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5.8  Eine offensive Kampagne 

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Die sowjetische Kampagne des »Friedenskampfes«, die Anfang der achtziger Jahre über Europa hereinbrach, wäre nicht halb so erfolgreich gewesen, wenn die an ihr beteiligten Sozialdemokraten, Sozialisten und die mit ihnen verbundenen Gewerkschaften, Jugend-, Frauen- und sonstigen Organisationen in dieser Frage nicht mit den »brüderlichen« kommunistischen Parteien zusammen­gearbeitet hätten. 

Die plötzliche Entstehung der Friedensbewegung, die zu einem für die UdSSR so passenden Zeitpunkt erfolgte, und ihre offen prosowjetische Orientierung überraschte weniger als ihr Ausmaß, an dem schließlich ihr Erfolg gemessen werden muß.

Nahmen Ende 1979 / Anfang 1980 an den Demonstrationen nicht mehr als 10.000 bis 20.000 Personen teil, so waren es Ende 1980 in Bonn schon fast 80.000, und im Herbst 1981 erzitterte die Erde von ihren Märschen: 350.000 in Bonn, 250.000 in Brüssel, an die 250.000 in London, etwa eine halbe Million in Rom, 400.000 in Kopenhagen, 30.000 bis 40.000 in Bern und sogar im kleinen Norwegen nicht weniger als 10.000.

Ihren Höhepunkt erreichte die Kampagne schließlich im Dezember 1983, als die Stationierung der neuen Raketen in Europa begonnen hatte: fast eine Million in Westdeutschland, 600.000 in Rom, 300.000 bis 400.000 in London, fast eine halbe Million in Brüssel und Den Haag.62 Die Ziffern verhexten die Menge und bestätigten ihr gleichsam, daß sie im Recht war, wodurch die Massen wiederum immer größer wurden.

Die Zahlen brachten sogar Skeptiker in Verlegenheit. Konnte denn Moskau so viele Agenten und Mitläufer haben? Die Ziffern erschreckten — es schien, als ob nichts diese Epidemie einer Anti-Kernwaffen-Hysterie zum Stehen bringen konnte. Noch ein wenig und irgendeine Regierung würde nicht mehr standhalten, aufgeben, sich auf einen Kompromiß einlassen, dadurch die NATO spalten und der UdSSR in einem »kernwaffenfreien« und »neutralen« Europa die uneingeschränkte Vormacht sichern.

Jetzt, da die Fassade zusammengestürzt ist und das Wesen des Regimes in seiner ganzen bösartigen Jämmerlichkeit bloßgestellt wurde, ist es schwer zu glauben, daß vor zehn bis zwölf Jahren viele Millionen Menschen keinen anderen Ausweg aus der Bedrohung durch Kernwaffen sahen als die einseitige Abrüstung.* Es ist schwer vorstellbar, daß eine der üblichen sowjetischen »Maßnahmen offensiven Charakters« eine Massenhysterie unter der erwachsenen Bevölkerung des wohlhabenden, freien und gut geschützten Europa hervorrief, so daß sie Afghanistan und die anderen Verbrechen des Kommunismus vergaßen und ihre Regierungen derart massiv bedrängten. Sie stürmten die Raketenstützpunkte, umringten sie mit Menschenketten, und in Holland wandten sich sogar die Wehrdienstleistenden öffentlich gegen Kernwaffen. Sie waren für keine Logik, keine Vernunftgründe zugänglich.

Was war geschehen? Hatte der Krieg schon begonnen? Hatte die UdSSR ein NATO-Land angegriffen oder umgekehrt?
»Nie zuvor war die Gefahr eines nuklearen Holocaust so groß«, rief der prosowjetische Weltfriedensrat.
»Es beginnt das gefährlichste Jahrzehnt der Menschheit«, sprachen ihnen die »unabhängigen« westlichen Friedensfreunde nach.

*  (u 2012)  Das ist widerlegt, glaube ich. Der Westen hatte genug "Raketenartillerie", auch ohne Nachrüstung.


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Worin lag der Grund für die plötzliche Gefahr? Vielleicht darin, daß man ein Jahrzehnt lang mit dem Kreml Entspannung gespielt hatte?

Aber weder die Anführer der Bewegung noch ihre Anhänger stellten sich so komplizierte Fragen. Ihre »Argumente« waren mitunter so widersprüchlich, daß es unverständlich ist, wie sie in einer einzigen Bewegung alle unter einen Hut gebracht werden konnten. Das einzige, was sie vereinte, war eine irrationale Furcht.

Zu diesem Thema schrieb ich damals in der »Times« einen großen Artikel, der in einer erweiterten und überarbeiteten Form als gesonderte Broschüre in fast allen westlichen Ländern erschien.63) Man kann sich denken, welch ein Schrei der Entrüstung sich erhob, wie ich mich bei der linken Intelligenz verhaßt machte, um so mehr, als ich damals keine Beweise für meine Theorie vorlegen konnte. Ich verfügte nur über die offiziellen sowjetischen Publikationen, einige Materialien des Weltfriedensrates und eine gute Kenntnis meines geliebten Vaterlands. 

Wie jeder, der in der UdSSR aufgewachsen ist, wußte ich, daß der »Kampf für den Frieden« ein fester Bestandteil des sowjetischen ideologischen Kampfes mit der Außenwelt ist, genauer gesagt, eine seiner Grundlagen, denn ein wahrer Frieden kann nach der kommunistischen Ideologie nur nach dem vollständigen Sieg des Sozialismus auf der ganzen Welt herrschen. In der kommunistischen Terminologie waren diese Begriffe schon seit langem zu Synonymen geworden, und der Ausdruck »Kampf für den Frieden« bezeichnete ganz einfach den Kampf der UdSSR für die Erweiterung ihres Einflusses.

Alle Sowjetmenschen, alle Institutionen und Organisationen, von denen viele — das Komitee für die Verteidigung des Friedens, die Gesellschaften für die Freundschaft mit der UdSSR, das Komitee der Kriegsveteranen, das Komitee der Sowjetischen Frauen und die Abteilung für Außenbeziehungen der orthodoxen Kirche — speziell für diesen Zweck geschaffen worden waren, waren verpflichtet, sich an diesem Kampf zu beteiligen. Ihre Aufgabe bestand — wie für jede sowjetische Organisation, die Kontakte mit Ausländern hatte — darin, diese Ausländer zu übertölpeln, die internationalen Organisationen und Bewegungen, die dem Namen nach ihre Entsprechungen waren, zu infiltrieren, dort Mitläufer ausfindig zu machen und in jeder Beziehung die sowjetische Linie durchzusetzen — kurz gesagt, »für den Frieden zu kämpfen«.


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Die Wendung zum Kalten Krieg in den achtziger Jahren bedeutete nur eine Akzentverlagerung in diesem ewigen »Friedenskampf«. An seinem Wesen änderte sich nichts: Es blieb derselbe Weltfriedensrat mit seinem unsterblichen Präsidenten Romesh Chandra, seinem Hauptquartier in Finnland und Abteilungen in der ganzen Welt, derselbe Dirigent hinter den Kulissen, der Chef der Internationalen Abteilung des ZK Boris Ponomarjow, dieselbe Klientel, diese vorgeschobenen »Friedens­organisationen«, die von den jeweiligen kommunistischen Parteien geschaffen worden waren. Sogar die Finanzierung blieb die alte — im wesentlichen über den sowjetischen Friedensfonds, in den jeder Sowjetbürger einen Teil seines Einkommens entrichten mußte.

Es waren keine geringen Mittel. Nach meinen damaligen ungefähren Berechnungen flossen in den Friedensfonds 400 Millionen Rubel im Jahr, von denen mindestens ein Drittel (140 Millionen, nach dem damaligen inoffiziellen Kurs 35 Millionen Dollar) im Westen ausgegeben wurde »zur finanziellen Unterstützung von Organisationen, Bewegungen und Einzelpersonen, die für den Frieden und die Abrüstung kämpfen, sowie von internationalen Kongressen, Symposien, Festivals und Ausstellungen, auf denen diese Organisationen und Personen die Möglichkeit haben sollen, ihre Aktivitäten auf internationaler Ebene zu koordinieren«, gelangten.64

All das, ich wiederhole, war schon damals, Anfang der achtziger Jahre, bekannt und in für jedermann zugänglichen Publikationen nachzulesen. Damit nicht genug, von Zeit zu Zeit erschienen in der Presse Berichte über Skandale, die darauf hindeuteten, daß die Friedensbewegung von den Sowjets manipuliert war. In Dänemark wurde der »Friedenskämpfer« Arne Petersen mit sowjetischem Geld erwischt, das für die Publikation von Anzeigen und Petitionen seiner Bewegung in den Zeitungen bestimmt war. In der Schweiz waren sowjetische Diplomaten in die Organisation von Demonstrationen gegen die Atomwaffen verwickelt;65 die westdeutschen Grünen beschuldigten die mit ihnen verbündeten Kommunisten der totalen Manipulation der Demonstrationen gegen die Kernwaffen.66 Der überaus hohe Anteil der Kommunisten an der Führung der meisten Antikriegsorganisationen in England67, Holland und Deutschland68, ganz zu schweigen von Italien, sprach eine deutliche Sprache.


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Bedauerlicherweise verfügte ich damals nicht über klarere Beweise, und viele Aspekte dieser »Maßnahmen offensiven Charakters« waren mir völlig unbekannt. Ich erinnere mich, daß ich mir den Kopf zerbrach, wann im Politbüro der Beschluß gefaßt worden war, die Abrüstungskampagne anzukurbeln — vor oder nach der Invasion in Afghanistan? Ich neigte damals stärker zu der Annahme, daß es vorher geschehen war, irgendwann Mitte 1979 zusammen mit dem Afghanistan-Beschluß. Es zeigte sich, daß ich mich irrte, die Geschichte war weit interessanter. Zunächst hatte der Beschluß keinen Bezug zu Afghanistan und wurde bereits 1975 auf dem 25. Parteitag als Teil des allgemeinen »Programms des weiteren Kampfes für den Frieden und die internationale Zusammenarbeit« verabschiedet. Es war erforderlich, die Erfolge der Entspannung, wie das Helsinki-Abkommen, abzusichern, die unablässige Aufrüstung zu verbergen und vor allem den Westen von Gegenmaßnahmen abzuhalten. Eine gewisse Beunruhigung über die sowjetische militärische Überlegenheit entstand jedoch schon damals.

 

»In der letzten Zeit ist die Aufmerksamkeit der militärischen und politischen Kreise der NATO-Länder auf die taktischen Präzisionswaffen gerichtet, deren Einführung nach den Voraussagen zu einer Veränderung der Struktur der Streitkräfte führen und im weiteren großen Einfluß auf die Entwicklung der internationalen Lage haben kann«, berichtete Andropow im Dezember 1975. 69)

 

»Die wichtigste Besonderheit der Präzisionswaffen, die sich durch große Stützpunktunabhängigkeit und Mobilität auszeichnen, ist ihr Vermögen, das Ziel praktisch unabhängig von der Entfernung bei jeder Wetterlage und zu jeder Tageszeit mit einem Schuß zu treffen. Beispiele für diesen Waffentyp sind: Bomben mit Laser- und Fernsehlenkung, die schon im Krieg in Südostasien Verwendung fanden, verschiedene Arten von Raketen und Granaten mit Laserlenkung (die Panzerabwehrrakete >Hellfire< und die 155-Millimeter-Artillerie-Zielsuchrakete) oder mit Geländerelief-Lenkung (die taktische Rakete >Pershing-2< mit einer wahrscheinlichen Zielabweichung von 20 bis 40 Metern, unbemannte Flugzeuge) und so weiter.«


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All das, fährt Andropow fort, bringe für die internationale Lage sowohl stabilisierende als auch destabilisierende Faktoren mit sich. Einerseits »kann die Einführung dieser Waffen zur Ausmusterung bestimmter Arten teurer moderner Flug- und Panzertechnik und zur zunehmenden Verwendung billiger Panzer, Schützenpanzerwagen, unbemannter Flugzeuge und zu einer zukünftigen Kriegsführung mit kleinen, hochmobilen Einheiten führen«. Andererseits jedoch »erfordert, wie die militärischen Kreise der NATO annehmen, die große Zielsicherheit der neuen Waffen eine größere Streuung der Rüstungsfabriken, Waffendepots und großen Militärstützpunkte.«

 

Zu den stabilisierenden Faktoren gehört die große Effektivität der neuen Waffen, die die Wahrscheinlichkeit des Einsatzes von Kernwaffen verringert und die Möglichkeiten der sich verteidigenden Seite, auch einem überlegenen Gegner standzuhalten, erhöht ...
... die militärpolitischen Kreise der NATO halten es für zweckmäßig, die Präzisionswaffen mit atomaren Sprengköpfen von geringer Stärke auszurüsten. Nach ihrer Meinung können solche Systeme große Ziele treffen, ohne dabei zivile Objekte zu beschädigen und ohne größere Verluste unter der Zivilbevölkerung zu bewirken. Diese Eigenschaften der neuen Waffen werden um der Führung der NATO als Argument dafür angeführt, daß die Entscheidungsprozedur für den Einsatz von taktischen Kernwaffen vereinfacht werden muß.
Die Vereinigten Staaten versuchen, die neuen Möglichkeiten, die die Einführung taktischer Präzisionswaffen bieten, dazu zu nutzen, den NATO-Block zu festigen und die >Zuversicht ihrer westeuropäischen Verbündeten, den Kräften des Warschauer Vertrags standhalten zu können<, zu stärken.«

 

Die Kernwaffen setzten den Wunschträumen Moskaus, Westeuropa mit konventionellen Streitkräften zu überrollen, Grenzen. Im Bereich der konventionellen Waffen konnte das demokratische Europa dem totalitären Monstrum nicht ebenbürtig werden. Dazu wäre es erforderlich gewesen, das ganze Leben des Kontinents zu militarisieren und alle Ressourcen zu diesem Zweck zu mobilisieren, daß heißt, es hätte sich in ein ebenso totalitäres System verwandeln müssen wie die Sowjetunion. Eben deshalb setzten Attlee und Truman seit der Gründung der NATO auf Kernwaffen. Sie gestatteten es Europa, in Demokratie zu leben, wirtschaftlich zu gedeihen und unabhängig zu bleiben.


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Es gab natürlich auch Nachteile — die Kernwaffen konnten nicht eingesetzt werden, ohne daß bei einem Gegenschlag gegen einen sowjetischen Angriff halb Europa zerstört worden wäre. Man mußte auf die abschreckende Wirkung hoffen, das heißt ständig unter der Gefahr einer atomaren Katastrophe leben, was dazu führte, daß die Sowjets die Angst schamlos ausnutzten. Das Grundproblem der europäischen Sicherheit, das bei jeder Veränderung der politischen Situation erneut aktuell wurde, war die Frage, ob sich der Westen in einer kritischen Situation zu diesem Schritt entschließen würde oder nicht. Die ganze Niedertracht der Entspannung mit ihren Parolen »Frieden« und »Zusammenarbeit« als Lockmittel (besonders die Niedertracht ihrer westlichen Verfechter, die sehr wohl wußten, womit sie spielten) lag eben darin, daß die Menschen, vor die Wahl zwischen Kapitulation und nuklearem Selbstmord, das heißt buchstäblich zwischen »Rot und Tot« gestellt, der ersteren den Vorzug geben würden, ohne an den Alptraum der kommunistischen Sklaverei zu denken, um so mehr, als es in der Hochstimmung der Entspannung als unschicklich galt, von diesem Alptraum zu sprechen — das war die »Sprache des Kalten Krieges«.

Die Präzisionswaffen, die Neutronenbombe und später die Strategische Verteidigungsinitiative (SDI, bekannter als »Krieg der Sterne«, nach dem gleichnamigen Film von Steven Spielberg) waren die Antwort auf das Problem. Deshalb geriet Moskau in solche Wut, weil diese Waffen seine große zahlenmäßige Überlegenheit (Ende der siebziger Jahre war das Verhältnis der Streitkräfte des Ostblocks zur NATO bei den Bodentruppen, Panzer- und Fliegerkräften 3:1)70 völlig bedeutungslos gemacht und die Sowjets ihres wichtigsten Druckmittels, der Drohung, beraubt hätten.

Wenn das alles verwirklicht worden wäre, hätte Europa nicht mehr die quälende Wahl zwischen Sklaverei und Tod treffen müssen. Daß der Westen die Fähigkeit erlangt, seine Sicherheit vollständig mit eigenen Mitteln zu gewährleisten, ohne daß die UdSSR an irgendwelchen Verträgen über die »kollektive Sicherheit« beteiligt ist (die sie stets unerwartet für den Westen zu ihren Gunsten auslegen könnte), war etwas, wovor der Kreml ständig Angst hatte. Das hätte das Ende des Traumes bedeutet, ganz Europa mit seinem industriellen Potential zu vereinnahmen, ohne einen einzigen Schuß abgeben zu müssen.


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Wie wir aus Andropows Bericht ersehen, fürchteten die Kreml-Führer die Stationierung neuer Waffen durch die NATO-Länder nicht so sehr, weil sie ihre eigene Sicherheit bedrohte. Sie begriffen sehr wohl, daß sie rein defensive Funktionen hatte. Es versteht sich, daß die demonstrative Stationierung Hunderter von SS-20-Raketen Ende der siebziger Jahre die direkte Antwort auf diese neue Waffengattung der NATO war, aber nur weil sie dem Westen die Überlegenheit in der Verteidigung nahm, von der Andropow in seinem Bericht gesprochen hatte.

Moskau ließ den Westen gleichsam wissen, daß dieser sich keine Illusionen über einen »reinen« Atomkrieg mit einem Minimum an Verlusten im zivilen Bereich machen sollte, denn auf die Verwendung der westlichen taktischen Waffen würden sie mit den SS-20-Raketen mit Kernladung antworten. Diese Raketen hatten keine andere Funktion, als Europa erneut vor die qualvolle Wahl zwischen Selbstmord und Kapitulation zu stellen.

Das beweist auch die Tatsache, daß sie 1979 völlig ungedeckt, ohne die geringsten Anstalten einer Tarnung, aufgestellt wurden, zudem noch mit einer Geschwindigkeit von einer Rakete pro Woche. Wenn sie gewollt hätte, hätte die UdSSR zum Beispiel die mindestens seit 1974 ständig durchgeführte Modernisierung ihrer Raketen vor den amerikanischen Satelliten verbergen können.71 Im Generalstab der Sowjetarmee existierte sogar eine Sonderverwaltung für diesen Zweck — die Hauptverwaltung für Strategische Tarnung (GUSM)72, die ihrer Aufgabe voll und ganz gerecht wurde.

 


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9.  Die Propaganda-Maschinerie in Aktion

 

Die Kampagne für die Abrüstung war also bereits 1975 geplant, obwohl sie damals keine dringende Angelegenheit war, sondern erst später angekurbelt wurde. Die Stationierung der SS-20-Mittelstreckenraketen war für Ende der siebziger Jahre vorgesehen und auch die amerikanischen Raketen wurden nicht eher erwartet.

»Gegenwärtig befindet sich die Schaffung von Präzisionswaffen im Stadium der Einführung der bereits erprobten Versuchsmodelle, des Studiums der bei der praktischen Anwendung gemachten Erfahrungen sowie der Entwicklung neuer Versuchssysteme«, beschloß Andropow seinen Bericht.

»Auf einem inoffiziellen Treffen der Vertreter der militärischen und industriellen Kreise der NATO-Länder im März 1975 in der BRD wurde bereits für den Anfang der achtziger Jahre mit einer weiteren Verbreitung der taktischen Präzisionswaffen gerechnet und ihr Einsatz für möglich gehalten.«

 

Also wurde vorgesehen, daß der »Friedenskampf« Anfang der achtziger Jahre auf vollen Touren laufen sollte. Man bereitete sich bedächtig, aber gründlich darauf vor. Im Sommer 1975 verkündete der Weltfriedensrat seinen Aufruf zur Abrüstung zum 25. Jahrestag des Stockholmer Appells. Erst im Mai 1976 wurde schließlich der Beschluß des ZK »Über die Durchführung der Kampagne in der UdSSR für die Beendigung des Wettrüstens und der Abrüstung« verabschiedet und der Plan der wichtigsten Maßnahmen bestätigt.73

 

»Die Durchführung einer weltweiten Kampagne für die Einstellung des Wettrüstens und die Abrüstung ist eine wichtige gesellschaftspolitische Aktion, die dazu beitragen soll, der ausländischen Öffentlichkeit den friedliebenden Charakter der Außenpolitik der UdSSR und der Länder der sozialistischen Gemeinschaft zu erläutern, eine breite gesellschaftliche Front zur Unterstützung der sowjetischen Initiativen für die Beendigung des Wettrüstens und die Abrüstung zu schaffen und die militaristischen Kräfte des Imperialismus und Maoismus, die den Prozeß der Entspannung der internationalen Lage zum Scheitern zu bringen suchen, zu isolieren", schrieb das ZK.

 

Die wichtigste Maßnahme war eine Unterschriftensammlung unter den Aufruf des Weltfriedensrates, der ein Jahr zuvor angeblich zu Ehren des 25. Jahrestags des berühmten Stockholmer Appells verfaßt worden war.

»Die Unterschriftensammlung für den Aufruf des Weltfriedensrates wird auf strikt freiwilliger Basis unter den Bürgern der UdSSR, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, durchgeführt. Ausländische Bürger, die sich auf dem Territorium der UdSSR befinden, können auf eigenen Wunsch ihre Unterschrift unter den Aufruf setzen ...«


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Dazu kamen Versammlungen, Begegnungen, Ausstellungen, Festivals, die Herausgabe besonderer Plakate, Broschüren und sogar von Sonderbriefmarken - all das für die »Beendigung des Wettrüstens und für Abrüstung«. Nur am Ende des Programms wurde bescheiden hinzugefügt:

 

TASS, APN, aas Staatliche Komitee für Femsehen und Rund funk (Goste-leradio) und die Redaktionen der zentralen Zeitungen und Zeitschriften wllen ausführlich und regelmäßig über den Verlauf der Kampagne in der UdSSR und im Ausland berichten. In der Arbeit für das Ausland soll der Propaganda für die sowjetischen Positionen in den Fragen der Abrüstung und der Darstellung des Massencharakters der im Land stattfindenden Kampagne besondere Aufmerksamkeit zuteil werden.«

 

Eine besondere Mitteilung erging an alle kommunistischen und Arbeiterparteien der Welt:74

 

Nach den vorliegenden Informationen findet der Aufruf des Weltfriedens-/<//(?(• eine breite Unterstützung der friedliebenden Kräfte. In vielen Ländern l hl t die Unterschriftensammlung begonnen, werden Versammlungen, Konfe-nnzen, Demonstrationen und andere Veranstaltungen entsprechend den / imkreten Bedingungen, unter denen die Friedensfreunde tätig sind, zugun-i/<« der im Aufruf ausgedrückten Forderungen durchgeführt. Das alles i ngt davon, daß günstige Möglichkeiten zur Durchführung aktiver Massenveranstaltungen für die Beschleunigung des internationalen Entspannungsprozesses durch die Begrenzung und Beendigung des Wettrüstens, die l 'irringerung der Militärausgaben und Abrüstungsmaßnahmen bestehen. /ii einer Zeit, da die reaktionärsten und aggressivsten Kräfte des Imperia-i!\mu'{ ihre subversiven Aktivitäten gegen die Entspannung verstärken und In Erhöhung der Rüstungsausgaben fordern, ist die angelaufene Kampagne 'in besonderer Aktualität ... Wenn wir euch über die in der UdSSR In abgeführten Maßnahmen informieren, gehen wir davon aus, daß die Kommunisten aller Länder einen großen Beitrag für den Erfolg dieser weltweiten Kampagne für die Beendigung des Wettrüstens und für Abrüstung leisten können.«


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Für die Führungen der sozialistischen Länder wurde noch vertraulich hinzugefügt:

»Der Massencharakter der Kampagne zur Unterstützung des Aufrufs der Weltfriedensrates ist ein zusätzlicher Anreiz für die Öffentlichkeit der kapitalistischen und der Entwicklungsländer, sich an ihr zu beteiligen.«

 

Einige Jahre später beschloß das ZK, »Maßnahmen zur Verstärkung der Rolle der Sowjetunion in der UNESCO, zur Erhöhung der Anzahl und der Verstärkung der Mitarbeit der sowjetischen Vertreter im Sekretariat dieser Organisation«, zu ergreifen und berichtete von den bereits erreichten Erfolgen bei der Ausarbeitung der auf Initiative der UdSSR entstandenen Deklaration der UNESCO über die Grundprinzipien der Nutzung der Massenmedien für die Festigung des Friedens und der internationalen Verständigung sowie den Kampf gegen die Kriegspropaganda.75 Es gab eine ganze Reihe von Errungenschaften: In einem besonderen Beschluß des ZK »Über die stärkere Beteiligung der UdSSR an der Arbeit der UNESCO« wurde die Bilanz dieser fünfundzwanzigjährigen Arbeit gezogen.76

 

»Diese Jahre waren von wichtigen ideologischen, politischen und praktischen Ergebnissen gekennzeichnet bei der Nutzung dieser UNO-Organisation für die Ziele der sowjetischen Außenpolitik, die Propagierung der Errungenschaften der UdSSR auf den Gebieten der Wissenschaft, Kultur, Bildung und der sozialistischen Demokratie sowie die Ausnutzung der wissenschaftlichen Leistungen der Welt für die Zwecke unserer Volkswirtschaft.

Im Ergebnis der grundlegenden, von der UdSSR und den brüderlichen sozialistischen Ländern in der UNESCO verfolgten Linie hat sich deren Rolle bei der Losung aktueller internationaler Probleme, vor allem beim Kampf für Frieden, Entspannung und Abrüstung, gegen Kolonialismus und Rassismus, verstärkt. Die Organisation faßte Beschlüsse in unserem Sinne gegen die Aggression der USA in Vietnam, zur Unterstützung der nationalen 'Befreiungsbewegungen und über ihre Beteiligung an der Verwirklichung


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der Vereinbarungen der Gesamteuropäischen Konferenz. Resolutionen, die die Politik Israels, die Verbrechen der faschistischen Junta in Chile und die Apartheid in Südafrika verurteilen, wurden verabschiedet. Die UNESCO nahm als erste UNO-Organisation die DDR, die Sozialistische Republik Vietnam, die Koreanische Volksdemokratische Republik, die Mongolische Volksrepublik und Namibia als Mitglieder auf.

Ungeachtet des Widerstands der Westmächte wurden von der UNESCO mit großem internationalem Echo Veranstaltungen anläßlich des ifo. Geburtstages von Karl Marx, des 100. Geburtstages von W. L Lenin, des <jo. und des 60. Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, </^ jo. Jahrestages der Bildung der UdSSR und andere durchgeführt.

Wichtige politische Beschlüsse, die auf der 20. Tagung der Generalkonferenz (Oktober-November 1978) gefaßt wurden, schaffen günstige Voraussetzungen für die Orientierung der UNESCO auf eine noch aktivere Unterstützung der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Staaten in ihren Bemühungen um die Gesundung der internationalen Lage und im Kampf i^rgen die Machenschaften der militaristischen Kräfte und der Gegner der Entspannung, einschließlich der Maoisten.

Die Teilnahme der UdSSR an der Tätigkeit der UNESCO bat nicht nur < inen außenpolitischen und ideologischen, sondern auch einen nicht unbedeu-linden volkswirtschaftlichen Effekt. Die sowjetischen Wissenschaftler erhal-lin durch die UNESCO Zugang zu Informationen, die für unsere Wissende haft, Wirtschaft und Verteidigung von Wert sind.

Allerdings werden die Möglichkeiten für die Stärkung unserer Positionen in der UNESCO und zur Erhöhung des wissenschaftlichen und volkswirtschaftlichen Nutzens bei weitem nicht vollständig ausgeschöpft. Damit sind \inrohl die wissenschaftlich-technischen Programme der UNESCO und die /)'< Schaffung der entsprechenden Informationen als auch die propagandi->li\chen Kanäle und die verlegerische Tätigkeit der Organisation (ihre Publikationen werden in 140 Ländern verbreitet) gemeint.*

Man bedenke, daß all das mit westlichem Geld, und zwar mit beträchtlichen Summen, finanziert wurde. Das Jahresbudget der l 'NESCO belief sich 1979 auf 151,6 Millionen Dollar. Es sollten noch viele Jahre vergehen, bis die USA und England ihre Beteiligung an der l'inanzierung einstellten, weil sie begriffen, daß sich die UNESCO in


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ein Instrument der sowjetischen Politik und einen Hort der Spionage verwandelt hatte. Aber diese Situation herrschte damals in den meisten internationalen Organisationen, einschließlich der UNO selbst. Schon für ihre bloße Aufzählung wären einige Seiten erforderlich, und in jeder saßen die Sowjets mit ihren Verbündeten und Mitläufern und nutzten die »Möglichkeiten«: Kanäle, Finanzen, Prestige. Durch die gewaltige Friedensbewegung aller linken Kräfte wurde die UNO zu einem mächtigen Werkzeug für die Manipulation der öffentlichen Meinung. Dies ermöglichte, so gut wie jedes Thema und jeden Anlaß zur Erweiterung der Kampagne und Schaffung einer Infrastruktur zu nutzen.

 

»Gemäß dem Beschluß des ZK der KPdSU und des Ministerrates der UdSSR Nummer 1)9-44 vom f. Februar 1979 erhalten das Komitee der Sowjetischen Frauen, der Allunions-Zentralrat der Sowjetischen Gewerkschaften und das ZK des Komsomol die Erlaubnis, im September 1979 in Moskau eine Weltkonferenz >Für eine friedliche und glückliche Zukunft aller Kinder< mit der Beteiligung von 700 ausländischen Vertretern durchzuführen.

Die Vorbereitungen für die Weltkonferenz werden vom Internationalen Vorbereitungskomitee durchgeführt, das aus Vertretern von 20 internationalen und regionalen regierungsunabhängigen Organisationen verschiedener politischer Orientierung sowie aus Vertretern der Gastgeberseite - des Komitees der Sowjetischen Frauen und des ZK des Komsomol - besteht. An der Spitze des Vorbereitungskomitees steht die'Präsidentin der Internationalen Demokratischen Frauenföderation, die Trägerin des Internationalen Leninpreises >Für die Festigung des Friedens zwischen den Völkern < Freda Brown (Australien).

Die Durchführung der Konferenz wird von der UNO und ihren Sonderorganisationen unterstützt. Die Konferenz wird einen stark repräsentativen Charakter haben. An ihrer Arbeit werden mehr als 120 Länder aller Kontinente und ungefähr 70 internationale und regionale Organisationen (Frauen-, Gewerkschafts-, Jugendorganisationen, Berufsverbände der Pädagogen, Arzte, Juristen und Psychologen) sowie auch die Bewegungen für Frieden und Solidarität teilnehmen.


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Auf der Konferenz werden internationale, regionale und nationale Organisationen verschiedener politischer, ideologischer, religiöser und philosophischer Ausrichtung vertreten sein. Großes Interesse an der Teilnahme an der Konferenz zeigen die sozialdemokratischen und sozialistischen Organisationen und ihre Bewegungen. Ihre Zustimmung zur Beteiligung an der Konferenz haben die Internationale Bewegung der >Falken< und die Internationale Union der Sozialistischen Jugend gegeben. Das Büro der Organisation >Frauen der Sozialistischen Internationale < hat einen Beschluß über die Entsendung einer Delegation, bestehend aus zwei Vize-Präsidentinnen, Vertreterinnen Finnlands und Israels, gefaßt. In den nationalen Delegationen einiger Länder sind Vertreter sozialdemokratischer Organisationen.

Als Ehrengäste sind namhafte Politiker, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, bekannte Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler geladen. Seitens der Organisation der Vereinten Nationen wird der Vertreter des Generalsekretariats der UNO für die Durchführung des Internationalen Jahres des Kindes, Estefana Aldaba-Lim (Philippinen) teilnehmen. Einladungen sind auch an die UNICEF, die UNESCO, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und an die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) ergangen.

Im Rahmen der Konferenz wird ein Forum zu Fragen der Zusammenarbeit der Jugend-, Studenten- und Kinderorganisationen beim Schutz der heranwachsenden Generation und ein >runder Tisch < mit Autoren von Kinderbüchern durchgeführt.

Zum Abschluß der Konferenz ist die Annahme eines Aufrufes an die Regierungen, die Parlamente und die Öffentlichkeit im Zusammenhang mit dem Internationalen Jahr des Kindes und einer Erklärung, die der Generalversammlung der UNO vorgelegt und in der Bilanz über die Durchführung des Jahres des Kindes gezogen werden soll, vorgesehen."

Wenn man nicht genau hinschaut, sieht das ganz unschuldig aus.

•Die Durchführung der Weltkonferenz in Moskau eröffnet neue Möglichkeiten zur Darstellung der friedliebenden Politik der Sowjetunion, ihrer Anstrengungen im Kampf für Abrüstung und Entspannung, zur Propagierung der Vorzüge des Sozialismus bei der Schaffung der Bedingungen für (ine glückliche Kindheit. Die Konferenz gibt der Entwicklung der Zusammenarbeit weiter Kreise der Weltöffentlichkeit im Kamp f um die Rechte der Kinder neue Impulse.«77


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Das afghanische Abenteuer war ein Störfaktor in der sowjetischen Kampagne für eine einseitige Abrüstung des Westens und brachte ihre Pläne durcheinander. Auf jeden Fall war die politische Atmosphäre in der Welt vor der Invasion in Afghanistan weit günstiger für ihre Zwecke. Wer weiß, ob der Westen standgehalten hätte, wenn diese Atmosphäre noch einige Jahre fortgedauert hätte. Die erste Kraftprobe war die Kampagne gegen die Idee Carters, die NATO mit der Neutronenbombe auszurüsten - einer jener technischen Neuerungen, die für die Stärkung der Verteidigungskraft Europas gegenüber der überlegenen militärischen Kraft des Warschauer Pakts (besonders was die Zahl der Panzer anbetrifft), von der Andropow in seinem Bericht sprach, bestimmt waren. Obwohl es sich um eine Verteidigungswaffe handelte, die den Frieden in Europa nicht im mindesten bedrohte, und obwohl die gegen sie gerichtete Kampagne offen prosowjetisch war, hatte sie einen beträchtlichen Erfolg

Nur einiger Proteste in Holland, Dänemark und Norwegen zwischen 1977 und 1978 bedurfte es, damit Carter seine Haltung zur Neutronenbombe änderte. Das war eine Niederlage der NATO und ein Sieg Moskaus, dazu noch ein leichter und sehr ermutigender Sieg.

 

"Die beträchtliche Aktivierung der Tätigkeit des Weltfriedensrates, besonders auf dem Gebiete des Kamp fes für die Beendigung des Wettrüstens und gegen die 'Neutronenwaffen, erlaubte es in letzter Zeit, die Mobilisierung der Massen zu verstärken und die sozialpolitische Basis für antiimperialistische Aktionen vor allem in den kapitalistischen Ländern, einschließlich der USA und der Staaten Westeuropas, zu erweitern«, berichtete voller Stolz die Internationale Abteilung des ZK.78

»Auf Initiative des Weltfriedensrates und einer Reihe friedliebender Organisationen der USA wurde in Washington ein breiter Dialog über die Frage der Abrüstung geführt, an dem Dutzende von Kongreßabgeordneten, viele Senatoren und andere namhafte Persönlichkeiten aus Politik und anderen Bereichen des öffentlichen Lebens der USA teilnahmen; in Genf fand die Weltkonferenz der Nicht-Regierungs-Organisationen für Abrüstung statt. In vielen Ländern wurden große nationale und internationale Veranstaltungen durchgeführt.


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So fand in Amsterdam das internationale Forum >Nein zur Neutronenbombe!< statt, und in vielen Städten der USA, einschließlich New York, gab es während der Sondersitzung der Generalversammlung der UNO zur Abrüstung Massendemonstrationen und Protestmärsche gegen die Neutronenbombe, für die Beendigung des Wettrüstens und Abrüstung. Während der Vorbereitungen und der Durchführung aller dieser Veranstaltungen wurden Broschüren in vielen Sprachen in Massenauflagen, darunter zwei über die Neutronenbombe, Plakate, Flugblätter und so weiter herausgegeben und verbreitet. Die Durchführung dieser Aktionen und Veranstaltungen erforderte bedeutende finanzielle Mittel, die die dafür angesetzten Kosten übertrafen. Angesichts der gegenwärtigen internationalen Lage setzt sich der Weltfriedensrat die weitere breite Entfaltung praktischer Aktionen der Öffentlichkeit in verschiedenen Ländern gegen die zunehmend aktivierten Gegenangriffe der Entspannungsfeinde zum Ziel. Von den Veranstaltungen mit Massencharakter, die für die zweite Hälfte dieses Jahres vorgesehen sind, seien die Massendemonstration gegen die Washingtoner Beschlüsse der NATO in Stuttgart (BRD), Demonstrationen und Protestmärsche gegen die Neutronenbombe in Belgien und Australien sowie die Europäische Konferenz über >Die Rolle der Öffentlichkeit im Kampf für Entspannung und Zusammenarbeit< in Bukarest erwähnt. All das erfordert die Publikation einer großen Menge von Propagandamaterial, die Entsendung von repräsentativen Delegationen, die in verschiedenen Ländern in der Öffentlichkeit auftreten sollen, und Hilfeleistungen für einige nationale Komitees bei der Vorbereitung großer gesellschaftlicher und politischer Aktionen (darunter Anmietung von Sälen, Transport der Demonstrationsteilnehmer, Herausgabe von Flugblättern, Plakaten und so weiter). Es ist die Errichtung einer intensiven operativen Verbindung des Sekretariats des Weltfriedensrates sowohl mit den nationalen Friedenskomitees als auch mit politischen Parteien verschiedener Länder erforderlich. Die Erfahrungen der ersten Hälfte dieses Jahres zeigten auch, daß die Entfaltung einer aktiven Arbeit des Weltfriedensrates direkt in den USA und die Schaffung einer bestimmten organisatorischen Basis zu diesem Zweck möglich ist. All das erfordert natürlich auch zusätzliche Mittel.«

 

»Der Kampf für den Frieden« verstärkte und erweiterte sich Ende der siebziger Jahre nach Plan und ohne jeglichen Zusammenhang mit der internationalen Lage. Nicht einmal die Unterzeichnung des Vertrages über die Begrenzung der strategischen Kernwaffen (SALT-II) durch Breschnew und Carter 1979 in Wien und das Gipfeltreffen verlangsamten das Anwachsen der Kampagne.79)


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Im Gegenteil, die UdSSR heizte sie an, unter anderem durch die ständigen »Friedensinitiativen« und Vorschläge, die deutlich nur ihr einseitigen Nutzen bringen sollten und für den Westen absolut unannehmbar waren (Verzicht auf den Einsatz von Kernwaffen, Maßnahmen zur »Vertrauensbildung« durch eine unbeträchtliche einseitige Verringerung der sowjetischen Truppen in Deutschland und so weiter).80)

So wurde künstlich (und nicht ohne Erfolg) der Eindruck erweckt, daß die sowjetische Führung unablässig um den Frieden besorgt sei und daß die Regierungen der USA und der NATO-Länder, die gezwungen waren, diese »Initiativen« zurückzuweisen, sich in dieser Frage gleichgültig verhielten. Die Sowjetunion hatte also organisatorisch, psychologisch und strategisch Ende 1979 die Kampagne bereits gewonnen und hätte einige Jahre später den endgütigen Sieg errungen, wenn ihr Afghanistan nicht dazwischengekommen wäre.

Der wichtigste Aspekt im Abenteuer Afghanistan war nicht einmal die konkrete Tatsache, daß eine sowjetische Aggression erfolgte (das hatte es schon früher gegeben), sondern daß dies so völlig zur Unzeit geschah und dadurch die gesamte Weltlage, den gesamten politischen Kontext veränderte. Man konnte sich schwerlich eine anschaulichere Illustration dessen vorstellen, wohin die »friedliche Koexistenz« mit dem Sowjetregime, besonders für ein kleines Land, führte. Einen um so stärkeren Eindruck rief dieses Beispiel auf dem Höhepunkt der sowjetischen Kampagne für Abrüstung und die auf Vertrauen basierende friedliche Koexistenz hervor. Man konnte sich keine bessere Reklame für die NATO denken. Selbst die Schweiz begann am Nutzen ihrer traditionellen Neutralität zu zweifeln. Auf jeden Fall konnte die Invasion nicht zur »Erweiterung der sozialen und politischen Basis« der sowjetischen Friedensbewegung beitragen. Im Gegenteil, von diesem Zeitpunkt an verschärfte sich die Spaltung in Linke und Rechte in der westlichen Politik, besonders in Fragen der Verteidigung, und die Position der Rechten gewann an Klarheit und Festigkeit. Nicht zuletzt deshalb setzte in den achtziger Jahren ein Umschwung des Westens nach rechts ein, der in den USA Ronald Reagan und später in der Bundesrepublik Deutschland Helmut Kohl an die Macht brachte.


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 Es verstärkte sich die Polarisierung innerhalb der sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien Europas, in denen der gemäßigte, pro-atlantische Flügel sich entweder einfach abspaltete (wie in der englischen Labour Party) oder die Partei davor zurückhielt, radikalere Positionen zu beziehen (Kanzler Helmut Schmidt in der Bundesrepublik Deutschland, Premierminister Bettino Craxi in Italien).

Also mußten die sowjetischen Führer ihre Kampagne forcieren, ihre Pläne und Termine ändern und ihre Ressourcen überstrapazieren, um die entstandene politische Isolation zu überwinden. Sogar die Verringerung des »Kulturaustauschs« infolge der Boykotte und Proteste gegen ihre Politik setzten ihren Möglichkeiten, besonders in den USA, deutliche Grenzen.81 Allein die Notwendigkeit, diese Isolation zu überwinden, machte jede ihrer Kampagnen verdächtig. Selbst ich hatte den Eindruck, daß der so intensiv geführte »Kampf für den Frieden« weit mehr mit den Ereignissen in Afghanistan zu tun hatte, als das in Wirklichkeit der Fall war.

Um so mehr verblüffte der dennoch erzielte Erfolg ihrer Kampagnen. Mit dem im April 1980 verabschiedeten Beschluß »Über zusätzliche Maßnahmen zur Aktivierung der Aktionen der Öffentlichkeit gegen den NATO-Beschluß über die Herstellung und Stationierung neuer amerikanischer Raketen in Westeuropa« wurde ein der neuen Lage angepaßter Aktionsplan festgelegt. Alle Massenmedien wurden angewiesen,

»wohlargumentierte Kritik an den unter dem Druck der USA auf der Brüsseler Tagung des NATO-Rates gefaßten Beschlüssen als einem der Hauptgründe für die Verschärfung der internationalen Lage zu üben und die Bedeutung, die die Vorschläge der Sowjetunion zur Verringerung der Mittelstreckenwaffen in Europa und ganz allgemein zur militärischen Entspannung auf dem Kontinent für einen radikalen Abbau der Spannungen in den Beziehungen zwischen den Staaten haben, zu erläutern.

Die geplanten Kontakte und die Austauschprogramme der sowjetischen gesellschaftlichen Organisationen mit den Ländern Westeuropas sowie die zusätzlichen Möglichkeiten der sowjetischen Botschaften in diesen Ländern sollen voll genutzt werden, die Kampagne gegen die militaristischen Pläne der NATO ständig zu verstärken, damit sie zum Zeitpunkt der Frühjahrstagung der führenden Organe dieses Blockes (Mai-Juni dieses Jahres) ihren Höhepunkt erreicht.«82


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Und siehe da, im Juni begannen tatsächlich die Demonstrationen in Europa.83 Die Aufgabe wurde dadurch erleichtert, daß viele Veranstaltungen schon zuvor geplant und vorbereitet waren, so daß sie nur noch vergrößert, erweitert und zusätzlich finanziert werden mußten und man nicht von null zu beginnen brauchte. So waren zum Beispiel die Internationale Konferenz der Parlamentarier für den Frieden, die Abrüstung und die Internationale Sicherheit in Helsinki im Mai i98o,84 die Internationale Konferenz für das Verbot der Kernwaffen in Japan im August 85) oder das Weltparlament der Völker für den Frieden in Sofia 86 alle ein Jahr zuvor geplant worden. Dieses »Parlament« wurde in der Tat die zentrale Veranstaltung 1980, die dazu bestimmt war, »die Aktionen gegen die abenteuerliche Politik der imperialistischen Kreise der USA, der NATO und der Pekinger Hegemonisten und für die Bewahrung und Weiterführung des Entspannungsprozesses in den achtziger Jahren zu aktivieren«.87)

Zunächst sollte dieses »Parlament« als eine der üblichen Veranstaltungen des Weltfriedensrates ein viel bescheideneres Ausmaß haben, und es wurde nur »Weltkongreß der Friedensfreunde« genannt. Aber der »Kampf« mußte aktiviert werden, es flössen größere Finanzmittel, und die Vorbereitungsarbeiteh wurden intensiviert (besonders zur Einbeziehung der nichtkommunistischen Organisationen). Von den Empfehlungen K. Sorsas geleitet, eilten die Sozialisten und Sozialdemokraten zu Hilfe - und der Weltkongreß verwandelte sich in ein »Parlament der Völker«. Dieses Forum hatte mehrere Aufgaben zu erfüllen: Es sollte mit seiner Autorität die Handlungen Moskaus tarnen (ebenso wie Banken zum Zwecke der Geldwäsche gegründet werden).


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»Die politischen Vorbereitungen für diese zentrale Veranstaltung der gesellschaftlichen Bewegung für den Frieden, die die Hauptrichtungen der Tätigkeit der friedliebenden Öffentlichkeit für die nächsten Jahre festlegen soll, werden in Zusammenarbeit mit internationalen und nationalen Organisationen verschiedener politischer Orientierung durchgeführt. Zur Teilnahme an der Arbeit des Weltparlaments werden ifoo bis 2000 Delegierte und Gäste aus mehr als 100 Ländern, von der UNO, der UNESCO, der UNCTAD und anderen internationalen Regierungsorganisationen und regierungsunabhängige Organisationen erwartet", berichtete das Komitee für die Verteidigung des Friedens dem ZK.88

 

Die Wirklichkeit übertraf jedoch alle ihre Erwartungen. Es reisten 2260 Friedensfreunde aus 137 Ländern an, die 330 politische Parteien, 100 internationale und mehr als 200 nationale regierungsunabhängige Organisationen vertraten, 200 Mitglieder verschiedener Parlamente, ungefähr 200 Gewerkschaftsführer, 129 führende Sozialdemokraten (darunter 33 Mitglieder der jeweiligen Parteivorstände), 150 Schriftsteller und Dichter, Vertreter von 33 Befreiungsbewegungen, 83 kommunistischen und Arbeiterparteien, Frauen-, Jugend- und religiösen Organisationen, 18 Vertreter verschiedener Kommissionen und Sonderbehörden der UNO und so weiter.89 Natürlich verabschiedete dieses Parlament einmütig das sowjetische Aktionsprogramm, den Aufruf und die anderen Dokumente.

Eine zweite Aufgabe dieser Versammlung war die Lösung zahlreicher organisatorischer Fragen in bezug auf zukünftige Aktionen und die Festigung der Verbindungen mit verschiedenen brauchbaren westlichen Organisationen, das heißt für den weiteren Ausbau der Infrastruktur. Zu diesem Zweck wurde zum Beispiel ein Teil der Delegierten auf dem Weg von Sofia in ihre Heimatländer nach Moskau mitgenommen (etwa 600 Personen!), wo mit ihnen noch eine Woche lang »bilaterale Beziehungen« aufgebaut und sie gleichzeitig »mit der sowjetischen Wirklichkeit bekannt gemacht wurden«.90

Schließlich mußte die »Durchführung der Beschlüsse des Parlaments der Völker« gesichert, es mußte dafür Sorge getragen werden, daß seine Teilnehmer nach ihrer Rückkehr in die Heimat in ihren jeweiligen Organisationen die entsprechenden Beschlüsse in die Tat umsetzten, das »Aktionsprogramm« annahmen und es strikt durchführten. In einem besonderen Beschluß des ZK »Über Maßnahmen zur weiteren Intensivierung der Aktionen der friedliebenden Öffent-


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lichkeit im Lichte der Ergebnisse des Weltparlaments der Völker für den Frieden« wurden die Grundlinien für diese Arbeit und die wichtigsten Maßnahmen festgelegt. Alle sowjetischen Institutionen und gesellschaftlichen Organisationen wurden zum Beispiel angewiesen:91

»... ihre Aktionen mit den entsprechenden Organisationen der sozialistischen Bruderländer und progressiven Organisationen des nichtsozialistischen Teils der Welt zu koordinieren und die größten bevorstehenden Veranstaltungen zu Antikriegsmanifestationen zu machen, und zwar

- das Treffen der Teilnehmer der Brüsseler Bewegung der gesellschaftlichen Kräfte zur 'Erörterung der Probleme der Sicherheit, Zusammenarbeit und Abrüstung (Brüssel, November 1980),

- den Kongreß des Internationalen Studentenbundes (Berlin, November 1980),

- das Weltforum der Jugend und Studenten für Frieden, Entspannung und Abrüstung (Helsinki, Januar 1981),

- die Tagung des Generalrates der Organisation für die Solidarität der Völker Asiens und Afrikas (Aden, März 1981),

- den Kongreß der Internationalen Demokratischen Frauenföderation

(Prag, Oktober 1981).

Besondere Aufmerksamkeit soll dem für Januar 1981 in Wien vorgesehenen erweiterten Treffen der Führung des Internationalen Forums für die Verbindungen der Friedenskräfte gewidmet werden, wobei die Festigung und der Ausbau der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen politischen Parteien und Massenorganisationen auf der Grundlage der Ablehnung des Krieges angestrebt wird. Im einzelnen soll auf einen Beschluß über die Einberufung einer repräsentativen Weltkonferenz über Abrüstung und Entspannung in einem kapitalistischen Land hingearbeitet werden.

In den Kontakten mit der ausländischen Öffentlichkeit soll zukünftig von dem Beschluß des ZK der KPdSU zu internationalen Fragen für das Jahr 1980, den Reden des Genossen L. I. Breschnew und von der breiten Plattform der Zusammenarbeit der Friedenskräfte, die in den Ergebnissen des Weltparlaments der Völker für den Frieden ihren Ausdruck fand, ausgegangen werden, wobei auf dieser Grundlage für 1981 eine weitere Intensivierung


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der Massenaktionen gegen die Machenschaften der militaristischen Kreise angestrebt werden soll. Diese Arbeit soll in engem Kontakt mit den entsprechenden Organisationen der sozialistischen Länder und den internationalen demokratischen Organisationen durchgeführt werden.

Die Zusammenarbeit mit den friedliebenden und antimilitaristischen Organisationen der USA soll verstärkt und im einzelnen die Aktivierung der Tätigkeit und die Erweiterung der Massenbasis des Friedensrates der USA gefördert werden.

Die Durchführung eines Treffens der Vertreter der Führungen der internationalen demokratischen Organisationen vor Ende 1980 mit dem Ziel einer stärkeren Koordinierung ihrer Tätigkeit im Kampf gegen das Wettrüsten, für Entspannung und Frieden soll unterstützt werden,

Der Allunions-Zentralrat der Sowjetischen Gewerkschaften soll Maßnahmen zur Einberufung einer internationalen Konferenz über sozialökonomische Probleme der Abrüstung für 1981 gemäß dem Beschluß des IX. Kongresses des Weltgewerkschaftsbundes ergreifen und dem Vorschlag der Bergarbeitergewerkschaft Großbritanniens, eine Weltkonferenz der Bergleute gegen das Wettrüsten zu veranstalten, seine Unterstützung angedeihen lassen.

Das ZK des Komsomol und das Komitee der Jugendorganisationen der UdSSR sollen sich an der Tätigkeit der geschäftsführenden Organe des im Oktober 1980 auf dem Treffen in Budapest gebildeten gesamteuropäischen Verbandes für die Zusammenarbeit der Jugend und Studenten zwecks Verstärkung der antimilitaristischen Tendenz der in seinem Rahmen durchgeführten Maßnahmen beteiligen.

Das Sowjetische Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit soll zusammen mit dem Sowjetischen Komitee für die Verteidigung des Friedens, der Parlamentarischen Gruppe der UdSSR, dem Verband für Kontakte zwischen sowjetischen und ausländischen Städten und anderen sowjetischen gesellschaftlichen Organisationen seine Aufmerksamkeit au f die folgenden Ziele konzentrieren:

- Die weitere Verstärkung des Kampfes der Bevölkerung der westeuropäischen Länder gegen die Verwirklichung des NATO-Beschlusses über die Stationierung neuer amerikanischer Raketen in Westeuropa und für konstruktive Verhandlungen über die Kernwaffen mittlerer Reichweite; im einzelnen sollen Parlamentarier, Vertreter der Stadtparlamente und Bürgermeister zu Äußerungen gegen die Stationierung neuer amerikanischer Raketen auf dem Territorium ihrer Länder und der entsprechenden Verwaltungseinheiten veranlaßt werden.


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- Die Sicherstellung der allgemeinen Unterstützung der Position der UdSSR und der Länder der sozialistischen Gemeinschaft durch die internationale Öffentlichkeit auf der Madrider Begegnung der Vertreter der Teilnehmerstaaten der Gesamteuropäischen Konferenz.

- Der Wissenschaftliche Rat für die Erforschung der Probleme des Friedens und der Abrüstung und das sowjetische Pugwasb-Komitee sollen die Errichtung und den Ausbau der Verbindungen mit bedeutenden wissenschaftlichen Einrichtungen und einzelnen Wissenschaftlern der westlichen Länder, insbesondere der USA, aktivieren und sie zu öffentlichen Äußerungen gegen das Wettrüsten und für die Abwendung der Gefahr eines Atomkrieges veranlassen.

- Der Rat für Religiöse Angelegenheiten beim Ministerrat der UdSSR soll in seinem Plan für die internationalen Kontakte der religiösen Organisationen für i<)8i die Aktivierung der Tätigkeit der Russischen Orthodoxen Kirche und anderer religiöser Organisationen, die auf dem Territorium der UdSSR bestehen, im Hinblick auf die weitere Einbeziehung progressiver ausländischer religiöser Kräfte in den Kamp f für Frieden und Abrüstung vorsehen.

- Die Abteilung für Außenpolitische Propaganda des ZK der KPdSU soll die sowjetischen Massenmedien auf die Notwendigkeit hinweisen, die Darstellung der Aktionen der friedliebenden Öffentlichkeit gegen den Krieg und die Tätigkeit ihrer Organisationen zu erweitern und abwechslungsreicher zu gestalten."

 

  

10.  Friedenstauben 

 

Vom 14. bis 16. Juli 1980 fand in Budapest ein besonderes Koordinierungstreffen der Sekretäre der Zentral­komitees aller sozialistischen Bruderländer statt, das auf Initiative Honeckers einberufen worden war und auf dem neben anderen Problemen der internationalen Politik »Fragen der Koordination der internationalen gesellschaftlichen Massenbewegungen für den Frieden« behandelt wurden. Schon vor dem Treffen äußerten die Ostdeutschen folgendes: 92 


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»Die Verwirklichung unserer gemeinsamen Ziele erfordert neben Mitteln der Diplomatie die Unterstützung durch eine breite Massenbewegung. Umfang und Schlagkraft dieser Bewegung hängen jedoch in bedeutendem Maße davon ab, inwieweit es uns gelingt, Aktionen der zahlreichen Friedenskräfte - weit über die vom Weltfriedensrat gesteuerte Bewegung hinaus - zu organisieren, um sie auf die Lösung der Hauptaufgabe zu orientieren, das heißt auf die Fortsetzung der Entspannung und die Beseitigung der Gefahr eines Kernwaffenkrieges... Wir halten es für angebracht, zwischen unseren Parteien die Grundfragen der Strategie und Taktik der Weltfriedensbewegung abzustimmen und Vereinbarungen über die wichtigsten internationalen Aktionen zu treffen.

Wir gehen natürlich davon aus, daß der Weltfriedensrat seine wichtige Rolle beibehalten und weiter verstärken muß. Allerdings ist es eine allgemein anerkannte Tatsache, daß der Weltfriedensrat bei weitem nicht alle politischen Kräfte erreicht, die bereit sind, für Frieden, Entspannung und Abrüstung zu kämpfen. Zahlreiche reformistische Gewerkschaftsorganisationen, religiöse Gruppen der christlichen, islamischen und buddhistischen Glaubensrichtung, viele nationale Aktionskomitees, die Millionen von Menschen vertreten, sind nicht bereit, sich dem Weltfriedensrat anzuschließen oder mit ihm zusammenzuarbeiten ... Es ist eine Tatsache, daß eine ganze Reihe wichtiger Aktionen (die niederländische Bewegung >Nein zur Neutronenbombe!<, die Brüsseler Demonstration gegen die NATO-Raketen, die Internationale Friedensstafette) ohne die Beteiligung und teilweise sogar gegen den anfänglichen Widerstand einiger seiner führenden Vertreter durchgeführt wurden. Für überaus problematisch halten wir es in diesem Zusammenhang, wenn einige dieser Bewegungen, wie zum Beispiel das Internationale Friedensbüro oder die amerikanische Bewegung >Mobilization for Survival<, öffentlich und ohne jegliche Differenzierung mit dem Etikett >Agenten des Imperialismus < verseben werden, wie das in einigen Artikeln Romesh Chandras der Fall ist."

 

Zweifellos, schrieben die Deutschen, seien solche Veranstaltungen wie das Weltparlament der Völker in Sofia sehr wichtig, aber sein »Vorbereitungskomitee besteht im wesentlichen aus Vertretern des Weltfriedensrates. Die Tatsache, daß die niederländische Bewegung >Nein zur Neutronenbombe!<, die britische Kampagne der Labour


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Party für die atomare Abrüstung, das belgische >Komitee für Frieden und Zusammenarbeit und auch das dänische >Komitee für Zusammenarbeit bis heute nicht in unsere Vorbereitungen einbezogen sind, beruht offensichtlich auf der bekannten ablehnenden Haltung dieser Organisationen gegenüber einer direkten Zusammenarbeit mit dem Weltfriedensrat, und das Weltparlament wird bis heute eindeutig als eine Veranstaltung des Weltfriedensrates deklariert.«

Es versteht sich, daß der Vorschlag der DDR, sich einer flexibleren Taktik zu bedienen und eine stärkere Koordinierung mit den Sozialdemokraten und Sozialisten anzustreben, in Budapest volle Unterstützung erhielt. In Sofia gelang es, weit mehr »Gemäßigte«, als angenommen worden war, zu gewinnen, und die zusätzliche gesonderte Arbeit mit ihnen trug Früchte.

»Der namhafte belgische Politiker, ehemalige Minister und Mitglied der Sozialistischen Partei A. de Smal, der aktiv an der Arbeit der Brüsseler Bewegung für europäische Sicherheit teilnimmt, informierte die sowjetischen Vertreter über seine Absicht, einen Vorschlag zur Erhöhung der Sicherheit der europäischen Länder, die nicht im Besitz von Kernwaffen sind, zu machen«, berichtete die Internationale Abteilung des ZK im August 1980.93

Dabei unterstrich er, daß das Hauptmotiv für diese Initiative die tiefe Besorgnis der europäischen Öffentlichkeit angesichts der von den militaristischen Kräften der USA und der NATO aufgezwungenen Vermehrung der Raketenwaffen in Europa sei.

Weder die dreifache Überlegenheit der Truppen des Warschauer Pakts noch die bereits stationierten sowjetischen Raketen SS-20, die auf sein Land gerichtet waren, riefen bei diesem ehemaligen Minister Besorgnis hervor. Außerdem beeilte er sich, Moskau von seiner Initiative Mitteilung zu machen, noch bevor er sie öffentlich bekanntgab. Worin bestand nun diese Initiative? Wie sollte sie die Sicherheit der Länder Europas, die nicht über Kernwaffen verfügen, erhöhen?


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»Der Vorschlag de Smals besteht darin, daß die Öffentlichkeit der europäi' sehen Länder, die keine Kernwaffen besitzen, für ihr Land den Status eines kernwaffenfreien Landes anstreben soll. Von vorrangiger Bedeutung ist es für ihn, daß die Länder, auf deren Territorium sich bereits Kernwaffen befinden, auf ihre Vermehrung und die Stationierung neuer Arten von Raketenwaffen verzichten und im weiteren die Verringerung und schließlich den völligen Abzug der bereits vorhandenen Kernwaffen anstreben.

Die Belgier wollen sich in der nächsten 7.eit mit Vertretern des öffentlichen Lebens der sozialistischen sowie auch der neutralen und blockfreien Länder Europas über den Vorschlag beraten,«

Es versteht sich, daß die »Initiative der belgischen Öffentlichkeit« in Moskau große Begeisterung hervorrief.

»Eine solche Erörterung auf gesellschaftlicher Ebene würde jetzt der Verstärkung des Kampfes gegen die Stationierung neuer Arten amerikanischer Mittelstreckenwaffen förderlich sein.«

Es gab allerdings einen kleinen Widerspruch: »In seiner gegenwärtigen Form entspricht der Vorschlag über die Sicherheitsgarantien für die kernwaffenfreien Länder nicht der zwischen den sozialistischen Ländern vereinbarten Position.« Das hieß ganz einfach, er war für die Länder des Warschauer Pakts nicht annehmbar, aber er taugte voll und ganz für Westeuropa. Daher sollte »die Erörterung der von de Smal vorgebrachten Ideen zur Lancierung unserer bekannten Vorschläge in den politischen Kreisen des Westens genutzt werden ...«

Damit nicht genug, der von der intensiven Unterstützung durch den Sowjetblock beflügelte »ehemalige Minister« de Smal entWikkelte eine hektische Aktivität, in deren Ergebnis seine »Initiative« sich schließlich als »auf die Verstärkung des Widerstands gegen die von den militaristischen Kräften der USA und der NATO aufgezwungene Vermehrung der Raketenkernwaffen in Europa seitens der Öffentlichkeit der kernwaffenfreien Länder« gerichtet erwies und volle »Unterstützung durch die Führungen der beiden sozialistischen Parteien und der katholischen Kreise Belgiens, Hollands und der anderen Nachbarstaaten« erhielt. In dieser Frage wurde sie, von der sowjetischen Propagandamaschine aufgegriffen und gestärkt, zu einer gesamteuropäischen Bewegung.


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»Es ist vorgesehen, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit der nicht über Kernwaffen verfügenden Länder Europas auf die Gefahren zu lenken, die für sie aus den amerikanischen strategischen Plänen, die einen <begrenzten> Atomkrieg für zulässig halten, resultieren, sowie auf die Notwendigkeit entschiedener Schritte in Richtung des baldigen Abschlusses eines Abkommens über die Begrenzung der Kernwaffen in Europa hinzuweisen«, informiert das ZK der KPdSU die Führungen der sozialistischen Bruderländer bereits im November.94

 

»Zu diesem Zweck regen führende Persönlichkeiten Belgiens und Hollands Begegnungen von Vertretern des öffentlichen Lebens des kernwaffenfreien Europas, einschließlich der sozialistischen Länder, an. Eines der Treffen mm genannten Thema soll am 22. und 23. November 19^0 auf Initiative des Vereinigten Niederländischen Komitees >Stoppt die Neutronenbombe, stoppt das nukleare Wettrüsten! < in Amsterdam stattfinden. Die Führung der Kommunistischen Partei der Niederlande, die die führende Rolle in der holländischen Antikriegsbewegung spielt, teilt mit, daß an dem Treffen Vertreter der verschiedenen politischen Kräfte Hollands, Belgiens und anderer westlicher Länder teilnehmen, und bittet um Unterstützung für den Vorschlag, an dieser Veranstaltung auch Vertreter des öffentlichen Lebens der sozialistischen Länder, insbesondere Bulgariens, der DDR und Polens, teilnehmen zu lassen.«

 

Die Zentralkomitees aller kommunistischen Bruderparteien wurden dahingehend instruiert, die Kampagne nach Kräften zu unterstützen, sie zur

»Propagierung der Vorschläge L. L Breschnews in den politischen Kreisen des

Westens zu nutzen, denen zufolge in den angelaufenen sowjetisch-amerikanischen Verhandlungen die Frage der Mittelstreckenwaffen in Europa zu behandeln ist. Gleichzeitig und in organischem Zusammenhang damit soll die Frage der amerikanischen vorgeschobenen Kernwaffen und der in der Rede des Genossen A. A, Gromyko auf der }f. Generalversammlung der UNO gemachte Vorschlag bezüglich Garantien der Nichtanwendung von Atomwaffen gegen die europäischen Staaten, die keine Kernwaffen besitzen und keine Kernwaffen fremder Staaten auf ihrem Territorium stationiert haben, erörtert werden.«


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Die Bewegung für »kernwaffenfreie« Zonen und Städte war eine weitere »unabhängige Bewegung«, die von den Sowjets — in diesem Fall durch das System der Städtepartnerschaften — gestartet wurde. Die Entscheidung, diese auszubauen, fällte das ZK der KPdSU am 15. Januar 1980 in einem besonderen Beschluß.95 Das System der Partnerstädte existierte bereits seit dem Krieg und wurde vom Sowjetregime zur »Propagierung der sowjetischen Wirklichkeit, der Errungenschaften des kommunistischen Aufbaus, der friedliebenden Außenpolitik der KPdSU und des Sowjetstaates« genutzt. Mit den Jahren wurde es zu einem leeren Ritual. Von Zeit zu Zeit wurden Delegationen ausgetauscht, Ausstellungen durchgeführt, Auftritte künstlerischer Laienkollektive organisiert und »Tage« oder »Wochen« der Freundschaft veranstaltet. Die Verschlechterung der Ost-West-Beziehungen zeigte auch hier ihre Wirkung.

 

»Die regierenden Kreise einiger westlicher Länder behindern die freundschaftlichen Bande zwischen den Städten. Die englische Regierung unterzieht diese Verbindungen einer strengen Kontrolle und belegt sie sogar mit Verboten, die ägyptischen Städte haben die Kontakte mit den sowjetischen Städten eingestellt, die zionistischen Kreise der USA behindern die Errichtung von Kontakten«, berichtete der Vorsitzende des Präsidiums des Verbandes der Sowjetischen Gesellschaften für Freundschaft und Kulturelle Beziehungen mit Ausländischen Staaten.96

»In den letzten zwei Monaten wurden von den reaktionären und antisowjetischen Kräften Versuche unternommen, die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den sowjetischen und ausländischen Städten zu stören. So trafen von den Verwaltungen einzelner Städte der USA, Norwegens und Englands Briefe mit der Mitteilung ein, daß sie beschlossen haben, wegen >der Invasion der sowjetischen Truppen in Afghanistan < die Verbindungen zu den sowjetischen Städten abzubrechen. Einige italienische Städte, darunter auch solche, die unter kommunistischer Leitung stehen, haben Sacharow zu ihrem Ehrenbürger gewählt und Protestschreiben geschickt, in denen sie sich gegen die >Verbannung< dieses >Kämpfers für die Menschenrechte< nach Gorki wenden. Es sollte erwähnt werden, daß die Chinesen mit großer Aktivität die Errichtung von Kontakten mit Städten Japans, der USA und Italiens zwecks Ausnutzung dieser Verbindungen für ihre hegemonistischen Ziele betreiben."


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Jedoch das ZK war nicht bereit, solche »Kanäle für unsere Einflußnahme auf verschiedene Schichten der Bevölkerung ausländischer Städte« aufzugeben. Also traf es folgende Anordnung:97

 

"Die Partei- und Staatsorgane sowie der Verband der Sowjetischen Freundschaftsgesellschaften (SSOD) sollen Maßnahmen zur Verbesserung der Kontakte der sowjetischen Städte mit den Städten der kapitalistischen und Entwicklungsländer zur Erhöhung der politischen Effektivität und ideologischen Ausrichtung dieser Kontakte ergreifen, wobei sie die Verbindungen mit der ausländischen Öffentlichkeit zur Propaganda für die friedliebende Außenpolitik der Sowjetunion, zur Entlarvung der verleumderischen antisowjetischen Kampagne der imperialistischen Kräfte und der chinesischen Propaganda nutzen sollen. Die Einwohner der ausländischen Städte sollen umfassend einbezogen werden in den Kampf für die Festigung des Friedens und der Sicherheit der Völker, für Freundschaft und Zusammenarbeit mit der Sowjetunion, gegen die von den imperialistischen Kreisen verfolgte Politik der Verschärfung der internationalen Spannung und der Fortführung des Wettrüstens.

Es sind Maßnahmen zur Aktivierung der Arbeit der Weltföderation der Partnerstädte im Hinblick auf die gegenwärtige internationale Lage und die außenpolitischen Aufgaben des sowjetischen Staates zu ergreifen.«

 

Es wurden ein spezieller Maßnahmeplan zur Aktivierung dieser Tätigkeit ausgearbeitet, die finanziellen Zuwendungen erhöht, die Kontrolle durch die Partei, die Rekrutierung des Personals, die Versorgung mit Propagandamaterial und die Koordinierung mit den sozialistischen Bruderländern verbessert und eine »Konferenz der Bürgermeister der Hauptstädte Europas, die der Zusammenarbeit und der Abrüstung gewidmet ist«, geplant. Bald stellten sich Erfolge ein.

»Von sowjetischen Städten dazu aufgerufen, protestierten einige ihrer ausländischen Partner gegen die Stationierung der neuen amerikanischen Raketenkernwaffen in Europa.«98

Als erste Stadt erklärte sich im Jahre 1980 Manchester, die Partnerstadt Leningrads, für »kernwaffenfrei«, danach Sheffield, die Partnerstadt von Donezk. Bis Mitte der achtziger Jahre hatten sich allein in Großbritannien 180 Städte zu »kernwaffenfreien Zonen« erklärt.


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In Norwegen waren es 17, in Spanien und Portugal fast 400, in Kanada die ganze Provinz Quebec, und die Häfen in Japan und Neuseeland waren praktisch für Kriegsschiffe mit Kernwaffen an Bord geschlossen. Die erste internationale Konferenz der »kernwaffenfreien« Gemeinden fand 1984 in Manchester statt und die nächste ein Jahr später in Cordoba (der Partnerstadt von Buchara).99

Verstanden alle diese Bürgermeister und Stadträte in den Jahrzehnten ihres — wenn vielleicht auch nicht häufigen — Umgangs mit ihren sowjetischen Partnern nicht, daß sich deren Leben beträchtlich von dem im Westen unterschied, daß sie zum Beispiel unter totalitärer Kontrolle standen und ihre Aufrufe ganz und gar nicht spontan waren? Mußte es den Stadtvätern im Westen schließlich nicht seltsam vorkommen, daß trotz der brüderlichen Aufrufe aus dem Osten keine einzige sowjetische Stadt »kernwaffenfrei« wurde?

 

  

11.  Bezahlung in (Dienst-)Leistungen ?  

 

Die materielle Hilfe für diese Bewegungen war recht beträchtlich. Sie bestand zwar selten in Geldzuwendungen. Die Episode in Dänemark war eher eine Ausnahme von der Regel. Der Grund liegt darin, daß die GRU und der KGB bei der Kampagne »Kampf für den Frieden« nur eine Hilfsrolle spielten. Der Hauptdirigent war die Internationale Abteilung des ZK, die es nicht nötig hatte, den Organisationen der Friedenskämpfer im Westen Banknoten zu schicken. Das geschah durch die kommunistischen Parteien über die seit langem funktionierenden Kanäle.100

Diese Form hatte nicht nur technische Vorzüge und verringerte die Möglichkeit einer Panne, sondern sie bot sich auch aus organisatorischen Gründen an. So wurde der Einfluß der kommunistischen Parteien auf die Friedensbewegungen konsolidiert, und die Führer der Friedensfreunde erhielten die Möglichkeit, »ehrlichen Herzens« ihre finanzielle Abhängigkeit von Moskau zu leugnen. Es ist jedoch schwer zu glauben, daß sie nicht wußten, welcher Teil der Ausgaben ihrer Organisationen aus der Parteikasse ihrer kommunistischen Verbündeten bestritten wurde, und woher das Geld in diesen Kassen stammte, war nicht schwer zu erraten.


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Die materielle Hilfe bestand zum Beispiel in kostenlosen Flügen mit Aeroflot (oder Fluggesellschaften der »brüderlichen« Staaten) für Hunderte von Delegierten zu internationalen Foren (besonders für solche aus der Dritten Welt), der Übernahme der Kosten für ihren Unterhalt (besonders wenn die Foren in sozialistischen Ländern stattfanden) oder auch der Überlassung der eigenen Simultandolmetscher. Eine solche Form der Hilfe wurde regelmäßig geleistet, mitunter sogar, wenn die betreffende Veranstaltung nicht von sowjetischen Organisationen oder deren Verbündeten durchgeführt wurde, aber immer, wenn diese die Organisatoren waren. Auf jeden Fall garantierte das Verfahren nötige Mehrheiten bei Abstimmungen über Resolutionen, wodurch unerwünschte Beschlüsse von vornherein vermieden wurden.

Die überwiegende Mehrheit der damaligen Anführer der Antikriegsbewegung hatte keine Vorstellung vom sowjetischen Regime, den Realitäten des sowjetischen Lebens, der Geschichte, ja nicht einmal von der kommunistischen Ideologie, obwohl derartige Kenntnisse nicht unnütz gewesen wären. Zumindest die Hälfte der Kriegsgefahr (wenn nicht fast 100 Prozent) wurde von der UdSSR, ihren Absichten und ihrem Verhalten bestimmt. Die Mehrheit erachtete das jedoch für »unwesentlich« und orientierte sich an den offiziellen Erklärungen der UdSSR oder von »Experten« wie Arbatow. Einige züchteten ihre eigenen Sowjetexperten, gewöhnlich aus den Reihen ihrer Anhänger, die drei- oder viermal die Sowjetunion besucht hatten. Sogar die Meinung des Mitarbeiters der Internationalen Abteilung des ZK Sagladin galt bei ihnen als objektiv genug, um nachzuweisen, wie voreingenommen im Westen die Informationen über die UdSSR waren, und sie als Widerlegung meiner voreingenommenen Meinung von kompetenter Seite zu benutzen.101

Hollywood und das Fernsehen produzierten zu jener Zeit Dutzende von Dokumentar- und Spielfilmen über die letzte Atomexplosion und das Ende der Zivilisation. Plötzlich wurden alle amerikanischen Intellektuellen besorgt. Den Anfang machten die Ärzte mit ihrem weithin propagierten Aufruf an ihre sowjetischen Kollegen, der die aussagekräftige Überschrift »Die Gefahr ist der Atomkrieg« trug.102


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Ob sie selbst auf diese originelle Idee verfielen oder ob sie ihnen irgendein Pugwash-Komitee eingab, wie das weise ZK vorgeschlagen hatte (siehe Seite 438 Anmerkung 91), wage ich nicht zu entscheiden. Ich bin ganz sicher, daß sie sehr wohl verstanden, daß sie sich nicht an ihre »Kollegen« in der UdSSR, sondern an das ZK und die sowjetische Regierung wandten und diesen beste Munition für ihre Propaganda lieferten.

 

»Entsprechend dem Beschluß des ZK der KPdSU vom 20. März 1980 legt das Ministerium für das Gesundheitswesen der UdSSR den Entwurf des Antwortschreibens führender sowjetischer Mediziner an die amerikanischen Arzte vor, der unter Berücksichtigung der Vorschläge der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, des Außenministeriums der UdSSR, des Verteidigungsministeriums und des KGB der UdSSR verfaßt wurde«, berichtet der Minister für das Gesundheitswesen Petrowski dem ZK.103

 

»Gleichzeitig berichten wir, daß ein Treffen mit einem der Organisatoren der Bewegung der Ärzte der USA >Ärzte für soziale Verantwortung< B, Lown, stattfand, auf dem dieser mitteilte, daß die amerikanischen Wissenschaftler beabsichtigen, eine große internationale Bewegung der medizinischen Öffentlichkeit gegen den Atomkrieg zu organisieren, und im einzelnen planen, Ende i<^8o in den USA eine Konferenz mit sowjetischen und japanischen Ärzten durchzuführen. Der Ort und das Programm der Konferenz stehen noch nicht fest.«

 

Das ZK ließ sich selbstverständlich gern hierauf ein.

»Was die Unterschriften unter das Antwortschreiben der sowjetischen Wissenschaftler betrifft«, bestimmte das ZK, »erscheint es als unzweckmäßig, eine Unterschriftensammlung in großem Maßstab zu organisieren, sondern es empfiehlt sich, sich auf die Unterschriften der folgenden Genossen, die die größten wissenschaftlichen Institutionen repräsentieren, zu beschränken.«

 

Darunter waren der unvermeidliche Owtschinnikow, das Akademiemitglied Blochin (weil er Direktor des Onkologischen Instituts war), aber es wurde noch ein Kardiologe gebraucht, denn der Initiator der ganzen Sache war der amerikanische Kardiologe Dr. B. Lown. So trat das Akademiemitglied J. I. Tschasow, der Vorsitzende der Wissenschaftlichen Gesellschaft der Kardiologen, auf den Plan.


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»Entsprechend dem Beschluß des Sekretariats des ZK der KPdSU reiste eine sowjetische Delegation mit dem Akademiemitglied J. I, Tschasow an der Spitze und den Mitgliedern der Akademie der Medizinischen Wissenschaften L. A. Iljin und M. I. Kusin im Dezember dieses Jahres nach Genf«, berichtete Tschasow dem ZK.104

»Die Delegierten nahmen an einem Treffen mit amerikanischen Wissenschaftlern teil, die die Bewegung internationale Arzte zur Verhinderung des Atomkriegs< vertreten. An der Spitze der amerikanischen Delegation stand Bernard Lown, Professor für Kardiologie an der Harvard School (Boston) und Präsident der amerikanischen Bewegung >Ärzte gegen den Atomkrieg<. Zur Delegation gehörten weiterhin Dr. Eric Chivian, Psychiater an der Massachusetts University (Boston) und Jim Muller, Sekretär der Gesellschaft.

Das Treffen hatte konsultativen Charakter und war der Erörterung der Möglichkeiten für die Gründung einer internationalen Bewegung >Ärzte für atomare Abrüstung< gewidmet. Auf dem Treffen wurde ein Memorandum über die Prinzipien dieser Bewegung verfaßt, das im großen und ganzen für uns akzeptabel ist, weil es von der Konzeption der Achtung des Atomkriegs ausgeht.

Auf dem Treffen wurde Einigkeit darüber erzielt, vom 19. bis 26. Mai 1981 eine sowjetisch-amerikanische Konferenz von Medizinern und Ärzten, die gegen den Atomkrieg kämpfen, durchzuführen. Die Konferenz wird diesmal von der amerikanischen Seite organisiert, die zehn namhafte sowjetische Mediziner und drei Experten auf dem Gebiet der Kernwaffen und der atomaren Abrüstung einlädt.

Es ist vorgesehen, daß am Ende der Konferenz Appelle an alle Ärzte der Welt, an die Regierungen und die Völker der verschiedenen Länder sowie die Staatsoberhäupter der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten verabschiedet werden, in denen auf die schrecklichen Folgen eines Atomkrieges für die Völker der Welt hingewiesen und zur Begrenzung und Achtung der Kernwaffen aufgerufen wird ...

Die Textentwürfe hierfür sollen vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR, dem Ministerium für das Gesundheitswesen der UdSSR, der Akademie der Wissenschaften der UdSSR und dem Ministerium für Verteidigung der UdSSR ausgearbeitet werden. Es ist vorgesehen, daß die Delegationen rechtzeitig diese Entwürfe austauschen und sie vorher diskutieren, um auf dem Treffen selbst bereits abgestimmte Texte vorliegen zu haben."


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Auch die Männer aus anderen Bereichen der Wissenschaft wollten nicht hintanstehen. Sie hatten jedoch ein Problem. Die Verbannung des Ehrenmitglieds der amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaften Sacharow von Moskau nach Gorki hatte zu einem Boykott der Sowjetunion durch die amerikanischen Wissenschaftler geführt. Aber das war dann doch kein Hindernis.

»Trotz unserer großen Besorgnis um Sacharows Schicksal gibt es einige Probleme von so wesentlicher Bedeutung für die Zukunft der Menschheit, daß wir es für notwendig erachten, unsere Gespräche darüber mit unseren sowjetischen Partnern fortzusetzen. In dieser Beziehung haben Rüstungskontrolle und internationale Sicherheit zweifellos außerordentlich hohe Bedeutung. Unsere Mitglieder messen dieser Frage einen hohen Stellenwert bei«, erklärte der Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften der USA Frank Press gegenüber Journalisten105 eben zu dem Zeitpunkt, da Sacharow, wie die Zeitungen meldeten, infolge seines Hungerstreiks dem Tode nahe war.

Ich kann beim besten Willen nicht an die Naivität dieser Leute glauben. Die einzige Ausnahme war der Führer der kleinen, aber einflußreichen »Elite«-Organisation END (European Nuclear Disarmament), der marxistische Historiker E. P. Thompson. Trotz seiner linksintellektuellen Überspanntheit leugnete er wenigstens nicht, daß die Abrüstung Änderungen in der Politik der beiden Seiten erforderte, und eine gesellschaftliche Bewegung für die Abrüstung nur einen Sinn hat, wenn analoge (das heißt von ihrer Regierung unabhängige) Bewegungen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs existieren. Zudem war er aufrichtig empört darüber, daß die westlichen Bewegungen von den Sowjets manipuliert wurden. Er schrieb darüber offen und nannte seine weniger zimperlichen Kollegen »Schlafwandler«.106)

Aber auch er konnte nicht begreifen, daß man sich mit der sowjetischen Maschine überhaupt nicht einlassen sollte. »Wir sind bereit, Diskussionen mit offiziellen Organisationen dort drüben zu führen, vorausgesetzt daß es sich um eine ehrliche Diskussion, bei der jede Seite unter den gleichen Bedingungen teilnimmt, handelt und wir nicht zu Mitspielern im sowjetischen Propagandatheater werden«, schrieb er, obwohl er selbst nur einige Absätze zuvor die Möglichkeit »ehrlicher« und »gleicher« Beziehungen mit Moskau ausgeschlossen hatte: »Für die Russen sind wir nur Hintergrundmusik, die nicht einmal laut genug ist, um bei Wahlen in Deutschland gehört zu werden.«107)

Das war offensichtlich ein aufrichtiger, aber eben in die Irre gegangener Mann. Zudem hatte er bereits seinen eigenen »Experten für das sowjetische Leben«, unseren alten Bekannten Schores Medwedew, dessen Ideen, wie wir uns erinnern, denen J. W. Andropows erstaunlich ähnlich waren.108 Natürlich war Schores Medwedew einer der Mitautoren des Aufrufs von END für ein »kernwaffenfreies Europa von Polen bis Portugal« im April 1980, den gleichsam im Namen der »sowjetischen Dissidenten« in Moskau auch sein Zwillingsbruder Roj Medwedew unterschrieb.109 

Sie erklärten, wie zu erwarten, daß es verschiedene Dissidenten gab — schlechte und gute. Die schlechten glaubten nicht an den Sozialismus und dienten der Reaktion, die guten glaubten an den Sozialismus und konnten den Aufruf durchaus unterstützen. Professor Thompson suchte dann einige Jahre lang nach »guten Dissidenten«. Aber an wen er sich auch wandte, alle erwiesen sich als »schlechte«.

Sowohl die tschechische »Charta 77« als auch das polnische KOS wiesen jeglichen Gedanken an eine einseitige Abrüstung des Westens zurück. Der listige Jacek Kuron brachte es fertig, 1984 aus dem Gefängnis einen Brief an die END-Konferenz zu schreiben, in dem er ihr einen gemeinsamen Kampf für die Aufhebung des Kriegsrechts in Polen und die völlige Entmilitarisierung Mitteleuropas vorschlug. 

Ein Jahr später versuchte der höfliche Václav Havel auf überaus dezente Weise, den westlichen Friedens­freunden zu erklären, daß ihr Utopismus auf keinerlei Verständnis bei der skeptischen Bevölkerung Osteuropas stoßen kann. Alles war vergeblich. Schließlich entstanden auch kleine, eher symbolische Grüppchen von Friedensfreunden in der DDR und sogar in der UdSSR. Aber welches Pech! Kaum waren sie entstanden, als man sie in den Westen aussiedelte oder einsperrte. So fand denn E. P. Thompson bis zum Zusammenbruch des Kommunismus keine guten Dissidenten.110)

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