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5.12   Die Polnische Krise  

 

 

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Der härteste Schlag gegen die Kampagne der Friedensfreunde noch vor der Stationierung neuer Raketen waren die Ereignisse in Polen. Es ist schwer zu sagen, welcher Aspekt der polnischen Krise die stärkste Wirkung auf die Friedenskämpfer ausübte: Die Gefahr einer sowjetischen Invasion, die fast anderthalb Jahre über Polen schwebte, die Unterdrückung einer friedlichen Volks­bewegung durch die Armee oder die Existenz dieser Bewegung selbst, die so gut wie die gesamte arbeitende Bevölkerung des Landes umfaßte. 

Ich glaube, daß das letztere ausschlaggebend war. 

Vielleicht dachten nun viele Friedenskämpfer zum erstenmal über das reale Leben im sozialistischen Paradies nach und konnten nicht umhin, zumindest nach außen mit der polnischen Gewerk­schafts­bewegung zu sympathisieren. Schon die Notwendigkeit, zu diesem Ereignis politisch Stellung zu nehmen, brachte Zwietracht in ihre Reihen. Kommunisten (zum Beispiel die italienischen) unterstützten die Solidarnosc, Sozialisten (zum Beispiel die griechische PASOK) unterstützten das Regime Jaruzelskis und das Kriegsrecht.

Man konnte sich schwer eine fatalere Situation für die kommunistischen Demagogen vorstellen als einen einmütigen Aufruhr der Arbeiter gegen ihren »proletarischen Staat«. Nicht einmal die sowjetische Propaganda wagte es, die Solidarnosc ohne weiteres eine reaktionäre Organisation zu nennen, sondern zog es zunächst vor, von »einigen antisowjetischen Elementen« in ihr zu munkeln. Die ganze Krise kam ihnen äußerst ungelegen, mitten im »Friedenskampf«, als sie sich gerade aus ihrer politischen Isolation nach der Invasion in Afghanistan befreit hatten. 

Die Kräfte der Kreml-Greise reichten für all die Krisen und Kampagnen, die in diesem einen Jahr zusammenfielen, einfach nicht aus.

Polen war eigentlich stets ein schwaches Glied in ihrer sozialistischen Kette gewesen. Das Wichtigste war zu Stalins Zeiten nicht mehr geschafft worden. Die katholische Kirche blieb ungebrochen, das private Bauerntum blieb bestehen und mit ihnen der aufrührerische Geist, dem zu verdanken ist, daß Polen in der Vergangenheit drei Teilungen, den Zweiten Weltkrieg, die national­sozialistische Okkupation und die sowjetische »Befreiung« überlebt hat. 

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Aufruhr ist eine typisch polnische Beschäftigung. 

Seit 1968 gab es alle drei bis fünf Jahre einen Aufruhr. 1971 und 1976 sowie jedes weitere Mal wurden den Machthabern Zugeständnisse abgerungen, wenn auch mit Blutvergießen. (Moskau sah dabei durch die Finger — wenn nur die Polen nicht abtrünnig wurden.) Deshalb war das Leben in Polen freier als — wie man damals scherzte — in den benachbarten Baracken des sozialistischen Lagers. 

Fast ein Drittel aller Beschäftigten arbeitete im privaten Sektor — im Kleinhandel und Dienstleistungs­bereich. Schon das allein brachte mehr persönliche Freiheit als jede Reform der Regierung. (Wer nie im realen Sozialismus gelebt hat, kann das nicht beurteilen.) Und Reformen gab es in Polen ebenso häufig wie Aufruhr. Bis 1980 wurden dort alle möglichen und unmöglichen Sozialismus-Modelle ausprobiert, aber keines von ihnen funktionierte. Die letzte Krise hatte einen sehr prosaischen, doch für den Sozialismus charakteristischen Grund: Angesichts der hohen Schulden sah sich die Regierung gezwungen, die Lebensmittelpreise (besonders die Fleischpreise) zu erhöhen, obwohl sie wußte, daß eine derartige Maßnahme 1976 einen Aufruhr ausgelöst hatte. Aber es half nichts. Das Land war bankrott und konnte nicht einmal die Zinsen an die westlichen Banken zahlen.

Andererseits waren die vorangegangenen Erhebungen nicht ohne Nutzen für die polnische Gesellschaft gewesen. Es waren Erfahrungen gesammelt worden, und die Dissidenten konnten sich dank der relativen Milde des Regimes organisieren. Nach den Ereignissen von 1976 entstand das Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (KOR), eine Art Koordinationszentrum der dissidentischen Aktivitäten, das eine Verbindung zwischen der Arbeiterbewegung und der Intelligenz sowie ein unabhängiges Kommunikations­system zwischen den verschiedenen Gruppen und Landesteilen bildete. In der Krise von 1980 spielte das KOR eine Schlüsselrolle. Es verwandelte die vereinzelten spontanen Streiks in einen Generalstreik, der das ganze Land mobilisierte.


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Auch die Arbeiter hatten etwas gelernt. 

Statt eines gewöhnlichen Aufruhrs, Demonstrationen und blutiger Schlägereien mit der Polizei bedienten sie sich einer neuen, originellen Form des Protests sie besetzten ihre Fabriken, Schächte und Werften. Mit dieser Neuheit wurden die Machthaber in Warschau und Moskau überrumpelt. Nur so ist die ungewöhnliche Nachgiebigkeit der polnischen Staatsmacht zu erklären, die die Bildung der unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc praktisch sanktionierte und den Arbeitern noch eine Reihe weiterer Zugeständnisse machte. Da das Regime sich der einzigen Waffe, ihrer Polizeigewalt, nicht bedienen konnte, zog es vor, allem zuzustimmen, damit sich das Land beruhigte (um natürlich danach wieder alles nach und nach zu annullieren).

Den sowjetischen Machthabern muß zugestanden werden, daß sie etwas gelernt hatten. Für sie kam die polnische Krise nicht unerwartet. Spätestens seit April 1979, als sie verstanden, daß eine Preiserhöhung unumgänglich war, bereiteten sie sich darauf vor.111 Die Lage wurde mehrmals zwischen Breschnew und Gierek erörtert, zum letztenmal noch im Juli 1980, das heißt schon nach der Preiserhöhung und dem Beginn der Streiks, als Breschnew zu Recht die Entstehung einer politischen Bewegung infolge der wirtschaftlichen Krise befürchtete. Er empfahl Gierek:

»... Den Versuchen, den Nationalismus für die Entstehung antisozialistischer und antisowjetischer Stimmungen, die Entstellung der Geschichte der sowjetisch-polnischen Beziehungen und des Charakters der Zusammenarbeit zwischen der UdSSR und der Volksrepublik Polen auszunutzen, muß entschieden entgegengetreten werden.
Es muß eine unversöhnliche Gegenpropaganda gegen die Bestrebungen entfaltet werden, den Klassencharakter des sozialistischen Patriotismus durch die Losung >Alle Polen in der Welt sind Brüder< aufzuweichen und die vorrevolutionäre Vergangenheit Polens zu idealisieren.
Im politischen Kampf mit antisozialistischen Elementen darf keine Verteidigungsposition eingenommen, sondern es muß ein konsequenter Angriff geführt werden.« 112)

 

Die Schwäche ihrer Sachwalter, der polnischen Kommunisten, die offensichtlich unfähig waren, mit der Krise fertig zu werden, überraschte den Kreml in der Tat. Noch Jahre später hatten Moskaus Machthaber nicht verstanden, daß diese Bewegung, die sich ihnen entgegenstellte, eine wahre Volksbewegung war.


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Sie schienen in der Tat zu glauben, es handele sich hier nur um bestimmte »Elemente«, mit denen die polnischen Genossen zu liberal umgingen. Eine eiligst gebildete Kommission des Politbüros des ZK für die polnische Frage113 arbeitete als erstes Anweisungen für die polnische Führung über Maßnahmen zur »Festigung der Rolle der Partei in der Gesellschaft« aus, als ob Polen ein Verwaltungsgebiet der UdSSR gewesen wäre, wo die Schüler über die Stränge schlugen. Ihre Einschätzung der Danziger Übereinkunft der Regierung mit der Solidarnosc war von einer völlig kompromißlosen Haltung geprägt:

 

»Die Vereinbarung der Regierung der Volksrepublik Polen, die vom Plenum des ZK der PVAP (Polnische Vereinigte Arbeiterpartei, W. B.) gebilligt wurde, ist ein hoher politischer und wirtschaftlicher Preis für die erzielte >Beilegung< des Konflikts. Wir verstehen natürlich, unter welchen Bedingungen dieser schwere Entschluß gefaßt worden ist«, schrieben sie der polnischen Führung am 3. September 1980.114) 

»Die Vereinbarung bedeutet im Grunde genommen die Legalisierung der antisozialistischen Opposition. Es entsteht eine Organisation, die den Anspruch erhebt, ihren politischen Einfluß im ganzen Land auszuüben. Der Kampf gegen sie ist deshalb so schwierig, weil sich diese Oppositionellen als Vertreter der Arbeiterklasse, der Werktätigen, ausgeben.
Die Vereinbarung beseitigt nicht die Grundursachen der Krise. Die Lösung der aktuellen Probleme der polnischen Wirtschaft und Gesellschaft wird jetzt schwieriger.
Da die Opposition beabsichtigt, den Kampf für die Erreichung ihrer Ziele fortzusetzen, und da die gesunden Kräfte in Partei und Gesellschaft sich nicht damit abfinden können, daß sich das Rad der Geschichte zurückdreht, dürfte der erzielte Kompromiß eher einen provisorischen Charakter haben. Man muß in Betracht ziehen, daß die Opposition nicht ohne Grund auf Hilfe von außen spekuliert.
Unter dem Druck der antisowjetischen Kräfte, die weite Kreise der Arbeiterklasse in die irre geleitet haben, mußte die PVAP in die Defensive gehen. Jetzt besteht die Aufgabe darin, zum Gegenangriff überzugehen und die verlorenen Positionen in der Arbeiterklasse und im ganzen Volk wiederzugewinnen.


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Bei diesem Gegenangriff muß politische Flexibilität an den Tag gelegt und es müssen alle Möglichkeiten einer herrschenden Partei, ihres starken, gesunden Kerns, der Staatsmacht und der Massenorganisationen genutzt werden, wobei man sich unbedingt auf die fortschrittlichen Kräfte der Arbeiterklasse stützen und, falls notwendig, ausgewogene administrative Maßnahmen ergreifen soll.
Die Partei muß eine prinzipielle politische Einschätzung der August-Ereignisse liefern und die Ausarbeitung eines eigenen Aktionsprogramms, das auch die Verbesserung des Lebens der Werktätigen einschließt, beschleunigen.«

 

Für besonders wichtig hielt man in Moskau die Verstärkung der Kontrolle über die Massenmedien, vor allem Rundfunk und Fernsehen, durch die Partei. Nach der Danziger Vereinbarung erhielt erstmalig die Kirche Zugang zu ihnen.

 

»Unter diesen Umständen«, schrieb das Regime in Moskau, »muß man klar die Grenzen des Zulässigen angeben und offen erklären, daß das Pressegesetz keinerlei gegen den Sozialismus gerichtete Äußerungen zuläßt. Die Massenmedien sollen aufzeigen, daß die Ereignisse in Polen nicht durch Mängel des sozialistischen Systems, sondern durch Fehler und Fehleinschätzungen sowie einige objektive Ursachen (Naturkatastrophen und anderes) hervorgerufen wurden.«

 

Gierek wurde abgesetzt, und neuer Generalsekretär wurde Kania, aber davon wurde die Lage auch nicht besser. Im Oktober wurden die Polen zu einem Gespräch nach Moskau beordert.

 

»BRESCHNEW:  Morgen kommen zu uns der Erste Sekretär des ZK der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, der Genösse Kania, und der Vorsitzende des Ministerrats der Volksrepublik Polen, der Genösse Pinkowski. Eine Kommission, bestehend aus den Genossen Suslow, Gromyko, Andropow, Ustinow, Tschernenko, Simjanin und Russakow, hat Material für das Gespräch mit den polnischen Führern zusammengestellt, leb habe dieses Material aufmerksam durchgelesen und bin der Meinung, daß die Genossen alle wesentlichen Fragen beleuchtet haben. Vielleicht möchte noch jemand etwas dazu sagen, dann bitte, sprechen wir darüber.


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USTINOW:  Ich habe das Material ebenfalls aufmerksam gelesen und bin der Meinung, daß es gut ist und alle Fragen einschließt. Das wichtigste ist, daß die fragen sehr klar und deutlich gestellt werden - genau so, wie sie der polnischen Führung präsentiert werden sollten.
BRESCHNEW:  In Polen wütet tatsächlich jetzt die Konterrevolution, und in der polnischen Presse und den Äußerungen der polnischen Genossen wird darüber kein Wort verloren, keiner spricht von den Volksfeinden. Dabei sind es doch Volksfeinde, direkte Helfershelfer der Konterrevolution, und die Konterrevolutionäre selbst stellen sich gegen das Volk. Wie konnte es soweit kommen?
ANDROPOW:  Was den Genossen Jaruzelski angebt, so ist er natürlich ein zuverlässiger Mann, aber trotzdem redet er jetzt ohne besonderen Schwung. Er äußerte sich sogar dahingehend, daß die Armee nicht gegen die Arbeiter vorgehen wird. Ich glaube, den Polen muß alles klar und deutlich gesagt werden.
BRESCHNEW:  Als Jaruzelski mit Kania sprach, wer an der Spitze stehen soll, lehnte Jaruzelski es rundheraus ab, Erster Sekretär zu werden, und empfahl, daß es Kania werden solle. Das sagt doch einiges.
GROMYKO:  Ich glaube, daß in dem vorbereiteten Material alle Hauptfragen richtig gestellt sind. Was die Einführung des Ausnahmezustands in Polen angebt, so muß man sie als eine Maßnahme zur Rettung der revolutionären Errungenschaften im Auge haben. Er sollte nicht sofort und erst recht nicht gleich nach der Rückkehr der Genossen Kania und Pinkowski aus Moskau eingeführt werden. Es sollte etwas gewartet werden, aber wir müssen sie dam bringen und sollten ihnen den Rücken stärken. Wir dürfen Polen nicht verlieren. Die Sowjetunion hat im Kampf gegen Hitler-Deutschland für die Befreiung Polens 600 ooo Soldaten und Offiziere verloren, und wir dürfen keine Konterrevolution zulassen.
Natürlich sind die Genossen Kania, Jaruzelski und Pinkowski ehrliche und zuverlässige Männer. Als ich in Warschau mit ihnen sprach, ging ihnen all das, wovon die Rede war, sehr nahe. Kania war wirklich zutiefst erschüttert. Gleichzeitig genießt er großes Vertrauen in der Partei.
BRESCHNEW:  Die antisozialistischen Elemente haben die Stirn, die Entscheidungen des Warschauer Wojewodschaftsgerichts bezüglich der Kommentare, die es zur Registrierung der Gewerkschaft Solidarnosc abgab, zurückzuweisen, und fordern sogar die Abberufung von Abgeordneten des Sejm. Wie soll das weitergehen?


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SUSLOW: Meines Erachtens ist das Material gut vorbereitet, es ist alles ausgewogen. Die gegenwärtigen Führer der Volksrepublik Polen sind nicht stark genug, aber sie sind ehrlich und die Besten innerhalb des Führungskerns ... Sie müssen zum Gegenangriff übergehen und dürfen keine defensive Position einnehmen. Diese Position ist sehr gut in dem Material, das wir heute erörtert haben, dargestellt.
BRESCHNEW: Sie müssen Abteilungen zur Selbstverteidigung bilden
ANDROPOW, SUSLOW und USTWOW sagen, daß diese Maßnahme unerläßlich ist. Verteidigungsabteilungen müssen gebildet und sogar kaserniert werden. Auch sollten sie vielleicht rechtzeitig bewaffnet werden.
SUSLOW: Wir schrieben seinerzeit Gomulka, keine Waffen gegen Arbeiter einzusetzen, aber damals schenkte man uns kein Gehör, damals setzte die polnische Führung Waffen ein.
PONOMARJOW: Die Dokumente, die für die Gespräche mit der polnischen Führung vorbereitet wurden, sind schlüssig, alles stimmt hier. In dem Material kommt unsere starke Besorgnis zum Ausdruck. Von dieser Besorgnis sollten wir den polnischen Führern Kenntnis geben.
GROMYKO: Vielleicht sollten wir den polnischen Führern das Material übergeben?
ANDROPOW: Wenn wir es ihnen geben, ist es nicht ausgeschlossen, daß es in die Hände der Amerikaner gerät.
BRESCHNEW: Das könnte wirklich geschehen.
RUSSAKO W: Sie sollen Leonid Iljitsch anhören und alles aufschreiben.
GRISCHIN: Leonid Iljitsch, Sie sollten zu Beginn des Gesprächs unsere Besorgnis zum Ausdruck bringen. Sie sollen danach Rede und Antwort stehen. Die Dokumente sind gut erarbeitet.
TICHONOW: Natürlich, Leonid Iljitsch, Sie sollten Ihre Ausführungen in Anlehnung an das Material beginnen und alles darlegen, was hier geschrieben steht. Wir laden sie zu uns ein, um ihnen gegenüber unsere Besorgnis über die in Polen entstandene Lage zum Ausdruck zu bringen, im Material sind alle Fragen gut dargelegt. Jetzt haben wir es in Polen mit Aktionen konterrevolutionärer Elemente zu tun. Sie sollen sagen, was da los ist, warum sie das zuließen, sie sollen es erklären. Die Kommunisten treten aus der Partei aus, weil sie Angst vor den antisozialistischen Elementen haben. So weit ist es schon gekommen,
RUSSAKOW: Ich bin der Meinung, daß in den Dokumenten alles


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berücksichtigt ist, aber Kania könnte einige andere Fragen aufbringen, die in dem Material nicht enthalten sind. Eine dieser Fragen ist die Kaderfrage.
Die zweite Frage, die der Genosse Kania aufwerfen könnte, wäre die einer umfassenden Hilfe der sozialistischen Länder für Polen. Kania ist gegen eine solche Hilfe. Ich sage das deshalb, weil im Material des Genossen Baibakow die Rede von einer internationalen Hilfe für Polen ist, aber die polnischen Genossen sagen, daß bei ihnen keine solche Lage herrsche, wie sie in Ungarn oder der Tschechoslowakei bestand.
TSCHERNENKO: Das von der Kommission erarbeitete Material ist umfassend. Es definiert die wichtigsten, die Hauptfragen, auf die die Aufmerksamkeit der polnischen Genossen gelenkt werden muß, wobei die Fragen sehr direkt angegangen werden. Es wird klar und deutlich die gespannte Situation und die Notwendigkeit, entschlossene Maßnahmen gegen die anti-sozialistischen Elemente zu ergreifen, angesprochen.
KIRILENKO; Vor drei Monaten begannen die Streiks und haben bis jetzt nicht nachgelassen. Wir haben sehr viel für Polen getan, alles gegeben und Ratschläge erteilt, damit die entstandenen Probleme richtig gelöst würden. Bis jetzt wird das Militär nicht gegen die antisozialistischen Elemente eingesetzt, und diese werden auch nicht entlarvt, wie die Genossen hier richtig gesagt haben. Um die Jugend steht es bei ihnen schlecht. Es gibt praktisch keinen Komsomol. Jugendkampfgruppen gibt es auch nicht. Vielleicht sollte man Militär in Zivil in die Reihen der Arbeiter einschleusen
115

 

Sie beschlossen, das Material für den freundschaftlichen Arbeitsbesuch der polnischen Führung in der UdSSR zu billigen.

Der ständige Druck aus Moskau auf die polnische Führung erfüllte seinen Zweck. Wie geschwächt der Einfluß der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei auch war, so war ihr Apparat doch riesig, und die Strukturen des totalitären Staates gaben ihr mächtige Kontroll- und Druckmittel in die Hand. Die Kreml-Strategen hatten im wesentlichen recht. Das totalitäre System war darauf angelegt, ständig gegen das Volk zu kämpfen, und alles hing davon ab, wie geschickt die Möglichkeiten genutzt wurden. Moskaus Druck zwang die mutlose polnische Führung, energischer zu handeln und Zweifel und Bedenken zu überwinden.


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Moskau schenkte Polen große Aufmerksamkeit. Fast jede Woche telefonierte Breschnew mit Kania, und auch die anderen Mitglieder des Politbüros betreuten ihre Kollegen in den entsprechenden Positionen auf die gleiche Weise; regelmäßig fuhren hochkarätige sowjetische Delegationen zwecks Kontrolle vor Ort nach Polen. Moskau übernahm praktisch die Führung bis ins kleinste Detail. Fast wie in Afghanistan wurden Sonderberater und Experten für alle Probleme nach Polen entsandt. Mit ihnen (oder mit Botschafter Aristow) wurde alles, was getan wurde, abgestimmt. Sogar das Wirtschaftsprogramm der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, das auf dem Parteitag vorgelegt wurde, war in Moskau zunächst überprüft und bearbeitet worden.116) 

Alles machten sie sich zunutze - bis hin zu den kleinsten Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Solidarnosc und ihre kleinsten Fehlschläge. Die Anwesenheit des KGB in Polen wurde verstärkt.117) 

 

Der mächtigste Faktor der psychologischen Einflußnahme auf die Bevölkerung war schließlich die bewußt geschürte Angst vor einer sowjetischen Invasion, obwohl keinerlei konkrete Vorbereitungen dafür getroffen wurden. Es wurden Manöver auf polnischem Territorium durchgeführt, die bewußt zu einer Demonstration der Bereitschaft, »internationale Hilfe« zu leisten, aufgebauscht wurden. Das war jedoch von Anfang an nur ein Bluff. Von den Polen wurden »entschlossene Aktionen«, repressive Maßnahmen und sogar die Einführung des Kriegsrechts verlangt, aber eine Invasion wurde nicht ernsthaft in Betracht gezogen.

Wie dem auch sei, Anfang 1981 gelang es, die Situation zu stabilisieren. Es wurde berichtet, daß die Anführer der Solidarnosc, die in erster Linie auf Repressionen gefaßt waren, selbst nicht an einen Erfolg geglaubt hatten und daher nicht so recht wußten, was sie mit ihrem Erfolg anfangen sollten.

»Das Land befindet sich im Zustand einer permanenten Diskussion sowohl in den Parteiorganisationen als auch in den Betrieben«, berichtete einer der hochrangigen Besucher aus Moskau in Polen.118) 

»Diese Diskussion wird in den Massenmedien geführt, wo nicht selten über ein polnisches Modell der sozialistischen Gesellschaft, über die Liberalisierung, die Revision des Marxismus-Leninismus, den Pluralismus im politischen Leben und so weiter gestritten wird."


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Eine solche Lage der Dinge gefiel Moskau nicht. Es gab keine »Wende« zu ihren Gunsten, die Krise ging nicht vorüber, und ihre negativen Folgen waren sowohl im Westen als auch innerhalb der UdSSR zu spüren.

»BRESCHNEW: Wir sind alle sehr beunruhigt über den Verlauf der Ereignisse in Polen. Das Schlimmste ist, daß die polnischen Freunde uns zuhören, unseren Empfehlungen zustimmen und dann so gut wie nichts tun. Und die Konterrevolution greift an allen Fronten an.
Die Mitglieder des Politbüros sind mit dem Inhalt der vorangegangenen Gespräche mit der polnischen Führung vertraut. Ich will kurz von dem letzten Telefongespräch mit Kania berichten, das am
30. März stattfand.
Kania berichtete vom letzten Plenum des ZK der PVAP und beklagte sich darüber, daß sie auf dem Plenum scharf kritisiert wurden, ich sagte ihm gleich: >Das geschah euch recht. Euch hätte man nicht nur kritisieren, sondern mit einem Knüppel verprügeln sollen. Dann hättet ihr vielleicht begriffen.< Das waren meine Worte.
Genosse Kania gab zu, daß sie zu milde handelten, daß man härter durchgreifen müßte.
Ich sagte ihm darauf: >Wie oft haben wir euch gesagt, daß entschlossene Maßnahmen ergriffen werden müssen, daß man nicht bis zum Ende vor der Solidarnosc zurückweichen kann? Ihr faselt von einem friedlichen Weg, ohne zu verstehen oder verstehen zu wollen, daß dieser <friedliche Weg> euch Blut kosten wird. Deshalb ist es wichtig, daß ihr die richtigen Schlüsse aus der Kritik auf dem Plenum zieht.<
Es gelang den Freunden, einen Generalstreik abzuwenden. Aber zu welchem Preis? Zum Preis einer weiteren Kapitulation vor der Opposition. Selbst Kania gab in einem Gespräch mit dem Botschafter zu, daß der neuerliche Kompromiß ein großer Fehler war.
Jetzt hängt viel davon ab, wie sich die Ereignisse in den nächsten Tagen entwickeln, insbesondere, ob unsere Freunde die mit uns abgesprochenen Maßnahmen durch den Sejm bringen werden, dessen Sitzung, wie heute


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mitgeteilt wurde, vom z. auf den 6. April verlegt wurde; ob die Maßnahmen in vollem Umfang durchgeführt werden und ob die Entschlossenheit und die Kraft ausreichen werden, diese Maßnahmen in die Tat umzusetzen.
Wir müssen die Arbeit mit den Freunden fortsetzen und neue Wege der Einflußnahme auf die Lage in Polen suchen.
Wir sollten wohl den Wünschen der Freunde nachkommen und die Genossen Andropow und Ustinow nach Brest zu einem Treffen mit den Genossen Kania und Jaruzelski entsenden. Das wird es erlauben, Genaueres über die Lage zu erfahren, die Absichten unserer Freunde einzuschätzen und ihnen noch einmal unsere Position darzulegen.
Als Reserve bliebe uns ein neues Gipfeltreffen der Sieben über die polnische Frage.
Wir haben eine Kommission für die polnische Frage. Vielleicht möchten sich die Genossen aus der Kommission, die die Ereignisse in Polen verfolgen, äußern?
ANDROPOW: Ich bin der Meinung, daß die Vorschläge Leonid Iljitschs bezüglich weiterer Schritte in der polnischen Frage und der Einschätzung der Lage dort völlig richtig sind. Jetzt geht es in der Tat darum, mehr Einfluß und stärkeren Druck auf die Führung der Freunde auszuüben. Ich glaube, daß der Vorschlag, mich und den Genossen Ustinow zu einem Treffen mit Kania und Jaruzelski zu entsenden, richtig ist. Wir werden auf der Grundlage des im Politbüro geführten Meinungsaustauschs, der Beschlüsse, die früher im Politbüro gefaßt worden sind, und der Gespräche, die Leonid Iljitsch mit Kania geführt hat, die erforderliche Arbeit leisten und den Genossen Kania und Jaruzelski alle unsere Forderungen, Vorschläge, Ratschläge und so weiter vortragen.
(USTINOW unterstützt die Vorschläge mit den gleichen Worten.)
GROMYKO: Gestatten Sie mir, Sie kurz darüber zu informieren, was wir durch das Außenministerium erfahren haben. Es treffen sehr viele Informationen über Polen ein. Man muß sagen, daß in den USA, der BRD und anderen Ländern die Ereignisse in Polen aufmerksam verfolgt und die wahre Lage der Dinge entstellt dargestellt werden. Es versteht sich, daß sowohl die amerikanischen als auch die westeuropäischen Informationen über die Lage in Polen tendenziös sind. Sie zeigen die 'Berechtigung« der Forderungen der Solidarnosc und weisen auf die Unfähigkeit der polnischen Führung, die inneren Probleme zu lösen, hin. Darüber hinaus gibt es eine


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Vielzahl von Äußerungen an die Adresse der Sowjetunion, gleichsam in warnendem Ton, sie solle sich nicht mit ihren Streitkräften in die polnischen Angelegenheiten einmischen. Doch die bürgerliche Propaganda hat sich stets feindlich gegenüber der Sowjetunion verhalten und liefert, wie schon gesagt, auch jetzt tendenziöse Informationen.
Der Zustand Kanias und Jaruzelskis ist nicht gut. Es gibt Hinweise darauf, daß Jaruzelski völlig deprimiert ist und nicht mehr weiß, was er tun soll. Das ist natürlich sehr schlecht. Daß die Führung der Volksrepublik Polen in den Verbandlungen mit der Solidarnosc zurückgewichen ist, ist ebenfalls sehr schlecht. Selbst die polnischen Führer geben zu, daß die letzte Vereinbarung mit der Solidarnosc ein Fehler der polnischen Führung gewesen sei.
Was die Land-Solidarnosc angeht, so ist sie im Grunde genommen bereits legalisiert... Wie ist die Lage in Polen nach dem Plenum einzuschätzen? Ich glaube, es ist kein Irrtum zu sagen, daß keinerlei Verbesserung eingetreten ist, im Gegenteil, eher eine Verschlechterung, weil die Führung zurückweicht. Aber wie Leonid Iljitsch schon sagte, Kania möchte, daß die Genossen Andropow und Ustinow zu einem Meinungsaustausch mit den Genossen Kania und Jaruzelski nach Brest kommen. Ich bin der Meinung, daß das akzeptiert werden sollte, um so mehr, als sich die Möglichkeit ergibt, den polnischen Freunden bei einem persönlichen Gespräch alles zu sagen. Dieses Treffen ist meines Erachtens eine Art Zwischenstufe, und es muß voll ausgenutzt werden. Wenn sie es auf eine teilweise Einführung außerordentlicher Maßnahmen ankommen lassen, müssen wir sie fragen, ob sie sicher sind, daß die Armee, das Innenministerium und die Organe der Staatssicherheit auf ihrer Seite stehen werden. Ich glaube, unsere Militärs sollten eine gründliche Analyse darüber liefern, wie es um die Streitkräfte der Volksrepublik Polen bestellt ist, ob die Armee die wichtigste Kraft ist und ob man sich auf sie stützen kann.
Das Politbüro des ZK der KPdSU muß ein klares Bild über die Kräftekonstellation in der Volksrepublik Polen haben. Wir müssen das unbedingt wissen. Das polnische Oberkommando erklärt, daß die Armee ihre Pflicht erfüllt. Ist das aber wirklich der Fall? Wir müssen die polnischen Genossen auf jeden Fall auf die Notwendigkeit hinweisen, härtere, ich möchte sagen, außerordentliche Maßnahmen zur Herstellung der Ordnung zu ergreifen, und ihnen sagen, daß ein weiteres Zurückweichen


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für sie völlig inakzeptabel, ja daß es absolut unzulässig ist, weiter zurückzuweichen.
USTINOW: Was die Militärs angeht, so sieht es folgendermaßen aus:
Heute um 20 Uhr trifft sich die Militärführung mit den Genossen Kulikow, Krjutscbkow und anderen. Was die polnische Armee anbetrifft, so ist sie nach den Worten Jaruzelskis bereit, ihre Pflicht zu erfüllen. Offen gesagt müssen wir damit rechnen, daß Kania und Jaruzelski sich kaum auf eine Konfrontation einlassen werden, wie der Konflikt in Bydgoszcz gezeigt hat. Die Bilanz dieses Konflikts zeigt, daß man nur zwei Solidarnosc-Leute anzutasten brauchte, und sofort erhob sich buchstäblich das ganze Land, das heißt, die Solidarnosc vermochte es, sehr schnell ihre Kräfte zu mobilisieren. Natürlich besteht jetzt noch einige Hoffnung, daß die Armee, die Staatssicherheitsorgane und die Polizei gemeinsam vorgeben werden, aber je weiter es geht, desto schlimmer wird es. Ich glaube, daß Blutvergießen nicht zu vermeiden ist, daß es dazu kommen wird. Wenn man sich davor fürchtet, muß man natürlich eine Position nach der anderen aufgeben. So können alle Errungenschaften des Sozialismus verlorengehen.

Ich denke auch darüber nach, ob wir nicht irgendwelche wirtschaftlichen Maßnahmen ergreifen sollten. Wie würden die polnischen Freunde dann dastehen? Wir helfen ihnen, erlegen uns selbst und den anderen Freunden Opfer auf, um Polen etwas zu geben, und das polnische Volk weiß nichts davon. Kein Pole weiß so recht, daß Polen von uns vollständig mit Erdöl, Baumwolle und anderem versorgt wird. Wenn wir in Betracht ziehen, welche Hilfe die Sowjetunion den Polen erweist, wenn von dieser Hilfe im Fernsehen, im Rundfunk und in der Presse berichtet würde, dann, denke ich, verstünde das polnische Volk, von wem es die wesentliche wirtschaftliche Hilfe bekommt. Doch kein einziger polnischer Führer hat sich vor die Arbeiter gestellt und davon berichtet.
Was die polnischen Führer anbetrifft, so ist es meines Erachtens schwer zu sagen, wer von ihnen besser ist. Früher hielten wir den Genossen Jaruzelski für einen standhaften Politiker, doch in Wirklichkeit zeigte er sich schwach.
BRESCHNEW: Deshalb müssen wir alles klären - die Lage in ihrem Politbüro und wer wozu fähig ist.
ANDROPOW; Ich stimme Ihnen voll und ganz zu, Leonid Iljitsch, was die Analyse betrifft, die Sie bezüglich Polens geliefert haben. In der Tat nimmt die Solidarnosc jetzt eine Position nach der anderen ein.


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Wenn ein außerordentlicher Parteitag einberufen würde, ist es nicht ausgeschlossen, daß er ganz in den Händen der Solidarnosc sein würden, und daß sie dann ohne Blutvergießen die Macht ergriffen. Wir müssen den polnischen Führern in der Tat bei dem persönlichen Treffen, von dem Leonid Iljitsch hier sprach, noch einmal sagen, daß sie rigorose Maßnahmen ergreifen und keine Angst davor haben sollen, daß es vielleicht zu Blutvergießen führt. Sie wollen uns mit einer >politischen Regelung< anstatt mit rigorosen Maßnahmen abspeisen. Wir verlangen von ihnen militärische, administrative und juristische Maßnahmen, aber sie beschränken sich ständig nur auf politische Maßnahmen.
Außerdem müssen wir von unseren polnischen Freunden verlangen, daß sie die Solidarnosc zwingen, für die Ereignisse in Polen die Verantwortung zu übernehmen. Wie sieht die Lage jetzt aus? Das wirtschaftliche Chaos, das Durcheinander und alle Mängel in der Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Dingen sind durch die Schuld der Solidarnosc infolge der Streiks entstanden, und die Verantwortung dafür trägt die Regierung. Es entsteht eine völlig absurde Situation. Niemand von den Mitgliedern des Politbüros, aus der Führung der Volksrepublik Polen ist vor die Arbeiter hingetreten und hat ihnen gesagt, daß an den wirtschaftlichen Problemen und der Zerrüttung vor allem die Führer der Solidarnosc schuld sind. Dem Genossen Kania muß geraten werden, daß er die standhaften Mitglieder des Politbüros um sich scharen und sich auf sie stützen soll.

BRESCHNEW: Es muß ihnen gesagt werden, was die Einführung des Kriegsrechts bedeutet, und alles muß genau erklärt werden.
ANDROPOW: Richtig, es muß gesagt werden, daß die Einführung des Kriegsrechts nächtliche Ausgangssperre, eingeschränkten Straßenverkehr in den Städten, verstärkte Bewachung der Staats- und Parteieinrichtungen, der Unternehmen und so weiter bedeutet. Unter dem Druck der Anführer der Solidarnosc ist Jaruzelski schließlich schwach geworden, und Kania trinkt in letzter Zeit immer mehr. Das ist sehr betrüblich. Ich glaube, daß wir genügend Stoff für ein Gespräch mit Kania und Jaruzelski haben. Natürlich müssen wir auch sie anhören.
Außerdem möchte ich noch etwas dazu sagen, daß die polnischen Ereignisse auch die Lage in den westlichen Gebieten unseres Landes beeinflussen. Besonders in Weißrußland kann man in vielen Dörfern gut das polnischsprachige Radio hören und das polnische Fernsehen empfangen.

Auch in anderen Regionen, insbesondere in Georgien, kommt es zu spontanen Demonstrationen, es versammeln sich Gruppen von Schreihälsen auf den Straßen, wie neulich in Tbilissi; es sind antisowjetische Parolen zu hören und so weiter. Auch im Inneren müssen wir hart durchgreifen.«119


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Tatsächlich wurden in Moskau gleich am Anfang der Krise entschlossene Maßnahmen gegen die Verbreitung der polnischen Seuche unternommen. Der Touristenaustausch mit Polen wurde um die Hälfte verringert,120 es wurden Maßnahmen zur zusätzlichen Begrenzung der Lieferungen und zur Zensur polnischer Presseerzeugnisse, die in der UdSSR abonniert oder frei verkauft wurden, ergriffen,121 und die Propaganda wurde verstärkt.122 Versuche zur Untergrabung der Autorität der Solidarnosc im Ausland, besonders bei den befreundeten Organisationen und Parteien, wurden unternommen.

 

»Vom 14. bis 18. Januar 1981 wird sich auf Einladung der lokalen Gewerkschaften eine Delegation der Solidarnosc aus 18 Personen mit L. Walesa an der Spitze, zu der auch Vertreter der antisozialistischen Opposition gehören, in Italien aufhalten«, berichtete Ponomarjow.123

 

»Nach vorliegenden Informationen beabsichtigen die bürgerlichen Parteien und die Massenmedien, den Aufenthalt dieser Delegation in Italien zur Diskreditierung der sozialistischen Gesellschaftsordnung in der Volksrepublik Polen, zur Unterstützung einer Politik, die auf die Untergrabung und schließlich die Liquidierung der sozialistischen Errungenschaften in Polen gerichtet ist, zu nutzen. Zu diesem Zweck soll die Delegation von hochrangigen Gewerkschaftsführern und Politikern empfangen werden. 

Außer vom Papst sollen Watesa und seine Delegation von der Führung der Vereinigten Gewerkschaftsföderation CGIL-CISL-UIL empfangen werden, und es sollen Treffen mit Arbeitskollektiven stattfinden. Ungeachtet ihres ursprünglichen Beschlusses, von einem Treffen mit Walesa abzusehen, nimmt die Führung der Kommunistischen Partei Italiens eine schwankende Haltung ein und schließt die Möglichkeit von Kontakten in der einen oder anderen Form nicht aus.
Wir halten es für zweckmäßig, uns an die Führung der KPI zu wenden, die eine große Rolle in der italienischen Gewerkschaftsbewegung spielt und auch einen starken Einfluß auf die politischen Kreise des Landes ausübt.


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In diesem Zusammenhang könnte dem sowjetischen Botschafter in Italien die Anweisung erteilt werden, sich mit E. Berlinguer oder einem seiner Stellvertreter zu treffen und auf diesem Treffen die KPI-Führung auf die Notwendigkeit hinzuweisen, alle nur möglichen Schritte zu ergreifen, damit die Reise Walesas nach Italien nicht die antisozialistische politische Opposition stärkt.«

 

Äußerste Besorgnis über eine mögliche Verbreitung der Infektion brachten die politischen Führer Osteuropas (besonders Honecker) zum Ausdruck, die sich anläßlich des 26. Parteitages der KPdSU in Moskau versammelt hatten.124)  Leider begriff die Führung der Solidarnosc nicht ganz, wie wichtig es war, ihre Erfahrungen in die anderen »Baracken« des sozialistischen Lagers zu exportieren. Erst viel später, auf dem 1. Kongreß der Solidarnosc im September, wurde der berühmte »Aufruf an die Völker Osteuropas« verabschiedet, und auch er soll nur ganz zufällig, auf die Initiative einiger einfacher Delegierter, zustande gekommen sein. Aber gerade er hat allgemeines Aufsehen erregt als ein Beweis der politischen Reife. Nicht ohne Grund war man im Kreml außer sich vor Wut.

 

»BRESCHNEW: Gestern habe ich den >Aufruf an die Völker Osteuropas< der vom Kongreß der polnischen Solidarnosc verabschiedet wurde, zu Gesicht bekommen. Es ist ein gefährliches und provokantes Dokument. Es enthält nicht viele Worte, aber alles, was in ihm gesagt ist, läuft auf ein und dasselbe hinaus. Seine Autoren wollen Unruhe in den sozialistischen Ländern stiften, die Abweichler-Gruppen verschiedenster Couleur aufputschen. Ich glaube, wir sollten uns nicht darauf beschränken, diesen unverschämten Angriff in der Presse zu kritisieren. Wie wäre es, wenn die Kollektive unserer großen Betriebe, wie des Kirow-Werks, des Magnitogorsker Metallurgischen Kombinats, des Kama-Automobilwerks (KAMAS) und anderer, diesen Demagogen eine Abfuhr erteilten? Ihre Briefe an die Adresse der Solidarnosc könnte man dort schwerlich unbeachtet lassen, zumal wir ihnen in unseren Massenmedien einen gebührenden Platz einräumen werden.
Wenn die Genossen einverstanden sind, beauftragen wir unsere Kommission für die polnische Frage, drei bis vier Kollektive aus der Produktion auszuwählen und ihnen zu helfen, eine qualifizierte Abfuhr an die Solidarnosc zu verfassen ....


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SIMJANIN: Ich möchte dem Politbüro sagen, welche Publikationen im Zusammenhang mit dem Kongreß der Solidarnosc vorgesehen sind. Man kann sagen, daß der Kongreß ein Beweis für die weitere Verschlechterung der Lage in Polen ist. Bekanntlich haben sie sich mit ihrem Programm der >Erneuerung< an die Parlamente und Völker einiger Länder, darunter auch sozialistischer, gewandt. Deshalb werden entsprechende Veröffentlichungen in unserer Presse und über TASS vorbereitet, in diesem Material wird die Tätigkeit der Gewerkschaft Solidarnosc entlarvt, ich halte den Vorschlag Leonid Iljitschs, einigen Kollektiven führender Betriebe die Möglichkeit zu geben, sich zu äußern, für völlig richtig. Wir werden auch das in die Wege leiten.
TICHONOW: Wir müssen irgendwie reagieren, und zwar konkret auf die Angriffe dieser unverschämten Elemente in Polen, gegen die die Regierung absolut nichts unternimmt. Sie besudeln nicht nur die Denkmäler für unsere Soldaten, sie karikieren die Führer unserer Partei und Regierung, beleidigen die Sowjetunion auf jegliche Weise und so weiter, das heißt, sie machen sich über uns lustig. Mir scheint, daß wir dazu nicht länger schweigen sollten. Entweder von Staats wegen oder auf andere Weise müssen wir bei der polnischen Regierung Protest einlegen. Nicht zu reagieren ist meines Erachtens vollkommen inakzeptabel.
GROMYKO: Das müssen wir genau überlegen. Es handelt sich um ein befreundetes Land.
GORBATSCHOW: Ich finde, der Vorschlag Leonid Iljitschs, die Kollektive der großen Betriebe sollen in der Presse zu Wort kommen und die Aktionen der Solidarnosc entlarven, ist völlig richtig.
GRISCHIN: Auch in der >Prawda< und anderen Teilungen müssen solche Beiträge erscheinen. Wir lassen die Belegschaften des Automobilwerkes >SIL <, des Moskauer Metallurgischen Werks >Serp i Molot< (Hammer und Sichel, Anmerkung des Übersetzers) und anderer großer Werke zu Wort kommen."
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So geschah es in allen Fabriken: Arbeiterversammlungen, zornige Reden, Protestresolutionen. Doch die ursprüngliche Absicht der weisen Führer, die Informationssperre bezüglich der Ereignisse in Polen aufrechtzuerhalten, war somit aufgegeben. Man hatte die Menschen gezwungen zu reden und konnte nicht mehr verhindern, daß sie auch dachten.

 

Kehren wir zu dem geheimen Treffen der Genossen Andropow und Ustinow mit den Genossen Kania und Jaruzelski im April in Brest zurück. Im Grunde genommen wurde hier die Einführung des Kriegsrechts beschlossen. Nach ihrer Rückkehr erstatteten die oben genannten Genossen dem Politbüro Bericht über die geleistete Arbeit:126)

»ANDROPOW: Ich fuhr zusammen mit dem Genossen Ustinow entsprechend unserer Vereinbarung zu den polnischen Genossen nach Brest, und dort fand in der Nähe der Stadt in einem Eisenbahnwaggon unsere Begegnung statt. Das Treffen begann um neun Uhr abends und endete um drei Uhr nachts, damit nicht bekannt wurde, daß die polnischen Genossen weggefahren waren.
Unsere Aufgabe bestand darin, die polnischen Genossen aufmerksam anzuhören und unsere Meinung vorzutragen, wie wir im Politbüro vereinbart hatten.
Unser allgemeiner 'Eindruck von unserem Treffen ist, daß die Polen in einem sehr angespannten Zustand waren; sie wirkten nervös und sehr mitgenommen. Der Genösse Kania sagte offen heraus, daß es für sie sehr schwer sei, ihre Aufgaben zu erfüllen, die Solidarnosc und die antisozialistischen Kräfte setzten ihnen zu. Zugleich erklärten sie, daß sich die Lage in Polen seit dem 26. Parteitag der KPdSU allmählich stabilisiere. Kania sagte, sie hätten in den meisten Grundorganisationen der Partei Rechenschafts- und Wahlversammlungen durchgeführt, und es sei kennzeichnend, daß nicht ein Mitglied der Solidarnosc zum Delegierten gewählt worden sei, daß also unsere Kandidaten auf dem Parteitag vertreten sein werden. Dann mußte der Genösse Kania aber zugeben, daß insbesondere der Warnstreik und die Ereignisse in Bydgoszcz gezeigt haben, daß die Konterrevolution stärker sei als die Regierung. Sie fürchteten besonders einen Warnstreik und noch mehr einen Generalstreik und hätten alles getan, um einen Generalstreik zu verhindern ...
Welche Aufgaben bevorständen, sagte der Genosse Kania. Vor allem die Wiederherstellung des Vertrauens des Volkes, die Sanierung des Wirtschafts-


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lebens und die Verhinderung von Streiks und Stillstand in den Betrieben. Natürlich haben die polnischen Genossen keine Erfahrung im Kampf mit diesen negativen Erscheinungen, wissen deshalb auch nicht, welcher Methoden su sich bedienen sollen und schwanken hin und her. Was die Entsendung von Truppen angeht, so sagten sie geradeheraus, daß das völlig unmöglich sei, ebensowenig könnten sie das Kriegsrecht einführen. Sie sagten, man würde sie nicht verstehen, es würden ihnen die Kräfte fehlen, und sie wären dann nicht imstande, irgend etwas durchzusetzen. Die Genossen betonten im Gespräch, daß sie mit eigenen Kräften Ordnung schaffen würden. Sie meinen damit, daß der 9. Parteitag, auf den sie sich jetzt vorbereiten, der Solidarnosc keine Möglichkeit gibt, ihre Kandidaten als Delegierte zu entsenden. In den Parteiorganisationen werden gute Arbeiter als Delegierte gewählt.
Im Gespräch bemerkte der Genosse Kania auch, daß das polnische Volk sehr feinfühlig sei, was den Wahrheitsgehalt von Nachrichten betrifft. Zum Beispiel hätte die Regierung erklärt, daß der Parteitag stattfinden solle, dann sah es danach aus, als wolle man ihn verschieben, dann wieder, daß er doch stattfinden solle. Diese Unsicherheit bezüglich des Termins für den Parteitag hat die Lage im Land sehr in der Weise beeinflußt, daß das Vertrauen in die Partei noch stärker erschüttert wurde. 

Wir haben unsererseits den polnischen Genossen klipp und klar gesagt, der Gegner greife sie an, er hätte Vorteile, sie wichen zurück und verspielten dabei noch Zeit. Im September 1980 hätten sie dem Gegner einen entschlossenen Kampf liefern können. Sie hätten aber nichts getan, keinerlei Maßnahmen ergriffen - weder politische noch solche mehr administrativen Charakters. Wir hoben besonders hervor, daß man Maßnahmen militärisch-administrativer Art nicht in Gegensatz zu politischen Maßnahmen stellen sollte. Es müsse alles geschickt kombiniert werden.
Das Kriegsrecht hätte längst eingeführt werden können. Was würde denn das Kriegsrecht bedeuten? Es würde ihnen helfen, den Druck der konterrevolutionären Elemente und aller möglichen Radaubrüder zu brechen und ein für allemal den Streiks und der Anarchie in der Wirtschaft ein Ende zu bereiten. Der Entwurf für die Dokumente zur Einführung des Kriegsrechts wurde mit Hilfe unserer Genossen vorbereitet und muß noch unterzeichnet werden. Die polnischen Genossen fragten, wie sie denn die Dokumente unterzeichnen könnten, wenn sie doch vom Sejm angenommen werden müßten. Wir sagten,


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dem Sejm brauche nichts vorgelegt zu werden, dies sei das Dokument, nachdem sie handeln müßten, wenn sie das Kriegsrecht einführten. Jetzt müßten sie, die Genossen Kania und Jaruzelski, persönlich unterschreiben, damit wir wüßten, daß sie einverstanden seien, und sie Bescheid wüßten, was sie während des Kriegsrechts zu tun hätten. Wenn das Kriegsrecht eingeführt wird, ist keine Zeit mehr, Maßnahmen für seine Einführung auszuarbeiten; diese muß man rechtzeitig vorbereiten. Darum gehe es.
Nach unseren Erläuterungen sagten die Genossen Kania und Jaruzelski, daß sie am 11. April das Dokument durchsehen und unterschreiben werden.
Weiterhin fragten wir, was der Genosse Jaruzelski in seiner Rede im Sejm sagen werde. Jaruzelski sprach viel und undeutlich. Er erklärte, daß er die Streiks für zwei Monate verbieten werde. Wir fragten, wieso zwei Monate, was werde danach sein? Zwei Monate vergingen schnell, und dann begännen die Streiks erneut. Sie machten ihren Arbeitern viele Versprechungen und erfüllten sie dann nicht, was das Mißtrauen gegenüber der Regierung und der Partei unnötig erhöhe.
Jetzt müßten ernsthaft weitreichende politische Maßnahmen in Angriff genommen werden. Da ist zum Beispiel die Klärung der Frage, warum es zum Mangel an Brot und anderen 'Nahrungsmitteln gekommen sei. Was ist der Grund? Das ist geschehen, weil die ständigen Streiks die ganze Wirtschaft desorganisieren; deshalb gibt es nichts. Bei jedem Streik entstünden Verluste von vielen Milliarden Zloty, der Arbeiter weiß das nicht und alles würde der Regierung in die Schuhe geschoben. Als Schuldige stehen die Regierung, das ZK der Partei und das Politbüro da, und die Anstifter, die Organisatoren der Streiks, stehen abseits und erscheinen als Verteidiger der Interessen der Arbeiter. Wenn man die Sache genau betrachtet, dann seien die Hauptschuldigen an den wirtschaftlichen Schwierigkeiten die Solidarnosc und die Organisatoren der Streiks. Darum gehe es. Warum sollte das den Arbeitern nicht gesagt werden?
Bei ihnen spreche man viel von der Schaffung einer Nationalen Front zur Rettung Polens. Solche Gespräche werden in vielen Regionen geführt. Zu dieser Nationalen Front sollten Veteranen der revolutionären Bewegung und die Militärführer, wie Rola-Zymierski und andere, gehören. Wir sagten, daß wir nichts gegen die Bildung einer Nationalen Front zur Rettung Polens hätten. Aber diese Front dürfe nicht die Partei und die Regierung ersetzen ...
Oder in der Bundesrepublik Deutschland werde jetzt davon geredet, daß


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Schlesien und Danzig als Territorien, die an Polen angegliedert wurden, der BRD zurückgegeben werden sollten. Warum sollten wir uns auch diese Frage nicht zunutze machen? Ich glaube, man könnte das Volk mit solchen Fragen einen. Das Volk muß aufgerüttelt werden.
Die polnischen Genossen sprachen davon, daß drei Arbeiter ins Politbüro aufgenommen werden müßten. Sie verwiesen auf Lenin, der vorgeschlagen hatte, Arbeiter ins Politbüro aufzunehmen. Wir sagten, das hätte es bei uns nie gegeben. Wenn es aber bei ihnen wirklich erforderlich sei, Arbeiter ins Politbüro aufzunehmen, dann doch nicht unbedingt gleich drei, sondern vielleicht nur einen. Ins ZK könnte zusätzlich eine gewisse Anzahl Arbeiter gewählt werden - das seien alles Maßnahmen, die der Geschlossenheit und Einheit dienen. Sie sprachen zum Beispiel von der Aufnahme von Arbeitern in die Volkskontrolle. Das ist keine schlechte Maßnahme. Natürlich könnte man sie durchführen.
Weiter sagten wir, die Genossen sollten sich jetzt nicht auf großartige Programme festlegen, sondern bescheidene Programme beschließen, aber diese erfüllen. Alle Mitglieder des Politbüros sollten in großen Betrieben sprechen. Jetzt fährt der Genösse Kania nach Danzig. Nicht nur der Genösse Kania, sondern auch der Genösse Jaruzelski und die anderen Mitglieder und Kandidaten des Politbüros sollten in verschiedene Städte fabren, um dort in den Fabriken vor den Arbeitern zu sprechen, daß beißt gegen die organisierte Solidamosc aufzutreten und die eigene Solidarität dagegenzusetzen. Was mache die Stärke der Solidamosc aus? Ihre Demagogie. Sie verspreche den Arbeitern demagogisch Lohnerhöhungen und wie man sehe, habe sie das auch erreicht. Sie spiele die Rolle einer Verteidigerin der Arbeiter; sie gewinne Autorität dadurch, daß sie zu Streiks aufrufe, wenn Arbeiter oder andere Vertreter der Solidamosc verhaftet würden. Wir haben Kania klipp und klar gesagt, daß sie Tag für Tag zurückwichen, daß aber gehandelt werden müsse, es müssen militärische und außerordentliche Maßnahmen ins Auge gefaßt werden ...
Was die Unterstützung des Politbüros betrifft — worauf kann es bauen? Die Armee besteht aus 400.000 Mann, das Innenministerium verfügt über 100.000 Mann, und es gibt 300.000 Reservisten, also zusammen 800.000 Mann. Kania sagte, daß die Spannung jetzt etwas nachgelassen habe, es sei ihnen gelungen, einen Generalstreik abzuwenden. Wie lange diese Ruhe aber andauern werde, sei schwer zu sagen.


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Was werden sie nach unserem Treffen tun? Etwas werden sie tun, Kania zum Beispiel fährt nach Danzig. Der Genosse Jaruzelski überarbeitet seine Rede für den Sejm. Man muß sagen, daß zwischen Kania und Jaruzelski Meinungsverschiedenheiten in Einzelfragen bestehen. Der Genosse Jaruzelski äußerte erneut die Bitte, ihn von seinem Posten als Premierminister zu entbinden. Wir machten ihm klar, daß er unbedingt auf seinem Platz bleiben und würdig die ihm auferlegten Aufgaben erfüllen müsse. Wir unterstrichen, daß der Gegner seine Kräfte sammle, um die Macht an sich zu reißen.
Andererseits nehmen andere Mitglieder des Politbüros, die Genossen Olszowski und Grabski, eine etwas andere, eine härtere Position als die Führung ein. Mit ihnen muß man zusammenarbeiten. Sie schlagen unter anderem vor, ein Untergrundpolitbüro zu gründen und mit ihm die Geschäfte zu führen, Es zeigte sich, daß sie auf diesen Gedanken aufgrund einer Empfehlung vom Genossen Schiwkow gekommen waren. Ich weiß nicht, ob es richtig ist, aber sie sagten, der Genösse Schiwkow habe ihnen diesen Rat gegeben. Wir müssen daraus auch den Schluß ziehen, daß wir - wenn die Führer der Bruderparteien den polnischen Freunden solche Ratschläge geben - davon keinen Nutzen, sondern nur Schaden haben.

SUSLOW: Vielleicht sollten wir Informationen für die Bruderparteien ausarbeiten.
GROMYKO: Auf keinen Fall sollte erwähnt werden, daß ein Treffen stattgefunden hat.
ANDROPOW: Das Treffen darf absolut nicht erwähnt werden.

USTINWOW:  J. W. Andropow hat alles sehr gut berichtet, deshalb möchte ich nur noch kurz folgendes sagen: Das erste, was in der Tat auffiel, war der niedergeschlagene Zustand unserer Gesprächspartner. Aber mir scheint, daß wir trotzdem diese beiden - Kania und Jaruzelski - uns bewahren und ihre Beziehungen untereinander festigen müssen. Im Politbüro kommt es zwischen ihnen zu Meinungsverschiedenheiten. In erster Linie machen ihnen natürlich die Streiks zu schaffen, vor ihnen haben sie Angst. Wir haben sie gefragt, warum sie ihren Beschluß bezüglich Bydgoszcz geändert haben. Bekanntlich wollten sie im Konflikt von Bydgoszcz vorerst nicht nachgeben, haben es aber dann doch getan. Sie versichern, daß die Gefahr eines Generalstreiks bestand. Dann fragten wir sie, warum sie den Arbeitern für die Zeit des Streiks Lohn zahlen. Sie sagten, daß die Solidarnosc das gefordert habe, >Ihr laßt euch also von der Solidarnosc bevormunden< antworteten wir ihnen. Bezüglich der Land-Solidarnosc haben sie keinen Beschluß gefaßt, aber faktisch diese Organisation schon anerkannt ...
Um ihre Bedenken wegen der Einführung des Ausnahme- oder Kriegszustands zu zerstreuen, haben wir ihnen Beispiele genannt, wie in vielen Ländern sofort der Ausnahme- und Kriegszustand ausgerufen wird, sobald ein Aufstand oder irgendwelche Unruhen ausbrechen. Zum Beispiel in Jugoslawien. Als in Kosovo Demonstrationen begannen, wurde sofort der Kriegszustand eingeführt, und niemand hat sich darüber aufgeregt. Warum die Polen Angst haben, den Ausnahmezustand einzuführen, ist uns unverständlich.
Über die Pläne zur Einführung des Ausnahmezustands hat Juri Wladimirowitsch (Andropow, W. B.) alles berichtet. Wir sagten ihnen, daß sie den Plan unterzeichnen müssen, der von unseren Genossen ausgearbeitet wurde.

Des weiteren sagte ich ihnen klipp und klar, was wir im Politbüro vereinbart haben, was nämlich mit Polen werde, wenn es dort zum Schlimmsten komme und in welcher wirtschaftlichen Lage es sich dann befinden werde. Jetzt bekomme Polen nämlich sein gesamtes Erdöl aus der Sowjetunion fast zum halben Preis. Es bekomme auch Baumwolle, Eisenerz und viele andere Waren. Wenn es das alles nicht mehr bekommen würde, was dann? Warum werde das nicht bekannt gemacht, nicht den Arbeitern gesagt? Das sei doch ein starkes Argument. 

Es müsse mit den Arbeitern und mit der Solidarnosc darüber gesprochen werden. Jetzt hat sich die Solidarnosc in den größten Betrieben verschanzt. Diese Betriebe müssen der Solidarnosc entrissen werden. Es gebe gute Betriebe, wo die Arbeiter auf der Seite der Führung stehen, zum Beispiel das Fernsehgerätewerk. Sie sollten die Branchengewerkschaften unterstützen und mit ihnen aktiv zusammenarbeiten. Jaruzelski sagte mir dann unter vier Augen, daß er nicht mehr arbeiten könne, daß er keine Kraft mehr habe und sehr bitte, ihn von seinem Posten zu befreien.«

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