Weltschulden      Start    Weiter

Teil 4  Weltschulden 

 

4.1 - Die Zwillinge von Bretton Woods 

 

 

231-262

Mitten im Zweiten Weltkrieg dachten die späteren Sieger darüber nach, wie sie die Welt im Frieden ordnen könnten.(432) Auf internationalen Konferenzen einigten sich die Führer der Anti-Hitler-Koalition auf neue Grenzen und Einflußsphären. Die Treffen und Vereinbarungen des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, des britischen Premierministers Winston S. Churchill und des sowjetischen KP-Chefs Josef Stalin füllten die Spalten der Weltpresse und das Zelluloid der Wochen­schauen. 

Dagegen zunächst weitgehend unbemerkt, aber keineswegs weniger wichtig waren die wirtschaftlichen und währungspolitischen Vorkehrungen, die vor allem die Vereinigten Staaten für die Zeit nach dem Krieg trafen. Während das System von Jalta längst zusammengebrochen ist, erfreuen sich die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF), die »Zwillinge von Bretton Woods«, bester Gesundheit.

  wikipedia  Bretton-Woods-System   Ort im Nordosten der USA im Bundesstaat New-Hampshire

In dem kleinen Ort im US-Bundesstaat New Hampshire beschlossen 44 Mitgliedsstaaten der frisch gegründeten UNO im Juli 1944, ihre Wirtschafts- und Währungs­politik zu koordinieren. Besonders das durch Hitler-Deutschlands Krieg verwüstete Europa sollte rasch wieder aufgebaut werden. Dazu und um die ökonomische Entwicklung ihrer Mitglieder zu fördern, gründeten die UNO-Delegierten die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (International Bank for Reconstruction and Development: IBRD), kurz Weltbank genannt. 

Zusammen mit ihren 1956 und 1960 ins Leben gerufenen Filialen, der Internationalen Finanzgesellschaft (International Finance Corporation: IFC) und der Internationalen Entwicklungs­organisation (International Development Association: IDA) bildet sie die sogenannte Weltbank-Gruppe, zu der später noch die Multilaterale Investitions-Garantie-Agentur (Multilateral Investment Guarantee Agency: MIGA) und das Internationale Zentrum für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (International Center for the Settlement of Investment Disputes: ICSID) kamen. 

Von besonderer Bedeutung ist die IDA für die bitterarmen Entwicklungsländer: Erreicht deren Pro-Kopf-Einkommen nicht 1235 US-Dollar im Jahr, erhalten sie Darlehen zu Sonderkonditionen.

Die Weltbank ist eine weisungsunabhängige Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Im Gegensatz zur UNO, in der jedes Mitglied eine Stimme hat, hat in der Weltbank das Land mehr zu sagen, das mehr Kapital eingezahlt hat. Die fünf größten Anteilseigner am Gesamtkapital von etwa 160 Milliarden US-Dollar, USA, Japan, Deutschland, Großbritannien und Frankreich, haben jeweils einen festen Sitz im Aufsichtsrat, die verbleibenden rund 170 Mitglieder teilen sich die 17 verbleibenden Mandate, wobei deren Inhaber für zwei Jahre gewählt werden von allen Mitgliedern. Der Präsident der Weltbank kommt immer aus den Vereinigten Staaten. Aufgrund des überproportionalen Gewichts der Industriestaaten kann gegen ihr Votum praktisch kein Kredit vergeben werden.

Nachdem Westeuropa sich nicht zuletzt durch Kredite der Weltbank erholt hatte von den Kriegsfolgen, hat die Bank ihr Augenmerk auf die Dritte Welt gerichtet und seit dem Zerfall des Sowjetblocks auch auf Osteuropa. Ihre Darlehenszusagen erreichten im Geschäftsjahr 1993 rund siebzehn Milliarden US-Dollar, von denen der größte Anteil traditionell an Regierungen ging. Die Bank vergibt Kredite meist für eine Laufzeit zwischen fünfzehn und zwanzig Jahren. Die Rückzahlung erfolgt nach einigen tilgungsfreien Jahren meist nach Konditionen, die denen auf dem freien Finanzmarkt gleichen.433

Die Weltbank ist nicht nur der größte Einzelkreditgeber dieser Erde, sondern besitzt auch über die vergebenen Dollarmilliarden hinaus erhebliche Reserven. 18,5 Milliarden Dollar ist ihr Investmentfonds wert, der Staatsanleihen und Industrieaktien umfaßt. Im Jahr 1993 kassierte die Bank allein dafür 1,13 Milliarden Dollar Zinsen. Keine andere Bank dieses Planeten kann es mit ihrem Reichtum aufnehmen.434

232


Obwohl ihre Mittel ursprünglich aus Staatshaushalten stammen und ihre Mitglieder Regierungen sind, ist die Auskunfts­bereitschaft, der Weltbank gegenüber der Öffentlichkeit nicht stark ausgeprägt. Ihre Exekutivräte sind nicht verpflichtet, über die Aktivität der Bank zu informieren, und die Menschen, die in den nicht selten zweifelhaften Genuß von weltbankgeförderten Projekten kommen, haben nichts zu sagen — obwohl das Modewort »Partizipation« fröhliche Urständ feiert in der entwicklungspolitischen Debatte. Nach den eigenen wachstumsfixierten Kriterien der Bank sind 37,5 Prozent, ihrer 1991 abgeschlossenen Projekte gescheitert. In Wahrheit dürfte der Anteil höher liegen.435 Aber das sagt die Weltbank nicht denn mit Demokratie und Transparenz hat sie nicht viel im Sinn.

Ein amerikanischer Kritiker der Weltbank, Bruce Rich, wirft ihr und ihren Mitgliedern vor, daß das Management jahrelang ohne jede Rechenschaftspflicht agieren kann, daß selbst Mitgliedsregierungen nicht wissen, was intern vorgeht, und daß Manager den Exekutivrat täuschen, ohne daß dies geahndet würde. Dies alles werde geduldet, weil die Bank ein ideales Mittel sei, ein entwicklungspolitisches Engagement des Nordens vorzuspiegeln und auf Forderungen der Öffentlichkeit, zum Beispiel nach mehr Umweltschutz, bestenfalls kosmetisch zu reagieren. 

Die Bank diene als »gefährliches, irreführendes Alibi«, schreibt Rich. Nach seiner Auffassung machen die Entwicklungsländer (genauer gesagt, deren Regierungen) mit, weil sie inzwischen süchtig seien nach dem Geld der Bank. »Die Kreditvergabe der Bank (...) ist nichts anderes als eine Maschinerie weltweiter politischer Patronage, für die es in der Weltgeschichte kein Beispiel gibt. Sie schmiert das Getriebe der Bürokratien im Finanz- und Planungswesen, in der Energiewirtschaft und der Landwirtschaft. In der gesamten Dritten Welt fördert sie den Ehrgeiz der in diesen Bereichen beschäftigten Kader.«436

Zum fünfzigsten Jahrestag erhielt die Weltbank nicht nur Lob, dieses vorzugsweise aus den Reihen ihres Führungs­personals und der Entwicklungspolitiker des Nordens.

233


Ein Sprecher einer US-amerikanischen Anti-Weltbank-Initiative mit fünf Millionen Mitgliedern erklärte lapidar: »Die Bank hat mehr geschadet als genützt.« Selbst wenn sie bestens Willens wäre, Armen zu helfen und nicht allein der Wachstumswirtschaft Schneisen zu schlagen, wüßte sie gar nicht, ob sie dabei Erfolg hätte, denn eine ordentliche Buchführung oder Projektkontrolle kennt sie nicht.437

 

     Die Welt retten und daran Geld verdienen    

 

Kreditbewilligungen der Weltbank hängen nicht nur ab von Entscheidungen der Anteilseigner, sondern auch von der Zustimmung des Internationalen Währungsfonds. Der IWF wurde als autonome UNO-Sonder­organisation im Jahr 1945 gegründet auf der Grundlage des Abkommens von Bretton Woods. Seine Hauptaufgabe besteht bei allen Variationen im vergangenen halben Jahrhundert darin, die Stabilität der Währungen in den Mitglieds­staaten zu kontrollieren und zu fördern. 

Der Weltwährungsfonds gewährt Darlehen, »Ziehungen« genannt, wenn die Zahlungsbilanz eines Staates nicht stabil ist, unvorhergesehen Exporterlöse ausfallen oder Nahrungsmittelimporte plötzlich teurer werden als geplant. Die Mitgliedsstaaten müssen Kredite zu diesen und anderen Zwecken meist relativ kurzfristig zurückzahlen. Der Fonds zählte 1994 178 Mitgliedsstaaten. Sie alle mußten sich vor dem Beitritt verpflichten, währungs­politisch eng mit dem IWF zusammenzuarbeiten.

Der Fonds ist recht kompliziert gegliedert. Jeder Mitgliedsstaat hat einen Sitz im Gouverneursrat, meist schicken die Regierungen den Finanzminister oder den Notenbankpräsidenten. Jeweils elf Mitglieder aus Industriestaaten und Entwicklungsländern bilden den sogenannten Interimsausschuß, der die wichtigsten Entscheidungen fällt. Die Geschäfte führt sonst ein Gremium von Exekutivdirektoren. Ihm gehören wiederum die fünf rührenden Industrie­staaten, die beiden wichtigsten Gläubigerländer — USA, Saudi-Arabien — sowie sechzehn weitere, gewählte Vertreter an.

234


Hier wird entschieden fast wie auf der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft. Wer die höchste Wirtschaftskraft aufweist, besitzt die meisten Stimmen. Denn zu den Basisstimmen, die jedes Land nach dem UNO-Prinzip besitzt, kommen sogenannte Quotenstimmen, deren Zahl letztlich abhängig ist vom Brutto­sozialprodukt. Zwar sind in den vergangenen fünfzig Jahren überproportional viele Entwicklungsländer dem IWF beigetreten, was die Zahl der Basisstimmen für die Dritte Welt entsprechend steigen ließ. Aber gleichzeitig hat sich das Gewicht der Quotenstimmen verzwanzigfacht, was die Verschiebung der Machtverhältnisse bei den Basisstimmen auf den Kopf gestellt hat. Der Anteil der Basisstimmen an der Gesamtstimmzahl ist auf 3 Prozent gefallen, der der Quotenstimmen auf 97 Prozent davongaloppiert.438 Im Jahr 1993 verrügten 135 Entwicklungsländer, in denen 78 Prozent der Weltbevölkerung lebten, über 34 Prozent der Stimmen. Zentrale Beschlüsse benötigen eine Mehrheit von 85 Prozent, was bedeutet, daß die USA mit rund 20 Prozent Anteilen jederzeit ihr Veto einlegen können.

Wie die Weltbank fordert der Währungsfonds Demokratie von seinen Mitgliedern; er ist aber selbst nicht bereit, demokratischen Mindestgeboten zu folgen. Seine Dokumente, Länderberichte und Protokolle sind in der Regel nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Der IWF ist ins Zentrum des Interesses gerückt, als die Schuldenkrise zu Beginn der achtziger Jahre einsetzte.

Wer bei einem der Zwillinge Schulden machen will, muß sich zum Teil drastischen Auflagen des IWF unterwerfen, die vor allem darauf abzielen, die Zahlungsbilanz des betreffenden Landes zu verbessern. IWF und Weltbank arbeiten Hand in Hand in der Entwicklungspolitik. Sie genießen eine große Unabhängigkeit auch gegenüber den schwergewichtigen Anteilseignern, schließlich verfolgen die Zwillinge von Bretton Woods und die führenden Industriestaaten die gleichen Wachstumsziele. Weltbank und Währungs­fonds setzen darauf, daß der Export der Marktwirtschaft und ihrer Werte die Schlüssel sind, um tatsächliche oder vermeintliche Unterentwicklung aufzuheben.

235


Die Weltbank reagiert auf die immer wieder aufflammende Kritik an ihrer Aktivität in der Dritten Welt seit einiger Zeit mit dem Hinweis, daß sie sich der Umwelt und der Armutsbekämpfung verschrieben habe. In der Agrarpolitik unterstützt sie etwa in Westafrika, was ursprünglich die einstigen Kolonialherren eingeführt hatten. Sie gewährt Kredite an Kleinbauern, die Exportfrüchte wie Kakao, Baumwolle oder Kautschuk anbauen, die dann von europäischen oder nordamerikanischen Unternehmen weiterverarbeitet werden. Zwar gibt es staatliche Garantiepreise, aber das beträchtliche verbleibende wirtschaftliche Risiko liegt allein bei den Bauern und nicht bei den deren Rohstoffe verwertenden Konzernen.439)

Als Kreditnehmer auf dem Land kommen sonst vornehmlich jene in Betracht, deren Tätigkeit Gewinn verspricht. Das sind überwiegend Großbauern, die für Märkte produzieren und Gelderlöse erzielen, »Bauern mit Investierungsmöglichkeiten« heißt das im Weltbankerjargon.440) Die Bank will nämlich die Welt retten und gleichzeitig Geld daran verdienen. Aber erst wenn sie die Selbstversorgungswirtschaft massiv unterstützten, könnten IWF und Weltbank beanspruchen, die Armut zu bekämpfen. Die Aussichten dafür aber sind trüb. Genauso düster bestellt ist es um die Anstrengungen der Bank in Sachen Erziehung, Gesundheit und Bevölkerungspolitik, wofür 1992 gerade mal dreizehn Prozent der Kredite gedacht waren.441

Insgesamt fließen die meisten Kredite nicht zugunsten von Armen und Hungernden, sondern in Infrastrukturprojekte von Entwicklungsländer-Regierungen, also in Kraftwerke, Eisenbahnen, Straßen, Häfen, Telekomm­unikation. Das sind Investitionen, die zuerst Unternehmen des Nordens nutzen, denn sie erhalten die dicken Aufträge.

Auch wenn es banal klingt: Die Weltbank ist eine Bank und kein Weltsozialamt. Sie soll Wirtschafts­wachs­tum und ökonomische Stabilität gewährleisten. Wir haben erfahren, daß dies Hunger und Armut eher fördert als vermindert. Außerdem lassen sich Infrastruktur­projekte nur durchführen im Zusammen­wirken mit den städtischen Eliten in der Dritten Welt.

236


Das Engagement von Weltbank und IWF für den Umweltschutz ist dubios. Zum einen werden bei manchen Projekten ökologische Auflagen erzwungen, zum anderen aber sind die Zwillinge massiv daran beteiligt, das Amazonasgebiet zur Wirtschafts­wachstumszone umzugestalten mit verheerenden Wirkungen auf das Klima. Die Schizophrenie zeigt sich prototypisch an einem von der EU und der Weltbank finanzierten Eisenerzprojekt in Brasilien. Das Fünf-Milliarden-Dollar-Unternehmen unterliegt strengsten Umweltschutz­regeln, es ist geradezu eine ökologische Insel im Amazonaschaos, in dem Landvertriebene und Goldsucher den Tropenwald Baum für Baum zur Strecke bringen. Der Schönheitsfehler am Ökoprojekt: Die Weltbank erwartet, daß binnen sieben Jahren 1,4 Millionen Hektar Regenwald vernichtet werden müssen, wenn der Energiebedarf der Companhia Vale do Rio Doce wie geplant gedeckt werden soll.442

Im Nordosten Indiens entstehen mit Weltbank-Hilfe fünf Thermokraftwerke und verschiedene Industrie­komplexe. Sie vergiften die Böden mit Quecksilber, Cadmium und anderen Schwermetallen. Was mit den Menschen in der Region sonst geschieht, ist nicht weniger verwerflich: 300.000 Bauern vertrieb der wirtschaftliche Fortschritt von ihrem Land. Direkter läßt sich der Zusammen­hang nicht herstellen zwischen Industrialisierung und Armut.

Nun steht das indische Singrauli keineswegs als unglücklicher und bedauerlicher Einzelfall da. Seit zwei Jahrzehnten bezahlt die Bank Projekte, bei denen Menschen vertrieben werden. Laut einer bankinternen Studie verlieren wegen 215 laufenden oder geplanten Weltbank-Projekten vier Millionen Menschen ihr Land. Solche Zwangsumsiedlungen genügen schon per se nur in extremen Ausnahmefällen menschen­rechtlichen Standards. Aber auch ihre Durchführung hat oft genug mit Menschenwürde nichts zu tun. Viele der einstigen Bauern landen in den Slums der Städte, oder sie füllen die Reihen der Hungernden weiter auf — alles im Zeichen der Armutsbekämpfung.

237


Manchmal erreicht die Kritik sogar ihre Urheber. 1993 stellte eine Untersuchung der Weltbank für Latein­amerika fest: Dort »gibt es nicht einen einzigen Fall eines von der Bank finanzierten Projektes, der quantitativ demonstriert, daß Umsiedler in Hinblick auf Einkommen, gesundheitliche und soziale Fürsorge ausreichend entschädigt wurden«443. Es ist nicht überliefert, daß das Management daraus Konsequenzen gezogen hätte. Aber vielleicht hat es diese nur, wie manches andere, unter dem Deckel gehalten. Die bisherigen Umsiedlungs­berichte jedenfalls sind samt und sonders folgenlos in den Schubladen verschwunden.

Viele schädliche Entwicklungen in der Infrastruktur, in Landwirtschaft und Industrie in Dritte-Welt-Staaten, wie sie in diesem Buch beschrieben werden, wurden von Weltbank und IWF mitfinanziert. Die Zwillinge sind perfekte Werkzeuge, um der Weltwirtschaft den Weg zu bahnen. Sie sind die großen Gleichmacher in Sachen Ideologie (aber keineswegs hinsichtlich des Lebensstandards). Sie haben wesentlich beigetragen dazu, daß neben dem Gott des Wachstums kein anderer Gott mehr existiert.

Die Integration des Südens in die Weltwirtschaft ist das Ergebnis der Entwicklungspolitik der Industrie­staaten und ihrer hilfreichen Zwillinge. Und die Schuldenkrise wiederum ist das Produkt dieses entwicklungs­polit­ischen Erfolgs. Daß ausgerechnet Weltbank und IWF als Ärzte gerufen werden ans Bett der überschuldeten Dritten Welt, wäre fast komisch zu nennen, gäbe es da nicht Opfer.

 

Das Resultat der Operation Wachstum ist die praktische Pleite eines großen Teils der Welt. Im Jahr 1955 hatten die Entwicklungsländer 7 Milliarden US-Dollar Schulden. 1970 waren es 70 Milliarden, 1981 751 Milliarden, 1985 mehr als eine Billion, 1991 1,35 Billionen Dollar und 1993 rund 1,81 Billionen, umgerechnet etwa 2600 Milliarden Mark.444 Zwischen 1960 und 1982 stieg die Verschuldung mit 18,5 Prozent schneller als jeder andere wirtschafts­politische oder finanzpolitische Index. Auch danach enteilte die Verschuldung dem durch sie angestrebten Wirtschaftswachstum.

238


Ende 1988 lag bei vielen Entwicklungs­ländern der Anteil ihrer Schulden bei ausländischen Gläubigern am Bruttosozialprodukt zwischen 30 und 55 Prozent. Afrikas Schulden betrugen Ende 1989 laut IWF durchschnitt­lich 53,1 Prozent des kontinentalen Bruttosozialprodukts. Bei Brasilien machte dieser Anteil 29,6 Prozent, bei Malaysia 56,3, bei Mexiko 52,4, bei Venezuela 49, bei Chile 79,3, bei Mauretanien 196,2 und bei Mosambik 399,7 Prozent aus.

Wer Schulden in ausländischen Devisen macht, muß diese in Devisen zurückbezahlen. Konvertible Fremdwährungen kann aber nur der erwirtschaften, der einheimische Waren gegen Dollar, Yen, Mark oder andere »harte« Währungen austauscht. Ein Entwicklungsland, das Baumwolle, Kakao oder Kaffee in die Europäische Union verkauft, verdient Geld, um Schulden zu tilgen und Zinsen zu bezahlen. Daher ist ein Vergleich von Exporterlösen und Schuldenlast aussagekräftig, auch hinsichtlich der Frage, ob sich verschuldete Länder in überschaubarer Zeit vom Tropf des internationalen Finanzmarkts abschneiden können. Ende des Jahres 1989 erreichte die Auslandsverschuldung aller Entwicklungsländer einen Anteil an den Exporterlösen von 129,5 Prozent. In Asien war es 69,2 Prozent, in Afrika 240,5 und in Mittel- und Südamerika 272,2 Prozent.

Ein noch genaueres Bild ergibt sich, wenn man betrachtet, in welchem Verhältnis die Exporterlöse zu den Zins- und Tilgungszahlungen stehen. Allerdings ist hier einschränkend anzumerken, daß viele Entwicklungs­länder weniger Schuldendienste leisten, als sie dies aufgrund ihrer Verbindlichkeiten tun müßten — ein Grund, von einer Schuldenkrise zu sprechen. Die Dritte Welt insgesamt muß ein Fünftel ihrer Exporterlöse verwenden, um Darlehen zu bedienen. Für das Jahr 1990 gibt der IWF als Schuldendienst­quoten an: Asien — knapp 10 Prozent, Afrika — knapp 30 Prozent, Lateinamerika — knapp 40 Prozent.445

Fast fünfzig Prozent aller Auslandschulden gehen auf zwei Ländergruppen zurück. Das sind zum einen Staaten Lateinamerikas und weitere Nationen, die ein sogenanntes mittleres Pro-Kopf-Einkommen aufweisen und von denen manche als Schwellenländer definiert werden. Das sind zum anderen die Ärmsten der Armen, jene Staaten also, die nicht einmal von der Hand in den Mund leben können, die meisten von ihnen finden wir in Afrika südlich der Sahara.446

239


Legt man die Zahlen von Ende 1989 zugrunde, dann müßte nach Rechnung der Weltbank die Dritte Welt in den neunziger Jahren 118 Milliarden US-Dollar per anno aufbringen, um alle anfallenden Zinsen und Tilgungsraten zu begleichen. Das sind bis zum Jahr 1999 zusammen 1,18 Billionen Dollar. Unterstellt, daß die Entwicklungsländer diesen gigantischen Betrag ohne Rückstände erstatten, und unterstellt, sie hätten nach 1989 keinen Dollar zusätzlichen Kredit aufgenommen, so verbliebe im Jahr 2000 ein Schuldenberg von 280 Milliarden Dollar.447

Die Weltbank hat für fünfzehn hochverschuldete Staaten mit mittlerem Einkommen errechnet, daß ihre Auslands­schulden 1990 bei etwa 506 Milliarden US-Dollar lagen. Sie übertrafen damit die jährlichen Exporterlöse um das Dreifache. Die Zahlungsrückstände dieser Länder sind zwischen 1986 und 1990 von 40 Milliarden auf 111 Milliarden emporgeschnellt. Rekordhalter waren 1990 Brasilien mit 116 Milliarden und Mexiko mit 97 Milliarden US-Dollar.448 Brasilien hätte seinen ausländischen Gläubigern 1988 neun Milliarden Dollar an Zinsen und zwölf Milliarden Dollar an Tilgung überweisen müssen, tatsächlich zahlte es etwa die Hälfte. Einige weitere Rückzahlungssünder: Ägypten, Argentinien, Ecuador, Liberia, Nicaragua, Panama, Sambia und der Sudan.449

In Afrika südlich der Sahara steigt die Verschuldung ebenfalls weiter an, 1990 waren es 174 Milliarden Dollar. Binnen der vergangenen zwei Jahrzehnte haben sich Afrikas Schulden verzwanzigfacht, wobei gleichzeitig die Wirtschaftskraft gelitten hat.450 Etwa vierzig Prozent des Nationaleinkommens Afrikas wird verwendet, um die Auslandsschulden zu bedienen.451 Auf dem Elendskontinent ist das Geschäftsrisiko für die meisten Banken zu hoch, zum einen wegen des wirtschaftlichen Desasters, zum anderen wegen der raschen Aufeinanderfolge von politischen Krisen, Kriegen und Bürgerkriegen.

240


Während die Länder mit mittlerem Einkommen vor allem bei Geschäftsbanken in der Kreide stehen, treten besonders gegenüber Schwarzafrika seit einiger Zeit überwiegend öffentliche Gläubiger in Erscheinung: Staaten beziehungsweise Staatengemeinschaften sowie Weltbank und IWF. Von den beiden letzteren stammt mehr als ein Drittel aller Kredite für Afrika. Uganda bezieht 62 Prozent seiner Kredite von Weltbank und Währungsfonds. Es muß mehr als ein Drittel seiner Exporteinnahmen an die Zwillinge abführen.452

Insgesamt gilt, daß das Engagement der Geschäftsbanken zurücktritt hinter öffentlichen Darlehensgebern, die 1990 bereits 51 Prozent der Kredite vergaben. Besonders bei Darlehen, deren Laufzeit ein Jahr überschreitet, hat die Bedeutung öffentlicher Kreditgeber zwischen 1980 und 1990 erheblich zugenommen, und zwar von 83 auf 94 Prozent, was Experten von einer »Offizialisierung der Verschuldung« sprechen läßt.453 Die Geschäftsbanken, die zuvor gar nicht genug Darlehen loswerden konnten, wurden plötzlich rigide und verweigerten sogar notwendige Anschlußfinanzierungen.

 

     Bluttransfusion vom Kranken zum Gesunden   

 

Woher stammen diese immensen Schulden, die ganze Staaten strangulieren? Aufmerksam wurde man darauf erst im Jahr 1982, als Mexiko seine Zahlungsunfähigkeit erklärte. Es tat dies auch, weil die US-Regierung Anfang der achtziger Jahre Kredite aufgenommen hatte, um Haushaltslöcher zu stopfen. Das trieb das Zinsniveau nach oben, mit ihm stieg der Kurs der US-Währung und dadurch automatisch die Schuldenlast der Dritten Welt.454

Der »Mexiko-Schock« machte offenbar, was sich schon lange zuvor hochgeschaukelt hatte: Ganz im Sinne der Idee, die angeblich unterentwickelten Länder müßten aufholen, propagierten Finanzexperten, Politiker des Westens und auf die kapitalistischen Industriestaaten ausgerichtete Eliten der Dritten Welt die Industrial­isierung auf Pump. Zweiflern wurde erklärt, daß Kreditaufnahme eine ganz normaler wirtschaftlicher Vorgang sei.

241


Auch reiche Staaten beanspruchten Darlehen, und selbst multinationale Konzerne könnten manche Investitionen nicht tätigen, wenn sie sich nicht Geld bei Banken leihen würden. Schulden per se sind nichts Schlechtes, sie müssen aber in einem vernünftigen Verhältnis zum Erlös stehen, den ein Kredit ermöglicht.

Es passierte, was passieren mußte. Viele Entwicklungsländer setzten auf die Industrie, glaubten im Verbund mit ihren westlichen Beratern, auf dem Weltmarkt bestehen zu können, obwohl ihnen fast sämtliche wissen­schaftlich-technischen Voraussetzungen dazu fehlten. Der Glaube an die allheilbringende Kraft des Marktes walzte jeden Zweifel platt. Und was zählen schon die Stimmen von Hinterwäldlern, die es partout nicht schaffen, zivilisiert zu leben?

Industrialisierung setzt gigantische Investitionen in die Infrastruktur voraus, hier engagiert sich die Weltbank besonders stark. Bis zum heutigen Tag geben finanzschwache Staaten riesige Summen aus für Straßenbau, Kraftwerke, Telefonverbindungen, Staudämme und andere Großprojekte. Indien, dessen Schulden zwischen 1987 und 1992 von 43 Milliarden auf 77 Milliarden US-Dollar gestiegen sind, setzt zum Beispiel weiter auf die kreditfinanzierte Industrialisierung und genießt dabei die Unterstützung von Weltbank, IWF und verschiedenen Industriestaaten, besonders Deutschlands, in dessen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit Neu-Dehli ganz oben steht auf der Ausgabenliste.455

Die Modernisierung ganzer Staaten im ICE-Tempo trieb die Schulden in die Höhe und trug vor allem dazu bei, die Landwirtschaft zu zerstören. Die Dritte Welt zahlt einen hohen Preis für eine begrenzt erfolgreiche Industrialisierung und muß nun auf Kosten der Selbstversorgung Exportfrüchte erzeugen456, die unser Nahrungsangebot bereichern, damit die Schulden wenigstens teilweise abgezahlt werden können.

Wir halten fest: Das Konzept »Entwicklung durch Schulden« ist der genuine Ausnuß unserer Wachstumsfixierung, und unsere Experten haben es den Regierungen der Dritten Welt verkauft als Schlüssel zum Zivilisations­paradies. Wir dürfen dies nicht vergessen, wenn wir im folgenden die Faktoren darstellen, die die Schuldenkrise beschleunigt haben.

242


Der Wirtschaftswissenschaftler Stephan Kinnemann, stellvertretender Direktor der Kreditanstalt für Wieder­aufbau in Frankfurt am Main, hat vor nicht allzu langer Zeit einen bemerkenswerten Vortrag gehalten. Die Kreditanstalt wickelt die finanzielle Zusammenarbeit des Bundes­ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern ab. Kinnemann legte in seinem Referat wert auf die Feststellung, daß er als Privatperson spreche. Wir folgen hier seiner Zusammenfassung der Ursachen für die Schuldenkatastrophe. Er erörtert zwar nicht die entscheidende Frage, nämlich die Integration der Entwicklungs­länder in die Weltwirtschaft, aber es ist bemerkenswert, wie er alle Aspekte der nächsten Ebene beschreibt.457

Kinnemann unterscheidet Ursachen, die außerhalb der Entwicklungsländer liegen, und solche, die die Dritte Welt zu verantworten hat. Zu ersteren zählt er den Ölpreisschock 1973/74. Zu dieser Zeit waren wegen der vagabundierenden Petrodollar Kredite billig zu haben, so daß Entwicklungsländer ihre Erdölimporte über Darlehen finanziert haben. Das lohnte sich, waren auf Pump sogar Zinsgewinne zu erzielen. Als die Banken in Folge dazu übergingen, flexible Zinssätze einzuführen, gerieten die Entwicklungsländer in eine nicht mehr von ihnen zu kontrollierende Abhängigkeit; in den achtziger Jahren wurde zwei Drittel der Kredite nicht mehr zu festen Zinsen gewährt und so das Risiko abgewälzt auf die Schuldner.458

Anfang der achtziger Jahre stiegen die Ölpreise und die Zinsen. Letztere kletterten, weil viele Industrie­staaten eine restriktive Geldpolitik betrieben, um die Inflation zu bekämpfen. Hinzu kamen als zinserhöhendes Moment die hohen Haushalts- und Leistungsbilanzdefizite der OECD-Staaten, vor allem der USA durch ihr Aufrüstungsprogramm. Für Entwicklungsländer bedeutete dies, neue Kredite aufnehmen zu müssen, um die alten bedienen und den gestiegenen Ölpreis bezahlen zu können. Verschärfend wirkte, daß der Dollarkurs stieg. Kredite für Entwicklungsländer werden in der Regel in Dollar ausgezahlt und zurückgezahlt. Steigt also der Dollar um ein Prozent, werden die Darlehen um ein Prozent teurer.

243


Im Jahr 1985 bedeutete jedes Prozent plus oder minus 2,3 Milliarden US-Dollar mehr oder weniger Schulden.459

Die Weltbank hat, als die Schuldenkrise nicht mehr übersehbar war, Entwicklungsländern Kredite geradezu aufgedrängt, und dies nicht nur, weil ihr wie jeder Bürokratie die Tendenz innewohnt, sich zu vergrößern, an Bedeutung zu gewinnen. Sie hat dies auch getan, um die kommerziellen Banken davor zu bewahren, daß sie Geld verlieren. Die Angst vor dem Kreditcrash bewirkte zunächst neue Kredite.460) Und sie wurden gewährt, als längst offensichtlich geworden war, daß in einigen Entwicklungsländern das Kapital außer Landes floh.461)

Entwicklungsländer sind meist Rohstoffproduzenten und -exporteure. Fallen die Rohstoffpreise, dann sinken die Exporterlöse. Werden billige Landwirtschafts­produkte der Industriestaaten auf dem Weltmarkt angeboten, drückt das die Exporterlöse von Entwicklungsländern. Recyclingverfahren und eine rohstoffsparende Produktion, der technische Fortschritt insgesamt haben die Marktchancen von Entwicklungsländern stark verschlechtert. Im Ergebnis sind die Rohstoffpreise in den vergangenen Jahrzehnten gesunken. Gleichzeitig aber erhöhten sich die Preise für Produkte aus Industriestaaten.

Kinnemann weist einen nicht geringen Teil der Verantwortung für das Schuldendesaster aber auch den Entwicklungsländern zu. Kredite seien falsch verwendet worden. Für das Geld wurden Rüstungsgüter eingeführt. Seit 1960 haben sich die Militärausgaben in der Dritten Welt verfünffacht. Sie betragen heute mehr als 150 Milliarden US-Dollar. Nach Schätzungen der Weltbank von 1989 ist ein Drittel der Schulden des Südens auf Waffenkäufe zurückzuführen, fette Aufträge für High-Tech-Vernichtungskraft aus dem Norden. Aber nicht nur: Fünfzig Entwicklungsländer besitzen bereits eine eigene Rüstungsindustrie. Spätestens seit der Golfkriegs-TV-Demonstration westlicher Überlegenheit verlangt es die kleinen und die größeren Potentaten nach dem Feinsten aus Europas und Nordamerikas Rüstungsfabriken.462)

244


Mit Krediten bestritt (und bestreitet) außerdem eine kleine Oberschicht ihren Luxuskonsum, Prestige­objekte wurden aus Darlehen bezahlt, unrentable Großprojekte durchgeführt, und nicht zuletzt wurde versucht, marode Staatshaushalte auf diesem Weg zu sanieren. Hinzu kommt, was Kinnemann »Fristeninkongruenz der Verschuldung« nennt: Es wurden kurzfristige Kredite für langfristige Projekte verwendet. So mußten bei Anschlußfinanzierungen oft höhere Zinsen hingenommen werden. Diesen Mehrausgaben aber standen meistens keinen höheren Ausfuhreinnahmen gegenüber. Kapitalflucht, eine unvernünftige staatliche Preispolitik, willkürliche Wechselkurse, verzerrte Produktionsstrukturen, wachsende Innenverschuldung und weitere wirtschafts- und währungspolitische Sünden taten ihr übriges und verbanden sich mit anderen Faktoren zu einem unheilbringenden Ursachenknäuel. Und immer dabei: Die Entwicklungseuphorie, das wichtigste Importgut aus dem reichen Norden.

Seit einigen Jahren kommt hinzu, was Willy Brandt eine »Bluttransfusion vom Kranken zum Gesunden« genannt hat: nämlich daß die Verschuldung sich selbst potenziert. Es fließt mehr Kapital aus der Dritten Welt in die Industriestaaten als umgekehrt, was nach Auffassung von Dieter Noblen und Franz Nuscheler einer Entwicklungsblockade gleichkommt.463 Seit Mitte der achtziger Jahre, als die Schuldenkrise sich verschärfte und die Industriestaaten ihr goldenes Jahrzehnt genossen, verdienen Weltbank und IWF an der Dritten Welt. Zwischen 1986 und 1991 hat die Bank jedes Jahr durchschnittlich drei Milliarden US-Dollar mehr an Zinsen und Tilgungen eingenommen, als sie an Krediten ausgegeben hat. Zwischen 1985 und 1990 hat der IWF dreißig Milliarden Dollar Reingewinn kassiert, und dies von Entwicklungsländern, die ihn wegen ihrer überdimensionalen Verschuldung um Hilfe gebeten hatten464 — auch hier tödliche Hilfe.

Schon seit 1982 muß der Süden mehr Geld für Tilgung und Zinsen aufbringen, als er aus dem Norden erhält in Form von neuen Krediten, Entwicklungshilfe und Direktinvestitionen.465 Sofern überhaupt neue Darlehen zugesagt wurden, dann fast allein zu dem Zweck, anfallende Zinszahlungen aus Altkrediten zu finanzieren.

245


Zwischen 1980 und 1990 sind für langfristige Kredite Tilgungs- und Zinszahlungen von 1,4 Billionen US-Dollar von Süd nach Nord geflossen, davon dienten 539 Milliarden dazu, Zinsforderungen zu begleichen. Im selben Zeitraum explodierte die langfristige Verschuldung auf knapp das Zweieinhalbfache, nämlich von 421 Milliarden auf 1,01 Billionen Dollar.466 1991 mußten die verschuldeten Entwicklungsländer 32 Milliarden US-Dollar mehr für den Schuldendienst bezahlen, als sie an Darlehen erhielten, und dies trotz aller schön klingenden Bekundungen der Reichen, mit neuen Entwicklungsstrategien das Blatt zu wenden.467 Franz Nuscheler über die Dritte Welt in der Schuldenfalle: »Sie blutet aus.«468

 

So wie die Fütterung den Hunger erzeugt und die Zivilisierung den Slum, bewirkt die kreditfinanzierte Entwicklung am Ende, daß es Entwicklung nicht mehr gibt. Das ist die tödliche Dialektik der herrschenden Entwicklungspolitik. Die UNICEF sprach Ende 1991 angesichts einer Schuldenlast Afrikas von 280 Milliarden US-Dollar von einer neuen Form der Sklaverei und dem größten internationalen Versagen des Jahrhunderts. In der Tat wurde die entwicklungspolitische Intention des Kreditnehmens in ihr Gegenteil verwandelt.

Rainer Tetzlaff hat den wahnwitzigen Schuldenkreislauf treffend beschrieben: Statt vom Ausland eine vorübergehende kreditfinanzierte Unterstützung zur Durchsetzung eigener Entwicklungsziele zu erhalten, produziere das Empfängerland hauptsächlich Waren, um Schuldzinsen an das Ausland zu zahlen. Dies wiederum sei die Voraussetzung dafür, daß das Land kreditwürdig bleibe. Das Verhältnis zwischen Schuldendienst und produktiven Investitionen werde immer ungünstiger. Das vorübergehende Mittel der Entwicklung — Kredit und Kreditbedienung — werde so perverserweise zum Zweck von Entwicklungspolitik, wobei alle Anstrengungen darauf gerichtet würden, Devisen zu erwirtschaften, weil Auslandskredite nur in harten Währungen bedient werden können.

Nichts könne die These, daß sich in der Verschuldungskrise vor allem eine Entwicklungskrise spiegelt, besser untermauern als die Tatsache, daß die großen Entwicklungs­agenturen des Bretton-Woods-Systems — Weltbank und Währungsfonds — mittlerweile zu den größten Gläubigern der ärmeren Entwicklungsländer geworden seien.469

246


Versetzen wir uns in die Logik der herrschenden Entwicklungspolitik, so wäre es grundfalsch, Geld zu verschenken, statt Kredite zu gewähren. Nicht nur der Gewinnaussichten halber, sondern auch weil verschenktes Geld die geradezu barocke Verschwendung in vielen Entwicklungsländern noch weiter anheizen würde. Es entspricht den Gesetzen der Entwicklungspolitik, daß sie marktwirtschaftlich, also gewinnorientiert, ist. Aber es widerspricht jeder denkbaren Interpretation des Begriffs »Entwicklung«, daß diejenigen, die entwickelt werden sollen, am Ende ärmer dastehen als zuvor.

Bei der finanziellen Zusammenarbeit zwischen Industriestaaten und Dritte-Welt-Ländern läßt sich exakt an Zahlen ablesen, wie sich das Verhältnis zwischen Nord und Süd gestaltet hat. Nirgendwo zeigt sich die Tatsache, daß die herrschende Entwicklungspolitik Unterentwicklung erzeugt, so deutlich wie am Beispiel der Verschuldung. Sicher, manche Kredite müssen abgeschrieben werden, manche Kredite werden notleidend, und auch läßt sich nicht immer der allerletzte Profit herauskitzeln. Aber diese Verluste der Banken und des Währungsfonds schmälern lediglich die Gewinne und sind Peanuts im Vergleich zu dem, was die Schuldenkrise für die Dritte Welt bedeutet.

 

     Der Süden frißt dem Norden aus der Hand    

 

Wenn eine Politik das Gegenteil von dem erreicht, was zu erreichen ihr Zweck ist, dann sollte die Schluß­folgerung zwingend sein, diese Politik durch eine andere zu ersetzen. Nach unseren bisherigen Erfahrungen mit Entwicklungspolitik hält sich das Staunen in Grenzen darüber, daß nichts dergleichen geschehen ist und geschehen soll. Statt die Beziehungen zwischen Nord und Süd gründlich zu renovieren, werden sie fortgesetzt wie bisher, allerdings mit einer Ausnahme:

247


Seit dem »Mexiko-Schock« werden Darlehen fast nur noch unter Auflagen des IWF gewährt. Werden Kredite notleidend, dann gewähren die im »Pariser Club« zusammengeschlossenen Gläubigerstaaten des Nordens Umschuldungen, also das Strecken von Zahlungen, nur, wenn der Schuldner sich sogenannten »Strukturanpassungsprogrammen« des Währungsfonds unterwirft. So werden Forderungen genannt, die darauf zielen, die Zahlungsfähigkeit des Entwicklungslandes wiederherzustellen.

So unmöglich es ist, »Kreditsündern« die Alleinschuld an ihrer desolaten Wirtschaftslage in die Schuhe zu schieben, so sicher ist es, daß sie die Folgen ihrer Verstrickung in die Weltwirtschaft ganz allein tragen müssen. Spielen sie das Spiel von OECD-Staaten, Weltbank und IWF nicht mit, gibt's keine Kredite mehr. Aber wer einmal schwach geworden ist und das Geld der Reichen genommen hat, der kann nicht mehr zurück.

Am schnellsten und härtesten trifft es Staaten mit einer negativen Handelsbilanz, die also mehr einfuhren, als sie an das Ausland verkaufen können. Sie bekommen Kredite oft nur, wenn sie bereit sind, Risiko­zuschläge zu zahlen. Investoren scheuen Länder mit negativer Handelsbilanz und hoher Kreditbelastung, da deren Währungen auf tönernen Füßen stehen, was wirtschaftliches Planen und Tun erschwert. Bleiben Anleger aus, verschlechtert sich die ohnehin miese Handelsbilanz weiter und zwingt mangels ausreichenden Exporterlösen dazu, neue Kredite zu beanspruchen. Das senkt aber die Wettbewerbsfähigkeit, was wiederum die Handelsbilanz weiter beschädigt und so weiter und so fort.470

Es wird unter Experten gerne von »Teufelskreisen« gesprochen: im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit zum Beispiel ist der »Teufelskreis der Armut« schon ein geflügeltes Wort. Als ob sich Armut quasi selbst erzeugt und auf jeden Fall nichts mit uns zu tun hat. Von der diabolischen Schuldenfalle, in die die Armen gelockt wurden und in der sie unentrinnbar gefesselt sind, hon man kaum etwas. Dabei wäre dieser Kreislauf aufzubrechen, wenn die Entwicklungspolitik nur darauf verzichtete, ihr Tun als Geschäft zu betrachten, was ihr ja bei den eigenen Bauern in milliardenverschlingender Weise gelingt.

248


Die US-Finanzminister James Baker und Nicholas Brady haben 1985 und 1989 Pläne vorgelegt, die die Lage der Hauptschuldner­staaten erleichtern sollen. Einige lateinamerikanische Staaten wie Mexiko oder Venezuela vereinbarten mit Gläubigerbanken Schuldenerleichterungen, was die Weltbank und der IWF mit neuen Krediten unterstützten. Die Frage ist nur, ob es sich hier nicht um Tropfen auf einen heißen Stein handelt, mit denen verhindert werden soll, daß Staaten, die per definitionem nicht pleite gehen können, ihre Zahlungsunfähigkeit erklären, woran die Gläubiger nicht interessiert sein können.471 Und: Wenn die Konditionen der neuen Kredite schlechter sind als die der alten, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich eine befristete Schuldenerleichterung in eine Lawine neuer Verpflichtungen verwandelt. Und vor allem: Solange die schulden­verursachenden Strukturen der Weltwirtschaft nicht beseitigt werden, haben jene Staaten die schlechten Karten in der Hand, deren Wettbewerbsfähigkeit nicht ausreicht.

Es ist wohl auszuschließen, daß einer größeren Zahl von Entwicklungsländern gelingt, was die »kleinen Tiger« Asiens — Taiwan, Südkorea, Singapur und Hongkong — geschafft haben. Für den riesigen Rest der Dritten Welt gilt, daß sich der Abstand zum Norden vergrößert. Dessen wissenschaftlich-technischer Vorsprung ist nicht nur uneinholbar, sondern bildet auch das Fundament weiterer Beschleunigung. Die wissenschaftlich-technische Revolution treibt sich selbst an. Dazu braucht sie eine Infrastruktur, die in der Mehrzahl der Entwicklungsländer unerreichbar fern ist. Nicht zuletzt, weil sie ihr finanz- und wirtschafts­politisches Denken und Handeln darauf abstellen, die Schulden abzuzahlen, die sie sich angesichts der Verheißungen der Entwicklungspolitik aufgeladen haben. Dabei hilft ihnen auf die ihm eigene Weise der Internationale Währungsfonds.

249


Der IWF fordert von Regierungen der Dritten Welt vor allem: Verringerung der Haushaltsdefizite und Bekämpfung der Inflation, Senkung der konsumtiven zugunsten produktiver Ausgaben, auf gut deutsch: Kürzung des Sozialetats und Erhöhung staatlicher Investitionen; positive Realzinssätze; realistische Wechsel­kurse und wirklichkeitsgetreue Preisstrukturen im Inland; außenwirtschaftliche Liberalisierung, also vor allem Aufhebung von Importbeschränkungen; Förderung ausländischer Investitionen.472

Als Ergebnis der Umweltdiskussion haben IWF und Weltbank sowie einige Industriestaaten außerdem Mittel ersonnen, Entwicklungsländer zu ökologischem Verhalten zu »ermuntern«. Wenn also Politiker in Bonn oder Washington der Öffentlichkeit nahebringen wollen, wie heftig sie sich für den Umweltschutz engagieren, verweisen sie darauf, daß sie manche Kredite an Entwicklungsländer nur noch vergeben, wenn diese bestimmte umweltpolitische Forderungen erfüllen. Auch ein teilweiser Schuldenerlaß wird hier und da angeboten, sofern ein Staat sich bereit erklärt, die Natur zu bewahren. Solche Junktims zielen besonders auf den Schutz des Regenwalds, und dies nicht zufällig, besitzt dieser doch überragende Bedeutung für das Weltklima. Länder, die das Protokoll von Montreal über den Schutz der Ozonschicht nicht unterzeichnet haben, müssen sogar Handelsrestriktionen gewärtig sein. Eine bemerkenswerte Form von Umweltschutz, bei der die mit weitem Abstand vorne liegenden Hauptverursacher der Ökokatastrophe den Armen diktieren, wie diese die Welt zu retten haben.

Ein klassisches Beispiel für die doppelte Umweltmoral ist die Debatte um die Einfuhr von Tropenhölzern: Nachdem es den Industriestaaten im Verlauf von Jahrhunderten gelungen ist, ihre Waldbestände radikal zu verringern, und nachdem sie die verbliebenen Wälder seit einigen Jahrzehnten mit Schadstoffen zu Tode stressen und der holzverarbeitenden Industrie eine reiche Ernte bereiten, kommen unseren hauptamtlichen Umweltpolitikern die Tränen bei jedem gefällten Baum am Amazonas. Ja, die Vernichtung des Regenwalds ist eine tödliche Bedrohung unseres Planeten. Aber nur, weil sonst kaum zusammenhängende Waldgebiete unseren Fortschritt überlebt haben. Die Rodungen im Norden hatten die Gnade, zuerst gekommen zu sein. Und nun hängt die Beschaffenheit des Weltklimas am Wald der Zuspätgekommenen.

250


Staaten, die die harten Hölzer aus dem Süden nicht mehr einführen, sorgen dafür, daß sich die Exporterlöse von Entwicklungsländern weiter verringern und damit ihre Möglichkeiten schwinden, das Wachstum des Schuldenbergs wenigstens zu bremsen.

Lassen sich Regierungen mit dem IWF und seinen Auflagen ein, verlieren sie bald einen erheblichen Teil ihrer Handlungsfreiheit. Ob das angesichts der unsozialen Politik vieler Dritte-Welt-Regierungen als Verlust zu bedauern ist, sei dahingestellt. Allerdings kann man in einer Verschiebung der Abhängigkeit von einheimischen Eliten zu einer ausländischen Institution auch keinen Gewinn erkennen.

Johan Galtung hat pointiert auf die so entstehenden Abhängigkeiten hingewiesen, als er erklärte, die Stimme eines Dritte-Welt-Landes koste eine Million Dollar Schuldenerlaß:

»Diejenigen, die glauben, daß Schulden ein ökonomisches Problem sind, haben, so glaube ich, nicht die Geopolitik verstanden. Schulden sind Hebel. Sie waren nicht nur dafür gedacht, um Abstimmungen zu garantieren, sondern auch selbstverständlich dafür, daß die Rohstoffe auf den Markt kommen, womit die Schulden bezahlt werden können. Und zur selben Zeit sanken die Preise. Während der achtziger Jahre gab es um durchschnittlich fünfzig Prozent niedrigere Preise. Es ist daher Wahnsinn von den Drittweltländern, mit uns zu verhandeln.«473)

 

Man mag es für überspitzt halten, einen exakten Kaufbetrag pro Stimme auszurechnen. Tatsache ist aber, daß der Widerstand der Dritten Welt gegen die Bevormundung des Nordens in den achtziger Jahren zusammengebrochen ist unter der Schuldenlast. Die zentrale Forderung, die Weltwirtschaft neu zu ordnen, ist gestorben, auch die einst einflußreiche Bewegung der Blockfreien frißt dem Norden aus der Hand.474 Politisches Wohlverhalten im Sinn der OECD wird honoriert wie etwa im Fall Ägyptens, dessen Bündnistreue gegenüber der Anti-Irak-Koalition dem Land am Nil ein Entschuldungsarrangement einbrachte, von dem andere Regierungen nur träumen können. Auch Polen und weitere ehemalige Warschauer-Vertrags-Staaten genießen eine Vorzugsbehandlung, da sich die politischen und wirtschaftlichen Interessen des Westens nach Osten verlagern.475

251


So sind finanzielle Abhängigkeiten zu jenen Fesseln gekommen, die die einstigen Kolonialherren geknüpft haben, nicht nur in Wirtschaft und Verkehrswesen, sondern auch in den Köpfen. Dieter Noblen und Franz Nuscheler treffen den Nagel auf den Kopf, wenn sie dem IWF vorwerfen, daß er seine Machtmittel nicht nur dazu nutzt, die Zahlungsbilanzen zu sanieren und die Kreditwürdigkeit von Schuldnerstaaten wiederherzustellen, sondern sich auch als »ordnungspolitischer Zuchtmeister« betätigt.476 Dabei wird nach dem Recht des Stärkeren verfahren. Die Umgangsmanieren der Washingtoner Banker sind gewiß über jeden Zweifel erhaben, was sie praktizieren, aber folgt dem Gesetz des Dschungels.

Es kann an der Mitverantwortung der Industriestaaten für die Schuldenkrise keinen Zweifel geben. Sie prägen nicht nur die Weltwirtschaft, die die Hauptursache des globalen Finanzdebakels ist. Sie haben das Konzept »Entwicklung auf Pump«, im Entwicklungspolitiker-Jargon »positiver Schuldenzyklus« genannt, massiv vertreten. Und doch wird von Auflagen für den Norden nicht gesprochen.

Auch die berühmt-berüchtigte »politische Konditionalität« funktioniert, wenn überhaupt, nur in einer Richtung. Dabei sind die OECD-Länder die Umweltsünder Nummer 1. Grund genug also, dem Norden ein »Struktur­anpassungs­programm« zu verordnen. Aber es sollte einmal einer wagen, dem Norden jene nebenwirkungs­trächtige Therapie anzutragen, die Entwicklungsländern wie selbstverständlich zugemutet wird. Jede Regierung im Norden, die sich auch nur auf den Versuch einließe, umweltpolitischen Auflagen des Auslands zu folgen, würde hinweggefegt. Unsere staatliche Souveränität ist unantastbar. Das gilt für die meisten anderen Staaten dieser Welt leider nicht.

Allerdings: Respekt vor staatlicher Souveränität überkam die IWF-Oberen wenigstens bis Anfang der neunziger Jahre im Angesicht der schimmernden Wehr.

252


Während tiefe Einschnitte in den Sozialetats und Kürzungen der Ausgaben für Bildung und Gesundheit regelmäßig die Folge der IWF-Auflagen sind, verzichteten der Währungsfonds, die Weltbank und die Industriestaaten lange Zeit darauf, zu verlangen, daß die Rüstungsetats in der Dritten Welt gekürzt werden — obwohl die Entwicklungsländer im Mittel für das Militär soviel ausgeben wie für Gesundheit und Bildung insgesamt, in Afrika sind die Proportionen noch schlechter.477 Ob das damit zusammenhing, daß die Mächtigen im IWF gleichzeitig die weltgrößten Rüstungsexporteure sind? Zwischen 150 und 200 Milliarden Dollar pro Jahr gibt die Dritten Welt aus für Waffen — was für ein Markt für die, die die richtigen Waren anzubieten haben!

Inzwischen erklären diejenigen, die Entwicklungshilfe und Kredite geben, daß sie darauf achten, ob potentielle Geldempfänger »überrüstet« sind. Das ist vernünftig, aber gleichzeitig bedenklich, denn solcherart »politische Konditionalität« bleibt angesichts der Ausweglosigkeit, in die die Schuldenkrise viele Staaten gestürzt hat, Fremdbestimmung, wie sie sich kein Industriestaat gefallen lassen würde. Fremdbestimmung aber ist eine Ursache künftiger Konflikte. Außerdem muß gefragt werden, ob es sich bei der Rüstung nicht ebenso verhält wie bei den Menschenrechten, ob also die Konditionalität dort abgeschwächt wird, wo die Industriestaaten kaufkräftige Zukunftsmärkte vermuten.

Die meisten Kredite zu Sonderkonditionen der Weltbanktochter IDA — 0,75 Prozent Zinsen bei fünfzig Jahren Laufzeit — erhält das bis an die Zähne hochgerüstete und die Menschenrechte mit Füßen tretende Greisenregime in Peking!478 Und Indien als der bedeutendste Empfänger bundesdeutscher Entwicklungs­hilfe besitzt ebenfalls Raketen, um seine Atomsprengköpfe auf ferne Ziele zu schießen. Offenbar sind Massenvernichtungsmittel in einer Krisenregion oder in den Silos einer menschen­verachtenden Diktatur weniger bedrohlich als die Kalaschnikows afrikanischer Milizen.

Kriege gedeihen dort, wo soziales Elend herrscht, wo nationalen Minderheiten das Selbstbestimmungsrecht verwehrt wird, wo Konflikte nicht demokratisch gelöst werden. Dies wären lohnende Aufgaben für Entwicklungspolitik, aber sie trägt statt dessen dazu bei, Kriegsursachen zu schaffen.

253


    Opfer der Anpassung    

 

Die wirtschaftlichen Konsequenzen der Verschuldung sind nicht weniger beeindruckend als die politischen. Weil Entwicklungs­länder ihre Darlehen in Devisen zurückzahlen müssen, werden noch mehr landwirt­schaft­liche Nutzflächen umgewidmet. Statt auf ihnen Nahrungsmittel für die Bevölkerung zu produzieren, dienen sie dem Anbau von Cash crops, Verkaufsfrüchten. Hatte der Entwicklungswahn die Selbstversorgungswirtschaft schon tödlich angeschlagen, so gibt ihr die Schuldenfalle den Rest.

Die Plantagen, die für den Export produzieren, brauchen moderne Maschinen. Sie müssen meist imponiert werden. Generell gilt, daß die Fertigprodukte, die Entwicklungsländer aus den Industriestaaten beziehen, immer teurer werden, während nicht zuletzt wegen dem starken Wettbewerb von Dritte-Welt-Ländern untereinander die Rohstoffpreise seit Mitte der achtziger Jahre fallen. Es sind wenige Produkte mit niedrigem Verarbeitungsgrad, die aus dem Süden im Norden landen, und viele Staaten können sie mit begrenztem Aufwand erzeugen.

Diese konkurrenzträchtige Ausgangslage verstärkt den Druck auf die Handelsbilanz und damit den Zwang zum Export. Eine auf Handelsbilanzüberschüsse zielende Politik jedoch fördert die Inflation. Die Geldentwertung trifft vor allem jene, die nur Geldeinkommen haben, Fabrikanten und Großgrundbesitzer bedroht sie weniger. Inflation macht die Armen noch ärmer und läßt die Reichen ungeschoren, von denen viele ihr Geldvermögen in Fremdwährungen auf ausländischen Konten sichern. In der Tendenz gilt: Je mehr Devisen ein Land erwirtschaftet, desto instabiler wird die einheimische Währung. Der schuldenpolitische Idealfall hoher Handelsbilanzüberschüsse mündet in der Regel darin, daß das Nationaleinkommen umgeschichtet wird zugunsten der Reichen.

Die Schuldenkrise verstärkt zudem den der Wachstumswirtschaft innewohnenden Drang zur Umweltzer­störung. Die Vernichtung von Tropenwald, die Vergiftung von Flüssen, die Ausweitung der Viehwirtschaft und des Tourismus sind neben der Verkaufsfrüchteerzeugung typische Wege, um mehr Devisen zu erwirtschaften.

254


Die weltweite Liberalisierung des Handels dürfte vor allem für wirtschaftlich schwächere Länder den Konkurrenzdruck erhöhen und damit ökologische Maximen weiter unterminieren.

Die Anstrengungen von Gläubigern und Schuldnern, die Schuldenkrise zu bewältigen, sind bislang nicht nur weitgehend erfolglos gewesen, sie haben alle schädlichen Wirkungen der Krise noch verstärkt. Das besonders vom IWF geprägte internationale Schuldenmanagement sucht die Heilmittel beim Hauptkrank­heits­erreger, indem es darauf zielt, verschuldete Entwicklungsländer rasch endgültig und vollständig in den Weltmarkt zu integrieren. Das besitzt eine innere Logik: Wo sonst könnten Dollar, Mark oder Yen verdient werden, mit denen man bei den Banken seine Kredite oder doch wenigstens die Zinsen abstottern kann?

Die Auflagen von IWF und Weltbank bewirken, daß die Rohstoffproduktion weiter gesteigert wird, was den Druck auf deren Preise erhöht479 — so verdanken wir auch den Zwillingen den freien Fall des Kaffeepreises in den vergangenen Jahren. Die Auflagen setzen in vielen Fällen auf Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen in den Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsetats, was nur die Armen trifft, wohingegen die Reichen, die die Politik bestimmen, von derlei Einschnitten nicht berührt werden. Die »Strukturanpassungsprogramme« verschärfen die vielerorts ohnehin schon krasse soziale Ungleichheit noch weiter und fördern den Hunger.480 Nur erwähnt sei, daß die Auflagen die Eigentumsverhältnisse und politischen Systeme unberührt lassen, obwohl letztere meist zwischen Diktatur und Scheindemokratie einzusortieren sind.

Der Afrika-Experte Walter Michler hat untersucht, welche Folgen die Auflagen für den schwarzen Kontinent unter anderem haben: Um die Staatshaushalte zu entlasten, wurden allein in Ghana und Zaire zahlreiche Lehrer entlassen, worunter eine halbe Million Schüler zu leiden haben. In zwölf afrikanischen Ländern sind wegen Lohnkürzungen die Realeinkommen um fünfzig Prozent gesunken mit der direkten Folge, daß die betroffenen Familien verarmt sind und hungern.

255


Nach Angaben des Kinderhilfswerks UNICEF sind die Gesundheitsausgaben um mindestens ein Viertel verringert worden, wodurch in vielen Fällen aus wenig nichts geworden ist. Und dann ergibt sich,

»daß an den Folgen des Rohstoffpreisverfalls, der Überschuldung und der unangemessenen Sanierungsauflagen 320.000 Kinder in Schwarzafrika gestorben sind: 320.000 gestorbene Kinder — und zwar allein im Jahr 1988 — sind die Folge der von den Industriestaaten zu verantwortenden außenwirtschaftlichen Strangulation.«(481)

Und doch bleibt das Credo der Entwicklungspolitiker — wie könnte es anders sein? — Wirtschafts­wachstum. Je höher, desto besser, da nur so die Schulden abzuzahlen seien, ohne daß es der Bevölkerung schlechter gehe. Ist der Betrag, den der Schuldendienst abverlangt, höher als die Zuwachsrate der Wirtschaft, dann seien weitere soziale Einschnitte unvermeidlich.

Es ist abenteuerlich: Nachdem der Wachstumswahn einen Großteil der Menschheit in Armut und Hunger gestürzt hat, soll er nun die eigenen Folgen überwinden. Hier beißt sich die Katze schmerzhaft in den eigenen Schwanz. Auch in der Hinsicht, daß Wirtschaftswachstum die größte Umweltbedrohung darstellt. Wir sägen an dem Ast, auf dem wir sitzen, und als wir dies erschreckt feststellen, fällt uns nur ein, noch schneller zu sägen.

Bei all dem ist für jeden ersichtlich, daß das Schuldenmanagement den Entwicklungsländern nur neue Nöte gebracht hat. Die Lage der meisten Schuldnerstaaten hat sich verschlechtert, seit Weltbank und IWF tatkräftig helfen. Die Schulden Afrikas etwa haben sich seit Beginn des Schuldenmanagements im Jahr 1982 verdoppelt.482

Das nachhaltigste Ergebnis der Auflagenpolitik ist die Beschädigung ganzer Generationen von Kindern, denen, wenn sie nicht hungern müssen, Bildung vorenthalten wird. Man mag über das, was Entwicklung sein soll, streiten. Aber jede denkbare Form von Entwicklung ist ohne Bildung unmöglich. Die Politik von Entwicklungsinstitutionen wie Weltbank oder IWF raubt ungezählten Kindern die Zukunft und damit ihren Ländern Kreativität und Intelligenz, die sie benötigten, um existenzbedrohende Herausforderungen zu bestehen. Diese Bilanz erübrigte jede weitere Bewertung unserer offiziellen Entwicklungspolitik.

256


Rainer Tetzlaff zieht aus Expertendiskussionen den Schluß, daß auch Fachkreise überzeugt sind davon, daß das Schulden­management von Weltbank und IWF gescheitert ist. Beide Institutionen hätten die weltwirtschaftlichen Rahmen­bedingungen »überoptimistisch« beurteilt, das IWF-Anpassungskonzept sei nicht ausgereift; die Anpassungsfähigkeit der Schuldner­staaten sei überschätzt worden; auch sei die Kooperationsbereitschaft der Geschäftsbanken nicht so ausgeprägt wie erhofft. Und: »Länder wie Argentinien, Peru, Philippinen und Sudan haben die historische Lehre erzeugt, daß rabiat implementierte Strukturanpassung und Regieren aufgrund eines demokratischen Konsens Gegensätze sind.«483 In einigen Ländern protestieren große Teile der Bevölkerung gegen die Auflagenpolitik, das Mißtrauen in die Strukturanpassung ist weltweit gewachsen. Im Ergebnis dessen hat die Europäische Gemeinschaft 1989 von den mit ihr assoziierten AKP-Staaten zwar auch Strukturanpassungen verlangt, aber dabei auf die Brechstange verzichtet und die Reformprogramme mit den AKP-Staaten ausgehandelt. Immerhin.

Nach einigen Jahren der Auflagenkatastrophe hat der Widerhall endlich auch die klimatisierten Zentralen des IWF und der Weltbank in Washington erreicht. Eine »Anpassung mit menschlichem Gesicht« hat UNICEF gefordert, und die Weltbank hat die Öffentlichkeit mit sozialen Ergänzungen der Struktur­anpassungs­programme überrascht. Sie nennt ihr Konzept »Soziale Dimensionen der Anpassung«. Dahinter verbirgt sich das Eingeständnis, daß der Glaube an ein rasches Greifen der Auflagen irrig war. Außerdem waren die Anpassungsprogramme gefährdet durch soziale Not und Unruhen, die sie selbst mit verursacht hatten. Allerdings bedeutet die »Soziale Dimension der Anpassung« keineswegs, daß die ursprüngliche Absicht aufgehoben ist. Vielmehr sollen die gewachsenen Widerstände gegen Auflagen befriedet werden. Dies will die Bank erreichen unter anderem durch Beschäftigungsprogramme für entlassene Arbeitskräfte, Schaffung von Verdienstmöglichkeiten für Frauen, Ernährungsprogramme, Unterstützung einer elementaren Gesundheitsversorgung und der Grundschulbildung.

257


Aber all das ist eher ein Strohfeuer, geeignet vielleicht dazu, die Folgen der Weltwirtschaft zu vernebeln. Für diese Beurteilung genügt schon der Hinweis auf die Kurzfristigkeit der »sozialen Dimensionen«: Zwei bis fünf Jahre will die Weltbank sie finanzieren, dann ist Schluß. Die Bank hat im Jahr 1993 in einem Bericht verblüffend klar eingeräumt, worin weitere Schwächen ihres Konzepts bestehen: »Diese Programme sind kein Ersatz für eine weitreichende Reform des Sozialbereichs zugunsten der Armen. Sie tragen das Risiko in sich, daß sie von der Stärkung einschlägiger Institutionen ablenken und Reformen verzögern.«484

Vor allem aber beruhen die sozialen Ausbesserungsarbeiten der Weltbank auf einem grundlegenden Fehlschluß. Denn selbst der Idealfall würde die Not in der Dritten Welt nicht beseitigen: Brächten also alle Auflagen die gewünschten Ergebnisse, dann würden Entwicklungsländer zu kreditwürdigen Juniorpartnern der Weltwirtschaft. Aber solange sich an den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen in der Dritten Welt nichts Grundlegendes ändert, bleiben die Armen arm und hungern die Hungernden weiter. Denn der Preis für das Mitspielen im großen Spiel der Weltwirtschaft ist der Sozialabbau und die Zerstörung der Selbst­versorgungs­wirtschaft. Auch hier gilt: Entwicklung, die auf schieres Wachstum setzt, gebiert Armut und Hunger.

Die Weltwirtschaft produziert beides: Armut und Reichtum, und beide bedingen einander. Die Dritte Welt kann, vor allem unter dem Vorzeichen des Freihandels, nicht bestehen auf dem Weltmarkt, wenn sie die Kosten der Produktion nicht drastisch senkt. Sie kann nicht bestehen, wenn nicht Steuergelder die Produktion subventionieren. Es können in der Dritten Welt nur die Produzenten überleben, die zu geringsten Kosten das erzeugen, was die Industriestaaten brauchen. Dabei befinden sich die Kakao-, Baumwoll-, Erdnuß-, Getreide-, Früchte-, Gemüse- oder Fleischerzeuger wie Exporteure von Erzen in einer harten Konkurrenz untereinander, die nicht zuletzt angeheizt wird durch Produktionssteigerungen,

258


die mit Hilfe von Strukturanpassungsprogrammen und Weltbank-Krediten erreicht werden. Sie sind außerdem im Wettbewerb mit Industriestaaten, deren Nahrungsmittelsilos überquellen und die knapp werdenden Rohstoffe teilweise durch synthetische ersetzen können, was die Preise weiter drückt. Und schließlich sind die Exporteure der Dritten Welt die Importeure der stets teurer werdenden Fertigprodukte der Industriestaaten. Nur in Asien und Lateinamerika gelingt es wenigen Ländern mit zum Teil brutalen sozialen Folgen, ins Lager der Industriestaaten zu wechseln. Dem Rest ist der Armenplatz in der Weltwirtschaft bereits zugewiesen.

Die Schuldenkrise schwelt solange weiter, bis die Industriestaaten ihren Teil der Verantwortung übernommen haben und die Dritte Welt sich vom Wachstumswahn befreit, der nur einer kleinen Gruppe Privilegierter nutzt. Wie sich die Verschuldungs­malaise in Zukunft darstellen wird, hängt trotz aller Auflagen von Entwicklungen ab, auf die die Dritte Welt keinen Einfluß besitzt. Wenn man zum Beispiel bedenkt, daß der Schuldenanstieg im Vorfeld des »Mexiko-Schocks«, zwischen 1979 und 1982, zu vierzig Prozent auf Zinserhöhungen, besonders in den Vereinigten Staaten, zurückzuführen ist, dann ahnt man, wie weit die finanzpolitische Abhängigkeit des Südens vom Norden inzwischen gediehen ist. 

Die Haushaltsdefizite von Industrie­staaten sind ein wesentlicher Faktor, der die internationalen Zinsen nach oben treibt. In dem Maße, wie wir über unsere Kosten leben, steigen die Schulden der Dritten Welt, ohne daß ein einziger neuer Kredit beansprucht würde. Wo hohe Zinsen herrschen, dorthin strömt das Kapital. So haben im Jahr 1993 vor allem die USA das Herz der Geldanleger hüpfen lassen, weil die Staatsverschuldung auf 4,353 Billionen US-Dollar gestiegen war. Hohe Zinsen in den USA setzen die Notenbanken der anderen OECD-Staaten unter Druck, durch Zinssteigerungen den Kapitalstrom umzudirigieren. Leidtragende solcher internationalen Finanzmanöver sind sinnigerweise jene, die nichts damit zu tun haben.

259


Genausowenig haben die Bevölkerungen in Entwicklungsländern Einfluß auf die Terms of trade, auf die Austausch­bedingungen zwischen Nord und Süd, also auf die Entwicklung des Welthandels. Seit 1980 fallen die Rohstoffpreise und steigen die Kosten für Fertigerzeugnisse. Hinzu kommt, daß Entwicklungs­länder weder über große Devisenreserven verfügen noch über Lagertechnik, die es ihnen erlauben würden, Marktentwicklungen zu beobachten und auszunutzen. Auch weil die Ratenzahlungen drücken, müssen sie oft zu schlechten Bedingungen verkaufen.485 Einmal angewiesen auf den devisen­bringenden Export, gibt es ein Entrinnen aus der Weltwirtschaft nur um den Preis des vorgezogenen Untergangs.

 

     Alle Schulden streichen?    

 

Diese Forderung erheben zahlreiche Dritte-Welt-Bewegte im Norden, und im Süden finden sich naturgemäß viele Freunde dieser Idee. Sie ist konsequent, weil sie die Hauptverantwortlichen für Unterentwicklung und Verschuldung trifft, die ja gleichzeitig die wichtigsten Verursacher der ökologischen Katastrophe sind. Aber die Forderung setzt unausgesprochen voraus, daß die Kreditwirtschaft und die Weltwirtschafts­ordnung umgekrempelt werden zugunsten des Südens. Denn selbst wenn heute alle Schulden erlassen würden, so begänne morgen die Schuldenkatastrophe von übermorgen heranzuwachsen.

Außerdem: Welche Bank würde einem Schuldner Geld leihen, wenn sie von vornherein damit rechnen muß, daß sie es nicht wiederbekommt? Haben sich Staaten mit der Weltwirtschaft eingelassen, dann sind sie auf deren Mittel angewiesen, auch wenn diese sie strangulieren. Schließlich würde ein Schuldenerlaß Kapitalflucht und Verschwendung in zahlreichen Staaten der Dritten Welt belohnen und den Druck auf eine Veränderung sozialer und politischer Strukturen nehmen.

Untauglich ist aus den genannten Gründen auch die Forderung, ein Konkursrecht für Staaten zu entwickeln.486 Dies würde ebenfalls die Kreditwürdigkeit verschuldeter Länder aushöhlen und vor allen Dingen nichts ändern an den Mechanismen der Schuldenfalle.

260/261


Angemessen allerdings wäre es, wenn Weltbank und Währungsfonds sowie die Industriestaaten ihrer Verantwortung gerecht würden und einen Anteil der Risiken der globalen Überschuldung übernähmen. Würde der IWF alle seine Kredite an afrikanische Staaten erlassen, dann entspräche der Verlust etwa einem Zehntel seiner Goldreserven. Statt dessen denkt die Direktion des Fonds nicht daran, auch nur ein Darlehen abzuschreiben; der IWF genießt vielmehr weltweit als Gläubiger eine Vorzugs­behandlung. Bevor die im Pariser Club zusammengeschlossenen staatlichen Kreditgeber oder die im Londoner Club vereinten Geschäftsbanken über Umschuldungen und Schuldenfinanzierung verhandeln, müssen die Schuldner Zahlungsrückstände gegenüber dem IWF und auch der Weltbank getilgt haben.487

Ein anderer, so durchdachter wie interessanter Ansatz verlangt, soziale, ökologische, politische und wirtschaftliche Reformen mit günstigen Krediten zu belohnen. Das würde bedeuten, daß die Bekämpfung der Armut, die Verringerung der Rüstungsetats, die Förderung von Bildung und Gesundheit mindestens neben, wenn nicht an die Stelle von IWF-Auflagen und »politischer Konditionalität« träten. Es wurde in einigen wenigen Ländern wie Costa Rica, Peru, Bolivien oder Kenia auch versucht, Schulden zu erlassen, wenn im Gegenzug naturschützerische Maßnahmen erfolgten, wie etwa die Einrichtung von Naturreservaten. Verschiedene Hilfsorganisation haben bereits Schuldtitel gekauft, um solche Projekte voranzubringen.(488)

Solche Initiativen verdienen Unterstützung, aber sie stoßen an festumrissene Grenzen: Zum einen ändern auch sie nichts an den Ursachen der Verschuldung, zum zweiten endet ihre Wirkung an bestehenden Machtstrukturen in der Dritten Welt, zum dritten hinkt der Tausch von Schuldtiteln gegen Naturschutz — fachchinesisch »debt for nature swaps« — hinter der rasant voranschreitenden Umweltzerstörung hinterher, viertens sind die bisher eingesetzten Beträge unerheblich angesichts des Schuldenbergs, und fünftens ändern »swaps« nichts an den Hauptursachen der Umweltzerstörung.

Sinnvoll kann eine Auflagenpolitik nur sein, wenn sie sich am Verursacherprinzip orientiert. Der Umbau der Wirtschaft in den Industriestaaten weg vom Wachstumskurs, eine neue Weltwirtschaftsordnung und, darin eingebettet, Strukturreformen in der Dritten Welt wären nachdenkenswerte Alternativen. Aber jeder, der diese höchst abstrakten Ziele verfolgt, muß die intellektuelle Ehrlichkeit aufbringen, zu erklären, daß es sich hier nicht mehr um die schon ungünstige Ausgangslage eines Nullsummenspiels handelt, weil wir dessen Regeln längst verlassen haben.

Die Weltschulden, so bitter sie Milliarden von Menschen drangsalieren, sind nur der Ausdruck einer Wirtschaftsweise, die ihre Energie aus dem Unterschied zwischen arm und reich zieht. Sie wird verloren haben, wenn sie überall gesiegt hat.

Und noch eines: 

Nur weil wir die Wirklichkeit begrifflich säuberlich untergliedern, halten wir den Süden für den größten Schuldner unserer Welt. In Wahrheit sind es die Industrie­staaten, die sich über alle Maßen verschuldet haben. Beim blauen Planeten. Ihre Bewohner haben es nur noch nicht begriffen.

262

#

 

 

 www.detopia.de      ^^^^  

Von Christian von Ditfurth 1995