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6  Erste Anzeichen des Niederganges

Brown-2006

 

 

147-176

In den letzten Jahren haben UN-Demographen die Welt mit ihren Vorhersagen darüber verblüfft, dass die Lebenserwartung der 750 Millionen Menschen in den afrikanischen Gebieten südlich der Sahara von 61 auf 48 Jahre gesunken ist. Die Hauptursache für dieses deutliche Absinken bestand darin, dass es den Regierungen nicht gelungen war, die Ausbreitung des HIV-Virus einzudämmen. Während die Ansteckungsrate für HIV bei Erwachsenen in den Industrieländern bei unter einem Prozent liegt, ist sie in einigen afrikanischen Ländern auf mehr als 30 Prozent angestiegen.1)

Zum ersten Mal in der Moderne ist die Lebenserwartung, ein wichtiger Indikator für die Entwicklung, für einen großen Teil der Menschheit gesunken. Für die Menschen in den Gebieten südlich der Sahara hat das Versagen ihrer Regierungen buchstäblich zu einer Umkehrung des Prozesses des Fortschritts geführt. Die Frage ist nun, ob ein solches Versagen des politischen Systems eine Anomalie darstellt oder ob es sich um ein frühes Anzeichen dafür handelt, dass unsere politischen Institutionen vom Ausmaß der neuen Probleme überfordert sein könnten.

Dank der allgemeinen Verbesserung der Gesundheitssituation, aber auch dank der Fortschritte bei Impfstoffen, Antibiotika und der erhöhten Lebensmittel­produktion ist die Lebenserwartung in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg weltweit angestiegen. Doch gegen Ende des 20. Jahrhunderts wurde dieser Trend in vielen Ländern durch das Auftauchen des HIV-Virus gestoppt.2)

Die Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen den verschiedenen Ländern sind heute größer als je zuvor; am niedrigsten ist sie in Swasiland mit 33 Jahren und Botswana mit 37 Jahren und am höchsten in Island mit 81 Jahren und Japan mit 82 Jahren. Es überrascht nicht, dass die Lebenserwartung in der Regel — bis auf die Länder, in denen die Verteilung des Einkommens verzerrt ist — in engem Zusammenhang mit dem Einkommensniveau steht. 

1) UNO: World Population Prospeas: The 2004 Revision (New York: 200?); Joint United Nations Programme on HIV/AIDS (UNAIDS). 2004 Report on the Global AIDS Epidemie (Gent: 2004), S.191.
2)  Vereinte Nationen, op. cit. Note 1; UNAIDS, op. cit. Note 1.


So ist die Lebenserwartung in den Vereinigten Staaten, wo sich ein Großteil des Einkommens auf die Reichen konzentriert und wo 24 Millionen Menschen keine Krankenversicherung besitzen, geringer als in Schweden, Deutschland oder Japan. Tatsächlich hinken die USA mit einer Lebenserwartung von 77 Jahren inzwischen sogar hinter Costa Rica hinterher, einem Entwicklungsland, in dem sie bei 78 Jahren liegt.3

In unserer Zivilisation des 21. Jahrhunderts gibt es viele verschiedene Belastungen. In wirtschaftlicher Hinsicht ist eine von ihnen sicher die stetig größer werdende Einkommenskluft zwischen den Armen und den Reichen dieser Welt. 

Im sozialen Bereich sind es die wachsenden Unterschiede in der Bildung und der Gesundheitsfürsorge, sowie ein zunehmender Strom von Umweltflüchtlingen infolge der zunehmenden Verwandlung einst produktiver Böden in Wüsten und infolge versiegender Quellen; und politisch zeigen sie sich in Form von Kämpfen um grundlegende Ressourcen wie Anbau- und Weideflächen und natürlich um Wasser. 

Doch am deutlichsten sind die Belastungen vielleicht in der wachsenden Zahl von Staaten erkennbar, die bereits gescheitert sind oder zumindest kurz davor stehen.

 

  Unsere sozial geteilte Welt  

Nie war die soziale und wirtschaftliche Kluft zwischen der einen Milliarde der reichsten Menschen weltweit und der einen Milliarde der ärmsten so groß wie heute. Nicht nur, dass die Kluft bereits sehr groß ist, sie wird auch immer größer. Die eine Milliarde der ärmsten Menschen weltweit hängt auf einem Niveau fest, da sie gerade so ihr Auskommen haben, während die eine Milliarde der Reichen mit jedem Jahr reicher wird. Die wirtschaftliche Kluft zeigt sich in den Unterschieden in der Ernährung, der Bildung, in den Krankheitsmustern, der Familiengröße und in der Lebenserwartung.

Die Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) lassen darauf schließen, dass rund 1,2 Milliarden Menschen weltweit unterernährt und untergewichtig sind und häufig Hunger leiden, während gleichzeitig 1,2 Milliarden andere Menschen weltweit überernährt und übergewichtig sind, von denen viele deutlich zu viele Kalorien zu sich nehmen und sich zu wenig bewegen. Während sich eine Milliarde Menschen Gedanken machen, ob sie überhaupt etwas zu essen haben, sollte eine weitere Milliarde sich viel mehr Gedanken darüber machen, nicht zu viel zu essen.4

3)  Vereinte Nationen, op. cit. Note 1; Angaben zur Krankenversicherung aus U.S. CensUS Bureau News, "lncome Stable, Poverry Up, Numbers of Americans With and Without Health Insurance Rise, Census Bureau Reports," Pressemitteilung (Washington, DC 26 August 2004).

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Auch in den Krankheitsmustern zeigt sich die größer werdende Kluft. Die eine Milliarde der ärmsten Menschen weltweit leiden größtenteils an Infektionskrankheiten — Malaria, Tuberkulose, Diarrhöe und Aids. Durch die Mangelernährung sind Kinder, vor allem Kleinkinder, besonders anfällig für diese Infektions­krankheiten. Verschmutztes Trinkwasser ist für ein durch Hunger geschwächtes Immunsystem besonders gefährlich und jedes Jahr gibt es deswegen mehrere Millionen Todesopfer. Im Gegensatz dazu sterben die meisten der eine Milliarde reicher Menschen eher an Krankheiten, die durch ihr Alter oder durch Risikofaktoren in ihrem Lebenswandel bedingt sind, wie Fettleibigkeit, Rauchen, zuviel Fett und Zucker und mangelnde Bewegung.5)

Auch im Bildungsniveau zeigt sich die deutliche Kluft zwischen arm und reich. In einigen Industrieländern — wie beispielsweise Japan und Kanada — verlassen mehr als die Hälfte aller jungen Menschen die Universität mit einem 2- bzw. 4-Jahres-Abschluß während in den Entwicklungsländern 115 Millionen Kinder im Grundschulalter überhaupt nicht zur Schule gehen. Obwohl seit der Erfindung der Buchpresse durch Gutenberg inzwischen mehr als 500 Jahre vergangen sind, können immer noch mehr als 800 Millionen Erwachsene weder lesen noch schreiben, was ihnen außerdem die Möglichkeit nimmt, Computer oder das Internet zu benutzen — und ohne Programme zur Bekämpfung des Analphabetentums bei Erwachsenen haben sie kaum eine Chance, der Armut zu entfliehen.6)  

Fast eine Milliarde Menschen leben in Ländern, in denen die Bevölkerungszahl relativ stabil ist, doch eine weitere Milliarde oder mehr lebt in Ländern, für die bis 2050 eine Verdopplung der derzeitigen Bevölkerungszahl prognostiziert wird. Die meisten Analphabeten leben in einigen wenigen, stark bevölkerten Ländern, die sich zumeist in Asien und Afrika befinden. Zu den bekanntesten von ihnen zählen Indien, China, Pakistan, Bangladesch, Nigeria, Ägypten, Indonesien und Äthiopien, sowie Brasilien und Mexiko in Lateinamerika.

 

4)  World Health Organization (WHO) zitiert in Gary Gardner und Brian Hakveil, Underfed and Overfed: The Global Epidemie of Malnutriüon, Woridwatch Paper 150 (Washington. DC: Worldwatch Institute, 2000), S. 7. 
5)  WHO und UNICEF, Global Water Supply and Sanitation Assessment 2000 Report (New York: 2000), S. v, 2; Gardner und Haiweil, op. cit. Note 4, S. 7.
6)  "Trends in Educational Atrainment of the 25- to 34-Year-Old Population (1991149-2002)," in Organization for Economic Cooperation and Development (OECD), Education at a Glance 2004 (Paris: 2004); UNICEF. Progress for Children: A Report Card on Gender Parity and Primary Education (New York: 2005), S. 3; The Education for All (EFA) Global Monitoring Report Team, EFA Global Monitoring Report 2005: The Quality Imperative (Paris: UNESCO, 2004).

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Zwischen 1990 und 2000 haben China und Indonesien große Fortschritte im Kampf gegen das Analphabeten­tum gemacht. Und auch in Mexiko, Nigeria und Brasilien waren deutliche Fortschritte zu verzeichnen. Doch in vier anderen stark bevölkerten Ländern — Bangladesch, Ägypten, Pakistan und Indien — ist die Zahl der Analphabeten sogar gestiegen.7) 

In vielen Fällen verstärken Analphabetentum und Armut einander, da Frauen, die nicht lesen und schreiben können, in der Regel viel größere Familien haben als solche, die lesen und schreiben können, und weil jedes Jahr, das ein Kind die Schule besucht hat, die Verdienstmöglichkeiten um 10 bis 20 Prozent steigert. In Brasilien beispielsweise haben Frauen, die nicht lesen und schreiben können, im Durchschnitt mehr als sechs Kinder, während Frauen, die lesen und schreiben nur zwei Kinder haben. Hinzukommt, dass ungebildete Frauen im Teufelskreis von großen Familien und minimalen Verdienstmöglichkeiten gefangen sind.8)

Armut bedeutet häufig auch Anfälligkeit für Krankheiten. Ebenso wie zwischen Armut und Analphabetentum gibt es auch einen Zusammenhang zwischen Armut und schlechtem Gesundheitszustand. Eine stabile Gesundheit hängt unter anderem vom Zugang zu sauberem Trinkwasser ab, an dem es gut 1,1 Milliarden Menschen mangelt. Krankheiten, die durch verschmutztes Wasser ausgelöst werden, fordern jährlich drei Millionen Todesopfer, die meisten davon sterben infolge von Diarrhöe oder Cholera. Die meisten Todesopfer bei diesen und anderen durch verschmutztes Wasser ausgelösten Krankheiten sind Kinder. Die Kindersterblichkeit in Überflussgesellschaften liegt im Durchschnitt bei einem von 1.000 Neugeborenen, in den 50 ärmsten Ländern der Erde liegt der Wert mit 97 von 1.000 Neugeborenen fast 13 mal so hoch.9)

Arme und ungebildete Menschen verstehen oft gar nicht, wie Infektionskrankheiten übertragen werden und können sich deshalb oft nicht davor schützen. Außerdem sind Menschen, deren Immunsystem bereits durch Hunger geschwächt ist, noch anfälliger für derartige Infektionskrankheiten. In Armut lebende Menschen können ihre Kinder oft nicht einmal gegen ganz alltägliche Infektionskrankheiten impfen lassen, auch wenn die Kosten pro Kind manchmal nur wenige Cent betragen.10

7)  Bevölkerungswachstum aus Population Reference Bureau (PRB), 2005 World Population Data Sheet, Schautafel (Washington. DC: August 2005); Hilaire A. Mputu, Literacy and Non-FormalEducation in the E-9 Countries (Paris: UNESCO, 2001), S. 5-13; UNESCO Institute Cor Statistics, "Youth (15-24) and Adult (15+) Literacy Rates by Country and bv Cender for 2000—2004,'' auf www.uis.unesco.org, Mai 2005.
8)  Gene B. Sperling, "Toward Universal Education," Foreign Affairs, September/Oktober 2001 S. 7-13.
9)  WHO und UNICEF, op. cit. Note 5; Peter H, Gleick. Dirly Waier: Estimnted Deatlis fr»" Water-Selated Disease 2000-2020 (Oakland, CA: Pacific Institute, 2002); United Nations, op. cit. Note 1.

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Obwohl Armut und Krankheit eng miteinander verbunden sind, konnte dieser Teufelskreis in großen Teilen der Welt dank der wirtschaftlichen Entwicklung doch durchbrochen werden. Jetzt besteht die Herausforderung darin, ihn auch für den Rest der Welt, der keinen Zugang zu sauberem Wasser, Impfstoffen, Bildung und grundlegender Gesundheitsfürsorge hat, zu durchbrechen.

Das am deutlichsten sichtbare Merkmal von Armut ist Hunger. Die FAO11) geht davon aus, dass 852 Millionen Menschen weltweit ständig Hunger leiden. Sie erhalten nicht genug Nahrung, um eine volle körperliche und geistige Entwicklung zu gewährleisten und ihnen ein gesundes Maß an körperlicher Aktivität zu ermöglichen.12

Die Mehrzahl der Unterernährten und Untergewichtigen lebt auf dem indischen Subkontinent und in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara — in Regionen, in denen 1,4 Milliarden bzw. 750 Millionen Menschen leben. Vor 25 Jahren war die Ernährungssituation in Indien und China, den beiden bevölkerungsreichsten Ländern Asiens, ganz ähnlich, doch seither hat China den Hunger größtenteils ausgemerzt, während Indien nur sehr begrenzte Fortschritte gemacht hat. In diesem letzten Vierteljahrhundert hat China den Übergang zu kleineren Familien vorangetrieben, und während die Zugewinne in der Lebensmittelproduktion in Indien in dieser Zeit größtenteils durch das Bevölkerungswachstum geschluckt wurden, haben sie in China einen erhöhten Verbrauch des Einzelnen ermöglicht.13)

Den höchsten Tribut fordert die Unterernährung von den jungen Menschen, die während der Phase der schnellen körperlichen und geistigen Entwicklung besonders anfällig sind. Sowohl in Indien als auch in Bangladesch ist fast die Hälfte aller Kinder unter fünf Jahren untergewichtig und unterernährt und in Äthiopien und Nigeria — zwei der bevölkerungsreichsten Länder Afrikas — sind 47 Prozent bzw. 31 Prozent aller Kinder unternährt.14)

10)  Hunger als Risikoraktor für Krankheiten aus WHO, World Health Report 2002 (Genf: 2002), und in Majid Ezzaü et al., "Seiected Major Risk Factors and Global and Regional Bürden of Disease," The Lancet, 30. Oktober 2002, S. 1-14.
11)  Anm. d. Übers.: U.N. Food and Agriculture Organisation 
12)  U.N. Food and Agriculture Organization (FAO), The State of'Food Insecurity in the World 2004 (Rom: 2004). 
13)  FAO, The State ofFood Insecurity in the World2002 (Rom: 2002); Bevölkerungszahlen aus Vereinte Nationen, op. cit. Note 1.
14)  FAO. op. ctt. Note 11.

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Obwohl es nicht überraschen kann, dass die meisten unterernährten Menschen in Entwicklungsländern leben, ist es vielleicht doch überraschend, dass die meisten von ihnen in ländlichen Gesellschaften leben. In den allermeisten Fällen verfügen unterernährte Menschen über gar kein Land oder sie leben auf Landstücken, die so klein sind, dass es praktisch nicht lohnt. Diejenigen, die in den gut bewässerten Ebenen leben, sind in der Regel besser ernährt, während jene, die auf Grenzertragsflächen leben — auf an steilen Abhängen gelegenen oder semi-ariden Landstücken — in der Regel Hunger leiden.15

Das Problem der Unterernährung beginnt schon mit der Geburt. Gary Gardner und Brian Haiweil vom Worldwatch Institute zitieren einen UN-Bericht, in dem es heißt, jedes Jahr würden 20 Millionen unterernährte Kinder zur Welt kommen und sie würden von Müttern geboren, die ebenfalls unterernährt sind. In der Studie wird außerdem gesagt, dass diese Kinder unter dauerhaften Schädigungen in Form von "geschädigten Immunsystemen, neurologischen Schäden und verzögerter körperlicher Entwicklung" leiden. David Barker von der Universität of Southampton in Großbritannien bemerkt dazu nüchtern: "60 Prozent aller Neugeborenen in Indien lägen auf der Intensivstation, wenn sie in Kalifornien zur Welt gekommen wären."16

 

   Die zunehmende gesundheitliche Bedrohung   

 

Angesichts immer neuer Infektionskrankheiten wie SARS, des Westnilvirus und der Vogelgrippe nehmen die gesundheitlichen Bedrohungen immer mehr zu. Und die zunehmende chemische Verschmutzung unserer Umwelt fordert zusätzlich ihren Tribut. Während einige Infektionskrankheiten, wie Malaria und Cholera, bereits seit längerem bekannt sind und die Gesundheitsbehörden mit ihnen gut vertraut sind, ist man im Falle bestimmter Umweltgifte noch dabei, ihre Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen zu untersuchen.

Von den bekanntesten Infektionskrankheiten fordert Malaria jährlich mehr als 1 Million Todesopfer, 89 Prozent von ihnen in Afrika, und die Zahl der Infizierten, die oft ein Leben lang unter der Krankheit leiden, ist noch um ein Vielfaches größer. 

15)  Ebenda.
16)  Gary Gardner und Brian Haiweil, "Nourishing the Underfed and Overfed," in Lester R. Brown et al" State of the World 2000 (New York: W.W. Norton & Company, 2000) S. 70-73.

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Der Wirtschaftswissenschaftler Jeffrey Sachs, Direktor des Earth Institute an der Columbia Universität geht davon aus, dass die sinkende Produktivität der Arbeiter und andere mit Malaria in Zusammenhang stehende Kosten in Ländern mit einem hohen Anteil Infizierter dazu führen, dass das Wirtschaftswachstum um einen vollen Prozentpunkt sinkt.17

Obwohl Krankheiten wie Malaria und Cholera viele Opfer fordern, sind die Zahlen doch nichts im Vergleich zu den Zahlen der von der HIV-Epidemie Betroffenen. Wenn man nach etwas sucht, das auch nur annähernd mit den potentiell verheerenden Verlusten an Menschenleben durch dieses Virus vergleichbar ist, muss man bis ins 16. Jahrhundert zurückgehen, zu der Pockenepidemie unter den Indianern, oder bis ins 14. Jahrhundert, als die Beulenpest fast ein Viertel der Bevölkerung Europas dahinraffte.

Es wird Zeit, Aids als das anzusehen, was es ist — eine Epidemie von unglaublichen Ausmaßen, die, wenn sie nicht schnellstmöglich eingedämmt wird, in diesem Jahrhundert mehr Menschenleben fordern könnte als alle Kriege des vergangenen Jahrhunderts zusammen.18

Seit seiner Entdeckung 1981 hat sich das Immunschwächevirus weltweit ausgebreitet. Bis 1990 hatten sich bereits 10 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert und bis Ende 2004 waren es bereits 78 Millionen, von denen 38 Millionen inzwischen gestorben sind und 39 Millionen mit dem Virus leben. Derzeit leben 25 Millionen der HIV-Infizierten in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara, doch nur etwa 500.000 von ihnen werden mit antiretroviralen Medikamenten behandelt. Sieben Millionen der HIV-Infizierten leben in Süd- und Südostasien, davon allein in Indien fünf Millionen.19)  

17)  WHO/UNICEF, World Malaria Report 2005 (Genf: 2005); Anne Platt McGinn, "Malarias Lerhal Grip Tightens." in Worldwatch Institute, Vital Signs 2001 (New Yotk: W.W. Norton & Company, 2001), S. 134-35; Sachs aus Center for International Development at Harvard üniversity and London School of Hygiene and Tropica! Mediane, "Executive Sumraary for Economics of Malaria," www.rbm.who.int/docs/abuja_sachs2.htm, angesehen 3. August 2005; Todesopfer infolge von Malaria berechnet auf Grundlage von Vereinte Nationen, op. cit. Note 1, und WHO/UNICEF, op. cit. diese Note.  
18)  Mehr Todesopfer infolge von AIDS als durch Kriege aus Lawrence K. Altman, "U.N, Forecasts Big Increase in AIDS Death Toll," New York Times. 3. Juli 2002.  
19)  UNAIDS, AIDS Epidemie Update (Genf: Dezember 2004), S. 1; UNAIDS, op. cit. Note 1, S. 189-207; Gesamtzahl der Todesopfer und die historischen Schätzungen berechnet auf der Grundlage der UNAIDS-Statistiken in Worldwatch Institute, Sigiiposts 2004, CD-Rom Washington, DC: 2004); Anzahl der mit anti-retroviralen Medikamenten Behandelten in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara WHO, "Access to HIVTreatment Continues to Accelerate in Developing Countries, but Bottlenecks Persist, Says WHO/UNAIDS Report," Pressemitteihmg (Genf: 29. Juni 2005).

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Die Infektionsraten steigen weiter und ohne effektive Behandlungsmöglichkeiten werden in den Gebieten südlich der Sahara, in denen die Infektionsraten am höchsten sind, bald sehr viele Menschen daran sterben. Wenn man nun die hohen Sterbezahlen infolge der Epidemie zu der normalen Sterblichkeitsrate bei älteren Erwachsenen dazurechnet, so kommt man zu dem Schluss, dass Länder wie Botswana oder Simbabwe innerhalb von zehn Jahren die Hälfte ihrer erwachsenen Bevölkerung einbüßen werden.20

Doch die HIV-Epidemie ist kein isoliertes Phänomen. Jeder Lebensbereich und jeder Wirtschaftssektor ist davon betroffen. Da die Anzahl der Feldarbeiter sinkt, sinkt auch die in den meisten Ländern südlich der Sahara ohnehin niedrige Pro-Kopf-Produktion von Lebensmitteln noch weiter. Mit dem Rückgang der Lebensmittelproduktion nimmt der Hunger bei Kindern und älteren Menschen zu, da sie besonders auf Lebensmittel angewiesen sind. Der Abwärtstrend in Bezug auf die Sozialfürsorge für Familien beginnt in der Regel dann, wenn der erste Erwachsene in der Familie erkrankt — und diese Entwicklung ist doppelt schlimm, weil jeder Erkrankte, der nicht mehr arbeiten kann, von einem weiteren Erwachsenen betreut werden muss.21

Die hohe AIDS-Sterberate unter jungen Erwachsenen beginnt bereits, sich auf die Wirtschaftstätigkeit auszuwirken. Durch die steigenden Kosten für die Krankenversicherung der Arbeiter sinken die Gewinnspannen oder verschwinden ganz, wodurch einige Firmen in die roten Zahlen kommen. Außerdem haben die Unternehmen mit steigenden Krankenständen und sinkender Produktivität und dem Problem der Neurekrutierung und Einarbeitung neuen Personals als Ersatz für verstorbene Mitarbeiter zu kämpfen.22

Auch der Bildungssektor ist betroffen, da auch die Anzahl der Lehrer durch den Virus immer mehr sinkt. So verlor beispielsweise Simbabwe im Jahr 2001 815 Grundschullehrer durch AIDS, das entspricht 45 Prozent der in diesem Jahr neu ausgebildeten Lehrer. Wenn eines der Elternteile oder sogar beide sterben, können viele Kinder nicht mehr zur Schule gehen, weil einfach kein Geld für Schulbücher oder die Schulgebühren da ist. Und auch die Universitäten bekommen die Auswirkungen zu spüren. An der Universität von Durbin in Südafrika beispielsweise sind 25 Prozent der Studenten HIV-positiv.23

20) UNAIDS, op. cit. Note 1, S. 39-66. 191.  
21)  Zusammenhang zwischen AIDS und Sicherung der Nahrungsmittelversorgung aus UNAIDS, op. cit. Note 1, S. 39-66; FAO, Auswirkungen von HIV/AIDS auf Sicherung der Nahrungsmittelversorgimg, 27th Session of the Committee on World Food Securit)'. Rom, 28. Mai - 1. Juni 2001.  
22) "Strategie Caring: Firms Strategize About AIDS," The Economic, 5. Oktober 200*> UNAIDS, op. cit. Note 1, S. 39-66.

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Die Auswirkungen auf das Gesundheitssystem sind ebenfalls verheerend. In vielen Krankenhäusern im Osten und Süden Afrikas werden die meisten Krankenbetten inzwischen durch AIDS-Patienten belegt, so dass wenig Platz für Patienten mit anderen Krankheiten bleibt. Die ohnehin überarbeiteten Ärzte und Schwestern müssen oft bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gehen. Da die Gesundheitssysteme nicht in der Lage sind, auch nur die grundlegende Versorgung zu gewährleisten, nehmen auch die Sterberaten bei traditionellen Krankheiten zu. Die Lebenserwartung geht nicht nur wegen der hohen AIDS-Rate zurück, sondern auch wegen der Verschlechterung in der Gesundheitsfürsorge.24

 

Eine weitere Folge der AIDS-Epidemie sind viele Millionen verwaister Kinder. Man geht davon aus, dass es in den Ländern südlich der Sahara bis 2010 18,4 Millionen "AIDS-Waisen" — Kinder, die mindestens ein Elternteil durch AIDS verloren haben — geben wird, eine nie da gewesenen Anzahl von Straßenkindern in Afrika. Durch die hohe Sterblichkeit bei Erwachsenen schrumpfen die ausgedehnten Familienstrukturen, die einst in der Lage waren, verwaiste Kinder aufzufangen, inzwischen auch, so dass Kinder, oft auch sehr kleine Kinder, sich selbst überlassen bleiben.

Einigen Mädchen bleibt zum Überleben nur eine Chance — sogenannter "Überlebenssex". Michael Grunwald von der Washington Post schreibt über Swasiland: "Auf dem Lande verkaufen junge Swasi-Mädchen im Teenageralter Sex — und verbreiten HIV für fünf Dollar pro <Nummer>, genau so viel kostet es, für einen Tag Ochsen zum Pflügen zu mieten."25) 

Inzwischen ist die HIV-Epidemie zu einem Problem für die Entwicklung geworden, bei dem es letztlich darum geht, ob die Gesellschaft weiter so funktionieren kann, dass sie das Volk erhalten kann. Diese Epidemie stellt ein Problem für die Lebensmittelsicherheit dar und auch ein Risiko für die nationale Sicherheit, sie verursacht ein Problem im Bildungssystem und ist ein Hindernis für ausländische Investitionen. 

23)  EFA Global Monitoring Report Team, op. cit. Note 6; UNAIDS, op. cit. Note 1, S. 39-66; Prega Govender, "Shock AIDS Test Resulr at Vaisity," Sunday Times (Johannesburg), 25. April 1999; "South Africa: Universiry Fintls 25 Percent of Students Infected," Kaiser Daily HIV/AIDS Report, 27. April 1.999.  
24)  UNAIDS, op. cit. Note 1, S. 39-66.  
25)  UNAIDS. UNICEF und U.S. Agency for International Development (USAID), Children on the Brink 2004: A Joint Report on New Orphan Estimates and a Framework for Äction (Washington, DC:. Juli 2004), S. 29; Michael Grunwald, "Sowing Harvcsts of Hutiger in Africa," Washington Post, 17. November 2002.

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Stephen Lewis, der UN-Sondergesandte für HIV/AIDS in Afrika, sagte, die Epidemie könne aufgehalten und der Trend bei Infektionen umgekehrt werden, doch dazu wäre intensive Hilfe der internationalen Gemeinschaft nötig. Weiter bezeichnet er die Tatsache, dass der Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria 26) finanziell nicht ausreichend versorgt wird, als "Massenmord durch Selbstgefälligkeit / Gleichgültigkeit".27)

 

Alex de Waal, einer der Berater von UNICEF und der Wirtschaftskommission der UN für Afrika, fasst in der New York Times die Auswirkungen der Epidemie sehr treffend zusammen: "Ebenso wie HIV das Immunsystem zerstört, zerstört die HIV- und AIDS-Epidemie den Staatskörper. Durch den HIV-Virus haben die am schlimmsten betroffenen afrikanischen Länder einen sozialen Schaden erlitten, der dabei ist, ein neues Niveau zu erreichen: die Kapazitäten der afrikanischen Gesellschaften zum Schutz vor Hungersnöten sinken immer mehr. Hunger und Krankheiten haben begonnen, sich gegenseitig zu verstärken. So entmutigend die Aussichten auch sein mögen, wir müssen gemeinsam dagegen ankämpfen, oder wir werden keins von beidem besiegen können."28

Während sich die HIV-Epidemie derzeit hauptsächlich auf Afrika konzentriert, sind Wasser- und Luftverschmutzung ein gesundheitliches Risiko für die Menschen überall auf der Welt. Laut einer gemeinsamen Studie der Universität von Kalifornien und des Boston Medical Center gibt es etwa 200 Erkrankungen bei Menschen, von Hodenatrophie29) bis hin zu zerebralen Lähmungen30), die im Zusammenhang mit bestimmten Schadstoffen stehen. Zu den weiteren Erkrankungen, die durch Schadstoffe verursacht werden können, gehören erschreckende 37 Arten von Krebs, Herz- und Nierenerkrankungen, Bluthochdruck, Diabetes, Kontaktdermatitis, Bronchitis, Hyperaktivität, Taubheit, Schädigung der Spermien und Alzheimer sowie Parkinson.31

26)  Anm. d. Übers.: wörtlich: Globaler Fond zur Bekämpfung von AIDS. Tuberkulose und Malaria; eine UN-nahe Organisation zur Finanzierung der Bekämpfung dieser Krankheiten  
27)  Stephen Lewis, Pressebriefing (New York: 8. Januar 2003); Edith M. Lederer. "Lack ot Funding for HIV/AIDS is Mass Murder by Complacency, Says U.N. Envoy," Associated Press, 9. Januar 2003.  
28)  Alex de Waal, "Whar AIDS Means in a Famine," Netu York Times, 19. November 2002.  
29)  Anm. d. Übers.: auch"Schrumpfhoden" genannt  
30)  Anm. d. Übers.: Lähmungen, deren LTrsache im Gehirn Hegen  
31)  Sarah Janssen, Gina Solomon und "led Schettler, Chemical Contamiiiants and Huinan
Disease: A Summary ofEvideiice (Boston: Aliiance for a Healthy Tomorrow, 2004); Geon Lean,"US Study Links More than 200 Diseases to Pollution," Independem Nexus (London), 14. November 2004.

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Im Juli 2005 veröffentlichte die Environmental Working Group in Zusammenarbeit mit Commonweal eine Studie über Blut, das man aus den Nabelschnüren von zehn zufällig ausgewählten Neugeborenen in amerikanischen Krankenhäusern entnommen und analysiert hatte. Bei den Tests waren 287 Chemikalien festgestellt worden. "Von 180 der 287 Chemikalien, die wir gefunden haben ... ist bekannt, dass sie bei Menschen und Tieren Krebs verursachen können; 217 sind Gifte, die das Hirn und das Nervensystem schädigen können, und 208 haben bei Tierversuchen zu Geburtsfehlern oder anormaler Entwicklung geführt." 

Jeder auf diesem Planeten trägt in seinem Körper einen Teil der Belastung durch diese giftigen Chemikalien, doch Kleinkinder sind weitaus stärker gefährdet, da sie sich in der prägenden Frühphase ihrer Entwicklung befinden.32 Laut Berichten der Weltgesundheitsorganisation sterben jährlich geschätzte drei Millionen Menschen durch Schadstoffe in der Luft - dreimal mehr als bei Verkehrsunfällen. Eine in Lancet veröffentlichte Studie kommt zu dem Schluss, dass jährlich 40.000 Menschen in Frankreich, Österreich und der Schweiz infolge der Luftverschmutzung sterben, von der die Hälfte durch Autoabgase verursacht wird. In den USA sterben infolge der Luftverschmutzung jährlich 70.000 Menschen — fast doppelt so viele wie bei Verkehrsunfällen, hier sind es nur 40.000.33

Ein britisches Wissenschaftlerteam berichtet über einen überraschenden Anstieg der Erkrankungen bei Alzheimer und Parkinson sowie bei Amyotropher Lateralsklerose in zehn Industrieländern - sechs europäische Länder sowie die Vereinigten Staaten, Japan, Kanada und Australien. In England und Wales hat sich die Zahl der Sterbefälle bei diesen Erkrankungen von jährlich 3.000 in den späten 70er Jahren auf 10.000 in den späten 90er Jahren erhöht. Über einen Zeitraum von 18 Jahren haben sich die Sterberaten bei diesen Demenzkrankheiten, vor allem bei Alzheimer, bei Frauen fast verdoppelt und bei Männern sogar mehr als verdreifacht. Dieser Anstieg bei den Demenz-krankheiten wird mit einer erhöhten Konzentration von Pestiziden, Industrieabwässern, Autoabgasen und anderen Schadstoffen in unserer Umwelt in Zusammenhang gebracht.34

32)  Jane Houlihan et al-, Body Bürden: The Pollution in Newborns (Washington, DC: Environmental Working Group, 2005). 

33)  Bernie Fischlowitz-Roberts,"Air Pollution Fatalitics Now Exceed Traffic Fatalities by 3 co 1, Eco-Economy Update (Washington, DC: Earth Policy Institute, September 2002), zitiert WHO,"Air Pollution," Datenblatt 187 (Genf: überarbeitet September 2000): N. Künzli et al., "Public-Health Impact oi Outdoor and Traffiorelated Air Pollution: A European Assessment," Lance!, 2. September 2000, S. 795; Todesopfer infolge von Verkehrsunfällen aus British Red Gross, "May 8 Spotlight on rhe Miliums Injured and Disabled by Road Accidents," Pressemitteilung (London: 9. Mai 2001); 70.000 Todesopfer in Amerika aus Joel Schwanz, zitiert in Harvard School of Public Health, "Air Pollution Deadlier Than Previously Thotight," Pressemitteilung (Cambridge, MA: 2. März 2000).

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Horrorgeschichten über die gesundheitlichen Auswirkungen unkontrollierter industrieller Umweltverschmutzung in Russland sind inzwischen alltäglich. In der Industriestadt Karabasch in den Vorläufern des Ural leiden Kinder verstärkt unter Blei-, Arsen- und Kadmiumvergiftungen. Dies führt zu Geburtsfehlern, neurologischen Störungen und Krebs. Außerdem greifen solche Schadstoffe auch das Immunsystem an.35 Wissenschaftler sind zunehmend besorgt wegen der verschiedenen Auswirkungen, die Quecksilber haben kann, ein starkes Neurotoxin, das inzwischen die Umwelt in praktisch allen Ländern, die über Kohlekraftwerke verfügen, und in vielen, die über Goldminen verfügen, verseucht. Jedes Jahr wird das Ökosystem am Amazonas mit geschätzten 90 Tonnen Quecksilber aus den Goldminen vergiftet, und Kohlekraftwerke in den Vereinigten Staaten pusten mehr als 45 Tonnen Quecksilber in die Luft. In einem Bericht der EPA36 heißt es, das "Quecksilber aus den Kraftwerken legt sich über die Wasserwege, verschmutzt Flüsse und Seen und vergiftet die Fische."37

Im Jahr 2004 haben 48 von 50 US-Bundesstaaten (alle außer Alaska und Wyoming) insgesamt 3.221 Warnungen ausgegeben, in denen wegen des hohen Quecksilbergehalts vom Verzehr von Fisch aus lokalen Seen und Flüssen abgeraten wurde. Die Ergebnisse der EPA lassen darauf schließen, dass eine von sechs Frauen im gebärfähigen Alter in den USA so viel Quecksilber im Blut hat, dass es dem Fötus schaden könnte. Das bedeutet, dass 360.000 der vier Millionen Babys, die jedes Jahr in diesem Land zur Welt kommen, neurologische Schäden aufweisen könnten, weil sie vor der Geburt höheren Mengen an Quecksilber ausgesetzt waren.

34) - C. Piitchaid, D. Baidwin und A. Mayers, "Changing Patteins of Adult (45-74 years) Neurological Deaths in the Major Western World Countries 1979-1987." Public Health. Vol. 118, Ausgabe 4 (Juni 2004), S. 268-83; Juliette Jowit. ..Polluranrs Cause Huge Rise in Brain Diseases: Scientists Alarmed as Number of Cases Triples in 20 Years," The Observ« (London), 15. August 2004.  
35) - Sharon LaFraniere, "Mother Russia's Poisoned Land," Washington Post, 22. Juni 1999.  
36) - Environmental Prorecrion Agency; die amerikanische Umweltschutzbehörde  
37) - "Mercury Poisoning Disease Hits Amazon Villages," Reuters, 4. Februar 1999; Quecksilberabsonderungen aus amerikanischen Kohlekraftwerken aus U.S. Environmental Protection Agency (EPA), Office of Air Qualin' Plamiing and Standards and Office of Research and Development, Mercury Study Report to Congress Volume II (Washington, DC: Dezember 1997), S. ES-4; Patricia Glick, The Toll from Goal (Washington, DC: National Wildlife Federation, 2000), S. 9; EPA, "EPA Decides Mercury Emissions from Power Plauts MuS* Be Reduced." Pressemitteilung (Washington, DC: 15 Dezember 2000); Ilan Levin und Eric Schaeffer, Diriy Kilowatts: America's Most Polluting Power Plants (Washington, D'-" Environmental Integrity Project, 2005).

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In einer Studie des Mount Sinai Center for Children's Health and the Environment aus 2005 kommt ein Ärzteteam zu dem Schluss, dass in den USA durch die niedrigeren IQ-Level bei Kindern, die vor der Geburt höheren Mengen an Quecksilber ausgesetzt waren, jährlich 8,7 Milliarden Dollar an entgangenem Verdienst entstehen.38)

Niemand kann genau sagen, wie viele Chemikalien heute hergestellt werden, doch mit dem Aufkommen synthetischer Chemikalien ist die Zahl der benutzten Chemikalien auf 100.000 gestiegen. Ein Bluttest an nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Personen in Amerika würde messbare Mengen an mindestens 200 Chemikalien zeigen, die es vor einhundert Jahren noch gar nicht gab.39) Viele dieser neuen Chemikalien sind nicht auf ihre Giftigkeit hin untersucht worden. Die Chemikalien, von denen bekannt ist, dass sie toxisch wirken, sind in einer Liste von 667 Chemikalien zusammengefasst, deren Freisetzung in die Umwelt durch die Industrie bei der EPA meldepflichtig ist. Dieser sogenannte Toxic Release Index (TRI), der inzwischen im Internet abgerufen werden kann, enthält auch Informationen auf kommunaler Ebene, so dass den örtlichen Gruppen die Daten zur Verfügung gestellt werden können, um potentielle Risiken für ihre Gesundheit und die ihrer Umwelt einschätzen zu können. Seit Einführung des TRI 1988 haben die gemeldeten Emissionen toxischer Gifte stetig abgenommen.40

 

Obwohl wir seit der Veröffentlichung von Rachel Carsons Buch Der stumme Frühling, das den Beginn der Umweltschutzära einleitete, um die karzinogene Wirkung von Pestiziden wissen, setzen wir uns bisher nicht in adäquater Form mit dieser Bedrohung auseinander. Seit damals haben wir viele neue Erkenntnisse über die Auswirkungen von Chemikalien, die in die Umwelt abgelassen werden, gewonnen, besonders über die von Theo Colborn und ihren Kollegen in Die bedrohte Zukunft beschriebenen endokrin wirksamen Stoffe.41) Diese Gruppe von Chemikalien stört nicht nur bei Menschen, sondern auch bei vielen anderen Arten den Fortpflanzungs- und Entwicklungsprozess.42) 

 

38) - EPA, Office of Water, "2004 National Listingof Fish Advisories," EPA Fact Sheet (Washington, DC: September 2005); Kathryn Mahaffey, EPA, Methylmercury: Epidemioiogy Update, Präsentation auf dem National Forum on Contaminanrs in Fish, San Diego:. Januar 2004, auf www.epa.gov/waterscience/fish/forum/2004/presentations/monday/mahaifey. pdf; Leonardo Trasande, Philip J. Landrigan und Clyde Schlechter, "Public Health and Economic Consequences of Methyl Mercury Toxicity to the Developing Braiti," Environmental Health Perspectives, Vol. 13. Nr. 5 (Mai 2005).  
39) - Anne Platt McGinn, VC'hy Poison Ourselves.'A Precautionary Approach to Synthetic Chemicals, wbrldwatch Paper 153 (Washington, DC: Worldwatch Institute, November 2000),  200 Chemikalien im Körper aus Pete Myers, Teilveranstaltung zu Umweltfragen hei USAID-Trainingsworkshop für Umweltschutzbeamte, "Meeting the Environmental Challenges of the 21st Century," Airlie Center. Warrenton, VA, 26. Juli 1999.  
40) - EPA, "Toxics Release Inventory (TRI) Program," Datenblatt, auf www.epa.gov/tri, Update '7. Mai 2005; EPA, "EPA Issues New Toxics Report, Improves Means of Reporting," Pressemitteilung (Washington, DC: 11. April 2001).  
41) - Anm. d. Übers.: Stoffe, die direkt oder indirekt in das Hormonsystem eingreifen

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 Die Wegwerfgesellschaft unter Druck  

 

Die Entwicklung einer Wegwerfwirtschaft in den letzten 50 Jahren stellt einen weiteren sehr ungesunden wirtschaftlichen Trend dar. Nach dem Zweiten Weltkrieg war sie nur ein Mittel, Konsumenten mit Gütern zu versorgen, doch bald schon wurde sie auch als Möglichkeit zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Erhaltung des Wirtschaftswachstums angesehen. Der Grundgedanke war folgender: Je mehr Güter verbraucht und dann weggeworfen wurden, desto mehr Arbeitsplätze würde es geben. Vor allem ihre Bequemlichkeit führte dazu, dass sich Wegwerfprodukte gut verkauften. So waren die Verbraucher beispielsweise begeistert von Handtüchern und Servietten aus Papier, weil sie jetzt die Stoffhandtücher und -servietten nicht mehr zu waschen brauchten. Und so wurden Stofftaschentücher durch Papiertaschentücher, Stoffhandtücher durch Papierhandtücher zum Wegwerfen, Stoff- durch Papierservietten und wiederbefüllbare Getränkebehälter durch Einwegverpackungen ersetzt. Selbst die Einkaufstüten, in denen wir unsere Wegwerfprodukte nach Hause tragen, werden zu einem Teil des Müllstroms.

Diese Einbahnstraßenwirtschaft ist abhängig von billigen Energiequellen. Außerdem wird sie durch das begünstigt, was man in den USA "Kommunale Hausmüllentsorgungssysteme" nennt. Helen Spiegelman i und Bill Sheehan vom Product Po Hey Institute schreiben, dass diese "sich zu einer verdrehten öffentlichen Subvention für die Wegwerfgesellschaft entwickelt haben. Eine bessere und verstärkte Abfallentsorgung auf Kosten der Allgemeinheit ist im Grunde ein Freifahrtschein zur Vermehrung des Mülls. Diese Müllentsorger sammeln derzeit pro Amerikaner, egal ob Mann, Frau oder Kind, täglich 1,5 Kilogramm Müll ein - das ist doppelt soviel wie noch 1960 und zehnmal mehr als vor 100 Jahren. Es ist an der Zeit, das System so umzuarbeiten, dass es nicht länger die Gewohnheiten der Wegwerfgesellschaft begünstigt."43 

 

42)  Rachel Carson, Silent Spring (Boston: Houghton Mifflin Company, 2002); Theo Colborn, Dianne Dumanoski und John Peterson Mycrs, Our Stolen Futnre (New York: DuttoM Publishing, 1996).  
43)  Helen Spiegelman und Bill Sheehan, "Products, Waste, and the End of the Throwawajl Society," in Carolyn Raffensperger und Nancy Myers, Hrsg., The Networker: The Newslet^k of the Seience and Environmental Health Network, electronic newsletter, Vol. 10, Nr. 2 (Mall 2005).

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Die Wegwerfwirtschaft; befindet sich auf Kollisionskurs mit den geologischen Grenzen der Erde. Abgesehen davon, dass es fast keinen Platz mehr für Mülldeponien in der Nähe von Städten gibt, wird auch langsam das billige Erdöl knapp, das zur Herstellung und zum Transport jer Wegwerfprodukte benötigt wird. Und ein vielleicht noch grundlegenderes Problem besteht darin, dass es nicht genug leicht zugängliche Reserven an Blei, Kupfer, Eisenerz und Bauxit gibt, um die Wegwerfgesellschaft länger als noch zwei oder drei Generationen zu erhalten. Daten des U.S. Geological Survey lassen, ausgehend von einem jährlichen Zuwachs von zwei Prozent bei der Gewinnung der jeweiligen Rohstoffe, daraufschließen, dass die weltweiten Bleireserven noch 18, die Zinnreserven 20, die Kupferreserven 25, die Eisenerzreserven 64 und die Bauxitreserven 69 Jahre reichen.44

Da die Kapazitäten der Mülldeponien in Stadtnähe ihre Grenze erreichen und die Kosten für Erdöl immer mehr ansteigen, nehmen auch die Kosten für den Abtransport des Mülls aus den Städten zu. Eine der ersten Städte, bei denen die Kapazitäten der nahe gelegen Mülldeponien erschöpft waren, war New York. Als Fresh Kills, die primäre Mülldeponie für New York, im März 2001 endgültig geschlossen werden musste, sah sich die Stadt plötzlich gezwungen, ihren Müll bis nach New Jersey, Pennsylvania und sogar Virginia zu bringen — und einige der Müllhalden waren fast 500 Kilometer entfernt.45

Bei 12.000 Tonnen Müll, die täglich in New York anfallen und bei einem angenommenen Fassungsvermögen der für die Langstreckentransporte benutzen Sattelzüge von 20 Tonnen Müll, braucht man etwa 600 von ihnen, um die tägliche Müllladung aus New York abzutransportieren. Diese Sattelzüge bilden einen Konvoi von über 14 Kilometern Länge, der den Verkehr behindert, die Luft verschmutzt und die Karbonemissionen in die Höhe treibt. Dieser Konvoi brachte den stellvertretenden Bürgermeister von New York, Joseph J. Lhota, der die Schließung der Müllhalde Fresh Kills beaufsichtigte, zu der Aussage, dass die Entsorgung des städtischen Mülls inzwischen "einer täglichen Militäroperation gleicht".46

 

44)  Berechner durch das Earth Policy Institute auf der Grundlage von Unired States Geological Survey. Mineral Commodiry Summaries 2005 (Washingron, DC: U.S. Government Prinring Office, 2005). 
45)  Eric Lipron, .,The Long and Winding Road Now Foliowed by New York Ciry's Trash," New
York Times, 24. März 2001. 
46)  Lester R. Brown, "New York: Garbage Capital oi: tlie World," Eco-Economy Update (Washington, DC: Earth Policy Institute, April 2002); Berechnungen des Autors, Update ^it The City of New York Department of Sanitation, "DSNY'— Fact Sheet." auf www.nyc. gov/html/dos/ html/dosfact.html, Updare 27. Okrober 2003; Kirk Johnson, "To Citys Burden, Add 11,000 Tons of Daily Trash." New York Times, 24. März 2001; Lhota zitiert* Eric Lipom, "The Long and Wincüng Road Now Followed by New York Citys Frash, Nn» York Times, 24. März 2001.

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Andere Gemeinden, die über zu wenig Steuereinnahmen verfügen, sind gern bereit, den Müll von New York zu übernehmen — wenn sie dafür gut genug bezahlt werden. Einige sehen darin eine wirtschaftliche Goldgrube. Die Regierungen der Bundesstaaten jedoch müssen sich mit den erhöhten Kosten für die Instandhaltung der Straßen, mit häufigeren Verkehrsstaus, erhöhter Luftverschmutzung, höherer Lärm-! belastung, potentieller Wasserverschmutzung durch Lecks in den Mülldeponien und mit den Beschwerden der nahe gelegenen Gemeinden auseinandersetzen.

Der Gouverneur von Virginia, Jim Gilmore, schrieb 2001 an den damaligen New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani und beklagte sich darüber, dass New York Virginia als Müllabladeplatz missbrauchte. Er schrieb: "Ich verstehe das Problem, vor dem New York steht, sehr gut, doch Virginia, der Bundesstaat, in dem George Washington, Thomas Jefferson und James Madison geboren wurden, wird sich nicht zum Müllabladeplatz von New York machen lassen."47

Diese Art von Müllproblemen beschränkt sich nicht nur auf New York City. Toronto, die größte Stadt in Kanada, hat ihre letzte noch verbliebene Müllhalde am 31. Dezember 2002 geschlossen und verschickt die gesamten 1,1 Millionen Tonnen Müll, die dort jährlich anfallen, nach Wayne County in Michigan. Ironischerweise verschickt der Bundesstaat New Jersey, der einen Teil des New Yorker Mülls aufnimmt, inzwischen bis zu 1.000 Tonnen an Abrissschutt fast 1.000 Kilometer weit zur Entsorgung — und zwar ebenfalls nach Wayne County in Michigan.48 Die Herausforderung besteht nun darin, die Wegwerfwirtschaft durch eine Wirtschaft zu ersetzen, in der weniger Müll produziert, Verpackungen mehrfach verwendet und Rohstoffe recycelt werden. Für Städte wie New York sollte die wichtigste Frage nicht lauten, wohin sie mit ihrem Müll sollen, sondern wie sie verhindern können, dass er überhaupt entsteht.

 

47 - Gilmore zitiert in Lipton, op. cit. Note 40.  
48  - Joel Kurth, "N.J. Piles Demolition Trash on Michigan," Detroit News, 28. Dezember 200* Lipton, op. cit. Note 40.  
49 — Günther Bacchler, "Why Environmental Transformation Causes Violence: A Synthesisj
Environmental Chnnge and Seeurity Project Report, Issue 4 (Frühjahr 1998), S. 24—44.

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  Der Konflikt zwischen Bevölkerungszahl und vorhandenen Ressourcen  

 

Da die Land- und Wasserreserven immer mehr abnehmen, ist davon auszugehen, dass sich der Wettbewerb innerhalb der Gesellschaften um diese wichtigen Reserven verschärfen wird, besonders zwischen der reichen Schicht und den Armen und Besitzlosen. Das durch den starken Anstieg der Bevölkerungszahlen verursachte Sinken des Pro-Kopf-Anteils an lebensnotwendigen Ressourcen droht zu einem Absinken des Lebensstandards von Millionen Menschen unter die Überlebens-srenze zu führen. Dies wiederum könnte zu nicht mehr zu kontrollierenden sozialen Spannungen führen, die sich in Konflikten auf breiter Basis entladen könnten.49

Eine der Hauptursachen für soziale Spannungen ist der Zugang zu Landbesitz. Die immer stärker anwachsende Weltbevölkerung hat dazu geführt, dass der Pro-Kopf-Anteil an den Getreideanbauflächen zwischen 1950 und 2004 um die Hälfte, von 0,23 Hektar auf 0,10 Hektar, gesunken ist. Zum Vergleich: Ein Zehntel Hektar entspricht der Hälfte eines durchschnittlichen Baugrundstücks in einem der wohlhabenden amerikanischen Vororte. Dieses fortschreitende Absinken des Pro-Kopf-Anteils an den Getreideanbauflächen macht es für die Bauern weltweit immer schwieriger, die 70 Millionen und mehr Menschen, um die die Weltbevölkerung jährlich anwächst, angemessen zu ernähren.50

Der sinkende Pro-Kopf-Anteil an den Anbauflächen stellt jedoch nicht nur eine Bedrohung für den Lebensunterhalt dar; in größtenteils am Existenzminimum lebenden Gesellschaften bedroht es sogar das nackte Überleben. Die Spannungen innerhalb dieser Gesellschaften werden immer stärker, je mehr der Landbesitz sich einem Punkt nähert, an dem er zur Sicherung des Überlebens nicht mehr ausreichend ist. Die Sahelzone in Afrika ist nicht nur eines der Gebiete mit dem höchsten Bevölkerungswachstum, sondern auch mit dem höchsten Konfliktpotential.51

 

50)  Getreideanbauflächen im Jahr 1950 aus U.S. Department of AgiicuLture (USDA), 1 roauction, Supply, and Distribution Country Reports, Oktober 1990; Getreideanbauflächen im Jahr 2004 aus USDA, Production, Supply, & Distribution, elektronische Datenbank, auf www.fas.usda.gov/psd, Update 13. September 2005: Bevölkerungszahlen aus Vereinte Nationen, op. cit. Note 1.  
51)  <Time for Action on Sudan>, New York Times, 18. Juni 2004.

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Im Sudan, einem Land mit vielen Problemen, sind in dem seit mehr als 20 Jahren andauernden Konflikt zwischen der muslimischen Bevölkerung im Norden und den Christen im Süden bereits zwei Jy[ji_ lionen Menschen ums Leben gekommen und mehr als vier Millionen Menschen wurden vertrieben. In dem im Jahr 2003 ausgebrochenen Konflikt in Darfur im Westen des Sudan zeigen sich die wachsenden Spannungen zwischen zwei Gruppen innerhalb der sudanesischen Muslime — den arabischen Kamelhirten und den schwarzafrikanischen Bauern, die von dem leben, was sie anbauen, ohne einen Überschuss zu erwirtschaften. Die Regierungstruppen unterstützen die arabischen Milizen, die im großen Stil die Schwarzafrikaner abschlachten, um sie von ihrem Land zu vertreiben, oder sie in Flüchtlingslager im benachbarten Tschad treiben. Bis heute sind in diesem Konflikt etwa 140.000 Menschen getötet worden und weitere 250.000 sind in den Flüchtlingslagern an Hunger und Krankheiten gestorben.52

In Nigeria, wo 132 Millionen Menschen auf einer Fläche zusammengepfercht sind, die nicht größer ist als Texas, führen Überweidung und übermäßige Kultivierung dazu, dass sich die Weide- und Anbauflächen zunehmend in Wüsten verwandeln, so dass sich Bauern und Viehzüchter inzwischen im Krieg ums nackte Überleben befinden. Somini Sengupta berichtete dazu 2004 in der New York Times: "Durch die Ausbreitung der Wüsten, das Fällen der Bäume und den starken Bevölkerungsanstieg sowohl bei den Bauern als auch bei den Viehzüchtern hat sich der Kampf um das Land in den vergangenen Jahren noch verschärft."53

Leider geht die Unterteilung in Bauern und Viehzüchter nur zu oft mit der Unterscheidung zwischen Christen und Muslime einher, so dass der Wettbewerb um das Land, verstärkt durch die religiösen Unterschiede und die Tatsache, dass eine große Zahl frustrierter junger Männer im Besitz von Waffen war, zur Entstehung dessen geführt hat, was die New York Times als "explosive Mischung" beschrieben hat, die "eine neue Welle der Gewalt entfacht hat. Kirchen und Moscheen wurden zerstört, Nachbarn gingen aufeinander los und es gab viele Vergeltungsangriffe, bis die Regierung Mitte Mai schließlich den Ausnahmezustand erklärte."54

 

52)  Neue Informationen bezüglich des Sudan aus Coalition for International justice (CI|)> "New Analysis Claims Darfur Deaths Near 400,000: Experts Estimate 500 People a I )ay Are Dying," Pressemitteilung (Washington, DC: 21. April 2005); CIJ, Tabelle: "Estinutes from Retrospective Mortality Surveys in Darfur and Chad Displacement Camps, CirOM Februar 2003-April 2005," auf www.cij.org, April 2005; "Sudan," in U.S. Central j Intelligence Agency, World Fact Book, auf www.cia.gov/cia/publications/factbook. Update 30. August 2005.  
53)  Somini Sengupta, "Where die Land is a Tinderbox, die Killing Is a Frenzy," New ^°r jj  Times, 16. Juni 2004; Bevölkerungsinformationen zu Nigeria aus Vereinte Nationen, op-cit. Note 1; Government of Nigetia, Combating Desettification and Mitigating die Effects of Drought in Nigeria, National Report on the Implementation of die Uniccd Nation» Convention to Combat Desertification (Nigeria: November 1999).

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Ein ähnlicher Konflikt besteht zwischen den Bauern und Viehzüchtern im Norden Malis. Die New York Times schreibt dazu: "Nachdem sich der Wettbewerb zwischen den größtenteils schwarzafrikanischen Bauern und den Viehzüchtern, die überwiegend zu den Tuareg und Fulbe gehören, infolge der fortschreitenden Desertifikation und des Bevölkerungsanstiegs verschärft hatte, hat man die Schwerter und Stöcke gegen Kalaschnikows eingetauscht. Die Nerven liegen auf beiden Seiten blank. In diesem Kampf geht es immerhin um den Lebensunterhalt und mehr noch um eine Lebensart."55

Ruanda hat sich zu einer klassischen Fallstudie dafür entwickelt, wie der Druck durch eine stark anwachsende Bevölkerung zu politischen Spannungen und Konflikten führen kann. James Gasana, zwischen 1990 und 1992 Landwirtschafts- und Entwicklungsminister in Ruanda, gewährt einige Einblicke in die Lage. Als Vorsitzender der Nationalen Landwirtschaftskommission hatte er im Jahr 1990 davor gewarnt, dass Ruanda "ohne tiefgreifende Transformationen in der Landwirtschaft nicht in der Lage sein wird, seine Bevölkerung bei der derzeitigen Wachstumsrate ausreichend zu ernähren." Obwohl die Demographen des Landes für die Zukunft einen großen Bevölkerungszuwachs prognostiziert haben, sagte Gasana 1990, er sähe nicht, wie Ruanda es auf zehn Millionen Einwohner bringen sollte, ohne dass ein soziales Chaos entsteht — "es sei denn, es gäbe deutliche Fortschritte in der Landwirtschaft und in anderen Wirtschaftssektoren."56

Gasanas Warnungen über ein mögliches soziales Chaos waren prophetisch. Er beschrieb weiter, dass üblicherweise die Kinder, im Durchschnitt sieben pro Familie, das Land von ihren Eltern erben und dass dann ohnehin kleine Landstücke noch weiter zerstückelt werden. Viele Bauern haben versucht, neues Land zu finden, und sind auf Böden an steilen Abhängen ausgewichen. 1989 befand sich fast die Hälfte des kultivierten Landes in Ruanda an Hängen mit Steigungen von 10 bis 35 Grad — Landflächen, die normalerweise als nicht kultivierbar gelten.57

 

54)  Sengupta, op. cit. Note 47. 
55) 
Ebenda.  
57)  James Gasana, "Remember Rwanda?" World Wutch, September/Oktober 2002, S. 24-32. 
58)  Ebenda.

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1950 betrug die Bevölkerungszahl von Ruanda 2,4 Millionen. 1993 waren es bereits 7,5 Millionen, wodurch Ruanda zum am dichtesten bevölkerten Land in Afrika wurde. Mit der Zunahme der Bevölkerung stieg auch der Bedarf an Brennholz. 1991 war der Bedarf bereits doppelt so groß wie die Menge an Holz, die den Wäldern des Landes unter ökologischen Gesichtspunkten entnommen werden konnte. Nachdem die Bäume verschwunden waren, benutzte man Stroh und andere Ernterückstände als Brennmaterial und da dadurch weniger organisches Material zurück in den Boden gelangte, sank auch die Produktivität der Böden.58 

Mit der Verschlechterung des Zustandes des Landes verschlechterte sich auch die Situation der Menschen, die davon abhängig waren. Letztlich gab es einfach nicht genug Lebensmittel mehr für alle und es entstand eine stille Verzweiflung. Wie eine von einer Dürre heimgesuchte Landfläche konnte sie mit nur einem kleinen Funken entzündet werden. Dieser Funken wurde ausgelöst, als am 6. April 1994 ein Flugzeug mit Präsident Juvenal Habyarimana an Bord beim Landeanflug auf die Hauptstadt Kigali abgeschossen wurde, wobei der Präsident ums Leben kam. Der Absturz löste einen organisierten Angriff der Hutu aus, der innerhalb von 100 Tagen etwa 800.000 Todesopfer unter den Tutsi und den gemäßigten Hutu forderte. In einigen Dörfern wurden ganze Familien ausgerottet, damit kein Erbe zurückblieb, der ihr Land hätte beanspruchen können.59

 

In vielen afrikanischen Ländern, die größtenteils ländlich geprägt sind, gleicht die Bevölkerungsentwicklung der in Ruanda. Im Falle von Tansania, dessen Bevölkerungszahl 2005 bei 38 Millionen lag, wird mit einem Anstieg der Bevölkerung auf 67 Millionen bis 2050 gerechnet. Die Bevölkerung in Eritrea, wo jede Familie im Durchschnitt sechs Kinder hat, wird bis 2050 voraussichtlich von 4 auf 11 Millionen anwachsen und in der Demokratischen Republik Kongo soll sich die Bevölkerungszahl verdreifachen — von 58 auf 177 Millionen.60

Doch Afrika ist nicht allein in dieser Entwicklung. In Indien schwelen die Spannungen zwischen Hindus und Muslime stets dicht unter der Oberfläche. Da die Landstücke mit jeder neuen Generation immer kleiner werden, ist der Druck auf das Land enorm groß und der auf die Wasserreserven noch größer. Da für Indien ein Bevölkerungswachstum von 1,1 Milliarden im Jahr 2005 auf 1,6 Milliarden im Jahr 2050 prognostiziert wird, scheint eine Kollision zwischen den wachsenden Bevölkerungszahlen und den sinkenden Wasserreserven unvermeidlich.

 

58)  Bevölkerungszahlen aus United States Census Bureau, Population Division, Internatio Programs Center, International Diilabase, auf www.census.gov/ipc/ww\v/idbacc.htl Update 26. April 200?; Bedarf an Brennholz aus Gasana, op. cit. Note 50.  
59)  Gasana, op. cit. Note 50; Emily Wax. "At the Heart of Rwanda's Horror; Generals Hii  Offers Clues to the Roots of Genocide,'  Washington Post, 21. September 2002.  
60)  Vereinte Nationen, op. cit. Note 1.

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Es besteht ein hohes Risiko, dass es in Indien zu sozialen Konflikten kommen könnte, die die in Ruanda bei Weitem in den Schatten stellen. Wie Gasana sagte, ist das Verhältnis zwischen Bevölkerungszahl und natürlichen Systemen ein Problem der nationalen Sicherheit, und es kann Konflikte zwischen verschiedenen Ländern, Stämmen, Ethnien und Religionen auslösen.61)

Eine alltägliche Ursache für internationale politische Konflikte sind Unstimmigkeiten zwischen Ländern, die gemeinsam Anteil am selben Flusssystem haben, über die Verteilung des Wassers, besonders dann, wenn die Bevölkerungszahlen so groß werden, dass sie über die vom Fluss geführte Wassermenge hinauswachsen. Nirgendwo wird dieses Konfliktpotential deutlicher sichtbar als in den Streitigkeiten zwischen Ägypten, dem Sudan und Äthiopien, die alle vom Nil durchflössen werden. Im regenarmen Ägypten ist die Landwirtschaft vollständig auf das Wasser aus dem Nil angewiesen.

Momentan erhält Ägypten den Löwenanteil des Nilwassers, doch die derzeitige Bevölkerungszahl von 74 Millionen soll laut Prognosen bis 2050 auf 126 Millionen ansteigen, wodurch der Bedarf an Getreide und Wasser stark ansteigen würde. Die Bevölkerung im Sudan, die zur Lebensmittelproduktion ebenfalls auf das Nilwasser angewiesen ist, soll bis 2050 von derzeit 36 Millionen auf 67 Millionen ansteigen. Und die Bevölkerungszahl von Äthiopien, einem Land, das 85 Prozent des Quellgebiets des Nils kontrolliert, soll von 77 auf 177 Millionen anwachsen.62

Der Nil führt ohnehin nur noch wenig Wasser, wenn er das Mittelmeer erreicht, und wenn entweder der Sudan oder Äthiopien dem Fluss mehr Wasser entnähmen, so würde Ägypten noch weniger Wasser erhalten, wodurch es zunehmend schwerer würde, weitere 52 Millionen Menschen zu ernähren. Obwohl es ein Abkommen über die wasserrechte zwischen den drei Ländern gibt, erhält Äthiopien nur einen winzigen Teil des Wassers.

Da die Menschen dort aber auch Anspruch auf ein besseres Leben erheben und die Quellgebiete des Nils zu den wenigen natürlichen Ressourcen des Landes gehören, wird Äthiopien dem Fluss zweifellos mehr Wasser entnehmen wollen. Und bei einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen pro Jahr von 860 Dollar in Äthiopien — im Vergleich zu Ägypten mit 4.300 Dollar — ist nur schwer einzusehen, warum Äthiopien nicht einen größeren Anteil am Wasser des Nils erhalten sollte.63 

 

61)  Ebenda.; Gasana, op. cit. Note 50. 
62)  Vereinte Nationen, op. cic. Note 1; Informationen zum Nil in Sandra Postel, Pillar oj Sand (New York: W.W Norton & Company, 1999), S. 141-49.

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Im Norden teilen sich die Türkei, Syrien und der Irak das Wasser aus dem Flusssystem von Euphrat und Tigris. Die Türkei die die Kontrolle über die Quellgebiete hat, plant ein Großprojekt am Tigris, um so die Menge des zur Bewässerung und zur Energieerzeugung zur Verfügung stehenden Wassers zu steigern. Syrien und der Irak, deren Bevölkerungszahlen von 19 bzw. 29 Millionen sich jeweils verdoppeln sollen, sind wegen des Projekts besorgt, da auch sie mehr Wasser benötigen werden.64

Im Aralseebecken in Zentralasien gibt es ein wackliges Abkommen zwischen fünf Ländern über die Nutzung des Wassers aus Amu-Darja und Syr-Darja, den beiden Zuflüssen des Aralsees. Der Wasserbedarf in Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan übersteigt bereits jetzt die Kapazitäten der beiden Flüsse um 25 Prozent, (siehe Kapitel 3) und Turkmenistan, das am Oberlauf des Amu-Darja liegt, plant eine weitere halbe Million Hektar Land zur bewässerten Landwirtschaft nutzbar zu machen. In der von Aufständen gebeutelten Region mangelt es an der nötigen Kooperation zur sinnvollen Verwaltung der knappen Wasserreserven. Außerdem plant Afghanistan, das die Kontrolle über die Quellgebiete des Amu-Darja hat, einen Teil des Wassers für die eigene Entwicklung zu nutzen. Die Geographin Sarah O'Hara von der Universität von Nottingham, die das Wasserproblem der Region untersucht, sagt dazu: "Wir reden immer über die Welt der Entwicklungsländer und die Welt der Industrieländer, aber das hier ist die Welt der verfallenden Länder."65

 

   Immer mehr Umweltflüchtlinge   

 

Durch den Verfall der natürlichen Systeme sind die Menschen zur Migration gezwungen, manchmal sogar in andere Länder. Mitte Oktober 2003 haben die italienischen Behörden ein Boot mit Flüchtlingen aus Afrika auf dem Weg nach Italien entdeckt. Sie waren bereits seit mehr als zwei Wochen unterwegs und hatten keine Lebensmittel, kein Wasser und keinen Treibstoff mehr, so dass viele Passagiere bereits tot waren.

 

63)  Bevölkerungszahlen aus Vereinte Nationen, op. cit. Note 1; Pro-Kopf-Binkommen berechnet auf Grundlage des Bruttoinlandsprodukts, die wiederum basierend auf Angaben zur Kaufkraft in Internationaler Währungsfond, World Economic Outlook DambaA Washington, DC, Update April 2005; Posrel, op. cit. Note 56.  
64)  Postel, op. cit. Note 56; Vereinte Nationen, op. cit. Note \.   
65)  O'Hara zitiert in Michael Wirtes, "Grand Soviel Scheine for Sharing Water in Central Astä^ is Foundering.'' New York Times, 9. Dezember 2002.

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Zunächst hatte man die Toten einfach über Bord geworfen, doch nach einer Weile hatten die verbliebenen Passagiere nicht mehr die Kraft, die leblosen Körper über Bord zu hieven, und s0 glich laut Aussagen der Rettungskräfte der Anblick der am Leben Gebliebenen und der Verstorbenen, die sich das Boot teilten, "einer Szene aus Dantes Inferno".66 Man nahm an, die Flüchtlinge stammten aus Somalia und seien in Libyen an Bord gegangen, doch sie selbst wollten nicht preisgeben, woher sie kamen. Man weiß nicht, ob es sich um politische Flüchtlinge, Wirtschafts- oder Umweltflüchtlinge handelte. Gescheiterte Staaten wie Somalia bringen alle drei Arten von Flüchtlingen hervor. Es ist bekannt, dass Somalia ein in ökologischer Hinsicht praktisch aussichtsloser Fall ist, und dass die Überbevölkerung, die Überweidung und die Ausbreitung der Wüsten bereits dabei sind, die Pastoralwirtschaft des Landes zu zerstören.67

Für die mittelamerikanischen Länder wie Honduras, Guatemala, Nicaragua und El Salvador führt der Weg in die Vereinigten Staaten oftmals über Mexiko. Im Jahr 2003 haben die mexikanischen Behörden etwa 147.000 illegale Immigranten festgenommen und abgeschoben; im Vergleich dazu waren es im Vorjahr nur 120.000.68

In Tapachula an der Grenze zwischen Guatemala und Mexiko warten junge Männer auf der Suche nach einem Job an den Gleisen eines langsam fahrenden Frachtzuges, der die Stadt auf seinem Weg gen Norden passiert. Einige schaffen es in den Zug, andere nicht. Im Jesus el Buen Pastor"-Asyl leben 25 Männer, die Gliedmaßen verloren haben, als sie beim Aufspringen auf den Zug den Halt verloren und unter den Zug geraten waren. Olga Sänchez Martinez, Direktorin des Heims, sagt, für diese jungen Männer ist das Heim das "Ende des amerikanischen Traumes." Ein örtlicher Priester, Flor Maria Rigoni, nennt die Migranten, die versuchen, auf den Zug aufzuspringen, "die Kami-W-Krieger der Armut."69

Auch aus Haiti fliehen viele Menschen vor der allgemein bekannten ökologischen Katastrophe in die USA. In einer ländlichen Wirtschaft, ln der die Böden ihrer schützenden Vegetation beraubt sind und ins Meer fortgespült werden, folgen bald auch die Menschen. Viele ertrinken bei dem Versuch, in einem kleinen nicht hochseetauglichen Boot bis nach Florida zu kommen, in den rauhen Gewässem.70) 

66)  Alan Cowell, "Migrants Found off Italy Boat Piled With Dead," International Herald Tribüne. 21. 10 2003, zitiert in Lester R. Brown. "Troubling New Flows of Environmental Rehigees,'' Eco-Economy Update (Washington, DC: Barth Policy Institute, Januar 2004). 
67)  Ebenda. 
68)  Mexicos Immigration Problem: The Kamikazes of Poverty," The Economist, 31. Januar C(\ ~         Berechnung des Autors.
69)  »Mexicos Immigration Problem," op. cir. Note 62.

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Heute ist es ein alltäglicher Anblick, wenn Leichen an den Küsten von Italien, Spanien und der Türkei angeschwemmt werden — das Ergebnis eines verzweifelten Fluchtversuchs verzweifelter Menschen Und jeden Tag riskieren Mexikaner ihr Leben in der Wüste von Arizona, weil sie einen Job in den USA wollen. Täglich verlassen 400 bis 600 Mexikaner die ländlichen Gegenden und zurück bleiben Landstücke, die zu klein oder zu stark von der Erosion betroffen sind, um damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Sie machen sich auf den Weg in die mexikanischen Städte oder versuchen, illegal die Grenze in die USA zu überqueren. Viele von denen, die versuchen, die Wüste von Arizona zu durchqueren, sterben in der gnadenlosen Hitze und jedes Jahr werden Dutzende von Leichen entlang der Grenze von Arizona gefunden.71

Die Welt hat zwar bereits Erfahrung im Umgang mit politischen Flüchtlingen und Wirtschaftsflüchtlingen, doch zurzeit erleben wir einen wachsenden Strom an Flüchtlingen, die sich wegen ökologischer Probleme gezwungen sehen, ihre Heimat verlassen. Dieses Phänomen reicht zurück bis zur Entstehung der "Dust Bowls" vor etwa 70 Jahren, als fast 3 Millionen Amerikaner gezwungen waren umzusiedeln.72

Jetzt haben die Vereinigten Staaten wieder mit Umweltflüchtlingen zu kämpfen, wenn auch aus einem anderen Grund. In Alaska, wo der Temperaturanstieg in den letzten Jahrzehnten mit 2 bis 4° C vielleicht am höchsten weltweit ist, werden Tausende von Ureinwohnern infolge der Eisschmelze und der Überflutungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gezwungen sein, ihre Dörfer zu verlassen. So droht beispielsweise Newtok, ein Dorf mit 360 Yupik-Eskimos an der Westküste Alaskas, durch einen zunehmenden Strom von Schmelzwasser aus dem Ninglick überschwemmt zu werden. Eine technische Studie ergab, dass die Kosten für eine Umsetzung des Dorfes mindestens 50 Millionen Dollar betragen würden - 150.000 Dollar pro Dorfbewohner. 

 

70  - Norman Myers, "Environmental Refugees: A Growing Phenomenon ot thc 2Ist Century, M Philosophic/tl Transacriom: Biologien! Sciences, 29. April 2002, S. 609-13, zitiert in Brown, op. cit. Note 60.  
71  - Frank Bruni, "Off Sicily, Tide of Bodies Roils Immigrant Debate," New York Times, 23- 1  September 2002; "Boat Sinks Off Coast of Turkey: One Survivor and 7 Bodies Founc^H Agence France-Presse, 22. Dezember 2003; Flora Botsford, "Spain Recovers Drowned Migrants," BBC News, 25. April 2002; Mary Jordan und Kevin Sullivan, "Trade Bringä I Riches, But Not to Mexicos Poor," Washington Post, 22. März 2003; Robert McLerfl^B und Barry Smit, "Climate Change, Migration and Security," Commentary No. 36 (Ottawa; Canadian Security Inteüigence Service, 2. März 2004); Todesopfer in der Wüste um Arizona aus "Humane Approach to Border," Denver Post, 24. April 2003; Ralph Blumentrra*' \ "Citing Violence, 2 Border States Declare a Crisis," New York Times, 17. August 2005- j  
72 - Angaben zum Dust Bowl in den USA aus Yang Youlin, Victor Squires und Lu Qi, Hrsg"
Global Alarm: Dust and Sandsturms fiom the World's Drylands (Bangkok: Secretariat of ^H U.N. Convention to Combat Desertification, 2002), S. 109-22.

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Wenn die Einwohner von Newtok nicht umziehen, riskieren sie, in den Fluten zu ertrinken, und obwohl die Umsetzung eines Dorfes keine einfache Angelegenheit ist, gibt es noch 23 andere Dörfer in Alaska, die genau daraufwarten.73

Prognosen gehen von einem Anwachsen der Weltbevölkerung um drei Milliarden Menschen bis zum Jahr 2050 aus und da der Großteil dieser drei Milliarden Menschen in Ländern leben wird, in denen die Grundwasserspiegel bereits jetzt sinken, werden Wasserflüchtlinge zu einer alltäglichen Erscheinung werden, besonders in ariden und semiariden Gebieten, in denen die Bevölkerung über die Wasserreserven hinauswächst und die deshalb zu Opfern der Wasserarmut werden. Im Nordwesten Indiens müssen bereits Dörfer aufgegeben werden, weil die Wasserleiter leer sind und die Menschen dort kein Wasser mehr finden und Millionen von Menschen im Norden und Westen Chinas und in Teilen Mexikos werden vermutlich wegen des Wassermangels umsiedeln müssen.74

Auch durch die Ausbreitung der Wüsten, durch die die wachsende Bevölkerung der jeweiligen Gebiete auf immer kleinere Flächen zurückgedrängt wird, sind Menschen gezwungen, ihre Wohnorte aufzugeben. Während durch die Ausbildung des "Staubbeckens" in den USA nur einige Millionen Menschen zum Umsiedeln gezwungen waren, sind von der Entstehung des "Staubbeckens" in China und der damit verbundenen völligen oder teilweisen Aufgabe von 24.000 Dörfern in den entsprechenden Provinzen zig Millionen Menschen betroffen.75

Im Iran bewegt sich die Anzahl der Dörfer, die wegen Wassermangels oder sich ausbreitender Wüste aufgegeben werden müssen, bereits im Tausenderbereich. In der Nähe von Damawand, einer kleinen Stadt etwa eine Stunde Fahrt von Teheran entfernt, sind bereits 88 Dörfer aufgegeben worden. Und auch in Nigeria sind die Bauern und Vieh-

 

73) Jonathan Shaw, "The Great Global Experiment," Harvard Magazine, November - Dezember 2002, S. 35; Tomas Alex Tizon, "(Jan One Man Tum rhe Tide? As Erosion Eats Away at: liny Newtok, Alaska, the Relocation of Its Yupik Eskimo Villageis and Their Homes Has Fal len to the Local Grocer,' New York Times, 28. Oktober 2004.

74) Angaben zu verlassenen Dörfern in Indien aus Tushaar Shah et at., The Global Groitndwater Situation: Overview of Opportunities and Chidlenges (Colombo, Sri Lanka: International water Management Institute, 2000); Bevölkerungszahlen aus Vereinte Nationen, op. cit. Note 1.

75)  W-ang Fao, Gold and Arid Regions Environmental and Engineering Research Institute (GAREERI), Chinesische Akademie der Wissenschaften, E-Mail an den Autor, 4. April 2004; Wang Tao. "The Process and Its Control of Sandy Desertification in Northern China,' CAREERI, Chinesische Akademie der Wissenschaften, Seminar zur Desertifikation, gehalten in Lanzhou, China, Mai 2002.

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Züchter gezwungen umzusiedeln, da sich die Wüste in Nigeria immer stärker ausbreitet, und so sehen sie sich auf einer zunehmend kleiner werdenden Fläche produktiven Landes zusammengedrängt. In der Regel enden solche Wüstenflüchtlinge in den Städten, viele von ihnen in illegalen Siedlungen, doch eine noch größere Zahl emigriert ins Ausland.76

Auch der steigende Meeresspiegel ist ein Grund, warum Menschen zu Flüchtlingen werden — potentiell sogar sehr viele. Am größten wäre die Anzahl derer, die aus diesem Grund zur Umsiedlung gezwungen wären, vermutlich im tiefgelegenen Bangladesch. Dort würde ein Ansteigen des Meeresspiegels um nur einen Meter nicht nur die Hälfte der Reisanbauflächen des Landes überfluten, sondern auch dazu führen, dass gut 40 Millionen Menschen gezwungen wären umzusiedeln. In einem so dicht bevölkerten Land mit seinen insgesamt 142 Millionen Einwohnern wäre eine Umsiedlung innerhalb des Landes nicht einfach.

Doch wohin sollten sie sonst? Wie viele Länder würden auch nur eine Million Flüchtlinge aus Bangladesch aufnehmen, die durch einen Anstieg des Meeresspiegels ihre Heimat verloren haben? Doch auch andere Länder, in denen in Flussdeltas und Talauen Reis angebaut wird — darunter China, Indien, Indonesien, Pakistan, die Philippinen, Südkorea, Thailand und Vietnam — könnten sich mit einer Massenflucht infolge steigender Meeresspiegel konfrontiert sehen.77

Die Ausbildung der durch sinkende Grundwasserspiegel und sich ausbreitende Wüsten verursachten Flüchtlingsströme beginnt gerade erst. Welches Ausmaß diese Ströme und die durch steigende Meeresspiegel verursachten annehmen werden, ist noch nicht abzusehen. Doch es könnte sich um eine gigantische Anzahl von Menschen handeln, was wiederum einen weiteren guten Grund darstellt, das Klima und die Bevölkerungszahlen zu stabilisieren.

76)  Iranian News Agency, "Official Wams of Impending Desertification Catastrophe Soucheast Iran," BBC International Reports, 29. September 2002; Government of Nigerij op. cit. Note 47, S. 6.  
77)  71. Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), Climate Change 2001: Scientific Basis. Contributions of Working Group I to the Third Assessmetu Report I the Intergovernmental Panel on Climate Change (New York: Cambridge University Prei 2001); Weltbank, World Development Report 1999/2000 (New York: Oxford Universi Press, 2000). S. 100; Bevölkerungszahlen aus Vereinte Nationen, op. cit. Note 1.

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  Gescheiterte Staaten und Terrorismus  

 

Nachdem man sich gut ein halbes Jahrhundert lang mit der Schaffung neuer Staaten aus ehemaligen Kolonien und der Entstehung neuer Staaten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion beschäftigt hatte, konzentriert sich die internationale Gemeinschaft jetzt auf das Auseinanderfallen der Staaten. Der Terminus "gescheiterte Staaten" gehört inzwischen zu unserem Arbeitsvokabular und beschreibt Länder, in denen es keine zentrale Regierung mehr gibt. In einer Studie heißt es dazu: "Das Problem der gescheiterten Staaten hat eine bemerkenswerte Odyssee hinter sich, von der Peripherie der Weltpolitik direkt ins Zentrum."78

Verschiedene Institutionen aus dem Bereich der wirtschaftlichen Entwicklung und der internationalen Angelegenheiten haben die Bedeutung dieses zunehmend alltäglicheren Phänomens erkannt und begonnen, gescheiterte Staaten und solche, die bald scheitern könnten, sowie die Faktoren, die zu diesem Scheitern führen, zu bestimmen. Die Weltbank zum Beispiel hat eine Liste von 30 "Ländern mit geringem Einkommen, die unter starkem Druck stehen" zusammengestellt. Das britische Department for International Development hat aus ähnlichen Gründen die internationale Lage untersucht und 46 Staaten als "wacklig" deklariert. Auf der Liste der CIA stehen 20 Staaten, die dabei sind zu scheitern. Und die neueste Liste ist die gemeinsam vom Fund for Peace und der Carnegie-Stiftung für Internationalen Frieden zusammengestellte, in der 60 Staaten nach "ihrer Anfälligkeit für gewaltsame interne Konflikte" zusammengefasst sind.79

Die Grundlage dieser Analyse, die in Foreign Policy veröffentlicht wurde, bilden zwölf soziale, wirtschaftliche, politische und militärische Indikatoren. Diese Liste der gescheiterten Staaten wird angeführt von der Elfenbeinküste, dicht gefolgt von der Demokratischen Republik Kongo, dem Sudan, dem Irak, Somalia, Sierra Leone, dem Tschad, dem Jemen, Liberia und Haiti. Die nächste Gruppe besteht aus drei Ländern, die in den letzten Jahren häufig in den Schlagzeilen zu finden waren: Afghanistan, Ruanda und Nordkorea.80

78)  Fund for Peace and the Carnegie Endowment for International Peace, "The Failed States Index," Foreign Policy, Juli/August 2005, S. 56-65. 
79)   Ebenda.  80)  Ebenda.

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Unter den ersten 60 Ländern auf der Liste sind auch fünf Erdöl exportierende Länder, darunter die beiden größten Exporteure und Produzenten, Saudi-Arabien (Nr. 45 in der Liste) und Russland (Nr. 59), sowie Venezuela (Nr. 21), Indonesien (Nr. 46) und Nigeria (Nr 54). Außerdem sind mit Pakistan und Russland auch zwei Länder auf der Liste, die über Atomwaffen verfügen.81) 

Die drei wichtigsten Indikatoren, die zur Erstellung der in Foreign Policy veröffentlichten Rangliste herangezogen wurden, waren ungleichmäßige Entwicklung, Verlust der Legitimierung der Regierung und demographischer Druck. Ungleichmäßige Entwicklung bedeutet in der Regel, dass ein kleiner Teil der Bevölkerung immer reicher wird, während der Großteil der Gesellschaft eine stetige Verschlechterung des Lebensstandards hinnehmen muss. Diese Ungerechtigkeit, die oft mit politischer Korruption einhergeht, verursacht Unruhen und kann sogar bis zum Bürgerkrieg fuhren.82

Regierungen, die nicht in der Lage sind, auftauchende Probleme effektiv zu lösen und grundlegende Dienste zu leisten, werden als nutzlos angesehen. Dies führt oft dazu, dass Teile der Bevölkerung sich selbsternannten lokalen Machthabern, sogenannten "Warlords", oder Stammesoberhäuptern bzw. religiösen Führern zuwenden. Ein Verlust der Legitimierung einer Regierung ist ein frühes Zeichen für den Niedergang eines Staates.83

Der dritte wichtige Indikator ist demographischer Druck. In jedem der ersten 20 Länder auf der Liste in Foreign Policy wächst die Bevölkerung sehr schnell an. In vielen der Länder, in denen die Bevölkerung bereits seit mehreren Jahrzehnten rasant zunimmt, sind die Regierungen vom demographischen Druck bereits ermüdet; sie sind unfähig, mit den Problemen des sinkenden Pro-Kopf-Anteils an Anbaufläche und den sinkenden Wasserreserven umzugehen oder schnell genug neue Schulen für die immer größer werdende Menge an Kindern zu bauen.84 Auch das Ausbleiben ausländischer Investitionen und die damit verbundene steigende Arbeitslosigkeit sind Symptome des Niedergangs. Eine frühere Studie von Population Action International zeigt, dass die Zahl der arbeitslosen jungen Männer - eine Zahl, die im Falle der Länder an der Spitze der in Foreign Policy veröffentlichten Liste sehr hoch ist - ein wichtiger Indikator ftir politische Instabilität ist.85

81)  Ebenda.   82)  Ebenda.    83)  Ebenda.    84)  Ebenda.    85)  Richard Cincotta, Robert Engelman und Daniele Anastasion. The Seairity Demop'<ip"tc' - Population and Civil Conflict After tbe Cold War (Washington, DC: Population Action International, 2003).

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Ein weiteres Charakteristikum für Staaten, die zu scheitern drohen, ist eine Verschlechterung der Infrastruktur — Straßen und Energienetze, sowie Wasserversorgung und Abwassersysteme. Auch die Sorge um die natürlichen Systeme findet beim Kampf ums Überleben der Menschen kaum Beachtung. Wälder, Gras- und Kulturflächen verfallen und es entsteht ein wirtschaftlicher Abwärtstrend.86)

Der Zusammenbruch von Recht und Ordnung und ein damit in Zusammenhang stehender Verlust an persönlicher Sicherheit ist einer der auffälligsten Indikatoren für das Scheitern eines Staates. In Haiti beispielsweise haben bewaffnete Gangs die Kontrolle über die Straßen; es ist völlig alltäglich, dass Menschen, die das Glück haben, zu den 30 Prozent der Bevölkerung zu gehören, die in Lohn und Brot stehen, entführt werden, um Lösegeld zu erpressen. In Afghanistan wird das Land außerhalb von Kabul nicht von der Zentralregierung kontrolliert, sondern von regionalen Warlords. Und in Somalia, das inzwischen nur noch auf Karten existiert, herrschen die Stammesführer und jeder von ihnen beansprucht einen Teil dessen, was einst ein Land war.87

In einigen dieser Länder herrscht seit vielen Jahren Bürgerkrieg. In der Demokratischen Republik Kongo, die einen großen Teil des Kongobeckens im Herzen Afrikas einnimmt, gibt es seit sechs Jahren bewaffnete Konflikte, die bereits 3,8 Millionen Todesopfer gefordert und mehrere Millionen Menschen heimatlos gemacht haben. Nach Angaben des International Rescue Committee kommen auf jeden gewaltsamen Tod in diesem Konflikt 62 damit in Zusammenhang stehende nicht gewaltsam verursachte Todesfälle, darunter solche, die durch Verhungern, Atemwegserkrankungen, Diarrhöe und andere Krankheiten ausgelöst wurden.88 Im Umgang mit einigen der potentiellen Auslöser für Instabilität hat die Welt bisher kaum Erfahrung. Wie bereits erwähnt wird es in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara, in denen die Infektionsraten für HIV manchmal bei über 30 Prozent der Gesamtzahl an Erwachsenen liegen, Millionen von Waisenkindern geben. Da die Zahl der Waisenkinder die Versorgungskapazitäten der Gesellschaft schnell übersteigen wird, werden viele von ihnen auf der Straße enden. Nachdem sie ohne elterliche Führung und ordentliche Vorbilder aufwachsen mussten und ihr Verhalten durch den verzweifelten Kampf ums Überleben geprägt sein wird, werden die Waisenkinder zu einer neuen Bedrohung für Stabilität und Fortschritt werden.89)  

86)  Ed Stoddard, "Environment Looms as Major Security Threat," Reuters, 1. März 2004.  
87)  Ciinger Thompson, ,A New Scourge AfHicts Haiti: Kidnappings," New York Times, 6. Juli 2005; Madeleine K. Albright und Robin Cook, "The World Needs to Step It Up in Afghanistan," International Herald Tribttne, 5. Oktober 2004: Desmond Butler, "5-Year Hunt Fails to Net Qaeda Suspect in Africa," New York Times, 14. Juni 2003.  
88)   Abraham McLaughlin, "Can Africa Solve Arrican Problems?" Christian Science Monitor, *• Januar 2005; Marc Lacey, "Beyond the Bullets and Blades," New York Times, 20. März 2005.

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Die internationale Gemeinschaft ist deshalb so besorgt um gescheiterte Staaten, weil sie häufig zum Nährboden für Terrorismus, Drogen- und Waffenhandel und zur Quelle von Flüchtlingsströmen werden. So wurden in Afghanistan nicht nur Terroristen ausgebildet, es wurde während der Besatzung der Alliierten auch schnell zum weltweit führenden Heroinproduzenten und die Flüchtlinge aus Ruanda, darunter Tausende bewaffneter Soldaten, haben mit zur Destabilisierung des Kongo beigetragen. Die Wochenzeitung <The Economist> merkt dazu an: "Ebenso wie ein stark verhaltensgestörter Mensch ist ein gescheiterter Staat nicht nur eine Gefahr für sich selbst, sondern auch für andere um ihn herum." 90

In vielen Ländern versuchen die UNO oder andere internationale Friedensmissionen, den Frieden zu sichern, leider meist erfolglos. Zu den Ländern, in denen UN-Friedenstruppen stationiert sind, gehören die Demokratische Republik Kongo, Sierra Leone und Liberia. Andere Arten multinationaler Friedensmissionen gibt es unter anderem in Afghanistan, Haiti und dem Sudan. Leider bilden diese Friedenstruppen nur zu häufig lediglich einen Tropfen auf den heißen Stein, sie reichen nicht einmal annähernd aus, um eine Stabilisierung zu erreichen.91

Länder wie Afghanistan oder Haiti können heute nur deshalb überleben, weil sie am Tropf der internationalen Gemeinschaft hängen. Die geleistete Wirtschafts­hilfe — und dazu gehören, wie ich erwähnen möchte, auch Lebensmittellieferungen — trägt dazu bei, dass sie überleben können. Doch bisher reicht die Hilfe nicht aus, um die sich gegenseitig verstärkenden Trends des Verderbens aufzuhalten und sie durch staatliche Stabilität und nachhaltigen wirtschaftlichen Fortschritt zu ersetzen.92

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89)  UN AIDS, op. cit. Note 1, S. 191: Angaben zu AIDS-Waisen aus from Children on the Brinß 2004: A Joint Report on tVew Orphan Estimates and a Framework for Actio» (Washington, DC: UNAIDS, UNICEF und USAID, 2004). S, 29.  
90)  "Afghanistan: The Ignored War," in Christy Haivey, Judd Legum und Jonathan Baskin, The Progress Report (Washington, DC: American Progress Action Fund, 2005); McLaughlin, op. cit. Note 82: "A Failing State: The Himalayan Kingdom Is a Gathering Menace," The Economist, 4. Dezember 2004.  
91)  Vereinte Nationen, "United Nations Peacekeeping Operations," erklärende Note auf www un.org/Depis/dpko/dpko/bnote.htm, 30. Juni 2005; Marc Lacey, "Congo Tribal KilSingS Create a New Wave of Refugees," New York Times, 6. März 2005.  
92)  United Nations World Food Programme (WFP), "New Operation Provides WFP Food Aldi to 550.000 Flaitians," Pressemitteilung (Rom: 5. Mai 2005); WFP, "India Hetps WFP Feei Alghan Schoolchildren," Pressemitteilung (Rom: 17. Mai 2005).

 

 

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