Vorwort 1970
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Seit zwanzig Jahren und mehr wird es immer offensichtlicher, daß die Wucht, mit der die Technologie auf die menschliche Gesellschaft prallte, sich in ihren Auswirkungen als wesentlich ambivalenter und weitreichender erwiesen hat, als gemeinhin angenommen wurde.
Daß sich die täglichen Verhaltensmuster verändern würden, hatten viele vorausgesehen - der Stapel von Science-Fiction-Literatur spricht dafür -, aber niemand scheint sich gefragt zu haben, welche ökonomischen Strukturen für die neue technologische Gesellschaft notwendig sind, welche politischen Implikationen und Gefahren sie birgt oder inwieweit die menschliche Psyche den neuen Belastungen gewachsen ist. (Vor zwanzig Jahren versuchte ich, die Aufmerksamkeit auf die letzte Frage zu lenken, doch erweckte sie kaum Interesse.)
Es ist daher ermutigend, daß sich heute eine Zahl begabter Autoren diesen Problemen zugewandt hat. Francois de Closets gehört zu ihnen, und sein neues Buch bringt neue erhellende Einblicke. De Closets hat für dieses Buch, das in letzter Minute kommt, unverkennbar gründliche Recherchen geleistet, doch langweilt er uns nicht mit Statistiken. Lebhaft und brillant führt er uns Problem nach Problem vor Augen, deckt die Perspektiven auf, die wir ignorierten oder zu überdenken unterließen. Besonders eine Idee, die er erwähnt, scheint mir von großer Originalität zu sein: daß wir die planenden und ausführenden Funktionen der Regierung trennen sollten.
Die Ziele festzulegen ist eine Sache; zu wissen, welchen Einfluß sie auf die soziale Situation haben und wie sie mit bereits gegebenen Zielen in Einklang zu bringen sind, eine andere. Die gegenwärtigen Regierungen versuchen beides, und es wird dementsprechend chaotisch. Manchmal wird die Diskussion wichtiger Probleme aus Zeitmangel abgeschnitten. Eine kollektive Organisation, insistiert de Closets, ist die unentbehrliche Grundlage für das neue System, das zu schaffen wir sicher nicht umhinkönnen.
Seine wichtigste Leistung, so scheint mir, ist die Aufdeckung von Perspektiven in den ungeheueren ökonomischen Umwandlungen, die sich jetzt vollziehen und die weitgehend von den Interpreten gesellschaftlicher Zusammenhänge vernachlässigt worden sind. So zeigt er, wie Regierungen, die bislang Monopole zu limitieren und zu reduzieren trachteten, nun in der Tat zu Zusammenschlüssen ermutigen. Mehr noch, gleichzeitig schaffen die Regierungen selber Monopole, wie zum Beispiel die Körperschaften, die für die Atomenergie verantwortlich sind, und die Monopole, ob nun kapitalistisch oder nicht, sind in der Lage, ungeheuere Macht in der Verfolgung ihrer besonderen Interessen auszuüben, - wie es im Fall der amerikanischen Atomenergiebehörde nur allzu sichtbar wurde. Ähnlicher Druck, versteht sich, geht von den staatlichen Verbänden in den sozialistischen Ländern aus.
Sozialistische und kapitalistische Länder sehen sich ebenfalls mit dem Problem konfrontiert, wie bei Veränderung der industriellen Strukturen die Einbeziehung menschlicher Arbeitskraft neu zu bestimmen ist, und Sozialisierung der Produktionsmittel scheint keine Lösung des Problems zu geben. Kurzum, wie de Closets argumentiert, ist ein neues ökonomisches Modell im Entstehen, das wenig mit den gegenwärtigen politischen Voraussetzungen zu tun hat.
Ein Problem scheint de Closets meiner Ansicht nach nicht ausführlich genug behandelt zu haben: die Frage der Zeitverzögerung in der Anwendung. Wenn Veränderung schneller vor sich geht, muß auch die Anwendung schneller geschehen. Doch ist sie momentan langsam, besonders wenn es um die Behandlung menschlicher Aspekte geht. So sind zum Beispiel mehr als zwanzig Jahre vergangen, seitdem gruppendynamische Techniken zuerst in dem National Training Laboratory der National Educational Association in den USA gelehrt wurden. Noch heute werden sie in der Industrie als eine neue Methode angesehen, und das mit tiefem Mißtrauen. Wenn Arbeiter in ihrem Leben viermal umgeschult werden, sollten dann nicht Manager, Offiziere, Polizisten, Professoren, Politiker und - wer weiß? - Schriftsteller noch sehr viel öfter umgeschult werden?
Einige Propheten sagten massive Arbeitslosigkeit als Folge wachsender Automatisierung voraus. Doch stellt sich mir das Problem anders dar: es geht nicht darum, den Überschuß an Produktivität zur Befriedigung künstlich stimulierter Bedürfnisse auszunutzen oder sinnlose Modeströmungen zu füttern, sondern darum, die Arbeit und den industriellen Apparat zu verbessern, um das Leben befriedigender zu gestalten. Wie Maynard Keynes bin ich der Ansicht, daß die Folge wahrscheinlich eher allgemeine Frustration oder Depression sein wird.
Durch einen unglücklichen Widerspruch im menschlichen Handeln wächst das Maß an gesellschaftlicher Veränderung genau zu der Zeit, da die Fähigkeit des Menschen, sich der Veränderung anzupassen, nachläßt. Denn der wesentliche Faktor beim gesellschaftlichen Wandel ist die menschliche Lebenserwartung, die sich verlängert und sich weiterhin verlängern mag. Für eine neue Generation ist es relativ einfach, die Bedingungen zu akzeptieren, die sie in der Welt vorfindet; für die ältere Generation ist gerade diese Anpassung die Schwierigkeit, wenn sie bereits ihre Kenntnisse und Fähigkeiten erworben, ihre psychischen Investitionen gemacht und es gelernt hat, mit dem Gegebenen zu leben.
Nach Aussagen des amerikanischen Arbeitsministeriums (wie Francois de Closets uns mitteilt) werden die Menschen in absehbarer Zeit damit zu rechnen haben, viermal in ihrem Leben einen völlig neuen Beruf erlernen zu müssen. Kann man jedoch wieder und wieder neu geboren werden, oder wird es zu einem psychischen Kollaps kommen?
Die Wucht, mit der sich unaufhörlich beschleunigend der Wandel vollzieht, ist wahrscheinlich das ernsteste aller Probleme, mit denen die Menschheit konfrontiert wird.
Wir sehen bereits Risse in der sozialen Struktur: Frustration und Unzufriedenheit sind weit verbreitet. Wird die Gesellschaft lange genug zusammenhalten, damit sich die technologischen Prophezeiungen, die de Closets diskutiert, erfüllen können? Vielleicht tritt das ein, was Futorologen unvollkommen als >eine plötzliche Diskontinuität< in der gesellschaftlichen Evolution bezeichnen.
Die einzige Lösung, die vorzuschlagen die meisten Autoritäten sich in der Lage zu sehen scheinen, ist die, daß der Mensch sich dem >Fortschritt< anpassen solle, unter dem sie eine fortwährende Vervollkommnung der technischen Mittel verstehen.
Aber Anpassung hat Grenzen, die schnell erreicht werden. Man kann sich nicht anpassen, wenn man aus einem Flugzeug stürzt, so sehr man sich auch bemühen mag. Und Evolution ist ein Prozeß, der Millionen von Jahren bedarf.
Ich vermute, daß der Mensch sich bereits jetzt so weit wie irgend möglich anpaßt. Wenn wir überleben wollen, müssen wir den >Fortschritt< dem Menschen anpassen.
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Gordon Rattray Taylor, 1970