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3.9  -  Die mächtigste Waffe der Partei

 

 

  200-214

»Warum sollte man sich darum kümmern?« sagten die einen, »die sowjetische Propaganda ist so plump, daß ihr ohnehin niemand glaubt.« — »Im Gegenteil, der Westen sollte die sowjetische Propaganda besser kennenlernen«, behaupteten die anderen, »sie entlarvt das Regime besser, als wir es können.«

Ach, wäre es nur so gewesen, daß jede neue Erfindung des Agitprop oder der Hauptverwaltung A des KGB wirklich das allgemeine Gelächter der Öffentlichkeit, den Hohn der Presse und die Empörung der Politiker hervorgerufen hätte.  

Wir lebten jedoch in einer Welt, in der die meisten Menschen dem Regime, sei es aufgrund ideologischer Sympathien oder aus Angst vor der atomaren Katastrophe oder auch aufgrund des Glaubens an die »Stabilität«, an eine »pragmatische Politik«, an Gottes Vorsehung oder weiß der Teufel noch warum, Glauben schenken wollten. Meiner Meinung nach unterschied sich der westliche Mensch in dieser Zeit kaum vom sowjetischen. Da er in ständiger Angst lebte, zog er es vor, nichts zu wissen, damit er leichter glauben konnte. 

Die Haltung der drei glücklichen Affen, die nichts sehen, nichts hören und auch nichts sagen, frappierte mich im Westen noch mehr als in der sowjetischen Welt. In der letzteren existierten wenigstens reale Gründe für die Angst. Im Westen jedoch war die Bedrohung eine eingebildete, die den Menschen von eben jener sowjetischen Propaganda eingeflößt wurde. Der Glaube an sie war einfach bequemer und beruhigender für das Gewissen des Spießers, weil sie ihm eine passende — und sogar eine scheinbar edle — Ausrede für seine natürliche Feigheit lieferte.

Man füge noch hinzu, daß ein großer Teil der Intellektuellen, die an der »Kinderkrankheit der Linkslastigkeit« litten, mit der Idee des Sozialismus sympathisierten. Für sie war die eigene Regierung der größte Feind, und die sowjetischen Führer waren zwar ein wenig in die Irre gegangen, aber trotz allem waren sie die Männer des »Fortschritts«.

Wie dem auch sei, die sowjetische Propaganda und Desinformation waren im Westen weit effektiver als in der UdSSR. Was an »Schweinereien« über die Dissidenten erzählt wurde, glaubte man im Westen gern, denn trotz ihrer scheinbaren Begeisterung über unseren »Mut« haßte uns die westliche Elite zutiefst. Unsere bloße Existenz war für die einen eine Bedrohung ihrer Illusionen und für die anderen ein Vorwurf an ihr verbarrikadiertes Gewissen.


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Es wurde betont, daß unsere Tätigkeit und unsere Haltung irgendwelche übermenschlichen Eigenschaften voraussetzten und deshalb für »normale« Menschen inakzeptabel seien. An sich hätte die Entstehung unserer Bewegung in der UdSSR die beste und hoffnungs­trächtigste Neuigkeit der Zeit nach Chruschtschow sein müssen, die auf längere Sicht eine Möglichkeit zur friedlichen Überwindung der sowjetischen Bedrohung erkennen ließ.

Man hätte meinen sollen, daß selbst die allergeringste Hoffnung auf eine solche Wandlung den Westen hätte dazu veranlassen müssen, seine ganze bisherige Strategie über Bord zu werfen und alles auf diese Hoffnung zu setzen. Weit gefehlt! Wir wurden — zunächst begeistert, dann haßerfüllt — zur Ausnahme von der allge­meinen Regel erklärt, die für die westliche Politik keine große Bedeutung hatte, sondern höchstens zusätzliche Kopf­schmerzen bereitete. Wie einfältig, absurd und gemein die sowjetische Kompromittierungskampagne gegen uns auch geführt wurde, sie hat gewöhnlich weder Gelächter noch Entrüstung hervorgerufen. Im Gegenteil, sie diente dem Westen als passender Vorwand, seine Kampagne für die Einhaltung der Menschenrechte in der UdSSR im entscheidenden Moment einzustellen.

 

»Das Komitee für Staatssicherheit berichtet, daß die mit Billigung des ZK der KPdSU in der <Iswestija> veröffentlichten Materialien, die die feindlich-aufwieglerische Tätigkeit der Geheimdienste der USA unter den <Dissidenten> in der UdSSR entlarven, eine gewisse Rolle bei der Diskreditierung der <Menschenrechts>-Kampagne in den USA gespielt haben«, berichtete Andropow im März 1977 an das ZK.

Es ging um die Veröffentlichung eines Briefes eines gewissen Lipawski, eine der üblichen »Enthüllungen«, die ein unbekannter KGB-Spitzel verfaßt hatte.57 »Entlarvungen« dieser Art gab es Dutzende, normalerweise zeigten sie keinerlei Wirkung.

Aber die Kampagne für die Wahrung der Menschenrechte in der UdSSR wurde dem Westen bereits lästig, da sie ihn zwang, seine langfristige Politik und seine Prioritäten zu ändern. Der Widerstand der westlichen Elite gegen derartige radikale Änderungen war enorm. Nur so ist die unmittelbare Wirkung der äußerst primitiven Falschmeldung, die den noch nicht verhafteten Schtscharanski betraf, zu erklären.


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»Wie aus bei uns eingegangenen Informationen hervorgeht, hat die durchgeführte Maßnahme eine ernsthafte Reaktion in den USA und anderen westlichen Ländern ausgelöst. In amerikanischen Zeitungsberichten sowie Rundfunk- und Fernsehmeldungen scheint die Besorgnis der öffentlichen Meinung über den Kurs der Carter-Administration durch, der in der Unterstützung der >Dissidenten< und offener Einmischung in die inneren Angelegenheiten der UdSSR und anderer sozialistischer Länder besteht. Es ist charakteristisch, daß in den Kommentaren der amerikanischen Massenmedien keine ernstzunehmenden Argumente zugunsten dieses Kurses angeführt werden.
Die in der >Iswestija< veröffentlichten Materialien haben Bestürzung unter den in der UdSSR akkreditierten amerikanischen Diplomaten und Korrespondenten ausgelöst und bewirkt, daß sie ihre Kontakte zu >Dissidenten< reduzierten.«

Im folgenden empfiehlt Andropow, beflügelt von dem unerwarteten Erfolg dieser Desinformation, (mit Billigung des Politbüros) den Plan zur Ausweitung seiner Kampagne:

»... Das Komitee für Staatssicherheit hält es für zweckmäßig, nach dem Besuch von US-Staatssekretär Vance in unserem Land folgende Maßnahmen zur weiteren Diskreditierung der Rolle der US-Geheimdienste in der antisowjetischen Kampagne zu ergreifen:
ein Interview mit dem Autor des offenen Briefes S. L. Lipawski durch einen amerikanischen oder anderen westlichen Korrespondenten unter Beteiligung eines sowjetischen Journalisten zu organisieren zwecks nachfolgender Veröffentlichung dieses Interviews in der >Iswestija< und in der ausländischen Presse;
— durch die Möglichkeiten von TASS, APN und Gosteleradio in Meldungen und Sendungen ins Ausland vom Komitee für Staatssicherheit vorbereitete Artikel zu verwenden, die anhand faktischer Angaben belegen .., daß der Fall Lipawski kein Einzelfall der Ausnutzung von >Dissidenten< durch US-Geheimdienste zu subversiver Spionagetätigkeit gegen die UdSSR ist ..."


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Es besteht kein Zweifel, hätte die amerikanische Regierung in diesem Moment genügend Festigkeit und die westliche Gesellschaft genügend Entrüstung an den Tag gelegt, hätte Andropow sich zurückgehalten, Schtscharanski wäre wahrscheinlich nicht der Spionage beschuldigt worden. Statt dessen aber rechtfertigte sich Carter, entschuldigte sich und schwor, daß er die CIA überprüft habe und Schtscharanski, wie es schien, kein Agent dieser Organisation gewesen sei. Vance biederte sich bei seinem Besuch in Moskau noch mehr an. Die »Entspannung« mußte ja gerettet werden. Auch die jüdischen Organisationen im Westen waren erschrocken und befürchteten Auswirkungen auf die jüdische Auswanderung. Kurz gesagt, der Westen verlor die Fassung, und aus einer gewöhnlichen Provokation des KGB wurde ein riesiger Propaganda­erfolg.

 

"Das Komitee für Staatssicherheit hat Informationen darüber erhalten, daß die amerikanischen Diplomaten und ausländischen Korrespondenten in Moskau die Artikel und Kommentare in der sowjetischen Presse sowie in den Radio- und Fernsehsendungen, in denen der im Westen geführten antisowjetischen Kampagne wegen der <Verletzung der Menschenrechte> eine Abfuhr erteilt wird, als Zeichen für die feste Entschlossenheit der Sowjetunion einschätzen, keine Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten zuzulassen, besonders kurz vor dem Besuch des Außenministers der USA Vance in der UdSSR«, berichtete Andropow, von seinem Erfolg beflügelt.58

»Nach Meinung des Westens war der >Höhepunkt dieser Maßnahmen Moskaus< die Verhaftung des >Dissidenten< SCHTSCHARANSKI, die von der unerschütterlichen Absicht der UdSSR zeugt, die in den Gesetzen vorgegebenen Maßnahmen gegen derartige Abtrünnige anzuwenden. Nach den Äußerungen des amerikanischen Journalisten AXELBANK befindet sich nach der Veröffentlichung des entlarvenden Materials in der Zeitung >Iswestija< und der darauffolgenden Verhaftung SCHTSCHA-RANSKIS die amerikanische Seite in einer peinlichen Lage. Wenn diese Ausgangsbasis noch durch neue Beweise für die Verwendung von >Dissidenten< zu Spionagezwecken durch die amerikanischen Geheimdienste untermauert wird, so wird das dem Westen die Propaganda für die Verteidigung der Menschenrechte in der UdSSR beträchtlich erschweren und die Position Moskaus in dieser Präge stärken.  


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Ein anderer amerikanischer Journalist mit Namen REZZINI erklärte aus diesem Anlaß, daß niemand, auch kein amerikanischer Jurist, bezweifle, daß Spionage für eine ausländische Macht eine strafbare Handlung sei, Die Befürchtungen, VANCE könne Anstoß nehmen, seien unbegründet, obwohl es nicht ausgeschlossen ist, daß er eine gewisse Unzufriedenheit zum Ausdruck bringt... Nach SCHTSCHARANSKIS Verhaftung organisierten die >Dissidenten< mit SACHAROW an der Spitze eine improvisierte Pressekonferenz in einer Privatwohnung, zu der einige amerikanische und andere westliche Journalisten eingeladen waren und auf der zuvor verfaßte Erklärungen verleumderischen Inhalts verteilt wurden. 

Nach vorliegenden Informationen hat die Botschaft der USA in ihrem Bericht an das Außenministerium über diese Pressekonferenz besonders die Äußerung SACHAROWS hervorgehoben, daß es angesichts der gegenwärtigen kritischen Lage, in der sich die sowjetische Bewegung für die Einhaltung der Menschenrechte befinde, sehr nützlich wäre, wenn der amerikanische Kongreß und der Präsident auf irgendeine Weise auf die Verhaftung SCHTSCHARANSKIS reagierten. Ein Nachlassen des Drucks aus dem Ausland wäre in diesem kritischen Moment unerwünscht.

 

Auf die Frage eines ausländischen Journalisten, ob sich Sacharow mit Vance während seines Besuchs in der UdSSR treffen wolle, erklärte Sacharow, daß er ein solches Treffen nicht wünsche, wenn es den Staatssekretär in eine schwierige Lage brächte, und daß er von sich aus nicht um eine Zusammenkunft bitten wolle.

Auf einer geschlossenen Pressekonferenz am 18. März für amerikanische Journalisten in der US-Botschaft kommentierte der Vertreter der Botschaft den Unterstützungsappell von Sacharow und anderen >Dissidenten< an die USA ausweichend, unter Hinweis darauf, daß er nicht wisse, wie die US-Regierung reagieren werde. Auf die Frage eines Korrespondenten, ob die Verhaftung Schtscharanskis den Besuch von Vance in der UdSSR nicht erschwere, antwortete der Vertreter der Botschaft, daß die Carter-Administration die Menschenrechte nicht mit der Entspannung verknüpfe.
Nach uns vorliegenden Informationen geben die Massenmedien in den USA zu, daß gegen Schtscharanski >konkret die schwerwiegende Anklage wegen Landesverrats< erhoben wurde und daß das diejenigen in eine schwierige Lage bringt, die versuchen, ihn zu verteidigen.*


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Der Westen gab also Schtscharanski und mit ihm die Kampagne für die Menschenrechte preis, und die lächerliche, von den Ideologen des Politbüros erdachte Behauptung, die Dissidenten seien das Werkzeug der »subversiven Zentren des Imperialismus«, erhielt eine selbst für ihre Urheber unerwartete Legitimation.

Auf ihren Erfolgen aufbauend, rechneten sie ein Jahr später mit der gesamten Helsinki-Bewegung, das heißt, denjenigen, die sich für die Durchsetzung der KSZE-Beschlüsse von Helsinki einsetzte, in der UdSSR ab, durchmischten ihre Prozesse mit Prozessen gegen wirkliche Spione, und die westliche Kampagne für die Menschenrechte kam praktisch zum Erliegen. Das Politbüro konnte sich lange nicht dazu entschließen, die Helsinki-Gruppe zu verurteilen. Es verschob ihre Prozesse um ein ganzes Jahr und bereitete sich sorgfältig auf diese Maßnahme vor. Die Risiken waren zu groß, wenn man das leidenschaftliche Eintreten in der Welt für die Menschenrechte bedenkt. Hätte sich der Westen damals beherzter gezeigt, dann hätten sie sich nicht zu dieser Herausforderung entschlossen.

"Die heutige Situation gestattet es, die Frage der Durchführung der Prozesse zu entscheiden. Insbesondere haben wir im Auge, daß in letzter Zeit auf selten des Gegners bei der Kritik an den hinsichtlich der Verbrecher getroffenen Maßnahmen eine gewisse Verunsicherung eingetreten ist. Er hat seinen Ton bedeutend abgeschwächt bei den Versuchen zu behaupten, daß die Untersuchungsorgane angeblich nicht über gewichtige Schuldbeweise gegen die angeklagten Personen verfügten.
Darüber hinaus versuchen die US-Administration und ihre Propagandaorgane, die im wesentlichen die verbrecherische Rolle Schtscharanskis bei der amerikanischen Spionage nicht bestreiten und zugleich weitere Enthüllungen der CIA verhindern wollen, die Öffentlichkeit zu überzeugen, daß seine Tätigkeit lediglich mit der Verteidigung der >Menschenrechte< in Zusammenhang gestanden habe. Eine analoge Linie der Rechtfertigung verbrecherischen Handelns von Angeklagten wird auch in bezug auf andere Personen verfolgt ...
Die dargelegten sowie andere günstige Umstände ermöglichen es, eine wirksame Taktik für die Organisation der Prozesse und ihrer propagandistischen Absicherung auszuarbeiten."59  


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Das war eine vollständige Niederlage, die Aufgabe diese Positionen durch den Westen im entscheidenden Moment unserer Geschichte. Mit diesem Ergebnis verlor der sogenannte »Helsinki-Prozeß« seinen Sinn. Er entartete zur Phrasendrescherei, denn entgegen den Bestimmungen der Helsinki-Schlußakte verknüpfte der Westen die Menschenrechte nun nicht mehr mit der Entspannung. Diese Wende in der Politik des Westens hatte natürlich viele Gründe (sie werden in Kapitel 5 noch behandelt), doch kaum jemand wird leugnen, daß die sowjetische Desinformation und die Bereitschaft des Westens, ihr trotz ihrer Primitivität zu glauben, eine Rolle gespielt haben.

Unsere Bewegung hat sich von dem vernichtenden Schlag nicht mehr erholt. Ein Jahr später nahm sich das Regime den letzten von uns vor, rechnete mit Sacharow ab und fiel über Afghanistan her.

Es ist typisch, daß die sowjetische Führung ihr Spiel bis zum Ende durchhielt, ohne mit der Wimper zu zucken. Sogar noch viele Jahre später, in der Periode der »Glasnost und Perestroika« wurde weiter an der Legende festgehalten und behauptet, daß Schtscharanski als echter Spion im Austausch gegen einen wirklichen sowjetischen Spion auf jener Berliner Brücke, wo gewöhnlich Spione ausgetauscht wurden, freikam.

 

Wenn schon in einer so wichtigen Frage eine primitive KGB-Desinformation eine derart verhängnisvolle Rolle spielen konnte, dann war das Regime in weniger wichtigen Angelegenheiten, die das öffentliche Interesse in geringerem Maße auf sich zogen, noch effektiver. Vor allem, wenn man in Betracht zieht, daß der KGB sehr häufig von menschlichen Eigenheiten, Charakter­schwächen, persönlichen und intimen Beziehungen ausging und aus der Eitelkeit der Menschen, ihrer rechtlosen Lage und dem geringen Informationsstand des Westens Kapital schlug.

Von solchen Kompromittierungsmaßnahmen wurde buchstäblich jedes Ereignis begleitet — von Buchveröffentlichungen bis zu Verhaftungen und Prozessen, von der Flucht von Künstlern ins Ausland bis zu wichtigen internationalen Ereignissen. Natürlich waren bei weitem nicht alle diese »Maßnahmen« erfolgreich, aber es wäre überaus naiv, ihre Bedeutung zu leugnen: Es wurde eine gigantische Desinformations­maschinerie geschaffen, eine ganzes Heer von »Einflußagenten«, denen der Westen schutzlos ausgesetzt war.


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Er mußte sogar noch das Recht seiner Erzfeinde, notorisch zu lügen, verteidigen. In vielen Ländern, zum Beispiel in den USA, schützt das Gesetz nicht vor Verleumdung in der Presse. Der Verleumdete muß vor Gericht die Absicht der Verleumdung nachweisen. Gegen eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens zu schreiben, hält die Presse für ihr heiliges Recht.

Zudem waren die meisten dieser Einflußagenten keine Agenten des KGB im direkten Sinne. Der eine verbreitete die sowjetische Desinformation aus Überzeugung, ein anderer zahlte sozusagen dieser Behörde auf diese Weise eine alte »Schuld« zurück oder erwartete irgendeine Gegenleistung, und ein dritter wußte überhaupt nicht, was er tat.

Gar manche Geschichte gäbe es hier zu erzählen. So waren zum Beispiel die meisten westlichen Rußlandexperten schon deshalb vom Sowjet-Regime abhängig, weil sie von Zeit zu Zeit in die UdSSR fahren mußten, sonst würde man sie in den akademischen Kreisen des Westens nicht mehr für einen Kenner der Materie halten. Wer indes dorthin reisen konnte, der wurde vollständig vom KGB kontrolliert.

Ein anderer, weit stärkerer Mechanismus wirkte im Land selbst. Kein Sowjetbürger, ganz gleich welchen Berufs, durfte ohne die Sanktion des KGB ins Ausland zu einer wissenschaftlichen Konferenz, zu einem Gastspiel oder Wettkampf fahren. Wenn er zu einem Nichtreiseberechtigten wurde, verlor er natürlich automatisch seinen Wert und mitunter sogar seine Arbeit. Die Möglichkeiten des KGB waren hier praktisch unbegrenzt.

Wenn ich mir jetzt die Dokumente des ZK über die Kompromittierungsmaßnahmen ansehe, kann ich nur staunen, wie gerissen diese Lumpen waren. Hier ein Beispiel: eine Notiz Andropows »Über Maßnahmen zur Kompromittierung der Entscheidung des Nobelkomitees über die Verleihung des Friedensnobelpreises an Andrej Sacharow« und der entsprechende Beschluß des Politbüros.60


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»- Die Abteilung für Wissenschaft und Bildungseinrichtungen und die Abteilung für Propaganda des ZK der KPdSU sollen zusammen mit dem Präsidium der Akademie der Wissenschaften der UdSSR einen offenen Brief im Namen des Präsidiums der Akademie der Wissenschaften und namhafter sowjetischer Wissenschaftler verfassen, in dem die Entscheidung des Nobelkomitees, den Friedensnobelpreis einer Person zu verleihen, die eine Verfassungs- und gesellschaftsfeindliche Tätigkeit betreibt, verurteilt wird. Dieser offene Brief soll mit den Unterschriften der Mitglieder des Präsidiums der Akademie der Wissenschaften der UdSSR und namhafter sowjetischer Wissenschaftler in der Zeitung >Iswestija< veröffentlicht werden.
- Die Redaktion der Zeitung >Trud< soll in einem Feuilleton die Verleihung des Friedensnobelpreises an SACHAROW in Höhe von 122.000 Dollar als Prämie der reaktionären Kreise des Westens für die ihnen unaufhörlich gelieferten Verleumdungen der sowjetischen Gesellschafts- und Staatsordnung darstellen.
- Über APN soll in den Westen Material gelangen, in dem die These dargelegt wird, daß die Verleihung des Friedensnobelpreises an einen Mann, der sich gegen die internationale Entspannung wendet und die Ereignisse in Chile, Vietnam, Kambodscha und dem Nahen Osten von einer überaus reaktionären Position bewertet, der Politik des sowjetischen Staates und aller fortschrittlichen Kräfte der Welt, die auf die internationale Entspannung und die Abrüstung ausgerichtet ist, widerspricht.
- Durch das Komitee für Staatssicherheit sind Artikel in den Westen zu lancieren, in denen die Absurdität der Entscheidung des Nobelkomitees, den Friedensnobelpreis einem Mann zu verleihen, der der Erfinder einer Massen­vernichtungswaffe ist, aufgezeigt werden soll«

 

In diesem Dokument ist alles berücksichtigt — die Unterwürfigkeit der Mitglieder der Akademie der Wissenschaften (sie sollen sich gerauft haben um das Privileg, diesen »offenen Brief« unterzeichnen zu dürfen, das wurde ja nicht jedem gestattet, sondern nur »namhaften sowjetischen Wissenschaftlern«), der Neid der Arbeiter (die Zeitung »Trud«, das Organ der sowjetischen Gewerkschaften, wurde hauptsächlich von Arbeitern gelesen, für die 122.000 Dollar eine unvorstellbare Summe war) und die Gefühle der »fortschrittlichen Kräfte der Welt«.


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Und den letzten Punkt, den Gedanken, daß es »absurd« sei, den Friedensnobelpreis dem Erfinder der Wasserstoffbombe zu verleihen, »lancierte im Westen« kein anderer als Schores Alexandrowitsch Medwedjew, und zwar nicht irgendwo, sondern in Oslo bei einem Vortrag im Nobelinstitut. Er hat es wirklich so gesagt. Wie er zum Sprachrohr des KGB geworden war, wer ihm diesen Gedanken eingegeben hatte, ob ihm das selbst eingefallen war — wer weiß. Aber was für ein Erfolg für Andropow — nicht irgendwer, sondern ein bekannter Wissenschaftler und Dissident ...

Da sage mir noch einer, daß der KGB einfältig war und, daß seine Desinformation keine Wirkung hatte. Über die Jahre hin hat er mit seltener Geduld seine »Kanäle« errichtet und oft mit den Menschen Katz und Maus gespielt.

Schlecht bekam es dem, der sich in der Hoffnung, den KGB zu überlisten, auf das Spiel einließ, denn man kann wohl einen Menschen oder eine Gruppe von Menschen betrügen, aber nicht ein System.

 

Abb.

 


210

»UdSSR 
Streng geheim
Komitee für Staatssicherheit beim Ministerrat der UdSSR
30. September ii)68
Nummer 228 i-A
Moskau
An das ZK der KPdSU Im Arbeitslager Dubrowlag verbüßt der im Februar 1966 vom Obersten > Gericht der RSFSR zu sieben Jahren Freiheitsentzug gemäß Artikel
70 Absatz i des Strafgesetzbuchs der RSFSR verurteilte A. D. SINJAWSKI seine Strafe.
Die Beobachtung seines Verhaltens im Arbeitslager hat ergeben, daß er in der letzten Zeit immer öfter über sein weiteres Schicksal nachdenkt, obwohl er weiterbin seine Schuld leugnet, im Unterschied zu DANIEL und dessen Familienmitgliedern nehmen SINJAWSKI und seine Frau an keinerlei gesellschaftsfeindlichen Aktionen teil.
Um die weitere Ausnutzung der Urteile gegen SINJAWSKI und DANIEL durch den Westen für seine antikommunistische Propaganda zu unterbinden, halten wir es für zweckmäßig, die Arbeit mit SINJAWSKI fortzusetzen, um ihn zur Einreichung eines Gnadengesuchs an das Präsidium des Obersten Sowjets zu bewegen. Im Falle des Eingangs eines solchen Gesuchs halten wir es für möglich, der Bitte SINJAWSKIS nachzukommen.
Wir bitten um Zustimmung.
DER VORSITZENDE DES KOMITEES FÜR STAATSSICHERHEIT
ANDROPOW«

 

»Protokoll Nummer III vom 14.1.69
PROTOKOLLIERT
2. Schreiben des Genossen J. W. Andropow vom
jo. September i<)68 (betr. Sinjawski)
(Genossen Suslow, Andropow, Poljanski, Schelepin, Demitschew) Dem Genossen J. W. Andropow wird erlaubt, unter Berücksichtigung des Meinungsaustausches, der auf der Sitzung des Politbüros stattfand, tätig zu werden.


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Den Mitgliedern des Politbüros des ZK der KPdSU zur Abstimmung zugeschickt.

Geheim 
ZK der KPdSU
Der vom Obersten Gericht der RSFSR zu sieben Jahren Freiheitsentzug verurteilte Schriftsteller A. D. Sinjawski, Autor von Büchern antisowjetischen Inhalts, die er im Westen unter dem Pseudonym >Abram Terz< publizierte, hat gegenwärtig mehr als zwei Drittel seiner Strafe verbüßt.
Die Beobachtung seines Verhaltens hat ergeben, daß Sinjawski im Besserungs- und Arbeitslager die Vorschriften befolgt, sich negativ gegenüber den Versuchen einzelner Gefangener verhält, ihn zu gesellschaftsfeindlichen Aktivitäten zu verleiten, und daß er durch sein Betragen keinen weiteren Grund dafür geliefert hat, daß sein Name im Ausland zu Zwecken, die gegen unseren Staat gerichtet sind, benutzt wird. Auch seine Frau Rosanowa-Kruglikowa, die in Moskau wohnhaft ist, hat sich nichts zuschulden kommen lassen.
Allerdings erkennt Sinjawski auch weiterhin seine Schuld nicht an, streitet den antisowjetischen Charakter seiner Handlungen ab und hält das Gerichtsverfahren gegen ihn weiterhin für gesetzeswidrig. Mit seiner Zustimmung hat seine Frau ein Gnadengesuch eingereicht, in dem sie als Begründung Schwierigkeiten bei der Erziehung ihres minderjährigen Sohnes angibt.
Nach der Durchsicht des Gesuchs und der Analyse des Materials sowie in Anbetracht der Tatsache, daß die Haftzeit Sinjawskis im September 1972 zu Ende geht, halten wir es für möglich, die Frage der Haftverkürzung um ein Jahr und drei Monate durch eine Begnadigung positiv zu entscheiden.
Eine solche Maßnahme würde nach unserer Meinung die Loslösung Sinjawskis von gesellschaftsfeindlichen Elementen fördern und könnte sein weiteres Verhalten positiv beeinflussen.
Der Entwurf für den Beschluß des ZK der KPdSU und den Erlaß des Präsidenten des Obersten Sowjets der RSFSR zu dieser Frage sind betgefügt.
Wir bitten um Entscheidung. 
J. Andropow R. Rudenko A. Gorkin 
12. Mai
1971 
Nummer iiiyA*


212

»Proletarier aller Länder, vereinigt euch! 
Kommunistische Partei der Sowjetunion. 
ZENTRALKOMITEE
Streng geheim 
Nummer P 4/48
An die Genossen Breschnew, Kossygin, Podgomy, Suslow, Andropow, Ru-denko, Gorkin, Jasnow, Sawinkin, Georgadse, Smirtjukow Auszug aus dem Protokoll Nummer 4 der Sitzung des Politbüros des ZK der KPdSU vom 12. Mai
1971

Über die Begnadigung von A. D. Sinjawski
Billigung des Entwurfs für den Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjets der RSFSR zu dieser Frage (wird beigefügt), SEKRETÄR DES ZK«

"UdSSR
Geheim KOMITEE für Staatssicherheit beim Ministerrat der UdSSR 26. Februar
1973 Nummer ^oyA Moskau

An das ZK der KPdSU Das Komitee für Staatssicherheit führt Maßnahmen durch, um den vorzeitig aus der Haft entlassenen Andrej Donatowitsch SINJAWSKI positiv zu beeinflussen und eine Situation zu schaffen, die zu seiner Abwendung von gesellschaftsfeindlichen Elementen beiträgt.

Durch die ergriffenen Maßnahmen ist der Name SINJAWSKIS zu einem gewissen Grad in den Augen der früher mit ihm sympathisierenden schöpferischen Intelligenz kompromittiert. Nach vorliegenden Angaben glauben einige, daß er mit den Organen des KG B zusammenarbeitet. SINJAWSKI befolgt die nach seiner Rückkehr nach Moskau mit ihm gemeinsam ausgearbeiteten Verhaltensregeln, führt ein zurückgezogenes Leben, befaßt sich mit schöpferischer Arbeit auf dem Gebiet der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts und der Geschichte der altrussischen Kunst.

Unter Ausnutzung der >Autorität< SINJAWSKIS ist es durch seine Frau ROSANOWA-KRUGLIKOWA gelungen, in für uns günstiger Weise auf die aus der Haft entlassenen DANIEL und GINSBURG einzuwirken, so daß sie keine Anstalten machen, sich aktiv an der sogenannten >demokratischen Bewegung< zu beteiligen und sich jeglicher Kontakte mit der Gruppe JAKlR enthalten.


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Es ist allerdings bekannt, daß SWJAWSKI, der im großen und ganzen unsere Empfehlungen befolgt, im wesentlichen auf seinen früheren idealistischen künstlerischen Positionen beharrt und sich die marxistisch-leninistischen Prinzipien in Fragen der Literatur und Kunst nicht zu eigen macht, weshalb auch seine neuen Werke in der Sowjetunion nicht herausgegeben werden können.
Verschiedene bürgerliche Verlage versuchen sich diesen Umstand zunutze zu machen und schlagen SINJAWSKI ihre Hilfe bei der Veröffentlichung seiner Arbeiten vor, was erneut zur Entstehung einer ungesunden Atmosphäre um seine Person führen könnte.
Am f. Januar 1973 wandte sich SINJAWSKI an die Visa- und Paßabteilung der Verwaltung für Innere Angelegenheiten des Moskauer Stadtexekutivkomitees mit dem Antrag, ihm, seiner Frau und seinem 196f geborenen Sohn auf Grund einer privaten Einladung des Professors der Pariser Universität Claude Frioux die Ausreise nach Frankreich für drei Jahre zu gestatten.
In Anbetracht all dessen sowie der Tatsache, daß SINJAWSKI die sowjetische Staatsbürgerschaft beizubehalten wünscht, halten wir es für möglich, der Ausreise der Familie SINJAWSKI aus der UdSSR keine Hindernisse in den Weg zu legen.
Eine positive Entscheidung in dieser Frage würde die Wahrscheinlichkeit verringern, daß SINJAWSKI in eine neue antisowjetische Kampagne hineingezogen würde, denn sie würde ihm den Status eines inneren Emigranten < nehmen, ihn aus dem künstlerischen Milieu herauslösen und zu einem der Schriftsteller im Ausland machen, die keine gesellschaftliche Bedeutung mehr haben.
Späterhin wird zu entscheiden sein, ob eine Rückkehr SINJAWSKIS in die Sowjetunion nach Ablauf der Aufenthaltsfrist in Frankreich zweckmäßig ist.
Wir bitten um Zustimmung.
DER VORSITZENDE DES KOMITEES FÜR STAATSSICHERHEIT 
ANDROPOW"

 

Ich habe dieses Drama deshalb fast vollständig an Hand der Dokumente nachgezeichnet, weil es erstaunlich genau Schritt für Schritt illustriert, wie geduldig und gründlich das Politbüro bei der Durchführung seiner »operativen Maßnahmen« arbeitete. Auf ihre eigene sowjetische Intelligenzija verstanden sie sich ausgezeichnet und wußten genau, wie am wirkungsvollsten Zuckerbrot und Peitsche zu dosieren waren und wie sie sich den intellektuellen Narzißmus zunutze machen konnten. 

Ich will hier keineswegs irgend jemanden persönlich »entlarven« oder sogar verurteilen, zumal diese Dokumente für die meisten von uns kaum etwas Neues enthalten. Maria Sinjawskaja verheimlichte damals nicht, daß sie sich »auf ein kompliziertes Spiel mit dem KGB« eingelassen hatte.

Was sich hinter der hölzernen Sprache Andropows verbirgt, können nur Eingeweihte verstehen. Was bedeutet zum Beispiel, »sich negativ gegenüber den Versuchen einzelner Gefangener verhalten, ihn zu gesellschafts­feindlicher Tätigkeit zu verleiten«? Das bedeutet zu schweigen, wenn ein Zellenkamerad verhöhnt wird, zu arbeiten, wenn die Lagerkameraden streiken, seinen Lagerbrei zu löffeln, wenn die Lagerinsassen den Hungerstreik erklärt haben. 

Oder was bedeutet es, »ein Gnadengesuch stellen«? De jure ist das ein Schuldeingeständnis, so sehr man danach auch behauptet, daß man seine Schuld nicht anerkennt. Das Regime verlangte ja nichts weiter von uns als das — zumindest am Anfang. 

Wer von uns sich darauf einließ, der durfte heim, bekam Freiheit, Wärme, Essen und eine liebende Frau. Aber der sterbende Galanskow ließ sich nicht darauf ein, und auch Martschenko zog es vor zu sterben. 

Wir wußten, daß das Regime sich nicht mit dem Erreichten zufriedengab, seine »Schulden« trieb es auch viele Jahre später noch ein. Jeder mußte selbst entscheiden, was er tat. Man konnte den leichteren Weg gehen, aber dann konnte man keinen Respekt seitens der Mithäftlinge erwarten und erst recht keinen Beifall verlangen.

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 wikipedia  Juri_Timofejewitsch_Galanskow  (1939-1972, 33)       wikipedia  Anatoli_Tichonowitsch_Martschenko  (1938-1986 48)

 wikipedia  NTS_-_Bund_der_russischen_Solidaristen 

 

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