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5. Natürliche Systeme unter starkem Druck 

Brown-2006

 

 

119-146

1938 reiste Walter Lowdermilk, einer der führenden Mitarbeiter im <Soil Conservation Service> des US-Landwirtschafts­ministeriums, ins Ausland, um sich dort Gebiete anzuschauen, die seit Tausenden von Jahren kultiviert wurden, und herauszufinden, wie die alten Zivilisationen mit dem Problem der Bodenerosion umgegangen waren.

 en.wikipedia  Walter_C._Lowdermilk  1888-1974

Er stellte fest, dass einige mit ihrem Land verantwortungsvoll umgegangen waren und erreicht hatten, dass es über historisch lange Zeiträume fruchtbar blieb, sodass die jeweiligen Zivilisationen blühten und gediehen. Andere hatten in dieser Hinsicht versagt und inzwischen zeugen nur noch die Überreste der jeweiligen Zivilisation von ihrer einstigen Glanzzeit.1) 

In einem Abschnitt seines Berichts beschreibt Lowdermilk unter der Überschrift <Die einhundert toten Städte> eine Gegend im Norden Syriens, in der Nähe von Aleppo, wo alte Gebäude nur noch als gänzlich isolierte Reliefs auf nacktem Gestein aufragen. Infolge von Invasionen in das Gebiet im 7. Jahr­hundert, zunächst durch eine persische Armee und später durch Nomaden aus der Arabischen Wüste, waren die Praktiken zur Erhaltung der Böden und der Wasserreserven, die hier seit Jahrhunderten Anwendung gefunden hatten, aufgegeben worden. Lowdermilk bemerkte dazu: 

"Die Erosion hatte hier allerschlimmste Folgen gezeitigt ... ungeachtet der zerstörten Städte und der Zerstreuung der Bevölkerung wäre das Gebiet möglicherweise wieder bevölkert und die Städte wiederaufgebaut worden, wenn die Böden erhalten geblieben wären. Doch mit dem Verlust des Bodens ist alles verloren." 2) 

Und nun ein Zeitsprung direkt ins Jahr 2002, als ein UN-Team nach Lesotho reiste — ein kleines Land mit zwei Millionen Einwohnern, eine Enklave inmitten Südafrikas — um sich ein Bild von der dortigen Lebensmittelsituation zu machen. Sie kamen zu einer eindeutigen Einschätzung: 

1)  Walter Lowdermilk. Comjuest of the Land Through 7,000 Years, USDA-Bulletin Nr. 99, (U.S. Department of Agriculture, USDA, Natural Resources Conservation Service, 1939).
2)  Ebenda.. S. 10.


"Die Zukunftsaussichten für die Landwirtschaft in Lesotho sind katastrophal. Sollten nicht schnellstens Maßnahmen zur Bekämpfung der Bodenerosion, der Verschlechterung der Bodenqualität und der Abnahme der Fruchtbarkeit der Böden getroffen werden, so werden die Ernten sinken und in großen Teilen des Landes könnte die Lebensmittelproduktion völlig zusammenberechen." 

Michael Grunwald schreibt in der <Washington Post>, in Lesotho seien fast die Hälfte aller Kinder unter fünf Jahren körperlich unterentwickelt. "Viele", so schreibt er, "sind sogar zu schwach, um in die Schule zu gehen."3)

Unabhängig davon, ob sich die Landstriche nun im Norden Syriens, in Lesotho oder anderswo befinden, steht die Gesundheit der dort lebenden Menschen doch immer im direkten Zusammenhang mit der Gesundheit der Böden. Ein Großteil der weltweit 852 Millionen Hunger leidenden Menschen lebt in Gebieten, deren Böden durch Erosion stark ausgedünnt sind.4)  

Durch die gnadenlos steigende Nachfrage der Menschen werden die Wälder, die Weideflächen und die Fischbestände so stark beansprucht, dass es ökologisch kaum noch verträglich ist. Außerdem sorgen wir dafür, dass viele der Tier- und Pflanzenarten, mit denen wir uns den Lebensraum Erde teilen, aussterben. Mittlerweile sterben vorhandene Arten tausendmal schneller aus als sich neue entwickeln - wir haben den Schnellvorlauf der Ausrottung gestartet.5)  

 

  Die Kosten für das Zusammenschrumpfen der Baumbestände  

Laut Nachrichtenmeldungen hat die philippinische Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo Anfang 2004 "angeordnet, dass Polizei und Militär hart gegen das illegale Schlagen von Bäumen durchgreifen, nachdem plötzliche Überflutungen und Erdrutsche, die durch die unkontrollierte Abholzung ausgelöst worden waren, fast 340 Menschen das Leben gekostet hatten." 15 Jahre zuvor, im Jahr 1989, hatte die thailändische Regierung nach heftigen Überschwemmungen und nachdem bei Erdrutschen viele Menschen ums Leben gekommen waren, ein landesweites Verbot für das Schlagen von Bäumen verhängt. 

3)  U.N. Food and Agriculcure Organization (FAO), "FAO/WFP Crop and Food Assessmera I Mission ro Lesotho Special Report," auf www.fao.org, angesehen 29. Mai 2002; Michael 1 Grunwald, "Bizarre Weather Ravages Africans' Crops," Washington Post, 7. Januar 2003. .1  
4)  Zahl der Hunger Leidenden aus FAO, The State of Food Insecurity in the World 2004 M (Rom: 2004).  
5)  Species Survival Commission, 2000 IUCN Red List of Threatened Species (Gland, Schweiz 1 und Cambridge, GB: World Conservation Union-IUCN, 2000), S. 1.

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Und nachdem die mehrere Wochen andauernden Rekordüberschwemmungen Jangtsebecken Schäden im Gesamtwert von unglaublichen 30 Milliarden Dollar hinterlassen hatten, hat die chinesische Regierung im August 1998 jegliches Schlagen von Bäumen in dem Becken, in dem 400 Millionen Menschen leben, verboten. Jede dieser Regierungen hat einen hohen Preis gezahlt, doch sie haben ihre Lektion gelernt: Die Dienste, die diese Wälder leisten, wie die Flutkontrolle, könnten einen weitaus höheren Wert für die Gesellschaft haben als das Schnittholz dieser Bäume.6)  

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden die bewaldeten Flächen der Erde auf insgesamt fünf Milliarden Hektar geschätzt. Seither ist diese Fläche auf nur noch 3,9 Milliarden Hektar zusammengeschrumpft, wobei sich die verbleibenden Waldflächen gleichmäßig auf die tropischen und subtropischen Wälder in den Entwicklungsländern und auf die Wälder der gemäßigten und borealen Zone in den Industrieländern verteilen.7

Die größten Verluste an Waldbeständen sind in den Entwicklungsländern zu verzeichnen. Seit 1990 liegt der durchschnittliche Rückgang der Waldbestände in diesen Ländern bei 13 Millionen Hektar jährlich. Insgesamt büßen die Entwicklungsländer im Verlauf eines Jahrzehnts etwa sechs Prozent ihrer Waldflächen ein. Die Waldflächen in den Industrieländern dagegen wachsen jährlich um geschätzte 3,6 Millionen Hektar, hauptsächlich durch die natürliche Rückkehr ehemaliger Anbauflächen zu Waldflächen (wie zum Beispiel in Russland) oder durch kommerzielle Wiederaufforstung.8

Leider spiegeln diese offiziellen Zahlen der Food and Agriculture Organisation (FAO) der UNO in keiner Weise wider, wie ernst die Lage tatsächlich ist. Tropische Wälder beispielsweise erholen sich nach einer Großflächen- oder Brandrodung nur selten wieder. Sie verwandeln sich in Ödland oder bestenfalls in Strauchwald, werden aber nach wie vor offiziell zu den Waldflächen gezählt. Und auch Neuanpflanzungen gelten als Waldflächen, obwohl sie sich bei weitem nicht mit den alten, gewachsenen Wäldern vergleichen können, die sie zum Teil ersetzen sollen.

 

6)  Teresa Cerojano. "Decades of Illegal Logging Blamed Cor High Death Toll in Philippine Storm," Associated Press, 1. Dezember, 2004; Angaben zu Thailand aus Patrick B. Durst et al.. Forests Out of Bounds: hnpaets and Effectiveness of Logging Bans in Natural Forests in Asia-Pacific (Bangkok: FAO, Asia-Pacific Forestry Commissiön, 2001); Munich Re, Munich Res Review of Natural Catastrophes in 1998," Pressemitteilung (München: 19. Dezember 1998); Harr)' Doran, "Human Activitics Aid Force of Nacure: Massive Destruction Has Worsened the Floods Which Have Struck Throughout History, But Lessons Are Being Learned." South China Morairtg Post, 24. Juli 2003; John Pomfret, "Chi nas Lumbering Economy Ravages Border Forests," Washington Post, 26. März 2001. 
7)  Bewaldete Flächen weltweit aus FAO, "Table 1.2. Forest Area by Region 2000," Forest Resources Assessment (FRA) 2000 (Rom: 2001). 
8)  FAO, Agriculture: Towards 2015/30. Technical Interim Report'(Rom: 2000).

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Das World Resources Institute (WRI) berichtet, bei dem überwiegenden Teil der noch verbliebenen Waldflächen handele es sich um 1 "kaum mehr als kleine oder stark geschädigte Teile der einstmals voll funktionsfähigen Ökosysteme". Nur 40 Prozent der weltweit noch verbliebenen Waldflächen können noch als Grenzwälder bezeichnet werden, die das WRI als "große, intakte, natürliche und relativ unbeschädigte Waldsysteme" definiert, "deren Größe es erlaubt, ihre gesamte Artenvielfalt zu erhalten, einschließlich lebensfähiger Populationen der vielen für die jeweilige Waldart typischen Arten."9

Doch der Druck auf die Wälder nimmt weiter zu, da die Nachfrage nach Brennholz, Papier und Schnittholz immer mehr zunimmt. Von den mehr als 3,34 Milliarden Kubikmeter Holz, die im Jahr 2003 weltweit geschlagen wurden, wurde mehr als die Hälfte als Brennstoff benutzt. In den Entwicklungsländern macht Brennholz fast drei Viertel des Gesamtverbrauchs aus.10

In der Sahelzone in Afrika und auf dem indischen Subkontinent wird besonders viel Holz als Brennholz geschlagen. Da der Bedarf der Städte an Brennholz die ökologisch verträgliche Menge übersteigt, die aus den nahe gelegenen Wäldern entnommen werden kann, wird der Abstand zwischen der Stadt und der Waldgrenze immer größer, ein Prozess, der auf über einen längeren Zeitraum gemachten Satellitenaufnahmen deutlich sichtbar ist. Je größer der Abstand wird, desto höher werden die Transportkosten für Brennholz, wodurch die Entwicklung einer Holzkohleindustrie angestoßen wird, da es sich hier um eine konzentriertere Form von Energie handelt und die Transportkosten geringer sind. March Turnbull schreibt in Africa Geographie Online: "Jede größere Stadt in der Sahelzone ist von einer sterilen Mondlandschaft umgeben. Dakar und Khartum sind inzwischen mehr als 500 Kilometer von der nächsten Bezugsquelle für Holzkohle entfernt, die sich in einigen Fällen sogar bereits in benachbarten Ländern befindet."11

Auch die Abholzung zur Gewinnung von Schnittholz fordert einen hohen Tribut. Besonders deutlich wird dies in Südostasien und Afrika.

 

9)  Forest Frontiers Initiative, The Last Frontier Forests: Ecosystems and Economies on the Edge (Washington, DC: WRI, 1997). 
10)  FAO, FAOSTAT Statistics Database, apps.fao.org, Update 21. Januar 2005.  
11)  Alain Marcoux, "Population and Deforestation," in Population and the Environment (Romj FAO, 2000); March Turnbull, "Life in the Extreme," Africa Geographie. Online, auf www.africa-geographic.com, 14 April 2005.

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In fast allen Fällen werden die Bäume durch ausländische Firmen geschlagen, diese haben kaum Interesse an einem System, in dem immer wieder eine ökologisch vertretbare Menge Holz gefällt werden kann, ihr Hauptinteresse liegt vielmehr auf der Maximierung ihres Profits durch einmalige Fällung. Wenn die Waldflächen eines Landes abgeholzt sind, ziehen die Firmen weiter und zurück bleibt nur verwüstetes Land. Sowohl Nigeria als auch die Philippinen haben ihre einst blühende Exportindustrie für tropische Harthölzer eingebüßt und gehören inzwischen zu den Nettoimporteuren von Forstprodukten.12

Besonders im Amazonasbecken, im Kongobecken und auf Borneo gehen große Waldflächen durch die Brandrodung zur Gewinnung neuer Anbau- und Weideflächen verloren. Nachdem Brasilien bereits 97 Prozent seines Regenwaldes am Atlantik eingebüßt hat, ist man jetzt dabei, auch den Regenwald am Amazonas zu zerstören. Diese riesige Waldfläche, die etwa so groß ist wie Europa, war bis 1970 noch größtenteils intakt. Seither sind bereits 20 Prozent davon zerstört worden.13

Infolge des rasant steigenden Bedarfs an Palmenöl wurden im malaysischen Teil Borneos (Sarawak und Sabah) zwischen 1998 und 2003 die Flächen für Palmenplantagen um jährlich acht Prozent ausgedehnt und in Kalimantan, dem indonesischen Teil Borneos, sind es sogar mehr als elf Prozent. Und nachdem sich Palmenöl derzeit zu einem der führenden Biodieselkraftstoffe entwickelt, werden die Anbauflächen für Palmen wohl noch weiter ausgedehnt werden. Die praktisch unbegrenzte Nachfrage nach Biodiesel stellt mittlerweile auch eine Bedrohung für die noch verbliebenen Tropenwälder auf Borneo und in anderen Ländern dar.14

Haiti, ein Land mit acht Millionen Einwohnern, war einst größtenteils mit Wald bedeckt. Heute machen Waldflächen nur noch knapp zwei Prozent der Gesamtfläche des Landes aus, da die Bäume als Brennholz geschlagen werden. Im September 2004 forderte der Tropensturm Jeanne 1.500 Todesopfer, und mehr als 100 Menschen werden nach wie vor vermisst oder gelten als tot. Ohne den Schutz der Bäume war der Boden weggespült worden und es war kaum mehr etwas vorhan-

 

12)  Nige! Sizer und Dominick Plouvier, Increased Investment and Trade by Transnational ^-°gg'ng Companies in Africa, the Caribbean, and the Pacific (Belgien: World Wide Fund fer Nature (WWF) and WRI Forest Frontiers Initiative, 2000), S, 21-35; Lester R. Brown, "Natures ümirs," in Lester R. Brown et al., State of the World 1995 (New York: W.W. 13 Norton & Company: 1995), S. 9.  
13)  Maria Pia Palermo, "Brazil Losing Fight to Save the Amazon," Reuters, 22. Mai 2005; Steve Kingstone, "Amazon Destruction Accelerating," BBC News, 19. Mai 2005.  
14)  Mario Rautner, Martin Hardiono und Raymond j. Alfred, Borneo: Treasure Island at Risk (Frankfurt: WWF Deutschland, Juni 2005), S. 7.

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den, das den Wolkenbruch hätte auffangen können. Haiti, einst ein tropisches Paradies, ist inzwischen eine Fallstudie für ein Land, das ökologischen und wirtschaftlichen Selbstmord begeht. Nachdem die Wälder und Böden verschwunden waren, sah sich Haiti in einem ökologisch-ökonomischen Teufelskreis gefangen, aus dem sich das Land nicht mehr befreien konnte. Inzwischen wird das Land praktisch durch die internationale Unterstützung in Form von Lebensmittellieferungen und Wirtschaftshilfe am Leben erhalten.15

Haiti ist ein klassisches Beispiel für ein Land im "Overshoot-and-Col-lapse"-Modus. Zuerst verschwinden die Bäume, dann die Böden und schließlich die Gesellschaft selbst. Ohne die Lebensmittellieferungen aus dem Ausland würde die Bevölkerungszahl in Haiti vermutlich bereits beginnen zu sinken, da ein Teil verhungern würde. Haiti ist ein Mikrokosmos, an dem man sehen kann, was mit unserem Planeten passieren wird, wenn die Entwaldung in der derzeitigen Form weitergeht.

Viele Länder werden infolge massiver Abholzung von furchtbaren Überschwemmungen heimgesucht. 2002 trat der Limpopo über die Ufer und Mosambik wurde teilweise überflutet. Bei dieser Überschwemmung kamen Tausende Menschen ums Leben und Häuser und Ernten wurden in einem bisher unbekannten Ausmaß zerstört. Höchstwahrscheinlich wird es im Limpopobecken, das bereits 99 Prozent seiner ursprünglichen Walddecke eingebüßt hat, noch zu vielen solcher Überschwemmungen kommen.16

Auch der Regenwald von Madagaskar mit seiner großen Artenvielfalt nimmt rasant ab. Die Bäume werden entweder zur Holzkohleproduktion geschlagen oder um Siedlungsflächen zu schaffen, und die Abfolge der Ereignisse erscheint nur allzu vertraut. Umweltschützer warnen, dass die Landschaft in Madagaskar schon sehr bald nur noch aus Gestrüpp und Sand bestehen könnte.17

Während durch die Entwaldung einerseits das Wasser immer schneller in den Ozean zurückfließt, könnte andererseits die Umwandlung in Regenwasser für das Landesinnere dadurch behindert werden. Vor etwa 20 Jahren haben zwei brasilianische Wissenschaftler, Eneas Salati und Peter Vose, in einem Artikel in Science darauf hingewiesen, dass

 

15) "Haitian Scorm Deaths Blamed on Deforestacion," Environment News Service 27. September 2004; '"Haiti Floods Due to Detorestation," CBSNews.com. 23. September 2004.
16) Angaben über Überflutung in Mosambique aus "Aid Agencies Gear Up in Mozambiquej Flood Rescue EfTorr," CNN, 1. März 2000; Angaben über Verluste det Waldflächen aus Carmen Revenga et al., Watersheds ofihe World (Washington, DC: WR1 and Worldwatch Institute, 1998).
17) "Madagascar's Raiuferest Faces Destruction," Guardian (London), 29. Juni 2003.

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ein Viertel des Regenwassers aus den von der Atlantikseite körnenden Wolken an den Bäumen abfloss, wenn es auf den gesunden o enwald im Amazonas traf, während drei Viertel in die Atmosphäre verdunsteten und dort weiter ins Landesinnere transportiert wurden, wo sie wiederum als Regen niedergingen. Wenn nun die Flächen zur Gewinnung von Weide- oder Anbauflächen gerodet werden, so würde die Menge, die ab- und ins Meer zurückfließt deutlich ansteigen, während der Teil, der erneut zu Regenwasser für das Landesinnere wird, dramatisch abnehmen würde.'8

Der Ökologe Philip Fearnside, der sich dem Studium des Amazonas verschrieben hat, stellte fest, dass der landwirtschaftlich wichtige mittlere und südliche Teil Brasiliens auf das Regenwasser angewiesen ist, das dem Landesinneren mit Hilfe des Regenwaldes im Amazonas zugeführt wird. Wenn das Amazonasgebiet in Weideland umgewandelt wird, so Fearnside, wird es viel weniger des für die Landwirtschaft lebensnotwendigen Regens geben.19

Auch in Afrika, wo die Entwaldung und Landrodungen immer schneller voranschreiten, weil der Brennholzbedarf immer weiter steigt und Holzfällerfirmen immer größere Teile der Wälder abholzen, sieht es so aus, als entwickele sich eine ähnliche Lage. In Malawi, einem Land in Ostafrika mit 13 Millionen Einwohnern, ist der Anteil der Waldflächen an der Gesamtfläche des Landes innerhalb weniger Jahre von 47 auf nur noch 28 Prozent zurückgegangen. Das Schlagen der Bäume zur Herstellung von Holzkohle und zur Trocknung von Tabak führt zu einer Abfolge der Ereignisse, die denen in Haiti ähneln.20

Mit dem Verschwinden der Bäume steigt die Menge des Regenwassers, das abfließt und es bleibt immer weniger Wasser, dass über die Verdunstung dem Regenkreislauf wieder zugeführt werden könnte. Der Hydrogeologe Jim Anscombe bemerkt dazu: "Infolge der hohen Sonneneinstrahlung pumpen die Bäume im Laufe des Transpirationsprozesses über Wurzeln, Stamm und Blätter Wasser aus dem Grundwasser nach oben. Wenn man nun alle Bäume des Waldes zusammennimmt, so pumpen sie täglich eine Gesamtmenge von mehreren Millionen Liter Wasser in die Atmosphäre." Bei den dortigen klimatischen Bedingungen wird dieses Wasser in sommerliche Regenfälle umgewandelt durch die die Ernten versorgt werden. Wenn die Wälder nicht mehr da wären, würde dieser Regen immer mehr abnehmen — und infolgedessen auch die Ernten.21

 

18)  Eneas Salati und Peter B. Vose, ''Amazon Basin: A System in Equilibrium," Science, Vol. 225 (13. Juli 1984), S. 129-38. 
19)  Philip Fearnside zitiert in Barbara J. Fräser, "Putring a Price on the Forest," LiuinamerkaPrcs5.org, 10. November 2002; Philip M. Fearnside, "The Main Resources of" Amazonia," Abhandlung zur Vorstellung auf der Latin American Studies Association XX - '"ternational Congress, Guadalajara, Mexiko, 17.-19. April 1997.  
20)  Charles Mkoka. "Unchecked Defbrestation Endangers Malawi Ecosystems," Environment News Service, 16. November 2004.

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Immer mehr Länder beginnen zu begreifen, welche Risiken die Entwaldung birgt. Zu den Ländern, die inzwischen völlige oder teilweise Verbote für das Abholzen von Primärwäldern verhängt haben, gehören unter anderem China, Neuseeland, die Philippinen, Sri Lanka, Thailand und Vietnam. Leider führen Verbote in einem Land oft nur dazu, dass die Abholzung in einem anderen Land weitergeht oder dass Bäume illegal geschlagen werden. So hat beispielsweise das Verbot des Schiagens von Bäumen in China nach der Überschwemmung im Jangtse-becken 1998 dazu geführt, dass die Abholzung in Myanmar (früher Birma) und in Russland massiv zunahm — ein Großteil illegal.22

 

Bodenverluste

 

Die dünne Schicht des Oberbodens, die die Landflächen der Erde bedeckt, bildet die Grundlage der Zivilisation. Diese Bodenschicht, die nur wenige Zentimeter stark ist, hat sich über lange geologische Zeiträume gebildet, als die Entstehung neuer Erde noch schneller vonstatten ging als die natürliche Erosion des Bodens. Der Boden, der sich über Äonen ansammelte, bildete den Nährboden für das Wachstum von Pflanzen, die wiederum den Boden vor der Erosion schützen. Durch sein Eingreifen zerstört der Mensch diese Wechselbeziehung.

Irgendwann im vergangenen Jahrhundert begann die Bodenerosion in vielen Gebieten schneller zu sein als die Bildung neuen Bodens. Etwa ein Drittel der Anbauflächen, wenn nicht mehr, verlieren schneller an Boden als neuer gebildet wird, wodurch die Produktivität des Bodens abnimmt. Inzwischen droht sich die Grundlage der Zivilisation aufzulösen. Die Ursache für den Zusammenbruch früherer Zivilisationen, wie der der Mayas, könnte in der Erosion der Böden gelegen haben, durch die die Nahrungsmittelversorgung gestört wurde.23

 

21)  Anscombe zitiert in Mkoka, op. cit. Note 20.  
22)  Durst et al., op. cit. Note 6; Zhu Chunquan, Rodney Taylor und Feng Guoqiang, China« Wood Market, Trade and Environment (Monmouth Junction, NJ und Peking: Science Press USA Inc. and WWF International. 2004).

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Die Folgen der zunehmenden Erosion der Böden im vergangenen Jahrhundert zeigen sich deutlich in den sogenannten <Dust Bowls>24) die sich überall dort bilden, wo die Vegetation zerstört wurde und die Erosion durch den Wind unkontrollierbar wütet. Zu den hervorstechendesten "Dust Bowls" gehören die in den Great Plains in den 30er Jahren, die in den sogenannten "Neuland-Gebieten12^ in der Sowjetunion in den 60er Jahren, das große, das sich derzeit im Nordwesten Chinas bildet, und dasjenige, das in der Sahelzone in Afrika entsteht. Jedes dieser "Staubbecken" steht im Zusammenhang mit dem altbekannten Muster aus Überweidung, Entwaldung und Ausdehnung der Landwirtschaft auf Grenzertragsböden, die dann wegen der Bodenverluste aber wieder eingeschränkt werden musste.26

Die starke Zunahme der Weltbevölkerung im 20. Jahrhundert führte in vielen Ländern dazu, dass auch sehr anfällige Böden landwirtschaftlich genutzt wurden. Das übermäßige Pflügen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts hat in den 30er Jahren in den Great Plains in den USA beispielsweise zur Entstehung eines "Staubbeckens" geführt. Es war eine schlimme Zeit in der amerikanischen Geschichte, in der Hunderttausende Farmer und ihre Familien gezwungen waren, die Great Plains zu verlassen. Viele von ihnen gingen nach Kalifornien, um dort ein neues Leben zu beginnen - eine Reise, der John Steinbeck in Die Früchte des Zorns ein ewiges Denkmal gesetzt hat.27

Dreißig Jahre später wiederholte sich die Geschichte in der Sowjetunion. Das Hauptziel des Projekts zur Neulandgewinnung zwischen 1954 und 1960 bestand darin, ein Steppenareal, das größer war als die Weizenanbauflächen in Kanada und Australien zusammen, umzupflügen und für den Weizenanbau zu kultivieren. Zunächst führte dies zu einem beeindruckenden Anstieg der sowjetischen Getreideproduktion, doch handelte es sich nur um einen kurzzeitigen Erfolg, denn auch hier bildete sich ein "Staubbecken".28

 

23)  Das eine Drittel ist eine Schätzung des Autors: Lestet R. Brown, Building a Sustainable Society (New York: W.W Norton & Company, 1981), S. 3. 
24)  Anm, d. Übers.: wörtlich: Staubbecken; Gegenden, die infolge der Zerstörimg der Vegetation und der damit einhergehenden Bodenerosion von verheerenden Staubstürmen heimgesucht werden
25)  Anm. d. Übers.: Es handelt sich um eine große Kampagne unter Chruschtschow zur Urbarmachung von großen Teilen der landwirtschaftlich bis dahin nicht genutzten Steppe m Kasachstan und in anderen Gebieten der Sowjetunion. 
26)  Yang Youlin, Victor Squires und Lu Qi, Hrsg., Global Alarm: Dust and Sandstorms from
the World's Drylands (Bangkok: Secretariat of the U.N. Convention to Combat Desertification. 2002). S. 15-28. 
27)  John Steinbeck, The Grapes of'Wmth (New York: Viking Penguin, Inc., 1939). 
28)  FAQ, The State of Food and Agriculture 1995 (Rom: 1995), S. 175. 

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Kasachstan, das im Zentrum des Projekts stand, verzeichnete um 1980 bei knapp über 25 Millionen Hektar den Höchststand bei seinen Getreideanbauflächen, die heute jedoch auf 14 Millionen Hektar zusammengeschrumpft sind. Doch selbst auf den noch verbliebenen Anbauflächen beträgt die durchschnittliche Weizenausbeute kaum mehr eine Tonne pro Hektar und ist damit weit entfernt von den fast acht Tonnen pro Hektar, die die französischen Bauern, die führenden Weizenproduzenten in Westeuropa, ernten können.29

Ganz ähnlich ist die Lage in der Mongolei. Dort mussten in den vergangenen 20 Jahren die Hälfte der Weizenanbauflächen aufgegeben werden und die Weizenerträge sind um die Hälfte gesunken, wodurch die Ernte um drei Viertel zurückgegangen ist. Die Mongolei — ein I Land mit 2,6 Millionen Einwohnern, das etwa dreimal so groß ist wie Frankreich - sieht sich inzwischen gezwungen, fast 60 Prozent seines Weizenbedarfs zu importieren.30

Inzwischen werden die Staubstürme, die sich in den neuen "Staubbecken" bilden, mit Hilfe von Satellitenaufnahmen getreulich dokumentiert. Am 9. Januar 2005 hat die NASA Bilder eines gigantischen Staubsturms veröffentlich, der sich von Zentralafrika aus westwärts I bewegte. Diese riesige Wolke aus bräunlichem Staub erstreckte sich über etwa 5.300 Kilometer. Die NASA merkte an, wäre dieser Sturm in die Vereinigten Staaten "umgesetzt" worden, so hätte er quer über das ganze Land gereicht und sich auf beiden Seiten noch bis in den Ozean erstreckt.31

Andrew Goudie, Professor für Geographie an der Universität Oxford, berichtet, dass Staubstürme in der Sahara — einst eine Seltenheit -B inzwischen praktisch alltäglich sind. Nach seinen Schätzungen hat | sich ihre Häufigkeit in den letzten 50 Jahren etwa verzehnfacht. Zu 1 den Gebieten in der Region, die vom Verlust des Oberbodens durch 1 Winderosion am stärksten betroffen sind, gehören Mauretanien, der i Norden Nigerias und Burkina Faso. In Mauretanien, einem der west-B lichsten afrikanischen Länder, ist die Anzahl der Staubstürme sprungartig angestiegen - waren es in den frühen 60 Jahren noch 2 pro Jahr,« so sind es heute 80.32

 

29)  Ebenda.; USDA, Produktion, Supply, & Distribution, elektronische Datenbank, auf www.iks.usda.gov/psd, Update 13. September 2005; FAO, op. cit. Note 10, Update 14.07.2005
30)  U.N. Environment Programme (UNEP), Mongolin: State of the Environment 2002 (Pathumthani, Thailand: Regional Resource Centre for Asia and the Pacific, 2001), S. 3-7; USDA, op. cit. Note 27; Bevölkerungszahlen aus United Nations, World Population' Prospects: The 2004 Revision (New York: Februar 2005).  
31)  National Aeronautics and Space Administration (NASA) Earth Observatory, "Dust Stora off Western Sahara Coast," aufearthobservatory.nasa.gov/NaturalHazards/natural_Jiazards_ v2.php3?img_jd= 12664, angesehen 9. Januar 2005.  
32)  Paul Brown, ''4x4s Replace the Desert Camel and Whip Up a Woridwide Dust Storrna Guardian (London), 20. August 2004.

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rw Wind trägt jährlich geschätzte 1,3 Milliarden Tonnen an Boden der Bodelesenke im Tschad — eine Verzehnfachung gegenüber den rsten Messungen 1947. Die zwei bis drei Milliarden Tonnen feiner Rodenpartikel, die jedes Jahr in Staubstürmen aus Afrika hinaustrans-rtiert werden, sorgen dafür, dass der Kontinent langsam an Fruchtbarkeit und damit an biologischer Produktivität verliert. Außerdem bewegen sich die Staubstürme aus Afrika kommend westwärts über den Atlantik und lagern so viel Staub in der Karibik ab, dass er das Wasser trübt und die Korallenriffe angreift.33

In China ist exzessives Pflügen in mehreren Provinzen zur alltäglichen Praxis geworden, nachdem die Landwirtschaft zwischen 1987 und 1996 immer weiter nach Norden und Westen in die Pastoralzone vorgedrungen war. In der Inneren Mongolei (Nei Monggol) beispielsweise wuchs die kultivierte Fläche in dieser Zeit um 1,1 Millionen Hektar -22 Prozent - an. Zu den anderen Provinzen, die ihre kultivierten Flächen in diesen neun Jahren um 3 Prozent oder mehr ausdehnten, gehören Heilongjiang, Hunan, Tibet (Xizang), Qinghai und Xingjiang. Die starke Erosion des Bodens durch den Wind ließ keinen Zweifel daran, dass die einzige Möglichkeit, diese neu kultivierten Böden umweltverträglich zu nutzen, in kontrollierter Beweidung bestand. Infolgedessen befindet sich die chinesische Landwirtschaft inzwischen auf einem strategischen Rückzug aus diesen Provinzen und man besinnt sich stattdessen darauf zurück, Böden zu bewirtschaften, die zum Anbau von Nutzpflanzen geeignet sind.34

Auch die Erosion durch Wasser verlangt vom Boden ihren Tribut. Dies kann man deutlich an der Versandung der Reservoire und den trüben, verschlammten Flüssen auf ihrem Weg ins Meer sehen. Die beiden großen Staubecken Pakistans, Mangla und Tarbela, in denen das Wasser des Indus zur Versorgung des riesigen Bewässerungsnetzes des Landes gestaut wird, verliert jährlich etwa einen Prozent der Speicherkapazität an den Schlamm aus den entwaldeten Einzugsgebieten.35

Es wird geschätzt, dass Äthiopien, ein bergiges Land mit stark erodierenden Böden an steilen Hängen, jährlich eine Milliarde Tonnen an Oberboden durch die Auswaschung durch Regen verliert. Dies lst auch einer der Gründe, warum Äthiopien ständig am Rande einer Hungerkatastrophe steht und nicht in der Lage ist, genug Getreidereserven anzulegen, um ein gesundes Maß an Nahrungsmittelsicherheit zu gewährleisten.36

 

33)  Ebenda.  
34)  Hong Yang und Xiubin Li. "Cultivated Land and Food Supply in China," Land ose Policy, Vol. 17. Nr. 2 (2000). S. 5. 
35)  Asif Farrukh, Pakistan Grain and Fccd Annual Report 2002 (Islamabad, Pakistan: USDA Foreign Agricultural Service (FAS), 2003). 

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Die Verschlechterung der Qualität des Weidelandes

 

Ein Zehntel der Landoberfläche der Erde wird als Kulturfläche genutzt, doch eine etwa zweimal so große Fläche ist Weideland. Dabei handelt es sich um Flächen, die zu trocken sind, an steilen Abhängen liegen oder nicht fruchtbar genug sind, um dort Nutzpflanzen anzubauen. Auf diesen Flächen, die etwa ein Fünftel der Landoberfläche der Erde ausmachen und die zur Hälfte semi-arid sind, weiden die weltweit 3,2 Milliarden Rinder, Schafe und Ziegen. Bei diesen Tieren handelt es sich um Wiederkäuer, Tiere mit sehr komplexen Verdauungssystemen, die es ihnen ermöglichen, auch Ballaststoffe zu verdauen und sie in Rindfleisch, Hammelfleisch und Milch umzuwandeln.37

Geschätzte 180 Millionen Menschen leben weltweit von ihrer Arbeit als Rinder-, Schaf- und Ziegenhirten. Viele afrikanische Länder sind zur Lebensmittelversorgung und bei der Bereitstellung von Arbeitsplätzen sehr stark auf ihre Viehindustrie angewiesen. Das gleiche gilt für große Bevölkerungsteile im Nahen Osten, in Zentralasien, der Mongolei, im Norden Chinas und große Teile Indiens. In Indien, das über die weltweit größten Rinderbestände verfügt, braucht man diese nicht nur für die Versorgung mit Milch, sie werden auch als Zugtiere und zur Gewinnung von Brennmaterial benötigt.38

In anderen Teilen der Erde werden die Weideflächen für die Massentierhaltung genutzt. In Australien, dessen Landmasse größtenteils aus Weideland besteht, gibt es mit 95 Millionen fünfmal mehr Schafe als Menschen. Auch in Argentinien, Brasilien, Mexiko und Uruguay dominieren die Grasfresser in der Viehwirtschaft, und in den amerikanischen Great Plains werden die semi-ariden Flächen, die nicht zum v^eizenanbau geeignet sind, als Weideflächen genutzt.39

 

36)  Lester R. Brown und Edward C. Wolf, Soil Erosion: Quiet Crisis in the World Ecorwniyl Woridwatch Paper 60 (Washington. DC: Worldwatch Institute. 1984), S. 20.  
37)  Schätzungen zu Landflächen aus Stanley Wood, Kate Sebastian und Sara J. Schert. Pllotl
Analysis of Global Ecosystems: Agroecosystems (Washington, DC: International Food Policy Research Institute and WRI, 2000), S. 3; Zahlenangaben zu Viehbeständen aus l'AOJ op. cit. Note 10. Update 14. Juli 2005.  
38)  Anzahl der Hirten aus "Investing in Pastoralism," Agrkukure Technology Notes (Run Development Department, Weltbank), März 1998, S. 1; FAO, op. cit. Note lO.Upda 14. Juli 2005.

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Obwohl man sich in der Öffentlichkeit häufig auf die Rolle der Mastanlagen bei der Rindfleischproduktion konzentriert, ist der Anteil der Rinder in Mastanlagen zu jeder beliebigen Zeit nur sehr gering im Vergleich zu den riesigen Herden, die auf den Grasflächen weiden. Selbst in den Vereinigten Staaten, die weltweit über die meisten Mastanlagen verfügen, verbringt ein Ochse in der Regel nicht mehr als ein paar Monate in einer solchen Anlage.

In Lindern, in denen es im Vergleich zur Bevölkerungsanzahl riesige Weideflächen gibt, wird normalerweise vorwiegend Rind- und Hammelfleisch verzehrt. Zu den führenden Rindfleischkonsumenten gehören Argentinien, Brasilien, die Vereinigten Staaten und Australien, und auf dem Speiseplan der Neuseeländer und Kasachen steht Hammelfleisch ganz weit oben.40 Neben ihrer Fähigkeit zur einzigartig effizienten Umwandlung von Ballaststoffen in Lebensmittel liefern die Wiederkäuer auch noch Leder und Wolle. Zur Versorgung mit Rohstoffen ist die weltweite Leder- und Wollindustrie, von der Millionen von Menschen leben, abhängig von den Weideflächen.

Weltweit sind fast die Hälfte aller Grasflächen bereits leicht bis mittelschwer geschädigt und fünf Prozent sind sogar schwer angegriffen. In ganz Afrika, dem Nahen Osten, in Zentralasien und Indien, wo die Zahl der Nutztiere ebenso stark zunimmt wie die Bevölkerungszahl, ist das Problem deutlich sichtbar.

1950 wurden in Afrika 238 Millionen Menschen mit Hilfe von 273 Millionen Nutztieren versorgt, 2004 gab es dort bereits 887 Millionen Menschen und 725 Millionen Nutztiere. Oft übersteigt die Nachfrage der Nutztierindustrie, die praktisch in ganz Afrika ein Eckpfeiler der Wirtschaft ist, die Kapazitäten der Grasflächen um die Hälfte und mehr.41

Am Beispiel des Iran, eines der bevölkerungsreichsten Länder im Nahen Osten, lässt sich der Druck, unter dem diese Region steht, gut ablesen. Bei mehr als 9 Millionen Rindern und 80 Millionen Schafen Und Ziegen — die die Wolle für die weltberühmten iranischen Teppiche liefern — verschlechtert sich die Qualität der Weideflächen im Iran wegen der Überweidung massiv.

 

39)  FAQ. op. P' cit' NoR" 10' UPdate l4- -,llli 2005; Uniced Nations, op. cit. Note 28.  
40)  "USDA, Livestock and Poultry: World Markets and Trade (Washington. DC: USDA FAS, März 2000); Bevölkerungszahlen aus Unired Nations, op. cit. Note 28.
41)  Robin R White, Siobhan Murray und Mark Rohweder, Pilot Anafysis of Global Ecosystetns: Grassland Ecosystetns (Washington, DC: WR1, 2000); FAO. op. cit. Note 10, Update  Juu 2005; United Nations, op. cit. Note 28; Southern Airican Development Coordination Conference, SADCC Agricultute: Toward 2000 (Rom: FAO, 1984).

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In einem Land, in dem es mehr Schafe und Ziegen als Menschen gibt, ist der Verbrauch an Hammelfleisch sehr hoch, doch da die Weideflächen inzwischen über die Maßen strapaziert werden, kann die derzeitige Anzahl an Nutztieren j nicht erhalten werden.42

Auch China steht vor ähnlichen Problemen. Nach den Wirtschaftsreformen aus dem Jahr 1978, infolge derer die Verantwortung für die Landwirtschaft von den staatlich organisierten Produktionsgruppen auf die Bauernfamilien überging, hat die Regierung die Kontrolle über die Anzahl der Nutztiere verloren, sodass die Bestände an Rindern, Schafen und Ziegen in China massiv angestiegen sind. Zum Vergleich: In den USA, einem Land mit relativ großen Kapazitäten an Weideflächen, gibt es nur 95 Millionen Rinder, in China dagegen bereits 107 Millionen; und während es in den USA nur 7 Millionen Schafe und Ziegen gibt, sind es in China 339 Millionen. Schafe und Ziegen werden vor allem in den nördlichen und westlichen Provinzen gehalten und zerstören dort die den Boden schützende Vegetation. Anschließend tut der Wind ein Übriges, indem er den Boden abträgt und so einst produktives Weideland in eine Wüstenlandschaft verwandelt.43

In fast allen Entwicklungsländern übersteigt der Futterbedarf von Nutztieren inzwischen die ökologisch noch verträglichen Kapazitäten der Weideflächen und anderer Futterquellen. In Indien gibt es bereits eine Vielzahl abgemagerter und unproduktiver Rinder, da dort der Futterbedarf das Angebot bereits bei Weitem übersteigt.44

Die Verschlechterung der Böden durch Überweidung fordert einen hohen wirtschaftlichen Tribut in Form eines Produktivitätsverlusts in der Nutztierindustrie. In den frühen Stadien der Überweidung sinkt zunächst die Produktivität der Böden, doch mit dem Fortschreiten des Prozesses wird die schützende Vegetation zerstört, es kommt zur Erosion der Böden und letztlich bleiben nur Ödland und Wüste zurück. Ab einem bestimmten Punkt beginnt die biologisch produktive Fläche infolge des Anwachsens der Nutztierpopulation zusammenzuschrumpfen und mit ihr sinken die Kapazitäten der Erde zur Erhaltung der Zivilisation.45

 

42) - FAO, op. cit. Note 10, Update 14. Juli 2005; United Nations, op. cit. Note 28.  
43)  - FAO, op. cit. Note 10, Angaben zu Viehbeständen Update 14. Juli 2005.  
44)  - B.S. Sathe, "Daity/Milk Prodtiction," in Livestock Investment Opportunities in India»] FAO-Webseite, www.fto.org/DOCREP/ARTICLE/AGRIPPA/657_en00.htm. angeseMB 9. September 2005.  
45) — H. Dregne et al., "A New Assessment of the World Status of Desertification,«
Desertificittion Control Bulletin, Nr. 20, 1991.

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Die Ausbreitung der Wüsten

Die Desertifikation — der Prozess, bei dem sich produktives Land durch Überbeanspruchung und Misswirtschaft in Ödland verwandelt — ist leider ein nur allzu vertrautes Phänomen. Alles, was dazu beiträgt, dass die schützenden Pflanzen und Bäume verschwinden, führt dazu, dass die Böden anfällig sind für die Erosion durch Wind und Wasser. In den frühen Stadien der Desertifikation trägt der Wind die feineren Bodenpartikel davon, wodurch die bereits erwähnten Staubstürme entstehen. Wenn diese feineren Partikel abgetragen sind, werden die gröberen Partikel — der Sand — ebenfalls in lokalen Sandstürmen vom Wind davongetragen. Vor allem in Asien und Afrika — zwei Regionen, in denen zusammengenommen fast 4,8 der weltweit 6,5 Milliarden Menschen leben — breiten sich die Wüsten stark aus. Die Bevölkerung in den Ländern im Norden Afrikas wird durch die Ausbreitung der Sahara gen Norden in ihrem Lebensraum immer mehr eingeschränkt.46

In dem breiten semi-ariden Streifen in Afrika zwischen der Sahara und den bewaldeten Regionen im Süden befindet sich die Sahelzone, eine Region, in der sowohl Landwirtschaft als auch Tierhaltung betrieben wird. In den Ländern von Senegal und Mauretanien im Westen bis zum Sudan, Äthiopien und Somalia im Osten verwandeln sich infolge der wachsenden Anforderungen durch die steigenden Bevölkerungsund Nutztierzahlen immer größere Flächen in Wüsten.47

Nigeria, das bevölkerungsreichste Land Afrikas, büßt durch die Desertifikation jährlich 351.000 Hektar an Weide- und Anbauflächen ein, und wähtend die Bevölkerung Nigerias sich zwischen 1950 und 2005 vervierfacht hat und von 33 Millionen auf 132 Millionen angestiegen ist, ist die Nutztierpopulation auf das Elffache angewachsen, von etwa 6 Millionen auf 66 Millionen. Da der Futterbedarf der 15 Millionen Rinder und 51 Millionen Schafe und Ziegen in Nigeria die ökologisch verträglichen Kapazitäten der Weideflächen des Landes übersteigt, verwandelt sich der nördliche Teil des Landes langsam in eine Wüste. Wenn die Bevölkerung in Nigeria sich weiter der für 2050 prognostizierten Marke von 258 Millionen nähert, wird die Desertifikation sogar noch schneller voranschreiten.48

 

46)  Bevölkerungszahlen aus United Nations, op. cit. Note 28.  
47)  "Case Studies of Sand-Dust Storms in Africa and Austraüa," in Yang, Squires und Lu, Hrsg., op. cit. Note 24, S. 123-66.  
48)  Government of Nigeria, Combming Desertification and Mitigitting the Effects of Drought m Nigeria, National Report on the Implementation of the United Nations Convention to Combat Desertification (Nigeria: November 1999); Bevölkerungszahlen aus Vereinte Nationen, op. cit. Note 28; Viehbestände aus FAO, op. cit. Note 10, Update 14. 7. 2005.

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Auch der Iran ist dabei, den Kampf gegen die Ausbreitung der Wüste zu verlieren. Mohammad Jarian, der Vorsitzende der Anti-Desertifikationsorganisation im Iran, berichtete 2002, 124 Dörfer in der südöstlichen Provinz Sistan-Belutschistan seien von Sandstürmen so stark geschädigt worden, dass sie letztlich aufgegeben werden mussten. Der Sand hatte sich auf die Weideflächen gelegt, sodass das Vieh verhungerte und den Dorfbewohnern die Lebensgrundlage entzogen wurde.49

Im benachbarten Afghanistan ist die Lage ähnlich. Die Registanwü-ste dehnt sich immer weiter westwärts aus und greift bereits auf die landwirtschaftlichen Gebiete des Landes über. In einem Bericht eines Teams von UNEP [United Nations Environment Programme] heißt es: "bis zu 100 Dörfer sind von dem Staub und Sand, die der Wind mit sich gebracht hatte, überzogen worden". Im Nordwesten des Landes bewegen sich die Sanddünen auf die landwirtschaftlich genutzten Flächen des oberen Amu Darjabeckens zu, wobei ihnen der Weg dadurch bereitet wurde, dass die schützende Vegetation bereits als Feuerholz verbrannt oder durch Überweidung zerstört wurde. Das UNEP-Team sah sogar bis zu 15 Meter hohe Dünen, die die Straßen blockierten, sodass die Menschen gezwungen waren, sich neue Wege zu suchen.50

China ist mehr als jedes andere große Land von der Ausbreitung der Wüsten betroffen. Wang Tao, der Direktor des Instituts für Kälte- und Dürreforschung, sagt zu der zunehmenden Wüstenbildung in China, zwischen 1950 und 1975 hätten sich jährlich im Durchschnitt 1.560 km Land in Wüste verwandelt, zwischen 1975 und 1987 stieg diese Zahl auf 2.100 km und bis zum Ende des Jahrhunderts verwandelten sich jährlich sogar 3.600 km Land in Wüste.51

China befindet sich nun im Krieg, doch der Gegner im Kampf um j das Land sind nicht etwa einfallende Armeen, es ist die Wüste. Alte Wüsten dehnen sich aus und neue entstehen. Sie sind wie Guerillatruppen, die unerwartet angreifen und Peking dazu zwingen, an mehreren Fronten zu kämpfen. Wang Tao berichtet, in den letzten 50 Jahren seien etwa 24.000 Dörfer im Norden und Westen Chinas ganz oder teilweise aufgegeben worden, nachdem sie von wandernden Sandmassen bedrängt wurden.52

 

49)  Iranian News Ägency. "Officiai Wams of Impending Desertification Catastrophe <"H Southeast Iran," BBC International Reports, 29. September 2002.  
50)  UNEP, Afghanistan: Post-Conflict Environmental Assessment (Genf: 2003), S. 52. 
51)  Wang Hongchang, Defbrestation and Desiccation in China: A Preliminary Study (Pekinj^J China: Center for Environment and Development, Chinese Academy oi Social Sciences, 1999)«

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Die Menschen in China sind inzwischen nur allzu vertraut mit dem Phänomen der Staubstürme, die sich im Nordwesten des Landes und der westlichen Mongolei bilden, doch der Rest der Welt erfährt von dieser schnell wachsenden ökologischen Katastrophe in der Regel erst, wenn die massiven Staubstürme die Region verlassen. Am 18. April 9001 sah sich der Westen der Vereinigten Staaten — von der nördlichen Grenze von Arizona bis hinauf nach Kanada — mit Staub überzogen. Dieser war von einem großen Staubsturm, der sich am 5. April im Nordwesten Chinas und der Mongolei gebildet hatte, hierher transportiert worden. Als er China verließ, hatte er einen Durchmesser von 1 800 Kilometern und führte mehrere Millionen Tonnen Oberboden mit sich — eine lebenswichtige Ressource, deren Neubildung durch natürliche Prozesse mehrere Hundert Jahre dauern wird.53

Fast genau ein Jahr später, am 12. April 2002, wurde Südkorea von einem ursprünglich aus China stammenden Staubsturm heimgesucht, der so schlimm war, dass die Menschen in Seoul buchstäblich keine Luft mehr bekamen. Schulen mussten geschlossen und Flüge gestrichen werden und die Krankenhäuser wurden von Patienten mit Atemproblemen überschwemmt. Die Absätze im Einzelhandel sanken und die Koreaner fürchten sich inzwischen vor der sogenannten "fünften Jahreszeit" - den Staubstürmen gegen Ende des Winters und zu Beginn des Frühlings.54

Die beiden genannten Staubstürme — zwei von zehn oder mehr großen Staubstürmen, die es jedes Jahr in China gibt — stellen einen der von außen sichtbaren Indikatoren für die ökologische Katastrophe dar, die sich im Norden und Westen Chinas abzeichnet und deren Hauptursache die Überweidung ist.55

In einem Bericht der US-Botschaft mit dem Titel "Desert Mergers and Acquisitions"56 werden Satellitenaufnahmen beschrieben, auf denen zu erkennen ist, dass sich zwei Wüsten im nördlichen Teil Zentralchinas immer mehr ausdehnen und zu einer einzigen großen Wüste zusammenwachsen, die sich über die beiden Provinzen der Inneren Mongolei und Gansu erstreckt. 

 

52)  Wang Tao, Cold and Arid Regions Environmental and Engineering Research Institute (CAREERI), Chinesische Akademie der Wissenschaften, E-Mail an den Autor, 4. 4. 2004; wanglao,''l'he Process and Its Control of Sandy Desertification in Northern China,''CAREElR.l, Chinesische Akademie der Wissenschaften, Seminar zur Desei tifikation, gehalten in Lanzhou, China, Mai 2002. -
53)  Ann Schrader, "Latest Import From China: Haze," Denver Post, 18. April 2001; Brown, op. dt. Note 30. 
54)  Howard W. French, "Chinas Growing Deserrs Are Suffocating Korea," New York Times. 14. April 2002. 
55)  Siehe Tabelle 1—1 in Lester R. Brown. Jatiet Larsen und Bernie Fischlowitz-Roberts, The 56 Eänl> Policy Reader (New York: W.W. Norton & Company, 2002), S. 13. 
56)  Anm. d. Übers, etwa: Zusammenschlüsse und Neuentstehungen von Wüsten.  

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In der Provinz Xinjiang sind zwei noch größere Wüsten — die Wüste Taklamakan und die Wüste Kumtag — ebenfalls dabei zusammenzuwachsen. Straßen, die durch die immer kleiner werdenden Regionen führen, die zwischen den beiden Wüsten liegen, werden regelmäßig von Sanddünen überlagert.57

In Lateinamerika dehnen sich sowohl in Brasilien als auch Mexiko die Wüsten ebenfalls aus. In Brasilien sind etwa 589 Millionen Hektar Land davon betroffen und die wirtschaftlichen Verluste durch die Desertifikation werden auf jährlich 300 Millionen Dollar geschätzt, wobei sich der Großteil davon im Nordosten des Landes konzentriert. Mexiko ist wegen seines deutlich größeren Anteils an ariden und semiariden Flächen noch anfälliger. Die Verschlechterung der Qualität der Anbauflächen hat dazu geführt, dass inzwischen jährlich 700.000 Mexikaner auf der Suche nach Arbeit vom Land in die nahe gelegenen Städte oder in die Vereinigten Staaten abwandern.58

Infolge der wachsenden Anzahl der Bevölkerung und der Nutztiere nimmt die Überweidung und die übermäßige Kultivierung des Bodens, die den Prozess der Desertifikation vorantreiben, in vielen Ländern noch zu. Wenn wir verhindern wollen, dass die Wüsten sich noch weiter ausbreiten und noch mehr Land verschlingen, bleibt uns vermutlich keine andere Wahl, als das weitere Anwachsen der Weltbevölkerung und der Anzahl der Nutztiere zu stoppen.

 

Kollabierende Fischbestände

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben das hohe Bevölkerungswachstum und die stetig steigenden Einkommen zu einer rasant wachsenden Nachfrage nach Fisch geführt. Gleichzeitig waren die Fischer dank neuer Technologien, wie beispielsweise großer Kühlschiffe, mit deren Hilfe nun auch weit entfernte Gebiete im Ozean abgefischt werden konnten, in der Lage, diesen wachsenden weltweiten Bedarf auch zu befriedigen. Infolgedessen stieg der Hochseefang von 19 Millionen Tonnen 1950 um ein Fünffaches auf einen historischen Höchstwert von 93 Millionen Tonnen 1997 an. Dieser Anstieg, der doppelt so groß war wie der der Bevölkerung im gleichen Zeitraum, führte dazu, dass 1988 jedem Menschen statt der 7 Kilogramm 1950 bereits 17 Kilogramm an wild lebendem Fisch zur Verfügung standen. Seither ist diese Zahl auf 14 Kilogramm gesunken.59

 

57)  U.S. Embassv, "Deserr Mergers and Acquisitions," Bcijhig Environment, Science. ailA Technology Update (Peking: 19. Juli 2002), S. 2.  
58)  Siehe Tabelle 5.....2 in Lester Brown, Outgrowing the Earth (New York: W.W. Norton °* Company, 2005), S. 86-87.

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Da die Bevölkerung wächst und dank moderner Marketingsysteme für Lebensmittel immer mehr Menschen Zugang zu diesen Lebensmitteln haben, wächst der Verbrauch an Meeresfrüchten. Tatsächlich übersteigt die Nachfrage nach Meeresfrüchten inzwischen die ökologisch verträgliche Entnahmemenge der Hochsee­fischerei­zonen. Ein Großteil der Fischereizonen wird derzeit bereits überfischt oder steht kurz davor, weshalb viele Fischbestände zu schrumpfen beginnen und einige sogar bereits zusammengebrochen sind. In einigen Fischereizonen sind die Zuchtbestände größtenteils schon zerstört.60

In einer in Nature veröffentlichten bahnbrechenden Studie kam ein kanadisch-deutsches Wissenschaftler­team 2003 zu dem Schluss, dass in den vergangenen 50 Jahren 90 Prozent der großen Fische aus den Ozeanen verschwunden sind. Ransom Myers, Fischereibiologe an der kanadischen Dalhousie Universität und einer der führenden an der Studie beteiligten Wissenschaftler, sagte: "Vom riesigen Blauen Marlin bis hin zum großen Blauflossenthun und vom tropischen Zackenbarsch bis zum Atlantikdorsch — die Industriefischerei hat die Ozeane von ihnen allen gesäubert. Es gibt praktisch keine unbefischten Gewässer mehr."61

Weiter sagt Myers: "Seit dem Beginn der Industriefischerei 1950 haben wir dafür gesorgt, dass die Ressourcenbasis innerhalb kurzer Zeit auf weniger als zehn Prozent zusammenschrumpft - und das nicht nur in einigen wenigen Gebieten oder für einige wenige Arten, sondern für ganze Gruppen von großen Fischen von den Tropen bis hin zu den Polen."62

In der ganzen Welt brechen die Fischbestände zusammen. Anfang der 90er Jahre verloren etwa 40.000 Angestellte in der Fischereiindustrie und der Fisch verarbeitenden Industrie ihre Arbeit, nachdem der 500 Jahre alte Dorschbestand in Kanada zusammengebrochen war. Die Fischereizonen vor der Küste Neuenglands folgten kurze Zeit später. Und auch in Europa schrumpfen die Fischereizonen für Dorsch und nähern sich dem freien Fall. 

 

59)  Berechnungen des Earth Polky Institute aus FAO, FISHSTAT Plus, elektronische Datenbank, auf www.feo.org/fi/statist/FISOFT/FISHPLUS.asp, Update März 2005; 60 Vereinte Nationen, op. cit. Note 28.  
69)  FAO. The State of'WorldFishcriesandAqtiaculture2004 (Rom: 2004), S. 24, 32. 
70)  Ranson A. Myers und Boris Worm, "Rapid Worldwide Depletion of Predatory Fish Communities," Nature, Vol. 432 (15. Mai 2003), S. 280-83; Charles Crosby, '"'Blue 6i Frontier' is Decimated," Dalhousie News, 11. Juni 2003.  
62)  Myers und Worm, op. cit. Note 58; Crosby, op. cit. Nore 58.

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Auch die europäischen Dorschbestände wären, wie die kanadischen, fast soweit überfischt worden, dass sie sich nicht mehr erholt hätten. In den Ländern, die die Grenzen der Natur nicht erkennen und der Überfischung keinen Einhalt gebieten, werden bald die Fischbestände schrumpfen oder ganz zusammenbrechen.63

Die stark befischten Bestände des Blaufinnenthuns im Atlantik, von denen ein großes Exemplar bei Verkauf an die Sushi-Restaurants in Tokio leicht 50.000 Dollar einbringen kann, sind um erschreckende 94 Prozent zurückgegangen. Selbst wenn man die Befischung dieser Bestände ganz einstellen würde, brauchte eine so langlebige Spezies Jahre, um sich wieder zu erholen. Die Fangmenge des Störs im Kas-pischen Meer, der den teuersten Kaviar der Welt liefert, ist von einem Rekordhoch von 27.700 Tonnen 1977 auf nur noch 461 Tonnen im Jahr 2000 gesunken. Der Grund für diesen drastischen Rückgang ist die Überfischung, wobei ein Großteil davon illegal stattfindet.64

Doch die Überfischung ist nicht die einzige Bedrohung für die Bewohner der Weltmeere. Etwa 90 Prozent der im Meer lebenden Fische brauchen die Feuchtgebiete an den Küsten, die Mangrovensümpfe oder die Flüsse als Laichgebiete. Doch gut die Hälfte der Mangrovenwälder in den tropischen und subtropischen Ländern ist bereits verschwunden und die Feuchtgebiete vor den Küsten der Industrieländer haben sogar noch stärker abgenommen. In Italien sind die Feuchtgebiete vor den Küsten, die vielen Fischarten des Mittelmeeres als "Kinderstuben" dienen, um erschreckende 95 Prozent zurückgegangen.65

Die Schäden an den Korallenriffen, den Brutplätzen der Fische in, tropischen und subtropischen Gewässern, fordern ebenfalls ihren Tribut. Zwischen den Jahren 2000 und 2004 ist der Anteil zerstörter Riffe weltweit von 11 auf 20 Prozent gestiegen und mit dem Verfall der Riffe werden auch die von ihnen abhängigen Fischbestände geschädigt.66

Obwohl viele Faktoren die Fischbestände in den Ozeanen bedrohen, ist es doch die Überfischung, die ihr Überleben direkt bedroht. Mit der Entwicklung neuer Technologien — von Schallmessgeräten zum Aufspüren von Fischschwärmen bis hin zu großen Treibnetzen, die zusammengenommen groß genug sind, um mehrmals um die Erde zu reichen — wurde die Fangmenge in der Hochseefischerei immer größer.

 

63)  Myers und Worin, op. cit. Note 58.  
64)  Andrew Revkin, "Tracking the Imperiled Biuefin trom Ocean to Sushi Platter," New York
Times, 3. Mai 2005; Ted Williams, "The Last Biuefin Hunt," in Valerie Harms et al., The National Audubon Society Almanac of the Environment (New York: Grosset/PutnamJ 1994), S. 185; Konstantin Volkov, "The Caviar Game Rules," Reuters-lUCN. 2001.  
65)  Lauretta Burke et al., Pilot Analysis of Global Ecosystems: Coastal Ecosystems (WashingtoflH DC: WRI, 2000), S. 19, 51; Verluste an Feuchtgebieten in Küstennahe in Italien aus Brown] und Kane, op. cit. Note 43, S. 82.  
66)  Clive Wilkinson, Hrsg., Status qfCoral Reefi of the World: 2004 (Towiisville, Australien! Global Coral Reef Monitorine Network. 2004), S. 9.

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Inzwischen ist die kommerzielle Fischerei größtenteils ein Wettstreit zwischen der Gegenwart und der Zukunft. Die Regierungen versuchen, die Fangausbeuten von morgen zu retten, indem sie die Fischer zwingen, ihre Schiffe stillzulegen, während die Gemeinschaften der Fischer hin- und hergerissen sind zwischen der Notwendigkeit, heute ein Einkommen zu erzielen, und der Aussicht auf zukünftige Einkommen. Ironischerweise sind die langjährigen von der Regierung subventionierten Darlehen zur Investition in neue Boote und Fangausrüstungen einer der Gründe für die heute so enormen Fangflottenkapazitäten.67 Die Fischereisubventionen basierten auf dem unbegründeten Glauben, frühere Trends in der Hochseefischerei seien als Grundlage für Zukunftsprognosen in diesem Bereich geeignet - dass also frühere Anstiege auch auf zukünftige schließen ließen. Die Hinweise von Meeresbiologen, die schon seit langem davor gewarnt hatten, dass die Fangmengen eines Tages ihr Limit erreichen würden, wurden größtenteils ignoriert.68

Selbst bei den Ländern, die es gewohnt waren zusammenzuarbeiten, wie im Falle der Länder der Europäischen Union, können Verhandlungen über die Beschränkung des Fischfangs auf eine ökologisch verträgliche Menge zur Herausforderung werden. Nach langwierigen Verhandlungen einigten sich die EU-Mitgliedsstaaten im April 1997 in Brüssel darauf, die Kapazitäten der Fangflotten innerhalb der EU für gefährdete Arten, wie Dorsch, Hering und Seezunge aus der Nordsee, um 30 Prozent und für überfischte Bestände, wie Dorsch aus der Ostsee, Blaufinnenthun und Schwertfisch von der Iberischen Halbinsel, um 20 Prozent zurückzufahren. Die gute Nachricht war, dass man sich innerhalb der EU schließlich auf eine Beschränkung der Fangmengen geeinigt hatte, die schlechte, dass dies nicht ausreichen würde, um den Rückgang der Fischbestände in der Region aufzuhalten.69 Im Januar 2001 ging die EU noch weiter und verhängte ein allgemeines Fangverbot für Dorsch, Schellfisch und Weißfisch während der zwölfwöchigen Laichzeit im Frühjahr.

 

67)  Organisation rar Economic Cooperation and Development, OECD Environmental Outlook (Paris: 2001), S. 109-20. 
68)  J. A. Gulland, Hrsg., Fish Resources of the Ocean (Surrey, GB: Fishing News Ltd.. 1971), eine von der FAO gesponsorte Pubükarion, laut det die Meeresrrschbestände jährliche rangmengen von mehr als 100 Millionen Tonnen nicht verkraften könnten. 
69)  Caroline Southey, "EU Puts New Cnrbs on Fishing,'' Financial Times. 16. April 1997.  

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Nachdem die jährliche Fangmenge für Dorsch von 300.000 Tonnen Mitte der 80er Jahre auf nur noch 50.000 Tonnen im Jahr 2000 gefallen war, stellte dies den verzweifelten Versuch dar, den Bestand zu retten. Die Vertreter der EU sind sich nur allzu bewusst, dass sich die riesigen kanadischen Dorschbestände von Neufundland nach ihrem Kollaps 1992 trotz des damals verhängten absoluten Fangverbots nicht wieder erholt hatten und im Dezember 2002 entschied sich die EU für noch strengere Maßnahmen zum Schutz der Fischbestände.70

Wenn ein Teil der Fischbestände zusammenbricht, erhöht sich der Druck auf die verbleibenden, und lokale Engpässe werden schnell zu weltweiten. Nachdem der Fischfang in den überfischten Gewässern der EU beschränkt worden war, hat die riesige Fischfangflotte der EU sich der Westküste Afrikas zugewandt und Fischereilizenzen für die Küsten des Senegal, Mauretaniens, Marokkos, Guinea-Bissaus und Kap Verden gekauft, wo sie mit den Fangflotten aus Japan, Südkorea, Taiwan, Russland und China konkurrieren. In armen Ländern wie Mauretanien oder Guinea-Bissau machen die Einnahmen aus dem Verkauf der Fischereilizenzen bis zu 50 Prozent der Regierungseinnahmen aus.71

Zum Unglück der Afrikaner kollabieren mittlerweile auch ihre Fischbestände. Im Senegal, dessen Fischer ihre kleinen Boote einst sehr schnell mit Fischen füllen konnten, können sie heute an vielen Tagen nicht einmal genug Fische fangen, um auch nur ihre Kraftstoffkosten zu decken. Ein Stammesältester im Senegal brachte es auf den Punkt: "Mit diesen Fischereiabkommen kam die Armut in den Senegal."72

Wenn die Ozeane Fangmengen von mehr als 95 Millionen Tonnen nicht verkraften können und die Weltbevölkerung weiter in dem prognostizierten Tempo wächst, wird in naher Zukunft wohl die Pro-Kopf-Fangmenge an Hochseefischen zurückgehen. Die Generation, die im Verlauf des Zweiten Weltkrieges das Erwachsenenalter erreichte, erlebte mit, wie die Pro-Kopf-Fangmenge sich im Laufe ihres Lebens verdoppelte, während ihre Enkel, die Kinder von heute, miterleben werden, wie das Angebot an Meeresfrüchten stetig sinkt.73 Im Grunde läuft es darauf hinaus, dass die wachsende weltweite Nachfrage nach Meeresfrüchten nicht mehr durch eine Erhöhung der Fangmenge befriedigt werden kann, sondern nur noch durch einen Ausbau von Fischfarmen. Doch in Teichen oder Käfigen gehaltene Fische müssen gefüttert werden, sodass wiederum ein erhöhter Druck auf die Landressourcen entstünde.

 

70)  Dan Bilefsky, "North Sea's Cod Grounds to be Closed for 12 Weeks,'' Financial Times, 25. Januar 2001; Paul Brown und Andrew Osborn, "Ban on North SeaCod Fishing," Guardian (London), 25. Januar 2001; Ales; Kirby. "UK Cod Fishing 'Could be Haited.'" BBC News, 6. November 2000; "Reforming the Common Fisheries Policy," Webseite der Europäischen Union, europa.eu.int/comm/fisheries/reiorm /index_ en.htm. angesehen 8. Oktober 2003.  
71)  Diadie Ba, "Senegal, EU Prepare for Fisheries Deal Tussle," Reuters, 28. Mai 2001; Charles Clover, Tbe End of the Lhie: Hoiv Overßshing is Changing the World and What Vt'e Eat (London: Ebury Press, 2004), S. 37-46.  
72)  Clover, op. cit. Note 68, S. 38.  
73)  FAO, op. cit. Note 56; Vereinte Nationen, op. cit. Note 28.

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Das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten

Archäologische Erkenntnisse zeigen, dass es seit Entwicklung des Lebens auf unserem Planeten fünf große Schübe des Artensterbens gab, von denen jeder einen evolutionärer Rückschlag und eine große Verarmung für das Leben auf unserem Planeten darstellte.

Die letzte große Welle des Artensterbens gab es vor etwa 65 Millionen Jahren, höchstwahrscheinlich infolge eines Asteroideneinschlags, bei dem große Mengen an Staub und Geröll in die Atmosphäre geschleudert wurden. Die daraus resultierende Abkühlung führte zum Aussterben der Dinosaurier und mindestens eines Fünftels aller anderen damals lebenden Arten.74

Derzeit befinden wir uns im Frühstadium der sechsten großen Welle des Artensterbens. Im Gegensatz zu früheren derartigen Wellen, die durch natürliche Phänomene verursacht wurden, wird diese von uns Menschen verursacht. Zum ersten Mal in der langen Geschichte unseres Planeten hat sich eine Spezies so weit entwickelt, wenn man es denn so bezeichnen kann, dass sie einen Großteil des übrigen Lebens auslöschen kann.

Mit dem Verschwinden verschiedener Lebensformen können bestimmte Abläufe in der Natur, wie die Befruchtung, die Verteilung von Samen, die Insektenkontrolle oder der Nährstoffkreislauf, nicht mehr in vollem Maße gewährleistet werden. Durch den Verlust dieser Arten wird das Netzwerk des Lebens geschwächt und wenn sich dieser Prozess so fortsetzt, könnte dies große Löcher in das Netz reißen und zu irreversiblen Schäden am Ökosystem der Erde führen.

Durch die Zerstörung ihrer Lebensräume, und besonders durch die Zerstörung des tropischen Regenwaldes, sind viele Arten bedroht. Mit der Brandrodung des Regenwaldes am Amazonas verbrennen wir im Grunde ein riesiges Reservoir an genetischer Information. Unsere Nachkommen werden möglicherweise eines Tages die Verbrennung dieser genetischen Bibliothek ähnlich betrachten wie wir die der Bibliothek von Alexandria 48 v.Chr.

 

74)  David Quammen, "Planet of Weeds," Harper's Magazine, Oktober 1998.

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Auch die Veränderung der Lebensräume durch steigende Temperaturen, chemische Verschmutzung oder die Einführung exotischer Arten kann zur Dezimierung von Tier- und Pflanzenarten beitragen. Mit dem Anwachsen der Weltbevölkerung sinkt die Zahl der Arten, mit denen wir unseren Planeten teilen. Unser Schicksal ist untrennbar mit dem des gesamten Lebens auf der Erde verbunden. Wenn die große Artenvielfalt, die wir von unseren Vorfahren übernommen haben, immer I mehr abnimmt, werden auch wir letztlich verarmen.75

Der Anteil der Vogel-, Säugetier- und Fischarten, die schon stark dezimiert sind oder bereits kurz vor dem Aussterben stehen, wird inzwischen in zweistelligen Prozentzahlen angegeben - wir reden von 12 Prozent der fast 10.000 Vogelarten weltweit, 23 Prozent der 4.776 Säugetierarten und 46 Prozent der untersuchten Fischarten.76

Bei den Säugetieren sind die 240 bekannten Primatenarten — außer dem Menschen — am stärksten bedroht. Die World Conservation Union — IUCN berichtet, fast die Hälfte dieser Arten seien vom Aussterben bedroht. Etwa 95 Prozent der Primatenarten der Welt leben in Brasilien, wo die Zerstörung ihres Lebensraumes eine besondere Bedrohung darstellt. Eine weitere Bedrohung ist die Jagd auf diese Tiere, besonders in West- und Zentralafrika, wo durch die schlechte Nahrungsmittelsituation und die neu gebauten Holzfällerstraßen ein blühender Markt für "Buschfleisch" entstanden ist.77

Die westafrikanischen Bonobos sind Menschenaffen, die etwas kleiner sind als die ostafrikanischen Schimpansen und sowohl genetisch als auch in Bezug auf das Sozialverhalten unsere vermutlich nächsten Verwandten sind. Doch dies schützt sie nicht davor, zu Opfern im Handel mit "Buschfleisch" zu werden oder vor der Zerstörung ihres Lebensraumes durch Abholzung. Sie leben inzwischen hauptsächlich in den dichten Wäldern in der Demokratischen Republik Kongo und ihre Zahl ist von geschätzten 10.000 1980 auf heute nur noch 3.000 gesunken. Innerhalb einer Menschengeneration sind 97 Prozent der Bonobos verschwunden.78

 

75)  Speries Surviva] Commission, 2004 IUCN Red List ofThreatened Species (Gland, Schweiz and Cambridge, GB: World Conservation Union-IUCN, 2004).  
76)  Ebenda.. S. 11.  
77)  Ebenda.; TRAFFIC, Food for Thought: The Utilization af Wild Meat in Eiuteni aiui
Southern Africa (Cambridge, GB: 2000).  
78)  Danna Harman, "Bonobos' Threat to Hungry Humans," Christian Science Monito^B  7. Juni 2001.

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Da Vögel zu den gut sichtbaren und auffälligeren Tierarten gehören, sind sie ein guter Indikator für die Artenvielfalt. Bei etwa 70 Prozent der 9.775 bekannten Vogelarten nimmt die Anzahl ihrer Vertreter ab und geschätzte 1.212 dieser Arten stehen kurz vor dem Aussterben. Bereits 86 Prozent der bedrohten Vogelarten sind von Verlust bzw. Verfall ihres Lebensraums betroffen. So sind beispielsweise infolge des massiven Verlusts an Tieflandregenwald in Singapur 61 Prozent der Vogelarten in dieser Region bereits nicht mehr zu finden. Bei einigen Arten, die einst im Uberfluss vorhanden waren, könnte die Population bereits bis auf einen Punkt zusammengeschrumpft sein, ab dem sie sich nicht mehr erholt. Die Großtrappe, einst in Pakistan und den benachbarten Ländern weit verbreitet, wird so stark gejagt, dass sie bereits vom Aussterben bedroht ist. Zehn der 17 Pinguinarten weltweit sind bereits bedroht, Opfer der globalen Erwärmung. Cagan Sekercioglu, Biologe an der Universität Stanford, der eine separate Studie zum Status der Vogelarten der Welt durchgeführt hat, sagte: "Wir verändern die Welt so stark, dass sich nicht einmal die Vögel daran anpassen können."79

Eine besonders beunruhigende Entwicklung der letzten Zeit ist der starke Rückgang der Population der beliebtesten britischen Singvögel. In den vergangenen 30 Jahren sind die Populationen der bekanntesten Arten, wie des Fitis, der Singdrossel und des Grauschnäppers, um 50 bis 80 Prozent zurückgegangen und niemand scheint den Grund dafür zu kennen, obwohl es Spekulationen darüber gibt, dass die Zerstörung der Lebensräume und Pestizide eine Rolle dabei spielen könnten. Ohne Kenntnis über die Ursache für den Rückgang ist es schwer, Maßnahmen zu ergreifen, die diese Entwicklung aufhalten würden.80

Am stärksten sind vermutlich die Fische vom Aussterben bedroht. Die Hauptursachen dafür sind Überfischung, Wasserverschmutzung und die massive Umleitung von Wasser aus den Flüssen und anderen Süßwasser-Ökosystemen. Von den Fischarten, die einst die Flüsse und Seen Nordamerikas bevölkerten, sind 37 Prozent entweder bereits ausgestorben oder vom Aussterben bedroht, und zehn der Süßwasserfischarten Nordamerikas sind erst in den letzten zehn Jahren ausgestorben.

 

79)  Species Survival Commission, op. dt. Note 72; "Birds on the IUCN Red List," Bird Life International, 2005 Update, auf www.birdlife.org; "Great Indian Bustard Pacing Extinction," India Abroad Daily, 12. Februar 2001; Cagan Sekercioglu, Gretchen C. Daily und Paul R. Ehrlich, "Ecosystem Consequences ot Bird Declines," Proceedings of the National Acadetny of Sciences, Vol. 101, Nr. 52 (28. D ezember 2004).  
80)  Michael McCarthy, "Mystery of the Silent Woodlands: Scientists Are Baffled as Bird Numbers Plummer," Independent (London), 25. Februar 2005; British Trust for Ornithology, "Tough Time tor Woodland Birds," Pressemitteilung (Thetford. Norfolk, GB: 25. Februar 2005); J. A. Thomas et al., "Comparative Losses of British Butterflies. Birds, and Plants and the Global Extinction Crisis," Science, Vol. 303. 19. März 2004, S, 1,879-81; Dan Vergano, "1 in 10 Bird Species Could Vanish Within 100 Years," USA Today, 14. Dezember 2004.

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In den semi-ariden Gebieten Mexikos sind 68 Prozent der dort und nur dort heimischen Fischarten verschwunden. In Europa ist die Lage vermutlich noch ernster, denn dort sind 80 von insgesamt 193 Arten der Süßwasserfische bereits gefährdet, bedroht oder bedürfen besonderen Schutzes. Und in Südafrika müssen zwei Drittel der 94 Fischarten besonders geschützt werden, damit sie nicht völlig aussterben.81

Auch die Lederschildkröte, eine der ältesten Tierarten, die bis zu 360 Kilogramm schwer werden kann, stirbt sehr schnell aus, ihre Zahl sank von 115.000 1982 auf nur noch 34.500 1996. In der Schildkrötenkolonie vom Playa Grande an der Westküste Costa Ricas ist die Zahl der Weibchen zwischen 1989 und 1999 von 1.367 auf 117 gesunken. In einem Artikel in Nature erklären James Spotila und seine Kollegen: "wenn diese Schildkröten gerettet werden sollen, müssen sofort Maßnahmen ergriffen werden, damit weniger Tiere in den Netzen der Fischer sterben und mehr Junge zur Welt kommen."82

In einem Bericht des World Resources Institute über den Zustand der Korallenriffe in der Karibik heißt es, 35 Prozent der Riffe in der Karibik seien durch Abwässer, Sedimentablagerungen und die Verschmutzung mit Dünger bedroht und 15 Prozent durch Verschmutzung durch Abwässer von Kreuzfahrtschiffen. Wirtschaftlich gesehen haben die Dienste, die die Korallenriffe der Karibik leisten, und die Güter, die sie liefern, einen Wert von jährlich mindestens 3,1 Milliarden Dollar.83

Die spektakulären Korallenriffe des Roten Meeres, die zu den schönsten Riffen überhaupt gehören, stehen wegen zerstörerischer Fischereipraktiken, Ausbaggerungen, der Sedimentation und der Ableitung von Abwässern ins Meer kurz vor dem Absterben. Alles, was das Durchdringen von Sonnenlicht behindert, behindert auch das Wachstum der Korallen und führt zu ihrem Absterben. Korallenriffe spielen eine wichtige Rolle als "Kinderstuben" für viele Arten von Meereslebewesen, unter ihnen auch viele im Handel käufliche Fischarten.84 

 

81)  Janet N. Abramovitz, hnperiled Walers, Impovcrisbed Furure: The Dedine of FreshwatA j Ecosystems, Worldwatch Paper 128 (Washington, DC: Worldwatch Institute, März 1996), S. 59; Species Surviva] Commission, op, cit. Note 72, S. 89.  
82)  James R. Spotila et al., "Pacific Leatherback Turtles Face Extinction," Nature, Vol. 405 ('• Juni 2000), S. 529-30; "Leatherback Turtles Threatened," W. Post. 5.6.2000
83)  Lauretta Burke und Jonathan Maidens, Reefs at Risk in the Caribbean (Washington DC WM, 2004), S. 12-14, 27-31.  
84)   Mohammed Kotb et al., "Status of Coral Reets in the Red Sea and Gull of Aden in 2004, I in Wilkinson, op. cit. Note 63, S. 137-39.

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Eine der am schnellsten wachsenden Bedrohungen für die Artenvielfalt bei Pflanzen und Tieren ist die massive Ausdehnung der Landwirtschaft, wie sie derzeit in Brasilien zu beobachten ist und bei der Flächen gerodet werden, um Anbauflächen für Sojabohnen und neuerdings für das zur Ethanolproduktion verwendete Zuckerrohr zu schaffen. Bauern und Viehzüchter erschließen riesige Flächen im Amazonasgebiet und im Cerrado, einem südlich des Amazonasbeckens gelegenen savannenartigen Gebiet von der Größe Westeuropas. Obwohl es Maßnahmen gibt, die dazu dienen sollen, die große Artenvielfalt des Amazonasgebietes zu schützen, wie die Auflage, dass Landbesitzer nicht mehr als ein Fünftel ihres Landes roden dürfen, fehlt es der Regierung doch an Kapazitäten zur Durchsetzung.85

Ebenso wie das Amazonasgebiet verfügt auch der Cerrado über einen großen Artenreichtum. Es gibt hier Tausende endemischer Tier- und Pflanzenarten, darunter den Mähnenwolf, das Riesengürteltier, den Großen Ameisenbär, Rotwild und verschiedene Großkatzen — darunter der Jaguar, der Puma, das Ozelot und der Jaguarundi:86 Außerdem leben im Cerrado 837 Vogelarten — darunter der Nandu, ein bis zu 1,80 Meter großer Verwandter des Strauß — und mehr als 1.000 Arten von Schmetterlingen. Nach Angaben von Conservation International gibt es im Cerrado etwa 10.000 verschiedene Pflanzenarten, von denen mindestens 4.400 endemisch sind, also nur dort vorkommen.87

Eine der neueren Bedrohungen für die weltweite Artenvielfalt — und noch dazu eine, die gewöhnlich unterschätzt wird — ist die Einführung fremder Arten, durch die sich die lokalen Lebensräume und die Gemeinschaften verändern können, was zum Aussterben einheimischer Arten führen kann. So könnten beispielsweise nicht einheimische Arten bei 30 Prozent der bedrohten Vogelarten auf der Roten Liste der IUCN dafür verantwortlich sein, dass diese auf die Liste gesetzt werden mussten. Bei Pflanzen geht man davon aus, dass die Einführung fremder Arten bei 15 Prozent der auf der Liste befindlichen Arten mit eine Rolle gespielt hat.88

Bei den Bemühungen zum Schutz der wild lebenden Tiere und Pflanzen hat man sich bisher in der Regel auf die Schaffung von Parks oder Reservaten konzentriert. Leider könnte sich dieser Ansatz heute als wenig effektiv erweisen, denn wenn es uns nicht gelingt, das Klima zu stabilisieren, können wir kein einziges Ökosystem auf Erden retten. Alles würde sich verändern. Mit dem Sinken der Anzahl anderer Arten, mit denen wir uns den Planeten teilen, sinken auch die Zukunftschancen für unsere Zivilisation.

In der von uns angestrebten neuen Welt wird der Schutz der Artenvielfalt sich nicht mehr nur auf die Bereit­stellung und Einzäunung bestimmter Flächen, sogenannter Parks und Gehege, beschränken. Der Erfolg unserer Bemühungen wird davon abhängen, ob es uns gelingt, sowohl das Klima als auch die Bevölkerungs­zahlen zu stabilisieren.

Positiv ist, dass wir heute mehr Informationen über den Zustand der Erde und der darauflebenden Arten haben als je zuvor. Obwohl dieses Wissen kein Ersatz für entsprechendes Handeln ist, bildet es doch die Voraussetzung für die Rettung der natürlichen Systeme unserer Erde — und unserer Zivilisation, die stark auf sie angewiesen ist.

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85)  David Kaimowitz er al., Hamburger Connection Fueb Amazon Destr.uction (Jakarta, Indonesien: Center for Inrernational Forestry Research, 2004).  
86)  Anm. d. Übers.: auch Wieselkatze genannt
87)   Conservation International, "The Brazilian Cerrado," auf www.biodiversityhotspots.org, angesehen 10. September 2004.
88)   Species Survival Commission, op. cit. Note 72, S. 92; Species Survival Commission, op. cir. Note 5, S. 

 

 

 

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