5.6 Die Olympischen Spiele 1980
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Über den 1974 auf dem Höhepunkt der Entspannung gefaßten Beschluß des Internationalen Olympischen Komitees (IOK), die Sommerspiele 1980 in Moskau zu veranstalten, waren schon seit Jahren hitzige Auseinandersetzungen im Gange. Die unaufhörliche sowjetische Expansion in der dritten Welt und insbesondere die Verstärkung der politischen Repressionen in der UdSSR riefen das Gewissen derer wach, die noch eines hatten.
Es bot sich unausweichlich der berechtigte Vergleich mit den Olympischen Spielen von 1936 in Berlin an, die dem Hitler-Regime die ihm so nötige Respektabilität und Anerkennung in der Welt eingebracht hatten. Die Frage, ob die Menschheit nach 44 Jahren ihren Fehler wiederholen und erneut ein totalitäres Regime besänftigen und dessen Opfer verraten oder den Mut aufbringen würde, den Weg des Widerstands zu wählen, hatte zweifellos eine symbolische Bedeutung.
Die Lage spitzte sich 1978 nach dem Prozeß gegen Juri Orlow und die »Helsinki-Gruppe« zu, als die allgemeine Entrüstung nach einer symbolischen Geste verlangte. Damals veröffentlichte ich erstmalig meinen Aufruf zum Boykott der Olympischen Spiele,26 der bei der Presse und den gesellschaftlichen Organisationen großen Anklang fand. Buchstäblich in allen westlichen Ländern entstanden Komitees und Gruppen zur Unterstützung dieser Kampagne, obwohl nicht alle unbedingt einen Boykott forderten. Einige von ihnen wollten nur bestimmte Forderungen bezüglich der Einhaltung der Menschenrechte stellen. Diese Stimmen waren 1979 zu einem gewaltigen Chor angewachsen, der sich nicht mehr ignorieren ließ.
»Zur Diskreditierung der 22. Olympischen Spiele in Moskau versuchen die Geheimdienste des Gegners und die antisowjetischen Zentren weiterhin, verschiedene Unterstellungen >über die Verletzung der Menschenrechte in der UdSSR< auszunutzen«, berichtete Andropow dem ZK. 27)
»In einzelnen Fällen gelingt es ihnen, gesellschaftsfeindliche Elemente zu provokatorischen Handlungen im Land anzustiften und zur Abgabe verantwortungsloser Erklärungen verleumderischen Inhaltes zu verleiten, die dazu angetan sind, die antisowjetische Hysterie im Westen anzuheizen. So empfiehlt der bekannte Sowjetfeind Sacharow, daß jede ausländische Sportdelegation als Bedingung für ihre Teilnahme an der Olympiade 1980 die Freilassung eines oder zweier sogenannter <Gewissenshäftlinge> in der UdSSR fordern solle. Eine Gruppe gesellschaftsfeindlicher Elemente übergab dem Westen eine Erklärung über die Bildung einer sogenannten >Assoziation der Olympischen Garantien in der UdSSR<, die voll von Verleumdungen und provokatorischen Aufrufen ist.«
Das ganze Jahr 1979 verbrachten wir mit der Organisation dieser Kampagne, mit endlosen öffentlichen Debatten und Auftritten,28 die in Moskau nicht unbemerkt blieben. Es ist amüsant, jetzt etwas in den Berichten Andropows darüber zu lesen.
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Natürlich sah er die Hand der Geheimdienste des »Gegners« hinter unseren unermüdlichen Aktivitäten und hätte sicherlich nie geglaubt, daß hinter alledem nur wir, eine Handvoll exilierter Dissidenten, steckten.29) Doch auch unter uns gab es unterschiedliche Auffassungen. Die einen meinten, daß die Olympischen Spiele »genutzt« werden sollten, die anderen traten für einen Boykott ein. Ich gehörte zu den letzteren, weil ich wußte, daß ein totalitärer Staat über genügend Möglichkeiten zur Kontrolle der Bevölkerung, der Einreise ins Land und vor allem über die Massenmedien verfügte, um keinerlei »Ausnutzung« zuzulassen.
So war es dann auch.
Auf die Möglichkeit der »Ausnutzung« bereitete sich der KGB von Anbeginn an vor.30 Schon im Sommer 1979, ein Jahr vor Beginn der Spiele, verabschiedete das ZK die Verordnung »Über die vorübergehende Begrenzung der Einreise in die Stadt Moskau während der Olympiade 1980 und die Entsendung von Bürgern Moskaus und des Verwaltungsgebiets Moskau in Baubrigaden, Sport- und Pionierlager und andere Erholungsorte im Sommer 1980.«31)
Moskau wurde praktisch zu einer geschlossenen Stadt.
Es wurde angeordnet, daß in ihr während der Olympischen Spiele keinerlei Konferenzen, künstlerische Wettbewerbe und Exkursionen stattfinden dürften und niemand dienstlich in die Stadt beordert werden dürfe. Alle Straßen in die Stadt wurden gesperrt, es wurden besondere Umleitungen für den Transitverkehr und Umgehungslinien für den Passagiertransport geschaffen. Die Kinder wurden rechtzeitig in Sommerlager geschickt, sogar die Termine für die Aufnahmeprüfungen an den Hochschulen der Hauptstadt wurden verschoben. Die Stadien sollten sich nur mit überprüftem Publikum füllen, das meist aus Soldaten der Moskauer Garnison in Zivilkleidung bestand. Der gewöhnliche Sterbliche wurde nicht einmal in die Nähe der olympischen »Objekte« gelassen.
Zusätzlich zur Moskauer Miliz und zum KGB wurden noch 37.000 Mann Verstärkung aus anderen Teilen des Landes nach Moskau abkommandiert. Außerdem wurden mehr als 4000 Soldaten der Truppe des Innenministeriums zur Bewachung der Flugplätze und Bahnhöfe abgestellt.32)
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»Zur Bewachung des olympischen Dorfes werden 4100 Mann eingesetzt, davon
- 900 Mann für die Bewachung des Geländes,
- 1086 für den Hotel- und Wirtschaftsdienstleistungsbereich,
- 691 für die Sonderkontrollen an den Kontrollpunkten, ...
- 21758 Mann für die Sicherheit und Aufrechterhaltung der Ordnung in den 22 Sportanlagen,
- 1474 Mann in den 60 Trainingsplätzen der Sportler,
- 6813 Mann in den neun Hotels, in denen die bei den Olympischen Spielen akkreditierten Ausländer -wohnen werden,
- 3482 Mann an den Stellen, wo Touristen untergebracht sind,
- 972 Mann im Hauptpressezentrum, im olympischen Fernseh- und Radiokomplex, im Gebäude der automatisierten Verwaltungssysteme und im Antidoping-Zentrum,
- 206 Mann an den Tagungsorten des Internationalen Olympischen Komitees und der internationalen Sportföderationen,
- 164 Mann in den fünf internationalen Postämtern,
- 129 Mann in den medizinischen Einrichtungen zur Betreuung der Teilnehmer und Gäste der Spiele,
- 536 Mann an den 40 Nachtparkplätzen für Autobusse,
- 253 Mann in den 14 Busbahnhöfen,
- 627 Mann an den für Kulturveranstaltungen vorgesehenen Orten,
- 3438 Mann zur Verstärkung der für die Einhaltung der öffentlichen Ordnung vorgesehenen Kräfte an den 170 km Straßen, die von den Olympiateilnehmern passiert werden. Während der Wettkämpfe im Marathonlauf, Gehen, Radrennen und Reitsport werden zwischen 2000 und 5000 Mann eingesetzt.
- 4036 Mann für die Abriegelungsposten auf den Eisenbahnstrecken und den Autoverkehrsstraßen zur Verhinderung des Eindringens gesellschaftsfeindlicher Elemente nach Moskau und zur Einschränkung des Kraftfahrzeugverkehrs von außerhalb nach Moskau.«Sogar die olympischen Pferdeställe mußten von den Kräften des Geheimdienstes gesäubert werden.
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Natürlich wurde rechtzeitig auch eine andere, weit schlimmere »Reinigung« vorgenommen:
berichtete Andropow.33"6000 Ausländern, die während der Olympiade möglicherweise feindliche Handlungen begehen könnten, wurde die Einreise in die UdSSR verweigert. Unter den Ausländern, die in die UdSSR einreisen wollen, werden weiterbin Personen der genannten Kategorie ausfindig gemacht, und es wird ihnen ebenfalls die Einreise verweigert werden«,
»Im Zusammenhang damit werden operative tschekistische und prophylaktische Maßnahmen zur Stabilisierung der öffentlichen Ordnung in der Stadt Moskau und im Gebiet Moskau und zur Verstärkung des Kampfes gegen die gesellschaftsfeindlichen Kräfte durchgeführt. ...
Allein in Moskau leben mehr als 4.000 psychisch Kranke mit aggressivem Verhalten, und insgesamt sind in Moskau 280.000 psychisch kranke Personen registriert.«34
"Um mögliche provokante gesellschaftsfeindliche Ausschreitungen seitens geisteskranker Personen, die aggressives Verhalten an den Tag legen, zu verhindern, werden gemeinsam von den Organen des Ministeriums des Innern und des Gesundheitswesens Maßnahmen zur präventiven Isolierung dieser Personen für die Dauer der Olympiade 1980 ergriffen.«35
Schon damals blieben diese Maßnahmen nicht geheim. Die Verhaftungen begannen im Oktober/November 1979 und gingen bis zum Sommer 1980 weiter, und im Westen wurde ausführlich darüber berichtet. Ich schrieb selbst ein gutes Dutzend Artikel, die damals in nahezu allen westlichen Ländern erschienen.36) Außerdem schickte ich einen Brief an alle Sportverbände in England und an viele bekannte Sportler, deren Anschrift ich ausfindig machen konnte. Auch im Fernsehen und im Radio, in zahlreichen Debatten, habe ich darüber gesprochen.
Jeder wußte Bescheid, was da geschah, doch entweder schwieg man oder antwortete, daß man ohnehin keinen Einfluß habe und das IOK alles zu entscheiden habe. Einige reagierten sogar aggressiv und »verteidigten« den Sport gegen die »Politik«.
Nur ganz wenige Sportler leisteten unserer Bitte Folge und verzichteten auf die Teilnahme an diesem sowjetischen Spektakel. Die übrigen, die überwiegende Mehrheit, gaben vor, von nichts zu wissen. Nur ein einziger sagte mir unverhohlen, daß ein Sportlerleben zu kurz und die Olympischen Spiele zu wichtig für die Karriere seien, als daß man sich politische Gesten erlauben könnte.
Dutzende unserer Freunde kamen in die Gefängnisse, Lager und Irrenhäuser, damit diese Leute ungestört in Moskau springen und laufen konnten.
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Abb.
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Die Kampagne gegen die Olympischen Spiele hatte also lange vor dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan begonnen, der sie nur weiter anheizte.
Die Ausnutzung »der Olympischen Spiele für die Menschenrechte« fand dann allerdings nicht statt. Die am meisten dafür plädiert hatten, taten nichts dafür. Die einzigen, die eine unerwartete Initiative starteten, waren die Italiener. Der Vertreter ihrer Radikalen Partei demonstrierte auf dem Roten Platz für die Rechte der Homosexuellen. Eine Jugendgruppe, ebenfalls aus Italien, erregte öffentliches Ärgernis in Moskau. Sie hatten eine »Prawda«-Imitation verfertigt, die sie während der Olympischen Spiele in der Stadt verteilten.37 Die Zeitung war gut gelungen und auf den ersten Blick nicht vom Zentralorgan des ZK der KPdSU zu unterscheiden. Allerdings befand sich auf der ersten Seite, gleich unter dem Titel, eine geschickt gemachte Montage des Kopfes von Suslow auf dem Körper eines Strafgefangenen, auf dessen Brust ein Stalin-Porträt tätowiert war.
Diese italienische »Prawda« berichtete prophetisch von einem Militärputsch während der Olympischen Spiele, durch den die Macht der KPdSU beseitigt wurde und die RSFSR sich von der UdSSR abspaltete sowie »alle übrigen Sowjetrepubliken unverzüglich ihre Autonomie erklärten und jede von ihnen endlich ihren eigenen Entwicklungsweg in Angriff nahm«.
Indessen hatte der von Carter offiziell erklärte und von einigen Ländern unterstützte Boykott der Moskauer Olympiade auch seine positiven Seiten. Das Problem wurde zu einem zwischenstaatlichen und zwang die UdSSR, sich ernsthaft zu verteidigen. Viele Sportverbände, die von ihrer Regierung nun nicht mehr unterstützt wurden, waren gezwungen, sich im letzten Moment dem Boykott anzuschließen.
"Der Präsident der USA Carter forderte den 'Boykott der Olympischen Sommerspiele in Moskau und gab als Begründung die Hilfeleistungen der Sowjetunion für Afghanistan an«, schrieb das ZK im Januar 1980.38)
"Zu dieser Frage verabschiedete der Kongreß der USA eine entsprechende Resolution. Der feindliche Akt der US-Administration fand auf staatlicher lihene die Unterstützung von neun Regierungen (Großbritannien, Kanada, Chile, Saudi-Arabien, Ägypten, Australien, Neuseeland, Pakistan, Holland). Der direkte Druck Carters auf das Nationale Olympische Komitee i/er USA veranlaßte dieses zu dem Beschluß, sich an das Internationale Olympische Komitee mit der Bitte zu wenden, die Sommerolympiade 1980 an einen anderen Ort zu verlegen, sie zu verschieben oder überhaupt ausfallen zu lassen.
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Die Carter-Administration ist bestrebt, auch andere Länder zur Unterstützung des Boykotts zu bewegen. In entsprechenden persönlichen Botschaften hat sich der Präsident der USA an die Regierungschefs von mehr als hundert Ländern gewandt,
Die einzige Organisation in der Olympischen Bewegung, die einen Beschluß, die Spiele ausfallen zu lassen oder zu verlegen, fassen kann, ist das Internationale Olympische Komitee (IOK). Bis jetzt hat sich keiner seiner 89 Mitglieder für die Unterstützung von Carters Vorschlag ausgesprochen. Die Mehrzahl von ihnen, darunter der Präsident des IOK Killanin, sehen keinen Grund dafür, die Spiele abzusagen oder sie aus Moskau an einen anderen Ort zu verlegen.
Die gegenwärtige feindliche Kampagne der US-Administration wurde vom Internationalen Olympischen Komitee, den Vorsitzenden der 21 internationalen Sportföderationen, der überwiegenden Mehrzahl der Nationalen Olympischen Komitees, darunter auch solcher Länder, deren Regierungen öffentlich erklärt haben, den Vorschlag Carters zu unterstützen, mit Entschiedenheit verurteilt. Die Regierung und das Nationale Olympische Komitee Frankreichs haben sich als erste klar und deutlich für die Teilnahme an der Moskauer Olympiade ausgesprochen. Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland, Japans und einiger anderer Staaten nehmen eine abwartende Haltung ein. Die Boykottfrage soll innerhalb der NATO und der EG erörtert werden.«
*
Nachdem das IOK im Februar noch einmal seinen Entschluß, weder den Termin noch den Ort für die Spiele zu ändern, bekräftigt hatte, verabschiedete das Politbüro den Beschluß »Über Maßnahmen zur Unterstützung der Olympiade 1980«. Eine gigantische Maschinerie der sowjetischen Propaganda, der Manipulation, des Drucks und des Zwangs wurde in Gang gesetzt.39)
»Zur Neutralisierung der gegen die olympische Bewegung gerichteten Handlungen der US-Administration ist auf die Regierungs- und Geschäftskreise sowie die Öffentlichkeit des Auslands und die internationalen Organisationen zugunsten der 22. Olympischen Spiele einzuwirken, wobei besonderes Augenmerk zu richten ist:
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in Europa - auf die Bundesrepublik Deutschland sowie Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien; in Afrika - auf die Organisation für Afrikanische Einheit, den Obersten Sportrat in Afrika sowie Tansania, Nigeria, Kenia, Sambia, Zaire, Tunesien, Algerien und Marokko; in Asien - auf Japan, Indien, die Philippinen und Indonesien; in Lateinamerika - auf Brasilien, Argentinien, Mexiko, Kolumbien und Venezuela ... Die Einwirkung auf das NOK (Nationale Olympische Komitee, W. B.) der USA soll verstärkt und die Aufklärungsarbeit über die Olympiade 1^80 in den USA und Kanada aktiviert werden.
Im April dieses Jahres soll eine Beratung von Vertretern der Zentralkomitees der kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen Länder über die Koordinierung der Aktionen, die auf die Unterstützung der Olympiade i<)8o und die Verstärkung der Informations- und Propagandaarbeit ausgerichtet sind, stattfinden.
An die ausländischen Massenmedien soll Material geschickt werden, in dem die Haltung der progressiven Kräfte zur olympischen Bewegung erläutert und die Organisatoren der Kampagne gegen die Olympischen Spiele entlarvt werden sollen. Bekannte Vertreter ausländischer Massenmedien, internationaler sowie nationaler Nachrichtenagenturen sollen in die UdSSR eingeladen werden, damit sie mit dem Gang der Vorbereitungen auf die 22. Olympischen Spiele bekannt gemacht werden, Informationen über die bevorstehenden Spiele erhalten und ihnen die Situation in der internationalen olympischen Bewegung erläutert wird. Es sollen Reisen von Joumalistengruppen in die UdSSR aus verschiedenen Gegenden der Welt zu ermäßigten Preisen organisiert werden.
In einigen Ländern sollen Pressekonferenzen, Fernsehinterviews und andere Veranstaltungen durchgeführt werden, in denen über die ausländischen Massenmedien Informationen über die gegenwärtigen Ereignisse um die Olympiade 1^80 geliefert und die bereits geleisteten Vorbereitungsarbeiten für die Spiele dargestellt werden sollen. Zu diesem Zweck sollen sowjetische Vertreter in die jeweiligen Länder entsandt und Filmvorführungen und Ausstellungen über die Vorbereitungen für die 22. Olympischen Spiele organisiert werden.
Im März/April dieses Jahres sollen einflußreiche Mitglieder des IOK, führende Persönlichkeiten der internationalen, regionalen und nationalen Sportorganisationen (maximal 40 Personen) in die Sowjetunion eingeladen
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werden... Von März. bis Juni sollen sowjetische Vertreter zur Teilnahme an Welt- und Europameisterschaften sowie anderen Veranstaltungen, die von internationalen Sportföderationen durchgeführt werden, und zur Durchführung von Informationsarbeit über die aktuellen Probleme der olympischen Bewegung entsandt werden ...
Auf Veranstaltungen, die im Rahmen der internationalen Kontakte mit Partnerstädten und Hauptstädten anderer Länder vorgesehen sind, sollen die Bereitschaft Moskaus für die Durchführung der Olympiade aufgezeigt und unsere Haltung zu den Problemen der olympischen Bewegung erläutert werden.
Der WZSPS (Allunions-Zentralrat der Gewerkschaften, W. B.), das ZK des Komsomol, der Verband der Sowjetischen Gesellschaft für Freundschaft und kulturelle Verbindungen mit anderen Staaten, das Sowjetische Frauenkomitee, das Sowjetische Komitee zur Verteidigung des Friedens und die Verbände der schöpferischen Intelligenz sollen über die entsprechenden internationalen und nationalen Organisationen auf die öffentliche Meinung zugunsten der Abhaltung der Olympischen Spiele 1980 in Moskau einwirken und mit geeigneten Argumenten die Positionen der amerikanischen Administration und ihrer Verbündeten entlarven.
Es muß die erforderliche Arbeit geleistet werden, um zu erreichen, daß die ausländischen religiösen Kreise sich für die Abhaltung der Olympischen Spiele 1980 als einer Veranstaltung, die die Völker einander näherbringt und den Frieden festigt, aussprechen.«
Alle sowjetischen Botschafter auf der Welt erhielten detaillierte Anweisungen mit den genauen Formulierungen dessen, was zu wem gesagt werden sollte.
»Der Beschluß der Tagung des IOK muß als ein wichtiger Erfolg der progressiven Tendenzen in der olympischen und internationalen Sportbewegung und als politische und moralische Niederlage der amerikanischen Administration eingeschätzt werden ... Die positiven Resultate der 82. Tagung des IOK sind jedoch noch kein Anlaß, sich zu beruhigen. Allem Anschein nach werden die Regierung der USA und Carter persönlich nach dieser Niederlage weiterhin alle Mittel einsetzen, um die Abhaltung der Olympiade i<^8o zu verhindern«, schrieb das Politbüro.
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"In erster Linie ist neuer Druck seitens der USA auf die Regierungen der westlichen Länder zu erwarten mit dem Ziel, diese zur Beeinflussung der rationalen Olympischen Komitees zu bewegen und eine Teilnahme an der Moskauer Olympiade zu verhindern. Die Amerikaner sind, wie die Fakten zeigen, bereits in dieser Beziehung tätig (siehe die Reise von Cyrus Vance in mehrere europäische Länder, die Rede von Margaret Thatcher im Parlament und anderes). Die Amerikaner üben ihren Einfluß weiterhin auf die Regierungen Asiens, Afrikas, Lateinamerikas, besonders aber auf die islamischen Länder, aus ...
In dieser Lage ist es erforderlich, die Aktivitäten der V S-Administration und einiger ihrer Verbündeten und Helfershelfer zu entlarven:
- als beispiellosen politischen Druck auf die internationale olympische Bewegung, der ihren Riegeln und Prinzipien direkt widerspricht;
- als Versuch, nicht nur die Olympischen Spiele 1980 zum Scheitern zu bringen, sondern die gesamte olympische Bewegung als positive Erscheinung des gegenwärtigen gesellschaftlichen Lebens, die die Zusammenarbeit zwischen den Ländern und Völkern und die Schaffung einer Atmosphäre der Freundschaft und des Friedens fördert;
- als politische Spekulation, die für den Wahlkampf des gegenwärtigen US-Präsidenten in Gang gesetzt wurde;
- als eine Handlung, die dem Geist und den konkreten Bestimmungen der Schlußakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Helsinki direkt widerspricht und eine Verletzung der Menschenrechte darstellt. Die führenden Persönlichkeiten der Sportbewegung, die Mitglieder des IOK, die Führungen der 'Nationalen Olympischen Komitees, die Bürger der jeweiligen Aufenthaltsländer, die sich für eine Teilnahme an den Olympischen Spielen 1^80 aussprechen, sind zu unterstützen. Falls es notwendig ist, sollen begründete Vorschläge bezüglich Einladungen öffentlicher Persönlichkeiten, Wissenschaftler und anderer einflußreicher Personen des Aufenthaltslandes zu den Olympischen Spielen vorgebracht werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß dies eine reale Unterstützung für die Olympiade darstellen würde.
Nur für Paris: Es ist erfreulich festzustellen, daß das Nationale Olympische Komitee Frankreichs dem Vermächtnis seines großen Landsmannes Pierre Coubertin treu bleibt und sich konsequent für die Prinzipien der olympischen Bewegung der Gegenwart einsetzt ...
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Nur für London: In Gesprächen mit Persönlichkeiten der Sportbewegung ist zu sagen: Wir verstehen, daß man einen echten englischen Sportsgeist besitzen muß, um unter den heutigen Bedingungen den Prinzipien der olympischen Bewegung und den Interessen des wahren Sports die Treue zu wahren und dem Druck, der auf das Nationale Olympische Komitee Englands ausgeübt wird, zu widerstehen ...
Nur für Buenos Aires, Brasilia, Caracas, Bogota, Mexiko, Montevideo:
In Gesprächen mit den entsprechenden Persönlichkeiten ist zu sagen: In der Sowjetunion wird die Haltung des Aufenthaltslandes zugunsten der Durchführung der Olympischen Sommerspiele in Moskau gewürdigt ... Bringen Sie die Hoffnung zum Ausdruck, daß die offiziellen Persönlichkeiten, die Vertreter des NOK, der Sportorganisationen und der Presse des Aufenthaltslandes ihren Einfluß und die traditionellen Verbindungen benutzen, um andere lateinamerikanische Länder zur Teilnahme an der Moskauer Olympiade zu bewegen.
Nur für Conakry, Accra, Brazzaville, Daressalam, Lagos und Lusaka:
Unterstreichen Sie in den Gesprächen, daß sich die sowjetischen Menschen über die Erfolge der Völker, die den Weg einer wahren nationalen Unabhängigkeit beschritten haben, und über ihre Errungenschaften auf politischem, wirtschaftlichem und sozialem Gebiet freuen. Die Versuche westlicher Kreise, die Moskauer Olympiade zum Scheitern zu bringen, sind nichts anderes als die Fortsetzung ihrer früheren Machenschaften, die auf die Isolierung der Völker und die Untergrabung der internationalen Zusammenarbeit ausgerichtet sind.«
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Es war eine phantastische Maschinerie, wie es ihresgleichen in der Geschichte der Menschheit noch nicht gegeben hatte. Schon einen Monat später wurde dem ZK berichtet: In 60 Ländern seien über 140 Ausstellungen über die Olympiade 1980 gezeigt worden. Zwanzig Dokumentarfilme seien produziert worden. »Ein internationaler Fotowettbewerb, der den Spielen in Moskau gewidmet ist, wird vorbereitet. Mehr als 1300 Begegnungen mit ausländischen Journalisten fanden statt, in der UdSSR und im Ausland sind 90 Pressekonferenzen durchgeführt worden.«40) Es fand sich eine amerikanische Gesellschaft, die eine Serie von Dokumentarfilmen, die dem Kulturprogramm der Moskauer Olympiade gewidmet sind, zu drehen wünschte.
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Die Gesellschaft (Foreign Transactions Corporation) bezahlte auch noch für die ihr erwiesene »technische und künstlerische Unterstützung«.41) Die Übertragungsrechte für die Spiele selbst wurden sofort an die amerikanische Fernsehgesellschaft NBC verkauft, ebenfalls gegen harte Währung und Ausrüstung. Gleichzeitig wurde den sowjetischen Botschaftern mitgeteilt:42)
»Zu Ihrer Information teilen wir ihnen mit, daß die sowjetische Seite günstige Preise für die Fahrt der Sportler aus einer ganzen Anzahl von Ländern zu den Spielen nach Moskau gewährt (Ermäßigung von 50 und 100 Prozent) und für deren Aufenthalt im olympischen Dorf aufkommt.
Der Generaldirektor der UNESCO M'Bow (ein Bürger des Senegal) brachte den Wunsch zum Ausdruck, für einige Tage zu den 22. Olymp'r sehen Spielen eingeladen zu werden«, berichtet das Außenministerium.
»Infolge der Situation, die um die 22. Olympischen Spiele entstanden ist, könnte der Generaldirektor der UNESCO der ranghöchste Vertreter unter den anwesenden Leitern der Sonderorganisationen der UNO sein. Angesichts dessen und der Tatsache, daß M'Bow in der Vergangenheit mehrmals die UdSSR als Gast der sowjetischen Regierung besucht bat, erachtet es das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR (die Kommission der UdSSR für Angelegenheiten der UNESCO) für zweckmäßig, auch diesmal den Generaldirektor der UNESCO während der Olympischen Spiele in der UdSSR als Gast der sowjetischen Regierung zu empfangen. Eine andere Lösung könnte angesichts der Empfindlichkeit M'Bows in protokollarischen Fragen eine für uns unerwünschte Reaktion auslösen. Gegenüber der Sowjetunion hegt M'Bow Sympathie und tritt - im Gegensatz zu den USA -für die Einbeziehung der UNESCO in den Kampf für den Frieden, die Entspannung und die Abrüstung ein. «43
Plötzlich ein neues Unheil:
Der durch die allgemeine Kritik verstimmte Lord Killanin, der Präsident des IOK und die Hauptstütze der Sowjets in der ganzen Kampagne, wollte etwa einen Monat vor dem Beginn der Spiele in Moskau zurücktreten. Das durfte nicht zugelassen werden.
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»In Zusammenhang mit der Entscheidung Killanins, vom Posten des Präsidenten des IOK zurückzutreten, ist ihm eindringlich zu empfehlen, bis zur Tagung des IOK in Moskau von irgendwelchen Erklärungen zu dieser Frage Abstand zu nehmen, weil die Rücktrittsabsichten Killanins von den Gegnern der olympischen Bewegung als Beweis für den Verfall und die Demoralisierung des IOK angesehen werden«, verfügte eiligst das ZK.44)
Um den verstimmten Lord etwas zu ermutigen, wurde beschlossen, ihn mit dem Orden der Völkerfreundschaft »für aktive Tätigkeit für die Entwicklung der internationalen olympischen Bewegung und seinen großen Beitrag zur Vorbereitung und Durchführung der Olympischen Spiele von 1980 in Moskau« auszuzeichnen.45 Breschnew persönlich heftete diese Auszeichnung am Ende der Olympischen Spiele an seine Brust.
Schließlich ließen sie sich im letzten Moment, genau zwei Wochen vor der Eröffnung, noch etwas einfallen:
»Im Zusammenhang mit dem in Übereinkunft mit der afghanischen Regierung durchgeführten Abzug einiger sowjetischer Truppenkontingente, deren Verbleiben in Afghanistan im gegenwärtigen Augenblick nicht erforderlich ist, erscheint es als zweckmäßig, diese Maßnahme zur zusätzlichen Einflußnahme auf die Nationalen Olympischen Komitees einiger Länder mit dem Ziel einer breiteren Teilnahme an den Spielen in Moskau auszunutzen.«46)
Wieder gibt es einen »Maßnahmenplan« - Anweisungen an alle sowjetischen Botschafter, alle Vertreter und Delegationen, Schreiben und Telegramme. Die einzigartige Propagandamaschine, die keinen Stillstand, keine Hindernisse und keine Niederlagen kannte, lief auf Hochtouren.
»Das ZK der KPdSU stellt mit Genugtuung fest, daß die Moskauer Olympiade ein großer moralischer und politischer Erfolg der Sowjetunion war«, stellte das Politbüro nach dem Ende der Spiele fest.47
»Die Vorbereitung und Durchführung der Olympischen Spiele war eine große außenpolitische Aktion unseres Landes im Kampf für die Fortsetzung der Entspannung in der Welt, Sie hat mit neuer Kraft die Konsequenz und
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Fruchtbarkeit der Politik der KPdSU, des sowjetischen Volkes, des Genossen L, L Breschnew persönlich bestätigt, die auf die Festigung des Friedens, der Freundschaft, der Zusammenarbeit und der Verständigung zwischen den Völkern ausgerichtet ist.
Während der Vorbereitungen und der Durchführung der Olympischen Spiele wurden anschaulich die Vorzüge der sowjetischen Lebensweise, unserer sozialistischen Demokratie, die politische Geschlossenheit und ideologische Einheit der sowjetischen Gesellschaft, die Disziplin, die hoben moralischen Eigenschaften der sowjetischen Menschen, ihre Gastfreundschaft, ihr Internationalismus und ihre Freundlichkeit unter Beweis gestellt. Auf der Olympiade zeigte sich klar der Respekt vor den humanen Prinzipien und den Idealen der olympischen Bewegung. All das fand eine weite politische Resonanz, in der internationalen Öffentlichkeit und hatte einen großen ideologischen Effekt in der ganzen Welt.
Mit der erfolgreichen Durchführung der Spiele wurde den Ambitionen der US-Administration, die versuchte, die Olympiade in Moskau zum Scheitern zu bringen und die internationale olympische Bewegung zu schädigen, um die internationale Spannung zu verschärfen, ein Schlag versetzt. Ein wichtiges politisches Ergebnis des Kampfes im Zusammenhang mit der Moskauer Olympiade ist die Tatsache, daß die meisten westeuropäischen N'ATO^Verbündeten der USA trotz des starken Druckes der amerikanischen Administration repräsentative Sportdelegationen zu den Spielen entsandten.«
Den brüderlichen kommunistischen und Arbeiterparteien sollte mitgeteilt werden:48
•Im ganzen gesehen ist der Boykott der Moskauer Olympiade, den die US-Administration und einige ihrer Verbündeten durchsetzen wollten, gescheitert. An den Olympischen Spielen nahmen nationale Sportdelegationen aus 81 Ländern mit insgesamt 8}oo Personen teil. Zur Olympiade kamen j^oo Ehrengäste und offizielle Persönlichkeiten sowie 2.00 ooo ausländische Touristen aus 72 Ländern. Die Wettkämpfe wurden von etwa fünf Millionen Zuschauern besucht ... Die Weltöffentlichkeit hat den Olympischen Spielen große Aufmerksamkeit geschenkt. Bei den Spielen waren ^29 Vertreter der Massenmedien akkreditiert, darunter }foo aus dem Ausland.
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Die Fernsehreportagen von den Spielen wurden in alle Kontinente der Welt übertragen. Sie wurden täglich von 1,1 Milliarden Menschen gesehen.
Es kann festgestellt werden, daß es im großen und ganzen gelungen ist, die antiolympische und antisowjetische Propagandawelle des Westens abzuwehren und die >Informationsblockade< der Spiele zu durchbrechen ... Viele westliche Journalisten, die anfangs keine Mühe bei der Suche nach megativem Material< scheuten, waren alsbald gezwungen, die vortreffliche Organisation der Wettkämpfe, den erstklassigen Zustand der Sportanlagen, die Effektivität der sowjetischen Informationsdienste und so weiter zu konstatieren.
Charakteristisch ist auch, daß die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer und Gäste der Olympiade, die zunächst voreingenommen gegenüber der sozialistischen Wirklichkeit gewesen waren, später den verleumderischen Hirngespinsten der bürgerlichen Propaganda eine entschiedene Abfuhr erteilten.^
Im Kreml feierte man den Sieg. Für besondere Verdienste wurden mit Orden und Medaillen ausgezeichnet: 5000 Arbeiter und Angestellte,49 300 Armeeangehörige, 1500 Mitarbeiter des Innenministeriums und 8$o Mitarbeiter des KGB.50 Und ein Lord erhielt noch den »Orden für Völkerfreundschaft«.
* * *
7. Rettungsmaßnahmen für die Entspannung
Durch die Olympiade wurde Afghanistan mit seinen Problemen in den Hintergrund gedrängt. Es sollte nun vor allem »die Entspannung gerettet« und die politische Isolation durchbrochen werden. Wir hatten gesehen, wie die sowjetische Führung schon im März 1979 die Folgen der Invasion völlig realistisch einschätzte. Bereits Ende Januar 1980 verabschiedete das Politbüro den Beschluß »Über die weiteren Maßnahmen zur Sicherung der staatlichen Interessen der UdSSR in Zusammenhang mit den Ereignissen in Afghanistan«, in dem neben Maßnahmen zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan (einschließlich »Maßnahmen besonderer Art zur Spaltung der Organisationen der afghanischen Emigranten und Diskreditierung ihrer Führer« — die Quelle des späteren brudermörderischen Gemetzels nach dem Abzug der sowjetischen Truppen) auch der allgemeine Plan für eine politische Kampagne geliefert wurde.
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»Die rechtzeitige allseitige - darunter auch militärische - Hilfe der Sowjetunion für Afghanistan und der Machtantritt der Regierung Babrak Karmal haben die notwendigen Voraussetzungen für eine Stabilisierung der Lage in der Demokratischen Republik Afghanistan geschaffen und einigen für uns gefährlichen Tendenzen in der Entwicklung des Nahen Ostens ein Ende gesetzt«, schrieben Gromyko, Andropow, Ustinow und Ponomarjow.51)
»Allerdings zeigt der Lauf der Ereignisse, daß die USA, ihre Verbündeten und die Volksrepublik China sich das Ziel gesetzt haben, die Ereignisse in Afghanistan maximal dafür auszunutzen, um die Atmosphäre des Antisowjetismus anzuheizen und gegen die Sowjetunion gerichtete langfristige außenpolitische Aktionen, die das Gleichgewicht der Kräfte zu ihren Gunsten verschieben sollen, zu rechtfertigen. Der Westen und die Volksrepublik China leisten der afghanischen Konterrevolution immer umfangreichere Hilfe, wobei sie darauf spekulieren, daß es ihnen gelingt, den Konflikt in Afghanistan so in die Länge zu ziehen, daß die Sowjetunion sich schließlich hoffnungslos darin verstrickt, was sich letztlich negativ auf das internationale Prestige und den Einfluß der UdSSR auswirken würde.
Die Notwendigkeit, die umfangreichen außenpolitischen Interessen und die Sicherheit der UdSSR zu wahren, erfordert auch weiterhin Maßnahmen offensiven Charakters, wie sie im Zusammenhang mit den Ereignissen in Afghanistan durchgeführt wurden.«
Der von der Parteiführung vorgelegte komplexe Handlungsplan umfaßt praktisch alle Aspekte der internationalen Politik:
»- In den Beziehungen zu den USA soll den provokatorischen Schritten der Carter--Administration auch in Zukunft eine ausgewogene und feste Linie in internationalen Angelegenheiten entgegengestellt werden. Ungeachtet der Tatsache, daß Washington auch weiterhin als Initiator antisowjetischer Kampagnen auftreten und bestrebt sein wird, die Handlungen seiner Verbündeten hierbei zu koordinieren, soll bei unseren Gegenmaßnahmen davon ausgegangen werden, daß es nicht zweckmäßig ist, die vielschichtigen Beziehungen zwischen der Sowjetunion und den USA zu belasten.
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- Die Einflußnahme auf die einzelnen NATO-Verbündeten der USA, besonders auf Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland, ist zu verstärken, wobei die zutage getretenen Unterschiede zwischen ihnen und den USA in der Reaktion auf die Aktionen der Sowjetunion in Afghanistan maximal zu unserem Vorteil auszunutzen sind.
- Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Ereignisse in Afghanistan von den USA und der Volksrepublik China als passender Vorwand für eine weitere gegenseitige Annäherung auf der Grundlage der Gegnerschaft zur Sowjetunion genutzt werden, müssen langfristige Maßnahmen zum Zwecke der Störung der Beziehungen zwischen Washington und Peking, die sich im Rahmen der sogenannten Dreier-Allianz USA-Volksrepublik China-Japan entwickeln, getroffen werden ...
- Die Bewegung der Blockfreien soll unter Ausnutzung der Möglichkeiten Kubas und der Sozialistischen Republik Vietnam sowie der Staaten des fortschrittlichen flügeis der Bewegung der Blockfreien zu Aussagen zugunsten der afghanischen Regierung veranlaßt werden. Mögliche Versuche des Westens und Chinas, die Bewegung der Blockfreien zu einer Verurteilung der Handlungsweise der Sowjetunion und zur Isolierung Afghanistans zu veranlassen und die Situation zur Schwächung des progressiven flügeis der Bewegung der Blockfreien auszunutzen, sind zu verhindern.
- Die Hauptanstrengung zur Abwehr der feindlichen Aktivitäten der USA und ihrer Verbündeten soll auf die islamischen Länder des Nahen und Mittleren Ostens, vor allem auf Pakistan und den Iran, aber auch die einflußreichen Staaten Asiens, wie zum Beispiel Indien, konzentriert werden, Die Bestrebungen Washingtons, eine einheitliche front des Westens und einiger muslimiscber Staaten zu bilden und den islamischen Fanatismus in eine antisowjetische Richtung zu lenken, sollen vereitelt werden.
Da die USA und China vor allem Pakistan für ihre Ziele ausnutzen wollen und die wichtigsten Stützpunkte der afghanischen Banden sich auf dem Territorium dieses Landes befinden, soll ständig mäßigender Einfluß auf das Regime des Zia ul-Haq, unter anderem über die Sonderkanäle, ausgeübt werden, und er soll zu Maßnahmen bewogen werden, die die Aktivitäten der von pakistanischem Territorium aus operierenden Aufrührer einschränken,
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- Es sind Maßnahmen zu ergreifen, die auf die Beibehaltung der antiimperialistischen, vor allem der antiamerikanischen Linie in der Außenpolitik des Iran gerichtet sind, weil die fortgesetzte Krise in den iranisch-amerikanischen Beziehungen die Möglichkeiten des Cbomeini-Regimes, gegen die afghanische Regierung aufgrund der muslimischen Solidarität Partei zu ergreifen, einschränkt ...
- Bei der Durchführung der außenpolitischen und propagandistischen Maßnahmen soll in noch stärkerem Maße mit der These argumentiert werden, daß die militärische Hilfe der Sowjetunion für Afghanistan im Zusammenhang mit den bereits seit längerem von den USA unternommenen provokativen Versuchen zu sehen ist, einseitige militärische Vorteile in Gebieten, die für die UdSSR von strategischer Bedeutung sind, zu erringen.*
Die gesamte weitere Außenpolitik der Sowjetunion war von diesem Dokument geprägt. Es folgte in der Tat alsbald eine »Initiative Kubas« in der Bewegung der Blockfreien (wo Kuba zu jener Zeit den Vorsitz innehatte) für eine »politische Regelung« des Afghanistan-Problems durch bilaterale Gespräche mit Pakistan und dem Iran (später die Genfer Verhandlungen).52 Die Propaganda in Richtung Iran, darunter vor allem Radio- und Fernsehsendungen aus Usbekistan und Aserbaidschan, wurden verstärkt.53
Dann wurde die Kampagne »zur Aktivierung von Protesten der internationalen Öffentlichkeit gegen die aggressiven Akte der USA im Persischen Golf« gestartet. Die Initiative bei dieser Kampagne wurde dem Südjemen übertragen, doch der »Maßnahmenplan« umfaßte so gut wie alle Länder der Region, um nicht zu sagen ganz Asien und Afrika. Durchgeführt wurde sie mittels sowjetischer Organisationen wie des Solidaritätskomitees für die Länder Asiens und Afrikas, des Weltfriedensrates und ihrer progressiven Verbündeten.54
Vom Umfang dieser Kampagne zeugt die Liste der für die allererste Zeit geplanten Maßnahmen:
Das sowjetische Komitee zur Verteidigung des Friedens soll dem Weltfriedensrat und der Allindischen Organisation für Frieden und Solidarität bei der Vorbereitung und Durchführung der Konferenz für Frieden und Sicherheit in Asien (Delhi, 23. bis 2f. März dieses Jahres), die der praktische
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Anfang einer Protestkampagne werden konnte, die erforderliche Hilfe leisten. Es sollen die erforderlichen Maßnahmen zur Vergrößerung der Zahl der Konferenzteilnehmer aus den Ländern des Persischen Golfs und der angrenzenden Regionen getroffen werden. Die entsprechenden sowjetischen Organisationen und Behörden sollen die folgenden bevorstehenden internationalen Veranstaltungen nutzen, um die aggressiven Akte der USA im Bereich des Persischen Golfs zum Thema zu machen und die Verabschiedung von Erklärungen zu dieser Frage zu erreichen:
- die Internationale Konferenz der Gewerkschaften der in der Erdölindustrie Beschäftigten der Erdöl/Order- und Erdölverbraucherländer (Tripolis, 24. bis 30. März dieses Jahres),
- die Internationale Konferenz gegen Militärstützpunkte, für Sicherheit und Zusammenarbeit in der Mittelmeer-Region, die von der Organisation für Solidarität der Völker Asiens und Afrikas durchgeführt wird (Malta, 28. bis 30. März dieses Jahres),
- die Internationale Konferenz für die Solidarität mit den Bauern Palästinas (Bagdad, 30. März bis 2. April dieses Jahres),
- das Internationale Seminar der Frauenorganisationen der Arabischen Halbinsel und des Persischen Golfs (Volksdemokratische Republik Jemen, April dieses Jahres),
- die Sitzung des Büros des Weltgewerkschaftsbundes (Cotonou, 16. bis 17. April dieses Jahres),
- den Kongreß des Weltbundes der Arabischen Studenten (Tripolis, April dieses Jahres),
- die internationale Begegnung, die dem 2f. Jahrestag der Bandung-Konferenz gewidmet ist und von der Organisation für die Solidarität der Völker Asiens und Afrikas einberufen wurde (Colombo, 18. bis 24. April dieses Jahres),
- die Internationale Konferenz für die Solidarität mit der Jugend Palästinas und des Libanon, die von der Union der Arabischen Jugend mit Unterstützung des Weltbundes der Demokratischen Jugend organisiert wird (Libanon, April dieses Jahres),
- die Sitzung des Präsidiums der Organisation für die Solidarität der Länder Asiens und Afrikas und andere."
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Es waren also alle »progressiven« Regime, Organisationen und Foren, alle »Stützpunkte« des Sozialismus in der Region des Indischen Ozeans einbezogen. Im April, als die Kampagne ein beträchtliches Ausmaß angenommen hatte, folgten der Beschluß des Politbüros »Über den Widerstand gegen die Pläne der Erweiterung der militärischen Präsenz der USA in der Region des Nahen und Milderen Ostens und des Indischen Ozeans«, Anweisungen an alle sowjetischen Botschafter und sogar ein Spezialauftrag an die »Freunde des Volkes«:
"Der KGB soll über seine speziellen Kanäle in den Entwicklungsländern, besonders in den arabischen Staaten und dem Iran, die Aktivierung der Protestaktionen gegen die amerikanische militärische Präsenz und die interventionistische Bedrohung seitens der USA fördern. Die USA führen weiterhin praktische Maßnahmen zur Erweiterung ihrer dauerhaften militärischen Präsenz in der Region des Nahen und Mittleren Ostens und des Indischen Ozeans durch, indem sie neue Militärba-\m und Stützpunkte schaffen«, schrieben Gromyko, Andropow und Ustinow.55
"Im einzelnen handelt es sich um die Nutzung amerikanischer militärischer Objekte in Oman, Somalia, Kenia sowie in Ägypten und Israel. Die amerikanische Administration versucht, die Ereignisse im Iran und in Afghanistan zur Tarnung ihrer Kriegsvorbereitungen zu nutzen. Wir halten es für zweckmäßig, im Gegenzug zu den amerikanischen Plänen unsererseits eine Reihe zusätzlicher Schritte zu unternehmen.«
Mindestens zwei Beschlüsse verabschiedete das Politbüro bezüglich Chinas, wobei es der »amerikanisch-chinesischen militärischen Zusammenarbeit entgegenzuwirken«56 und den »proimperialistischen Kurs Pekings« in den Augen der Länder der Dritten Welt zu »entlarven« trachtete.57
Trotz des großen Ausmaßes waren das alles Nebenaktionen. Die Hauptkampagne »offensiven Charakters« sollte in Europa und den USA in Gang gesetzt werden. Deshalb waren die ersten, an die sich das» Politbüro nach der Invasion in Afghanistan wandte, seine »Entspannungspartner« — besonders die europäischen Sozialdemokraten, im einzelnen Willy Brandt und der Vorsitzende der finnischen So-
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zialdemokraten, der ehemalige Premierminister und Außenminister Kalevi Sorsa, der, wie wir uns erinnern, »vertrauensvoll« in Fragen der Entspannung und Abrüstung mit Moskau »zusammenarbeitete«.58 Brandt war zu jener Zeit Vorsitzender der Sozialistischen Internationale und Sorsa einer ihrer stellvertretenden Vorsitzenden, der Leiter einer Sondergruppe, die die Tätigkeit der Sozialistischen Internationale in Fragen der Entspannung und Abrüstung koordinierte. In den für Brandt und Sorsa bestimmten Botschaften59 wurde behauptet, daß kein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem sowjetischen Einfall in Afghanistan und der plötzlich entstandenen internationalen Spannung bestehe. Die letztere, so versuchte das Politbüro zu beweisen, war die Folge der aggressiven Politik des Westens und insbesondere der USA. Hier fand zum erstenmal die »Dezember-Tagung des NATO-Rates«, die später zum Lieblingsargument der »Kräfte des Friedens, Fortschritts und Sozialismus« im Wester wurde, als Hauptquelle allen Unheils Erwähnung.
j der internationalen Lage geführt haben«, schrieben sie an Brandt, j»In der letzten Zeit sind, besonders im Zusammenhang mit dem Beschluß da Dezember-Tagung der NATO, Dinge geschehen, die zu einer Komplizierung
»Bekanntlich hat die Sowjetunion mehrmals davor gewarnt, daß den Verhandlungen der Boden entzogen und jegliche Grundlage für Gespräche zerstört wird, falls die NATO im Dezember den vorgesehenen Beschluß faßt, Unsere Zustimmung zu Verhandlungen angesichts des NATO-Beschlusses würde bedeuten, daß nur über die Verringerung des sowjetischen Verteidi- \ gungspotentials gesprochen würde, während in den USA die Herstellung neuer Systeme von Atomraketen in vollem Tempo vorangetrieben würde.
Im Kommunique der Tagung des NATO-Rates wird in schroffer form l die Bedingung gestellt, daß nur über die amerikanischen und sowjetischen taktischen landgestützten nuklearen Mittelstreckenraketensysteme verhandelt werden soll. Alle anderen vorgeschobenen Kampfmittel der USA, die Kem-waffenarsenale der anderen Länder Westeuropas, das beißt all das, was als Gegengewicht zu den sowjetischen Mittelstreckenwaffen dient, wird von den vorgeschlagenen Verhandlungen < ausgeklammert und unberührt gelassen. Von der Sowjetunion wird eine beträchtliche Verringerung ihrer vorbände-. nen Verteidigungswaffen gefordert, während das mächtige Kernwaffenpotential, über das die NATO verfügt und das gegen die UdSSR und ihre Verbündeten gerichtet ist, bestehen bleiben soll.*
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All das, so schreibt das Politbüro, »offenbart, welchen Kurs die gegenwärtige amerikanische Administration nicht erst seit heute, sondern bereits vor den Ereignissen in Afghanistan eingeschlagen hat.« Dieser Kurs habe sich bereits lange abgezeichnet und seinen deutlichsten Ausdruck in der »Carter-Doktrin« erhalten.
»In ihr sind die in letzter Zeit von der amerikanischen Administration ergriffenen Maßnahmen zur Eskalation des Wettrüstens und zur Verschärfung der internationalen Spannung zusammengefaßt. Es bandelt sich um Versuche, die Doktrinen aus der Zeit des Kalten Krieges - der >Eindäm-mung< und >Zurückdrängung< des Sozialismus und des >Balancierens am Rande des Krieges< - wiederzuerwecken.
Es ist offensichtlich, daß Carter und Brzezinski auf die Einschüchterung der UdSSR, auf die Isolierung unseres Landes und die Schaffung aller möglichen Erschwernisse setzen. Diese Politik ist zum Scheitern verurteilt, denn es ist unmöglich, die Sowjetunion einzuschüchtern oder sie ins Wanken zu bringen.
Während der Begegnungen mit einer Arbeitsgruppe der Sozialistischen Internationale in Moskau wurde darüber gesprochen, welches Ziel Carter mit seiner Politik ansteuert. Jetzt findet das eine deutliche Bestätigung. Es soll in der Tat das zunichte gemacht werden, was in den letzten zehn Jahren von den Menschen guten Willens, darunter auch von den Sozialdemokraten, erreicht wurde.«
Das war der erste Punkt. Der zweite war, daß die Entspannung »gerettet« werden mußte, wie auch immer.
•In dieser Situation muß an der Politik der Entspannung festgebalten werden. Von großer Bedeutung sind daher Aussagen des Inhaltes, daß jetzt
•ein kühler Kopf bewahrt werden muß und die Gespräche fortgesetzt werden müssen <, daß Nervosität eine durchdachte Politik nicht ersetzen kann<, daß rf 'nötig ist, undurchdachte und übertriebene Reaktionen, die dem Wesen der Ereignisse nicht angemessen sind und zur Verschlimmerung der Lage führen können, zu vermeidend.
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Unsere Position besteht darin, ernsthaft, verantwortungsvoll und beharrlich für die Prinzipien der friedlichen Koexistenz und für all das Positive in der Entwicklung normaler, von gegenseitigem Nutzen bestimmter Beziehungen zwischen den Staaten einzutreten, was durch den Entspannungsprozeß erreicht wurde.
In dieser schwierigen Lage beabsichtigt die Führung der KPdSU nicht, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Wir werden auch in Zukunft ein Maximum an Ruhe und Besonnenheit an den Tag legen. Wir ergreifen alle erforderlichen Maßnahmen, um zu verhindern, daß uns die Carter-Admi-nistration die Konfrontation aufzwingt und die Ergebnisse der Entspannungspolitik annulliert werden. Wir verzichten - im Gegensatz zur amerikanischen Regierung - auf übereilte Handlungen, die die internationale '• Lage noch weiter zuspitzen könnten und den Anhängern des Kalten Krieges in die Hände arbeiten.«
Was die Ereignisse in Afghanistan betrifft, so haben sie natürlich zu alledem keinen Bezug. Man muß sie »ohne Voreingenommenheit und Nervosität« betrachten und sich bewußt sein, daß sie durch den »unerklärten Krieg« seitens der CIA und Pekings hervorgerufen wurden, der das offensichtliche Ziel hat, die »Errungenschaften der April-Revolution zu liquidieren, die alte, volksfeindliche Ordnung wiederherzustellen und Afghanistan in ein Aufmarschgebiet für eine Aggression gegen die UdSSR, mit der das Land eine 2000 Kilometer lange Grenze hat, zu verwandeln.«
»Diese Pläne verfolgte auf verdeckte Weise auch der frühere Führer Afghanistans H. Amin, der, wie die Tatsachen beweisen, enge Beziehungen zur CIA hatte. Er nahm Kontakte mit den Führern der Emigration auf, bereitete einen konterrevolutionären Umschwung vor und setzte in einem nie dagewesenen Ausmaß ehrliche Patrioten Repressionen aus. Nach seiner Machtergreifung ermordete Amin den Präsidenten der Demokratischen Republik Afghanistan N, M. Taraki, einen alten Kämpfer gegen den afghanischen Despotismus. Die Regierung Afghanistans, an deren Spitze B. Karmal steht, hat sich, wie zuvor schon Taraki, an die Sowjetunion um Hilfe gewandt."
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Für die US-Regierung, die »sich jeglicher Beherrschung und Umsicht begab, dient das alles nur als Vorwand, jene zwischenstaatlichen Beziehungen, die in den letzten Jahren mit solcher Mühe angeknüpft wurden, abzubrechen.«
'Zudem strebt die Carter--Administration zweifellos danach, die Beziehungen der westeuropäischen Länder mit der Sowjetunion zu verderben. Sie verlangt von ihnen, ihre gefährliche Politik zu unterstützen, das heißt, sie sollen das tun, was Washington für erforderlich hält... Bei allem Ernst der gegenwärtigen internationalen Lage sind wir der Meinung, daß die gefährliche Entwicklung, auf die die gegenwärtige Administration in Washington hinsteuert, abzuwenden ist ... Alle diese Umstände erfordern gemeinsame Anstrengungen von allen, denen die Sache der Entspannung und des Friedens teuer ist.«
Die Botschaft an den »vertraulichen Mitarbeiter« Kalevi Sorsa enthielt dieselben Gedanken, zum Teil in den gleichen Formulierungen, mit dem einzigen Unterschied, daß ihr Stil dem einer Instruktion glich.
-Die internationale Sozialdemokratie kann hier eine Rolle spielen. Bekanntlich findet in Kürze in Wien ein Treffen der Führer der sozialdemokratischen Parteien statt, auf dem K. Sorsa einen Vortrag halten wird. Halten Sie es in Anbetracht des Vertrauens, das sich in den letzten Jahren zwischen uns herausgebildet hat, für möglich, in diesem Zusammenhang - selbstverständlich nach Ihrem Ermessen - einige der folgenden Erwägungen vorzubringen?«
Im folgenden wird Punkt für Punkt aufgeführt, was der Genosse K. Sorsa seinen Kollegen sagen solle.
1. Obwohl es kaum gerechtfertigt sei, vom »Ende des Jahrzehnts der Entspannung« zu sprechen (wie das ihre Gegner tun), sei nicht zu leugnen, daß der Entspannungsprozeß ins Stocken gekommen sei.
2. Besondere Besorgnis rufe die Tatsache hervor, daß es keinen Fortschritt in der Frage der militärischen Abrüstung gebe. Die Verhandlungen in Wien befänden sich in einer Sackgasse, die Ratifizierung des SALT-II-Abkommens sei von Carter zurückgestellt worden, der Beschluß der Dezember-Tagung des NATO-Rates mache es für die UdSSR unmöglich, die Verhandlungen über die Verringerung der Mittelstreckenwaffen in Europa fortzusetzen.
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3. Beide Supermächte - die USA und die UdSSR - böten unterschiedliche Erklärungen für die Verschlechterung der internationalen Lage an, wichtig sei jedoch, was sie vorschlügen. Carter weise auf die angebliche sowjetische Bedrohung hin und verstärke beharrlich das militärische Potential der USA und der NATO.
»Er beschloß eine Erhöhung des Militärbudgets, die Entwicklung neuer Waffensysteme, die Schaffung einer schnellen Eingreiftruppe. All das sowie die Pläne zur Stationierung amerikanischer Raketen in Westeuropa und die Zustimmung der NATO-Länder zu einer automatischen Erhöhung ihrer Rüstungsausgaben in den nächsten fünfzehn Jahren könnte seitens der UdSSR und des Warschauer Vertrags eine Gegenreaktion hervorrufen.»
Im Ergebnis hätten sich die sowjetisch-amerikanischen Beziehungen beträchtlich verschlechtert, was sich auf das allgemeine Klima der internationalen Beziehungen auswirke.
Gleichzeitig »verzichtet die Sowjetunion auf eine Dramatisierung der Lage und betont, daß die Entspannungspolitik tiefe Wurzeln hat.« - »L. I. Breschnew erklärte die Bereitschaft der UdSSR, die Entspannungspolitik fortzusetzen, ehrlich gemeinte Abrüstungsverhandlungen auf der Basis der Gleichberechtigung unter der Beachtung des Prinzips der gleichen Sicherheit für beide Seiten zu führen.«
4. Wie unterschiedlich auch die Gründe für die Verschärfung der Situation eingeschätzt würden, »so herrscht doch die Meinung vor, daß die Entspannung bewahrt werden muß«.
5. »Es muß das reiche, im Laufe eines Jahrzehnts errungene politische Potential der Entspannung genutzt werden, um diese von ihrem toten Punkt zu bewegen, und in jedem Fall wäre es unbedacht, eine verstärkte Konfrontation zwischen den Großmächten auf irgendeine Weise zu fördern oder gar anzuheizen.«
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6. »Es gibt keine reale konstruktive Alternative zur Entspannung und Abrüstung. Westeuropa könnte in diesem entscheidenden Moment seinen positiven Beitrag zur >Beruhigung der Leidenschaften in der internationalen Arena leisten. Das effektivste Mittel, das ihm hierbei zur Verfügung steht, ist es, keine >Wahl zwischen den USA und der UdSSR< zu treffen und sich nicht zum Schiedsrichter zwischen ihnen aufzuschwingen. Es soll nicht zwischen ihnen gewählt werden, sondern zwischen dem Kalten Krieg und der Entspannung, und die Wahl zugunsten der letzteren hat Europa bereits getroffen.«
Natürlich erfordere das eine aktivere Politik auf dem Feld der Abrüstung und in anderen Bereichen der Zusammenarbeit.
7. »Die internationalen Erfahrungen haben gezeigt, daß die von der Sozialistischen Internationale verfolgte Politik einer stärkeren Teilnahme an der Diskussion über die Abrüstung und ihre Realisierung die richtige war. Die Politik ... hat gezeigt, daß die Sozialdemokratie über große Möglichkeiten verfügt, positiven Einfluß auf die Regierungskreise jener Länder zu nehmen, von denen in erster Linie Fortschritte in der Abrüstung abhängen.«
Zum Schluß schrieb das Politbüro:
»Die Analyse der gegenwärtigen Situation erlaubt es, folgende Empfehlungen auszusprechen:
Die Sozialistische Internationale sollte ihre Politik in Fragen der Abrüstung fortsetzen. Besonders wichtig erscheint die Festlegung der Position der Sozialistischen Internationale bezüglich des gesamten Komplexes der Abrüstung und die Verabschiedung einer offiziellen Erklärung in dieser Frage.
Die Sozialdemokratie könnte eine aktivere Rolle bei der Überwindung der Passivität und Unentschlossenheit eines Teils der öffentlichen Meinung, die durch die Ereignisse in der internationalen Arena entmutigt und beunruhigt ist, spielen (und hierbei die reichen Möglichkeiten, über die sie unter anderem in den Gewerkschaften und Massenmedien verfügt, ausnutzen).
Schließlich wäre es für die Sozialistische Internationale nützlich, die Kontakte sowohl mit Moskau als auch mit Washington aufrechtzuerhalten. Zudem ist Moskau bekanntlich bereit, die Zusammenarbeit mit der internationalen Sozialdemokratie in konkreten Fragen fortzusetzen, in erster Linie in den Fragen der Entspannung und Abrüstung.«
Natürlich erfüllte der Genosse K. Sorsa, dieser »zuverlässige Mitarbeiter«, die Anweisungen seiner Moskauer Genossen. Seine Rede in Wien vom 5.2.1980 enthält praktisch alle ihre Ratschläge und mitunter sogar ihre Formulierungen.61)
Wir wissen leider nicht, woran die Führer der europäischen Sozialdemokratie dachten, als sie die leidenschaftliche Ansprache ihres finnischen Kollegen hörten, ob sie errieten, wessen Wunsch er mit solchem Eifer erfüllte. Selbst die italienischen Kommunisten hatten zu dieser Zeit bereits die Invasion in Afghanistan verurteilt, und von den Sozialisten hatte das nur die griechische Pasok (Panhellenische Sozialistische Bewegung) nicht getan. Zudem waren viele Sozialisten damals an Regierungen in den NATO-Ländern beteiligt. So kamen sie denn auch in Wien nicht umhin, eine Resolution zu verabschieden, in der der Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan gefordert wurde. Aber einig waren sie sich auch im Bestreben, die »Entspannung zu retten«, zu der es für sie in der Tat keine Alternative gab. Die »Empfehlungen« Sorsas wurden fast ohne Diskussion angenommen.
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