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Epilog

Tee mit Sophia auf dem Mars 

 

Anmerkung 3: Natürlich ist unser Epilog eine Fiktion, die in einer 10.000 Jahre fernen Zukunft spielt. 
Es ist die Vision einer Zukunft, an deren Verwirklichung wir mitwirken wollen.

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Nach drei Tagen hatte sich der Sandsturm gelegt, und man konnte sich wieder an die Oberfläche begeben. Ein kurze Prüfung ergab, daß die Anlage nicht beschädigt worden war, also funkte ich schnell einen Einsatzplan an das Hauptquartier, sprang in den nächstbesten <Sandjet> und gab den Startcode ein. Nur weg hier! 

Ich war zu lange eingesperrt gewesen und hatte den unbändigen Wunsch, mich frei zu bewegen. Nachdem ich ein paar Kilometer durch die mit frischem Staub überzogene Landschaft gefahren war, bog ich ins offene Gelände ab. Ich hatte kein bestimmtes Ziel, sondern ließ mich von meinem Drang nach Bewegung leiten. Nachdem ich alle Spuren der Zivilisation hinter mir gelassen hatte, hielt ich mein Gefährt an und stieg aus, um einen Spaziergang über das Große Sandmeer zu machen.

Auf der nächstgelegenen Düne angekommen, ließ ich den Blick über die Landschaft schweifen. So weit das Auge reichte, ein wunderschönes Meer aus Rosen­quarzsand, erstarrte Wellen, über denen in einem kalten, blauen Himmel strahlende Wolken aus Eiskristallen hingen. Die Kälte konnte mir nichts anhaben, denn der dunkelblaue Overall, den ich trug, versorgte mich mit ausreichend Wärme. Erleichtert, endlich wieder unter freiem Himmel zu sein, sog ich die dünne Luft tief ein. Glücklicherweise war ihr Sauerstoffgehalt so hoch, daß man ohne künstliche Zusatzstoffe atmen konnte. 

Zum ersten Mal seit Jahrhunderten produzierten die fusions­energie­gespeisten Sauerstoff­generatoren und die großangelegten Aufforstungs­flächen weit unten in den südlichen Äquatorial­regionen genügend "O". 1) 

Ich wollte mich gerade wieder auf den Weg zu meinem Fahrzeug machen, als ich auf der Kuppe einer nahegelegenen Düne eine Bewegung registrierte. Es war eine Katze. Nichts Besonderes, nur eine ganz gewöhnliche Hauskatze — Felis domestica —, obwohl mir nicht ganz klar war, was sie hier draußen am Ende der Welt zu suchte hatte. Die Katze ignorierte mich völlig. Ihre dunkle Silhouette hob sich scharf vor dem Hintergrund der hellen Dünen ab, als sie sich niederließ und sich zu putzen begann.

So unvermittelt, wie die Katze erschienen war, wehte jetzt eine schmeichelnde Stimme über die kristallinen, rosigen Dünen zu mir herüber. »Schrödinger! Komm her, Kätzchen«, hörte ich sie rufen.

Die Katze wandte mir ihr Gesicht zu, schien sich belästigt zu fühlen, streckte sich und trollte davon. Im selben Augenblick, als die Katze hinter der Düne verschwand, tauchte da, wo zuvor sie gelegen hatte, eine weibliche Gestalt auf. Sie trug über ihrem kälteabweisenden Overall einen weiten, rosafarbenen Kimono mit Blumenmuster, in dem sie wie ein Schmetterling aussah.

»Haben Sie meine Katze gesehen?« erkundigte sie sich und strich sich die Haare aus dem Gesicht, als könnte sie mich dann besser sehen. »John?« fragte sie erstaunt, den Kopf zur Seite geneigt, den Blick jetzt prüfend auf mich gerichtet. »Bist du's wirklich, John Brandenburg?« Sie marschierte direkt auf mich zu, und etwas an ihrem energischen Gang kam mir sehr vertraut vor.

»Sophia rief ich, während wir uns umarmten wie zwei alte Freunde, und genau das waren wir auch.2) »Was machst du denn hier draußen?« Ich mußte laut lachen, als mir die Absurdität unserer Begegnung hier am Polarkreis des Mars bewußt wurde. Sophia lachte ebenfalls. Man konnte ihr die Freude über unser Treffen ansehen. Früher war mir Sophia exotisch erschienen mit ihrer bronzefarbenen Haut und ihren grünen Mandelaugen, aber heutzutage entsprach ihr Äußeres dem typischen Aussehen eines Erdlings. Wie die Menschen sich verändert haben, dachte ich.

»Komm, erzähl mir, was du zur Zeit so treibst«, schlug sie vor und schenkte mir ein geheimnisvolles Lächeln, das Grund genug gewesen wäre, ihr überall hin zu folgen. »Vergiß die Katze. Laß uns einen Tee trinken!«

Wir folgten den Spuren, die sie im Sand hinterlassen hatte, zu einem hübschen Lagerplatz; er bestand nur aus einem Solarzelt, einem Transportbehälter für Vorräte und einem kleinen runden Tisch mit zwei Campingstühlen.

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Auf dem Tisch lag, so unwahrscheinlich das auch klingen mag, eine Spitzendecke, und darauf stand ein silbernes Tablett mit einer Kanne dampfenden Tees und Keksen, kurz, alles was man für eine ordentliche Einladung zum Tee benötigte.3) »Bitte, setz dich«, forderte sie mich auf und deutete auf einen der beiden Stühle. Ihr Stimme riß mich aus meinen Gedanken. 

»Welchen Umständen verdanke ich diese freudige Überraschung?« Sie stellte eine Tasse vor mir hin, schob den Ärmel ihres Kimonos zurück und goß mir Tee ein.
»Nun ... äh ... ich wußte wirklich nicht, daß du hier bist«, begann ich.

»Natürlich nicht!« sagte sie. »Niemand weiß, daß ich hier bin. Ich mache Urlaub, John, falls du überhaupt weißt, was das ist«, fügte sie ergänzend hinzu. Sie kannte meine fatale Gewohnheit, mich bei meiner Arbeit völlig zu verausgaben. »Aber da Schrödinger mich verlassen hat, bin ich froh, daß ich dich getroffen habe«, sagte sie mit einem Lächeln.

Ich hatte plötzlich den Eindruck, daß dieses Treffen nicht so zufällig war, wie es auf den ersten Blick schien. Schließlich standen zwei Stühle am Tisch. Ich werde auf meine alten Tage wohl mißtrauisch, dachte ich bei mir. Aber schließlich hatte ich es mit Sophia zu tun ... »Ich schätze, wir sind beide ziemlich beschäftigt«, seufzte ich. Plötzlich wurde ich mir meiner Erschöpfung bewußt. »Wie steht es mit den Erfolgen des Instituts für Planetarische Schadensbekämpfung, und so weiter? Es ist lange her, nicht wahr?«

»Ewigkeiten«, sagte sie mit einem Grinsen und wohl wissend, daß dies keine Übertreibung war. »Wer hätte gedacht, daß alles so gut laufen würde? Wir hatten gefürchtet, die Menschheit könnte aussterben, und nun sieh sie dir an! Sie sind überall. Man kann ihnen nicht entkommen, noch nicht einmal auf dem Mars. Verzeihung, war nicht persönlich gemeint...«

Wie üblich spielte sie mit mir. »Daran bist du doch selbst schuld, Sophia. Wir hätten den Mars ganz für uns allein haben können, aber du mußtest aus der Erde ja unbedingt ein leuchtendes Beispiel für die anderen Planeten machen, und nun schießen die Grundstückspreise im gesamten Sonnensystem in die Höhe.«

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»Ist das meine Schuld? Ich glaube kaum. Es waren Milliarden Menschen nötig, um diese Veränderungen herbeizuführen. Gib denen die Schuld. Wir hatten jede Menge fleißige Helfer.« Sophia schwelgte, an ihrem heißen Tee nippend, in Erinnerungen. »Es war das erste Mal, daß die Menschheit bei einem wichtigen Unternehmen Geschlossenheit demonstrierte, nicht wahr? Erinnerst du dich noch, wie alles anfing?« fragte sie.

Als ob ich das je vergessen könnte. »Was für ein Durcheinander!« sinnierte ich. »Jahre der Anstrengung, in denen wir unseren ganzen Mut zusammennehmen mußten, um zu den wahren Problemen vorzudringen und effiziente Strategien dagegen entwickeln zu können. Aber als uns klar wurde, was auf dem Spiel stand und daß es durchaus möglich war, das Problem zu lösen, begannen wir, alle an einem Strick zu ziehen.«

»Wir hatten ja auch keine andere Wahl«, seufzte Sophia.

»Nun, der Erde geht es jedenfalls prächtig«, bemerkte ich und erhob meine Teetasse, um Sophia zuzuprosten. »So prächtig, daß es dort dieser Tage von Touristen aus anderen Welten nur so wimmelt«, fuhr ich lächelnd fort. Ich wußte, daß Sophia den Scherz verstanden hatte. »Ich werde im nächsten Monat übrigens auch dort sein.«

»Auf der Erde?« fragte sie, verwundert über diese Neuigkeit. »Welchem Umstand haben wir diese Ehre zu verdanken?«

»Es gelingt ihnen immer noch manchmal, mich dorthin zurück zu locken. Ich treffe dort im nächsten Monat eine Delegation von Alpha Centauri«, erklärte ich. »Haben sie dort Umweltprobleme?« fragte sie und wurde plötzlich ganz ernst.

»Ich bin nicht sicher. Du weißt doch noch, wie das so ist. Viel Geschrei um die natürlichen Kreisläufe und Streitereien zwischen den Fraktionen, die sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe schieben, anstatt sich auf das Wesentliche zu besinnen.«

»Fast wie bei den Menschen ...« Sie lächelte und drückte meine Hand. »Ja, fast genauso schlimm«, sagte ich ebenfalls lächelnd und erwiderte den Druck ihrer Hand.

Die Sonne ging rasch unter in der dünnen Atmosphäre, und am südlichen Horizont ging strahlend Phobos auf. Kurze Zeit später folgte sein kleiner Bruder Deimos.

»Ich werde den Mars vermissen«, sagte ich zu ihr. In diesem Augenblick spürte ich den plötzlichen Temperaturabfall, und ein Frösteln durchlief mich. Ich fragte mich einen Augenblick lang, ob diese Solarzelte tatsächlich funktionierten.

»Na, ja, ich hab da so ein Gefühl, daß du zurückkommen wirst«, sagte sie, nahm meine Hand und führte mich zu dem kleinen silbrig glänzenden Kuppelzelt. »Schließlich ist dein Ozean noch nicht fertig.«

Als sich Sophia bückte, um die miauende Katze auf den Arm zu nehmen, blickte ich ein letztes Mal zum nächtlichen Himmel auf, bevor ich in das Zelt trat. Vor einem tintenblauen Hintergrund stand unsere wunderschöne Erde. In ihrem strahlenden Blauweiß leuchtete sie heller als die Venus. Sie ging im Süden über den endlosen Weiten des Sandmeeres auf. Dankbar, daß im Kosmos alles seine Ordnung hatte, schickte ich ein stilles Gebet gen Himmel.

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