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11.  Der Aufbau ökologisch verträglicher Städte 

Brown-2006

 

 

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Vor einigen Jahren war ich zu einer Konferenz in Tel Aviv und als man mich eines Tages von meinem Hotel zu einem Konferenzzentrum fuhr, kam ich nicht umhin festzustellen, wie unglaublich viele Autos und Parkplätze es dort gab. Die Entwicklung Tel Avivs, das sich innerhalb von 50 Jahren von einer kleinen Siedlung in eine Stadt mit etwa drei Millionen Einwohnern verwandelt hatte, fand in erster Linie während des Autozeitalters statt. Plötzlich kam mir der Gedanke, dass das Verhältnis zwischen Parks und Parkplätzen in einer Stadt der beste Indikator dafür sein könnte, wie lebenswert das Leben in einer Stadt ist und ob diese Stadt eher auf Autos oder auf Menschen ausgelegt ist.1)

Weltweit haben die Städte überall große Probleme. In Mexiko-Stadt, Teheran, Bangkok, Shanghai und Hunderten anderer Städte nimmt die Qualität des alltäglichen Lebens stetig ab. In einigen Städten ist das Einatmen der Luft dort in etwa so, als rauche man täglich zwei Schachteln Zigaretten. In den Vereinigten Staaten steigt die Anzahl der Stunden, die Pendler damit verbringen, sich nirgendwohin zu bewegen, sondern statt dessen auf vom Verkehr verstopften Straßen und Highways festzustecken, jedes Jahr weiter an — und mit ihnen steigt die Frustration darüber.2) 

Als Reaktion auf diese Umstände ist derzeit die Entstehung eines neuen Stadtgefühls zu verzeichnen. Eine der bemerkenswertesten Veränderungen im städtischen Bereich gab es in Bogota in Kolumbien, wo Enrique Penalosa drei Jahre lang Bürgermeister war. Als er 1998 das Amt übernahm, stellte er sich nicht die Frage, wie man das Leben der 30 Prozent der Einwohner, die ein Auto besaßen, verbessern könnte; er wollte wissen, was man für die 70 Prozent — und damit für die Mehrheit der Einwohner — tun kann, die kein Auto hatten.3)   

1)  Vereinte Nationen, World Urbanization Prospects: The 2003 Revision (New York: 2004), S. 129. 
2)  Christopher Flavin, "Hearing on Asia's Environmental Challenges: Testimony of Christoph« Flavin," Committee on International Relations, US-Repräsentantenhaus. Washington, DC, 22. September 2004; David Schrank und Tim Lomax, 2005 Urbati Mobilhy Study (College Station, TX: Texas Transportation Institute, Mai 2005), S.1. 
3)  Susan Ives, "The Politics of Happiness," Trust for Public Land, 9. August 2002; Lisa Jones, ,A Tale of Two Mayors: The Improbable Story of How Bogota, Colombia, Became Somewhere You Might Actually Want To Live," Grist Magazine, 4. April 2002.


Penalosa erkannte, dass eine Stadt, in der sich Kinder und ältere Menschen wohlfühlen, für jedermann ein angenehmer Wohnort wäre. Innerhalb weniger Jahre gelang es ihm dank seiner Vision von einer Stadt, die auf die Bedürfnisse der Menschen ausgerichtet ist, die Lebensqualität deutlich zu verbessern. Unter seiner Führung wurde es verboten, in der Stadt auf Fußwegen zu parken, es wurden 1.200 Parks geschaffen oder saniert, ein sehr erfolgreiches Schnelltransportsystem auf Busbasis eingerichtet, Hunderte Kilometer Radwege und Fußgängerstraßen angelegt, das Verkehrsaufkommen zur Rush Hour um 40 Prozent gesenkt und 100.000 Bäume gepflanzt. Außerdem band er die Einwohner der Stadt direkt mit ein in die Verbesserungen in ihren Wohngegenden. Dadurch pflanzte er den acht Millionen Bürgern der Stadt einen besonderen Stolz auf ihre Stadt ein, wodurch die Straßen von Bogota, einer Stadt in einem sehr unruhigen Land, sicherer wurden als die von Washington, D.C.4

Enrique Penalosa bemerkt dazu: „qualitativ hochwertiger öffentlicher Raum für Fußgänger ganz allgemein und Parks im Besonderen sind ein Beweis für eine funktionierende Demokratie." Weiter sagt er: „Parks und öffentlicher Raum sind auch deshalb wichtig für eine Demokratie, weil sie der einzige Ort sind, an dem die Menschen einander auf gleicher Stufe begegnen ... Parks sind ebenso wichtig für die körperliche und emotionale Gesundheit einer Stadt wie die Wasserversorgung." Er merkt an, dies sei aus den Haushalten vieler Städte nicht erkennbar, da dort Parks häufig als Luxus gelten. Im Gegensatz dazu „werden den Straßen, dem öffentlichen Raum für Autos, unendlich viel mehr Ressourcen zugebilligt und sie müssen weitaus weniger Budgetkürzungen hinnehmen als der öffentliche Raum für Kinder. Warum," so fragt er, „ist der öffentliche Raum für Autos wichtiger als der für Kinder?"5

Enrique Penalosa ist mit seiner neuen Philosophie für die Städte nicht allein. Die Reformen, die er in Bogota initiiert hat, werden von seinem Nachfolger Antanas Mockus fortgesetzt. Inzwischen experimentieren Regierungsplaner überall auf der Welt und suchen nach Wegen, die Städte so zu gestalten, dass sich die Menschen darin wohlfühlen, nicht die Autos. Autos bieten Mobilität, vor allem in ländlichen Gegenden. Doch in einer Welt, in der immer mehr Menschen in Städten leben, gibt es zwangsläufig einen Konflikt zwischen Städten und Autos. 

 

4)  Enrique Penalosa, „Parks for Livable Cities: Lessons f'rom a Radical Mayor," Hauptrede auf der Urban Parks Instirute's Great Parks/Great Cicies Conference (Chicago: 30. Juli 2001); Ives, op. cit. Note 3; Jones, op. cit. Note 3; Claudia Nanninga, „Energy Efficient Transport-A Solution for China," Voices af Grassroots, November 2004.  
5)  Penalosa, op. cit. Note 4.

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Mit inzwischen darauf angewiesen, Wasser in 150 Kilometer Entfernung sehr teuer zu pumpen und es einen Kilometer oder mehr in die Höhe zu befördern. Und Peking plant, Wasser aus dem fast 1.500 Kilometer entfernten Jangtsebecken zu beziehen.11)  

Lebensmittel kommen oft von noch weiter entfernten Orten, wie sich am Beispiel von Tokio zeigt. Während der Reisbedarf Tokios nach wie vor durch die höchst produktiven Reisbauern Japans gedeckt werden kann, deren Land durch die Politik der Regierung sorgfältig geschützt ist, kommt der Weizen größtenteils aus den nordamerikanischen Great Plains oder aus Australien, der Mais größtenteils aus dem Mittleren Westen der USA und die Sojabohnen ebenfalls entweder aus dem Mittleren Westen oder aus dem brasilianischen Cerrado.12

Das Erdöl, das einen Großteil der Energie liefert, mit deren Hilfe Ressourcen in die Städte hinein oder heraus transportiert werden, stammt häufig von weit entfernt liegenden Ölfeldern. Steigende Ölpreise werden einen Einfluss auf die Städte haben, doch die Vororte, die sich rund um viele Städte gebildet haben, werden noch weitaus stärker davon betroffen sein.

Allgemein wird davon ausgegangen, dass die Urbanisierung weitergehen wird, doch das muss nicht unbedingt sein. Die zunehmende Wasserknappheit und die hohen Energiekosten für den Transport von Wasser über große Entfernungen könnten das weitere Wachstum der Städte bald einschränken. In China gibt es zum Beispiel bereits etwa 400 Städte, die schon jetzt mit dem Problem eines chronischen Wassermangels konfrontiert sind.13

Vor diesem Hintergrund sagt Richard Register, der Autor von Ecocities: Building Cities in Balance with Nature, es sei an der Zeit, die Gestaltung von Städten völlig neu zu überdenken. Er stimmt mit Penalosa darin überein, dass Städte auf Menschen, nicht auf Autos ausgerichtet sein sollten. Doch er geht sogar noch weiter und spricht von Fußgängerstädten — Gemeinden, die so angelegt sind, dass die Menschen dort keine Autos benötigen, weil sie die meisten Orte zu Fuß erreichen oder aber öffentliche Verkehrmittel benutzen können.14

 

11)  Angaben zu Los Angeles aus Sandra Postel, Last Oasis. überarbeitete Ausgabe (New York: W.\V. Norton & Company, 1997), S. 20; Angaben zu Mexiko-Stadt aus joel Simon, Endangered Mexico (San Francisco, CA: Sierra Club Books, 1997); „Beijing Residente to Drink Water from Yangtze," Xinhua Nexus Agency, 12. Mai 2005.  
12)  U.S. Department of Agriculture, Foreign Agricultural Service, Grain: World Markets and
Trade and Oilseeds: World Markets and Trade (Washington, DC: mehrere Ausgaben).  
13)  "China Faces Water Shortage of 40 Billion Cubic Meters Every- Year," Agence France-Presse< 28. Dezember 2004.  
14)  Richard Register, „Losing the World, One Environmental Victory at a Time - - And a Wayt0 SolveThat Problem," Essay (Oakland, CA: Ecocity Builders, Inc., 31. August 2005); Richard Register, Ecocities: Building Cities in Balance with Nature (Berkeley. CA.: Berkeley Hill Books, 2002). 

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Register ist auch der Ansicht, man sollte eine Stadt nicht in Bezug auf ihre einzelnen Teile als funktionierendes System betrachten, sondern in Bezug auf das Ganze. Er argumentiert überzeugend, dass Städte den lokalen Ökosystemen nicht übergestülpt werden sollten, sondern in sie eingegliedert.15

Stolz beschreibt er, wie die nördlich von Los Angeles gelegene kalifornische Stadt San Luis Obispo mit ihren 50.000 Einwohnern erfolgreich in das lokale Ökosystem eingegliedert wurde: „[Sie] verfügt über ein wundervolles Projekt zur Wiederherstellung eines Flüsschens, ein paar Straßen und Passagen, die direkt durch Gebäude führen, an denen Geschäfte liegen und die direkt mit der Haupteinkaufsstraße der Stadt verbunden sind, und die Menschen lieben es. Vor der Schließung einer Straße, der Umwandlung eines Parkplatzes in einen Park, der Wiederherstellung des Flüsschens und der Schaffung eines leichten Zugangs von der Hauptstraße zum „Natur"-Korridor — dem Flüsschen — standen 40 Prozent der Läden im Stadtzentrum frei, jetzt kein einziger mehr. Natürlich mögen die Leute das. Man sitzt in einem Restaurant am Flüsschen ... wo eine frische Brise durch die Bäume streift, in einer Welt ohne Autolärm und höllische Auspuffabgase." Rund um San Luis Obispo gibt es sowohl naturbelassene Landschaft als auch landwirtschaftliche Flächen.16

Für Richard Register sollte sich die Gestaltung der Städte und ihrer Gebäude in die Landschaft vor Ort einfügen und die ökologischen Möglichkeiten vor Ort nutzen. So werden beispielsweise Gebäude so geplant, dass sie soweit wie möglich durch natürliche Quellen beheizt und gekühlt werden können. An späterer Stelle in diesem Kapitel werde ich darlegen, wie Städte größtenteils mit wiederaufbereitetem Wasser auskommen können, das gereinigt und immer wieder verwendet wird. Das System, bei dem das Wasser einfach herunter gespült wird und dann auch schon vergessen ist, wird nach dem Ende des Erdölzeitalters für viele Städte, die über zu wenig Wasser verfügen, zu kostspielig werden. Wenn die Ölpreise steigen, wird sich die Lebensmittelproduktion für die Städte, besonders frisches Obst und Gemüse, auf unbesetzte Grundstücke und auf die Dächer der Häuser ausdehnen.17

 

15)  Register, „Losing the World," op. cit. Note 14. 
16)  Register, „Losing the World," op. cit. Note 14,; Schätzungen der Bevölkerung für 2003 aus U.S. Census Bureau, „San Luis Obispo (cit)'), California," Datenblatt, auf quidffacts.
census.gov/ qfd/states/06/0668154.html, überarbeitet 29- September 2005. 
17)  Register, „Losing the World," op. cit. Note 14. 

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In den nächsten Jahren könnte der Prozess der Urbanisierung sich verlangsamen oder sich sogar umkehren. In einer Welt, in der Land, Wasser und Energie immer knapper werden, könnte der Wert jeder dieser Ressourcen sich deutlich erhöhen, so dass sich die Bedingungen für den Handel zwischen Stadt und Land wieder zugunsten der ländlichen Gegenden verschieben. Seit Beginn der Industriellen Revolution lag der Vorteil stets bei den Städten, weil sie die Kontrolle über die knappen Ressourcen - das Kapital und die Technologien — hatten. Wenn nun aber Land und Wasser zu den am wenigsten vorhandenen Ressourcen werden, dann könnten diejenigen ländlichen Gegenden, die die Kontrolle darüber haben, gelegentlich die Oberhand gewinnen. In der neuen Wirtschaft, die auf erneuerbaren Energien basiert, wird der allergrößte Teil der benötigten Energie, besonders im Bereich der Windenergie und der Biokraftstoffe, in den ländlichen Gegenden erzeugt werden.18

Neben dem Mangel an Ressourcen könnte auch die Entwicklung des Internets, das unser Denken in Bezug auf Entfernungen und Mobilität beeinflusst, Einfluss auf den Prozess der Urbanisierung haben. Unter anderem könnten auch die Möglichkeiten zur Telearbeit den Vorteil eines Lebens in der Stadt schmälern, und der Internethandel, der mehr Möglichkeiten bietet als jedes Einkaufszentrum, könnte die Bedeutung städtischer Einkaufszentren als Quelle eines breiten Spektrums an Waren und Dienstleistungen ebenfalls sinken lassen.

 

Die Neuplanung des Stadtverkehrs

Städtische Verkehrssysteme, die auf einer Kombination aus Bahnlinien, Buslinien, Rad- und Fußwegen basieren, bilden die beste aller Möglichkeiten in Bezug auf Mobilität, preiswerten Transport und eine gesunde Stadtumgebung. Wenn es um Mobilität geht, greifen Megastädte gern auf Bahnsysteme zurück. Ob es sich um U-Bahn-Netze, oberirdische Stadtbahnnetze oder eine Kombination aus beidem handelt, hängt von der Größe der Stadt und den geographischen Gegebenheiten ab. Für mittelgroße Städte sind Stadtbahnnetze oft die günstigste Option. Ein Bahnnetz bietet eine gute Grundlage für das Transportsystem einer Stadt. Schienen sind geographisch fixiert und bieten den Menschen eine beständige, zuverlässige Möglichkeit zum Transport. Wenn derartige Schienensysteme einmal eingerichtet sind, werden die Knotenpunkte des Systems schnell zu Orten, an denen sich verstärkt Bürogebäude, Wohnhochhäuser und auch Geschäfte konzentrieren.

 

18)  Weitere Informationen zur Energiewirtschaft siehe Kapitel 2 und 10.

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Wie bereits angemerkt sind einige der innovativsten öffentlichen Verkehrssysteme, mit deren Hilfe eine große Anzahl von Menschen dazu gebracht wurde, von Autos auf Busse umzusteigen, in Curitiba und Bogota entwickelt worden. Man versucht nicht nur in sechs anderen Städten in Kolumbien, den Erfolg des Schnellbussystems TransMi-lenio in Bogota zu kopieren, das auf speziellen Expressbuslinien beruht, mit deren Hilfe die Menschen sehr schnell durch die Stadt geschleust werden, sondern auch in anderen Städten der Welt, darunter Peking, Mexiko-Stadt, Sao Paulo, Seoul, Taipeh und Quito. Außerdem planen noch mehrere andere Städte in Afrika und in China die Einführung eines Schnellbussystems und sogar Städte in Industrieländern, wie Ottawa und - sehr zur Freude aller - Los Angeles, denken darüber nach.19

Viele Städte versuchen, der Verstopfung der Straßen durch den Verkehr dadurch Herr zu werden, dass sie Gebühren erheben, wenn jemand sein Auto in die Stadt bringt. Singapur, das lange führend war bei Innovation im Bereich des städtischen Verkehrs, erhebt auf allen Straßen, die ins Stadtzentrum führen, Abgaben. Elektronische Sensoren erfassen jedes Auto und belasten anschließend die Kreditkarte des Besitzers. Durch dieses System konnte die Zahl der Autos in Singapur stark gesenkt werden, wobei die Einwohner der Stadt insgesamt mobiler sind und die Luft in der Stadt sauberer ist, als dies in den meisten anderen Städten der Fall ist.20

Auch London und mehrere Städte in Norwegen, darunter Oslo, Bergen und Trondheim, sind dem Beispiel Singapurs gefolgt. In London, wo die Geschwindigkeit, mit der sich ein Auto innerhalb der Stadt bewegen konnte, noch vor wenigen Jahren etwa der einer Pferdekutsche aus dem vergangenen Jahrhundert entsprach, hat man Anfang 2003 eine Staugebühr erhoben. Nachdem nun jeder, der zwischen 7 Uhr und 18.30 Uhr mit seinem Fahrzeug ins Stadtzentrum fahren wollte, 5 £ zahlen musste, sank die Zahl der Fahrzeuge praktisch sofort, wodurch gleichzeitig der Verkehrsfluss verbessert und die Luftverschmutzung sowie die Lärmbelästigung gesenkt werden konnten.21

 

19)  Jay Walljasper, „Unjamming che Future," Ode, Oktober 2005, S. 36-41.  
20)  Molly O'rvleara Sheehan, „Making Better Transportation Choices," in Lester R. Brown et al., State ofthe World 2001 (New York: W.W. Norton & Company, 2001), S. 116.
21)  William D. Eggers, Peter Samuel und Rune Munk, Combating Gridlock: Haut Pricing Rand Use Can Eme Congcstion (New York: Deloitte, November 2003); Tom Miles, „London Drivets to Pay UKs First Gongestion Tax," Reuters, 28. Februar 2002; Randy Kennedy, »The Day The Traffic Disappeared," New York Times Magazine, 20. April 2003, S. 42-45.

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Allein im ersten Jahr nach der Einführung der neuen Abgabe stieg die Zahl derer, die zur Fahrt ins Stadtzentrum auf Busse umstiegen, um 38 Prozent und die Zahl der Fahrzeuge, die täglich ins Stadtzentrum strömen, sank seit Einführung der Abgabe um 65.000 bis 70.000, und damit um 18 Prozent, während Verzögerungen im Verkehrsverlauf um 30 Prozent zurückgingen. Die Zahl der Motorräder und Fahrräder stieg um 17 Prozent und die Durchschnittsgeschwindigkeit der Autos auf den wichtigen Durchgangsstraßen der Stadt ist um 21 Prozent von etwa 14 Kilometern pro Stunde auf etwa 17 Kilometer pro Stunde stieg.22

Entgegen den befürchteten Profiteinbußen haben 65 Prozent der Geschäfte im Londoner Stadtzentrum keinerlei Auswirkungen auf ihre Gewinne feststellen können. Ein sehr großer Teil der Londoner Geschäftsleute ist der Ansicht, das verminderte Verkehrsaufkommen habe sich positiv auf das Image der Stadt ausgewirkt. In Cardiff überlegt man derzeit, in naher Zukunft eine ähnliche Gebühr einzuführen und auch andere Städte, darunter Stockholm, Säo Paulo, San Francisco, Mailand und Barcelona ziehen es in Erwägung. In Frankreich wird überlegt, eine solche Staugebühr einzuführen, um der schrecklichen Luftverschmutzung in Paris Herr zu werden. Dieser höchst erfolgreiche Einsatz von Gebühren zur Umstrukturierung städtischer Verkehrssysteme wird in Kapitel 12 im Zusammenhang mit der Neu-strukturierung der gesamten Wirtschaft nochmals aufgegriffen werden.23

 

22)  Angaben zu London, Central London Congestion Charging: Impacts Monitoring - Third Annuai Report (London: 2005). S. 1; Angaben zu London, Central. London Congestion Charging: Impacts Monitoring - Second Annuai Report (London: April 2004), S. 2, 4, 13; Angaben zu London, Impacts Monitoring Programme: First Annuai Report (London: 2003), S, 52; Angaben zu Fahrrädern und Motorrädern aus Daten zu London zitiert in Blake Shaffer und Georgina Santos, Preliminary Results ofthe London Congestion Charging Schenie (Cambridge, GB: 2003), S. 22.  
23)  „Cardiff Congestion Charge Looming," BBC News, 12. Juli 2005; Juliette Jowit, „Congestion Charging Sweeps The World - A Rash Of Cities Round The Globe Is Set To Travel The Same Road as London," Guardian (London). 15. Februar 2004; Rache! Gordon, „Londons Traffic Tacric Piques Interest in S.F. - Congestion Eased by Making Drivers Pay to Traverse Busiest Areas at Peak Times," San Francisco Chronica, 4. Juni 2005; Andy Moore und John Lamb, „Congestion Charging," SEPA View (Scottish Environmental Protection Agency), Nr. 18 (Winter 2004); Verkehrsalternativen aus London Businesses Still Back Congestion Charging, Pressemitteilung (New York: 4. September 2003); Jim Motavalli, „Climate for Orange: England Gets Serious About Global Warnung," E: The Environmental Magazine, Mai-Juni 2005; „Swedish Government Approves Congestion Tax for Stockholm on Trial Basis,", 29. April 2005-

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Auch Fahrräder sind als Verkehrsmittel sehr attraktiv. Sie verringern die Gefahr von Verkehrsstaus, tragen zur Reduzierung der Luftverschmutzung bei, sind ein Mittel zur Bekämpfung der Fettsucht, erhöhen die körperliche Fitness, sondern kein klimaschädigendes Kohlendioxid ab und haben einen Preis, der für Milliarden von Menschen, die sich kein Auto leisten können, erschwinglich ist. Fahrräder erhöhen auch die Mobilität, während sie gleichzeitig die Gefahr von Staus und die zu betonierende Fläche an Land verringern. Normalerweise verbrauchen sechs Fahrräder etwa soviel Platz auf der Straße wie ein Auto. In Bezug auf das Parken ist der Vorteil bei Fahrrädern noch größer, weil auf der Fläche, die für einen Autoparkplatz benötigt wird, 20 Fahrräder Platz finden.24

Doch das Fahrrad ist nicht nur ein sehr flexibles Transportmittel, es bietet auch eine sehr gute Möglichkeit, ein Gleichgewicht zwischen der Menge der aufgenommenen und der verbrannten Kalorien herzustellen. Die Möglichkeit zur körperlichen Betätigung ist an sich schon wertvoll. Regelmäßiger Sport wie beim Fahrradfahren zur Arbeit senkt die Gefahr für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Osteoporose und Arthritis und stärkt das Immunsystem. Millionen von Menschen geben jeden Monat Geld fürs Fitnesscenter aus, in das sie häufig mit dem Auto fahren, und versuchen dort, durch das Training auf Trimmrädern denselben Effekt zu erzielen.

Nur wenige Methoden zur Senkung der Kohlenstoffemissionen sind so effektiv wie das Umsteigen von Autos auf Fahrräder bei kurzen Strecken. Ein Fahrrad ist ein Wunder an technischer Effizienz. Eine Investition von 13 Kilogramm Metall und Gummi lässt die individuelle Mobilität um ein dreifaches steigen. Auf meinem Fahrrad kann ich geschätzte 11 Kilometer pro gegessener Kartoffel zurücklegen. Im Vergleich dazu ist ein Auto, das ein bis zwei Tonnen an energiespendendem Material benötigt, um auch nur eine Person transportieren zu können, außerordentlich ineffizient.

In China haben sich die Kapazitäten des Fahrrades zur Erhöhung der Mobilität bei Menschen mit geringem Einkommen eindrucksvoll gezeigt. 1976 wurden in China sechs Millionen Fahrräder produziert. Nach den Reformen des Jahres 1978, die ein rasantes Wirtschaftswachstum, einen deutlichen Anstieg der Einkommen und die Entstehung einer Marktwirtschaft zur Folge hatten, in der die Menschen ihren Vorlieben nachgeben konnten, stieg die Produktion von Fahrrädern massiv an und erreichte 1988 einen Stand von 40 Millionen Fahrrädern pro Jahr. Nachdem der Markt größtenteils gesättigt war, sank die Produktion etwas und hielt sich in den 90er Jahren konstant zwischen 30 und 40 Millionen pro Jahr. Seit 1999 ist die Produktion

 

24)  O'Meara, op. cit. Note 6. S. 45.

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wieder gestiegen und erreichte im Jahr 2004 einen Stand von 79 Mil- 1 Honen produzierten Fahrrädern. Der enorme Anstieg auf 545 Millio- 1 nen Besitzer von Fahrrädern in China seit 1978 führte zur massivsten Erhöhung der Mobilität in der Geschichte der Menschheit. Inzwischen sind die Straßen in den Städten und auf dem Land voll mit Fahrrädern und obwohl die sieben Millionen Autos in China besonders in den größeren Städten starke Beachtung finden, haben doch die Fahrräder den größten Anteil an der persönlichen Mobilität der Menschen.25

In vielen Städten werden Fahrräder inzwischen zu den verschiedensten Zwecken eingesetzt. In den Vereinigten Staaten gibt es in 80 Prozent der Polizeireviere, die für 50.000 bis 249.999 Menschen zuständig sind, und in 96 Prozent der Reviere, die für mehr als 250.000 Menschen zuständig sind, Routinepatrouillen mit dem Fahrrad. Polizisten auf Fahrrädern sind in Städten teilweise deswegen produktiver, weil sie mobiler sind und einen Unfallort oder einen Tatort schneller erreichen können als ihre Kollegen in den Polizeiwagen und dabei weniger Aufsehen erregen. In der Regel tätigen sie 50 Prozent mehr Verhaftungen pro Tag als Polizisten in Streifenwagen. Und da offizielle Stellen stets besorgt sind wegen der Ausgaben, sei hier gesagt, dass die Kosten für die Erhaltung eines Fahrrades im Vergleich zu denen für einen Streifenwagen geradezu lächerlich sind.26

In den großen Städten weltweit sind Fahrradkuriere inzwischen ein alltäglicher Anblick. Innerhalb von Städten liefern sie kleine Sendungen schneller aus, als es mit dem Auto möglich wäre und sind dabei weitaus preiswerter. Mit der Ausweitung der Informationswirtschaft und des elektronischen Handels nimmt der Bedarf an schnellen, zuverlässigen Kurierdienstleistungen in Städten rasant zu. Für viele Internetmarketingfirmen, die im ständigen Konkurrenzkampf miteinander stehen,

 

25) Fahrradproduktion in China aus Vereinte Nationen, The Grotvth of World Industry: 1969 Edition, Vol. 1 (New York: 1970), aus Yearhook ofIndustriell Statistics (New York: mehrere Jahre) und aus Industriell Commodity Statistics Yearhook (New York: mehrere Jahre): „World Market Report," Interbike Directory (Laguna Beach, CA: Miller-Freeman, mehrere Jahre); „Chinas Bicycle Output to Stabilize Unril 2008," GlobalSources, 5. August 2005; Angaben über 143 Fahrräder für 100 Haushalte im Jahr 2002 aus „China Ends 'Bicycle Kingdom As Embracing Cars," China Daily, 11. November 2004; Angaben über 339 Personen pro Haushalt im Jahr 2002 aus „Chinese Families Shrinkmg in Size," China Today, August 2005; Bevölkerungszahl China 2002 aus Vereinte Nationen, World Population Prospects: The 2004 Revision, op. cit. Note 9; Autos in China aus Ward's Communications, Ward's World Meter Vehicle Data 2004(Southfield, MI: 2004), S. 16.  
26)  Anzahl der Polizeikräfte in Matthew Hickman und Brian A. Reaves, Local Police Departments 1999 (Washington, DC: U.S. Department of Justice, Bureau of Justice Statistics, 2001h Angaben über Verhaftungen aus einem Gespräch mir einem Mitglied der Polizei v°!1 Washington. DC.

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ist eine schnelle Auslieferung entscheidend bei der Kundengewinnung und in einer Stadt wie New York sind Fahrradkuriere die optimale Lösung. In New York City gibt es geschätzte 300 Fahrradkurierdienste, die um Aufträge im Wert von 700 Millionen Dollar jährlich konkurrieren. In Großstädten wird das Fahrrad zum integralen Bestandteil der Stützsysteme für den elektronischen Handel.27

Der Schlüssel zur vollständigen Nutzung des Potentials des Fahrrades liegt in der Schaffung eines fahrradfreundlichen Verkehrssystems. Dazu gehört die Bereitstellung von Radwegen extra Fahrradspuren auf den Straßen. Diese sollten so angelegt sein, dass sie sowohl für Pendler als auch für Hobbyradfahrer nützlich sind. Außerdem kann die Benutzung von Fahrrädern durch die Bereitstellung von Abstellmöglichkeiten und Möglichkeiten zum Duschen an den Arbeitsplätzen gefördert werden. Unter den Industrieländern sind Holland, Dänemark und Deutschland führend bei der Schaffung fahrradfreundlicher Verkehrssysteme.28

Die Niederlande, die unter den Industrieländern die unangefochtene Führung bei der Förderung der Nutzung von Fahrrädern innehaben, haben ihre Vision von der Rolle des Fahrrades in ein Fahrradgesamtkonzept integriert. Neben der Schaffung von Fahrradspuren und Radwegen in allen Städten des Landes gewährt dieses System den Radfahrern auch häufig Vorteile gegenüber den Autofahrern, wenn es um die Vorfahrt und um die Ampelschaltungen geht. An einigen Ampeln können die Radfahrer bereits früher losfahren als die Autofahrer, die in derselben Richtung unterwegs sind. In den Niederlanden werden etwa 30 Prozent aller Fahrten innerhalb von Städten mit dem Fahrrad erledigt — im Vergleich zu nur einem Prozent in den USA.29

Spanien, eines der letzten Länder, die auf den Fahrrad-Zug aufgesprungen sind, hat 1993 damit begonnen, stillgelegte Bahnstrecken in Wanderwege umzuwandeln. Zu den 52 neuen „grünen Wegen"30 gehören auch 1.300 km Radwanderwege quer durch das ganze Land.31

In den Niederlanden ist eine Nichtregierungsorganisation namens Interface for Cyding Expertice (I-ce) gegründet worden, um die Erfahrungen der Niederlande mit der Schaffung eines modernen Verkehrssystems,

 

27)  Glenn Coliins, „Old Form of Deliverv Thrives in New World of E-Commerce," New York Times, 24. Dezember 1999.  
28)  O'Meara, op. cit. Note 6, S. 47-48.  
29)  Ebenda.
30)  Anm. d. Übers.: spanisch: Vfas Verdes
31)  Spanish Railway Foundation, „Spanish Greenways Programme," Yias Verdes Webseite, auf www.ffe.es/viasverdes/programme.htm, angesehen 10. August 2005.

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in dem Fahrräder eine wichtige Rolle spielen, an andere weiterzugeben. I-ce arbeitet mit anderen Gruppen in Brasilien, Kolumbien, Ghana, Indien, Kenia, Südafrika, Sri Lanka, Tansania und Uganda zusammen, um dort die Nutzung von Fahrrädern zu fördern. Roelöf Wittink, der Direktor von I-ce, sagt: „Wenn man die Pläne nur auf Autos auslegt, dann fühlen sich die Autofahrer als Könige der Straße. Das verstärkt noch die Einstellung, dass Fahrradfahren rückständig ist und Fahrräder nur von armen Menschen benutzt werden. Doch wenn man die Fahrräder gleich mit in den Plan einbezieht, beeinflusst das auch die Einstellung der Menschen."32

Sowohl die Niederlande als auch Japan haben organisierte Bemühungen unternommen, Fahrräder und Schienenpendlerdienste miteinander zu verbinden, indem man in der Nähe von Bahnstationen Abstellmöglichkeiten für Fahrräder geschaffen hat, so dass Radfahrer bequem zu ihren Pendlerzügen gelangen und dort umsteigen können. In Japan werden inzwischen so viele Fahrräder für den Weg zu den Pendlerzügen benutzt, dass einige Bahnhöfe jetzt in vertikale Abstellmöglichkeiten für Fahrräder mit mehreren Ebenen investiert haben, ähnlich wie es oft für Autos gemacht wird.33

Die Kombination aus Schienentransport und Fahrrad, und besonders ihre Integration in ein einziges umfassendes Verkehrssystem, macht das Leben in einer Stadt sehr viel lebenswerter als ein System, das praktisch ausschließlich auf Autos ausgerichtet ist. Lärm, Schmutz, Staus und Frustration, all das wird vermindert - und sowohl wir als auch unsere Welt sind gesünder.

 

Gärtnern in der Stadt

Als ich im Herbst 1974 in einem Vorort von Stockholm an einer Konferenz teilnahm, kam ich bei einem Spaziergang an einem Gemeinschaftsgarten in der Nähe eines Wohnhochhauses vorbei. Es war ein idyllischer Spätsommernachmittag und viele Menschen arbeiteten in ihrem Garten, der sich ganz in der Nähe ihrer Wohnung befand. Mehr als 30 Jahre später kann ich mich immer noch genau an die Situation erinnern und an die Aura der Zufriedenheit, die diese Menschen bei der Arbeit in ihrem Garten umgab. Es waren fast alles ältere Menschen,

 

32)  Walljasper, op. eil. Note 19.  
33)  O'Meara, op. cit. Note 6, S. 47—48; Angaben über Japan aus persönlicher Erfahrung des Autors.

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sie waren völlig in ihre Arbeit versunken und sie pflanzten nicht nur Gemüse an, sondern auch Blumen. Ich erinnere mich noch, wie ich dachte: „Das ist der Beweis, dass dies eine zivilisierte Gesellschaft ist."

Im Juni 2005 berichtete die Food and Agriculture Organisation der UNO, dass urbane und peri-urbane Gärten — Gärten direkt in den Städten oder in unmittelbarer Nähe der Städte - etwa 700 Millionen Stadtbewohner weltweit mit Lebensmitteln versorgen. Dabei handelt es sich meist um kleine Gartenflächen: unbebaute Parzellen, Höfe und sogar Dächer.34

In der Nähe der Stadt Daressalam, der Hauptstadt von Tansania, gibt es etwa 650 Hektar Land, auf denen Gemüse angebaut wird. Dadurch wird nicht nur die Stadt mit Frischwaren versorgt, das Land bietet auch 4.000 Bauern, die das ganze Jahr über ihre kleinen Parzellen intensiv bearbeiten, eine Lebensgrundlage. Am äußersten Ende des Kontinents, in Dakar im Senegal, produzieren die Stadtbewohner im Rahmen eines Projekts der FAO jährlich bis zu 30 Kilogramm Tomaten pro Quadratmeter durch die dauerhafte Bepflanzung von Gärten auf Hausdächern.35

In Hanoi stammen 80 Prozent des frischen Gemüses von Farmen in dei> Stadt und der direkten Umgebung. Diese städtischen Farmen produzieren auch 50 Prozent des in der Stadt verbrauchten Schweinefleischs und Geflügels. Die Hälfte des Süßwasserfisches, der in der Stadt verzehrt wird, wird durch aufstrebende Fischfarmen in der Stadt produziert und 40 Prozent des Bedarfs an Eiern in der Stadt oder in der direkten Umgebung. Städtische Bauern recyceln auf fast schon geniale Weise die menschlichen und tierischen Abfälle, indem sie damit ihre Pflanzen und ihre Fischteiche düngen.36

Die Menschen in den Feuchtgebieten im Osten von Kalkutta in Indien bewirtschaften Fischteiche, die mit Abwasser betrieben werden und eine Fläche von fast 3.500 Hektar bedecken. Das Abwasser der Stadt wird in Teichen aufgefangen und durchläuft verschiedene Stufen, in denen der organische Abfall durch Bakterien zersetzt wird. Dadurch wird dann das Wachstum der Algen beschleunigt, die die Nahrungsgrundlage für verschiedene Arten dort lebender Fische bilden. Mit Hilfe dieses Systems wird die Stadt regelmäßig mit Fisch versorgt und die Qualität des Fisches ist deutlich höher als die anderer Fische, die in Kalkutta auf den Markt kommen.37

 

34)   „Farming in Urban Areas Can Boost Food Security," FAO-Newsroom, 3. Juni 2005.  
35)  Ebenda. ' 
36)  Jac Smit, „Urban Agriculture's Contribution to Sustainable Urbanisation," Urban Agriculture, August 2002, S. 13. 37 - Ebenda.

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In der Zeitschrift Urban Agriculture wird berichtet, dass in Shanghai rund um die Stadt tatsächlich eine Nährstoffrecyclingzone eingerichtet wurde. Um genug Fläche für das Recycling der Exkremente der Stadt zu haben, wurden die Stadtgrenzen ausgedehnt und schließen jetzt auch 300.000 Hektar des umliegenden Ackerlandes mit ein. Dieses Land liefert 60 Prozent des in dieser riesigen Stadt verbrauchten Gemüses. Die Hälfte des in Shanghai verzehrten Schweinefleisches und Geflügels und 90 Prozent des Bedarfs an Milch und Eiern stammen aus dem erweiterten Stadtgebiet oder den umliegenden Regionen.38

In Caracas in Venezuela sind im Rahmen eines von der Regierung finanzierten und von der FAO unterstützten Projekts in den Barrios39 der Stadt 4.000 Minigärten von jeweils einem Quadratmeter Größe geschaffen worden, wobei viele dieser Gärten nur wenige Schritte von den Küchen der Familien entfernt sind. Sobald eine Saat reif ist, wird sie geerntet und es wird sofort neu angepflanzt. Bei dieser ständigen Bebauung kann jeder Quadratmeter 330 Köpfe Salat, 18 Kilogramm Tomaten oder 16 Kilogramm Kohl pro Jahr hervorbringen.40

Das Ziel besteht in der Schaffung von 100.000 solcher Minigärten in den städtischen Gebieten Venezuelas und 1.000 Hektar Garten, der mit Hilfe des städtischen Komposts bearbeitet wird, landesweit. Leonardo Gil Mora, der stellvertretende Minister für ganzheitliche ländliche Entwicklung, betont: „Sowohl in den Barrios als auch in Venezuela insgesamt sind die Menschen das Wichtigste, was wir haben. Durch die Landwirtschaft in den Städten hoffen wir, das Selbstbe-wusstsein der Armen heben zu können und damit ihre Teilhabe an der Gesellschaft."41

In europäischen Städten haben Gärten innerhalb der Stadt eine lange Tradition. Wenn Besucher sich im Landeanflug auf Paris befinden, können sie aus dem Flugzeug die vielen Gartenanlagen am Stadtrand sehen. Diese kleinen Parzellen produzieren nicht nur qualitativ hochwertige Lebensmittel, sondern erzeugen neben einem gewissen Wohlbefinden auch ein Gefühl von Gemeinschaft.

 

38)  Ebenda.. S. 12.  
39)  Anm. d. Übers.: im allgemeinen Sprachgebrauch die Bezeichnung für Stadtbezirke, m Lateinamerika im engeren Sinne die riesigen Subscädre großer Metropolen, die meist von indigener und katibischer schwarzer Bevölkerung bewohnt sind  
40)  „Gardening for the Poor," FAO-Newsroom. 2004, auf www.lao.org/ newsroom/en/ field/2004/37627/article„.37647en.html, angesehen 27. Juni 2005.  
41)  Ebenda.

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Infolge einer landesweiten Kampagne zur Ausdehnung des städtischen Gartenbaus in Kuba nach dem Verlust der Unterstützung aus der Sowjetunion vor mehr als zehn Jahren wird inzwischen in Havanna mehr als die Hälfte des dortigen Bedarfs an Gemüse produziert. Im Stadtstaat Singapur gibt es 10.000 Stadtbauern, die vier Fünftel des Geflügels und ein Viertel des gesamten dort verbrauchten Gemüses produzieren. In einer Studie von Urban Agriculture aus dem Jahr 2003 wird berichtet, dass 14 Prozent der 7,6 Millionen Einwohner von London zumindest einen Teil ihrer Lebensmittel selbst produzieren, und in Vancouver, der größten Stadt an der Westküste Kanadas, liegt diese Zahl sogar bei beeindruckenden 44 Prozent.42

In Philadelphia in den USA hat man Leute, die einen Stadtgarten bewirtschaften, gefragt, warum sie das tun. Etwa 20 Prozent antworteten, sie täten es zur Entspannung, 19 Prozent meinten, es täte ihrer Seele gut und 17 Prozent gaben an, es fördere ihre körperliche Gesundheit. Weitere 14 Prozent sagten, sie täten es wegen der gesünderen, qualitativ hochwertigen Frischwaren, die ein Garten bietet, 10 Prozent hatten spirituelle Gründe und 7 Prozent meinten, es habe hauptsächlich wirtschaftliche Gründe — das Verhältnis von Kosten und Nutzen sei einfach seh'r günstig. Solche Gartenanlagen innerhalb von Städten sind soziale Treffpunkte, die ein gewisses Gemeinschaftsgefühl erzeugen. Außerdem hat das Bearbeiten eines Gartens drei bis viermal in der Woche den gleichen Effekt wie maßvolles Spazierengehen oder Fahrradfahren.43

In einigen Ländern, wie beispielsweise den Vereinigten Staaten, gibt es ein riesiges ungenutztes Potential für den Gartenbau in Städten. Laut einer Studie gibt es in Chicago 70.000 freie Parzellen, in Philadelphia 31.000 und landesweit liegt die Zahl der freien Parzellen in Städten im Hunderttausender-Bereich. In der Untersuchung in Urban Agriculture wird zusammengefasst, warum der städtische Gartenbau so erstrebenswert ist. Es hat „einen regenerativen Effekt ... wenn sich freie Parzellen von Unkraut überwucherten und mit Müll übersäten gefährlichen Sammelplätzen, von echten Schandflecken, in üppige,

 

42)  „Cuba: Ciudad de. la Habana," Urban Agriculture, August 2002, S. 22; Lawrence Solomon, „Sowing die Skyline," National Post (Urban Renaissance Institute), 13. November 2004: Katherine H. Brown und Anne Carter, Urban Agriculture and Community Food Security in tbe United States: Farmingfiom the City Center to the Urban Fringe (Venice, CA: Community Food Security Coalition, Oktober 2003), S. 10; Vereinte Nationen, op. cit. Note i. S. 260.  
43)  Brown und Carter, op. cit. Note 40, S. 7.  
44)  Ebenda,

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schöne und sichere Gärten verwandeln, die die Menschen nicht nur ernähren, sondern auch ihren Seelen gut tun."44

Da ein zukünftiger Preisanstieg bei Erdöl unvermeidbar ist, werden die wirtschaftlichen Vorteile einer Ausweitung der städtischen Landwirtschaft immer offensichtlicher werden. Neben der Versorgung mit Frischwaren wird es dazu beitragen, dass Millionen von Menschen die sozialen Vorteile erkennen und das mit dem Gärtnern in Städten verbundene seelische Wohlbefinden zu schätzen lernen.

 

Die Senkung des Wasserverbrauchs in Städten

Die Methode, bei der Wasser nur einmal verwendet wurde, um menschliche Abfälle und Industrieabfälle zu beseitigen, ist längst veraltet, sie bleibt hinter den neuen Technologien zurück und vernachlässigt das Problem der Wasserknappheit. Wasser wird in die Stadt geleitet, dort durch menschliche Abfälle und Industrieabfälle kontaminiert und verlässt die Stadt stark verunreinigt wieder. Toxische Industrieabfälle, die in Flüsse und Seen oder in Brunnen gelangen, dringen bis zu den Grundwasserleitern vor, wo sie dafür sorgen, dass das Wasser - sowohl das Oberflächenwasser als auch das unterirdische Wasser - nicht mehr als Trinkwasser geeignet ist, und zerstören außerdem die marinen Ökosysteme einschließlich der Fischbestände. Es ist an der Zeit, eine Möglichkeit zur Abfallentsorgung zu finden, bei der die Abfälle nicht in die lokalen Ökosysteme geleitet werden, sondern das Wasser immer wieder aufbereitet werden kann, wodurch sowohl der Wasserbedarf der Städte als auch der der Industrie drastisch gesenkt würden.

Das derzeitige technische Konzept zur Entsorgung menschlicher Abfälle besteht darin, riesige Mengen Wasser dafür zu verschwenden, diese Abfälle wegzuspülen, vorzugsweise in ein Abwassersystem, in dem sie behandelt werden, bevor sie in einen der Flüsse geleitet werden. Dieses System des „Runterspülens und Vergessens" verbraucht viel Wasser, es unterbricht den Nährstoffkreislauf, der Großteil der Menschheit kann es nicht bezahlen und es ist eine der Hauptquellen für Krankheiten in den Entwicklungsländern.

Da sich der Wassermangel immer mehr ausbreitet, werden Entsorgungssysteme auf Wasserbasis bald nicht mehr lebensfähig sein. In der Regel werden durch solche Systeme Nährstoffe, die ursprünglich im Boden entstanden sind, in Flüsse, Seen oder ins Meer geleitet. Auf diese

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Weise gehen die Nährstoffe einerseits der Landwirtschaft verloren und außerdem hat das Überangebot an Nährstoffen zu einem Absterben vieler Flüsse und zur Entstehung von 146 toten Zonen in küstennahen Gebieten weltweit geführt. Entsorgungssysteme, bei denen Abfälle einfach unbehandelt in Flüsse und Bäche geleitet werden, verbreiten in großem Maßstab Krankheiten und Tod.45

Sunita Narain vom Center for Science and Environment in Indien legt überzeugend dar, dass ein Entsorgungssystem auf Wasserbasis mit Abwasserreinigungsanlagen für Indien weder erschwinglich noch ökologisch erstrebenswert ist. Sie sagt, dass eine indische Familie, die aus fünf Personen besteht, 250 Liter Exkremente pro Jahr produziert und eine normale, mit Wasser betriebene Toilette würde 150.000 Liter Wasser verbrauchen, um diese hinunterzuspülen.46

So, wie es jetzt ist, ist das Abwassersystem in Indien im Grunde ein System zur Verteilung von Krankheitserregern. Dieses System nimmt kleine Mengen verschmutzten Materials und macht damit riesige Mengen an Wasser für die Nutzung durch den Menschen unbrauchbar, wobei es in der Regel einfach in nahe gelegene Flüsse und Bäche geleitet wird. Narain sagt dazu: „Sowohl unsere Flüsse wie auch unsere Kinder sterben." Wie viele andere Regierungen in Entwicklungsländern so jagt auch die indische Regierung dem unerreichbaren Ziel eines Entsorgungssystems auf Wasserbasis und Abwasserreinigungsanlagen für alle hinterher und ist dabei unfähig, die riesige Kluft zwischen den benötigten Dienstleistungen und denen, die tatsächlich bereitgestellt werden können, zu überbrücken. Gleichzeitig will sie aber auch nicht zugeben, dass die angestrebte Option wirtschaftlich nicht realisierbar ist. Narain kommt zu dem Schluss, dass das System des „Runterspülens und Vergessens" einfach nicht funktioniert.47

Die Verbreitung von Krankheitserregern ist ein großes Problem für die allgemeine Gesundheit. Weltweit sterben jährlich 2,7 Millionen Menschen infolge schlechter sanitärer Bedingungen und mangelnder

 

45 - Sunita Narain, „The Flush Toilet is Ecologically Mindless," Down to Earth, 28. Februar 2002, S. 28-32: Angaben über tote Zonen in R. J. Diaz, J. Nestlerode und M. L. Diaz, „A Global Perspective on die Effects of Eutrophication and Hypoxia on Aquatic Biota," in G. L. Rupp und M. D. White (Hrsg.), Protokolle des 7th Annual Symposium on Fish Physiologe Toxicology and Water Quality, Estland, 12.-15. Mai 2003 (Athens, GA: U.S. Environmental Protection Agency (EPA), Ecosystems Research Division: 2003).

46 - Narain, op. cit. Note 43.

47 - Ebenda.

48 - Ebenda.

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Hygiene. Das einzige, was noch mehr Todesopfer fordert, sind Hunger und Unterernährung, hier sind es jährlich 5,9 Millionen.48 Glücklicherweise gibt es eine kostengünstige Alternative: Komposttoiletten. Dabei handelt es sich um eine einfache geruchsfreie Toilette, die kein Wasser benötigt und an einen Kompostierbehälter angeschlossen ist. Auch Tischabfälle können mitkompostiert werden. Die menschlichen Fäkalien werden durch Trockenkompostierung in bodenartigen Humus umgewandelt, der praktisch geruchlos ist und kaum zehn Prozent des ursprünglichen Volumens ausmacht. Diese Kompostieranlagen müssen je nach Größe und Bauweise etwa einmal im Jahr geleert werden. Der Humus wird regelmäßig von entsprechenden Verkäufern abgeholt, die ihn als Bodenzusatz verkaufen können, wodurch gesichert ist, dass die Nährstoffe dem Boden wieder zugeführt werden und der Düngemittelbedarf sinkt.49

Dank dieser Technologie kann der Wasserverbrauch in Privathaushalten gesenkt werden, wodurch die Wasserkosten sinken, ebenso wie die Energie, die zur Gewinnung und Reinigung des Wassers benötigt wird. Zusätzlich kann, wenn die Tischabfälle mit in das System integriert werden, das Müllaufkommen gesenkt werden, das Problem der Abwasserentsorgung wird gelöst und der Nährstoffzyklus wiederhergestellt. Empfehlungen für verschiedene Modelle von Trockentoiletten finden sich auf den Listen der amerikanischen Environment Protection Agency. Erstmals in Schweden eingesetzt funktionieren diese Toiletten inzwischen an den sehr unterschiedlichen Orten, an denen sie heute eingesetzt werden, sehr gut, darunter in Wohnhäusern in Schweden, Privathaushalten in den USA und in Dörfern in China.50

Im Bereich der Privathaushalte kann der Wasserverbrauch durch die Verwendung von Haushaltsgeräten gesenkt werden, die weniger Wasser verbrauchen, darunter Duschköpfe, Toilettenspülungen, Geschirrspüler und Waschmaschinen. Einige Länder haben bereits höhere Standards für Wassereffizienz eingeführt und analog zur Energieeffizienz gibt es Siegel auf Haushaltsgeräten, die anzeigen, welche Geräte weniger Wasser verbrauchen. Wenn die Wasserkosten steigen, und das werden sie ganz sicher, werden Investitionen in Komposttoiletten und Haushaltsgeräte mit geringerem Wasserverbrauch für einzelne Hausbesitzer zunehmend attraktiver werden.

 

49 - EPA, „Water Efficiency Technology Factsheet - Composting Toilets," Datenblatt (Washington, DC: September 1999); Jack Keffer, Appalachia - Science in the Public Interest, Humanure: Preparacion of Compost from the Toilet k>r Use in the Garden, ASII Technical Series TP 41 (Mount Vetnon, KY: ASPI Publications, 1998).

50......EPA, op. cit. Note 47.

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In den Städten besteht die effizienteste Einzelmaßnahme zur Erhöhung der Wassereffizienz in der Einführung eines umfassenden Was-seraufbereitungs- und -recyclingsystems, bei dem das Wasser immer wieder verwendet werden kann. Bei einem solchen System geht bei jedem Zyklus nur ein kleiner Teil des Wassers durch Verdunstung verloren. Mit den heute verfügbaren Technologien ist es durchaus möglich, das in den Städten verbrauchte Wasser umfassend zu recyceln und sie damit als Verbraucher größtenteils auszuschalten, wodurch die knappen Wasservorräte entlastet würden.

Einige Städte, die sich bereits mit dem Problem sinkender Wasservorräte und steigender Wasserkosten konfrontiert sehen, beginnen inzwischen, ihr Wasser zu recyceln. Singapur beispielsweise kauft sein Wasser zu immer höheren Preisen in Malaysia ein, doch jetzt beginnt man dort, das Wasser zu recyceln und so die Menge an importiertem Wasser zu senken. Für einige Städte könnte das Wasserrecycling zur notwendigen Bedingung fürs Überleben werden.51

Einzelne Industriezweige, die vor ähnlichen Wasserproblemen stehen wie die Städte, haben ebenfalls begonnen, Alternativen zur Entsorgung der Industrieabfälle mit Hilfe von Wasser zu suchen. Einige Firmen trennen zur Wasseraufbereitung die abfließenden Ströme und behandeln jeden mit den entsprechenden Chemikalien und reinigen das Wasser mit Hilfe entsprechender Membranfilter, um es so wieder nutzbar zu machen. Peter Gleick, Hauptautor und Herausgeber des halbjährlichen Berichts The World's Water, schreibt: „Einige Industriezweige, wie die Papier- und Zellstoffindustrie, industrielle Reinigung und Metallveredlung, haben begonnen, Systeme mit geschlossenen Kreisläufen zu entwickeln, in denen das gesamte Abwasser intern wiederverwendet wird und nur kleine Mengen frischen Wassers benötigt werden, um den Wasserverlust durch Verdunstung oder durch ein Einfließen in das Produkt auszugleichen." In der Industrie ist man schneller als in den Städten, doch die in der Industrie entwickelten Technologien können auch beim Recycling des Wassers in den Städten eingesetzt werden.52

Wassereinsparungen in den Städten hängen maßgeblich von zwei Vorrichtungen in den Haushalten ab, die zusammen mehr als die Hälfte des in den Häusern verbrauchten Wassers ausmachen: Toiletten und Duschen. Während traditionelle Spültoiletten pro Spülvorgang

 

51 -Tony Sitachan, „Bridge Over Troubled Waters," Asia Times, 23. August 2002; „Singapore Opens Fourth Recycling Plant to Turn Sewage into Water/' Associated Press. 12. Juli 2005.

52 - Peter H. Gleick. The World« Water 2004-2005: The Biennial Report on Freshwater Resources (Washington, DG Island Press. 2004). S. 149.

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22,7 Liter Wasser verbrauchen, liegt der gesetzlich festgelegte Maximalwert für neue Toiletten in den USA inzwischen bei 6 Litern. Eine in Australien hergestellte Toilette mit zwei Spülknöpfen verbraucht zum Herunterspülen flüssiger Exkremente nur etwa 3,8 Liter und 6 Liter für feste Exkremente. Wenn man statt eines Duschkopfs, der fast 19 Liter pro Minute verbraucht, einen mit einem Verbrauch von nur knapp 9,5 Liter benutzt, so sinkt dadurch der Wasserverbrauch um fast die Hälfte. Bei Waschmaschinen verbraucht ein in Europa entwickeltes Modell, bei dem die Achse horizontal verläuft, 40 Prozent weniger Wasser als die in den USA traditionell verwendeten Toplader. Außerdem verbraucht das inzwischen international auf dem Markt befindliche europäische Modell auch weniger Energie.53

Das derzeitige System zur Abfallentsorgung auf Wasserbasis ist einfach nicht mehr tragbar. Es gibt einfach zu viele Haushalte, Fabriken und Mastanlagen auf unserem überfüllten Planeten, als dass man weiterhin versuchen könnte, die Abfälle einfach wegzuspülen. Es dennoch zu tun wäre vom ökologischen Standpunkt aus betrachtet sinnlos und altmodisch — eine Herangehensweise, die einem Zeitalter entstammt, als es noch weitaus weniger Menschen und viel weniger Industrie gab.

 

Die Herausforderung der Slums in den Städten

Laut Vorhersagen wird es zwischen dem Jahr 2000 und dem Jahr 2050 in den Industrieländern oder den ländlichen Gebieten der Entwicklungsländer kaum nennenswerte Bevölkerungszuwächse geben. Das bedeutet, dass fast der gesamte prognostizierte Bevölkerungszuwachs von etwa drei Milliarden Menschen weltweit bis 2050 sich in den Städten der Entwicklungsländer konzentrieren wird, der Großteil davon in illegalen Siedlungen.54

Diese illegalen Siedlungen — ob es nun die Favelas in Brasilien, die Barriadas in Peru oder die Gecekondus in der Türkei sind - sind meist Wohngebiete einer Stadt, in denen die Ärmsten der Armen leben, die über keinerlei Landbesitz verfügen. Sie „besetzen" einfach freies Land, egal, ob es sich dabei um privates oder öffentliches Gelände handelt.5

 

53)  Ebenda., S. 106, 113-15.  
54)  Vereinte Nationen, World Population Prospects, The 2004 Revision: Highlights, op. cit. Note 9, S. 1; Vereinte Nationen, op. cit. Note 1, S. 1, 4.  
55)  Hari Srinivas, „Defming Squattcr Settlements," Webseite des Global Development Research Center, www.gdrc.org/uem/define-sqiiatter.htmi, angesehen 9. August 2005. 

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Charakteristisch für diese Siedlungen sind absolut inadäquate Wohnbedingungen und fehlender Zugang zu kommunalen Dienstleistungen. Hari Srinivas, der Koordinator des Global Development Research Centers, schreibt, die Menschen, die vom Land in die Stadt kommen, bedienen sich der „drastischen Option, illegal ein freies Stück Land zu okkupieren und sich dort eine rudimentäre Unterkunft zu bauen", ganz einfach deshalb, weil es die einzige Option ist, die sich ihnen bietet. Die Regierungsbehörden reagieren oft, wenn nicht mit Gleichgültigkeit, so mit Antipathie, da sie sie als Eindringlinge und als Plage betrachten. Einige sehen die illegalen Siedlungen auch als soziales „Übel", das es auszurotten gilt.56

Doch zu den städtischen Slums gehören nicht nur die illegalen Siedlungen, sondern auch die heruntergekommenen älteren Stadtteile, die außerdem völlig überbevölkert sind und in denen es häufig keinen Zugang zu grundlegenden kommunalen Diensten, wie der Müllentsorgung, gibt.

Eine der besten Möglichkeiten, die Migration vom Land in die Stadt in den Griff zu bekommen, besteht darin, die Lebensbedingungen auf dem Land zu verbessern. Das schließt nicht nur grundlegende soziale Dienstleistungen ein, wie die in Kapitel 7 beschriebene Gewährleistung einer grundlegenden Gesundheitsfürsorge und die Bereitstellung von Bildungsmöglichkeiten für Kinder, sondern auch Maßnahmen zur Förderung industrieller Investitionen in kleinen Städten im ganzen Land statt nur in einigen großen Städten wie Mexiko-Stadt oder Bangkok. Derartige Maßnahmen würde die Zahl derer, die vom Land in die Stadt strömen, auf ein erträgliches Maß reduzieren.

Die Entwicklung der Städte in den Entwicklungsländern wird oft von der unorganisierten Art der illegalen Siedlungen beeinflusst. Dadurch, dass solche Siedlungen sich praktisch überall bilden können -an steilen Abhängen, in Flußauen und anderen gefährdeten Gebieten -ist es schwierig, hier grundlegende Dienstleistungen wie Verkehrsanbindungen, Wasserversorgung und die Anbindung an das Abwassersystem bereitzustellen. Curitiba, das in Sachen Stadtentwicklung absolut innovativ ist, hat bestimmte Landstücke für solche Siedlungen bereitgestellt. Durch die planvolle Bereitstellung dieser Flächen kann der Prozess der Bildung solcher Siedlungen zumindest soweit strukturiert werden, dass er mit dem offiziellen Stadtentwicklungsplan im Einklang steht.57

 

56)  Ebenda.  
57)  O'Meara, op. dt. Note 6, S. 49.

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Zu den einfachsten Dienstleistungen, die man in einer illegalen Siedlung anbieten kann, gehören kommunale Komposttoiletten. Außerdem können Wasserhähne, die in regelmäßigen Abständen installiert werden und in der gesamten Siedlung sauberes Wasser liefern, einen großen Beitrag zur Kontrolle der Weiterverbreitung von Krankheiten in überbevölkerten Siedlungen leisten und regelmäßige Busanbindungen bieten Arbeitern, die in diesen Siedlungen leben, die Möglichkeit, zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen. Wenn der Ansatz von Curitiba Schule machen würde, könnten auch Parks und andere öffentliche Orte von Anfang an in die Siedlungen eingebunden werden.

Einige Politiker wollen diese illegalen Siedlungen einfach platt walzen, doch das behandelt nur eines der Symptome von Armut in Städten, nicht aber den Auslöser. Menschen, die das wenige, das sie in ihre Behausung investieren konnten, auch noch verlieren, sind durch die Zerstörung ihrer Behausung nicht reicher, sondern ärmer — ebenso wie die Stadt selbst. Eine weitaus sinnvollere Option wäre die Verbesserung der lokalen Wohnbedingungen. Der Schlüssel liegt in der Zusicherung einer Pachtmöglichkeit und der Gewährung kleiner Darlehen an die Menschen in diesen Siedlungen, so dass sie mit der Zeit schrittweise Verbesserrungen vornehmen können.58

Die Verbesserungen in den Slums hängen von lokalen Regierungen ab, die sich mit dem Problem der Slums befassen, statt es zu ignorieren; und Fortschritte bei der Bekämpfung der Armut und die Schaffung stabiler, fortschrittlicher Gemeinden hängen von der Sicherung konstruktiver Verbindungen zu den Regierungen ab. In einigen Fällen könnten Einrichtungen, die kleine Kredite vergeben und von der Regierung finanziert werden, nicht nur dazu beitragen, eine Verbindung zwischen der Regierung der Stadt und den Bewohnern der illegalen Siedlungen herzustellen, sondern letzteren auch Hoffnung geben.59

Obwohl politische Führer möglicherweise hoffen, dass diese Siedler vertrieben oder die Siedlungen zerstört werden können, ist es in Wahrheit so, dass sie sich in den nächsten Jahrzehnten noch mehr ausdehnen werden. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, sie auf menschliche Weise, die den Menschen dort die Hoffnung auf mögliche Verbesserungen bietet, in das Leben der Stadt zu integrieren. Die Alternative wäre, dass der Groll unausweichlich wachsen und die sozialen Spannungen und die Gewalt zunehmen würden.

 

58)  Rasna Warah, The Challenge of Slums: Global Report on Human Settlements 2003 (New York: LJ.N. Human Settlements Programme, 2003). 59......Srinivas, op. cit. Note 53.

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Städte für Menschen

Mit dem Beginn des neuen Jahrhunderts wird es für Stadtbewohner in Industrie- und Entwicklungsländern immer offensichtlicher, dass es einen inhärenten Konflikt zwischen den Autos und der Stadt gibt. Die Luftverschmutzung in Städten, die zum größten Teil durch Autos verursacht wird, kostet Millionen von Menschen das Leben und Verkehrsstaus fordern einen direkten wirtschaftlichen Tribut in Form von erhöhtem Zeitaufwand und erhöhten Benzinkosten.

Ein weiterer Kostenpunkt für Städte, die stark auf Autos ausgerichtet sind, bezieht sich auf den psychologischen Bereich. Es handelt sich um den Verlust an Kontakt mit der Natur - ein ,Asphalt-Komplex". Die Beweise häufen sich, dass dem Menschen ein Bedürfnis nach Kontakt mit der Natur angeboren ist. Sowohl Ökologen als auch Psychologen sind sich darüber bereits seit einiger Zeit klar. Umweltexperten unter der Führung des Biologen E. O. Wilson von der Harvard Universität haben die „Biophilie-Hypothese" aufgestellt, gemäß der jene, die keinen Kontakt zur Natur haben, seelisch leiden und der Verlust dieses Kontakts zu einem messbaren Nachlassen des Wohlbefindens führt.60

Inzwischen haben die Psychologen ihren eigenen Terminus für die gleiche Aussage gefunden: Ökopsychologie. Theodore Roszak, ein führender Experte auf diesem Gebiet, zitiert eine Studie, in der die Abhängigkeit des Menschen von der Natur durch Untersuchungen zu den Genesungsraten von Patienten in einem Krankenhaus in Pennsylvania dokumentiert wird. Hierbei ergab sich, dass sich die Patienten, die von ihren Fenstern aus Gärten mit Gras, Bäumen, Blumen und Vögeln sehen konnten, schneller wieder erholten als die Patienten, deren Fenster auf den Parkplatz hinausgingen.61

Eines der Argumente für Gemeinschaftsgärten ist, dass sie nicht nur Lebensmittel liefern, sondern auch ein Fleckchen Grün in der Stadt bieten und ein gewisses Gemeinschaftsgefühl entstehen lassen. Außerdem haben die Arbeit mit Erde und das Erlebnis, wie Dinge wachsen, einen therapeutischen Effekt.

 

60)  E. O. Wilson, Biophilia (Cambridge, MA: Harvard University Press, 1984); S. R. Kellert und E. O. Wilson, Hrsg., The Biophilia Hypothesis (Washington, DC: Island Press, 1993).  
61)  Theodore Roszak, Mary Gomes und Allen Kanner, Hrsg., Restoring tbe Barth, Hecilhig the Mind (San Francisco: Sierra Club Books, 1995).

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In der gesamten Moderne waren die Haushaltskontingente für den Verkehrsbereich in den meisten Ländern — und besonders in den Vereinigten Staaten - stark auf den Bau und die Erhaltung von Straßen ausgerichtet. Doch die Schaffung von Städten, in denen das Leben lebenswert ist, und die Gewährleistung der Mobilität, die die Menschen wollen, hängt nun stark von einer Umverteilung der Haushaltsmittel zur Förderung der Entwicklung von öffentlichen Verkehrssystemen auf der Basis von Bussen und Bahnen sowie von Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs ab.

Die aufregende Neuigkeit ist, dass es Indizien dafür gibt, dass sich etwas tut, tägliche Anzeichen dafür, dass ein Interesse daran besteht, die Städte so umzugestalten, dass sie auf die Menschen statt auf Autos ausgerichtet sind. Eine ermutigende Entwicklung dabei kommt aus den Vereinigten Staaten. Die Zahl derer, die öffentliche Verkehrsmittel benutzen, steigt seit 1996 landesweit um 2,1 Prozent pro Jahr, was ein Zeichen dafür ist, dass die Leute nach und nach ihre Autos stehen lassen und lieber den Bus, die U-Bahn oder die Stadtbahn nehmen, und die starken Preiserhöhungen bei Erdöl im Jahr 2005 ermutigen noch mehr Pendler dazu, statt mit dem Auto lieber mit Bus oder Bahn zu fahren oder sich aufs Rad zu setzen.62

Bürgermeister und Stadtplaner in der ganzen Welt haben begonnen, die Rolle der Autos in den städtischen Verkehrssystemen neu zu überdenken. In Peking hat eine Gruppe angesehener Wissenschaftler die Entscheidung der Stadt zur Förderung eines Verkehrssystems, in dessen Zentrum das Autos steht, in Frage gestellt. Dabei haben sie auf eine einfache Tatsache verwiesen: China verfügt gar nicht über ausreichend Land, um so viele Autos unterzubringen und gleichzeitig seine Bevölkerung zu ernähren - das gilt nicht nur für China, sondern auch für Indien und Dutzende anderer dicht bevölkerter Entwicklungsländer.63 Einige Städte sind besser in der Planung ihres Wachstums als andere. Sie entwickeln Verkehrssysteme, die mehr Mobilität, sauberere Luft und die Möglichkeit zu körperlicher Betätigung gewährleisten - und damit in starkem Gegensatz zu Städten stehen, in denen sich der Verkehr oft staut, die Luft ungesund ist und es kaum Möglichkeiten zum

 

62)  Zuwachs bei der Benutzung ötfentlicher Verkehrsmiirei berechnet auf Grundlage der Angaben aus American Public Transportation Association, APTA Transit Ridership Report, auf www.apta.com/research/stats/ridershp/riderep/documents/histoiy.pdf, angesehen 10. August 2005; Justin Blum, „Oil Prices Spike As Storni Nears," Washington Post, 20. September 2005.  
63)  Ding Guangwei und Li Shishun, „Analysis ol Impetuses to Change of Agricultural Land Resources in China," Bulletin ofthe Chinese Academy of Sciences, Vol. 13, Nr. I (1999).

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körperlichen Ausgleich gibt. Wenn 95 Prozent der Arbeiter einer Stadt auf ihr Auto angewiesen sind, um zur Arbeit zu kommen - wie das in Atlanta in Georgia der Fall ist - dann hat diese Stadt ein Problem. Im Gegensatz dazu fahren in Amsterdam nur 40 Prozent der Menschen mit dem Auto zur Arbeit, 35 Prozent nehmen das Rad oder gehen zu Fuß und 25 Prozent benutzen öffentliche Verkehrsmittel. Die Zahlen für Kopenhagen sind praktisch mit denen von Amsterdam identisch und in Paris benutzen weniger als die Hälfte der Menschen ein Auto, um zur Arbeit zu kommen. Und obwohl diese europäischen Städte deutlich älter sind als Atlanta und die Straßen dort oft recht schmal, gibt es viel weniger Verkehrsstaus als in Atlanta.64

Es ist nicht überraschend, dass es in Städten, in denen die Menschen stark von ihrem Auto abhängig sind, mehr Verkehrsstaus gibt und die Menschen insgesamt weniger mobil sind als in Städten mit einem breiten Spektrum an Transportmöglichkeiten. Das Auto, das einst versprach, den Menschen persönliche Mobilität zu schenken, macht nun die Bevölkerungen ganzer Städte praktisch bewegungsunfähig und macht es für Arme wie Reiche gleichermaßen schwierig, sich frei zu bewegen.

In vielen Entwicklungsländern basieren die bestehenden langfristigen Strategien im Verkehrsbereich auf der Annahme, dass eines Tages jeder ein Auto besitzen wird. Leider ist das bei den gegebenen Einschränkungen in Bezug auf das zur Verfügung stehende Land — ganz zu schweigen von den Beschränkungen durch die Größe der Erdölreserven — einfach nicht realistisch. In all diesen Ländern könnte die Mobilität besser durch die Unterstützung öffentlicher Verkehrssysteme und der Verwendung von Fahrrädern gewährleistet werden.

Wenn die Regierungen in den Entwicklungsländern weiterhin den größten Teil der für den Verkehrsbereich zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel für die Förderung des Automobils ausgeben, werden sie letztlich ein System erhalten, das nur auf den winzigen Teil der Bevölkerung ausgerichtet ist, der ein Auto besitzt. Wenn man sich jetzt eingesteht, dass die meisten Menschen nie ein Auto besitzen werden, so kann dies zu einer völligen Neuorientierung bei der Planung des Verkehrssystems und den dazugehörigen Investitionen führen.

 

64 - Molly O'Meara Sheehan, City Limits: Putting the Breaks on Spratul, Worldwatch Paper 156 (Washington, DG Worldwatch Institute, Juni 2001), S. 11; Schrank und Lomax, op. dt. Note 2.

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Es gibt viele Möglichkeiten, Verkehrssysteme so umzustrukturieren, dass die Bedürfnisse aller befriedigt werden können, nicht nur die der Wohlhabenden; so, dass sie Mobilität bieten, statt sie zu behindern und so, dass sie die Gesundheit fördern, statt sie zu ruinieren. Eine solche Möglichkeit ist die Abschaffung indirekter Subventionen vieler Arbeitgeber für das Parken. So werden in den USA offensichtlich viele Menschen durch solche Parksubventionen, die einen Wert von 85 Milliarden Dollar jährlich haben, dazu ermutigt, mit dem Auto zur Arbeit zu fahren.65

1992 hat Kalifornien entschieden, dass Arbeitgeber neben den Parksubventionen auch Barzahlungen gewähren müssen, die von den Mitarbeitern dazu benutzt werden können, die Fahrkarten für öffentliche Verkehrsmittel zu bezahlen oder sich ein Fahrrad zu kaufen. In den Firmen, in denen dazu Daten erhoben wurden, führte dieser Politikwechsel dazu, dass etwa 17 Prozent weniger Menschen mit dem Auto zur Arbeit kamen. Auf nationaler Ebene wurde eine Klausel zur Änderung der Besteuerung in den Transportation Equity Act for the 2Ist Century von 1998 eingefügt, so dass diejenigen, die öffentliche Verkehrsmittel oder einen sogenannten Vanpool.66 benutzten, die gleichen steuerfreien Subventionen nutzen können wie jene, die umsonst parken dürfen. Das Ziel der Gesellschaft sollte nicht in einer Subventionierung des Parkens bestehen, sondern in einer Besteuerung — es sollte Steuern geben, die die tatsächlichen Kosten von Verkehrsstaus und verminderter Lebensqualität in Städten, die von Autos und Parkplätzen beherrscht werden, für die Gesellschaft widerspiegeln.67

Viele Städte, darunter Stockholm, Wien, Prag und Rom, haben bereits autofreie Zonen eingerichtet. In Paris dürfen an Sonn- und Feiertagen entlang der Seine größtenteils überhaupt keine Autos fahren und man denkt darüber nach, einen Großteil des Stadtzentrums ab 2012 zur verkehrsfreien Zone zu erklären.68

Neben der Tatsache, dass sichergestellt sein muss, dass U-Bahnen funktional und preislich erschwinglich sind, gewinnt auch die Idee, sie attraktiver zu gestalten und sogar zu kulturellen Zentren zu machen, immer mehr Anhänger. 

 

65 —Jim Motavalli, „The High Cosr of Free Parking," E: Ibe Emiirüvnitutvl Magazine, März-April 2005.  
66 - Anm. d. Übers.: Vanpools sind eine Art Fahrgemeinschaft im größeren Maisstab  
67 - O'Meara, op. cit. Note 6, S. 49; Donald C. Shoup, „Congress Okays Cash Out." Access, Herbst 1998, S. 2-8.  
68......„Paris To Cut City Centre Traffic," BBC News, 15. März 2005; J. Fl. Crawford, „Existing Carfree Places," auf www.carfree.com; siehe auch J. H. Crawford, Carfree Cities (Utrecht, | Niederlande: International Books, Juli 2000).

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Die Moskauer U-Bahn mit ihren in die Stationen integrierten Kunstwerken wird zu recht als Kronjuwel Russlands bezeichnet. In Washington, DC ist die Union Station, die die Verbindung zwischen dem U-Bahn-System der Stadt und dem Fernverkehr darstellt, eine architektonische Augenweide. Seit dem Ende ihrer Sanierung 1988 ist sie zu einem sozialen Treffpunkt mit Geschäften, Konferenzräumen und einem reichhaltigen Angebot an Restaurants geworden.

Eine der innovativsten Maßnahmen zur Förderung der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel kommt aus State College, einer kleinen Stadt im Zentrum Pennsylvanias, wo sich auch die Pennsylvania State Universität befindet. Um die Verkehrsstaus auf dem Campus zu vermindern und das Problem der mangelnden Parkplätze zu lösen, hat die Universität 1999 entschieden, den lokalen Verkehrsbetrieben, die größtenteils mit Bussen arbeiten, im Austausch für Freifahrten für die Studenten, Lehrkräfte und sonstigen Angestellten der Universität eine Million Dollar zu zahlen. Infolgedessen stieg die Zahl derer, die in State College lieber mit dem Bus fuhren, innerhalb nur eines Jahres um 240 Prozent an, so dass die Verkehrsbetriebe verstärkt in neue Busse investieren mussten, um die vielen neuen Fahrgäste überhaupt befördern zu können. Durch diese Initiative der Universität wurde der Campus sehr viel freundlicher und attraktiver - ein Vorteil sowohl bei der Gewinnung neuer Studenten als auch neuer Lehrkräfte.69

Mit Beginn des neuen Jahrhunderts überdenkt die Welt die Rolle der Autos in den Städten ganz neu — was den Verkehrsbereich angeht eine der fundamentalsten Veränderungen im Denken seit Jahren. Die Herausforderung besteht darin, die Städte so umzugestalten, dass öffentliche Verkehrsmittel im Zentrum der Verkehrssysteme stehen, und diese dann mit ausreichend Fußwegen, Joggingstrecken und Radwegen zu komplettieren. Es bedeutet aber auch, Parkplätze durch Parkanlagen, Spiel- und Sportplätze zu ersetzen. Wir können das Leben in den Städten so gestalten, dass durch die Eingliederung sportlicher Betätigung in die tägliche Routine der Gesundheitszustand der Menschen systematisch verbessert wird, während gleichzeitig die Luftver-

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69)  Lyndsey Layton, „Mass Transit Popularity Surges in U.S.," Washington Post, 30. April 2000; 
      Bruce Younkin, Manager von Fieet Operations an der Penn State Universität, State College, PA, Gespräch mit Janet Larsen, Earth Policy Institute, 4. Dezember 2000.

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