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4. Was Verrücktheit ist 

  Anmerk  

 

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Zu Beginn dieses Buches haben wir erklärt, daß volle Gefühlsäußerungen selten sind. Menschen, die voll­ständige Gefühle zum Ausdruck bringen, sind auch selten — aber es gibt sie.

Im folgenden berichtet einer unserer Therapeuten, wie er sein Leben lebt. Wir halten diesen Mann für gesund. Er lebt sein Leben mit so viel Ausdruck von Gefühlen, wie er nur aufbringen kann. Und wenn er es nicht tut, kann er es auch fühlen und sich um die Hilfe bemühen, die er braucht, um zum vollen Fühlen zurückzukehren. Er spürt die Gefahr bei Dingen und Menschen, die seine Gefühle verwirren, und er paßt auf sich auf.

"Ich stehe gern auf, wenn Vicki aufsteht. Das ist früh, aber weil sie tagsüber lange arbeitet, haben wir nicht soviel Zeit füreinander, wie ich gern möchte. Wir sind uns im Bett nahe und wachen gleichsam friedlich zusammen auf. Ein kleiner Genuß, den ich mir zum Frühstück gönne, ist, daß ich mir die Zeit nehme, einen dampfenden Milchkaffee zu bereiten. Wir frühstücken gewöhnlich im Morgenrock auf der Veranda, und reden viel, wenn uns danach zumute ist.

Wenn Vicki zur Arbeit geht, mache ich mich gemächlich in einer halben Stunde fertig. Ich fahre gern mit dem Rad zur Arbeit auf stillen Nebenstraßen so für mich hin und genieße es, wie meine Beine die Pedale treten. Im Center geht es morgens im Therapeutenzimmer gewöhnlich recht lebhaft zu, wenn die Kollegen über ihre Patienten reden, über die Art der Therapie, die sie anwenden, und über besondere Probleme. Ich setze mich gern zu ihnen und rede jeweils mit dem einen oder anderen, sonst würde ich mich keinem Menschen wirklich nahe fühlen, wenn ich gleichzeitig mit einer Menge Leute rede.  

Meine Arbeit liebe ich und setze mich ganz für den Patienten ein, sobald ich in dem betreffenden Raum bin. Alle möglichen Dinge können es einem erschweren, jemandem zu helfen, aber wenn ein Patient etwas wirklich Unangenehmes durchmacht und so weit kommt, daß er sich fühlen kann und wir in Kontakt kommen — das ist phantastisch. Daraus bekomme ich viel.  

Gewöhnlich gibt es viel Arbeit für mich, und ich erledige davon so viel, wie es mir meinem Gefühl nach gut ist, ohne mich zu überanstrengen. Überanstrengung ist schlecht für mich — ich kann mich wirklich verlieren, wenn ich zuviel tue. Tagsüber vergesse ich nicht, für mich zu sorgen. Ich spiele gern mit meinen Freunden — Tennis, Squash —, ganz gleich was, solange ich mit den Menschen zusammen sein kann, mit denen ich arbeite, mit meinen Freunden. Vor der Therapie war ich ein Einzelgänger, aber jetzt ist mir schon der Gedanke daran unvorstellbar. Wenn ich <nicht in Form> oder reizbar bin, dann nehme ich mir die Zeit, mit einem meiner Freunde zu reden: Das ist ein wichtiger Teil des Für-mich-Sorgens. 


Ärger? Natürlich habe ich welchen. Ich versuche immer, alles direkt anzupacken, gerade heraus, ohne mich zurückzuhalten. Ich fühle mich nicht wohl, wenn ich etwas zurückhalte es ist mir unerträglich. Deshalb sage ich, was ich denke und fühle, und zeige es auch. Für mich ist das die einzige Möglichkeit, wie ich leben und offen sein kann. 

Mein Leben zu genießen, bedeutet mir sehr viel. Ich esse nach Möglichkeit mit Freunden, wenn Vicki arbeitet, dann schreibe ich vielleicht, arbeite, höre Musik, sehe einen Film — wonach mir der Sinn gerade steht. Ich mag auch die Ruhe des Abends, wenn Vicki und ich unseren Tag mit einem Nachtessen im Bett beschließen, miteinander reden, uns lieben oder vielleicht zusammen baden; was wir tun, ist nicht wichtig — nur daß ich mich lebendig und offen fühle. Das bin ich."  

*

 

Je nachdem, aus welcher Sicht man es sieht, mag einem das Leben dieses Mannes langweilig oder wunder­voll erscheinen; es ist weder das eine noch das andere. Es ist ganz einfach so, daß er sich in jeder Minute seines Lebens auf natürliche Weise äußert. Die Liebe zu seiner Freundin ist frei fließend und offen; er gönnt sich das, was er gern ißt, und ist seinen Freunden zugetan. Er steckt seine Kreativität und Energie in seine Arbeit und sein Vergnügen. Er kann es spüren, wenn er sich nicht gut fühlt, und er bekommt die Hilfe, die er braucht. Er weiß, was nicht gut für ihn ist — hektisches Reden, sich anstrengen, um mehr zu leisten — und er paßt auf sich auf. Sein Leben ist nicht paradiesisch, denn er muß sich mit Schwierigkeiten auseinandersetzen, aber es ist sein eigenes Leben. Das bedeutet gesund sein.

Und es ist verrückt, mit weniger zu leben. So wie die meisten Menschen es tun, es jedoch nicht erkennen. Sie sind so an ihre verrückte Lebensweise gewöhnt, daß sie die normale für sie wird. In seiner Anmeldung zur Therapie beschrieb einer unserer zukünftigen Patienten einen für ihn typischen Tag wie folgt:

"Gewöhnlich stehe ich gegen Mittag auf — gewöhnlich groggy, benommen und deprimiert. Wenn ich meinen Zimmergenossen gleich nach dem Aufwachen sehe, werde ich noch deprimierter. Ich verbringe den größten Teil des Tages damit, mir Gedanken darüber zu machen, daß ich Arbeit finden muß, und mich zu fragen, was ich tun kann, um zu Geld zu kommen. Dann hole ich ein Buch mit Schachaufgaben und spiele eine Partie mit mir selbst. 

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Im Lauf des Tages werde ich weniger deprimiert, und wenn es Abend wird, fühle ich mich gut genug, um auszugehen und mir einen Hot Dog oder Burger zu schnappen. Dann verbringe ich den Rest des Abends in der Oasis, trinke mit meinen Freunden und höre mir die Musik aus der Juke Box an. Wenn sie mit irgendwelchen Mädchen abziehen und ich allein bleibe, trinke ich, bis ich betrunken bin und gehe schließlich nach Hause und schlafe."  

Der Mann, der das schrieb, ist knapp zweiundzwanzig Jahre alt. Er schreibt, er habe so gelebt, seit er von der Oberschule abging. Den ganzen Tag über bringt er keine Gefühle zum Ausdruck — er vegetiert ohne jeden menschlichen Kontakt und unterdrückt seine Gefühle. Das ist vernünftige Verrücktheit.

*

Ein anderer Patient beschreibt seine Jugend mit seinem Vater. Beachten Sie, wie wenig Kontakt zwischen Vater und Sohn besteht und welche Schlußfolgerung der Patient im letzten Satz zieht:

"Mein Vater war der Besitzer und Leiter eines Sommerlagers für Jungen. Im Herbst und Winter war er in der Woche drei bis fünf Tage weg und die anderen zwei oder drei Tage zu Hause, Ich erinnere mich, daß er spät abends heimkam, wenn, ich schon im Bett war, aber er kam nicht in mein Zimmer. Er war ein ziemlich beherrschter Mann und wählerisch in bezug auf die Gefühle, die er zeigte, aber meiner Erinnerung nach war er immer gerecht. Er schuftete sich ab, damit das Lager ein Erfolg wurde, und ich verstand das, obwohl ich lieber mehr mit ihm zusammen gewesen wäre. 

Ich erinnerte mich, daß es Zeiten gab, in denen ich nicht zu seinem Leben gehörte, zum Beispiel, wenn er in seinem Büro arbeitete oder sich Sport im Fernsehen ansah. Vor allem erinnere ich mich, daß er sich mir gewissermaßen versagte, und manchmal machte mich das wirklich fertig. Seit ich etwa sechs war, wohnte ich im Sommer in den Hütten wie alle anderen Camper. Mein Vater achtete darauf, mir nicht mehr Aufmerksamkeit zu schenken als den anderen Kindern, denn er wollte nicht, daß ich mir anders vorkäme. Aber ich war anders — ich war nicht bloß ein Camper, ich war sein Sohn."  

Auf einer anderen Seite des Fragebogens schrieb der Patient: "Tatsächlich liebe ich meinen Vater und fühlte mich von ihm umsorgt und geliebt."  

 

Die kurze Beschreibung, die dieser Mann von seinem Leben mit seinem Vater gibt, ist voll von unerkannten, unausgedrückten Gefühlen; praktisch jeder Satz enthält einen Verzicht in Form von "aber" oder "obwohl", der jeden vollständigen Gefühlsgedanken, den er hat, verkümmern läßt. Seine Zusammen­fassung paßt überhaupt nicht zu den sehr realen Tatsachen, die er berichtet. Auch das ist verrückt — so abgestumpft zu sein, daß man die Gefühle der eigenen Lebenserfahrung nicht erkennt.

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Eine andere Patientin ist eine hochbezahlte psychiatrische Sozialarbeiterin, zu deren Aufgabe die Beaufsichtig­ung von Kollegen und die Betreuung von etwa vierzig eigenen Klienten gehört. So beschreibt sie einen typischen Tag in ihrem Leben:

"Gewöhnlich will ich morgens nicht aufstehen und bin dann bis gegen Mittag ziemlich groggy. Wenn ich ins Büro komme, stecke ich mir die erste Zigarette von fast zwei vollen Päckchen an und trinke die erste von vielleicht einem Dutzend Tassen Kaffee. Bei der Arbeit bewahre ich eine berufliche Distanz, ziehe es vor, allein zu Mittag zu essen und so wenig von den Klienten zu sehen, wie ich es mir leisten kann. Ich versuche, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen, und sehe meistens fern. Ich denke viel darüber nach, einen Freund zu haben."  

Auch das ist verrückt: gegen die biologischen Bedürfnisse des eigenen Körpers anzukämpfen, wenn er aufwachen will; sich mit giftigem Nikotin und säurehaltigem Koffein vollzupumpen: kein Gefühl für den eigenen Körper und die Gesundheit zu haben; in Widersprüchen zu leben — in der Öffentlichkeit als verantwortliche Akademikerin zu erscheinen, die sich um die Gesundheit anderer kümmert, während sie insgeheim den Beruf verabscheut; allein auf den Fernsehschirm zu starren und dabei davon zu träumen, sich einen Freund zu suchen.

In diesem Kapitel haben wir bisher die Ausdrücke Gesundheit und Verrücktsein benutzt, um damit zu beschreiben, wie das Leben ist, wenn der Ausdruck der Gefühle entweder vollständig oder unvollständig ist. Natürlich glauben wir, daß die Feeling Therapie einem Menschen dazu verhilft, im täglichen Leben vollständigere Gefühle zum Ausdruck zu bringen und gesund zu werden. Aber wie steht es mit Menschen, die keine vollständigen Gefühle äußern und ein verrücktes Leben führen? Was geschieht mit ihnen? Wie geschieht es? Warum geschieht es? Um das zu erklären, müssen wir genauer untersuchen, was Gefühle sind und was keine sind, und zeigen, was Menschen widerfährt, wenn ihre Gefühle so verworren sind, daß sie ihre verrückte Lebensweise als ein normales Leben ansehen.

 

   Die Theorie der Gefühlsverwirrung  

 

Wir haben gesagt, ein Gefühl ist der Ausdruck einer Empfindung mit einer Bedeutung. Empfindungen sind die Impulse unseres Sensoriums. Die bloße Tatsache, daß man lebt und wahrnimmt, bedeutet, daß man Empfindungen hat. Jemand spürt, ob ihm heiß oder kalt ist, ob er nervös oder entspannt ist; er kann es spüren, wenn ihm der Magen vor Hunger knurrt oder eine Verletzung Schmerz bereitet.

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Es gibt buchstäblich Tausende von Empfindungen, die Menschen täglich fühlen können. Eine Bedeutung ist die verstandesmäßige Interpretation einer Empfindung. Ausdruck ist jede Geste oder Handlung, die Gefühl zeigt.

Ein Beispiel: die zu einer Empfindung in der Magengrube passende Bedeutung könnte Hunger, Angst oder sexuelle Erregung sein. Wenn eine Frau den ganzen Tag schwer gearbeitet und weder gefrühstückt noch zu Mittag gegessen hat, wird das Rumoren in der Magengrube gegen sechs Uhr abends nicht gerade Furcht sein. Wenn sie auf ihre Gefühle eingestimmt ist, wird sie spüren und wissen, daß sie Hunger hat, und ihr Gefühl richtig zum Ausdruck bringen, indem sie etwas ißt.

Ebenso ist es unwahrscheinlich, wenn ein Mann allein eine dunkle Straße in einer Stadt entlanggeht und drei Männer plötzlich aus, einer Seitenstraße herauskommen und ihn bedrohen, daß die Empfindung in der Magengrube sexuelles Begehren ist. Wenn er fühlt und weiß, was vor sich geht, daß ihm Gefahr droht, wird seine höchst normale Gefühlsäußerung Furcht sein. Etwas anderes als Furcht zu äußern, wäre in dieser Situation ein Widerspruch zu seiner inneren Realität von übereinstimmender Empfindung und Bedeutung.

Wenn sich jemand nach einem guten Abendessen Liebesspielen hingibt und plötzlich erklärt, er habe Hunger, dann würden wir das in Zweifel ziehen. Jeder Aspekt der Situation weist auf sexuelle Erregung hin, und die Ankündigung von Hunger wäre ein Ausdruck, der einfach zu dem Küssen und Streicheln nicht paßt.

Damit wollen wir sagen, daß, wenn Empfindungen, Bedeutungen und Ausdruck übereinstimmen, ein vollständiges Gefühl auftritt — wir nennen wir das (dann) Entsprechung der Gefühle. Stimmen Empfindung, Bedeutung und Ausdruck nicht überein — nennen wir das Gefühlsverwirrung.

Zu beachten ist, daß der Ausdruck eines vollständigen Gefühls erst sinnvoll wird durch den Kontext, in dem das Gefühl entsteht. Furcht angesichts von Gefahr entspricht dem Kontext, Hunger nach dem Abendessen, wenn man gerade mit Liebe beschäftigt ist, aber nicht.

Wir wollen erst noch genauer betrachten, wie eine Gefühlsverwirrung aussieht, ehe wir uns der Frage zuwenden, wie und warum es dazu kommt. Eine unserer Patientinnen, Debbie, berichtet von einem Erlebnis, bei dem sie völlig verwirrt war, bis sie die Hilfe erhielt, die sie brauchte.

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"Jack und ich gingen zu einer Kunsthandwerksmesse, und ich verliebte mich in einen reizenden kleinen Schaukelstuhl, der mit der Hand aus einem Olivenfaß geschnitzt war. Als wir nach Hause kamen, stellte ich ihn ins Wohnzimmer, setzte mich drauf, schaukelte und knallte plötzlich mit entsetzlicher Wucht auf den Hinterkopf. Ich sprang auf und sah, daß der Schaukelstuhl in unser frisch versiegeltes Parkett Dellen eingedrückt hatte. <Diese Gauner!> schrie ich Jack an. <Sieh' nur, was diese Idioten meinem Fußboden angetan haben! Verdammt nochmal! Sie haben das Ding falsch gebaut, und jetzt habe ich einen Fußboden mit Dellen. Verdammt nochmal, ich werde meinen Scheck sperren lassen, und sie sollen herkommen und das Ding reparieren, ehe ich bezahle>. 

Da sagte Jack: <He, reg dich ab, Deb'. Was ist denn gerade passiert?> Ich antwortete, ich wisse nicht, was geschehen sei; ich wußte nur, daß mir komisch war, ich war irgendwie benommen. <Das muß ein gehöriger Bums gewesen sein>, sagte er und faßte an meinen Kopf. Ich mußte zugeben, daß mir der Kopf weh tat, aber ich wehrte mich dagegen, es zu zeigen. Nach ein paar Minuten war ich nicht mehr wütend, ich fühlte mich bloß nicht gut. 

Jack legte mir die Hand auf die Schulter und fragte: 'Hast du Angst gehabt?' Ich biß mir nur auf die Lippen. Ich fühlte den Druck seiner Hand auf meiner Schulter, und er fragte noch einmal: <Hast du Angst gehabt, Deb?> Erst dann, als ich seinen Arm um mich spürte, konnte ich ihm sagen, daß ich Angst gehabt hatte. Ich war vor Angst nicht mehr bei Sinnen gewesen. Als ich zu reden begann, konnte ich meine Angst fühlen und sie dann Jack zeigen, ohne mich zurückzuhalten. Es war eine Erleichterung, zu weinen, und vor allem, nichts mehr zurückzuhalten."  

 

Debbie ist eine erfahrene, fühlende Patientin, und mit Hilfe von Jack vermag sie ihre vorherrschenden Gefühle, Angst und Schmerz, zu spüren, statt auf ihrem verworrenen Ausdruck von Ärger zu beharren. Die Hilfe bestand einfach in Jacks offener Reaktion; auch er kann fühlen, er weiß, was seine Empfindungen bedeuten, und bringt ein vollständiges Gefühl im Kontext dessen, was geschehen war, zum Ausdruck. Debbies Gefühlsverwirrung hatte zur Folge, daß sie ein sekundäres Gefühl ausdrückte — Ärger. 

Natürlich ist Ärger ein legitimes Gefühl. Debbie hatte eine Menge Geld für einen handgearbeiteten Gegenstand bezahlt, der, wie ihr gesagt worden war, sicher und bequem sein sollte; das Ende vom Lied ist für sie eine Verletzung und eine Beschädigung des frisch versiegelten Parketts. Indes ist der Ärger nicht das Hauptgefühl in dem Augenblick, in dem sie hintenüber fällt. "Ich war vor Angst nicht mehr bei Sinnen gewesen", schrieb sie. Wir verstehen das so, daß die plötzliche Empfindung von Angst so erschütternd war, daß Debbie eben "nicht mehr bei Sinnen" war, daß heißt, die Bedeutung ihrer Empfindung gar nicht mehr erkannte. Was sie zum Ausdruck brachte, war die nicht stimmige Bedeutung von Ärger.

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Was hätte geschehen können, wenn Jack und Debbie nicht erfahren darin, gewesen wären, vollständige Gefühle zu erkennen und auszudrücken? Wir glauben, das folgende Drehbuch ist eine zutreffende Wiedergabe dessen, was tatsächlich zuziehen gefühlsverwirrten Menschen geschieht. 

Debbie hätte schreiben können:

Gleich, nachdem ich sagte: 'Ich werde meinen Scheck sperren lassen', sagte Jack: 'Mach dir keine Sorgen, Liebling. Ich werde die Sache Montag früh persönlich in die Hand nehmen. Diese Kerle sind Idioten - machen einen Stuhl, der gefährlich ist, und verkaufen ihn einfach an alle Welt.' - 'Ja', sagte ich, 'es ist lächerlich'. - 'Dein Kopf ist in Ordnung?' fragte er mich. 'Bestimmt, da ist nichts', antwortete ich. Ich hatte bloß einen Moment lang Angst.' - 'Du und Angst haben?' lachte er. 'Na, das war wohl ein schlechter Tag für dich.  

Dieser Dialog zwischen Jack und Debbie klingt ganz alltäglich; das ist er auch. Es ist die übliche Weise, wie die meisten Menschen mit ihren Gefühlen umgehen. Wir wollen uns einmal genau ansehen, was eigentlich mit diesen Gefühlen geschah. Statt erkennen zu können, daß Debbies Schreck durch Ärger verdeckt wird, reagiert Jack mit Ärger. Verrückt ist daran, daß er nicht auf seine Frau eingeht. Dann sagt er beiläufig: "Dein Kopf ist in Ordnung?", was als Teilnahme gilt. Hören Sie es sich genau an: es ist nicht eine Frage nach der Realität — "Hast du dir am Kopf weh getan?", sondern eine Feststellung seiner eigenen Hoffnung, mit einem Fragezeichen versehen. Debbie verleugnet dann die Realität ihres Gefühls, indem sie sagt: "Da ist nichts". Jack reagiert auch darauf nicht. Aber Debbie gibt zu, daß sie Angst hatte, eine Aussage, die dem, was sie fühlt, näher kommt als alle anderen, und Jack erstickt diese ehrliche Reaktion mit verstandesmäßiger Zustimmung. Dieses Gespräch schwächt jede Äußerung vollständiger Gefühle von Jack und Debbie ab.

Ausgetauscht werden vielmehr Ersatzgefühle: Ärger statt Angst, gespielte Tapferkeit statt Schmerz, Ver­leugnung statt Realität, verstandesmäßige Zustimmung statt einer Gefühlsreaktion. Der Jack und die Debbie in dieser Szene leben wie die meisten Menschen mit Ersatzgefühlen. Diese Deutung wird klarer, wenn wir zeigen, wie verworrene Menschen in einem ständigen Zirkel bei sich selbst und einer beim anderen Gefühls­verwirrung hervorrufen.

 

   Wie es zur Gefühlsverwirrung kommt   

 

Wir glauben, daß die Gefühlsverwirrung schon in der frühen Kindheit entsteht. Wenn ein neugeborenes Kind Eltern hat, deren Gefühle verwirrt sind, werden seine Gefühle auch verwirrt werden. Wie es dazu kommt, ist ganz einfach: Das Kind ist einem unaufhörlichen Schwall blödsinniger Antworten auf den Ausdruck seiner Gefühle ausgesetzt.

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Das Kind mit geordneten Gefühlen sagt vielleicht: "Oh, der Himmel ist blau." Die verrückte Antwort lautet: "Nein, er ist ziegelrot." Wenn das Kind auf seinem Versuch beharrt, sich auszudrücken, bekommt es vielleicht zu hören: "Ich habe dir gesagt, er ist ziegelrot — jetzt hör auf, mich zu quälen, und sieh dir die purpurroten Bäume an." Das ist bildlich beschriebene Gefühlsverwirrung. In Wirklichkeit wird das Kind vielleicht sagen: "Ich möchte rausgehen und spielen", und ein Elternteil antwortet: "Es ist draußen trübe".

Gefühlsverwirrung wird durch nichts Ungewöhnliches hervorgebracht — nur durch die täglichen Dosen von Ein­schücht­ern, Bevormunden, Schweigen, geheucheltem Gefühl, Vernachlässigung, Barschheit, Verweig­er­ungen, Zurück­halten, Rügen, Vorschriften, Überreaktionen und fehlender Reaktion. — Wir beschreiben hier die übliche und nicht so offenkundig verrückt machende Behandlung von Kindern. In der heutigen Gesell­schaft nennt man das Kindes­erziehung. Sie macht Kindesmißhandlung überflüssig.

Hier ein Beispiel, das zeigt, wie es zu Gefühlsverwirrung kommen kann. Ein etwa siebenjähriges Mädchen steht mit seinem Vater an der Theke eines Restaurants, während er die Rechnung bezahlt. Es sieht Pfeffer­minz­bonbons in einem Glasgefäß:

Tochter: Ich möchte Bonbons, Pappi.  
Vater: (keine Antwort)  

Tochter: Was ist das? Was ist das? (sie zeigt auf die Bonbons)  
Vater: (brummt)  

Tochter: Was ist das, Pappi? Was ist das? (zieht ihn am Ärmel)  
Vater: Du hast heute schon genug Süßigkeiten gehabt. (macht sich los)  

Tochter: Aber was ist das? (sie deutet auf rot und weiß gestreifte Bonbons)  
Vater: Ach, das ist Lakritze.  

Tochter: Was ist Lack-Ritze?  
Vater: Wo ist deine Mutter? Ist sie schon wieder auf der Toilette?  

Tochter: Ich möchte eine haben.
Vater: Na ja, gut, aber es ist schlecht für deine Zähne.

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Dieses kurze Gespräch zwischen Vater und Tochter zeigt, wie wenig Realität das Kind erhält. Zuerst antwortet der Vater auf das unmittelbar geäußerte "Ich möchte...." des Kindes überhaupt nicht. Sie wiederholt es nachdrücklicher, aber als sie wieder kein Gehör findet, ist sie gezwungen, sich indirekt auszudrücken: "Was ist das?" 

Als das Kind den Vater anfaßt, macht er sich los und weist ihre direkten Bemühungen um Kontakt zurück. Als nächstes gibt er ihr eine Erklärung: "Du hast heute schon genug Süßigkeiten gehabt"; dann gibt er ihr eine Antwort, die offensichtlich unwahr ist: "Es ist Lakritze." Jetzt greift das kleine Mädchen wieder zur indirekten Ausdrucksweise und erhält als Antwort eine irrelevante Frage nach der Mutter. Schließlich bringt ihr der Vater bei, daß sie alles von ihm haben kann, wenn sie hartnäckig ist, aber damit hat er sie gezwungen, zu lernen, daß man etwas bekommt, wenn man in indirekter Ausdrucksweise hartnäckig ist. Er gibt ihr nicht den realen Kontakt, den sie braucht; er gibt nach — aber er gibt nicht.

 

Dieses Beispiel ist ein Prototyp von Szenen, die sich für das kleine Mädchen ihr Leben lang wiederholen werden — sie wird verrückt gemacht. Der Vater überträgt auf sie seine eigene Unfähigkeit, zu reagieren, Kontakt herzustellen und ein Gefühl zu äußern. Die Szene enthält kein Trauma, aber eine stetige Verrücktheit. Auf diese Weise wird die Verrücktheit von einer Generation auf die nächste übertragen. 

Wir können nicht voraussagen, welche Form das Verrücktsein bei dem kleinen Mädchen annehmen wird, wenn es erwachsen ist. Sie mag eine gut funktionierende Nörglerin werden; wenn sie nicht aus einer anderen Quelle Realität schöpfen kann, wird sie womöglich hysterisch oder schizoid. Wie man es bezeichnet, ist unwichtig, denn daß sie verrückt wird, davon sind wir überzeugt.

Es ist nicht schwierig, in Ihrer Umwelt zu beobachten, wie es zur Gefühlsverwirrung kommt. Wenn Sie ein einfaches Experiment machen wollen, gehen Sie auf einen Spielplatz, in eine Schule oder ein Lebensmittel­geschäft und schreiben Sie den Dialog zwischen Erwachsenen und Kindern auf. Wenn Sie es dann später durchlesen, werden Sie die verbalen Schritte sehen, die zum Verrücktsein führen. 

Es sind nicht katastrophische Traumata, die die Kinder in chaotische Unstimmigkeit von Empfindungen, Bedeutungen und Ausdruck treiben. Es ist eine Hungerkur durch "keine Reaktion", "falsche Reaktion", "irrelevante Reaktion" und "gefühllose Reaktion". Das treibt auch das robusteste Kind in die Verrückt­heit.

Die Gefühlsverwirrung, die im täglichen Leben vorkommt, ist genauso gang und gäbe wie die von dem kleinen Mädchen im Restaurant. Manchmal ist sie sogar sichtbarer und traumatischer, z.B. wenn Kinder geschlagen oder verprügelt oder gröblich vernachlässigt werden; manchmal ist sie weniger sichtbar, zum Beispiel, wenn Eltern versuchen; "gut zu ihren Kindern" zu sein, aber nicht fühlen können, wie sie sich verhalten.

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Hier ein Beispiel von einem "guten Vater" — der Gefühlsverwirrung verursachte. Es wurde von einem unserer Patienten berichtet, der einen neunjährigen Sohn Billy hat:

"Ich hatte in der vorigen Woche Urlaub und plante, am Mittwoch mit meinem Freund Paul zu frühstücken und dann mit ihm und anderen Freunden an den Strand zu gehen und Volleyball zu spielen. Ich freute mich wirklich darauf, denn gewöhnlich kann ich im Frühjahr keinen Urlaub nehmen. Als ich morgens aufstand, fühlte sich Billy nicht gut — er sagte, er sei 'ein bißchen krank'. Mir war klar, daß er bloß nicht in die Schule gehen wollte, aber ich sagte das nicht, und da Barbara zur Arbeit gehen mußte, bot ich an, bei ihm zu Hause zu bleiben. Schließlich., dachte ich, schickt ein 'guter Vater' sein krankes Kind nicht in die Schule. Ich rief Paul an und sagte ihm, daß ich mich nicht mit ihm treffen könne.

Fast gleich danach fühlte ich mich weg vom Fenster. Ich machte das 'Richtige', aber nicht das, was ich wollte. Die Folgen davon traten sofort ein. Noch ehe Barbara ging, fühlte ich mich benommen — ich konnte einfach auf sie oder Billy nicht reagieren. Ich weiß jetzt, daß ich schon begann, Schmerz zu empfinden, und ich konnte dem Schmerz nur entgehen, indem ich mich in die Benommenheit flüchtete. Der restliche Tag war ein schlechter Traum, aus dem ich nicht aufwachen konnte. Ich versuchte dauernd, nett zu Billy zusein und zu tun, was er gern hätte, aber ich war immer weniger imstande, auch nur mit ihm zu reden. Ich hatte keine Lust, mich zu rühren oder irgend etwas zu tun — mein ganzer Körper tat mir weh. Wir unternahmen eine Menge - ich ging mit ihm in eine Buchhandlung und kaufte ihm ein Geschichtenbuch, und er bekam ein kleines Flugzeug in einem Spielwarengeschäft, aber mir war nicht danach zumute, mit ihm zu spielen oder zu lesen. Ich versuchte es immerhin, aber ich war wirklich lustlos; ich rührte mich kaum von der Stelle, und wenn ich etwas sagte, war es bloß 'Routine-Vater-Gerede' 

Als Barbara nach Hause kam, wollte ich mit keinem von ihnen beiden zusammen sein. Ich war so weit, daß ich nur noch meinen Therapeuten anrufen konnte, um eine Sitzung zu verabreden. In der Sitzung fühlte ich schließlich, daß ich versucht hatte, für Billy das zu sein, was ich nie hatte — ein guter Vater, der ihm etwas kaufte und sich um ihn kümmerte. Nur war ich da mit ihm nicht wirklich ich gewesen — also überhaupt keine Person für ihn. Ich habe ihm nur eine andere Version von dem weitergereicht, was ich immer gehabt hatte. Mein Vater war nie viel zu Hause gewesen, und mein Daheimbleiben war nur eine leere Geste. Im Nachhinein konnte ich erkennen, daß Billy allmählich immer benommener wurde genau wie ich."  

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Was ist schlimmer: gar kein Vater oder ein leeres, lustloses Handeln? Eine solche Frage läßt sich nicht beantworten. Wir können nur sagen, daß allein der Ausdruck von vollständigen Gefühlen real ist — alles andere erzeugt Gefühlsverwirrung. Billy wäre viel weniger gefühlsverwirrt gewesen, wenn ihm sein Vater unverblümt gesagt hätte: "Ich möchte, daß du in die Schule gehst, ich habe mich schon mit meinen Freunden verabredet." Statt dessen übertrug er auf Billy die Gefühlsverwirrung, in der er selbst war, betäubt von partiellem Fühlen und partiellem Reagieren. Ein Elternteil, der partiell reagiert, bringt seinem Kind bei, daß partielles Reagieren normal sei. Ob ein Kind mit Hoffnungslosigkeit oder mit halben Hoffnungen aufwächst, ist gehupft wie gesprungen. Nur ein Kind, dem volle Zuwendung statt lediglich "richtiger Antworten" entgegengebracht wird, wird für seine eigenen Gefühle ganz offen sein.

 

Diese Beispiele lassen erkennen, daß wir Gefühle und Abwehrmechanismen in der Theorie der Gefühls­verwirrung auf zweierlei Weise begrifflich interpretieren2). Gefühle können innerhalb eines Menschen als eine Stimmigkeit von Erfahrung und Ausdruck definiert werden. Gefühlsverwirrung besteht aus Ersatzformen und mangelnder Übereinstimmung. Ein Mensch kommt sich durcheinander und unvollständig vor, wenn seine Erfahrungen und sein Ausdruck nicht übereinstimmen. 

Zwischen einzelnen Menschen sorgen Gefühle für den Strom oder Rhythmus des Antwortens auf­ein­ander. Hier besteht die Gefühlsverwirrung in Unterbrechungen oder Beeinträchtigungen dieses Stroms. Der Austausch zwischen Menschen wird arhythmisch, unterbrochen und unvollständig. Wenn jemand verworren ist, spüren die anderen, mit denen er zusammen ist, sein Zurückhalten und seine Unvollständigkeit.

Bei der Darstellung des innerpersönlichen Aspekts heben wir hervor, wie der durcheinandergebrachte Mensch fühlt und nur noch Teilgefühle statt vollständiger Gefühle hat. Mit der Erläuterung der zwischen­mensch­lichen Auswirkungen heben wir hervor, wie die verworrene Person die Menschen in ihrer Umgebung beeinflußt; sie unterbricht einen Strom von gegenseitigem Sich-Antworten. 

Kinder lernen sowohl spezifischen Ersatz und Unstimmigkeit ihrer Gefühle als auch gefühlsverwirrende Verhaltens­muster. Sie übernehmen die fremden Muster oder die Gefühlsverwirrung von den Erwachsenen in ihrer Umgebung und eignen sich diese Seinsweisen an, statt ihre natürlichen Verhaltensmuster beizubehalten. Kinder lernen, partielles Fühlen als innere Norm und fremde Muster als soziale Norm zu akzeptieren. Sie geben ihre angeborene Vollständigkeit zugunsten einer Gefühlsverwirrung auf.

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Stellen Sie sich vor, sie säßen vor einem defekten Fernsehgerät, das manchmal klare Bilder sendet, manchmal Schnee und manchmal überhaupt kein Bild. Wer niemals ein klares, feststehendes Bild ohne atmosphärische Störungen oder Ausfälle gesehen hat, wird das defekte Modell für das übliche halten. Genau das tun Kinder. Sie lernen spezifische Ersatzmittel und allgemeine fremde Verhaltensmuster.

Diese beiden Abweichungen rufen Gefühlsverwirrung hervor. Das Kind beginnt dann weniger zu zeigen als es fühlt oder etwas anderes als das, was es fühlt. Es wird seine Gefühle ständig zurückhalten, statt sie strömen zu lassen — es sieht Unstimmigkeiten und aufgesetzte Normen als normal an.

 

Als Neuankömmling auf der Welt ist das kleine Kind sich selbst gegenüber offen; es kann Kontakt herstellen und wünscht ihn sich auch von anderen. Je mehr die verworrenen Reaktionen seiner Eltern es in die Verrücktheit treiben, umso weniger Gespür hat es für den Ausdruck vollständiger Gefühle und umso mehr gewöhnt es sich an verrückte Ersatzmittel. In zunehmendem Maße bezeichnet das Kind seine Gefühle als Ideen und Gedanken, statt als Körperempfindungen. Es bleibt unberührt und kontaktlos, und allmählich verblaßt der Gefühlszustand der Offenheit zu einem schwachen Erinnerungsrest3)

Dem Kind kommt es so vor, als wäre es immer so gewesen, wie es jetzt ist. Wenn es älter wird, sagt es van seinen <Verschrobenheiten> — die wir seine Verrücktheit nennen —, "das ist bloß eine Gewohnheit von- mir" oder "so bin ich nun mal" oder "das ist meine Natur" oder "so hat mich der liebe Gott eben geschaffen".

Was einer unserer Patienten über sein Leben schreibt, ist ein Beispiel für einen Mann, der an seine Verrückt­heit glaubte; sie war seit seiner frühesten Erinnerung so sehr ein Teil von ihm gewesen, daß er glaubte, er sei wirklich so. Jay berichtet, wie er lebte, und auch die Therapeutin nimmt Stellung zu der Sitzung, in der sie Jay dazu brachte, seine Abwehr zu spüren, so daß er die geordneten Gefühle dahinter spüren konnte.

"Ich erinnere mich, daß ich mein Leben lang mißgestimmt und mürrisch war. Meine Mutter sagte immer zu unseren Verwandten und Nachbarn: 'Jay ist heute ein bißchen mißgestimmt' oder 'Jay ist mal wieder schlechter Laune'. Ich habe das nie in Zweifel gezogen — ich glaute einfach, daß ich so sei. Wenn mir nicht gefiel, was zu Hause oder auf der Straße, wo ich spielte, vor sich ging, erhob ich ein bißchen Protest, zog mich aber immer in meine schlechte Laune zurück. Ich war miesepetrig und mufflig.  

Als Teenager wurde es schlimmer mit mir. Wenn ich erregt oder verärgert war, überkam mich eine entsetzliche Mißgestimmtheit, und ich maulte mit meinen Brüdern und meinen Freunden. Im College schien sich die Mißgestimmtheit für mich gut auszuwirken. Einige der Mädchen, mit denen ich ausging, sagten, ich sei nachdenklich und introspektiv. 

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An dem Tag, an dem ein Mädchen sagte, ich sei sensibel, wußte ich, daß es das war — ich war sensibel. Sensibel besagte alles: es erklärte, daß ich unbedingt ein großer amerikanischer Schriftsteller werden wollte, während mein persönliches Leben und mein Studium immer mäßiger wurden.

Nachdem ich geheiratet hatte, war meine 'Sensibilität' die Erklärung, warum ich mich jeder Protest­bewegung anschloß, die gerade im Schwange war, während das Verhältnis zu meiner Frau sich zu einer Beziehung zwischen zwei Fremden, die dasselbe Badezimmer benutzten, verschlechterte. Sensibel war mein Schlagwort, warum ich es in keiner Stellung aushielt. <Ich bin zu sensibel für eine solche Arbeit>, pflegte ich zu meiner Frau zu sagen. 

Obwohl ich die Mißgestimmtheit allmählich leid war, konnte ich sie offenbar nicht abschütteln. Meistens war ich so unter Spannung, daß ich, wenn ich eine Auseinandersetzung mit meiner Frau oder einem Kollegen hatte, ganz unvermittelt aus der Rolle fiel — ich schrie den Betreffenden an und holte wohl auch mal mit der Hand aus. Mit meiner Frau war es noch schlimmer, denn manchmal wurde ich so wütend, daß ich sie schlug. Nachher war ich dann stundenlang mißgestimmt.  

Wenn ich jetzt auf mein Leben zurückblicke — die ersten fünfundzwanzig Jahre vor der Therapie und die zwei Jahre seitdem —, kann ich nur sagen, daß ich erstaunt bin. Zuerst habe ich an so vieles geglaubt, was mir fremd war — daß ich mißmutig sei, daß ich schlecht gelaunt sei. Ich wuchs hinein in ein Leben von Lügen, die mich zu etwas verbogen, was ich nie in Zweifel zog, bis ich es nicht mehr ertragen konnte, so zu sein. 

Als ich zur Therapie kam, wußte ich nicht, was ich zu erwarten hatte. Ich dachte sogar: <Wie können sie mir helfen, nicht mehr das zu sein, was ich immer war?> Ich konnte mich an nichts Schreckliches in meinem Leben erinnern; ich hatte nie Prügel bekommen — vielleicht wurde mir ab und zu mal die Hose stramm gezogen, aber ich wurde nicht angebrüllt oder sexuell mißbraucht. Aber etwas anderes fand ich dann heraus — eine alltägliche Verrücktheit, die sich zu Hause abspielte in Form von kleinen Verweigerungen dessen, was für mich real war. 

Ohne Gewaltsamkeit oder auch nur bewußte Schwindeleien schminkten sie mir das einzig Reale ab, das ich hatte — die Wirklichkeit meines Fühlens. Ich schlüpfte in das hinein, was sie glaubten, und in ihre Lebensweise. Selbst derlei wie mein angeblich angeborener Mißmut war nie mehr als der abgestumpfte Ausdruck meines Gefühlszustands. Für mich bestand die Tragödie dessen, was geschah, darin, daß ich mich an diese abgestumpfte Lebensweise gewöhnte und nie erkannte, daß mehr von mir lebendig sein konnte. An die Sitzung, in der ich zuerst empfand, was mir widerfahren war, erinnere ich mich vor allem. 

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Gewöhnlich war ich mißmutig und gelangweilt zu den Sitzungen gekommen. Die Fragen meiner Therapeutin pflegte ich nuschelnd zu beantworten. Es dauerte nicht lange, bis sie das unterband — ich mußte laut sprechen, ganze Sätze und Absätze sagen und überhaupt mehr reden. Eines Tages, als ich mißmutig eigensinnig war, zwang mich meine Therapeutin, so zu bleiben. Dreieinhalb Stunden verbrachte ich mit ihr und war mißmutig."  

Hier Lindas Bericht über ihre Arbeit mit Jay:

"In der ersten Stunde kam Jay dem Fühlen immer nahe und rannte dann wieder davon; das war sein Verhaltensmuster in den ersten drei Sitzungen. Kaum war er dicht dran, etwas zum Ausdruck zu bringen, fing er wieder an zu nuscheln. Ich merkte, daß dieses Nuscheln, das er seinen Mißmut nannte, ihn davon abhielt, sich mit dem zu befassen, was sich in seinem Leben und mit anderen Patienten, mit mir, tatsächlich mit allen Menschen ereignete. Bisher hatte ich ihn so weit gebracht, daß er beginnen konnte, mehr zu reden, nicht nur in einzelnen genuschelten Wörtern. Nach etwa einer Stunde sagte ich, er müsse jetzt die Verhaltensweise beibehalten, die er sich ausgesucht habe. 'Okay, sei mißmutig', sagte ich. Dann machte ich mehr Licht, holte mir eine Zeitung und begann zu lesen. Als ich keine Antwort bekam, steckte ich mir einen Kaugummi in den Mund und begann schmatzend zu kauen. 'Was soll denn das?' murrte Jay. 'Das ist doch keine Therapie!' - 'Stimmt, das ist keine Therapie, es ist die Art und Weise, wie du lebst', sagte ich. 'Du hilfst mir nicht', nuschelte er. 'Sei nur mißmutig ... mach schon, sei schön mißmutig', antwortete ich.

Ich wußte, daß Jay aus seiner Abwehr heraus leben konnte, unterbrochen von Perioden ohne Abwehr, und daß er auf diese Weise niemals zu fühlen vermochte, was er sich selbst antat. Um ihm zu helfen, mußte ich seine Abwehr verstärken und zu einer unerträglichen Erfahrung verfestigen, so daß sie gefühlt statt ausgelebt werden konnte. Ich schleppte ihn in den nächsten paar Stunden mit mir in der Klinik herum. Er mußte in meinem Sprechzimmer sitzen, während ich die Telefonanrufe anderer Patienten beantwortete; ich ließ ihn in einer Ecke des Therapeuten­zimmers sitzen und auf seine mißmutige Weise vor sich hin nuscheln, während ich mit einigen der anderen Therapeuten zu Mittag aß. Ab und zu versuchte er, aus seiner Abwehrhaltung herauszukommen, statt sie zu fühlen, indem er andere Dinge tat. 

Zuerst versuchte er es mit Schmeichelei: 'Ach komm, Linda, das ist ja lächerlich.' — Dann mit Vernunft: 'Linda, das bringt mich nicht weiter; ich werde mitmachen, laß uns nochmal anfangen.' — 'Bleib mißmutig', sagte ich. Nach drei Stunden merkte ich an seinem Ausdruck eine nervöse Unruhe und ging mit ihm wieder in den Therapieraum."  

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Jay fährt fort:

"Schließlich wurde ich unruhig und dann reizbar, und mir war, als ob ich einen Ausfall machen wollte, heraus aus dieser miesen, bedrückenden, mißmutigen, beschissenen Lage, in der ich war. Aber es war nicht so einfach. Meine Therapeutin Linda brachte mich aus der mißmutigen Depression, in der ich war, zum Reden. Ich mußte ihr sagen, wie es für mich war und was ich davon hatte, daß ich dreieinhalb Stunden lang mißmutig gewesen war. Je mehr ich redete, um so mehr fühlte ich innerlich,, daß ich angespannt und verkrampft war; meine Reizbarkeit nahm zu und begann aus mir hervorzubrechen. Statt zu nuscheln, hörte ich, daß ich Linda meine Antworten zuknurrte; je mehr ich innerlich von mir fühlte, um so mehr konnte ich fühlen, daß ich mich danach sehnte, die Dinge herauszulassen.  

"Und dann tat ich es - ich schrie aus Leibeskräften. Je mehr ich aus meinem Inneren heraus schrie, wo mir nach Schreien zumute war, um so ausgeräumter kam ich mir vor. 'Sag alles, Jay, halt nichts zurück', rief Linda immer wieder. 'Hör nicht auf, gib alles von dir'.

"Zuerst schrie ich alles mögliche heraus, was ich zurückgehalten hatte, was ich über die anderen neuen Patienten dachte, was mir an ihnen nicht gefiel, dann, was mir an Linda nicht gefiel. Sie veranlaßte mich, meine Stimme so zu gebrauchen, daß sie klang, wie ich fühlte. Ich kann mich nicht erinnern, wieviel Zeit verging, aber ich sprach über Dutzende von Themen, über die zu reden ich mir in den letzten Tagen einfach nicht die Mühe gemacht hatte. Mir hatte die Art und Weise nicht gefallen, wie mich der Hotelangestellte behandelte oder wie mich ein Polizist auf der Straße -prüfend ansah oder wie der Verkäufer im Konfektionsgeschäft keine Notiz von mir nahm. Da waren auch noch andere Dinge, und je mehr ich sie herausließ — nicht auf meine mißmutig nuschelnde Weise, sondern auf eine direkte Weise, die meinem inneren Gefühl entsprach, um so besser fühlte ich mich. Mein ganzes Ich brachte zum Ausdruck, was ich fühlte. Ich hielt nichts zurück und verwandelte das, was ich fühlte, nicht in genuschelte Wörter. Vor allem aber verwandelte ich das, was ich innerlich fühlte, nicht in einen äußerlich mißmutigen Jay — mir gefiel das sehr.

Dann kamen meine Tränen, zaghaft zuerst — dann stetig und kummervoll. <Ich habe das gemacht. Ich habe das gemacht, ich>, rief ich aus. <Ich tue es immer noch. Ich mache mich mißmutig — ich habe das gemacht.> Ich weinte um mich selbst um die jahrelang mißmutig, einsam und mürrisch verbrachten Stunden. Die Jahre meines Lebens schienen vorbeizuziehen wie die Einzelbilder eines Zeitlupenfilms, ich konnte mich erinnern, wie oft ich mich immer wieder zurückgezogen und in mißmutigem Schweigen versteckt hatte.

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Jede wiedererlebte Erinnerung war schmerzhafter als die vorangegangene; Linda ermutigte mich, bei meinen Gefühlen zu bleiben. Ich weinte eine Stunde lang — länger, als ich es seit Jahren getan hatte. Bei jeder der kleinen Erinnerungen konnte ich mich als einen verletzten oder einsamen Jungen fühlen — nicht als ein mißmutiges oder mürrisches Kind, das war eine Lüge, mit der ich gelebt hatte. Damals konnte ich das Risiko nicht auf mich nehmen, meinen Schmerz zu zeigen, denn entweder hätte mich mein Vater getadelt oder meine Mutter hätte, mich getröstet wie ein Baby, und das war noch schlimmer. 

Deshalb ließ ich damals meine wahren Gefühle nur partiell und verzerrt erkennen. Wenn ich mit Fug und Recht über einen Hotelangestellten, der mich schlecht behandelt, verärgert bin, aber nur mißmutig etwas vor mich hinmurmele, dann bringe ich ein partielles Gefühl zum Ausdruck. Für andere Leute sieht es wie schlechte Laune aus, aber in Wirklichkeit zeige ich nur einen Teil von mir, und es ist ein abscheuliches Gefühl. Als Junge hätte ich es wirklich gebraucht, daß meine Eltern zu mir kämen, mich da rausholten und mich dazu anhielten, wirklich auszudrücken, was ich fühlte. Statt dessen nannten sie mich mürrisch, und mit der Zeit glaubte ich es auch. Für mich ist Mißmut nur ein Teil — ein umgebogener Teil — dessen, was ich wirklich sein kann. Darum weinte ich so heftig, als ich sagte: <Ich habe es gemacht>; ich machte das Umbiegen jetzt und fuhr da fort, wo meine Eltern aufgehört hatten. Diese Sitzung war es, die mir die Erkenntnis eröffnete, wie mein Fühlen unmerklich durcheinander geraten war."  

 

Was Jay beschreibt, ist eine persönliche Umwandlung. Als er zur Sitzung kam, waren seine Gefühle verwirrt, und die Bedeutung "mißmutig" stimmte nicht mit den Empfindungen in seinem Körper überein. Während der ganzen Sitzung legte Jays Therapeutin den Nachdruck auf vollen Ausdruck. Wir wissen, daß Gefühle als Empfindungen und Bedeutungen dem Körper innewohnen, und wenn sie verwirrt sind, können sie allmählich verändert werden durch eine Änderung dessen, was der Körper tut. 

Wäre Jay nicht gedrängt worden, die Empfindungen in seinem Innern voll zum Ausdruck zu bringen durch einen totalen Ausdruck von Worten und Gesten, dann hätte er weiterhin wie eh und je geglaubt, er empfinde etwas, das er gewohnheitsmäßig Mißmut nannte. Dadurch, daß er gezwungen wurde, zuerst in seiner Abwehrhaltung zu bleiben, spürte er bald mehr und brachte dann wiederum durch seine Gesten, Rede und Stimme mehr von seinen Empfindungen zum Ausdruck. 

Vom mißmutigen Nuscheln über das, was außerhalb von ihm vorging, gelangte er dazu, daß er seine geordneten inneren Gefühle äußerte. Zuerst ließ er gereizte Nervosität erkennen, dann Erbitterung, als nächstes Ärger, der einem verschütteten Schmerz in seiner Gegenwart und Vergangenheit wich. Er konnte jetzt fühlen, wie er sich selbst verletzt, wenn er sich in seine Abwehrhaltung zurückzieht — wie er für sich und die anderen zu einer lebenden Lüge wird.

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Jays "Mißmut" ist eine Lüge, weil ihm etwas vorgelogen wurde. Er schreibt: "Meine Eltern betrogen mich um das einzig Reale, das ich hatte — die Wirklichkeit meiner Gefühle". Betrügen und Lügen sind zwei Mittel und Wege, mit denen gefühlsverwirrte Menschen ein Kind dazu bringen, Antworten oder Bezeichnungen statt der Realität eines Gefühls zu akzeptieren. Für Jay wurde die Realität seines Gefühls "ich bin verletzt" zu "ich bin mißmutig".

Andere Kinder machen ähnliche Erfahrungen wie Jay. Einem Kind, das das Gefühl hat, es brauche Hilfe, wird vielleicht gesagt: "Du bist ein großer Junge — mach es selbst", ehe es verstandesmäßig oder körperlich imstande ist, es selbst zu machen. Das ist eine Verletzung seiner geordneten Gefühlsrealität. 

Ein kleines Mädchen, das zwei Blusen haben möchte, weil es sich nicht für eine entscheiden kann, bekommt zu hören: "Du bist egoistisch". Einem Kind, das schreiend aus einem Albtraum aufwacht, wird vielleicht gesagt: "Ach, schon gut, da gibt's doch nichts zu weinen. Es war bloß ein Traum." Damit wird die Realität der Angst des Kindes geleugnet. Weil das Kind so unablässig mit Verrücktheit gefüttert wird, macht seine Welt der gelebten Lügen das Risiko, aus dem Gefühl heraus zu leben, sehr wenig erstrebenswert.

 

   Forschung über Gefühlsverwirrung  

 

Wir glauben, daß ein Kind, auf dessen Gefühlszustand bestärkend reagiert und dem zugestanden wird, die Bedeutungen seiner Gefühle zum Ausdruck zu bringen, auf natürliche Weise lernen wird, aus seiner eigenen erlebten Realität heraus zu reagieren und nicht nach äußeren Kriterien. Ein Kind, das angelogen wird (falsche Reaktion) oder nicht unterrichtet wird (keine Reaktion) oder dessen Gefühlsäußerung blockiert wird (ungeeignete Reaktion), wird lernen, das zu sein, was von ihm erwartet wird.

Wir können die Arbeit des Psychologen Schacter heranziehen, um das zu veranschaulichen4). Es wurde eine Reihe von Experimenten angestellt, bei denen verschiedene Kombinationen von Drogen, sozialen Situationen und kognitiven Einstellungen erstellt wurden, um Gefühle zu beeinflussen. Schacter fand heraus, daß das, was jemand "fühlt", mehrfach determiniert ist durch das, was er innerlich spürt, durch das, wovon er glaubt, daß es geschieht, und durch das, was er zum Ausdruck bringen kann. Die Versuchspersonen, die richtig informiert waren über die subjektiven Wirkungen der Drogen, blieben unbeeinflußt durch die soziale Situation. Diejenigen, die unrichtig informiert oder gar nicht darüber informiert wurden, was von den Drogen zu erwarten sei, waren für soziale Manipulationen anfällig. Wir behaupten, daß eben dies einem Kind widerfährt, wenn es älter wird. 

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Manipulation von außen zwingt es, den Kontakt mit seiner inneren Realität der übereinstimmenden Empfindungen und Bedeutungen zu verlieren, bis sie ihm fremd werden. Wenn es nicht mehr gesund in sich selbst leben kann, muß es aus sich herausgehen und findet dort eine mit fertigen Antworten gespickte Irrealität, der es sich anpaßt.

Untersuchungen des Physiologen Gellhorn über die pathologischen und physiologischen Anzeichen dafür, was geschieht, wenn unter emotionalem Streß freie Bewegungen unterdrückt werden, erhärten unsere Behauptungen5). Gellhorn schreibt, daß die "sympathikotonen chemischen Freisetzungen, die ..... in Notfällen dem Organismus nützen, schädliche Wirkungen ausüben, wenn die natürlichen Reaktionen ..... unterdrückt werden, weil sie soziale Tabus sind."  

Diese Versuchsergebnisse und Schlußfolgerungen unterstützen unsere klinischen Beobachtungen. Wenn jemand aus übereinstimmenden Empfindungen und Bedeutungen heraus lebt, ist er emotional geordnet und aufgeschlossen. Lebt er indessen aus nicht übereinstimmenden Empfindungen und Bedeutungen heraus — ob sie nun aus seiner Vergangenheit stammen oder gegenwärtig sind —, dann ist er emotional durcheinander und reagiert auf die äußeren sozialen Zwänge. Zu Beginn seines Lebens sind seine Eltern die Gesellschaft, die sich später um andere Verwandte, Lehrer, Schulkameraden, Vertreter der Kirchen, Gesetzgeber und die Medienmacher erweitert. 

 

  Ein klinisches Beispiel  

 

Die im folgende beschriebene Sitzung veranschaulicht, wie die gegenwärtige Gefühlsverwirrung eines jungen Mannes sich bis in seine Kindheit zurückverfolgen läßt, als sie hervorgerufen wurde. Wir sehen, daß Donald zwar reagiert, aber nicht wirklich aufgeschlossen ist, daß er sich in der Gegenwart unvollständig ausdrückt und wie sein Gefühlseinklang ursprünglich gestört wurde. Wir haben also die Gelegenheit, die Sitzung unter zwei Gesichtspunkten zu sehen: einmal berichtet Donald, was er durchgemacht hat, und Jerry, sein Therapeut, gibt einen Überblick, wie die Therapie durchgeführt wird. Beachten Sie, daß Jerry während der ganzen Sitzung Donald hilft, sein Fühlen in jedem Augenblick möglichst vollständig zum Ausdruck zu bringen; er macht sich nicht auf die Suche nach Gefühlen und ruft sie auch nicht hervor.

Donald schreibt:

"Ehe ich zur Therapie kam, war ich Berater in einer Klinik in Long Beach für Kinder, die Probleme hatten — Drogen, Schwangerschaft, Geschlechtskrankheiten. Vorher war ich etwa sechs Jahre lang Lehrer für Psychohygiene gewesen, so daß ich ziemlich mein ganzes Leben damit verbracht habe, Kindern zu helfen. 

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Nach all diesem Helfen hatte ich nichts für mich — mein Leben war beschissen. Ich war bei einem Psychiater gewesen und hatte gelernt, das zu tun, was ihm gefiel; ich sagte alles, was richtig war, nicht weil ich ein Lügner war, sondern weil ich unbedingt wollte, daß er mir sagte, daß es mir besser ginge. Er sagte mir, daß ich 'real' würde, aber ich wußte, daß das nur Theater von mir war; innerlich fühlte ich überhaupt nichts. In der Klinik, wo ich arbeitete, nannten mich die Leute 'Herr Beieinander' — ich verstand es, meinen Scheiß beieinander zu halten und gut auszusehen. Selbst wenn mir miserabel zumute war und ich jemanden sah, den ich kannte, begrüßte ich ihn mit: 'He, wie geht's denn heute? Was macht das Geschäft?' fragen — das waren meine Beziehungen zu Menschen — Fragen. Wenn Klienten in meinem Sprechzimmer saßen, stellte ich "ihnen Fragen. Und hinter all diesen Fragen war ich bloß ein einsamer, armer Teufel, der darauf wartete, daß jemand an mich eine einfache Frage richtete, wie: 'He, wie fühlst du dich denn heute?'

Meinen Therapeuten hielt ich allerdings nicht zum Narren. Am Tag meiner ersten Sitzung schlenderte ich ins Zimmer und sagte: 'He, wie geht's? Ich bin Don Jackson.' Innerlich war ich ein nervöses Wrack. Mein Therapeut sagte, ich solle" mich hinlegen, dann fuhr er fort: 'Mir geht's gut, Don. Tatsächlich bin ich gerade von einem zweiwöchigen Urlaub in Mexiko zurückgekommen. Würden Sie gern etwas über meine Reise hören, Don?' - 'Okay', antwortete ich. 'Nein, stimmt gar nicht, Don', sagte er streng. 'Und es ist auch nicht wichtig, wie es mi r geht. Wichtig ist, wie es dir geht, Don, und ich sehe, daß es dir ganz und gar nicht gut geht.' Das rüttelte mich gleich auf. Jetzt mußte ich über mich reden. Das war der Anfang.

In der zweiten Woche meiner Therapie hatte ich Geburtstag. Ich ging in die Klinik, in der ich arbeitete, und besuchte meinen einzigen Freund Pete. Ich wollte mit dem wirklich hübschen Mantel protzen, den ich mir gerade gekauft hatte. 'Warum willst du einen solchen Mantel tragen - das ist doch eher was für Mädchen', witzelte Pete. Mir war entsetzlich zumute, als er das sagte, aber ich brachte nichts heraus als eine Menge Fragen: 'Ach, tragen Mädchen solche Mäntel? Glaubst du, ich würde besser aussehen mit einem anderen?' 

Innerlich hatte ich Angst, Pete könnte mich für schwul halten. Dann sagte er, er sei mit einigen der Vorschläge, die ich in einem Bericht gemacht hatte, nicht einverstanden und wolle das bei einer Mitarbeiterbesprechung zur Diskussion stellen, sobald ich die Arbeit wieder aufnahm. Jetzt kam ich mir wirklich abgelehnt vor. Ich stellte ihm Fragen wie: 'Willst du mit mir essen gehen?' und andere Fragen. Aber an dem Tag fühlte ich mich entsetzlich und dachte über Pete nach, meinen einzigen Freund, der mich nicht mochte.

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Als ich an dem Abend zur Therapie kam, war ich wirklich aufgewühlt. Ich weinte sehr viel, weil ich wollte, daß Pete mich so mag, wie ich bin, und nicht so viel Aufhebens von dem Mantel, den ich trug. <Hab mich nur gern — denk nicht an diese Mantelgeschichte>, weinte ich. <Ich möchte für dich wichtig sein — nicht der Mantel, den ich anhabe.>  

Ich sagte meinem Therapeuten, ich sei durch Pete völlig am Boden zerstört, ich könne keinerlei eigene Identität mehr fühlen, auf die ich zurückgreifen könne, nicht einmal auf etwas Gutes in mir. Ich redete eine Weile über mich und Pete; wir waren seit zehn Jahren befreundet, seit ich ihn im College kennengelernt hatte. Pete war mir behilflich gewesen, die Beraterstelle in Long Beach zu bekommen. All diese Jahre kam ich mir so beschissen vor, daß ich im höchsten Grad von ihm abhängig wurde. Was er dachte und sagte, war überaus wichtig."  

Über Donalds Sitzung bis zu diesem Punkt schreibt der Therapeut:

"Fast von dem Augenblick an, in dem Don sich hinlegte, begann er zu weinen. Ich hörte ihm zu, während er von dem Erlebnis mit seinem besten Freund sprach, und erkannte, daß seine Abwehr­haltung darin bestand, Fragen zu stellen, statt seine Gefühle zu äußern. Auch benutzte er dauernd Klischees, um zu beschreiben, wie er sich fühlte, aber keines war ein wirkliches Gefühl; entsetzlich, beschissen, miserabel, abgelehnt, aufgewühlt, am Boden zerstört, keine Identität. Zuerst mußte ich ihm helfen, sein Weinen mit den Worten in Einklang zu bringen, die seine Gefühle waren. Ich wies Don an, mehr darüber zu sagen, daß er seine Freundschaft mit Pete verliere."  

Donald fährt fort:

"Als Jerry das von mir verlangte, hatte ich nur noch einen Gedanken. Ich konnte alles mit Pete verlieren, meinem einzigen wirklichen und treuen Freund. Ich wurde von Panik ergriffen. <Oh, Pete, Pete, unterstütze mich doch, wende dich nicht gegen mich — bitte, bitte>, schluchzte ich. Ich weinte aus meinem Gefühl der Panik heraus, mir graute davor, Pete sagen zu hören: <Ich mag dich nicht mehr — du trägst einen Schwulenmantel, und deine Arbeit ist miserabel.> — 'Pete', weinte ich, 'ich will doch deine Freundschaft, ich will deine Freundschaft'. 

Tatsächlich hatte ich das Gefühl, wenn er aufhörte, mein Freund zu sein, würde ich für immer ins Schwimmen kommen. <Ich werde verloren sein, wirklich verloren ohne dich — du bist mein einziger Freund, mein bester Freund, Pete. Ich weiß nicht, was ich ohne dich tun soll.> Und ich weinte immer heftiger. In meinem Herzen bedeutete Pete Sicherheit — ihm konnte ich meine Gedanken sagen, meine Vorstellungen; zum Ausdruck bringen, wie mir zumute war, dumme oder blöde Dinge sagen, ich selbst sein, bloß ich, oh Gott, wenn Pete nicht mehr sicher sein bedeutet, was dann — wem kann ich vertrauen?"  

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An diesem Punkt der Sitzung sehen wir, wie Donald sich selbst in Unordnung bringt; seine Worte haben wenig zu tun mit seinem Ausdruck über sein Erlebnis, und er ist völlig durcheinander. 

Im folgenden beschreibt Jerry, sein Therapeut, wie er versucht, Donald dazu zu bringen, daß er mehr aus seiner inneren Empfindung heraus spricht:

"Don's <wem kann ich vertrauen> war eine Gelegenheit für mich. 'Das stimmt, Don, wem kannst du vertrauen?1 fragte ich. 'Ich weiß es nicht, ich weiß es einfach nicht', weinte er. Ich wollte ihm helfen, in sich hineinzukommen, etwas zu fühlen, dem er vertrauen konnte, seiner eigenen inneren Realität. Aber ich konnte gleich spüren, daß er sich nicht so nahe war. Statt dessen versuchte ich, ihm zum Fühlen zu verhelfen, indem ich ihm sagte, er solle beschreiben, was er von sich selbst fühle - das Beschreiben würde ihn wenigstens näher heranbringen, sich innerlich zu erleben, im Gegensatz zu dem Aus-Sich-Herausgehen, wenn er über Pete redete. Auch weinte er immer noch um Pete, und ich wußte, daß ich ihm helfen mußte, um sich zu weinen."  

Donald beschreibt, was geschah:

"<Beschreibe, was du innerlich von dir selbst fühlst>, sagte Jerry zu mir. Das war nicht einfach. <Ich fühle, daß Pete mich haßt>, begann ich, aber Jerry unterbrach mich: <Nein, das ist wieder Pete — erzähl mir, was du innerlich fühlst>. Ich sagte: 'Ich fühle nichts, ich fühle nichts. Oh Gott', schluchzte ich, 'Ich fühle Nichtsein.' Ich sagte nicht, ich könne nichts fühlen; ich sagte, was ich fühlte - ein großes leeres Nichtsein in mir., keinen Sinn in mir.

"Ich konnte mich selbst fühlen, wie ich da auf dem Boden lag, mir die Auaen ausweinte und über den Verlust meiner Bedeutung weinte und über die Entdeckung des Nichts in mir. Das war real; das war nicht ich, der ich an ^der Universität so leicht über den inneren Wert des Menschen oder dergleichen dahingeredet hatte. Es war auch kein pseudophilosophisches Brainstorming wie so viele dieser blödsinnigen Sitzungen über Psychologie, die ich in der Klinik bis spät in die Nacht hatte. 

Nein - das hier war das einzig Wahre - ich, auf dem Boden liegend, zusammengebrochen und aus jeder Pore meines Körpers verzweifelt weinend, und ich fühlte, daß alles, was ich je gewesen war, nur das war, was ich für einen anderen bedeutete, und innerlich war ich bloß eine leere Marionette. So war ich mit Pete, mit anderen Leuten in der Klinik, mit all meinen Professoren, mit jedem, den ich je kennengelernt hatte. Ich wollte den Leuten so viel bedeuten, daß ich genau so werden konnte, wie sie mich haben wollten — wie formbarer Kitt. Zuletzt war mir der andere wichtiger als ich selbst. Jetzt, wo ich darüber schreibe, klingt es so einfach, aber alles, was ich je wollte, war, daß mich die Leute, die ich mochte, auch wollten."   

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Die Erfahrung in dieser Geburtstagswoche veranschaulicht mehr über das Wesen der Gefühlsverwirrung und ihre Wirkungen. In der Gegenwart fühlt Donald das, was er Panik, Ablehnung und Grauen nennt; für ihn sind das Bezeichnungen für ein Gefühl, das er schon früher in seinem Leben erfahren hat und das mit diesen Begriffen zu bezeichnen er sich angewöhnt hat. Es ist ihm auch bewußt, wie es für ihn ist, wenn er verbirgt, was er wirklich fühlt, indem er irrelevante Fragen stellt. Fr hat zuviel Angst, seine wahren Gefühle auszusprechen, und wehrt das Fühlen mit Aussagen ab. Seine "Identität" besteht einzig und allein in dem Eindruck, den andere Menschen von ihm haben. Sein Selbstwertgefühl reicht nicht aus, um den Mantel gern zu tragen, den er sich gekauft hat, auch vertraut er nicht darauf, daß seine Arbeit gut ist. Petes Bemerkungen über beides bedeutet für Donald mehr als seine eigenen Gefühle.

Das erste einfache Gefühl, das Donald verspüren kann, ist Schmerz, weil er kritisiert und abgelehnt worden ist; "abgelehnt" oder "am Boden zerstört" kann er sich nicht fühlen, auch kann er sich nicht "kritisiert" fühlen, denn das sind keine realen Gefühle; aber er kann den Schmerz fühlen, kritisch und barsch behandelt worden zu sein. Ebenso kann er sich nicht "verloren" fühlen oder glauben, "ins Schwimmen zu kommen" — das sind Ersatzbedeutungen für seine reine Schmerzempfindung. Die Tragödie von Donalds Leben in diesem Augenblick ist nicht, daß ihn sein Freund verletzt hat, sondern daß er ohne Therapie immer weiter glauben würde, daß das, was er fühlt, etwas ist, daß man abgelehnt, kritisiert, ins Schwimmen kommen oder verloren nennt. Er würde weiterhin mit seinem Freund von dieser nicht stimmigen Bedeutungsebene aussprechen, und ein realer Austausch vollständiger Gefühle wäre nicht möglich. Jede Äußerung, abgesehen von der einfachen Aussage "ich leide" und einem entsprechenden Ausdruck des Schmerzes wäre für Donald gänzlich unzureichend.

Aus unserer Theorie der Gefühlsverwirrung wissen wir, daß symbolisch zu sein heißt, daß Bedeutung und Ausdruck nicht der Empfindung entsprechen. Donald gebraucht die Wörter "Marionette" und "Kitt", um die Bedeutung dessen auszudrücken, was er in seinem Körper empfand. 

Jerry bemerkt dazu:

"Ich konnte hier spüren, daß das Dons reales Gefühl war, doch seine Worte waren noch symbolisch, und er war durch seine Abwehr hindurchgelangt, ohne es zu sagen. Ich verhalf" ihm zu einem vollständigen Erlebnis, indem ich fragte: 'Bist du eine Marionette, Don?' — 'Nein!', weinte er. 'Bist du ein Stück Kitt?' — 'Nein', antwortete er. 'Sag', was du bist.'

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Sein Weinen wurde heftiger, und er begann, Arme und Beine langsam und ruckhaft zu bewegen. <Sag's nur, was du bist, Don>. Er weinte noch mehr und verzog das Gesicht, und ich konnte sehen, daß sein Körper durch die Abwehr hindurch zu dem Punkt gelangte, an dem Don sein reales Fühlen nicht aussprechen konnte."

Don berichtet, was ihm widerfuhr:

"Oh Gott, es war entsetzlich. Ich konnte kein Wort herausbringen, das mein Gefühl wiedergab. Ich war in Bann gehalten von dem Wort Marionette — leere Marionette —, selbst mein Körper schien so zu fühlen. Mein Kopf war voll von einer Erinnerung nach der anderen, Vorfälle, bei denen ich mir innerlich wie ein Nichts vorkam, das für jemand anderen eine Marionette sein wollte — für Pete, meine Chefs> Freundinnen, Lehrer. Sie zogen in endloser Folge von Vorfällen vor meinem geistigen Auge vorbei. Und ich weinte so heftig und unmäßig und fühlte meinen Körper wie ein zuckendes, schlaksiges Ding. Ich hörte Jerrys Stimme: 'Sag's nur, was du bist, Don.' - 'Ich bin eine Marionette', weinte ich. Oh Gott, Ich bin eine Marionette. Oh, ich fühle mich so einsam ... ich fühle mich so leer ... ich will so vieles ... so vieles ...' - 'Was tust du mit dem Wollen?' fragte Jerry. 'Fragen stellen', sagte ich. 

Dann schrie ich: 'Ich stelle Fragen, ich stelle Fragen - ich sage gar nichts. Ich stelle bloß Fragen. Ich gebe nichts von mir, ich behalte alles in mir!' Mir war, als würde ich jeden Augenblick explodieren -es war eine Kombination von Kummer und Zorn, die herauskam. Ich fühlte, was ich mir seit Jahren angetan hatte, und als das schwierige Gefühl heraus war, weinte ich sehr leise. Ich hörte Jerrys Stimme, die so sanft klang, wie mir zumute war: 'Sag' das Gefühl, Don.' - 'Ich will", rief ich, 'ich will, daß man mich will und gern mag.' Es tat so gut, das zu sagen, es nicht mehr zu verbergen. 'Bitte, jemand, irgend jemand ... soll mich wollen, soll mich mögen, bitte.' - 'Irgend jemand?' fragte Jerry. 'Alle. Pete, du, Gloria, Steve." Einen nach dem anderen nannte ich alle Menschen aus meinem Leben; Bei manchen war ich erstaunt, daß ich wollte, sie sollten mich mögen. 'Alle', rief ich."  

 

Wir sehen, daß Donald länger gebracht hat als Ramon. um durch die Gegenaktion zu gelangen, weil er sein Leben auf einem niedrigeren Gefühlsniveau führt. Seine Gegenwart und Vergangenheit sind so miteinander verquickt, daß sein Therapeut ihn durch die Proaktion und reintegrierende Stadien leiten muß zurück zu einem vollständigen Ausdruck seiner Gefühle über seinen Freund Pete. Im Gegensatz zu Ramon, der fortgeschrittener ist, erfährt Donald seine Abwehr zuerst inaktiv, indem er darüber spricht, und wird dann von seinem Therapeuten angetrieben, damit er deren Wirkungen verspüre. Es ist qualvoll für Donald, zu fühlen, wie es ist, wenn man das Fühlen zurückhält.

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Donald fährt fort:

"Ich erinnerte mich jetzt meines Vaters — bei ihm hatte ich niemals das Gefühl, daß ich wirklich erwünscht war, daß ich wichtig war. Was ich bekam, waren Fragen, wann immer ich etwas tun wollte, wenn ich so sein wollte, wie ich meinem Gefühl nach war. 'Warum willst du das tun?' sagte er dann. Wenn ich mit meinen Vettern auf die Entenjagd gehen wollte, hieß es: 'Ach nein, warum willst du das tun? Warum willst du so früh aufstehen? Du wirst ins Wasser fallen. Du könntest angeschossen werden.' Immer war es warum. Warum? Warum das? Warum jenes? Was ich wollte und brauchte, um ich zu sein, war für ihn unwichtig. 

Mein erstes Gefühl, wenn er das tat, war, daß mit mir etwas nicht stimmte. Dann dachte ich, na ja, ich habe etwas Unrechtes getan. Dann fühlte ich mich innerlich duckmäuserisch, ängstlich. Ich wollte meinen Vater da haben, neben mir, auf meiner Seite, er sollte mich immer unterstützen und für mich das wollen, was ich für mich wollte,. Statt dessen gab es nur Fragen und Verlegenheit, keine Antwort oder Unterstützung. Ich kann mich erinnern, daß ich nach einiger Zeit kein Selbstvertrauen mehr hatte bei allem, was ich tat, und immer versuchte ich, mit meinen eigenen Fragen herauszufinden, was er meinte und dachte, etwa: 'Papa, was halst du von dem und dem?' oder dergleichen. Auf diese Weise brauchte ich nicht mit dem herauszurücken und es direkt zu sagen, was ich tun wollte — ich konnte einen unsichtbaren Schutzschild aufstellen, um nicht von ihm verletzt zu werden. Auch ich stellte Fragen, genau wie er, so brauchte ich die jämmerliche Angst nicht zu ertragen, die ich verspürte, wenn ich' einfach sagte, was ich tun wollte".  

 

An diesem Punkt der Sitzung beginnt bei Donald die Regression, und er erinnert sich an Erlebnisse mit seinem Vater. Hier, in seiner Kindheit, können wir sehen, wie seine Gefühle durcheinandergebracht wurden, wie seine einfachen und natürlichen Wünsche, sich auszudrücken, durch die scheinbar harmlosen Fragen seines Vaters, die wie Fürsorge klingen, blockiert wurden — du wirst ins Wasser fallen, du könntest angeschossen werden.

Donalds Empfindungen erhielten durch die Reaktionen seines Vaters nicht zu ihnen passende Bedeutungen. Zuerst glaubte er, "mit mir stimmt etwas nicht", und später dann: "Ich habe etwas Unrechtes getan"; diese Gedanken riefen eine nicht übereinstimmende Empfindung hervor, die er "duckmäuserisch" nannte.

An diesem Punkt waren seine Empfindungen und Bedeutungen so verwirrt, daß er sich durch Fragen äußerte. Es ist verrückt, daß ein Kind voll überschäumender Impulse in eine Gefühlsverwirrung getrieben wird. Die Tragödie besteht darin, daß des Vaters Absicht nicht Donalds Realität ist. Für ihn erweckten die Entenjagd nach dem Schulsport oder Angeln neue, erregende Impulse in seinem jungen Körper, die mit seinen Worten und Gesten ausgedrückt wurden. Auf diese Weise blockiert zu werden, ist für ein argloses und offenes Kind ebenso verheerend, wie wenn ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen wird.

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Der Therapeut berichtet über diese Phase:

"Don sah jetzt aus wie der kleine Junge und klang auch so; ich brauchte nichts zu tun als ihn anzuweisen, seinem Vater zu sagen, was er damals nicht hatte sagen können. Er war in derselben Abwehrhaltung und stellte seinem Vater Fragen, dabei war er randvoll mit Gefühlen. <Antworte ihm doch, Don. Sage ihm, was du willst.>, sagte ich."  

Donald schreibt:

"Warum ich das tun will? Weil mir danach zumute ist, darum. Weil ich will — darum. Weil ich will, was ich will, und weil ich will, daß du sagst: 'Gut, das ist gut, mein Sohn, gut für dich.' Wo war dieses Gespräch, Papa? Du hast mir bloß Fragen gestellt, Fragen — keine Hilfe, Papa! Warum willst du das tun? Ach, warum brauchst du das? Weil ich es will — darum! Weil ich mich gut dabei fühle, weinte ich. Ich will auf die Entenjagd gehen, und nach dem Schulsport will ich spielen, und am Sonntag vormittag will ich angeln gehen und nicht in die Kirche, und ich will ein Spiel Trickkarten, weil ich sie haben will. Weil mir das gut tut, Papa!

Ich weinte eine lange Zeit, und je mehr ich geltend machte, was ich bin, will und sein will, um so vollständiger fühlte ich mich. Ich sprach aus dem heraus, was in mir vorging. Ich war keine leere Marionette, die sich an Fäden ziehen ließ. Ich war ich und sprach meine natürlichen Bedürfnisse, meine unschuldigen, jungenhaften Interessen und Wünsche aus und wollte meines Vaters Liebe. Und ich konnte weinen um den Schmerz, daß ich nicht die Unterstützung und Ermutigung bekam, die ich brauchte. Ich brauchte sie so dringend, daß ich, zuerst bei meinem Vater, das Stück Kitt wurde, bloß damit er mich mochte. Aber jedesmal, wenn ich eine seiner Warum-Fragen beantwortete oder sogar begann, selbst Fragen zu stellen, statt etwas auszusagen, war ich nicht mehr ich selbst — ich wurde ein willfähriger Untertan.

Die Entdeckung, daß ich es immer wieder darauf angelegt habe, ein Kind zu sein, brach mir das Herz; das schien ich bei allen gemacht zu haben — bei meinem Vater, meinen Freunden, Lehrern, Chefs und bei Pete. Immer wieder trete ich als das ängstliche, aber fragende, liebenswürdige Bürschchen auf, bereit, mich anzupassen, wenn ich mich dadurch beliebt machen könnte. Das entleert mich jeder Bedeutung, wie es ist, ich zu sein und aus meinen Gefühlen heraus zu leben. Außerhalb von mir hatte ich viel Bedeutung — guter Sohn, guter Freund, guter Lehrer, guter Berater; ich versuchte sogar, der gute Patient zu sein, damit man mich mochte. Aber innerlich litt ich und hatte kein Gefühl für mich selbst. Jetzt habe ich es."  

84


Wir können sehen, wie der nicht stimmige Ausdruck bewirkt, daß der dreißigjährige Donald immer noch wie der neunjährige Junge reagiert. Eine vollständige Darstellung seiner Verwirrtheit muß nicht nur die mangelnde Übereinstimmung von inneren Gefühlen und ihrem Ausdruck nach außen einschließen, sondern auch sein Durcheinanderbringen von Gefühlen, Bedeutungen und dem Ausdruck im Verlauf der Zeit. 

Die erste Form mangelnder Übereinstimmung ist ein Problem der Intensität, die zweite ein Problem zeitlichen Auseinanderklaffens. Der Therapeut befaßt sich mit beiden. Er hilft Donald, sich zu entwirren, indem er seiner Abwehr zum Ausdruck verhilft und ihn leitet, seine Gefühle durch Übereinstimmung vollständig zu machen. Am Schluß der Sitzung hat Donald eine Harmonie von Gefühl und Ausdruck erreicht und eine neue Klarheit über die Bedeutung seines Lebens gewonnen.

 

   Warum Gefühlsverwirrung?  

 

Der Frage nach dem Warum gilt ein Abschnitt in diesem Buch, weil wir unsere Therapie diskutieren, sie nicht erfahren6). Warum kann nicht gefühlt werden, nur seine Wirkungen, häufig unter Quälen und Trauer. Dann und wann schreit ein Patient auf: "Warum, Papa, warum hast du mich so behandelt?" oder: "Wie konntest du mir so weh tun, Mammi?" — Warum ist, ein letzter Hoffnungsanker gegen die Realität des Fühlens. Aber die tröstliche Fiktion von Hoffnung zerbröckelt, wenn ein Patient erkennt, daß es auf das Warum keine Antwort gibt die einen fühlbaren Sinn ergibt.

Das Warum-Fragen ist eine Reaktion, um nicht zu fühlen, was war und was ist. Warum bedeutet für den Patienten: "Gib mir eine Antwort, die ich glauben kann, anstelle dessen, was ich fühle. Gib mir eine Antwort, die das ändert, was ich fühle, die mir meinen Schmerz nimmt und bewirkt, daß ich mich besser fühle, wenn ich rechtfertigen kann, warum du mich verletzt hast." Indes sind Antworten anstelle von einfühlsamen Reaktionen genau das, was die Patienten erhielten; die Antworten nahmen ihnen den Schmerz nicht, erstickten aber die Gefühle und hinterließen an ihrer Stelle mehr Schmerz. 

 

Gelegentlich fragen Patienten ihre Eltern: Warum? — Die Antworten sind unterschiedlich, aber niemals die Wirkung — sie sind bedeutungslos. Eltern können sagen: "Wir waren zu arm — wir könnten euch Kindern nicht alles geben." Man könnte anführen, daß Liebe und Anerkennung nichts kosten, aber Argumente dieser Art sind kein Fühlen. 

Eine andere, oft gehörte Antwort lautet: "Natürlich liebten wir dich — wir wußten nur nicht, wie wir es zeigen sollten." Wieviel Erklärungen und Gründe auch abgegeben werden, sie werden einem Patienten niemals ein Realitätsgefühl vermitteln, das die absolute Verworrenheit der elterlichen Antwort akzeptieren kann.

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Wir helfen unseren Patienten, ihre Gefühlsverwirrung zu erkennen und zu empfinden und die Wahrheiten ihres Lebens zu entdecken. Der Prozeß, verwirrte Gefühle zu entwirren, ist nicht einfach, denn wenn die Patienten zur Therapie kommen. leben sie in einer dämmrigen Zone von vager Erinnerung und verblaßter Erfahrung: oft sind sie nicht einmal sicher, ob das, was sie wissen, wirklich geschehen ist, oder ob das, wovon sie glauben, daß es geschah, überhaupt geschehen ist. 

Sobald ein Patient beginnt, sich durch den Wirrwarr seiner Gefühle hindurchzuarbeiten, kann er auf differenzierte und klare Empfindungen in sich reagieren. Oft mag sein Bezugspunkt ein bestimmter Elternteil sein, und ihm gegenüber wird der Patient Gefühle zum Ausdruck bringen. Vielleicht schreit er: "Du hast das gemacht — du hast mich verletzt", oder: "Es ist deine Schuld", aber wenn der Patient nicht vom Fühlen zum Leben aus dem Fühlen heraus gelangt, bleibt er in seiner Verrücktheit gefangen.

Der Patient braucht unbedingt Hilfe, um seine Gefühle und ihre Bedeutungen in sein Leben zu integrieren, damit er auf einem geordneten Gefühlsniveau leben kann. In der Feeling Therapie sagen wir gern, jemand befinde sich in seinem Inneren, was bedeutet, daß er aus innerlich vollständigen Gefühlen heraus lebt und sich nach außen auch so ausdrückt. Das heißt, er reagiert auf sich selbst — auf seinen eigenen Gefühlston, seine Rhythmen, Impulse, Empfindungen und Bedeutungen.

Wenn jemand nicht aus seinem Inneren heraus lebt, sagen wir, er sei außerhalb von sich, was bedeutet, er ist ganz und gar verstrickt in das Leben, die Handlungen, Probleme und Krisen anderer Menschen. Ein Mensch dieser Art fragt eher "warum", als daß er fühlt. Er verspürt den Drang, Vorwürfe, Schuld und Versagen anderen anzuhängen. Das ermöglicht ihm, über die Motive anderer Menschen nachzudenken, statt über die eigenen Gefühle, und er ist dann außerhalb von sich selbst und fern seinem inneren Gefühlszustand.

 

Schuld ist für den verworrenen Menschen eine bequeme Fiktion. In der Feeling Therapie wird es als nebensächlich angesehen, wo die Schuld liegt; entscheidend ist die Fähigkeit zu antworten, die "response-ability", die Ver-Antwortung. Jemanden zu beschuldigen, ist keine Gefühlsrealität, sondern für den durcheinandergeratenen Menschen ein bequemes Konzept, das zu einer Abwehr gegen das Fühlen werden kann und zu einem Vorwand, warum er, sich nicht ändert.

Die Menschen sind natürlich verantwortlich für das, was sie tun. Sachverständige führen gern vorüber­gehende Unzurechnungsfähigkeit oder vorübergehendes Dies oder Jenes an, um straffällige Menschen aus der Eigenverantwortung zu befreien, aber in Wirklichkeit argumentieren sie damit gegen das Vorhandensein einer massiven inneren Störung, die sich plötzlich Luft machte und kurz offenbar wurde.

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Das Argument der Sachverständigen ist abwegig: statt das "Vorübergehende" als etwas anzusehen, das zu entschuldigen ist, müssen wir uns darüber klar sein, daß es etwas ist, auf das zu antworten die Menschen veranlaßt werden sollten. Nur auf diese Weise werden sie erkennen können, daß sie ihre Handlungen immer selbst begehen und nicht die Opfer irgendwelcher unerklärlicher Zwänge sind, für den sie nicht zur Verantwortung gezogen werden sollten7).

Wir haben diesen Punkt so ausführlich behandelt, um unsere Ansicht zu unterstreichen, daß die Psycho­therapie im wesentlichen eine isomorphe Tätigkeit ist; das bedeutet, wir helfen unseren Patienten, die Realität ihres eigenen Lebens zu fühlen, wie immer diese Realität auch sein mag. Wir leiten unsere Patienten nicht an, ihren Eltern die Schuld daran zu geben, was sie geworden sind, denn solche Vorwürfe würden gewiß den feinen und verletzlichen Vorgang, sich für das Erleben der Gefühle zu entscheiden, überschatten.

 

Die Menschen in der Feeling Therapie entscheiden sich für die Ver-Antwortung, während verwirrte Menschen sie verleugnen. Patienten in unserer Therapie treffen die Wahl, den Schmerz zu fühlen, der ihnen zugefügt wurde, und sie wissen auch, wo, wann und durch wen sie verletzt oder verrückt gemacht wurden. Auf diese Weise vervollständigen sie die vorher durcheinandergebrachten Gefühle und wachsen über die Verrücktheit hinaus. Sich damit abzugeben. Eltern. Lehrer, der Gesellschaft oder der Geistlichkeit Vorwürfe zu machen. bedeutet. Verleugnungen. Einwände und Entschuldigungen hervorzurufen; nichts von alledem gibt einem fühlenden Menschen, was er braucht — eine Vervollständigung seiner Gefühle.

 

Verwirrte Menschen können keine vollständigen Gefühle zum Ausdruck bringen, ihnen fehlen die geordneten Reaktionen. Damit ein gestörter Elternteil auf einen Patienten in unserer Therapie reagieren kann, müßte er erkennen können, was ein Gefühl ist, aber Verrückte Eltern können Gefühle nicht erkennen — weder ihre eigenen noch die ihrer Kinder. Selten setzen Eltern Kinder auf die Welt mit der ausdrücklichen Absicht, sie verrückt zu machen, aber allmählich machen sie sie jedenfalls verrückt. Selten erkennen sie die Verrücktheit oder die Tragik — weder ihre eigene noch die ihrer Kinder.

In welchem Ausmaß ein Elternteil fühlen kann oder nicht fühlen kann, entscheidet, wieviel Schaden seinem Kind zugefügt wird. Ein Vater, der allabendlich erschöpft und zu müde von der Arbeit heimkommt, um mehr* zu tun, als zu essen und schlafen zu gehen, fügt seinem Kind nicht absichtlich Schaden zu; aber der Schaden wird angerichtet, weil er nicht auf sein Kind reagiert.

Wir wissen, daß jede emotionale Störung durch Augenblicke der Gefühlsverwirrung verursacht wird. Die häufige Abwesenheit eines Elternteils ruft bei einem Kind ebenso Gefühlsverwirrung hervor wie Verzärtelung; Schweigsamkeit ist ebenso schädigend wie Schwatzhaftigkeit.

Ein makabrer Witz lautet: "Gibt es Leben nach der Geburt?"** Es gibt Leben, wenn ein vollständiger Ausdruck von Gefühlen möglich ist. Ist er unmöglich, gibt es nur ein Überleben. Die meisten Menschen sind Überlebende. Sie überleben einen Krieg, der gegen ihre Gefühle geführt wurde, bis sie schließlich durch die Jahre taumeln und immer verrückter und resignierter werden.

In diesem Kapitel haben wir ein knappes Resümee über bestimmte Gefühle vorgelegt. Wir haben einen kurzen Blick auf verwirrte Gefühle geworfen. Im nächsten Kapitel werden wir unser Blick­feld erweitern und die schlimmen Folgen von Gefühls­verwirrung betrachten — in Unordnung geratene Menschen.

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* (d-2005:)  besser: "nicht mehr" (?)   ** Es gibt (auch) ein Leben vor dem Tod."  :-)

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