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12 - Die Initiative

Brandenburg-1999

»Mein Name ist Isabella Perez, ich vertrete den Staat Ecuador. Das wichtigste Exportgut meines Landes ist Sauerstoff...»
Eine Stimme aus der Zukunft

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Am frühen Morgen des 15. April 1912 schob sich das 30.000-Tonnen-Passagierschiff <Carpathia> langsam, aber stetig mit zehn Knoten auf südöstlichem Kurs durch die Wasser des Nordatlantiks von New York nach Gibraltar. Es war kurz nach Mitternacht, als der Notruf über Funk einging: Ein Schiff hatte bei 42°53' Nord, 31°42' West, etwa 50 Seemeilen nordwestlich der Carpathia, einen Eisberg gerammt. 

Die Nachricht, daß es sich bei dem Schiff um die <Titanic> handelte, wurde von den Männern am Funkgerät mit ungläubigem Staunen aufgenommen — die <Titanic> war das größte Schiff ihrer Zeit und galt als unsinkbar. Sie informierten den Kapitän, der augenblicklich ein Wendemanöver einleitete und der <Titanic> über Funk die Nachricht übermitteln ließ, daß Hilfe unterwegs sei. Aus seiner 20jährigen Erfahrung auf See wußte Kapitän Rostron, daß sie keine Zeit zu verlieren hatten. Menschenleben waren in Gefahr.

Hektisches Treiben setzte ein, während tief in den Eingeweiden des riesigen Dampfers die Schiffsheizer, die »schwarzen Jungs«, schier übermenschliche Anstrengungen unternahmen, um zur Rettung der Menschen an Bord der <Titanic> die Maschinen auf Hochtouren zu bringen. Die Männer, die in ihren Kabinen schliefen, wurden geweckt und eilten zur Verstärkung der diensthabenden Schicht an die Kessel, und mit vereinten Kräften schaufelten die rußgeschwärzten Männer Kohle in die lodernden Schlünde der Heizkessel, angetrieben von den Befehlen des Ersten Ingenieurs: »Mehr Kraft voraus! Der Kapitän will mehr Kraft voraus!«

An Bord wurde alles für die Rettung vorbereitet. Die Matrosen ließen Netze, Laternen und Strickleitern am Rumpf der Carpathia herunter und machten die Rettungsboote klar, die die Schiffbrüchigen aufnehmen sollten. Die Wachen wurden verdoppelt und hielten angestrengt Ausschau nach Eisbergen. »Wir können es schaffen! Carpe diem, Carpathia!.« brüllte der Kapitän, und im Schweiße ihres Angesichts zwangen seine Männer dem schwerfälligen Schiff ihren Willen auf.

Bald war das Wendemanöver geschafft, und die Carpathia pflügte mit voller Kraft voraus dem Unglücksort zu. Die Kessel drohten zu bersten, der Rumpf schob sich stampfend durch die schwarzen Wellen, zwischen Eisbergen hindurch wie dem, der das modernste Schiff jener Zeit in dieser Nacht leckgeschlagen hatte. Die Carpathia aber machte unaufhaltsam Fahrt, Meile um Meile schob sie sich voran, denn dort in der eiskalten arktischen Nacht waren Menschenleben in Gefahr, galt es, Männer, Frauen und Kinder zu retten ...

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Das zwanzigste Jahrhundert, das zweite Jahrtausend neigt sich dem Ende zu. Ein neues Jahrhundert, ein neues Jahrtausend - und hoffentlich ein neues Zeitalter - dämmert herauf. Auf unserer Reise durch Zeit und Raum haben wir nach Einsichten gesucht, die uns an dieser Schwelle helfen könnten. Das Leben ist immer mit Gefahren verbunden, und die Suche nach Einsichten liegt im Wesen des menschlichen Seins. Folgen wir der Vernunft und der Erkenntnis, so müssen wir verantwortlich handeln.

Wir haben gesehen, wie uns die Stürme auf dem Mars vor unserem kollektiven Wahnsinn warnten. Wir wissen inzwischen, was die Venus zur Gluthölle gemacht hat und wie die Einschläge des Kometen Shoemaker-Levy in der Atmosphäre des Jupiter Feuerstürme verursachten, die so groß wie die Erde waren. Wir sind vor potentiellen Gefahren gewarnt. Wir können nicht ignorieren, was wir gesehen haben. Wir sind für dieses Wissen jetzt verantwortlich. Unser Planet ist kostbar und zerbrechlich — menschliches Verhalten und Naturereignisse, die unserem Einfluß unterliegen, können ihn für immer zerstören.

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Wir wissen jetzt, daß ein ganzer Planet sterben kann. Wir können auf keine Behörde hoffen, die uns hilft, wenn wir uns nicht selbst helfen. Mit unserem Wissen tragen wir Verantwortung. Wir sind verantwortlich, weil wir handeln können.

Kohlendioxid ist eine der stabilsten und am einfachsten aufgebauten Substanzen. Es wird noch da sein, wenn das Inferno alles verbrannt hat, wenn es keine atmenden Geschöpfe mehr gibt. Kohlendioxid ist der kleinste gemeinsame Nenner, die Substanz, die noch da ist, wenn es lebenswichtige Dinge wie Chlorophyll und Wasser schon längst nicht mehr gibt und alle Hoffnung verloren ist. Kohlendioxid tritt sein giftiges Erbe der Planeten an, wenn alle planetarischen Katastrophen ihren Lauf genommen haben.

Wir stehen am Beginn einer solchen planetarischen Katastrophe. Wie die unbesorgten Passagiere auf der Titanic haben wir bisher nur einen leichten Stoß verspürt und festgestellt, daß unser Schiff keine Fahrt mehr macht. Hier, in der Ersten Klasse, fällt uns auf, daß unter den Schiffsoffizieren eine ungewohnte Betriebsamkeit ausgebrochen ist, daß sie sich vielleicht ein bißchen zu jovial und beschwichtigend geben. Sie scheinen bemüht, alle Luken zwischen Unterdeck und den offenen Decks zu schließen. So sieht eine beginnende Katastrophe aus. Wir sehen die Zeichen überall, wenn wir die Augen nicht verschließen.

Das so unerwartet und in so rasantem Tempo größer werdende Ozonloch und die damit verbundenen Gefahren waren Anlaß für eine hastig in Montreal einberufene Gipfelkonferenz der führenden Weltstaaten. Es kam ein Abkommen zustande, an das sich auch die Vereinigten Staaten halten, obwohl sie es unter dem Druck der Industrie- und Agrarlobby nicht offiziell ratifiziert haben. Durch dieses Abkommen verteuerte sich der Betrieb von Klimaanlagen, es entstanden neue Industriezweige, die Haltung der Öffentlichkeit wurde kritischer. Die Konferenz von Montreal hat auch Leben gerettet.

Endlich beginnt man in der Welt auf die globale Erwärmung zu reagieren. 1997 fand eine Klimakonferenz in Kyoto statt, dieser schönen alten Metropole japanischer Kultur, einer Stadt, die so schön und reich an Kulturschätzen ist, daß sie bei allen Schrecken und bei allem Haß im Zweiten Weltkrieg von Bomben verschont blieb.

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Kyoto, das den Feuerstürmen des Krieges entgangen ist, ist nun das Symbol unsrer Hoffnung, daß sich die Dinge zum Besseren wenden, daß diese Schönheit nicht untergeht und daß Friede herrschen wird. In Kyoto wurde ein Vertragsentwurf vorgelegt, der die Emissionen von Treibhausgasen begrenzen soll. Die Einigung auf diesen Vertrag war ein zähes Ringen, gekennzeichnet von den Widersprüchen und Spannungen, die das politische und kulturelle Weltbild bestimmen — die Menschheit von ihrer schlimmsten und von ihrer besten Seite. Jetzt zeichnet sich die Reaktion auf die Reaktion ab, und sie ist viel stärker als alles, was das Abkommen von Montreal zum Schutz der Ozonschicht erreicht hat.

Die Zeit der wissenschaftlichen Gleichgültigkeit ist vorbei. Ganze Industriezweige, die für manche Staaten lebenswichtig sind, unvorstellbare Vermögenswerte und unser ganzer privilegierter Lebensstandard geraten auf den Prüfstand. Wir schweben nicht mehr in den Ozonwolken. Wenn wir heute über den Treibhauseffekt sprechen, geht es um Dinge, die sich hier auf dem Grund und Boden abspielen, auf dem wir leben. Und wenn uns das Leben lieb ist, muß sich hier sehr viel mehr verändern als die Betriebs­kosten unserer Klimaanlagen.

Es wird sich ein Chor von Stimmen erheben. Manche davon werden aus tiefster Überzeugung sprechen, während andere nicht müde werden zu betonen, der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre werde unser Klima nicht beeinflussen. Andere werden ebenso hartnäckig behaupten, daß das Kohlendioxid unser Klima zwar beeinflusse, aber auf wohltuende Weise: Alles werde ein kleines bißchen wärmer, die Pflanzen werden besser wachsen, ein bißchen mehr Regen werde fallen. Sie werden das sogar behaupten, wenn der Nil austrocknet, die Monsune ausbleiben und die Sahara sich wie ein ausgehungertes Monstrum ausdehnt und die Sahelzone schluckt. 

Einige Länder — jene, deren Wirtschaftsleben vom Export fossiler Brennstoffe oder von deren Nutzung abhängt — werden noch weiter gehen: Man wird hier verbieten, vom Treibhauseffekt und von seinem Zusammenhang mit der Nutzung fossiler Brennstoffe zu reden. In einigen Teilen der Welt kann es schon lebensgefährlich sein, auch nur anzudeuten, daß hier ein Problem besteht.

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Wissen wir, daß es in einigen Gegenden Brasiliens tödlich sein kann, zu laut vom zerstörten Regenwald zu sprechen? Aber unsere Titanic, unsere »unsinkbare« Erde, hat schon bedenkliche Schlagseite bekommen. Überall mehren sich die Zeichen, daß die Dinge aus dem Gleichgewicht geraten. Die Wirbelstürme werden immer verheerender, die Winter milder, die Schneefälle heftiger, die Sommer heißer; die Zonen, in denen Menschen leben können, schrumpfen, die Wüsten dehnen sich aus.

Ein schreckliches Wechselspiel der Zerstörung hat begonnen.

Das komplexe System, das wir »Klima« nennen, läuft Amok, weil sich in der Atmosphäre der Anteil an Kohlendioxid erhöht und gleichzeitig der Sauerstoffanteil abnimmt. Dieser ist ja das »andere Gas«, das an der Verbrennung fossiler Brennstoffe beteiligt ist. Wir reden hier also nicht vom Kohlendioxid, das wir als Stoffwechselprodukt ausatmen, sondern vom Sauerstoff, dem Gas, das wir einatmen, um die Zellen unseres Organismus zu versorgen und so den Prozeß aufrechtzuerhalten, den wir »Leben« nennen. Der Rückgang des Sauerstoffanteils ist gering, aber meßbar. Die Entwicklung wurde schon vor Jahren registriert, aber es wurde ihr keine Bedeutung beigemessen. Die Informationen wurden unterdrückt, weil man fürchtete, daß sie Ängste auslösen könnten. Das alte Spiel der Verdrängung kam zum Zug.

Dieser Rückgang des Sauerstoffanteils läutet das Ende der Nutzung fossiler Brennstoffe ein. Denn wenn wir fossile Brennstoffe weiter nutzen wie bisher, wenn wir meinen, die »Dritte Welt« auf der Basis fossiler Brennstoffe industrialisieren und die Regenwälder nach Belieben roden und abbrennen zu können, beteiligen wir uns am Völkermord durch Umweltzerstörung und am geplanten kollektiven Selbstmord.

Manche Menschen beharren darauf, daß der Verlust an Sauerstoff unbedeutend und kein Anlaß zur Sorge sei. Das ist Unsinn. Er ist gravierend. Wenn wir so weitermachen, wird der Sauerstoffgehalt der Luft weiter abnehmen, zum Schluß immer schneller und unaufhaltsamer. Dieser Prozeß ist vielsagend, denn er zeigt uns, welchen Weg wir einschlagen müssen. Er ist der Kanarienvogel, der im Bergwerk tot von der Stange fällt, er ist der Wachposten im Ausguck, der uns vor dem tödlichen Eisberg warnt.

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Wenn wir den lauten Aufschrei der Kritiker gegen geschönte Prognosen zur globalen Erwärmung hören, dann ist das ein Schmerzensschrei. Dieser Schmerz ist real. Um dem Treibhauseffekt Einhalt zu gebieten, müssen wir bei der Energieerzeugung und -nutzung umdenken. Es ist heute bereits möglich, Energie ohne Kohlendioxidausstoß zu erzeugen, und zwar durch die Kernspaltung, wie sie in Frankreich und Japan besonders intensiv praktiziert wird.

Aber diese Methode der Energieerzeugung ist nicht sicher. Einen höchst umweltgefährdenden Faktor gegen einen anderen auszutauschen, ist keine Alternative. Wir müssen uns beeilen, bessere Verfahren zu entwickeln, damit sie rechtzeitig einsatzbereit sind und wir die weltweiten Probleme noch abwenden können, die der Treibhauseffekt mit sich bringt. Wir müssen uns unserer Verpflichtung gegenüber der Erde stellen und die Ressourcen ergänzen. Wir müssen die Entwicklung der Kernfusion für diese große Mission vorantreiben und gleichzeitig die Erforschung alternativer Energiequellen intensivieren. Es gibt zahlreiche Alternativen — Sonnen- und Windenergie, Brennstoffzellen und Solarzellen —, die wir uns bald nutzbar machen müssen. Dabei können wir natürlich nicht auf Ideallösungen warten, sondern wir müssen uns aller sicheren und praktikablen Lösungen bedienen, die wir kurzfristig realisieren können, während wir intensiv an der Entwicklung der Verfahren arbeiten, die wir wirklich langfristig brauchen. Wir müssen uns beeilen.

Wenn die Abkehr von der Nutzung fossiler Brennstoffe nicht zielstrebig betrieben wird, oder wenn wir sie gar aufschieben, bis der Ernstfall eingetreten ist, werden wir eine Energiekrise und eine Klimakrise erleben.

Die letzte größere Energiekrise haben wir in den siebziger Jahren nach dem Jom-Kippur-Krieg im Nahen Osten erlebt. Damals herrschte in Oregon bitterer Frost, im Mittleren Westen der USA kam es zu Unruhen. An etlichen Verkehrsknotenpunkten mußten Posten der Nationalgarde aufgestellt werden, weil es zu gewalttätigen Protesten der unabhängigen Transportunternehmer kam, die wegen der Treibstoff­verknappung ihre Verträge nicht mehr einhalten konnten. Wir brauchen die Energie nicht nur, um unsere Häuser zu beleuchten und zu heizen, Energie ist der Motor, der alles antreibt.

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Und das Transportwesen ist der Herzschlag der Wirtschaft. Die siebziger Jahre waren gekennzeichnet durch Inflation und anhaltende wirtschaftliche Stagnation. Diese Kombination erstaunte die Ökonomen, nicht aber die Physiker, denn diese wissen, daß bei steigenden Energiepreisen die Konsumgüter, die uns schon immer lieb und »teuer« waren, dies auch im wahrsten Sinne des Wortes werden. Das führte dazu, daß weniger gekauft und weniger konsumiert wurde. Wenn weniger gekauft wird, trifft das die Wirtschaft empfindlich. Während die ölproduzierenden Staaten zumindest vorübergehend blühende Zeiten erlebten, mußten die Industrieländer spürbare Einbußen hinnehmen. In vielen ärmeren Ländern, die nicht über Rohstoffe verfügten, brach die Wirtschaft praktisch zusammen. Wir stehen gegenwärtig vor einem schier unlösbaren Problem. Denn wir müssen den Verbrauch fossiler Brennstoffe möglichst sofort einschränken und in absehbarer Zeit ganz aufgeben, ohne dafür Ersatz zu haben — und es leben derzeit sechs Milliarden Menschen auf diesem Planeten, der ohne fossile Brennstoffe vielleicht zwei Milliarden Menschen ernähren kann.

Aber vielleicht gelingt es uns, Kohle- und Heizölkraftwerke zu schließen, wenn wir sichere Alternativen der Energieproduktion finden und die heutige Infrastruktur der Energieverteilung nutzen können, eine Aufgabe, die Wissenschaft und Technik natürlich schon vor zwei Jahrzehnten hätten angehen sollen. An brauchbaren Ansätzen dazu hat es nicht gemangelt, aber letztendlich haben die Verantwortlichen immer wieder dem Druck der Industrie- und der Agrarlobby nachgegeben und alle Initiativen im Sand verlaufen lassen. Dabei muß heute jedem klar sein, daß wir uns auf einem gefährlichen Weg befinden und daß es höchste Zeit ist, zu handeln. Wir können nicht mehr lange diskutieren, ob die Katze in ihrem Gefängnis lebendig oder tot ist. Krempeln wir die Ärmel hoch und packen es an. Brechen wir die Kiste auf, solange die Katze noch atmet!

Wenn Hoffnung auf eine Lösung der Probleme ohne Hungersnöte und wirtschaftliches Chaos bestehen soll, muß sich diese auf eine starke Wirtschaft stützen, denn wirtschaftliche Not erzeugt reale Leiden. Sie macht die Menschen arbeitslos, nimmt ihnen die Hoffnung, gefährdet ihre Gesundheit und zerstört Familien.

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Und sie verbaut, was noch schlimmer ist, die Wege zur Erschließung alternativer Energiequellen. Wer hungert und nicht einmal das Nötigste zum Leben hat, wählt lieber den kurzfristigen Vorteil als die längerfristige Lösung, selbst wenn ihm diese die Chance auf eine bessere Zukunft böte.

Wenn wir also leichtfertig dafür plädieren, die Industrie zur Drosselung des Energieverbrauchs zu zwingen, täten wir im Grunde nichts anderes als diejenigen, die versuchen, die Folgen des Treibhauseffekts zu verharmlosen. Es mangelt uns in diesem Fall entweder an Fantasie, oder wir verkennen das menschliche Wesen.

Wir wollen hier auf keinen Fall vom Energiesparen oder von einer effizienteren Nutzung der vorhandenen Energien abraten, denn beides ist als Sofort­maßnahme für die Industrie wie für den einzelnen sinnvoll und notwendig. Wenn es aber das einzige bleibt, was wir tun, führt es in eine Sackgasse, weil der zusätzliche Energieverbrauch bei einer immer größer werdenden Weltbevölkerung und zunehmender Industrialisierung die so erzielten Einsparungen bei weitem übersteigt. Sofern es uns also nicht gelingt, dem Bevölkerungs­wachstum und der Industrialisierung Grenzen zu setzen, sind wir auf die Erschließung neuer Energie- und Brennstoffquellen angewiesen, die nicht näherrückt, wenn wir unsere Bemühungen auf das Energiesparen beschränken.

Wir müssen auch denen mißtrauen, die uns wortreich ein neues, glorreiches Paradies vorgaukeln, wir müssen aufpassen, daß wir unsere Freiheit nicht einem Ideal opfern, das nur allzu schnell diktatorisch wird, wenn sich herausstellt, daß die ökologische Utopie nicht von einem Tag auf den anderen zu realisieren ist. Die Rückkehr zu einem »einfacheren Leben« mag in unserer hektischen Zeit durchaus verlockend sein, die Rückkehr in die Steinzeit als Heilmittel gegen die globale Erwärmung ist jedoch weder mit den gegebenen Realitäten vereinbar noch wünschenswert. Wir müssen kein verlorenes Paradies wiederfinden, denn wir haben die Möglichkeit, uns ein neues zu erschaffen, in dem technischer Fortschritt und Ökologie miteinander vereinbar sind. Aber dazu müssen wir erkennen, daß wir auf dem falschen Weg sind. Wir müssen uns neu orientieren und den richtigen Kurs einschlagen.

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Wenn wir den Treibhauseffekt stoppen und wieder im Gleichgewicht mit uns und der Erde leben wollen, müssen wir den Menschen selbst genauso wie die Umwelt achten und erkennen, daß die Menschen und ihre Wirtschaftssysteme Teil der Ökologie unseres Planeten sind. Wir dürfen im Einfluß der Menschen auf die Umwelt nicht nur das Negative sehen, sondern müssen eine fruchtbare Partnerschaft mit dem Planeten eingehen, der uns alle am Leben erhält. Betrachten wir die Wirtschaft also nicht als ein für sich stehendes System zur effizientesten Ausbeutung der Ressourcen, sondern als ein Weltunternehmen, das bei vernünftiger und umsichtiger Leitung für das Wohl der Menschen und des Planeten arbeitet.

Viele Schöpfungsgeschichten erzählen, daß die Menschen einst in einem paradiesischen Garten wunschlos glücklich lebten, bis sie ihre Privilegien mißbrauchten und in Ungnade fielen. Aus heutiger Sicht bekommt die Geschichte eine brisante Bedeutung. Man könnte meinen, sie wäre auf die Gegenwart gemünzt. Wenn wir die globale Klimakatastrophe verhindern wollen, muß unser Handeln von Liebe bestimmt sein: von der Liebe zu den Menschen, den Pflanzen und Tieren, den Bäumen, dem Himmel und dem Meer. Das setzt voraus, daß wir nichts unternehmen, das sich über die Verletzlichkeit der Menschen und der Erde rücksichtslos hinwegsetzt, das die Wirtschaftssysteme an sich und den etablierten Umweltschutz in Frage stellt. Wir stehen vor der Herausforderung, Problemlösungen zu finden, die keine gravierenden ökonomischen Folgen haben. Zum Glück sind die Menschen im allgemeinen bereit, Veränderungen hinzunehmen, wenn ihnen ein fairer und realisierbarer Plan vorgelegt wird. Wir sind sogar bereit, Opfer dafür zu bringen, wenn wir sehen, daß es zum Nutzen unserer Freunde, unserer Familie, unserer Kinder und in letzter Konsequenz auch unseres Planeten ist.

 

Der Verzicht auf fossile Brennstoffe und die Erschließung neuer Energiequellen setzen rationales und sorgsames Abwägen voraus. Sehen wir uns einmal an, welche Alternativen uns bereits heute zur Verfügung stehen.

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Unserem Ideal am nächsten kommt die Wasserkraft. Sie ist gebündelt verfügbar, so daß relativ einfache Infrastrukturen genutzt werden können. Sie erzeugt keine Treibhausgase, keine Abfallprodukte und kaum überschüssige Wärme. Daher sind Wasser­kraftwerke sehr effizient. Sie nutzen indirekt die Sonnenenergie, die ja für den zum Betreiben der Turbinen notwendigen Wasserkreislauf verantwortlich ist. Es ist also im Grunde eine Form der Sonnenenergienutzung. Aber für ein Wasserkraftwerk müssen Flüsse gestaut werden, was ihre Standorte regional begrenzt und zudem ökologisch bedenklich ist.

Nun zur Sonnenenergie. Sie erzeugt weder Treibhausgase noch Abfallprodukte, aber sie ist räumlich verteilt und muß konzentriert oder in elektrische Energie umgesetzt werden. Ihre sinnvolle Nutzung setzt voraus, daß die Sonne lange genug scheint. Es wäre beispielsweise schwierig, London oder Moskau im Winter mit Solarenergie zu heizen. Zur Nutzung der Solarenergie braucht man darüber hinaus Stoffe — vor allem Silizium —, deren Erzeugung selbst mit einem hohen Energieaufwand verbunden ist. So kann es passieren, daß beim Bau einer Solaranlage mehr Energie verbraucht wird, als diese später liefern wird. Die Sonnenenergie ist also zwar sauber, aber es ist nicht leicht, sie effizient zu nutzen.

Hinzu kommt, daß das Sonnenlicht Wasser nur dann auf den Siedepunkt erhitzen kann, wenn die Strahlen stark gebündelt werden. Das hat zwar den Vorteil, daß genügend Wasser auf unserem Planeten in flüssiger Form erhalten bleibt, was ja eine der unabdingbaren Voraussetzungen dafür ist, daß wir überhaupt darauf leben können. Andererseits setzt dadurch die Nutzung der Sonnenenergie aufwendigere technische Anlagen und größere Oberflächen voraus, als wenn man die gleiche Energiemenge beispielsweise durch Verbrennen von Kohle erzeugte. Dennoch machen neue Verfahren, darunter der Einsatz geschmolzener Salze zum Speichern der Wärme, die Nutzung der Sonnenenergie zu einer brauchbaren Alternative, besonders in tropischen und semiariden Regionen, wo es wenig Strom, aber reichlich Sonne gibt.

Wenn neue fotovoltaische Materialien, zum Beispiel mit Kunststoffen oder organischen Farbstoffen, entwickelt werden, kann das Sonnenlicht noch leichter »angezapft« werden. Die modernen fotovoltaischen Substanzen kann man auf den Dächern anbringen, was praktisch für die Gewinnung von Elektrizität aus dem Sonnenlicht ist. Wir hoffen, daß hier in nächster Zeit noch entscheidende technische Fortschritte gelingen werden.

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Beim aktuellen Stand der Technik mag es zutreffen, daß die Sonnenenergie fossile Brennstoffe nicht vollständig ersetzen kann, aber die Entwicklung alternativer Energien ist vielversprechend. Sie werden vermutlich etwa 50 Prozent unseres künftigen Energiebedarfs decken können. Ihre vielen Aspekte können in diesem Buch nicht eingehender betrachtet werden, aber die Energiegewinnung aus dem Wind, den Gezeiten und der Erde (geothermische Energie) macht enorme Fortschritte. Die Entwicklung der Solarzellentechnik hat unter anderem dazu geführt, daß die Preise für die Anlagen drastisch gefallen sind. In Japan erwartet man, daß bis zum Jahr 2010 mit Hilfe neuartiger fotovoltaischer Materialien auf den Gebäudedächern rund 4600 Megawatt Elektrizität gewonnen werden.'

Die Nutzung der Windkraft zur Elektrizitätserzeugung nahm im Jahr 1998 um über 25 Prozent zu, mehr als 19 Prozent des weltweiten Energiebedarfs wurden aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt.2 Auch bei der Nutzung der geothermischen Energie und der Gezeitenkraft ist man weit vorangekommen. Einen sehr guten Überblick über die Möglichkeiten der Sonnenenergie bieten die Veröffentlichungen des <Worldwatch Institute>. Besonders interessant ist das Kapitel <Reinventing the Energy System> in dem Buch <State of the World 1999>.3 Aber der Nutzung der Sonnenenergie sind auch gewisse Grenzen gesetzt. So ist es wegen der dazu nötigen Konzentrierung der Energie wohl kaum möglich, nur mit Sonnenenergie den gesamten Energiebedarf industrieller und urbaner Ballungszentren zu decken. Und die energieintensive Landwirtschaft, die mehrere Milliarden Menschen auf der Erde ernähren muß, wird allein mit Sonnenenergie kaum auskommen.

Die Kohle ist von den fossilen Brennstoffen im Grunde am wenigsten zur Energiegewinnung geeignet. Ihre Verbrennung, eine Fest-zu-Gas-Reaktion, ist schwierig zu steuern. Kohle besteht im wesentlichen aus Kohlenstoff mit allen möglichen Beimengungen, die beim Verbrennen Luftschadstoffe freisetzen oder giftige Feststoffe hinterlassen. Aus diesem Grund gehören die Kohlekraftwerke zu den größten Erzeugern von Treibhausgasen und anderen Luftverunreinigungen. Aber Kohle ist eben billig in vielen Teilen der Welt verfügbar.

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Erdgas ist der beste fossile Brennstoff, weil es einen sehr hohen Anteil an Wasserstoff enthält, als Gas leicht zu reinigen ist und ziemlich sauber verbrennt. Dabei fallen hauptsächlich Wasserdampf und Kohlendioxid an. Die Verbrennung von Erdgas ist eine leicht zu kontrollierende Gas-zu-Gas-Reaktion, die bei hoher Temperatur ablaufen kann, so daß sich die Energiegewinnung effizient gestaltet. Erdgas wird wohl für die Zeit des Übergangs zu alternativen Methoden der Energiegewinnung der wichtigste Brennstoff bleiben. Erdgas ist reichlich vorhanden und wird — als überflüssiges Nebenprodukt — auf den Ölfeldern oft abgefackelt. Würde man es statt dessen auffangen und verflüssigen, könnte es für eine Übergangszeit noch mehr Öl und Kohle ersetzen.

Die Kernenergie gab unserer Epoche den Namen: »Atomzeitalter«. Sie tritt bei der Kernspaltung und bei der Kernfusion auf. Um die Beziehung zwischen Kernspaltung und Kernfusion zu verstehen, kann man den Vergleich mit Kohle und Erdgas heranziehen. Dann entspricht die Kernspaltung der Kohlenverbrennung, die Kernfusion der Erdgasverbrennung. Die Kernspaltung funktioniert, hinterläßt aber extrem schädliche, radioaktiv strahlende Substanzen, die so stabil sind, daß man das Problem der Endlagerung im Grunde nicht beherrschen kann. Zudem sind Kernreaktoren unsicher, weil sie aufgrund der enormen Energiemengen, die im Atomkern schlummern, schnell außer Kontrolle geraten können. Das haben uns die Beispiele von Tschernobyl und Three Mile Island bei Harrisburg, Pennsylvania, in aller Deutlichkeit vor Augen geführt. Ob menschliches Versagen oder technische Unzulänglichkeit die Ursache war, bleibt sich im Ergebnis gleich. Tatsache ist, daß von solchen Reaktionen eine unberechenbare Gefahr für die Bevölkerung ausgeht.

Die Energie, die wir durch die Kernspaltung erzeugen, ist die gespeicherte Energie aus einer Supernova. Uran entsteht im Herzen einer Supernova, deren explosive Kraft in dem Stoff schlummert, der einiges von seiner vernichtenden Kraft behält. Es gibt chemische Elemente, die jahrtausendelang radioaktiv strahlen, wobei jeder Kern beim Zerfallen etwas Energie abgibt.

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Nach der sogenannten Halbwertszeit, die charakteristisch für das Element beziehungsweise das Isotop ist, ist jeweils die Hälfte der noch vorhandenen Atomkerne zerfallen. Daher nimmt die Energieabgabe ebenso wie die Anzahl der restlichen Kerne mit der Zeit gemäß einer geometrischen Folge ab. In der teilweise langen Strahlungszeit liegen die Gefahren der aus einem Kernreaktor entnommenen »abgebrannten« Elemente. Zudem ist die Technologie der Kernreaktoren eng verwandt mit der der Kernwaffen, so daß an jedem neuen Reaktor auch neue Kernwaffenspezialisten ausgebildet werden. In jedem neuen Reaktor wird wieder Plutonium, erzeugt, der Stoff also, aus dem Atombomben gebaut werden. Und es werden sich immer Menschen finden, die genau dieses Ziel im Auge haben.

So gefährlich die radioaktiven Abfälle aus den Reaktoren auch sind, das Kohlendioxid, das bei der Nutzung fossiler Brennstoffe entsteht, ist unter Umständen nicht weniger schädlich, weil es ein Giftstoff ist, der praktisch nicht abbaubar ist und uns auf ewig erhalten bleibt. So sind Kernenergie und herkömmliche Energie aus fossilen Brennstoffen auf lange Sicht gleichermaßen problembeladen.

Nach unserer Überzeugung ist die Kernfusion (Deuterium-Helium-3-Fusion) die Energiequelle erster Wahl.

Die Kernfusion ist, wie schon angedeutet, das »Erdgas« der Kernenergie. Sie erzeugt Energie auf ähnliche Weise, wie es ein Stern — zum Beispiel unsere Sonne — in seinem Inneren tut. Dabei entstehen aus den leichten Kernen des Wasserstoffs vor allem die Atomkerne des Elements Helium. Es gibt aber auch andere Fusionsreaktionen. Eine von ihnen ist die D-T-Fusion (D, Deuterium, ist der schwere Wasserstoff, und T, Tritium, der überschwere Wasserstoff). Bei ihr entstehen außer Heliumkernen auch Neutronen, also radioaktive Strahlung. Eine andere Fusionsreaktion, D-He3, erzeugt keine Radioaktivität. Die D-T-Fusion erzeugt in ihrer am leichtesten zu beherrschenden Form allerdings Radioaktivität, die aber zum größten Teil nicht lange anhält. Kernschmelzen, die ganze Kontinente schädigen oder gefährden, können bei Fusions­reaktoren nicht auftreten, und es fällt kein hochgefährlicher, stabiler Abfall wie bei den Kernspaltungs­reaktoren an.

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Die Radioaktivität, die ein D-T-Fusionsreaktor freisetzen würde, wäre in wenigen Jahrzehnten anstatt erst nach Jahrtausenden völlig abgeklungen; bei einem D-He3-Reaktor wäre das sogar schon nach einer Stunde der Fall. Kernfusionen spielen sich nicht wie die Kernspaltung im Feststoff ab, sondern in einem Plasma, einem extrem heißen Gas, das man mit einer Flamme vergleichen könnte.

Es gibt noch kein Kraftwerk, in dem man die Kernfusion praktisch nutzbar machen könnte. Bis man mit einem Kernfusions­reaktor ausreichende Mengen elektrischer Energie auf ökonomische Weise erzeugen kann, werden noch intensive Entwicklungsarbeiten und enorme Investitionen nötig sein. Doch die Kernfusion ist die einzige Energiequelle, die das Potential hat, der globalen Erwärmung bei relativ geringer ökonomischer und ökologischer Belastung ein Ende zu setzen. Die Kernfusion kann mindestens so effektiv sein wie die Nutzung fossiler Brennstoffe oder die Energiegewinnung aus der Kernspaltung, aber sie bringt keine langzeitigen Gefahren mit sich, denn sie ist viel sauberer und sicherer als die Kernspaltung. Zwar ist sie weder vollkommen sauber noch absolut sicher, schneidet aber im Vergleich mit allen anderen Energiequellen vorteilhaft ab. Während insbesondere die D-T-Fusion nicht die perfekte Lösung ist, können die weiterentwickelten Formen, darunter die D-He3-Fusion, unserem Ideal einer unerschöpflichen Energiequelle mit geringen Auswirkungen auf die Umwelt sehr nahe kommen, sobald die Technologie so ausgereift ist, daß sie auch kommerziell nutzbar wird.

Für die Entwicklung der Kernfusionstechnologie läßt sich gegenwärtig kein genauer Zeitplan aufstellen, weil noch viele Experimente nötig sind, deren jedes wieder neue Erkenntnisse hervorbringt, die dann Eingang in die nächsten Experimente finden werden. Nach Auffassung des Plasmaphysikers Bruno Coppi, der zu den führenden Wissenschaftlern in der Kernfusions­forschung in den USA und in Europa gehört und am MIT (Massachusetts Institute of Technology) in Boston lehrt, müßte es möglich sein, auf diesem Gebiet enorme Fortschritte zu erzielen, wenn alle an einein Strang zögen. Nach seiner Schätzung dürfte es noch etwa drei Jahre dauern, bis die Wissenschaftler Möglichkeiten gefunden haben, Fusionsenergie in einer Größenordnung von 100 Megawatt oder mehr zu erzeugen.4

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Danach wären die Voraussetzungen für eine kommerzielle Nutzung besser zu bewerten, und der Prozeß bis zur tatsächlichen Vermarktung könnte dann vermutlich innerhalb von sieben Jahren abgeschlossen sein. Coppis Einschätzung hinsichtlich des Zeitplans wird inzwischen von den meisten Fusionsforschern geteilt.

 

Um die planmäßige und weltweite Entwicklung der Fusionsenergie zu sichern, müssen die USA und die Europäische Gemeinschaft gemeinsame Forschungsanstrengungen unternehmen. Darin pflichten die Autoren dieses Buches Bruno Coppi bei. Eine solche Initiative muß mit derselben Zielstrebigkeit vorangetrieben werden wie das Manhattan-Projekt während des Zweiten Weltkriegs oder das Apollo-Programm. Beide Projekte waren deshalb so erfolgreich, weil Wissenschaft und staatliche Institutionen an einem Strang zogen, um so schnell wie möglich zum gewünschten Ergebnis zu kommen. »Es genügt nicht, Geld für das Projekt bereitzustellen oder die theoretische Untersuchung der Kernfusion zu finanzieren«, meint Coppi. »Es sind koordinierte, großangelegte Versuchsreihen nötig. Aber wir wissen genau, welche Experimente anzustellen sind, und wir sind bereit, sie durchzuführen, wenn man uns die Gelegenheit dazu gibt.«

Aber im Gegensatz zu den Zielen des Manhattan-Projekts, bei dem es darum ging, die Atombombe zu bauen, die einen Krieg entscheiden sollte, dient die Kernfusions­forschung dem Wohl der ganzen Menschheit, indem sie die Erzeugung elektrischer Energie ohne Schädigung der Umwelt anstrebt. Damit könnten noch zu unseren Lebzeiten alle Länder in die Lage versetzt werden, Elektrizität preiswert und in beliebigem Umfang selbst zu erzeugen. Damit wären die Voraussetzungen gegeben, überall in der Welt stabile Verhältnisse zu schaffen, in denen ein vernünftiger Lebensstandard für alle Menschen möglich ist, so daß niemand mehr ohne die notwendigsten Dinge wie Wärme, ausreichend Nahrung und eine Behausung existieren müßte.

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Das rötliche Heliumplasma glomm im Vakuumgefäß, das mein Assistent John Kline und ich in unserem Forschungslabor beobachteten. Vince DiPietro — unser Kollege aus der unabhängigen Marsforschung ist auch ein sehr fähiger Techniker — erhöhte vorsichtig die Spannung, als die Kondensatoren geladen wurden. Diese Methode hatte er entwickelt: Wenn die Kondensatoren allmählich geladen werden, tritt kein Lichtbogen auf. Im Nachbarraum, in dem die Lampen ausgeschaltet waren, damit wir das Plasma schimmern sehen konnten, stand unsere Experimentanordnung, die wir CMTX (Colliding Micro-Torio Experiment) nannten. Hierbei hatten wir — mit Unterstützung der NASA — Ideen aufgegriffen, die erstmals in den 70er Jahren von Dan Wells an der Universität von Miami realisiert worden waren. Bei seinen Experimenten soll eine Kernfusion im Labormaßstab erzielt worden sein. Wir wollten dies nun verifizieren.5

Das CMTX-Gerät war noch kleiner als das Originalgerät von Wells und hatte auf einem normalen Tisch Platz. Das war ein großer Unterschied zu der riesigen Apparatur, mit der wir Jahre zuvor bei Sandia gearbeitet hatten. Unsere Apparatur erzeugte mit Magnetfeldern zwei rotierende Plasmaringe und schoß sie dann aufeinander. Hierbei entstand ein einzelner, größerer und heißerer »Rauch«-Ring. Dieser wurde dann durch Mikrowellen komprimiert, wobei eine sehr hohe Temperatur erreicht wurde. All das geschah innerhalb von millionstel Sekunden.

Vince DiPietro hatte den größten Teil der CMTX-Apparatur konstruiert. John Kline hatte, trickreich wie immer, den Spektrographen gebaut, der den vom komprimierten Plasma emittierten Lichtblitz analysieren sollte. Ich kümmerte mich um das Drumherum und vor allem darum, daß die Bedingungen für eine Kernfusion nach Möglichkeit erreicht würden. Während ich gespannt wartete und John die Timer-Schaltungen des schnellen Spektrographen überprüfte, las Vince laut die Spannung ab: 10.000, 12.000, schließlich 15.000 Volt.

»Legt an ... und ... Feuer!« sagte Vince gefaßt. Ein helles, blauweißes Licht erfüllte das Labor, als das Heliumplasma vom Magnetfeld plötzlich komprimiert wurde. Ein kaum hörbares »Peng« aus dem weitgehend evakuierten Glaskolben war alles, was wir vernahmen. Unsere »Schüsse« funktionierten jetzt gut, fast wie ein Uhrwerk. Die vielen gerätetechnischen und anderen Probleme, die wir anfangs gehabt hatten, waren nach und nach gelöst worden. »Gesichert«, sagte er dann, als er die schon entladenen Kondensatoren zur Sicherheit geerdet hatte.

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»Seht euch das an!« frohlockte John Kirne angesichts eines schönen Paares heller Spektral­linien des Plasmas; diese waren ein Indiz dafür, daß der »Schuß« heiß gewesen war. Wir werteten die Ergebnisse aus, um einen möglichst praktikablen Weg zur Kernfusion zu finden, zur heißen Kernfusion im Labor. Gegen Ende unserer Experimente erreichten wir im CMTX schließlich eine Million Grad Celsius. Es war ein atemberaubender Erfolg, auch wenn diese Temperatur nur derjenigen entsprach, die rund 100 Kilometer unterhalb der Sonnenoberfläche herrscht, also noch um den Faktor zehn unter der für eine Kernfusion nötigen Temperatur lag und derjenigen im Sonnenkern nicht einmal nahekam. Aber wir hatten unser Ziel mit preiswerter Ausrüstung und dazu noch recht elegant erreicht. Bei der nächsten Gelegenheit wollen wir die Temperatur weiter steigern, um der Kernfusion im Labor näherzukommen.6

 

In der Kernfusionsforschung wurden sogar in einer Zeit Fortschritte erzielt, als sie von offizieller Seite wenig Unterstützung fand und als Stiefkind der Wissenschaft sozusagen am Rande nebenherlief. Wenn soviel Energie und Geld in das Projekt gesteckt werden würde wie damals in das Apollo-Programm, könnten wir innerhalb von zehn Jahren über eine sichere und wirtschaftliche Kernfusionstechnologie verfügen. Dann könnten wir über kurz oder lang endlich auf fossile Brennstoffe verzichten.

Aber das Betreiben unserer Stromnetze ohne den Einsatz fossiler Brennstoffe ist nur der erste von vielen wichtigen Schritten. Wir brauchen auch für unsere Transportsysteme alternative Energien. Die Nutzung von Erdgas kann als Zwischenlösung herhalten, aber was wir wirklich brauchen, ist ein einsatzfähiges Elektroauto. Wenn unsere Fahrzeuge elektrifiziert sind, werden sie die gleiche Energiequelle wie die Stromnetze nutzen. Auch in den Wasserstoff, der beim Verbrennen als Abgas nur Wasserdampf erzeugt, können wir Hoffnungen setzen. Hierfür sind jedoch Investitionen in neue Infrastrukturen nötig, denn die Pipelines und Tanks, die Erdgas befördern und lagern, sind für Wasserstoff ungeeignet. Es kann also schwierig und teuer sein, Wasserstoff zu transportieren und zu speichern. Aber er ist ein ausgezeichneter Brennstoff, der nicht zum Treibhauseffekt beiträgt.

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Daher ist jeder echte Durchbruch in der Entwicklung der Wasserstoffnutzung zu begrüßen, weil hier eine saubere und kommerziell nutzbare Energiequelle vorliegt. Die Technologie der Brennstoffzellen, die direkt an Bord der Fahrzeuge durch eine chemische Reaktion zwischen Wasserstoff und Sauerstoff Elektrizität erzeugen, ist ebenso vielversprechend wie andere neu aufkommende Treibstoffe.7 Dennoch sollten wir unsere Bemühungen vor allem darauf richten, Elektrizität zu erzeugen, die transportiert und gespeichert werden kann. Die Infrastruktur zum Transport von Elektrizität ist in weiten Teilen der Welt schon vorhanden.

Das Auto sollte neu konstruiert und ein elektrisch betriebenes Eisenbahnsystem dort, wo es abgeschafft wurde, wieder eingeführt werden. Wir können das Auto nicht einfach ganz abschaffen, denn das würde radikale wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen voraussetzen. Die Menschen schätzen die Mobilität. Reisen ist für viele von uns eines der wichtigsten Freizeitvergnügen. Vor allem die Amerikaner lieben die Mobilität und betrachteten sie als Teil ihrer liebgewordenen persönlichen Freiheit.

Noch bevor das Auto erfunden war, schrieb Alexis de Tocqueville nach seiner Reise durch die USA in seinem Buch <Demokratie in Amerika>, er habe »noch nie so viele Pferde gesehen, und ein Amerikaner würde auch dann lieber reiten als zu Fuß gehen, wenn sein Ziel nur einen Häuserblock entfernt läge«. Das ist keine Rechtfertigung dafür, daß wir die Atmosphäre mit Kohlendioxid belasten. Vielmehr spiegelt es die Wertvorstellungen vieler Menschen in den Industrieländern wider. Und wenn man saubere Energiequellen erschließt, könnte es zu einem Privileg werden, an dem die Menschen in der übrigen Welt teilhaben.

Die Fähigkeit zu handeln ist das, was Menschen in Krisenzeiten rettet oder auch verdammt. Vom Hilflosen kann man nichts verlangen. Darum wird die Behauptung, die globale Erwärmung sei unvermeidlich und unaufhaltsam, in den Industrieländern so gierig aufgenommen. »Wenn die Situation hoffnungslos ist, kann man eben nichts machen.« Auf diesen Standpunkt kann man sich dann bequem zurückziehen. Wir übersehen dabei allerdings, wie kurzsichtig eine solche Einstellung ist.

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Hoffnungslosigkeit ist eine Milchmädchenrechnung, für die uns die Quittung später präsentiert wird. Es wird sich bitter rächen, wenn wir die Notwendigkeit einschneidender Veränderungen nicht sehen wollen. Die Menschen in den Industrie­ländern haben ihre Plätze in den Rettungsbooten, und sie haben Hände, um ihre Augen zu bedecken, wenn die überfüllten Zwischendecks überflutet werden. Die Fernsehkameras werden sich vom Sterben abwenden. Kein Gewinn, aber auch kein Schmerz. Doch es werden nicht nur Menschen sterben. Mit ihnen sterben die Hoffnung, die Kreativität und letztlich die Aussicht auf Rettung selbst.

Es gibt Menschen, die sich nicht der Verzweiflung hingeben, und tatkräftiges Handeln hat seinen verdienten Lohn: Es kann uns das Leben retten und die Luft zum Atmen bewahren. Deshalb müssen wir erfinderisch denken anstatt zu lamentieren, andere retten anstatt die Opfer zu beklagen, aus dem Gefängnis ausbrechen anstatt uns in ihm zu vergraben, die Chancen ergreifen anstatt uns treiben zu lassen. Menschheit und Erde brauchen diejenigen, die »etwas tun wollen«. Für sie ist es höchste Zeit, entschlossen zu handeln, wenn sie das schier Unmögliche noch schaffen wollen. Es sind jene aufgerufen, die den Weg in die Zukunft weisen. Wenn wir weder führen noch folgen wollen, dann sollten wir wenigstens nicht im Weg stehen. Wir dürfen unsere Kräfte nicht damit verschwenden, die Realität des Treibhauseffekts mit jenen zu diskutieren, die mit einer Hand ihre Augen bedecken und mit der anderen ihr Portemonnaie festhalten. Für jene, die bereit sind zu sehen, sind genügend warnende Zeichen erkennbar.

Es geht um einen derart hohen Einsatz, daß die Entscheidung jedes einzelnen schwer wiegt. Wahrscheinlich hat jeder von uns schon einmal in irgendeiner Form Gelegenheit gehabt, ein Leben zu retten oder Not zu lindern. Es wird immer Menschen geben, die in einer solchen Prüfung versagen oder ihr ausweichen. Manchmal kann eine einfache Entscheidung zum Handeln in einem kritischen Moment genau das sein, was sich für Zehntausende von Menschen gravierend auswirkt. Ein solcher historischer Augenblick ist für uns in den Industrieländern nun gekommen. Geografische Gegebenheiten, Kultur und die Zufälle der Geschichte haben uns einen Überfluß an Freiheit, Reichtum und Energie beschert, so daß wir heute Dinge tun können, von denen unsere Vorfahren nicht einmal zu träumen gewagt hätten und die auch den Bewohnern vieler anderer Länder verwehrt sind.

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Wir können nicht auf dem Weg des Feuers weitergehen. Das Feuer wird unsere Atemluft vernichten, und seine Hitze wird unsere Welt in eine Wüste verwandeln. Aber solange die Wirtschaft nicht empfindlich getroffen wird, werden manche diesen Weg sogar propagieren. Deren Prioritäten können die Erde in eine Katastrophe stürzen: Wer gedankenlos auf dem Weg des Feuers weitergeht, rennt blind ins Verderben. Und wer sich heute nicht zum Handeln entschließt, gefährdet unsere einzige Hoffnung. Denn so werden wir uns nicht retten, selbst wenn der Weg durch die Dunkelheit erleuchtet ist und deutliche Pfeile die Richtung weisen. So haben wir weder den Verstand noch die Organisation oder auch nur den Willen, uns zu retten.

Wir können auch nicht den Weg des Eises wählen. Würden wir Industrie und Technik abschaffen, um die Erde zu retten, dann würden viele von uns an Kälte und Hunger sterben. Wir in der »Ersten Welt« können zur »Dritten Welt« nicht sagen: »Ihr könnt nicht leben wie wir, sondern müßt mit eurem einfacheren Leben zufrieden sein.« Das wäre nichts anderes als die Behauptung, für die Bewohner der »Dritten Welt« sei kein Platz in den Rettungsbooten.

Wir können den Weg des Eises nicht gehen, wir können uns nicht von der Technik abwenden und ohne Feuer weiterleben. Unsere Maschinen pumpen Wasser und helfen, unsere Kinder zu ernähren und zu kleiden. Die Technik ist für unser Leben unentbehrlich. Wir können nicht in die Höhlen zurückkehren und Kräuter sammeln oder irgendeinem nostalgischen, utopischen Ideal nachhängen. Denn das wäre genau die Täuschung, die dazu führte, daß in den Rettungsbooten nur die einen Platz fänden, die sich für philosophisch und spirituell erleuchtet halten. Bedenken wir, daß die Jäger und Sammler in ihren Höhlen das Feuer brauchten, um zu kochen, um sich und ihre Kinder zu wärmen und um in der Nacht die Raubtiere fernzuhalten. Wenn wir wieder Holz sammeln müssen, um Feuer zu entfachen, beginnt der ganze Zyklus von vorn.

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Es gibt Menschen, die meinen, der Verlust von 90 Prozent der Weltbevölkerung sei ein vertretbares Opfer, wenn es darum geht, die Erde wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Aber sie melden weder sich selbst noch ihre Freunde als Freiwillige für den Abschied aus der Welt, was uns andere wohl zu den auserkorenen Kandidaten machte. Warum sollten wir, auch wenn es viel weniger Menschen gäbe, die gesamte Evolution noch einmal von vorn beginnen, wenn wir doch die Freiheit haben, zu neuen zukunftsweisenden Gestaden aufzubrechen?

Letztlich bringen uns beide Wege — der des Feuers und der des Eises — nur Hoffnungslosigkeit und Tod.

Aber es gibt einen anderen Weg, den Mittelweg zwischen Feuer und Eis. Auf diesem Weg schaffen wir Wärme durch tatkräftiges Handeln und Innovation. Wir verschaffen uns Kühlung durch Wissen, Liebe und Selbstbeschränkung. Es ist der Weg der Technologien, die unserer Erde und unserem Bedarf an Energie gerecht werden. Wenn wir den Willen haben, solche Technologien zu entwickeln und mit ihrer Hilfe eine Zukunft zu gestalten, die unseren Planeten ebenso berücksichtigt wie unsere eigenen Bedürfnisse, wenn wir zudem gewillt sind, diese Innovationen auch mit anderen zu teilen, so wird es uns möglich sein, das Leben auf der Erde noch Jahrtausende zu erhalten.

 

Die Carpathia traf 45 Minuten nach dem Untergang der Titanic am Unglücksort ein — zu spät für die meisten der im Wasser Treibenden, aber in letzter Sekunde für die Menschen, die in den Rettungsbooten zu erfrieren drohten. Die Carpathia erreichte bei diesem Wettrennen um das Leben der Schiffbrüchigen eine Geschwindigkeit von 17,5 Knoten, drei Knoten mehr als die theoretische Höchstgeschwindigkeit des Schiffs. Sie war, ohne ein einziges Mal die Maschinenkraft zu drosseln, durch das Labyrinth der Eisberge gefahren, bis sie die Stelle erreicht hatte, an der die Titanic gesunken war. Noch vor Tagesanbruch nahm sie 700 Schiffbrüchige auf. Kapitän Rostron und die Mannschaft der Carpathia wurden nicht nur von den unendlich dankbaren Überlebenden der Schiffskatastrophe, sondern von der ganzen Welt als Helden gefeiert. Ihr todesmutiges Handeln rettete in dieser schwarzen Nacht des Wahnsinns und des Todes nicht nur Menschenleben, sondern es setzte ein Zeichen der Hoffnung und Freude für die ganze Welt.

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Und was war mit dem anderen Schiff, der Californian, und ihrem Kapitän Lord? Er wurde unehrenhaft entlassen, weil er die Leuchtraketen nicht beachtet hatte, und durfte kein Schiff mehr führen bis zum Ersten Weltkrieg, in dem er zum Kapitän auf einem Munitionsschiff ernannt wurde. Die Californian erhielt einen anderen Namen, weil sie niemand mehr nach dieser tödlichen Nachlässigkeit für seine Fracht chartern wollte. Kapitän Lord versuchte zwar immer wieder, seinen Namen reinzuwaschen, indem er betonte, daß in dem dicken Treibeis eine Rettung selbst dann unmöglich gewesen wäre, wenn er auf die Leuchtsignale reagiert oder einen Posten an das Funkgerät gesetzt hätte, aber das abschließende Urteil der Untersuchungs­kommission war knapp und eindeutig: »Es hätte zumindest der Versuch unternommen werden müssen ...«

Wir sind vor der bevorstehenden Katastrophe gewarnt worden, einer Katastrophe, die wir in der Ferne auf dem Mars, aber auch um uns herum auf der Erde sehen können. Uns wurde unmißverständlich gezeigt, daß die Natur keine Tränen um uns vergießen wird, wenn unsere Welt in einer Katastrophe untergeht. Und wir müssen uns die Frage stellen: Auf welchem Schiff wollen wir in dieser gefährlichen See dienen? Auf dem Schiff der tatenlosen: Feiglinge, die sich hinter ihrem wehleidigen Egoismus verkriechen, oder auf dem Schiff der kühn Handelnden? Wir laden alle ein, an Bord zu kommen und mit aller Kraft und kluger Umsicht unser Ziel anzusteuern und die Katastrophe abzuwenden.

Nutzen wir also den Tag — Carpe diem! Retten wir die Erde und ihre Bewohner vor dem sicheren Tod!
Nutzen wir auch die Sonne — als Sonnenenergie in all ihren Formen — und die Fusionsenergie, wie sie im Sonnenkern wirkt.

 

Wir wollen nun einen Plan entwerfen.

 Es ist ein kühnes Unterfangen und ein visionäres Abenteuer, das Ihnen einiges abverlangt. Es ist ein Plan, den so mancher für undurchführbar oder tollkühn halten wird. Wer meint, wir segelten gegenwärtig auf dem richtigen Kurs, wird ihn für Wahnsinn halten. Wer das Rad zurückdrehen möchte, wird ihn als ketzerisch verdammen.

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Diejenigen aber, die aus Sorge um unser aller Wohl kühn und vernünftig handeln wollen, werden in ihm eine große Herausforderung und den Aufbruch zu neuen Zielen sehen. Wir schlagen vor, dieser Unternehmung den Namen »Projekt Garten Erde« zu geben.8 Wir werden das Projekt hier nicht in allen Einzelheiten beschreiben. Als kreativen und engagierten Menschen wird uns noch vieles einfallen, das getan werden kann und muß. Das Gelingen des »Projekts Garten Erde« setzt unter anderem eine kluge und umsichtige Staatspolitik und eine von Zuversicht geprägte freie Marktwirtschaft voraus. 

 

Die Kernpunkte des Plans sehen folgendermaßen aus:

Die internationale Gemeinschaft muß bis zum Jahr 2010 die nachstehend genannten Aufgaben erfüllen. Alle Staaten müssen die notwendigen Anstrengungen gemeinsam unternehmen. Wir müssen uns der Krise mutig und geschlossen stellen. Gemeinsam kann es uns gelingen, scheinbar unüberwindliche Probleme zu lösen, gemeinsam können wir Berge versetzen. Mit dem Bekenntnis zur Freiheit, zum Frieden und zur Menschen­würde wenden wir uns an die Weltöffentlichkeit, besonders aber an die Bewohner der Industrie­staaten, die sich immer schwer getan haben mit der Erkenntnis, daß die Zeit für eine Kursänderung, die Zeit zum Handeln gekommen ist. Wir vertrauen darauf, daß sich letztlich alle dieser großen globalen Aufgabe stellen werden. Wir hoffen, daß alle Nationen und alle Menschen, die guten Willens sind, der Aufforderung Folge leisten, sich als Völker dieser Erde zum gemeinsamen Handeln zusammenzuschließen.

 

So sieht das »Projekt Garten Erde« aus:

 

1. Entwicklung der Energiequelle Kernfusion

Wir müssen uns das Ziel setzen, Kernfusionskraftwerke zu bauen, die innerhalb von zehn Jahren kommerziell nutzbare und bezahlbare Energie produzieren und in die Stromnetze einspeisen. Fusionsenergie ist sauberer und sicherer als durch Kernspaltung oder fossile Brennstoffe erzeugte Energie und keine Utopie. Die Sonne leuchtet schon seit 4,5 Milliarden Jahren zuverlässig auf dieser Basis.

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Obwohl jahrelang nur unzureichende Mittel für die Forschung zur Verfügung standen, wurden auf dem Gebiet der heißen Kernfusion weitreichende Fortschritte erzielt. Schon mit einer jährlichen Förderungssumme von 2,5 Milliarden US-Dollar ließe sich so das Energieproblem lösen. Wenn wir es versäumen, die Kernfusionsenergie nutzbar zu machen, bereiten wir den Weg für eine gefährliche Expansion der Energieerzeugung durch Kernspaltung und Verbrennung fossiler Brennstoffe. Wenn wir dagegen die Kernfusionstechnologie vorantreiben, leiten wir eine Renaissance ein. Mit anderen Energieformen können wir unsere gegenwärtige Infrastruktur so sicher und bequem nutzen und die enormen Energiemengen bereitstellen, deren es bedarf, wenn wir unseren Lebensstandard wahren wollen, ohne der Umwelt Schaden zuzufügen. Lassen wir Erdöl und Kohle unter der Erde, wo sie sind und ihren natürlichen Zweck erfüllen.

 

2. Entwicklung von Elektroautos, Wiederbelebung und weltweiter Ausbau eines elektrifizierten Eisenbahnnetzes

Die einzelnen Staaten müssen die Automobilindustrie durch wirtschaftliche Anreize dazu bringen, elektrisch angetriebene Fahrzeuge zu bauen. Dazu müssen Forschungsprogramme finanziert und moderne Elektrofahrzeuge entwickelt werden, die konkurrenzfähig, schnell, wirtschaftlich und leicht aufzuladen sind. Umweltfreundliche, langlebige Batterien mit hoher Kapazität oder vergleichbare Stromspeichergeräte müssen konzipiert werden. Im öffentlichen Fern- und Nahverkehr muß Elektrozügen gleichfalls der Vorzug gegeben werden.

Die Verbraucher müssen sich dafür stark machen, daß Fahrzeuge gebaut werden, die unsere Atemluft nicht mit Treibhausgasen verpesten. Bis dieses Ziel erreicht ist, müssen Verbrennungsmotoren auf Propan, Erdgas oder einen anderen Brennstoff umgestellt werden, der weniger Kohlendioxid pro Kilometer Fahrtstrecke produziert als Benzin. Auf die fortgesetzte Produktion von benzingetriebenen Autos müssen die Verbraucher mit einem vernehmlichen »Nein danke« reagieren, so wie sie durch massiven Kaufboykott die Industrie gezwungen haben, ihre FCKW-Produktion zu drosseln.

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Wir könnten beispielsweise unsere alten Autos weiter benutzen oder nur noch Gebrauchtwagen kaufen, bis es vernünftige Alternativen zum Benzinmotor gibt. Und wir sollten neue Autos nur dann kaufen, wenn sie die Anforderungen erfüllen, die auf dem Weltklimagipfel in Kyoto formuliert wurden. Wir können der Automobilindustrie klarmachen, daß wir es ernst meinen mit dem Kampf gegen den Treibhauseffekt, indem wir keine Autos mehr kaufen, die sich durch hohen Benzinverbrauch »auszeichnen«.

 

3. Bezahlung der Regenwald-Staaten für die Produktion von Sauerstoff

Das Motto könnte lauten; Schuldenerlaß als Gegenleistung für den Verzicht auf weitere Rodungen. Die meisten Länder mit einem hohen Regenwaldanteil haben schwindelerregende Auslandsschulden. Die wohlhabenden Staaten könnten ihnen diese Schulden erlassen, wenn dafür weltweit Waldgebiete als »Treuhandvermögen« erhalten und geschützt werden. Dazu gehört auch, daß diese Länder andere Wege als die Holzgewinnung finden, um ihre Wälder volkswirtschaftlich zu nutzen. Nur so wäre ein Anreiz gegeben, die Bäume zu erhalten. Sauerstoff ist für die Menschen lebensnotwendig. Darum brauchen wir große Waldflächen, die überschüssiges Kohlendioxid aus der Luft aufnehmen. Sauerstoff ist unser wertvollstes Gut. Wenn wir anfangen, das — und die versteckten Kosten für die Zunahme des Kohlendioxids — auch bei wirtschaftlichen Entscheidungen zu berücksichtigen, sind wir auf dem richtigen Weg. Menschen sind klug. Machen wir uns das zunutze!

 

4. Förderung der Solartechnik 

Von Sonnenkollektoren auf dem Dach des Eigenheims bis zu den satellitengestützten Energiespeichern, von geothermischer und Gezeitenenergie bis zu Windkraftanlagen und Brennstoffen aus bäuerlichen Betrieben wie Biomethanol — wir müssen die Möglichkeiten der Speicherung und Nutzung von Sonnenenergie auf der ganzen Linie fördern und erweitern.

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5. Finanzierung und Förderung der bemannten und der unbemannten Raumfahrt 

Manche Leute meinen zwar, die Weltraumforschung sei zu teuer. Aber sie könnte durchaus schon einmal unseren Planeten gerettet haben. Und sie wird wieder unsere Rettung sein, wenn es uns gelingt, uns das auf dem Mond vorhandene Helium-3 für die strahlungsfreie Kernfusion nutzbar zu machen. " Oder wenn wir mit ihrer Hilfe die technischen Voraussetzungen schaffen, Asteroiden oder Kometen abzulenken, die mit der Erde zu kollidieren drohen. Ein solches Szenario müssen wir zumindest als möglich voraussetzen, Weltraumforschung und Raumflugtechnik sind Investitionen in unsere Zukunft und zeigen uns vielleicht einen Weg, wie unsere Atmosphäre noch zu retten ist. Und sie dienen der Erweiterung unseres Bewußtseins und unseres Wahrnehmungs­vermögens. Als Bürger des Kosmos würde es uns gut zu Gesicht stehen, wenn wir in der Lage wären, die Geschicke unseres eigenen kleinen Planeten verantwortungsvoller zu lenken.

 

6. Keine Halbherzigkeiten und Hintertüren bei der Ratifizierung der Beschlüsse von Kyoto: Alle sind gefordert! 

Am 11. Dezember 1997 unterzeichneten die Vertreter von mehr als 160 Staaten in Kyoto das Schluß­protokoll der UNO-Klimakonferenz. In den wichtigsten Punkten des Protokolls wurde den Industrie­nationen, die vor allem für die Freisetzung von Treibhausgasen in die Atmosphäre verantwortlich sind, eine Reduzierung der Emission entsprechender Gase auferlegt. Gleichzeitig schafft das Protokoll Anreize für die Schwellenländer, den CO2-Ausstoß zu verringern. Mit diesem Protokoll hat der Klimagipfel Zeichen gesetzt und der internationalen Staatengemeinschaft einen Weg zur effektiven Nutzung sauberer und erneuerbarer Energien gewiesen, der die globale Wirtschaft stärken und die Umwelt unseres Planeten schützen wird.10

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Das Protokoll von Kyoto hat zweifellos seine Schwachstellen. Doch es ist ein vielversprechender Schritt im vereinten Kampf der Nationen gegen die verheerenden Folgen der globalen Erwärmung. Es bemüht sich, unter Beachtung der Gebote von Fairneß und Vernunft die unterschiedlichen Bedürfnisse der Länder zu berücksichtigen, und sollte darum die Unterstützung aller Staaten genießen. Das Ziel, in den Industrieländern eine sieben- bis achtprozentige Reduzierung der Emissionen von Treibhausgasen — gemessen am Stand von 1990 — zu erreichen, klingt bescheiden, wenn man bedenkt, wieviel menschliches Leid, welche Umweltschäden und welche katastrophalen wirtschaftlichen Folgen die globale Erwärmung mit sich bringt.

»Das Schlußprotokoll der UNO-Klimakonferenz in Kyoto verlangt den einzelnen Ländern minimale Opfer ab, wenn man bedenkt, daß der Kohlendioxid-Ausstoß weltweit um 60 bis 70 Prozent reduziert werden müßte, sollte eine globale Stabilisierung des Klimas erreicht werden.«11 Wenn wir uns diesem Ziel verpflichten, werden wir uns die kreativen und finanziellen Ressourcen, die wir dazu benötigen, auch erschließen. Wir müssen eine Zukunft im Auge haben, die ohne fossile Brennstoffe auskommt. Neben den Technologien, die wir bis zum Jahr 2010 entwickeln können, werden sich fossile Brennstoffe vielleicht so antiquiert ausnehmen wie ein Rechenschieber neben einem 400-MHz-Computer. Aber wenn heute die reichen Länder nicht einmal bereit sind, ein lächerliches finanzielles Opfer zu bringen, wie können sie dann von den Ärmsten verlangen, sich Beschränkungen aufzuerlegen? Wir sitzen alle im gleichen Boot. Wenn wir interessiert daran sind, in gegenseitigem Einvernehmen die Biosphäre der Erde zu schützen und, wo sie bereits Schaden genommen hat, wiederherzustellen, können wir einen ersten wichtigen Schritt tun, indem wir preisgünstige Methoden der kohlenstofffreien Energiegewinnung finden und ausbauen. Damit die Menschen in der »Dritten Welt« gar nicht erst in Versuchung kommen, in der Phase ihrer wirtschaftlichen und technischen Entwicklung die Fehler zu wiederholen, die in der »Ersten Welt« alle schon einmal gemacht worden sind.

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7. Größere Nähe zur Natur, Reduzierung des privaten Öl- und Stromverbrauchs durch einen einfacheren Lebensstil. Konservierung und Recycling

Jeder von uns kann in seinem kleinen privaten Bereich viel tun. Wir können ganz oder teilweise auf öffentliche Transportmittel umsteigen. Wir können einen Ventilator benutzen, anstatt die Klimaanlage im Haus und am Arbeitsplatz voll aufzudrehen. Ein bißchen Schwitzen im Sommer bringt uns nicht um. Es tut unserer Gesundheit gut, wenn wir die Freude an der Natur wiederentdecken und Wanderungen oder Radtouren unternehmen; es ist überdies ein umweltfreundlicher Zeitvertreib. Sehr viele Gegenstände, von der Flasche bis zum Autoreifen, sind wiederverwertbar. Informieren wir uns, machen wir mit beim Recycling. Durch effiziente Energienutzung können private Hausbesitzer wie Unternehmen schon mit geringen Investitionen viel Geld und Energie sparen. Energie ist Geld.

Warum sollen wir für Energie mehr ausgeben als unbedingt notwendig? Machen wir also mit beim Energiesparen, seien wir erfinderisch. Sie werden staunen, wie viele Möglichkeiten es gibt, noch mehr Energie zu sparen. Schließen wir uns einer örtlichen Umweltgruppe an oder gründen eine, damit wir Einfluß auf unsere Kommunalverwaltung und die in unserer Gegend ansässige Industrie nehmen können. Schließen wir uns einer internationalen Umweltorganisation an, damit wir immer auf dem laufenden über die weltweiten Entwicklungen sind. Setzen wir uns am Arbeitsplatz für ein umweltfreundliches Denken und Handeln der Unternehmensleitung ein, nehmen wir, wo wir können, Einfluß, damit innovative Lösungen zur Gestaltung einer umweltfreundlichen Arbeitsumgebung gefunden und durchgesetzt werden.

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8. Einteilung der ökologischen Probleme nach dem Prinzip der Triage 

In dieser unserer einzigen Welt müssen wir nach der Methode der Triage verfahren und in der Vielzahl von Umweltproblemen eine Prioritätenliste erstellen, auf deren Basis uns ein schnelles und effizientes Handeln möglich ist. Beispielsweise können wir unser Geld und unsere Energie auf Projekte in aller Welt verwenden, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die Emission von Treibhausgasen um ein Prozent anstatt nur um 0,0001 Prozent zu verringern. Wir müssen die Verantwortung für unseren Planeten übernehmen und ihn nach Kräften schützen und bewahren. Das setzt voraus, daß wir Strukturen schaffen, die uns das verantwortliche Handeln ermöglichen. Ganz wesentlich ist die Entwicklung eines Systems zur Klassifizierung von Risiken und Notwendigkeiten, damit die Dringlichkeit eines Problems eindeutig bewertet und publik gemacht werden kann.

Wie wir uns sicher erinnern, wurde das Konzept der Triage als Strategie entwickelt, im Katastrophenfall Menschenleben zu retten. Je kritischer eine Situation ist, um so schneller muß eine rationale Einschätzung der Lage erfolgen. Die Bewertungskriterien hierfür müssen auf der Stelle festgelegt werden. Wir können auch bei den Wirtschaftswissenschaften Anleihen machen und deren Modelle zur Bewertung und Behandlung bestimmter Umweltaspekte übernehmen. Der Liste der Merkmale müssen wir die versteckten Kosten für unsere Umwelt hinzufügen, damit uns das »schmutzige Defizit« nicht entgeht. Wenn es uns gelingt, ökologische und ökonomische Fragen als Einheit zu behandeln, werden wir in beiden Bereichen Verbesserungen erzielen.

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9. Zahlenmäßige Verstärkung des Peace Corps und vergleichbarer Organisationen um das Vierfache und Erweiterung ihrer Aufgabenbereiche auf Projekte, die der Bekämpfung der globalen Erwärmung dienen  

Es wäre denkbar, das Peace Corps u.ä. durch freiwillige Helfer aus aller Welt zu verstärken. Diese Freiwilligen könnten weltweit in speziellen Eingreiftruppen beispielsweise in Projekten gegen die Ausweitung der Wüstengebiete oder zur Aufforstung zum Einsatz kommen. Dafür müssen Industriestaaten und multinationale Konzerne gleichermaßen finanzielle Mittel und technisches Gerät bereitstellen. Private Unternehmen müssen verpflichtet werden, die Wiederaufforstung zu unterstützen.

Die wichtigsten Einsatzgebiete einer solchen Eingreiftruppe liegen in Afrika, Südamerika, Mittelamerika, Indien und China. Aber es gibt auch anderswo in der Welt genügend Probleme, die einer Lösung harren.

 

Jeder von uns kann sich an seinem Wohnort an Baumpflanzungsprojekten beteiligen. Wir müssen die Gemeinden verpflichten, aktive Wiederaufforstung zu betreiben. Wir müssen neue Möglichkeiten der Waldnutzung finden, indem wir Bäume nicht nur als Lieferanten für Bauholz betrachten. Doch wir müssen auch zu einer vernünftigen Einschätzung kommen, wo der umweltschädigendere Einsatz von Stahl und Beton durch Verwendung von Plantagenholz vermieden werden kann. (Bäume wachsen nach, Eisenerz- und Gipslagerstätten nicht.)

Wir können sogar Kunststoffe aus Substanzen gewinnen, die uns Bäume liefern. Wir können Obst- und Nußbaumgärten und tropische Plantagen anlegen, wir können öffentliche und private Flächen begrünen, indem wir in den Städten Parkanlagen schaffen, in ländlichen Gegenden Bäume entlang der Landstraßen pflanzen und Windschutzhecken anlegen. Ganze Flußniederungen können neu bepflanzt werden. Und wir können die Länder der »Dritten Welt« verpflichten, als Gegenleistung für die Hilfe beim Aufbau ihrer Wirtschaft und bei der Wassergewinnung Aufforstungsprojekte zu unterstützen. Unserem Erfindungs­reichtum sind keine Grenzen gesetzt. Wüsten werden nicht nur durch fehlende Niederschläge erzeugt, sondern sie entstehen auch, weil die Menschen bei der Bearbeitung des Bodens keine Vernunft walten lassen. Pflanzen wir Milliarden von Bäumen!

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Wir brauchen die Wälder, denn sie sind der Ort, an dem der Garten Erde wiedererstehen wird. Erinnern wir uns, was wir über die verschiedenen Möglichkeiten, einen Stuhl zu betrachten, gesagt haben. Dasselbe Prinzip können wir bei Bäumen anwenden. Ein Baum ist vordergründig ein Holzlieferant, aber er ist noch viel mehr: Er ist eine Lebensform und ein Lebensspender. Er ist von einzigartiger Schönheit und wächst schweigend zu gewaltiger Größe empor, während die Jahre des Lebens vorübereilen. Er nimmt Kohlendioxid auf und erzeugt andere, nützliche Kohlenstoffverbindungen.

Ein Baum hat einen ökonomischen Wert, denn wir können seine Früchte ernten oder sein Holz verwenden, sei es als Baumaterial oder als Grundstoff zur Papierproduktion. Ein Baum liefert uns Brennstoff, mit dem wir uns im Winter vor dem Kältetod schützen können, aber er brennt auch wie eine stumme Fackel in einem Waldbrand. Für manche ist ein Baum nur ein lästiges »Unkraut«, das im Wege steht, wenn Ackerflächen oder Weideland für das Vieh gewonnen werden sollen. Aber ein Baum ist so viel mehr. Er hat, ob in einer künstlich gestalteten Landschaft oder in einem unberührten Wald, seinen eigenen ästhetischen Wert. Ein Baum ist der Abkömmling seiner Eltern und der Stammvater seiner Nachkommen, er ist Mitglied einer Familie. Er ist das Ergebnis eines langen Evolutionsprozesses, und man kann ihm einen bestimmten genetischen Code zuschreiben.

Irgendwann einmal kann er Bauholz für eine menschliche Behausung werden, aber zuvor ist er die Heimstatt von Vögeln und Eichhörnchen; Waschbären können sich in ihm vor Raubtieren verstecken — und gelegentlich spendet er einem müden Wanderer Schatten. Ein Baum kann zu einer Gemeinschaft von Bäumen, zu einem Wald, gehören. Wälder sind die Lungen unseres Planeten und das effizienteste Recyclingsystem überhaupt: Gottes perfekt funktionierendes System der Lebenserhaltung, das Kohlendioxid aus der Luft aufnimmt, Holz, Früchte, Nadeln und Blätter hervorbringt und mit dem Sauerstoff, den es abgibt, alle Säugetiere — auch Orang-Utans und Menschen — am Leben erhält.

Bäume können sprechen. Wer hört und spürt nicht das Lied des Windes, der durch die Wälder streicht, wer kennt nicht das sanfte Raunen, das den Frühling verheißt? Bäume sprechen zu uns vom Leben, und sie erzählen uns durch ihr Gedeihen, daß unser Umgang mit der Natur vernünftig ist.

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Wenn sie aber sterben, so geben sie uns damit zu verstehen, daß die Erde nicht mehr im Gleichgewicht ist. Ihre verrottenden oder verkohlten Stümpfe ragen als Mahnmal eines Umwelt-Holocaust in den Himmel. Im lebendigen, unberührten Urwald mit seinen haushohen Mammutbäumen oder Grannenkiefern, die älter sind als das Menschen­gedenken, in den Wäldern des Himalaja mit ihren imposanten Kieferndächern können wir die tiefste Weisheit der Erde erfahren — eine Weisheit, die so leise ausgesprochen wird, daß wir still und geduldig verweilen müssen, um sie hören zu können.

Es geht nicht nur darum, die unberührte Wildnis zu bewahren (obwohl wir das tun müssen, wo immer möglich), denn Bäume wachsen nach und erneuern sich. Wenn sie genügend Nährstoffe bekommen, breitet sich innerhalb weniger Jahren ein unermeßlicher grüner Teppich neuer Schößlinge aus, die miteinander um Licht, Wasser und Nährstoffe konkurrieren. Sie zeigen uns damit, wie mächtig das Leben wieder ans Licht der Welt drängt. Die Erde wird fortbestehen, solange Bäume wachsen. Als grüner Teppich des Lebens, wie man ihn aus dem Weltraum sehen kann, künden die Wälder eindringlich vom Vorrang des Lebens. Der Baum, der 70 oder 700 Jahre wächst, ist das größte Geschenk für die Zukunft.

Begreifen müssen wir aber auch, was Bäume nicht sind. Sie sind in ihrer eindrucksvollen Vitalität nicht einfach ein Stück Natur, aus dem wir bedenkenlos Parkplätze, Baugrundstücke oder Wüsten machen dürfen. Wälder sind keine landwirtschaftliche Nutzfläche. Wir dürfen sie nicht mit allem, was darin lebt — Büschen und Schmetterlingen, Blumen, großen wie kleinen Tieren — zerstören, um Platz zu schaffen für die überdüngten, pestizid­verseuchten Monokulturen, mit denen heute die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung gesichert werden soll. Ein Wald, der wegen seines Holzes angelegt wurde, ist auch kein Gips- oder Erzbergwerk, keine unheilbare Wunde in der Landschaft, keines dieser Löcher, in denen sich vergiftetes Wasser sammelt und in denen die Gänse sterben, wenn sie sich darauf niederlassen. Selbst ein künstlich zur Gewinnung von Nutzholz angelegter Wald ist — außer in den ersten Jahren seines Wachstumszyklus — ein Ort, an dem Platz für kleine Waldtiere, für Rehe, Hirsche oder Panther, für Büsche und Gräser, für Singvögel und für Raubvögel ist.

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Wälder sind Stätten der Stille und des Friedens, die unseren überreizten Sinnen Erholung bieten. Hier tobt kein Großstadtlärm, erfüllt kein Rauch die Luft, deutet nichts darauf hin, daß die Menschen zu egoistisch sind, um ihr eigenes Überleben zu sichern.

Warum also pflanzen wir nicht Bäume in Hülle und Fülle an? Warum beschwören wir eine Katastrophe herauf, indem wir Kohlendioxid in den Meeren ablagern, obwohl wir es doch leicht loswerden könnten, indem wir Wälder anlegen? Bäume und Wälder, dort gepflanzt, wo heute nur Wüste oder kahles Buschwerk ist, könnten den Sauerstoff liefern, der das Überleben der Erde sichert. So könnten sich die Menschen als würdige Bewohner ihres Planeten erweisen und zeigen, daß sie ihrer Verantwortung gerecht werden.

Pflanzen wir einen Baum! Er schützt vor dem Wind und hält das Erdreich fest. Er ist Nahrung für unzählige Mikroben und Insekten und zeichnet in seinen Jahresringen die Klimaentwicklung und Trockenperioden auf. Ein Baum kühlt die Luft und verhindert Überschwemmungen, indem er dazu beiträgt, daß der Waldboden wie ein weicher Schwamm Wasser aufsaugt. Er ist der elementarste Repräsentant des Lebens auf der Erde: der wahre Baum des Lebens.

Für viele von uns ist ein Baum heilig. Für andere ist er bloß ein künftiger Stuhl. Aber ob er nun als Stuhl oder Dachbalken, als Kirchengestühl oder Parkbank sein Leben beendet — wichtig ist, daß wir ihn nicht als ein »Produkt« betrachten, sondern als Lebewesen, dem Leben vom Leben gegeben, eines der größten Geschenke des Lebens überhaupt.

Wenn wir diesen Unterschied begreifen, können wir von reinen Nutznießern oder gar Parasiten zu Mutualisten werden, die an dem natürlichen Gefüge des gegenseitigen Gebens und Nehmens teilhaben, die die Erde und ihre Ressourcen nicht als Produkte, sondern als Gaben betrachten, die wir dankbar annehmen.

Dann wird die Erde und werden die Menschen überleben, gemäß dem Motto, das sich der Staat Hawaii auf sein Banner geschrieben hat: »Ua mau ke ea o ka aina i ka pono« — »Das Leben des Landes wird durch Rechtschaffenheit bewahrt werden.«12

Die Menschen in Hawaii haben erkannt, was wir gerade zu lernen beginnen: Das Leben unseres Planeten hängt von unserer Tugend, unserer Rechtschaffenheit, unserem Verantwortungsgefühl und unserem Handeln ab. Es ist eine auf Gegenseitigkeit bauende Beziehung und ein lohnendes Unterfangen, in dem wir auf ewig unsere Liebe zum Ausdruck bringen können.

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