haben.

Vielleicht war das Problem der Besatzung aber auch grundlegenderer Natur: Vielleicht fehlte es den Männern an Vorstellungs­kraft, weil sie diese bewußt unterdrückten. Sie hatten Angst, sich vorzustellen, daß die Leuchtraketen der Titanic tatsächlich ein Schiff in Not signalisierten. Denn dann hätten sie sich in diesem eisigen Gewässer selbst in Gefahr bringen und ihr eigenes Schiff riskieren müssen.

Als der Morgen graute, brauchte die Californian noch zwei lange Stunden, um zum Unglücksort zu gelangen. Als sie endlich eintraf, waren dort nur noch Tote zu bergen. Dem Treibhauseffekt begegnen wir offensichtlich mit ähnlicher Gleichgültigkeit. Nur wenige Konzerne haben sich bisher auch nur ernsthafte Gedanken über die globale Klimakatastrophe gemacht, auf die wir unaufhaltsam zusteuern. Und so fahren wir im privaten wie im öffentlichen wie im kommerziellen Leben fort, die Atmosphäre mit Treibhausgasen vollzupumpen und das Problem damit von Tag zu Tag zu vergrößern. 

Man hört immer wieder, es sei gefährlich und möglicherweise schädlich für unsere Wirtschaft, wenn wir jetzt gegensteuern. Wahrscheinlich werde alles gar nicht so schlimm werden, sagt man uns. 

Diese Haltung lacht buchstäblich allen realen Tatsachen höhnisch ins Gesicht.

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In den tropischen Gebieten, wo die meisten Bewohner der Erde oft in äußerster Armut und auf engstem Raum zusammengedrängt leben und dem Boden kaum das Allernotwendigste zum Überleben abtrotzen können, wird die Klimaveränderung unvorstellbares Leid und Erschütterungen für die Menschen mit sich bringen. Wenn wir vom Treibhauseffekt sprechen, meinen wir auch die Ausdehnung der Wüstengebiete und den ansteigenden Meeresspiegel. Die bewohnbaren Gebiete schrumpfen. 

Es wäre gut, wenn es weniger Menschen auf der Erde gäbe, aber das ist nun einmal nicht der Fall. Gegenwärtig leben sechs Milliarden Menschen auf der Erde, wissenschaftliche Prognosen sagen eine Zunahme der Weltbevölkerung auf elf Milliarden voraus. Elf Milliarden Menschen, die sich verhalten wie Parasiten, die ihrem Wirt die Lebenskraft aussaugen, die Luft mit giftigen Abgasen verseuchen, sich rücksichtslos und unkontrolliert vermehren und keine Ahnung haben, wie sie zum Wohl der Biosphäre, die ein wichtiger Faktor in ihrer Wirtschaft ist, beitragen können. Wir Menschen könnten in eine blühende Zukunft blicken. Statt dessen tun wir alles, um eine globale Katastrophe auszulösen.

 

Der Kahlschlag der Wälder und der vorhersehbare zweite Akt, die Wüstenbildung, sind zur Zeit der wichtigste Beitrag der Menschheit zum globalen Zerstörungswerk. Die »Dritte Welt« hat auf diese Weise ihren unübersehbaren Anteil an der Umwelt­zerstörung, auch wenn sie den Finger anklagend gegen die Industrienationen mit ihrem FCKW- und Kohlen­dioxid­ausstoß und der Überfischung der Meere erhebt. Wenn sich Regenzonen verlagern, verwandeln sich die ihrer Wälder beraubten Tropengebiete in Wüsten. Danach beschleunigen die Menschen den Verfall, indem sie in ihrer Verzweiflung der Erde das letzte bißchen Grün für sich selbst und ihr Vieh entziehen.

Selbst die nach einer Dürre oft einsetzenden starken Regenfälle machen dann das Land nicht mehr fruchtbar, sondern tragen im Gegenteil zur Wüstenbildung bei. Denn der erste heftige Regenguß schwemmt den Mutterboden von überweideten Hängen, und die hungernden, entwurzelten Menschen und ihr Vieh folgen dem Regen und verbrauchen die Restvegetation schneller, als sie nachwachsen kann.

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Sechs Milliarden Menschen — von denen schon jetzt Abermillionen unter der Verlagerung der Regengebiete zu leiden haben — dezimieren also derzeit genau den Pflanzenbestand, der das von uns produzierte Kohlendioxid wieder aus der Atmosphäre entfernen könnte. Die Fläche fruchtbaren Landes in der »Dritten Welt« schrumpft schon heute in beängstigendem Tempo.

Wenn die Ozeane ansteigen, verlieren tiefergelegene Länder wie Bangladesh und viele Inselstaaten wertvolles Ackerland durch die Überschwemmung mit Salzwasser. Aus dem Hinterland fällt ihnen die Wüste »in den Rücken«, die sich aufgrund von Dürre und Brandrodungen ständig ausdehnt. Was vom Feuer verschont bleibt, verbrauchen die Menschen als Brennstoff, was die Rinder zurücklassen, fressen die Ziegen, und was die Ziegen übriglassen, graben die Menschen aus, wenn sie sonst nichts mehr zu Essen haben.

 

Ed Abbott war einer der Menschen, die ich während meiner Jugend als Vorbild betrachtete. Er war von Beruf Förster und der Vater meines besten Freundes. Ed war ein gestandener Mann, bescheiden und aufrichtig. Im Laufe seines Berufslebens setzte er seine ganze Kraft darein, die ihm anvertrauten Wälder im Norden Amerikas gegen Brände und Raubbau zu schützen. Er hatte Freunde im Kampf gegen Waldbrände sterben gesehen, während er im dichten Rauch stand und im Schweiß seines Angesichts um das Leben eines jeden Baumes rang. Er hatte manchmal für Wochen auf einsamen Außenposten hoch in den Bergen, inmitten der Wälder ausgeharrt. Als er einmal alleine seinen Kontrollgang machte, wurde er von einer Klapperschlange gebissen und mußte 16 Kilometer weit reiten, um sich medizinisch versorgen zu lassen — nicht geraden Weges eine Straße hinunter, sondern durch dichtes Unterholz über Stock und Stein.

Als ich jung war, unterhielt ich mich oft mit Ed Abbott über die aktuellen Themen der Forstwirtschaft, insbesondere über das Für und Wider von Kahlschlag oder selektivem Einschlag. Ein umstrittenes Thema in meiner Heimatstadt Medford, wo die Forstwirtschaft den wichtigsten Industriezweig darstellte.

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Er beharrte darauf, daß gegen Kahlschlag nichts einzuwenden sei, weil die Bäume auf diese Weise schneller nachwachsen könnten. Das war die offizielle Haltung im Forstministerium der Vereinigten Staaten, und Ed war ein loyaler Angestellter dieser Behörde, die in seinen Augen umsichtig und vernünftig handelte. Da ich ihn respektierte, sah ich keinen Grund, seine Einschätzung anzuzweifeln.

Als Erwachsener, viele Jahre später, begegnete ich Ed in Medford wieder. Wir unterhielten uns gemütlich über die alten Zeiten und genossen den Blick auf die Berge über Medford, die wir beide so sehr liebten. Dann bemerkte ich eine mehrere Hektar große, fast baumlose Fläche, und auf einmal kamen mir unsere früheren Diskussionen in den Sinn. Ich zeigte auf die kahle Stelle am Berghang und sagte: »Ed, ich erinnere mich, daß dieser Berg abgeholzt wurde, als ich in der ersten Klasse war. Jetzt sind 30 Jahre vergangen, und es ist immer noch kahl dort oben.«

Er hob den Kopf, lächelte und sagte mit einem verschmitzten Augenzwinkern: »Du siehst nur nicht richtig hin.« Ed wußte, daß die Politik des Kahlschlags dort nicht funktioniert hatte, aber er wollte die Fehler der Vergangenheit nicht wahrhaben. Statt dessen pflanzte er jetzt Bäume.

Als Ed nach 30 Jahren aus dem Forstdienst ausschied, begann er als Forstexperte um die Welt zu reisen, um Regierungen bei ihren Bemühungen um die Aufforstung abgeholzter Gebiete zu unterstützen. Die Erfahrungen, die er auf der ariden Arabischen Halbinsel in der Republik Jemen gemacht hatte, waren ein Vorgeschmack auf die Probleme, denen wir begegnen, wenn wir heute versuchen, die Umweltsünden der Vergangenheit wiedergutzumachen: Ed hatte geholfen, eine Bergregion des Landes aufzuforsten. Aber kaum waren die Arbeiten beendet, als die Viehhirten mit ihren Ziegenherden in das Gebiet einfielen und die Tiere an den jungen Setzlingen weiden ließen. Interessanterweise waren es Ziegen, die mehr als 1000 Jahre zuvor den urzeitlichen Zedernwäldern im Libanon so zugesetzt hatten, daß sie für immer aus dem Landschaftsbild verschwanden.2

Die Regierung reagierte mit drastischen Maßnahmen. Die Ziegen wurden von Armee-Einheiten erschossen, die Hirten verhaftet. Ein Treffen zwischen Regierungsvertretern und den örtlichen Scheichs wurde vereinbart. Man bat Ed, dem Treffen beizuwohnen und den Ortsansässigen das Wiederaufforstungsprojekt zu erläutern.

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In einem abweisenden Betongebäude, in einem harten und für ihn fremden Land, unter den Augen der bewaffneten Regierungsvertreter, gab sich Ed alle Mühe, mit Hilfe eines Dolmetschers sein Anliegen zu erklären. Danach verwies ein Regierungssprecher die Scheichs wieder auf die strikten Gesetze. Die Scheichs starrten währenddessen Ed Abbott finster an und fuhren sich mit dem Daumen über die Kehle, ein unmißverständliches Zeichen dafür, was sie von seinem Aufforstungs­programm hielten und was ihn erwartete, sollten sie ihn einmal allein in den Bergen antreffen.

Das ist nur ein Beispiel für die Schwierigkeiten, mit denen wir es zu tun haben, wenn wir irgendwo in der Welt versuchen, unserer Umwelt zuliebe die traditionellen Formen der Bewirtschaftung zu ändern. Das gilt auch für unseren Teil der Welt. Es mag uns absolut vernünftig erscheinen, wenn den Hirten im Jemen verboten wird, ihre Ziegen an den zarten Trieben der Setzlinge weiden zu lassen. Wenn wir aber den Eindruck haben, daß unsere Bequemlichkeit und unsere zivilisatorischen Errungenschaften durch allzu drastische Maßnahmen gefährdet sind, erheben wir vermutlich ein großes Geschrei. Die Notwendigkeit, etwas zu ändern, gilt für uns alle.

Ed lebt längst nicht mehr, aber die Wälder, die er gepflegt und die Baume, die er rund um den Globus gepflanzt hat, sind sein Vermächtnis. Ich behalte ihn als Vorbild in dankbarer Erinnerung.

»Es ist ein sprichwörtlicher Akt des Glaubens,
wenn alte Männer Bäume pflanzen.
Denn sie wissen, daß sie selbst nie
in ihrem Schatten sitzen werden.«

Gerald Ford und Jimmy Carter, US-Präsidenten a. D., A Time To Heal

Im August des Jahres 1989 passierte die Raumsonde Voyager den Planeten Neptun. Ganz anders als der nahezu homogen grüne Uranus ist der Neptun von einem tiefen Blau, das von farbigen Streifen

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durchzogen ist, und er besitzt einen dunklen Fleck, in den Proportionen vergleichbar mit dem Großen Roten fleck des Jupiter. Wer hat behauptet, das äußere Sonnensystem sei langweilig? Es war ein unglaublich dynamischer, faszinierender Ort, und die Reise dorthin war die größte aller Reisen. Bevor sie unser Sonnensystem verließ, um auf ewig zwischen den Sternen zu wandern, sandte die Raumsonde Voyager einige spektakuläre Nahaufnahmen von Triton, dem blau-roten Art-deco-Mond des Neptuns, zur Erde, die vermuten ließen, daß es dort Kälte-Vulkanismus gibt - ein Vorgang, bei dem sich eine Art »Lava«, ein Matsch aus Stickstoff und Methan, aus Oberflächenöffnungen über die Landschaft ergießt.

Unsere belesene und an astronomischen Dingen interessierte Empfangsdame Shelly verwickelte mich gutgelaunt in eine Diskussion darüber, ob es eine Tragödie oder ein Sieg der Vernunft gewesen sei, den Pluto bei dieser Voyager-Mission zugunsten des Titan »links liegen zu lassen«. War der Pluto überhaupt ein Planet? »Ja«, behauptete sie. »Schließlich hat er eine Atmosphäre und einen Mond.«

»Er ist kein Planet«, widersprach ich. »Seine Masse beträgt nur ein Prozent der Masse unseres Mondes. Er ist eine aufgeplusterte Kugel aus Eis und müßte demnach als Komet klassifiziert werden. Oder besser noch als ein vom Neptun abgestoßener Mond.« Die gut betuchte Gemeinde der Planetenforscher würde natürlich alles daransetzen, die Zuordnung Plutos zu den Planeten zu verteidigen — denn wenn der Pluto zum Kometen degradiert werden würde, würden die Mittel für mögliche Flüge zum letzten unerforschten Planeten unseres Sonnensystems nicht mehr so reich fließen.3

Was immer die fortgesetzte Diskussion über die Zuordnung Plutos ergeben mochte, es hatte keinen Einfluß auf die Forschungsmittel, die für das SDI-Programm aufgebracht wurden. Diese wurden radikal zusammengestrichen, denn genau zu dem Zeitpunkt, als die große Reise durch unser Sonnensystem beendet wurde, ging auch der Kalte Krieg seinem Ende entgegen.

Im Jahr 1990 veröffentlichte ich gemeinsam mit Vince DiPietro und Greg Molenaar unsere Hypothese zur Cydonia-Region.4'5 Es sollte der abschließende Bericht über unsere Erkenntnisse sein, bis neue Bilder von Cydonia vorlagen, und zu diesem Zeitpunkt wußte

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niemand, wann das sein würde. Das war natürlich eines der Probleme, mit denen die Marsforschung generell zu kämpfen hatte. Es wurden damals nur wenige Sonden ins All geschickt, und zwischen den Missionen lagen lange Zeitspannen.

Wir gingen in unserem Bericht von der Hypothese aus, daß auf dem Mars über die längste Zeit seiner Geschichte hinweg, möglicherweise vier Milliarden Jahre lang, ein ähnliches Klima und ähnliche Lebensbedingungen geherrscht hatten wie auf der Erde (basierend auf einem frühen, von William Hartmann6 entwickelten Modell für die Altersbestimmung von Kratern schätzten wir das Alter der Cydonia-Region auf etwa 500 Millionen Jahre). Wir hielten es für möglich, daß der Mars noch vor der Erde eine dem Menschen vergleichbare intelligente Lebensform hervorgebracht haben könnte. Bei dieser Hypothese stützten wir uns auf das Vorhandensein alter Wasserläufe auf dem Mars, auf das Erscheinungsbild der Objekte von Cydonia und auf das Denkmodell, das die Erde und ihre biologischen Erscheinungen als kosmischen »Durchschnitt« betrachtet, nicht als etwas Exotisches, das es im ganzen Universum nur einmal geben könnte. Unser Artikel endete mit der Erklärung: »Der Mars hat einst gelebt, wie die Erde heute lebt, und er ging zugrunde, wie auch die Erde zugrunde gehen wird, wenn wir nicht verantwortungsvoller mit ihr umgehen.« In unserer Vorstellung hing das Schicksal der beiden Planeten zusammen.

Der Kalte Krieg ging 1989 zu Ende. Zur selben Zeit zog die Sowjetunion ihre Besatzungstruppen aus Afghanistan ab, womit das Gemetzel dort aber keineswegs beendet war. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen gingen unter neuer Regie weiter. Einer meiner Nachbarn, ein Afghane aus Kabul, klagte darüber, daß seit dem Abzug der Sowjets viele Mitglieder seiner Familie ums Leben gekommen seien. Er war der Meinung, daß es die Pflicht der Vereinigten Staaten sei, eine Friedenstruppe zu entsenden, um das Blutvergießen in seiner Heimat zu beenden. Ich verstand seine Trauer und seine Wut, aber eine amerikanische Intervention schien mir zu diesem Zeitpunkt nicht möglich.

Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer. Ich hielt mich zu dieser Zeit bei meiner Familie in Oregon auf, und wir stießen in Erinnerung an unser deutsches Erbe mit einem Glas Sekt auf die Öffnung des Brandenburger Tores an.

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Der »Ausbruch« des Friedens hatte berußich fatale Folgen für mich, weil im Rüstungssektor nun massenhaft Stellen gestrichen wurden. Aber ich war bereit, meine Arbeitslosigkeit als den Preis hinzunehmen, den ich persönlich für den frieden, das Ende des Kommunismus und der nuklearen Bedrohung zu zahlen hatte.

Inspiriert durch die Ereignisse, bestellte und erhielt ich als eine Art Andenken ein Stück aus der Berliner Mauer, das mit einem Echtheitszertifikat versehen war. Während meiner - wie ich hoffte -vorübergehenden Beurlaubung machte ich eine kurze Reise nach Europa und unternahm ausgedehnte Spaziergänge durch die schönsten Viertel von Paris. Ich hatte den Eindruck, daß die Europäer den Fall der Berliner Mauer mit gemischten Gefühlen betrachteten, eine Haltung, die ich um so besser nachvollziehen konnte, als ich nach Hause zurückkehrte und feststellen mußte, daß meine Kündigung endgültig war.

Dann marschierten am 2. August 1990 irakische Truppen in Kuwait ein, und nach einigen in den Wind geschlagenen Warnungen wurden starke Kampfverbände in die Region entsendet. Wieder einmal führten die Vereinigten Staaten Krieg. Ich selbst diente in diesem Krieg an der Heimatfront - im Eafayette Park vor dem Weißen Haus in Washington, D. C., wo in dieser Zeit regelmäßig Demonstrationen zur Unterstützung der US-Truppen stattfanden. 

Unsere Gruppe, zu der sowohl Vietnamveteranen als auch Angehörige von im Golfkrieg dienenden Soldaten gehörten, hatte es sich zum Ziel gesetzt, unsere kämpfenden Landsleute durch unsere Aktionen und die Medienberichte darüber wissen zu lassen, daß wir hinter ihnen standen. Wir hatten mit unserer Strategie Erfolg. Da wurde mir zum ersten Mal klar, welchen Einfluß eine kleine Gruppe von Menschen, die bereit ist, öffentlich für ihre Sache einzutreten, auf den Lauf der Geschichte haben kann. Heimkehrende Soldaten berichteten später, daß ihnen die zahllosen Menschen, die in der Heimat Flagge zeigten und aus ihrer Unterstützung für die Truppen keinen Hehl machten, sehr viel Mut und Zuversicht gegeben hätten. Als der Krieg vorbei war, hielten immer wieder Busse mit Verwundeten auf dem Weg vom Flughafen zu den Militärkrankenhäusern der Stadt bei unserer Gruppe an, weil uns die Heimkehrenden ihren Dank aussprechen wollten.

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Auf der anderen Seite des Parks hatten sich unter dem Motto »No Blood for Oil« die Kriegsgegner versammelt, von denen viele schon in der Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg aktiv gewesen waren. Manchmal trafen am Rande der zugewiesenen Areale Vertreter beider Gruppierungen aufeinander und diskutierten unter den wachsamen Augen der Polizei über den Krieg. Die Kriegsgegner argumentierten, Kuwait habe früher einmal zum Irak gehört. Ich führte ins Feld, daß Saddam Hussein sich einen Spaß daraus machte, Menschen in Schwefelsäure tauchen zu lassen. Sie konterten, daß Menschen für Öl starben, und ich erzählte ihnen von den Menschen in meiner Heimatstadt, die während des Ölembargos erfroren waren. Manchmal ergab sich aus diesen Begegnungen ein gutes Gespräch, und ich stellte fest, daß unter den Kriegsgegnern viele vernünftig denkende und kluge Menschen waren. Mit einigen von ihnen haben sich Freundschaften entwickelt, die bis heute bestehen.

Die Probleme waren nicht so einfach gestrickt, wie es die öffentlichen Standpunkte beider Gruppen suggerierten. Die Gegner des Golfkrieges fühlten sich nicht wohl, wenn sie mit ihren Protesten indirekt Saddam Husseins Regime unterstützten, und ich konnte schwerlich behaupten, daß dieser Krieg der Verteidigung der Demokratie in unserer Heimat diente. Vielleicht würden wir uns in anderen Fragen einmal auf derselben Seite wiederfinden. Allerdings versuchte ich den Kriegsgegnern klarzumachen, daß Saddam Hussein sie sicher jeden Abend im Fernsehen sähe und hoffte, daß sie den Krieg für ihn gewinnen würden.

In diesem Krieg wurde die Natur wie in jedem Krieg in Mitleidenschaft gezogen. Saddam Hussein ließ Öl in den Persischen Golf leiten und verseuchte ihn auf diese Weise. Ich fragte unsere Kriegsgegner, wie lange sie sich wohl noch zu Verfechtern einer derartigen Umweltzerstörung machen lassen wollten, eine Frage, die mich später verfolgt hat. Diese vorsätzliche Zerstörung der Ulmwelt konnten auch viele Kriegsgegner nicht entschuldigen, und nach diesem Akt der Barbarei nahm die Zahl der Kriegsgegner deutlich ab.

Es sollte noch schlimmer kommen. Während der Bodenoffensive zündeten irakische Truppen alle kuwaitischen Ölquellen an. Eine schwarze Rauchwolke erhob sich über dem Land und verbreitete sich von dort aus über den gesamten Globus. Der Krieg ging rasch seinem Ende entgegen, aber die Zahl der Opfer war gewaltig.

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Während das US-Militär Veröffentlichungen über die geschätzte Zahl der Todesopfer im Irak ablehnte, ging in Washington, D. C. das Gerücht um, daß der Krieg bis zu einer drittel Million Menschen das Leben gekostet hatte. Der Golfkrieg hatte wieder einmal daran erinnert, wie sehr sich die Industrie­nationen durch ihre Gier nach Öl der Willkür der ölproduzierenden Länder aussetzen.

Im Jahr 1992 besuchte ich während meiner Reise durch Frankreich, Belgien und England den Forschungsreaktor JET (Joint European Torus) in Culham bei Oxford. Durchnäßt von einem heftigen Regenguß und mit meinen Koffern in den Händen, traf ich dort ein. Die dort beschäftigten Physiker empfingen mich sehr zuvorkommend, und schon bald befand ich mich auf einem Rundgang durch die Anlage. Der dortige Tokamak ist eine Kammer von zehn Metern Durchmesser und hat die Form eines Donuts. Der Kontrollraum war sehr elegant. Anstelle aufwendiger Instrumente und Gerätschaften gab es in diesem Raum nur Computer, so daß Experimente gänzlich vom Schreibtisch aus gesteuert werden konnten.

Die Physiker waren an diesem Tag euphorisch, denn zwei Tage zuvor war es ihnen gelungen, mit einer reinen D-He3-Fusion im JET 200 Kilowatt Energie zu erzeugen — genug, um 100 Häuser einen Winter lang zu beheizen, ohne daß dabei Neutronen oder andere radioaktive Spaltprodukte freigesetzt worden wären. Dies war ihnen gelungen, indem sie das Helium-3 im Inneren des Plasmas mit Hilfe von Mikrowellen überhitzt hatten. Die dazu nötige Menge an Mikrowellenenergie war um das Fünffache höher als die produzierte Menge Fusionsenergie, aber ich war dennoch zutiefst beeindruckt. Es war also möglich, Energie zu erzeugen, die so sauber war wie das Licht der Sterne. Von diesem Tag an war ich überzeugt, daß die Fusionsenergie unsere einzige Chance war, unseren Energiebedarf zu decken, ohne die die gesamte Zivilisation zugrunde zu richten.

 

Seit Jahrzehnten wird an der Entwicklung von Fusionsreaktoren gearbeitet. Eine Eigenschaft der in ihnen erzeugten Energie besteht darin, daß sie schwer nutzbar zu machen ist. Eine Fusionsreaktion setzt voraus, daß man auf der Erde Bedingungen schafft, wie sie im Inneren von Sternen herrschen, und das ist eine schwierige Aufgabe.

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Aus demselben Grund ist es schwierig, die Kernfusion in Waffensystemen einzusetzen, besonders, wenn Deuterium und Helium-3 die Brennstoffe sind.

Im Hintergrund des Golfkrieges könnte der Versuch eine Rolle gespielt haben, die Entwicklung der Fusionstechnik zu verzögern. Obwohl die wahren Gründe wahrscheinlich nie ans Licht kommen werden, geht man vielerorts davon aus, daß Kuwait, dessen Produktionskosten pro Barrel Öl zu den niedrigsten aller OPEC-Staaten zählt, die Ölschwemme der achtziger Jahre ausgelöst hatte. Es hatte über seine Förderquoten hinaus Öl produziert, wohl wissend, daß die anderen OPEC-Länder mitziehen mußten, wenn sie bei einbrechenden Rohölpreisen keine herben Verluste hinnehmen wollten. 

Saddam Husseins Erdölprofite waren in Gefahr, und damit war der Ärger mit seinem südlichen Nachbarn vorprogrammiert. Der Grund für das fatale Hasardspiel in Kuwait könnte der Versuch gewesen sein, die Fusionsenergieforschung in den Vereinigten Staaten in einer Flut von Billigöl zu ersticken. Alarmiert durch den zwar langsamen, aber stetigen Fortschritt in der Fusionsforschung während der siebziger Jahre, als der Forschungsetat in diesem Sektor eine Höhe von mehr als einer halben Milliarde Dollar erreichte, trachtete Kuwait möglicherweise danach, die Quelle seines Reichtums zu schützen.

 

Wenige Wochen vor Beginn des Golfkrieges hob die US-Regierung den Geheimstatus etlicher Technologien auf, die in den Labors des Sandia-Unternehmens entwickelt worden waren (wo man seit längerer Zeit erfolgreich Fusionsexperimente durchführte). Die Aufhebung der Geheimhaltung sollte die Weiterentwicklung dieser Technologien durch private Unternehmen ermöglichen. Das Ganze geschah, von großem Medienrummel begleitet, unter den Augen einer gespannten Öffentlichkeit. Der Schritt wurde als wichtiger Beitrag zur wirtschaftlichen Sicherheit und Konkurrenzfähigkeit der Vereinigten Staaten gewertet.7 Vielleicht hatte man in Kuwait Angst, den gesamten Ölmarkt zu verlieren, und mißachtete aus diesem Grund eigensinnig die Bestimmungen der OPEC. Jedenfalls forderte der Starrsinn der kuwaitischen Regierung Vergeltungsmaßnahmen geradezu heraus.8

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Abgesehen einmal von der bedauerlichen Tatsache, daß sie um ein Haar ihr eigenes Land vernichtet hätten, ist es den Kuwaitis gelungen, den Weltmarkt mit Öl zu überschwemmen und so von der Dringlichkeit der Entwicklung alternativer Energiequellen abzulenken. Die Folge war, daß die Fördergelder für die Fusionsforschung gestrichen wurden. Das sollte uns eine bittere Lehre sein, die uns zeigt, wozu Menschen oder auch Staaten fähig sind, wenn es darum geht, Ölreserven und den Reichtum, der auf diesem Öl basiert, zu schützen.

Aber nicht nur die ölproduzierenden Länder sind zu einem solchen Irrsinn fähig. Wie können wir angesichts der aussterbenden Tier- und Pflanzenarten um uns herum glauben, daß das, was sie umbringt, uns nichts anhaben könne? Wie können wir beim Anblick von Fröschen mit zusätzlichen Gliedmaßen nicht in Sorge um unsere Kinder, um uns selbst sein? Welche geistige Umnachtung wiegt uns in der Sicherheit, eine Ausnahme zu sein? Was macht uns glauben, wir seien immun, unverwundbar? Wir könnten unbeirrt unseren liebgewonnen Gewohnheiten nachgehen, während um uns herum die Pflanzen, Tiere und Schwachen dieser Welt leiden und sterben? War es im »Dritten Reich« ähnlich? Waren die Menschen so indoktriniert, stumpf, eigennützig oder solche Meister in der Kunst der Selbsttäuschung, daß sie nicht begriffen, nicht begreifen konnten, was um sie herum vor sich ging? Wenn das keine Selbsttäuschung ist, was ist es dann?

Was ist mit uns los? Sind wir wahnsinnig?

Ja. Unser Verhältnis zu unserer Umwelt ist ebenso wahnsinnig wie der Nationalsozialismus oder die Sklaverei. Wir sind nicht gewillt, uns die Konsequenzen unseres Tuns vor Augen zu führen — nicht einmal, wenn es um unsere eigene Gesundheit und die unserer Kinder geht. Wir sind nicht bereit, etwas zu ändern. Selbstgerecht verteidigen wir unseren angeblich wohlverdienten Wohlstand. Sind uns unsere Autos wirklich wichtiger als unsere Kinder? Ist uns unser Luxus wichtiger als unsere Gesundheit? Unsere Bequemlichkeit wichtiger als die Zukunft der Menschheit? Das sind die Entscheidungen, vor denen wir heute stehen, aber natürlich sehen wir das nicht so. Wir handeln auch nicht aus einer bewußten Absicht heraus. Wir schicken unsere Kinder in dem guten Gefühl, das Beste für sie zu tun, mit einem Inhalator zur Schule und sehen nicht einmal, welche Schuld wir selbst an ihrer Krankheit tragen. Uns fehlt die Einsicht und der Wille, die Zusammenhänge zu begreifen.

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Die Krebserkrankungen bei Kindern häufen sich, und wir spenden für die Krebsforschung. Es gibt Organisationen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die Ursachen des Krebses zu erforschen.9 Für die meisten Mediziner steht jedoch die Behandlung der infolge von Umweltschädigungen bereits vorhandenen Krebserkrankungen im Vordergrund. Wenn wir die Ursachen der Krebserkrankungen bekämpfen wollen, müssen wir unser Leben umstellen und neue Anreize schaffen. Die Industrie zeigt sich nicht sonderlich bemüht, die mittlerweile bekannten umweltbedingten Ursachen des Krebses zu beseitigen. Das Beste, das wir von ihr zu erwarten haben, ist, daß sie uns Heilmittel verkauft.

Bei Männern in den Vereinigten Staaten sind die Spermienzahlen zwischen 1938 und 1990 um jährlich 1,5 Prozent zurückgegangen, was einer der Gründe für die rückläufigen Geburtenraten sein könnte. In Europa ist der Rückgang doppelt so hoch. Shanna Swan vom kalifornischen Gesundheitsministerium macht dafür schwer abbaubare organische Schadstoffe wie das Pestizid DDT und stabile chemische Substanzen wie polychlorierte Biphenyle (PCB) verantwortlich.10 Und wie beim Problem der Krebs- und Asthma­erkrankungen richtet sich die Hauptanstrengung der Forschung auf die Entwicklung von Mitteln zur Bekämpfung der Unfruchtbarkeit. Solange wir etwas gegen das Problem erfinden können, selbst wenn es Unsummen kostet, sind wir an der Erforschung seiner Ursachen nicht sonderlich interessiert. Wir geben uns lieber der Illusion hin, es bestünde kein Zusammenhang mit unserem Verhalten. Sind wir zufrieden, solange es ein Heilmittel gegen das Übel zu kaufen gibt?

 

Vielleicht sind wir zufrieden, aber unser nachhaltig gestörtes Verhältnis zur Umwelt wird uns unweigerlich einholen.
  Die Schäden, die wir unserer Umwelt zufügen, fallen in vielfältiger Weise auf uns zurück:

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Das alles sind realistische Prognosen. Und doch beschränken wir uns in unserem kollektiven Wahnsinn darauf, uns mit der Bewältigung der Folgen zu befassen, anstatt uns Gedanken darüber zu machen, wie wir verhindern können, daß es überhaupt erst so weit kommt.

Wir können uns ändern. Ganze Kulturen verändern sich. Den verbrecherischen Machenschaften des Naziregimes wurde schließlich ein Ende gesetzt, und entstanden ist ein moderner und demokratisch regierter Staat. Die Sklaverei ist fast überall auf der Welt abgeschafft, und wo sie noch existiert, wird sie als unmoralisch gebrandmarkt.

Aber um den Nationalsozialismus in Deutschland und die Sklaverei in den Vereinigten Staaten zu überwinden, waren blutige Kriege erforderlich, die unzählige Menschenleben gefordert haben. Man kann ein Gesellschaftssystem ändern, auch wenn die Wirtschaft des betreffenden Landes von diesem System abhängig ist — aber ist dies ohne Blutvergießen möglich? Kulturelle Gewohnheiten, die der Vernunft und der Ethik zuwiderlaufen, werden sich früher oder später überleben. Können wir unsere unvernünftigen und unethischen ökologischen Gewohnheiten ablegen, ohne die Kriege zu führen, die in der Vergangenheit nötig waren, um den kulturellen Wahnsinn zu stoppen?

Vielleicht können wir sogar aus den Fehlem der Vergangenheit lernen. Es ist in unseren Augen kein Zufall, daß Deutschland heute eines der wenigen Länder ist, in denen eine ökologisch orientierte Partei als einflußreiche Minderheit an der Regierung beteiligt ist. Gerade in Deutschland mit seiner fatalen Geschichte kann man die Gründung einer Partei wie Bündnis 90/Die Grünen als natürliche Konsequenz aus der Sorge um die Menschheit betrachten und als ein bewußtes Bekenntnis zum Erhalt der Natur. Eine solche Botschaft kann uns mit Zuversicht erfüllen.

Bei vielen Menschen ruft jedoch der bloße Gedanke an die erdrückenden ökologischen Probleme unseres Planeten eine solche Angst hervor, daß sie es vorziehen, die Augen davor zu verschließen. Es sind so viele Probleme, und uns stehen so wenige Mittel zur Verfügung, sie zu bekämpfen, daß wir einfach nicht wissen, wo wir beginnen sollen.

 

Am treffendsten hat es vielleicht Gordon K. Durnil in seinem Buch The Making of a Conservatiue Environmentalist formuliert, als er schrieb:

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Warum halte ich es für wichtig, ökologische Prioritäten zu setzen? Der Hauptgrund liegt in der menschlichen Natur. Lassen Sie mich zum Beispiel erklären, wie ein ganz normaler Mensch, der sich nur noch wenige Illusionen macht über die Bereitschaft des Staates, auch nur seine elementarsten Pflichten zu erfüllen, vermutlich auf die Nachricht eines neuen Umweltproblems reagieren würde.

Dieser Durchschnittsmensch könnte sagen: »Na gut, ich habe genug über Blei gehört, um zu wissen, daß es wahrscheinlich die Gesundheit schädigt. Ich möchte meine Kinder davor schützen, Blei ausgesetzt zu sein. Und ich könnte auch glauben, daß Dioxine (was immer das sei) und Pestizide schlecht für mich sind, wenn sie mir nicht auch noch erzählen würden, daß das Popcorn, Rührei mit Schinken, Rauchen, Kaffee, Verpackungsmaterial, Mülldeponien, Verbrennungsöfen, Fleisch, Vollmilch, hormonbehandelte Kühe, von Kühen ausgeschiedenes Methan, Radon, elektromagnetische Felder, Ozon, Forstwirtschaft, Atomenergie, Kohlekraftwerke, Hotdogs, Pflanzenschutzmittel, Autos, Plastik, Asbest, Vinyl, Brustimplantate und mexikanisches Essen meiner Gesundheit abträglich sind. Das ist einfach zuviel, worum ich mir Sorgen machen muß, also höre ich auf, mir überhaupt noch Sorgen zu machen!

Erfolgreicher Umweltschutz ist auf den Druck der Öffentlichkeit angewiesen. Wenn die Leute von der einen Seite hören, alles sei schlecht, und die andere Seite sagt ihnen, alles sei gut, dann schalten sie ihren Verstand auf Durchzug und üben keinen Druck aus. Es ist einfacher zu glauben, daß nichts schlecht sei, als daß alles schlecht sei. Wir müssen also Prioritäten setzen. Wir müssen Probleme angehen, bevor sie überhaupt zu Problemen werden, und wir müssen uns einigen, wo wir beginnen wollen.11

Durnil hat vollkommen recht damit, daß wir Prioritäten setzen müssen, wenn wir auch nur die dringlichsten Umweltprobleme effektiv lösen wollen. Dazu benötigen wir Kriterien, nach denen wir entscheiden können, was diese Prioritäten sind. Wir glauben, daß solche Kriterien gefunden werden können und müssen — doch bevor wir Lösungen vorschlagen, wollen wir uns diesem Teil des Problems ein wenig eingehender zuwenden.

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Die äußerst disziplinierte Verfahrensweise der Wissenschaften — Erarbeiten einer Hypothese, Experimentieren, Interpretieren, Schlußfolgern, Verteidigen der Thesen, Überprüfung und schließlich die Annahme der Theorien, die diese Prüfungen bestanden haben — ist das Fundament unserer Kultur und bestimmt unsere Art zu denken. Auf jeden Fall bestimmt diese Methodik die Geowissenschaften: Ozeanographie, Meteorologie, Geologie, Biologie, Forstwissenschaft, Ökologie und so weiter.

Wissenschaftliche Errungenschaften spielen in allen Bereichen unseres Lebens eine Rolle. Einige Entdeckungen können, auch wenn sie das Ergebnis soliden wissenschaftlichen Vorgehens sind, anderen Entdeckungen diametral entgegenstehen. Auf wissenschaftlichem Wege können wir beispielsweise herausfinden, daß Kühe, denen man Hormone spritzt, mehr Milch produzieren. Andererseits können wir die Wissenschaft heranziehen, um zu beweisen, daß die Milch hormonbehandelter Kühe zur sexuellen Frühreife unserer Kinder führt. Die Forschungsteams, die sich mit diesen unterschiedlichen Aspekten eines Phänomens beschäftigen, treten aber vielleicht zu keinem Zeitpunkt in einen Gedankenaustausch. Vielleicht haben sie nicht einmal eine gemeinsame wissenschaftliche Sprache oder ein gemeinsames Fachgebiet. Wahrscheinlich arbeiten sie auch nicht für dieselbe Organisation oder Institution, und zu guter Letzt unterscheiden sich ihre Motivationen und Zielsetzungen. Dennoch können beide Gruppen die bestmögliche wissenschaftliche Leistung erbracht haben, obwohl sie zu widersprüchlichen Erkenntnissen kommen.

Man kann die Wissenschaft nicht so einfach in Gut und Böse unterteilen, um den Widerspruch dieser beiden Erkenntnisse aus der Welt zu schaffen. Es steckt viel mehr dahinter. Merken Sie, daß es dabei auch um Werte geht? Und um mögliche Kompromisse? Die Werte, um die es geht, sind vielfältig und differenziert: eine hohe Milchproduktion, die Gesundheit von Kindern, wirtschaftliche Vorteile. In unserem Beispiel könnte es der Kompromiß zwischen der Sorge um die Gesundheit der Kinder und dem Wunsch nach wirtschaftlich produzierter Milch sein, im günstigsten Fall könnte es um bezahlbare Milch für Kinder gehen, die ansonsten überhaupt keine Milch bekommen würden.

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Die Wissenschaft hat bei der Lösung vieler Probleme geholfen, aber sie hat auch neue geschaffen und bestehende verschärft. Einerseits dient sie der Landwirtschaft, indem sie neue Düngemittel entwickelt, auf der anderen Seite läßt sich mit ihrer Hilfe beweisen, daß diese Düngemittel den Sauerstoffgehalt des Wassers im Golf von Mexiko verringern. Manche Dinge haben eben zwei Gesichter. Das muß nicht unbedingt bedrohlich sein. Man könnte sogar behaupten, daß es dem Wesen der menschlichen Evolution entspricht: zwei Schritte nach vorn und einen zurück — oder, wenn es um fossile Brennstoffe und Kernenergie geht, einen Schritt vor und zwei zurück.

Der Punkt ist der: Wissenschaftliche Forschung dient keiner bestimmten Wertvorstellung, und das ist gut so. Aus diesem Grund kann die Wissenschaft auch keine Richtlinien für das menschliche Verhalten vorgeben, erst recht nicht hinsichtlich so wichtiger und drängender Entscheidungen, wie wir sie angesichts der Umweltproblematik treffen müssen. Manchmal müssen solche Entscheidungen von einfachen Leuten getroffen werden, denn so sehr wir auch darauf hoffen, daß die Wissenschaft und die modernen Technologien die Probleme der Welt lösen — die Wissenschaftler und Technologen werden gar nichts bewirken, wenn wir ihnen nicht den Weg vorgeben.

Bei der Lösung der Umweltprobleme ist rasches Handeln geboten. Dies ist ein Notfall. Es steht unendlich viel auf dem Spiel. Für die gesamte Weltbevölkerung — für uns alle ist es eine Frage von Leben und Tod! Viele von uns, vielleicht zehn Millionen, 100 Millionen oder alle, werden auf dramatische Weise betroffen sein. Deshalb zählt jede Stimme. Wir müssen jetzt handeln! Die Wissenschaft ist zu schwerfällig, um einen schnellen Lösungsweg zu finden. Übereilte Forschung führt oft zu schwachen Ergebnissen. Die Wissenschaft geht seit jeher langsam, vorsichtig und methodisch vor. Sofortmaßnahmen zur Sanierung unserer Umwelt können aber nicht warten, bis der wissenschaftliche Fortschritt seinen mühseligen Weg gegangen ist. Das wissenschaftliche Modell ist hier fehl am Platz. Es ist nicht angemessen, Grundlagen­forschung zu betreiben, während das Haus schon brennt. Erst löscht man das Feuer, und danach sucht man nach den Ursachen für den Brand.

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Es gibt allerdings auch andere wissenschaftliche Ansätze. Es gibt Modelle, die wissenschaftlich seriös sind und dennoch ein schnelles Handeln zulassen: Sie bedienen sich der Methode, Entscheidungen an den sichersten verfügbaren Informationen zu orientieren und umgehend die erforderlichen Maßnahmen einzuleiten. Wir schlagen vor, angesichts der katastrophalen Folgen, die auf uns zukommen, wenn wir mit der Sanierung unserer Umwelt zu lange warten, unsere wissenschaftlichen Modelle den gegebenen Umständen anzupassen.

Da wäre zunächst die Medizin. In der Medizin kann ein Menschenleben davon abhängen, daß die Ärzte schnell genug handeln. Oft zählt hier jede Minute. In der Medizin hat man die Möglichkeit geschaffen, routinemäßig und rational mit Notfällen umzugehen. Schon bevor der Notfall eintritt, steht gut geschultes medizinisches Personal bereit, das in der Lage ist, schnelle Entscheidungen zu treffen. Ein Verfahren, das vor allem in Kriegszeiten praktiziert wird, ist die »Triage«.

Der Begriff Triage kommt aus dem Französischen und gehörte ursprünglich zum Fachjargon der französischen Wollhändler. Er bedeutet soviel wie »Sichten und Auswählen«. Heutzutage beschreibt das Wort in der Medizin das System, Patienten nach bestimmten Kriterien zu kategorisieren. Die Kategorien können je nach den Umständen variieren, aber grundsätzlich findet eine Einteilung nach der Schwere der Erkrankung oder Verletzung statt. Dabei muß es nicht um Leben und Tod gehen. In einer stark ausgelasteten Kinderklinik kann zum Beispiel eine Krankenschwester schon am Telefon nach der Methodik der Triage entscheiden, ob ein Kind gleich untersucht werden muß, ob es damit noch Zeit hat oder ob sofortige Maßnahmen eingeleitet werden müssen. Unter anderen Umständen, zum Beispiel an einem Unfallort, hilft die Triage dem Arzt, festzulegen, wer in ein Krankenhaus verlegt werden kann und wer nicht, wer so schwer verletzt ist, daß nur eine Notoperation sein Leben retten kann, und wer nur leicht verletzt ist, so daß seine Behandlung zugunsten der schwerer Verletzten zurückgestellt werden kann.

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Unter sehr ungünstigen Umständen, beispielsweise im Krieg, wenn die medizinische Versorgung unzureichend ist, kann die Triage den Arzt vor die schwere Entscheidung stellen, mit den begrenzten medizinischen Mitteln nur diejenigen Verwundeten zu behandeln, bei denen eine solche Behandlung Aussicht auf Erfolg hat.

Der Sinn dieser medizinischen Praxis ist, die verfügbaren Mittel so einzusetzen, daß man möglichst vielen Menschen möglichst effektiv helfen kann. Wir schlagen vor, daß man in Umweltdingen ebenso verfährt, indem man einen Kriterienkatalog entwickelt, anhand dessen sich bestimmen läßt, welche Umstände ein dringendes Handeln erforderlich machen, damit wir in Zukunft besser in der Lage sind, wirksame Strategien zur Bekämpfung der Umweltprobleme unter sinnvollem Einsatz der verfügbaren Mittel zu entwickeln.

Kehren wir noch einmal zurück zu der erdrückenden Flut von Problemen, die Gordon Durnil angesprochen hat. In einer idealen Welt würden wir gern jedem dieser Probleme unsere Aufmerksamkeit schenken. In der realen Welt ist das unmöglich. Wir können uns nicht mit allen drängenden Problemen gleichzeitig befassen, sondern benötigen ein rationales Kategorisierungssystem, damit wir überhaupt etwas ausrichten. Wo ist sofortiges Handeln erforderlich, um unser Überleben zu sichern? Wo besteht als nächstes Handlungsbedarf? Welche Probleme sind von globaler Bedeutung, welche obliegen unserer persönlichen Verantwortung?

Durnils Liste erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Die Zahl der Probleme, die darin nicht enthalten sind, ist groß — Überbevölkerung, Rückgang der Artenvielfalt, Wassermangel, Düngemittel im Boden, Brustkrebs, um nur einige zu nennen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Ein Bewertungssystem könnte uns helfen, Prioritäten zu setzen, besonders wenn es von Medizinern, Geowissenschaftlern und Politikern gemeinsam entwickelt werden würde. Die Klassifizierungen müßten nicht bindend sein, sondern sie würden vielmehr eine Richtlinie liefern, die uns hilft, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wenn wir in der Lage sind. Filme so zu klassifizieren, daß es Zuschauern die Entscheidung erleichtert, was sie sich ansehen wollen und was nicht, sollte es doch nicht unmöglich sein, dasselbe in der Umweltpolitik zu bewerkstelligen.

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Es gibt noch eine andere Sicht, die uns bei einer Auswahl der Kriterien helfen könnte. Der Verband der Staaten und Gesellschaften ist heute in der Lage, nahezu jeden Aspekt eines komplexen globalen Wirtschaftssystems zu kontrollieren. In der Wirtschaft geschieht kaum etwas, das unbeachtet bliebe. Der Diebstahl oder die Veruntreuung von Geld wird fast überall als kriminelle Handlung und Verstoß gegen die Interessen der Gesellschaft betrachtet. Wir sollten den Wert unserer Umwelt als der entscheidenden Basis einer jeden Wirtschaft nicht geringer schätzen als den Wert des Geldes. Geschäftliche Interessen und Umweltfragen sollten auf internationaler Ebene mit dem gleichen Maß an kritischer Verantwortung, Umsicht und Fairneß gehandhabt werden.

Jede Veränderung, auch wenn sie positiver Natur und von der Vernunft geboten ist, erscheint uns anfangs radikal. Das gilt heute genauso wie vor 100 Jahren, als eine ganz neue Methode zur Rettung von Menschenleben die Gemüter erhitzte. Sie schien einfach nicht plausibel zu sein, nicht im Entferntesten. Während auf der Krim heftiges Schlachtgetümmel herrschte, machte plötzlich ein empörender Bericht die Runde, in dem es hieß, es würden mehr Soldaten an den Folgen der medizinischen Versorgung sterben als an den Folgen ihrer Verwundungen. Eine ketzerische Behauptung! Wer konnte nur auf die Idee kommen, daß die tapferen Krieger ein so unwürdiges Schicksal erlitten? Aber da war er, dieser anstößige Bericht, und er enthielt eine ganze Reihe von Reformvorschlägen, die dem Parlament und Queen Victoria vorgelegt werden sollten.12

Die Schlußfolgerungen, zu denen dieser Bericht kam, wären vielleicht ohne weiteres Aufheben abgetan worden, wäre da nicht eine Tatsache gewesen: Etwas Vergleichbares hatten die Leute noch nie zu Gesicht bekommen. Es war eine erstaunlich moderne Darstellung. Neben dem ausführlichen, verständlich formulierten Textteil gab es eine Reihe von Grafiken in verschiedenen Farben, die in Form und Größe die mathematischen Verhältnisse verschiedener Elemente von numerischen Informationen zueinander in einer noch nie dagewesenen Präzision und Komplexität darstellten. Wer hatte sich diese Methode zur Sammlung und Auswertung statistischer Daten aus allen vorhandenen medizinischen Informationen ausgedacht und präsentierte sie jetzt? Es schien unmöglich, gegen einen Geist zu argumentieren, der in der Lage war, solche  methodische Systeme zu entwickeln.13

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Der Bericht spiegelte ein neues wissenschaftliches Verfahren wider: die numerische Analyse akribisch aufgezeichneter Daten. Die gesundheitliche Verfassung eines Soldaten wurde bei seinem Eintritt in den Heeresdienst sowie zum Zeitpunkt seiner Entlassung aufgezeichnet; im Falle seines Ablebens wurde die Todesursache vermerkt. Bis zu dieser Zeit war man davon ausgegangen, daß es normal sei, wenn so viele Verwundete eines plötzlichen Todes starben. Doch dieser Bericht sagte, gestützt durch die statistischen Daten, aus, daß bereits einfache hygienische Maßnahmen wie regelmäßiges Reinigen der Wäsche und Schrubben der Fußböden ausreichten, um viele Menschenleben zu erhalten.

Als man begann, die Empfehlungen in die Tat umzusetzen, ging die Sterberate in den Feldlazaretten und Hospitälern tatsächlich merklich zurück. Weniger Verwundete gingen in die Statistiken ein, und viele konnten statt dessen ihr Krankenlager verlassen und glücklich zu ihren Familien zurückkehren. Es sollte zwar noch 17 weitere Jahre dauern, bis die Menschen die Bakterien entdeckten, aber die ansteckende Natur bestimmter Krankheiten mußte nicht erst bewiesen werden, damit man durch sie bedingte Todesfälle verhindern konnte. Durch die verantwortungsbewußte Zielstrebigkeit, mit der die vorgeschlagenen Verbesserungen realisiert wurden, konnte unendlich viel Leid verhindert, konnten zahllose Menschenleben gerettet werden - auch wenn man zuerst einmal neue Verfahren entwickeln mußte. Das sollte uns für die Gegenwart zu denken geben, in einer Zeit, in der die Menschen hieb- und stichfeste Beweise verlangen, bevor sie bereit sind, etwas zu unternehmen. Wir sollten aktiv werden, sobald uns klar ist, wie eine positive Veränderung bewerkstelligt werden kann, nicht erst, wenn alle Beweise vorliegen!

Die Person, die sich dieses revolutionäre Konzept ausgedacht hatte, war Florence Nightingale, heraus­ragende Philanthropin und Denkerin ihrer Zeit, Erfinderin des Kreisdiagramms und Begründerin der modernen Krankenpflege. Sie rettete die britische Armee bei Skutari, und ihrem unermüdlichen Einsatz war es zu verdanken, daß 1854 während des Krimkrieges die Zahl der Todesfälle durch Infektionen nach einer Verwundung von 42 auf zwei Prozent verringert wurde. Ihre Ideen und Erkenntnisse veränderten die medizinische Versorgung nachhaltig.

Es gibt noch etwas, das man über Florence Nightingale wissen sollte. Sie mußte hart dafür kämpfen, Mathematik studieren zu dürfen. Hätte sie sich nicht ausdauernd, leidenschaftlich und mit ihrer ganzen Kraft dafür eingesetzt, so wäre ihr diese Ausbildung verweigert worden. Eine gute Bildung, eine der wichtigsten Voraussetzungen für ein erfülltes Leben, wird auch heute noch dem größten Teil der Weltbevölkerung vorenthalten.

Betrachten Sie Ihre Bildung als einen kostbaren Schatz, als ein Geschenk. Sie ist ein Privileg und eine Investition in die Zukunft, zu der Generationen von Menschen ihr Scherflein beigetragen haben. Nun ist der Notfall eingetreten, in dem die Menschheit die Dividende benötigt — und Sie allein können sie ihr geben. Wir zählen auf Ihren Beitrag zur Rettung.

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