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3.2 - Grenzen des Bevölkerungswachstums: Krankheiten  

  Anmerk  

 

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Was bremst heute das Bevölkerungswachstum, sieht man einmal ab von den Teilerfolgen der Familien­planung? Zunächst einmal bremst es sich quasi selbst, indem es seinen Miturheber, die Medizin, in Sieben­meilen­stiefeln überholt. So sehr die Medizin dazu beigetragen hat, unsere Gattung zu vermehren, so tödlich sind ihre Resultate immer dann, wenn ihr Wirken nicht eingebettet ist in Entwicklung. 

Die Geheilten von heute sind mitsamt der Kinderschar, die sie zeugen, der millionenhohe Leichenberg der nächsten Hunger­katastrophen. Der in den Süden exportierte Fortschritt der Medizin reicht aus, die Bevölkerungs­vermehrung mit anzutreiben, er genügt aber nicht, um die Gesundheit der sich verviel­fachenden Menschenzahl durchgreifend zu verbessern.

Wie lange ein Mensch lebt, hängt davon ab, in welchem Teil der Welt und in welcher sozialen Klasse er geboren wird. Die durchschnittliche Lebens­erwartung in Schwarzafrika beträgt 50 Jahre, in den USA sind es 76.324  In Mexiko leben die Angehörigen des oberen Bevölkerungszehntels zwanzig Jahre länger als jene Menschen, die sozial zu den unteren zehn Prozent der Bevölkerung zählen.325

Nichts zeigt deutlicher, wie die Unterschiede im Zugang zu elementaren Ressourcen über die Lebensperspektiven entscheiden. Ein wirklicher Kampf gegen die Armut ist nicht allein ein Kampf gegen Hunger und soziales Elend, sondern vor allem auch der Versuch, die Überlebenschancen auf diesem Planeten gerechter zu verteilen. Dazu gehörte, daß die sozial Schwachen eine medizinische Grundversorgung genießen.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) führt rund vier Fünftel aller Erkrankungen in der Dritten Welt auf mangelnde Hygiene und schmutziges Wasser zurück. Mehr als ein Drittel aller Todesfälle findet hier seine Ursache. Obwohl die UNO die achtziger Jahre zur »Internationalen Trinkwasser- und Sanitärdekade« erklärt hatte, kommen nach wie vor 1,75 Milliarden Menschen nicht in den Genuß von sauberem Trinkwasser, und 2 Milliarden können von vernünftigen sanitären Einrichtungen nur träumen.326 81 Prozent der Äthiopier haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.327

 

Der Ökologe Peter Mucke [*1958] hat eine beeindruckende Liste wasserverursachter Krankheiten zusammen­gestellt.328 Die Nahrungs­mittel­zubereitung mit verseuchtem Wasser ist demnach eine typische Quelle von Krankheiten. Die klassischen Krankheiten aus dem Wasser sind Ruhr, Cholera329, Typhus, Diarrhö und die infektiöse Hepatitis. Pro Jahr sterben sechs Millionen Kinder unter fünf Jahren an Durchfall, hundert Millionen Menschen sind davon befallen.

Verschmutztes Wasser und schlechte Körperhygiene verursachen Krätze, Lepra, Frambösie und Augenkrankheiten. Eine halbe Milliarde Menschen leidet an der Augenkrankheit Trachom, die bis zu neun Millionen Menschen jährlich erblinden läßt. Insekten, die ihre Eier im Wasser ablegen oder in Wasser- und Sumpf­gebieten leben, übertragen Malaria, Gelbfieber, Schlafkrankheit und Flußblindheit. 

160 Millionen Menschen leiden an Malaria, andere Schätzungen sprechen gar von mehr als 260 Millionen330 und davon, daß pro Jahr zwischen 100 und 500 Millionen Menschen neu erkranken. Mindestens eine Million Opfer fordert die Malaria jedes Jahr, manche Fachleute schätzen die Zahl der Toten auf mehr als das doppelte. Der für die Bilharziose verantwortliche Schistosomawurm und der Guineawurm sind auf im Wasser lebende Wirte angewiesen. 200 Millionen Menschen leiden an Bilharziose. Guineawürmer können achtzig Zentimeter lang werden, sie bohren sich von innen durch die Haut nach außen und verursachen starke Schmerzen.

Wenn menschliche Fäkalien in Wasser und Boden gelangen, werden Hakenwurm, Spulwurm und Peitschen­wurm durch verschmutztes Wasser und Nahrungs­mittel übertragen. Eine Milliarde Menschen leidet an Spulwürmern, 800 Millionen an Hakenwürmern und 500 Millionen an Peitschenwürmern.

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Ein Sonderfall wasserbedingter Krankheitsursachen ist die unsaubere Zubereitung von Flaschennahrung, woran nach UNICEF-Angaben jährlich eine Million Kinder sterben. Das Todesrisiko für Säuglinge, die künstliche Babynahrung bekommen, ist etwa auf den Philippinen vierzigmal höher als bei Säuglingen, die gestillt werden.

Mucke hat sich nicht darauf beschränkt, eine Schreckensliste der Krankheiten aufzuschreiben, sondern auch geschildert, wie diese vermieden werden könnten. Die Gegenmittel lassen sich verblüffend einfach skizzieren: dreißig bis vierzig Liter sauberes Wasser pro Kopf und Tag, einfache sanitäre Einrichtungen, Abkochen von Trinkwasser und Installation von Wasserleitungen (um Brutplätze von Krankheitserregern wie der Malariamücke gar nicht erst entstehen zu lassen). Es wäre also einfach, rasch und wirkungsvoll ärgsten Notständen abzuhelfen. Es ist erschreckend, daß die Weltgemeinschaft trotz aller wohltönender Proklamationen bis heute nur auf heiße Steine getropft hat.

Die Gesundheitsversorgung in der Dritten Welt aber wird nicht besser, sondern schlechter; besonders in Afrika sinkt schon seit der Unabhängigkeit das Niveau der Medizin stetig. In den ärmsten Ländern der Erde, also dort, wo die Medizin den größten Nachholbedarf aufweist, sind die Ausgaben für Gesundheit zwischen 1985 und 1989 um die Hälfte gesunken! In Lateinamerika haben die Schuldenkrise und nicht selten die Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) das Gesundheitswesen erschüttert. 

Viele Fachkräfte sind in die Industrie oder ins Ausland abgewandert. Zahlreichen Gesundheitsbehörden mangelt es an qualifizierten Medizinern, so daß nach Angaben der WHO gerade in fünf Prozent der Entwicklungs­länder die für Arzneimittelzulassungen verantwortlichen Behörden effizient arbeiten. Selbst in den wenigen Dritte-Welt-Staaten, die sich moderne Arzneimittelgesetze gegeben haben, funktioniert in der Regel die Überprüfung nicht. Die Gesetze laufen dort leer, weil neben Fachkräften Geld an allen Ecken und Enden fehlt.331)

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Wo es armen Ländern unter großen Mühen gelungen ist, ihren Arzneimittelmarkt zu begrenzen, die Eigen­produktion zu fördern und die multinationale Konkurrenz zurückzudrängen, stoßen sie auf den Widerstand des Nordens, der auch auf diesem Sektor dem Freihandel frönt. Bangladesh etwa hatte vor einigen Jahren die Zahl der Medikamente auf dem einheimischen Markt auf ein vernünftigeres Maß reduziert und untersagt, Pharmaprodukte einzuführen, die im eigenen Land hergestellt werden können.

Die Preise von Medikamenten werden seitdem überwacht. Ein wichtiger Schritt nicht nur zu einer sinnvollen Medikamenten­grund­versorgung, sondern auch zur Bewahrung der ohnehin spärlichen Devisenreserven des armen Staats. Bald hatte sich die Produktion unentbehrlicher Arzneimittel im Land vervierfacht, und ihr Anteil an der Gesamtproduktion war von 30 auf 64 Prozent gestiegen. Die Weltbank fordert aber nun, daß neue Produkte ausländischer Firmen ins Land gelassen und Preiskontrollen abgeschafft werden.332 Offensichtlich können es einige reiche Staaten mit einer mächtigen Pharmaindustrie nicht ertragen, daß ihnen Absatzmärkte verschlossen bleiben. Diese Politik der Weltbank hat nicht einmal rhetorisch etwas mit Entwicklung zu tun.

In Afrika südlich der Sahara haben zwei Drittel der Menschen keine Chance, einen Arzt zu Gesicht zu bekommen.333 Viele Krankheiten haben so die optimale Gelegenheit, ihr ganzes tödliches Potential wirken zu lassen. Manche Krankheiten werden durch diesen Mangel erst lebensbedrohlich.

Der ganze Zynismus der durch uns beherrschten Weltordnung dokumentiert sich in der Tatsache, daß dort, wo Hunger und Elend einen idealen Nährboden für Krankheiten abgeben, die Ärzte fehlen und Medikamente rar sind. Statistisch gesehen, hat jeder Schwarzafrikaner jedes Jahr drei schwere, mit Fieber und Durchfall verbundene Krankheiten. Kinder trifft es noch härter, weil sie zusätzlich von der Malaria heimgesucht werden. Bis sie fünf Jahre alt sind, befällen sie drei fiebrige Erkrankungen der oberen Atemwege.

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Fast jedes fünfte Kind in der Dritten Welt bekommt mindestens einmal im Jahr Masern und/oder Keuchhusten. Darm­parasiten quälen fast alle Kinder, und sie erschweren es denen, die ohnehin schon hungern, die wenige Nahrung zu verwerten, die für sie abfällt. Dort, wo das Elend das Leben diktiert, ist jede Krankheit, die bei uns belächelt und mit ein paar Pillen geheilt würde, eine tödliche Gefahr.

 

   AIDS: bald Todesursache Nr. 1 in der Dritten Welt  

 

Krankheiten, die vor allem die Armen heimsuchen, sind soziale Krankheiten. Auch ihre Wirkungen hängen ab von der Stellung des Erkrankten in der gesellschaftlichen Struktur. Am deutlichsten wird dies am Beispiel von AIDS. Zwar fordert das »Acquired Immune Deficiency Syndrome« (erworbene Immunschwäche) auch im reichen Norden immer mehr Tote, seine Verbreitung und Wirkung in der Dritten Welt aber sind denen einer klassischen Seuche gleichzusetzen. 85 Prozent der Infizierten leben dort. Und noch schlimmer: Es sind keine Zeichen zu erkennen, die darauf hindeuten, daß das virusbedingte Massensterben aufhört, wohingegen selbst die schlimmste Pestepidemie nicht nur einen Anfang, sondern auch ein Ende kannte.

Und dann, wenn ein Mittel gegen das Virus gefunden sein wird, werden die Armen davon profitieren? Manche Mediziner glauben, daß nur teure, gentechnisch erzeugte Impfstoffe Hoffnung versprechen im Kampf gegen die Immunschwächekrankheit. Wenn diese Voraussage wahr wird, wer bezahlt dann die Impfung von mittellosen Milliarden? Und: Was folgt auf AIDS? Eine neue Geburtenflut nach dem Ende der Bedrohung? Und vor allem: Wie sollen die vor der Krankheit Geretteten die »gesunde« Wirklichkeit überleben? Fragen, deren Antworten voraussichtlich wieder erst gesucht werden, wenn es zu spät sein wird.

Manche Zyniker erklären hinter vorgehaltener Hand, daß AIDS auch eine nützliche Seite habe, weil es den Bevölkerungszuwachs begrenze.

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Ohne auf die erbärmliche ethische Qualität dieses Arguments einzugehen, offenbart diese These nur die Borniertheit dessen, der sie vertritt. Denn die Immunschwäche sucht in erster Linie jene heim, die fortpflanzungsfähig, also jung, sind. Und trifft auch noch deren Kinder. Wenn Entwicklung überhaupt stattfinden soll, dann ist sie nur denkbar, wenn die Bevölkerungs­gruppen sie tragen, die heute am meisten bedroht sind von AIDS.

Wenn die jungen, aktiven Menschen einer Bevölkerung in Massen wegsterben, dann droht einem ganzen Volk der Untergang ins ausweglose Elend. Wo zuvor das exponentielle Wachstum der Menschenzahl Entwicklung gebremst oder verhindert hat, wird dann die durch den Millionentod erzeugte Zerschlagung jedes Ansatzes einer tragfähigen demographischen Struktur das Ende aller Hoffnung einläuten. Wer versorgt die sich rapide vermehrenden Kranken? Wer versorgt die Alten, wenn die Jungen wegsterben? Der indische Bevölkerungs­wissenschaftler Chandra Mouli erklärt: »Wenn Sie einen alten Großvater und zwölf Waisen­kinder haben, dann gibt es keine Selbsthilfe mehr.«

Bisher hat nur Thailands Regierung ausrechnen lassen, wieviel Geld AIDS die betroffenen Staaten kostet. Neun Milliarden Mark, ein Siebtel des Brutto­sozial­produkts, wird demnach das Virus abverlangen. Nur um die Patienten zu behandeln, müßten 1500 Mark jährlich pro Kranken ausgegeben werden, ein Drittel des durchschnittlichen Einkommens einer Thai-Familie. Nicht gerechnet Maßnahmen, die dazu dienen, das Leben zu verlängern.334 Nach Angaben der WHO verursacht AIDS Verluste der Weltwirtschaft in Höhe von mehr als siebzig Milliarden Mark jährlich, wobei die Entwicklungsländer die Hauptleidtragenden sind.335

Uganda, lange Jahre von seinem irrwitzigen Diktator Idi Amin terrorisiert, hatte nach dessen Sturz nur wenig Zeit, die neu errungene, wenn auch begrenzte und gefährdete Freiheit zu genießen. Der Tod, der das Land nun massenhaft überzieht, ist heimtückischer als Amin und systematischer, als alle Killerkommandos es sein könnten. Erst Jahre nach der Infektion bricht die Krankheit aus, um sich dann mit anderen Geißeln zu einem todbringenden Bündnis zusammenzuschließen. Die Weltgesundheitsorganisation prognostiziert, daß im Jahr 2000 statt der ursprünglich erwarteten 37 Millionen Ugander 20 Millionen leben werden, genausoviel wie heute.

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Wie die meisten Experten vertritt der Freiburger Journalist Uwe Jungfer, ein Kenner der tödlichen Materie, die Auffassung, daß die Immunschwäche­krankheit bald die führende Todesursache in der Dritten Welt sein wird.336 Längst sind die Zeiten vorbei, in denen Homosexuelle und Drogenabhängige allein als gefährdet galten. In Afrika wird die Zahl HIV-infizierter Frauen auf 1,5 bis 2,9 Millionen geschätzt, von denen jede im Schnitt zwei Waisenkinder hinterläßt. Etwa ein Drittel der Kinder AIDS-kranker Mütter sind mit ihrer Geburt zum verfrühten Tod verurteilt, vier Fünftel von ihnen sterben vor dem fünften Geburtstag.

In diesem Jahrzehnt wird die Immunschwächekrankheit nach WHO-Angaben zehn Millionen Kinder unter zwölf Jahren zu Waisen machen, viele von ihnen werden selbst das Virus in sich tragen. So werden die Bemühungen, die Kindersterblichkeit zu senken, zunichte gemacht: zum einen durch den AIDS-Tod und zum anderen durch ein millionenfaches Dahinsiechen der Mütter, die kaum in der Lage sind, ihre Kinder zu versorgen.337

 

Der »Spiegel« hat im Mai 1993 in einer sorgfältig recherchierten, umfassenden Reportage die Daten zusamm­en­getragen, die das Horrorgemälde ausmachen.338 Demnach waren im Jahr 1992 weltweit mehr als 2 Millionen Menschen erkrankt und mehr als 11 Millionen infiziert: mehr als 7 Millionen in Afrika, 1,4 Millionen in Lateinamerika, rund 1,3 Millionen in Asien und 1 Million in Nordamerika. Zurückhaltende Voraussagen gehen für das Jahr 2000 von 40 Millionen Angesteckten aus, eine Studie der US-amerikan­ischen Harvard-Universität unterstellt gar ein Wachstum der Infektionen auf 120 Millionen, mehr als vier Fünftel davon in der Dritten Welt. Dort sucht sich die Krankheiten die meisten Opfer, weil die Armut Menschen in die Prostitution und die Drogen­kriminalität treibt und mangelnde Bildung wie Sexual­aufklärung das ihrige beitragen.

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Folgt man den Zahlen, die das Nachrichtenmagazin vorgelegt hat, dann ergibt sich das folgende düstere Bild: Im Jahr 2000 leben in Nordamerika und Lateinamerika jeweils mehr als acht Millionen HIV-Infizierte, in Westeuropa 2,3 Millionen, in Nordafrika und Arabien 3,5 Millionen, in Nordostasien eine knappe halbe Million, in Schwarzafrika mehr als 33 Millionen und in Süd- und Südostasien 45 Millionen. So vorsichtig alle Schätzungen betrachtet werden müssen, die Verhältnisse sind klar: Dort, wo Armut und Hunger Regie führen, tobt sich die Immunschwächekrankheit am wirkungsvollsten aus. Dort, wo am meisten getan werden müßte, um den Menschen das Überleben zu sichern, zeitigt das AIDS-Virus superexponentielle Wachstumserfolge.

Auf Afrika, wo 1990 die Hälfte der AIDS-Kranken der Erde lebte, entfielen 2 Prozent der weltweiten Ausgaben zur Bekämpfung der Immunschwäche­krankheit. 85 Prozent dagegen investierten die Industrie­staaten in die Behandlung »ihrer« HIV-Infizierten. Gerade mal 0,3 Prozent der westlichen Entwicklungs­hilfe­gelder wurden verwandt, um die Seuche anzugehen.339 Um deren Ausbreitung zu begrenzen, müssen aber nach Meinung des Direktors des WHO-AIDS-Programms, Michael Merson, etwa 4,5 Milliarden Mark jährlich in Aufklärungs- und Kondomprogramme investiert werden.340 Das ist weit mehr als die Hälfte der deutschen Entwicklungshilfegelder.

Angesichts dieser globalen Bedrohung sind die Anstrengungen der Bundesregierung bisher kläglich. Insgesamt hat Bonn zwischen 1986 und 1992/93 für AIDS-Kontrollprogramme etwas mehr als hundert Millionen Mark ausgegeben, darunter dreizehn Millionen für das AIDS-Programm der Weltgesundheits­organisation. Mehr als neun Millionen flössen in diesem Zeitraum für diesen Zweck an kirchliche Hilfswerke.341

Hier muß gefragt werden, ob die geradezu absurde Haltung besonders der katholischen Kirche hinsichtlich Sexualaufklärung und Empfängnisverhütung es rechtfertigt, auch nur einen Pfennig Steuergelder zu investieren in das geistige Mittelalter. Der 1987 verstorbene Kölner Kardinal Joseph Höffner erklärte:

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»Wir nennen das Kranksein eine Heimsuchung Gottes. So ist es auch bei der AIDS-Krankheit.« Der Papst ließ es sich nicht nehmen, darauf zu verweisen, daß der »Mißbrauch der Sexualität« — also ihr Gebrauch zu anderen Zwecken, als in gesegneter Ehe Kinder zu zeugen — die Immun­schwäche­krankheit fördere.

Er verdammte die Benutzung von Kondomen »als tiefe Verletzung der Würde der Person und damit als moralisch unerlaubt«. 

Als Höhepunkt denunzierte das Oberhaupt der katholischen Kirche AIDS-Infizierte als Geisteskranke: 

»Man ist der Wahrheit nicht fern, wenn man sagt, daß parallel zur Verbreitung von AIDS sich eine Art 'Immunschwäche' auf der Ebene der Werte des Lebens gezeigt hat, die durchaus als eine echte Krankheits­form des Geistes anzusehen ist.« 

Es paßt ins Bild, daß der Papst während einer Ugandareise versuchte, eine Aufklärungs- und Kondom­kampagne der Regierung zu konterkarieren, indem er »Enthalt­samkeit als den einzigen Weg« beschrieb, wie der Pandemie zu begegnen sei.342)

In Argentinien hat die Kirche daraufhingewirkt, daß in der staatlichen AIDS-Aufklärung alle Hinweise auf Homosexualität, Sexualität schlechthin und Kondome unterbleiben, und damit das ganze Unternehmen wertlos gemacht.343 Auf den Philippinen, wo 35.000 Menschen HIV-infiziert sind, verteufelt die mächtige katholische Amtskirche Empfängnis­verhütung und Präservative.344

Genug der Beispiele. Sie zeugen, bei allem Respekt, von einer tödlichen Existenzweise der Religiosität.

Angesichts des großen Einflusses, den der Vatikan in Teilen der Dritten Welt nach wie vor ausübt, ist seine AIDS-Politik mitverantwortlich für eine große Zahl von HIV-Infektionen und den Immunschwächetod ungezählter Menschen.

 

   Totgeglaubte Krankheiten breiten sich aus  

 

Die heute bekannten Zahlen verdeutlichen, daß trotz der Millionen von Opfern AIDS das Bevölkerungs­wachs­tum insgesamt kaum verlangsamt, wenn es auch in einzelnen Regionen weit überdurch­schnittlich viele Opfer fordert.

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Gehen wir von der grausigsten Schätzung für das Jahr 2000 aus, dann sind von wenigstens 6,2 Milliarden Menschen 120 Millionen infiziert, das entspricht dem Eineinhalbfachen der heutigen Bevölkerung Deutschlands. Dieser Zahlenvergleich ist nicht geeignet, die pandemische Dimension der Immunschwäche­krankheit zu relativieren, er zeigt lediglich, in welch unvorstellbare Dimensionen der Bevölkerungs­zuwachs enteilt ist. Nein, es handelt sich hier um zwei Bedrohungen, die sich nicht zuletzt in Gestalt demographischer Verheerungen aufs mörderischste zusammentun.

Und als wäre dies nicht genug, hat sich eine Geißel der Menschheit zurückgemeldet. 

Die Schreckens­nachrichten erreichten uns im Spätsommer 1994 aus Indien. Zwar hat es immer Pestfälle gegeben, vorzugsweise in Armutsregionen, aber die epidemische Gewalt des Schwarzen Tods in indischen Städten alarmierte die Weltöffentlichkeit. Im 14. Jahrhundert hatte die Seuche, aus der Wüste Gobi kommend, ganze Landstriche Europas entvölkert, Staaten erschüttert, die Wirtschaft gelähmt und Weltunter­gangs­visionen hervorgerufen. Die Menschen fürchteten in dieser Zeit nichts mehr als den Krieg und die Pest. Im Jahr 1896 schlug die Seuche ein letztes Mal zu, auch damals in Indien. Als der Urheber — das Bakterium Yersinia pestis — erkannt und der Übertragungsweg — von Wanderratten auf Hausratten und von diesen auf den Menschen — verfolgt war, konnten wirksame Gegen­maßnahmen eingeleitet werden.

Um die Ratten vom Menschen fernzuhalten, bedarf es vor allem der Hygiene. Sollte es doch zu vereinzelten Ansteckungen kommen, helfen Antibiotika. Die Lungenpest, die gefährlichste Form der Seuche, hielt man lange Zeit für ausgerottet.

Aber dann die Katastrophe in Indien, mitten im Aufbruch vom Entwicklungsland zum Industriestaat. Im Eiltempo wachsen die Industrien und strömen die Menschen in die Städte. Die Slums weiten sich aus, dort gibt es keine sanitären Einrichtungen und keine Müllabfuhr — ein Paradies für die Ratten. In solchen Gegenden haben Yersinia pestis und andere Krankheitserreger beste Aussichten.

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Kommen Wanderratten, die das Pestbakterium tragen, in die Menschenknäuel der Metropolen, bricht über kurz oder lang die Pest aus, sobald Menschen Kontakt haben mit den Nagern. Über Tröpfcheninfektionen stecken sich dann die Menschen gegenseitig an. Können die Behörden das Krankheitsgebiet nicht kontrollieren, breitet sich die Seuche aus, auch auf den modernen Verbindungswegen des Subkontinents.

Extremdosen von Tetracyclinen, möglichst früh verabreicht und regelmäßig eingenommen, versprechen Abhilfe. Wer sich, wie viele Menschen, der Gesundheits­kontrolle, etwa aus Unwissenheit, entzieht, steckt weitere Menschen an, bevor er elend stirbt. Heute ist die Pest das Ergebnis eines Wachstumswahns, der nicht Entwicklung im Sinn hat, sondern den schnellstmöglichen Wirtschafts­aufschwung.

Viele Krankheiten, die die Menschen in der Dritten Welt befallen, wären vermeidbar. Aber schon die oft weiten Wege zum nächsten Arzt, sofern es einen gibt, fehlende Bildung, mangelnde Hygiene, unzureichende Trinkwasserversorgung und alle anderen Symptome der Armut machen Erkrankungen, die uns längst fremd sind, zur tödlichen Bedrohung. Hinzu kommt eine oft eklatante Lücke in der Arzneimittelversorgung.

Schon seit den siebziger Jahren versucht die WHO, die Klassenunterschiede im Gesundheitswesen der Dritten Welt abzubauen. Es ist ein himmelschreiender Skandal, daß sich in vielen Ländern reiche städtische Eliten mit sündhaft teuren Luxuspharmazeutika kurieren, während der Landbevölkerung nicht einmal eine medizinische Grundversorgung zugestanden wird. Viele Dritte-Welt-Länder belasten ihren Staatshaushalt mit hohen Kosten für Arzneimittelimporte.

Die Weltgesundheitsorganisation hat im Oktober 1977 eine Liste von 200 Medikamenten ausgestellt, die sie für wirksam, unverzichtbar und billig hält.345 Sie ist inzwischen auf 240 Präparate angewachsen. Sie tat dies gegen den Widerstand vor allem der europäischen und hier besonders der auf dem alten Kontinent führenden deutschen Pharmamultis, die sich gerne als »Apotheke der Welt« preisen.

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Im Jahr 1984 stammten die meisten Medikamentenimporte in der Dritten Welt von europäischen Pharma­riesen: Es waren 96 Prozent in Afrika, 58,4 Prozent in Asien (einschließlich Japan) und 49,3 Prozent in Lateinamerika.346

Fast ein Viertel aller weltweit produzierten Medikamente wird in der Dritten Welt verbraucht, aber nur fünfzehn Prozent dort hergestellt. Darunter finden sich, wie im Norden auch, unzählige unwirksame, überflüssige, aber auch schädliche Arzneien. Nach UNICEF-Berechnungen von 1991 werden in den Entwicklungsländern jährlich zwei Milliarden Mark für dubiose Mittel gegen Durchfallerkrankungen und Atemwegsinfektionen vergeudet. Wie notwendig die Reduktionsbemühungen der WHO sind, zeigt die unglaubliche Tatsache, daß in Entwicklungsländern oft mehr als 10.000 Pillen, Tropfen und so weiter angeboten werden, in Indien gar 25.000347, die oft ohne jede behördliche Kontrolle den Markt überschwemmen. Die meisten Medikamente dürften wohl auf dem fragwürdigen Weg der Selbstmedikation zum Patienten wandern. Wie dem auch sei, im Süden tut sich ein riesiger Wachstums­markt auf für die Pillengiganten des Nordens.

 

   Pharma-Müllkippe Dritte Welt  

 

Die beiden deutschen Pharmaexperten Robert Haitog und Hermann Schulte-Sasse, Mitstreiter im rührigen und verdienstvollen Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO), haben in einer minuziös recherchierten Studie über die Rolle der deutschen Pharmaindustrie in der Dritten Welt belegt, was Kritiker immer wieder behauptet und Industrievertreter immer wieder bestritten haben: daß nämlich deutsche Unternehmen Medikamente in Entwicklungsländern verkaufen, die auf dem heimischen Markt verboten oder zurückgezogen worden sind. Schon 1987 hatte der 90. Deutsche Ärztetag einen Antrag verabschiedet, der die Geschäftspolitik deutscher Pharmaunternehmen als »unethisch« und »unmoralisch« anprangert.

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Es lohnt sich, daß wir uns mit der Studie von Hartog und Schulte-Sasse näher befassen. Für das Jahr 1988,dem Endpunkt der Untersuchung, kommen sie zu dem Ergebnis, daß 106 Arzneimittel, die seit 1975 aus der bundesdeutschen Roten Liste gestrichen worden sind, in Entwicklungsländern angeboten werden. 87 davon fallen in die Rubrik der »irrationalen Kombinations­präparate«, in denen also entgegen jeglicher medizinischer Vernunft und ohne therapeutischen Nutzen verschiedene Wirkstoffe zusammengemischt wurden. Das ist schlimm genug. Der Skandal aber wird offenkundig durch Einzelfälle.

 

Beispiel Nr. 1: Cumorit. Es wurde bis 1978 in England und bis 1981 in der Bundesrepublik Deutschland angeboten zur Anwendung bei der »sekundären Amenorrhö«, dem Aussetzen der Menstruation bei der geschlechtsreifen Frau. Schon in den siebziger Jahren war das Kombinationspräparat verdächtigt worden, fruchtschädigend zu wirken. Erst nach Kritik entwicklungs­politischer Gruppen hat der Hersteller, die Schering AG, das Mittel 1987 auch in der Dritten Welt vom Markt genommen.

Beispiel Nr. 2: Neoviasept. Das gesundheitlich bedenkliche, arsenhaltige Mittel der Hoechst AG wurde bereits 1966 aus der Roten Liste gestrichen und 1973 dann vom westdeutschen Markt zurückgezogen. Nachdem die Kritik an dem Präparat gegen Amöbenruhr immer lauter geworden war, sagte der Hersteller 1986 zu, die Produktion einzustellen. Im Dezember 1987 wurde die französische Hoechst-Filiale aber dabei erwischt, Neoviasept ins afrikanische Burkina Faso geliefert zu haben.

Beispiel Nr. 3: Prevethenat. Die Arznei wurde in Entwicklungsländern gegen Infektionskrankheiten aller möglichen Art verkauft. Der darin unter anderem enthaltene Wirkstoff Streptomycin kann Taubheit verursachen und die Nieren schädigen. Seit 1976 gibt es das Präparat in der Bundesrepublik nicht mehr, erst neun Jahre später verschwand es auch aus den Apotheken der Dritten Welt.

Beispiel Nr. 4: phenforminhaltige Arzneimittel. Dem Antidiabetikum Biguanid Phenformin wurde in Westdeutschland 1978 die Registrierung entzogen, weil die Gefahr besteht, daß es Laktazidose hervorruft, eine Stoffwechselstörung. Dennoch boten Boehringer Mannheim, Hoechst und Kali Chemie phenforminhaltige Präparate unter verschiedenen Namen weiterhin in Mexiko an.

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Beispiel Nr. 5: metamizolhaltige Arzneimittel. Ende 1986 begrenzte das Bundesgesundheitsamt das Anwend­ungs­gebiet des schmerzlindernden Mittels Metamizol. Kurz darauf verordnete es für metamizol­haltige Kombinations­präparate ein Ruhen der Zulassung, im Februar 1990 schließlich wurde diesen Kombinations­mitteln die Zulassung entzogen. Trotzdem wurden in Entwicklungsländern mindestens bis 1988 von verschiedenen Pharmaunternehmen insgesamt 37 Kombinationspräparate verkauft. Auch nach dem endgültigen Zulassungsverbot vertrieb zumindest Hoechst seine Produkte weiter, ja, erhöhte sogar die Marketing­anstrengungen.

 

In diesem wie in anderen Fällen argumentieren Arzneimittelhersteller gemeinhin, sie richteten sich nach Vorschriften der nationalen Überwachungsbehörden, wenn sie Medikamente anböten, die in Deutschland aus dem Verkehr gezogen worden sind. Daß dieses nicht immer zutrifft, zeigt die Tatsache, daß die philippinische Hoechst-Filiale 1988 gegen die dortige staatliche Arzneimittelbehörde klagte, weil diese dem metamizolhaltigen Kombinationspräparat Baralgin die Zulassung entzogen hatte. Hinzu kommt die auch deutschen Pharma­unternehmen geläufige Erkenntnis, daß die Arzneimittelbehörden in der Dritten Welt nur in ihrer verschwindenden Minderzahl ihren Aufgaben gerecht werden.

Das mittlerweile aufgelöste Bundesgesundheitsamt stand im Ruf, industriefreundlich zu arbeiten, und es hatte in der Tat die Wirtschaftsinteressen der Pharmaindustrie stets im Auge. Um so schwerer wiegen Medikamenten­verbote oder Indikations­einschränkungen dieser Behörde. Keinem Medikament dürfte die Zulassung entzogen worden sein, ohne daß dafür gute Gründe vorhanden waren. Sie waren aber in einigen Fällen offensichtlich nicht so wichtig wie die Wirtschaftsinteressen der deutschen Pharmariesen.

Beispiel Nr. 6

Butazon-Glukokortikoid-Kombinationen. Sie wurden mit Wirkung vom 1. Januar 1985 in Westdeutschland verboten. Trotzdem wird im brasilianischen Arzneimittelverzeichnis 1988/89 ein deutscher Hersteller aufgelistet, der ein entsprechendes Präparat anbietet.

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Der Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen hat für die Jahre 1986 und 1987 das Verkaufs­gebaren großer deutscher Pharmakonzerne in einigen Entwicklungsländern untersucht. Im Fall der Hoechst AG ergab sich, daß etwa die Hälfte der angebotenen Medikamente überflüssig oder sogar gefährlich war. In diesem Zusammenhang fällt auch auf, daß viele Präparate, die in Deutschland vor einem Verbot »freiwillig« vom Markt genommen worden sind, in Entwicklungsländern verkauft werden — »drug-dumping« heißt das im Fachjargon.

Der hier beispielhaft skizzierten Verkaufspraxis liegt ein doppelter ethischer Standard zugrunde. Der bloße Hinweis auf besondere Risiken eines Medikaments müßte genügen, seinen Verkauf einzustellen, bis alle Zweifel ausgeräumt sind. Ein Verbot einer nationalen Arzneimittelbehörde, gleich in welchem Land, müßte bewirken, daß das betreffende Präparat sofort überall aus dem Verkehr gezogen wird. Im geringsten Fall ist ein solches Präparat therapeutisch sinnlos, in der Regel allerdings dürfte das von ihm verursachte Risiko seinen Nutzen überschreiten.

Wenn ein Medikament einen Deutschen gefährdet, gefährdet es auch einen Afrikaner, Lateinamerikaner oder Asiaten. Diese Aussage ist an Banalität nicht zu übertreffen. Wer es für zumutbar hält, einen Nigerianer, Peruaner oder Inder einem größeren Medikamenten­risiko auszusetzen als einen Deutschen, überschreitet beim Verfolgen seiner Wirtschaftsinteressen nicht nur moralische Grenzen, er denkt auch rassistisch. Die seriösen Manager in Deutschlands noblen Pillenfabriken würden einen solchen Anwurf natürlich empört zurückweisen und zu Recht darauf verweisen, daß aus ihren Mündern nie ein Wort gekommen sei, das eine derart üble Verdächtigung rechtfertigen könne. 

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  Latenter Rassismus  

 

Aber es geht hier nicht um den Schaum vor dem Mund von Nazis und anderen Unverbesserlichen, sondern um einen latenten Rassismus, der viele Gestalten annehmen kann und sich bestens zu tarnen weiß. Viele, die ihn pflegen, dürften sich dessen nicht einmal bewußt sein. Er paart sich in unserem Fall ideal mit den Geschäftsinteressen großer Firmen und einer auf Export ausgerichteten Wirtschaftspolitik. Hat der Rassismus in seiner offenen Form trotz aller Gewalttaten in absehbarer Zeit keine Aussichten, sich in Deutschland durchzusetzen, so hat der latente Rassismus nie eingebüßt an Lebenskraft.  

Er versteckt sich raffiniert hinter dem Schein bürgerlicher Anständigkeit und entzieht sich der Bilderwelt der Medien. Das Opfer eines Nazi-Überfalls und grölende Skinheads lassen sich gut filmen, der komplizierte Ursache-Wirkungs-Mechanismus des latenten Rassismus ist für Kameras unerreichbar. Es genügt in Zeiten der politischen Korrektheit, sich an eingeführte Sprachrituale zu klammern, um unterderhand fast völlig ungestört Wirkungen erzielen zu können, die viel zerstörerischer sind als das, was eine Horde enthemmter brauner Hohlköpfe anzurichten vermag.

Patrick Marnham berichtet von einem in dieser Hinsicht aufschlußreichen Ereignis in Gambia.348 Um festzustellen, ob und, wenn ja, welche Zusammen­hänge es gibt zwischen Chromosomen und Krankheit, hat der britische Medizinische Forschungsrat 25 Jahre lang die Menschen von vier Dörfern beobachtet und sie zu diesem Zweck ständig bewachen lassen. Voraussetzung für einen Erfolg dieses Experiments war, daß die Dörfler medizinisch so gut wie nicht behandelt wurden. Ein Vierteljahrhundert lang weigerten Ärzte sich, in diesen Anwesen ihre Pflicht zu tun. Der Skandal, der in diesem Vorgang steckt, wird spätestens dann offenbar, wenn wir nur einen Augenblick lang die Frage erwägen, ob so etwas in Europa oder Nordamerika möglich wäre. Natürlich nicht. Ein Aufschrei öffentlicher Empörung würde jeden hinwegfegen, der es auch nur wagen würde, einen Menschenversuch dieser Art theoretisch als wünschenswert zu betrachten. Aber die Menschen in Gambia sind weit weg. Und sie sind schwarz.

Wer eine schwarze Hautfarbe trägt, ist auch sonst schlecht dran bei der Gesundheitsversorgung. Ich habe keinen Zweifel daran, daß die großen Summen, die in Nordamerika und Europa in die AIDS-Forschung gesteckt werden, nicht ausgegeben würden, wenn allein Menschen in der Dritten Welt betroffen wären. Heutige und künftige Kranke in Entwicklungsländern haben das Pech, anders zu sein und nicht über genügend Kaufkraft zu verfügen. Sie verheißen keine Wachstumsmärkte. Die Medizin, so wie sie heute ist, ist die Medizin des reichen weißen Mannes.

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 Von Christian von Ditfurth 1995