Prolog
Diamond-1992
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Der Mensch unterscheidet sich unverkennbar von allen Tierarten. Ebenso unverkennbar gehören wir zu den größeren Säugetierarten, bis ins kleinste Detail unserer Anatomie und Moleküle. Dieser Widerspruch ist das faszinierendste Merkmal unserer Art. Jeder kennt ihn, und dennoch begreifen wir immer noch nicht so recht, wie es zu ihm kam und was er bedeutet.
Auf der einen Seite trennt uns von allen anderen Arten eine scheinbar unüberbrückbare Kluft, die uns erst von »Tieren« als Kategorie sprechen läßt. Demzufolge teilen Schnecken, Schlangen und Schimpansen in unseren Augen entscheidende Merkmale miteinander, jedoch nicht mit uns, und fehlen ihnen Eigenschaften, die nur wir besitzen. Zu diesen einmaligen Charakteristika des Menschen gehört unter anderem, daß wir sprechen, schreiben und komplizierte Maschinen bauen. Zum Überleben brauchen wir nicht nur unsere bloßen Hände, sondern eine ganze Reihe von Hilfsmitteln, ohne die wir verloren sind.
Die meisten Menschen tragen Kleidung und haben Freude an Kunstwerken, viele glauben an eine Religion. Wir bevölkern den gesamten Erdball, verfügen über einen Großteil seiner Energie und sonstigen Ressourcen und sind dabei, auch in die Tiefe der Meere und ins Weltall vorzudringen. Einzigartig sind wir aber auch, wenn es um unheilvolle Dinge wie Völkermord, Lust an der Folter, Drogenabhängigkeit und die tausendfache Ausrottung von Pflanzen und Tieren geht.
Einige Tierarten mögen zwar eine oder zwei dieser Eigenschaften ansatzweise mit uns teilen (zum Beispiel den Gebrauch von Werkzeugen), aber selbst darin übertreffen wir Tiere bei weitem.
Aus praktischer und rechtlicher Sicht gelten Menschen folglich nicht als Tiere. Als Darwin 1859 behauptete, wir stammten von Affen ab, war es kein Wunder, daß die meisten Menschen seine Theorie erst einmal für absurd hielten und darauf bestanden, daß der Mensch eine separate Schöpfung Gottes sei. Viele halten noch heute an diesem Glauben fest, in den Vereinigten Staaten sogar jeder vierte College-Absolvent.
Doch auf der anderen Seite sind wir ganz offenkundig Tiere, mit deren körperlichen Merkmalen, Molekülen und Genen. Sogar unser Platz im Tierreich läßt sich klar bestimmen. Äußerlich ähneln wir so sehr den Schimpansen, daß bereits im 18. Jahrhundert Anatomen, noch fest überzeugt von der Göttlichkeit der Schöpfung, die Gemeinsamkeiten erkannten. Stellen Sie sich nur einige ganz normale Menschen vor, die ihre Kleidung und sonstigen Habseligkeiten ablegen, ihre Sprache verlieren, nur noch grunzen könnten und in einen Zookäfig neben den Schimpansen gesperrt würden. An diesen sprachlosen Käfigmenschen könnten wir erkennen, was wir in Wirklichkeit sind: Schimpansen mit schwacher Behaarung und aufrechtem Gang.
Ein Zoologe von einem fremden Stern würde nicht zögern, den Menschen als dritte Schimpansenart zu klassifizieren, neben dem Zwergschimpansen oder Bonobo von Zaire und dem gewöhnlichen Schimpansen, der im übrigen tropischen Afrika vorkommt.
Molekulargenetische Untersuchungen der letzten Jahre ergaben, daß wir über 98 Prozent unserer genetischen Anlagen mit den beiden anderen Schimpansen gemeinsam haben. Der genetische Abstand zwischen uns und den Schimpansen ist sogar noch geringer als der zwischen so eng verwandten Vögeln wie den Laubsängerarten Fitis und Zilpzalp. Somit schleppen wir den größten Teil unseres uralten biologischen Gepäcks noch immer mit uns herum. Seit Darwins Zeiten wurden die fossilen Überreste Hunderter von Lebewesen, welche die verschiedenen Übergangsstufen vom Affen zum modernen Menschen darstellen, entdeckt, so daß es heute bei vernünftiger Betrachtung unmöglich ist, das einst absurd Erscheinende zu leugnen: Die Evolution des Menschen vom Affen fand tatsächlich statt.
Doch die Entdeckung fehlender Zwischenglieder hat alles nur noch faszinierender gemacht, ohne das Rätsel ganz zu lösen. All unsere Besonderheiten müssen auf das Konto jener zwei Prozent unserer genetischen Anlagen gehen, die sich von denen der Schimpansen unterscheiden. Ziemlich rasch und vor noch gar nicht langer Zeit in unserer Evolutionsgeschichte erlebten wir mehrere geringfügige, aber höchst folgenreiche Veränderungen.
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Noch vor 100.000 Jahren hätte der Zoologe aus dem Weltall den Menschen als eine Säugetierart unter vielen anderen eingestuft. Es stimmt, daß wir schon damals mehrere Besonderheiten in unserem Verhalten aufwiesen, vor allem die Beherrschung des Feuers und den Gebrauch von Werkzeugen. Aber das hätte den außerirdischen Besucher wohl nicht mehr beeindruckt als das erstaunliche Verhalten von Bibern und Laubenvögeln. Innerhalb einiger zehntausend Jahre — eines für einen einzelnen Menschen unendlich lang erscheinenden, aber gemessen an unserer Stammesgeschichte sehr kurzen Zeitraums — waren jene Eigenschaften zum Vorschein gekommen, die den Menschen so einzigartig, aber auch anfällig machen.
Welches waren jene wenigen Ingredienzen, die uns zu Menschen werden ließen? Da unsere Besonderheiten erst so kürzlich auftraten und mit so geringfügigen Veränderungen einhergingen, müssen sie oder zumindest Vorläufer von ihnen bereits im Tierreich vorhanden gewesen sein. Welches waren also die tierischen Vorläufer von Kunst und Sprache, Völkermord und Drogensucht?
Unser derzeitiger biologischer Erfolg als Spezies beruht auf besonderen Merkmalen des Menschen. Von den größeren Tierarten ist keine andere auf allen Kontinenten heimisch oder bevölkert sämtliche Lebensräume, von der Wüste und dem Polargebiet bis zürn tropischen Regenwald. Kein größeres Wildtier kann es zahlenmäßig mit uns aufnehmen. Doch zu unseren Besonderheiten gehören auch zwei, die unser Überleben in Frage stellen: der Hang zum gegenseitigen Töten und zur Zerstörung der Umwelt. Beides kommt auch bei anderen Arten vor: Löwen und viele andere Tiere töten Angehörige der eigenen Art, und Elefanten trampeln die Vegetation nieder. Doch beim Menschen nimmt die Bedrohung ein viel größeres Ausmaß an — wegen unserer technologischen Potenz und der Explosion unserer Zahl.
Schon oft wurde der Weltuntergang für den Fall prophezeit, daß wir keine Einsicht zeigten und uns nicht zur Umkehr entschlössen. Neu ist daran heute, daß die Vorhersage aus zwei Gründen wahrscheinlich eintrifft.
Erstens gibt es Atomwaffen, mit denen die Menschheit erstmals in ihrer Geschichte ein Mittel zur völligen Selbstvernichtung besitzt. Und zweitens eignen wir uns bereits 40 Prozent der Nettoproduktivität der Erde (d.h. der aus der Sonneneinstrahlung gewonnenen Nettoenergie) an.
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Da sich die Weltbevölkerung zur Zeit im Rhythmus von 41 Jahren verdoppelt, werden die biologischen Grenzen des Wachstums bald erreicht sein. Kriege um die begrenzten Ressourcen unseres Planeten erscheinen dann unausweichlich. Zudem werden bei anhaltendem Tempo der Artenausrottung im Laufe des nächsten Jahrhunderts die meisten Pflanzen- und Tierarten ausgestorben oder vom Aussterben bedroht sein — und das, obwohl wir viele dringend zum eigenen Überleben brauchen.
Warum soll man diese ebenso bekannten wie deprimierenden Fakten immer wiederholen?
Und welchen Nutzen hat es, die tierischen Ursprünge der destruktiven Eigenschaften des Menschen zurückzuverfolgen?
Wenn sie tatsächlich Teil unseres evolutionären Erbes sind, dann heißt das doch nicht daß sie genetisch festgelegt und also unveränderlich sind?
Doch in Wirklichkeit ist unsere Lage nicht hoffnungslos.
Uns mag ja der Drang zum Töten von Fremden und Geschlechtsrivalen angeboren sein. Aber dennoch haben menschliche Gesellschaften immer wieder — und nicht ohne Erfolg — den Versuch unternommen, diese Instinkte unter Kontrolle zu bekommen und die meisten Menschen vor der Ermordung zu bewahren. Selbst wenn man die beiden Weltkriege mitberücksichtigt, sind im 20. Jahrhundert in den Industrieländern im Verhältnis viel weniger Menschen durch Gewalt ums Leben gekommen als in steinzeitlichen Stammesgesellschaften. In vielen modernen Bevölkerungen ist die Lebenserwartung deutlich höher als in der Vergangenheit. Umweltschützer verlieren auch nicht mehr jeden Kampf gegen Vertreter des Fortschritts um jeden Preis. Selbst eine Reihe von Erbkrankheiten, wie das Folling-Syndrom und die Kinderdiabetes, können heute behandelt oder geheilt werden.
Wenn ich auf die drohenden Gefahren hinweise, möchte ich deshalb nur dazu beitragen, daß wir Fehler nicht wiederholen, sondern aus der Vergangenheit lernen und unser Verhalten korrigieren. Diese Hoffnung steht auch hinter der Widmung am Anfang des Buches. Meine Zwillingssöhne sind Jahrgang 1987 und werden im Jahre 2044 so alt sein wie ich jetzt. Was wir heute tun, wird ihre Welt bestimmen.
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Es geht mir in diesem Buch nicht um bestimmte Lösungsvorschläge. Es ist ja ohnehin ziemlich klar, was alles geschehen muß. Dazu gehören die Eindämmung des Bevölkerungswachstums, die Begrenzung oder besser Abschaffung der Atomwaffen, die Entwicklung friedlicher Methoden zur Beilegung internationaler Konflikte, die Verringerung der Umweltzerstörung und der Erhalt von Arten und natürlichen Lebensräumen. Viele hervorragende Bücher enthalten detaillierte Vorschläge dazu, von denen einige bereits hier und da in die Tat umgesetzt werden; nun kommt es »nur« darauf an, daß daraus der Normalfall wird. Wenn nur alle von der Richtigkeit und Wichtigkeit dieser Vorschläge überzeugt wären, könnten wir schon morgen mit ihrer Verwirklichung beginnen.
Indessen mangelt es jedoch an dem nötigen politischen Willen. Ihm nachzuhelfen ist eines der Anliegen dieses Buches. Unsere aktuellen Probleme haben tiefe Wurzeln und reichen bis zu unseren Vorfahren im Tierreich zurück. Sie wurden über die Jahrzehntausende, während sich der Mensch ausbreitete und an Macht gewann, immer größer und spitzen sich heute in dramatischer Weise zu. Wohin unser kurzsichtiges Handeln führen muß, zeigen die Erfahrungen von Gesellschaften, die sich vor uns durch Zerstörung der eigenen Rohstoffbasis um die eigene Existenzgrundlage brachten — und das mit vergleichsweise harmloseren technischen Hilfsmitteln. Historiker begründen das Studium von Staaten und Herrschern damit, daß man aus der Vergangenheit lernen könne. Das gilt um so mehr für unsere Stammesgeschichte, weil die aus ihr zu ziehenden Lehren viel einfacher und deutlicher sind.
Angesichts der Breite des Themas können nicht alle Aspekte gleich ausführlich behandelt werden. So werden sicher manche Leser ein nach ihrer Ansicht wichtiges Gebiet vermissen, andere dieses oder jenes Kapitel zu detailliert finden. Ich möchte daher, damit niemand sich getäuscht fühlt, von vornherein deutlich machen, wo meine eigenen Interessenschwerpunkte liegen und wie es zu ihnen kam.
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Mein Vater ist Arzt, meine Mutter eine Musikerin mit Sprachbegabung. Immer, wenn ich als Kind nach meinen Berufsplänen gefragt wurde, antwortete ich, ich wolle Arzt werden wie mein Vater. Gegen Ende meiner College-Ausbildung hatte ich mich dann aber entschieden, statt dessen in die medizinische Forschung zu gehen. Also studierte ich Physiologie, das Fach, das ich heute an der University of California Medical School in Los Angeles lehre und in dem ich als Forscher tätig bin.
Außerdem interessiere ich mich jedoch seit dem Alter von sieben Jahren für Vogelkunde. Und glücklicherweise ging ich auf eine Schule, die mir die gründliche Beschäftigung mit Sprachen und Geschichte ermöglichte. Nachdem ich meinen Doktor gemacht hatte, erschien mir die Perspektive, mich fortan nur noch der Physiologie zu widmen, immer bedrückender. Glückliche Umstände verhalfen mir damals zu der Gelegenheit, einen Sommer im Hochland von Neuguinea zu verbringen. Der offizielle Zweck der Reise war die Erforschung des Nistverhaltens neuguineischer Vögel, ein Vorhaben, das innerhalb von Wochen kläglich scheiterte, da ich im Dschungel nicht ein einziges Vogelnest entdecken konnte.
Ein voller Erfolg wurde die Reise dennoch, denn ich konnte endlich meinen Abenteuerdurst stillen und in einem der noch wildesten Gebiete der Erde Vögel beobachten. Was ich von der fantastischen Vogelwelt Neuguineas sah, zum Beispiel Lauben- und Paradiesvögel, veranlaßte mich, eine parallele Karriere in Vogelökologie, Evolution und Biogeographie anzustreben. Seit damals bin ich wohl ein dutzendmal nach Neuguinea und auf benachbarte Pazifikinseln zurückgekehrt, um Vogelstudien zu betreiben.
Während meines Aufenthalts in Neuguinea ergab es sich angesichts der immer rascheren Zerstörung der Wälder und der damit verbundenen Bedrohung der Vogelwelt ganz von selbst, daß ich mich für den Artenschutz interessierte und an entsprechenden Maßnahmen beteiligte. Ich konnte meine akademischen Studien mit der praktischen Tätigkeit als Regierungsberater verbinden, indem ich mein Wissen über die räumliche Verteilung bestimmter Tierarten in den Dienst der Planung von Nationalparks stellte und die dafür vorgesehenen Gebiete begutachtete.
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In einem Land, in dem alle 30 km eine Sprachgrenze verläuft und in dem die Kenntnis der Vogelnamen in jeder der lokalen Sprachen die Voraussetzung ist, um das enorme Wissen der Einheimischen über ihre Vogelwelt anzuzapfen, war auch eine Rückkehr zu meinem früheren Interesse für Sprachen naheliegend. Vor allem aber war es fast unmöglich,. die Evolution und das Aussterben von Vogelarten zu erforschen, ohne mehr über die Evolution und das mögliche Aussterben des Homo sapiens, der mit Abstand interessantesten Spezies von Lebewesen, erfahren zu wollen. Dies um so mehr, als Neuguinea von einer überwältigenden ethnischen und kulturellen Vielfalt geprägt ist.
Auf diese Weise entwickelte sich mein Interesse an den speziellen Aspekten der Menschheit, die das Thema dieses Buches sind. Ich muß mich dabei nicht für unangemessene Einseitigkeit entschuldigen. Viele ganz hervorragende Bücher von Anthropologen und Archäologen befassen sich mit der menschlichen Evolution unter dem Gesichtspunkt von Werkzeugen und Skeletten, so daß ich diese Bereiche relativ kurz abhandeln kann. Viel weniger Aufmerksamkeit erhielten hingegen bisher meine besonderen Interessensgebiete: der menschliche Lebenszyklus, die Bevölkerungsgeographie, unsere Einwirkung auf die Umwelt und die Betrachtung des Menschen als eines Angehörigen des Tierreichs. Diese Themen sind im Zusammenhang mit der Evolution des Menschen ebenso wichtig wie die traditionelle Beschäftigung mit Werkzeugen und Skeletten.
Was zunächst als Fülle von Beispielen aus Neuguinea erscheinen mag, ist nach meiner Ansicht eine sehr nützliche Basis. Zugegeben, Neuguinea ist nur eine Insel in einem bestimmten Gebiet der Erde, dem tropischen Pazifik, und liefert kaum einen repräsentativen Querschnitt der modernen Menschheit.
Doch dafür beherbergt Neuguinea ein wesentlich breiteres Spektrum der Menschheit, als man, ausgehend von der Größe der Insel, zunächst annehmen würde. Rund tausend der weltweit etwa 5000 Sprachen der Gegenwart werden nur in Neuguinea gesprochen. Die Insel birgt auch einen großen Teil der kulturellen Vielfalt, die unserem Planeten noch geblieben ist. Alle Hochlandvölker im gebirgigen Landesinneren waren bis in die jüngste Vergangenheit hinein noch steinzeitliche Bauern, während viele der Tieflandstämme als nomadische Jäger und Sammler oder Fischer lebten, die nebenbei ein wenig Landwirtschaft betrieben.
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Die Fremdenfeindlichkeit hatte, ebenso wie die kulturelle Vielfalt, ein extrem hohes Ausmaß, und eine Reise außerhalb des eigenen Stammesgebietes glich einem Selbstmordversuch. Viele der Einheimischen, mit denen ich zusammenarbeitete, waren großartige Jäger und hatten ihre Kindheit noch in den Tagen der Steinwerkzeuge und des Fremdenhasses verbracht. Neuguinea dürfte damit das beste noch verbliebene Beispiel für die Verhältnisse sein, die in vielen Teilen der Welt bis vor gar nicht langer Zeit geherrscht haben müssen.
Die Geschichte von unserem Aufstieg und Fall gliedert sich naturgemäß in fünf Teile. In Teil I (Kapitel l und 2) verfolge ich unseren Werdegang von vor mehreren Jahrmillionen bis kurz vor dem Erscheinen der Landwirtschaft vor zehntausend Jahren. In den beiden Kapiteln geht es um Skelette, Werkzeuge und genetische Anlagen — also um archäologische und biochemische Indizien, die uns den unmittelbarsten Einblick in unsere Entwicklung geben. Fossile Skelettreste und Werkzeuge lassen sich oft datieren, so daß auch der Zeitpunkt von Veränderungen abgeleitet werden kann. Wir befassen uns mit der Aussage, daß der Mensch genetisch noch zu 98 Prozent ein Schimpanse ist, und versuchen festzustellen, was wohl in den übrigen zwei Prozent unseren großen Sprung nach vorn bewirkt haben mag.
Im zweiten Teil (Kapitel 3 bis 7) geht es um Veränderungen im menschlichen Lebenszyklus, die für das Entstehen der Sprache und Kunst ebenso wichtig waren wie die in Teil I behandelten anatomischen Veränderungen. Für uns ist es absolut natürlich, daß wir unsere Kinder nach der Entwöhnung von der Muttermilch weiter mit Nahrung versorgen, statt sie sich selbst zu überlassen; daß die meisten Männer und Frauen als Paare zusammenleben; daß die meisten Väter genauso wie die Mütter für den Nachwuchs sorgen; daß viele Menschen alt genug werden, um noch ihre Enkel zu erleben; und daß Frauen in die Wechseljahre kommen. Für uns ist das alles selbstverständlich, doch nach den Maßstäben unserer engsten Verwandten im Tierreich sind diese Verhaltensweisen höchst seltsam. Sie stellen krasse Abweichungen im Vergleich zu unseren Vorfahren dar, wenngleich sie keinen fossilen Ausdruck finden und wir deshalb nicht wissen, wann sie entstanden.
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Aus diesem Grunde erfahren sie in Schriften zur menschlichen Paläontologie viel weniger Aufmerksamkeit als Veränderungen beispielsweise unseres Hirnvolumens und der Beckengröße. Doch für die einzigartige kulturelle Entwicklung des Menschen waren sie von entscheidender Bedeutung und verdienen daher die gleiche Beachtung.
Nachdem sich Teil I und II mit der biologischen Grundlage unserer kulturellen Entfaltung beschäftigten, geht Teil III (Kapitel 8 bis 12) auf die kulturellen Merkmale ein, die uns nach eigener Auffassung von den Tieren unterscheiden. Dabei kommen einem sicher zuerst jene Eigenheiten in den Sinn, auf die wir besonders stolz sind: Sprache, Kunst, Technik und Landwirtschaft, die Wegmarken unseres Aufstiegs. Doch zu den kulturellen Besonderheiten des Menschen zählen auch negative Merkmale wie der Mißbrauch giftiger Substanzen.
Es läßt sich zwar darüber streiten, ob alle der genannten Markenzeichen nur beim Menschen anzutreffen sind, aber zumindest stellen sie einen gewaltigen Fortschritt im Vergleich zu ihren Vorläufern im Tierreich dar. Denn solche Vorläufer muß es gegeben haben, da sich die genannten Eigenheiten aus evolutionsgeschichtlicher Perspektive erst vor kurzer Zeit herausbildeten. Welches waren diese Vorläufer? War ihre Entfaltung im Laufe der Geschichte des Lebens auf der Erde unvermeidlich? War sie etwa gar so unvermeidlich, daß wir mit der Existenz vieler anderer Planeten draußen im Weltall rechnen können, auf denen Geschöpfe wie wir leben?
Neben dem Mißbrauch chemischer Stoffe umfaßt unser Sündenregister zwei besonders schwerwiegende Merkmale, die uns zum Verhängnis zu werden drohen. Teil IV (Kapitel 13 bis 16) behandelt das erste: unseren Drang zum Töten von Angehörigen fremder Gruppen. Dieser Wesenszug hat direkte Vorläufer im Tierreich, nämlich die Auseinandersetzungen zwischen konkurrierenden Individuen und Gruppen, die auch bei vielen anderen Arten nicht selten tödlich enden. Der Unterschied liegt nur in unserem technischen Vermögen und unserer größeren Tötungskapazität. In Teil IV erörtern wir die Fremdenfeindlichkeit (Xenophobie) und den ausgeprägten Zustand der Isolation vor der Bildung von Staaten, die zu größerer kultureller Homogenität beitrugen.
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Wir werden sehen, wie Technik, Kultur und Geographie den Ausgang zweier der bekanntesten historischen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Menschengruppen beeinflußten. Weiterhin untersuchen wir das überlieferte Wissen über Massenmord aus Fremdenhaß. Dabei handelt es sich um ein trauriges Thema, aber es soll hier vor allem als Beispiel dafür dienen, daß die Weigerung, unserer Vergangenheit ins Gesicht zu blicken, uns zur Wiederholung alter Fehler in noch gefährlicherem Ausmaß verdammt.
Das andere düstere Merkmal, das unser Überleben in Frage stellt, betrifft die immer raschere Zerstörung der Umwelt. Auch hierfür gibt es Vorläufer im Tierreich. Schon oft versagten bei tierischen Populationen, die aus dem einen oder anderen Grund keine natürlichen Feinde hatten und sich ungehindert vermehren konnten, auch die internen Kontrollmechanismen, so daß sich die Vermehrung so lange fortsetzte, bis die Ernährungsgrundlage der betreffenden Population beeinträchtigt war; zuweilen geschah es sogar, daß sich die betreffende Art buchstäblich um die Möglichkeit zur eigenen Fortexistenz fraß und ausstarb. Diese Gefahr droht dem Menschen in besonderer Weise, da unsere Zahl heute nicht mehr durch natürliche Feinde in Schach gehalten wird, kein Lebensraum vor unserem Zugriff sicher ist und unser Vermögen, Tiere zu töten und Lebensräume zu zerstören, ohne Beispiel ist.
Leider teilen noch heute viele Menschen die Vorstellung Rousseaus, daß dieser finstere Wesenszug des Menschen erst mit der Industriellen Revolution auftauchte und daß wir davor in Harmonie mit der Natur lebten. Träfe dies zu, könnten wir aus der Vergangenheit nur lernen, wie tugendhaft wir einst waren und welch schreckliche Verwandlung wir erfahren haben. Teil V (Kapitel 17 bis 19) versucht deshalb, die Rousseausche Vorstellung anhand der langen Geschichte der Umweltzerstörung durch den Menschen zu widerlegen.
Ebenso wie in Teil IV liegt die Betonung in Teil V darauf, daß unsere gegenwärtige Situation nicht gänzlich neu ist, sondern sich nur im Ausmaß von früheren unterscheidet. Die Ergebnisse vieler früherer »Experimente«, bei denen menschliche Gesellschaften ihre Umwelt zerstörten, sollten wir nutzen, um daraus zu lernen.
Das Buch endet mit einem Epilog, der die Fährte unseres Aufstiegs aus dem Tierreich zurückverfolgt und die immer rasantere Entwicklung der Mittel darstellt, die uns zum Verhängnis zu werden drohen.
Ich hätte dieses Buch nicht geschrieben, wenn ich die Gefahr für gering hielte, aber ich hätte es auch nicht geschrieben, wenn die Menschheit für mich bereits verloren wäre.
Für den Fall, daß mancher Leser wegen des Verhaltens der Menschen in der Vergangenheit und wegen der heutigen Lage so entmutigt sein sollte, daß ihm diese Botschaft entgeht, mache ich auf ein paar Hoffnungszeichen aufmerksam und auf die Wege, wie wir aus der Vergangenheit lernen können.
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