Weltschulden         Start    Weiter 

4.2  Schulden beim blauen Planeten

  Anmerk

 

263-287

Kein Schuldendienstquotient könnte ausdrücken, wie tief wir bereits in den Miesen sind. Und wir geraten immer tiefer hinein, weil wir uns mit erstaunlicher Verdrängungs­kraft eingerichtet haben im Niedergang.

Als Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre die öffentliche Rede auf das Waldsterben kam, gab es Aufruhr in den Medien und auf den Straßen. Inzwischen sterben nicht nur Nadelbäume, auch die Eiche und andere Laubhölzer siechen unwiederbringlich dahin. Aber nicht einmal der Verlust des deutschen »Nationalbaums« vermag die Gemüter zu erregen über den Tag hinaus, an dem die jährliche Waldschadens­bilanz vorgestellt wird. Weil die erschreckenden biologischen Verluste sich noch nicht spürbar auf unsere Lebensweise auswirken. 

Bislang leisten wir es uns, das Waldsterben als romantische Einbuße hinzunehmen, nicht als Ausdruck der Tatsache, daß wir uns Schritt für Schritt das Leben nehmen. 

Selbstmord auf Raten, den wir zum einen nicht wahrhaben wollen, so wie wir alles Übel von uns wegdrücken. Und zum anderen scheitert unser kollektiver Verstand einmal mehr daran, daß Ursache und Wirkung nicht im direkten Zusammenhang wahrzunehmen sind.

Wir haben es vielmehr mit zwei komplizierten Systemen zu tun, die vermeintlich unabhängig voneinander funktionieren. Das ist auf der einen Seite das natürliche Ökosystem Erde und auf der anderen das synthetische Ökosystem Weltwirtschaft. Letzteres besitzt wie ersteres eine eigene Entwicklungslogik. Die Wirtschaft belohnt und bestraft, sie hat dazu eigene Kriterien entwickelt, die nichts zu tun haben mit den Kriterien der Natur. Die Wirtschaft ahndet direkt und unnach­sichtig jedes Vergehen wider ihre Gebote.

Die Natur straft meist Jahre oder Jahrzehnte, nachdem die Tat geschehen ist. Aber sie bestraft immer und unerbittlich. Doch weil die Strafe fern ist, schreckt sie nicht ab. Kaum ein Unternehmer kann es sich leisten, Fehler zu wiederholen, denn die Quittung folgt auf dem Fuß. Weil die Ursache-Wirkungs-Zusammen­hänge von Natur und Ökonomie sich in ihrer zeitlichen Dimension unterscheiden, aber beide Mechanismen Versagen nicht verzeihen, betrachten manche Experten die Ökologie als Langzeit-Ökonomie.489

Die Verwirtschaftung der Gesellschaft — Stichwort »Konsumgesellschaft« — bedeutet, daß die Kriterien der Wirtschaft der Gesellschaft übergestülpt worden sind. Unsere Ökonomie ist auf Wettbewerb getrimmt. Wer den Maßstäben der Konkurrenz nicht standhält, hat verloren. Gewinn, das Bewegungsgesetz jeder wirtschaftlichen Aktivität, läßt sich nur erzielen durch Effizienz. Wer die höchste Arbeitsproduktivität erreicht, erkämpft sich Wettbewerbsvorteile. Je mehr Produkte einer verkauft, desto höher ist der Profit.

Läßt man sich einen Moment auf wirtschaftliches Denken ein, dann erscheint die Ökonomie in sich geschlossen, alle ihre Bestandteile greifen perfekt ineinander, und sie benötigt außerhalb ihrer selbst liegende Faktoren nicht, um zu funktionieren. Denn soweit sie auf das andere Ökosystem, die Natur, zugreift, betrachtet sie diese nicht als Natur, sondern als Wirtschaftsfaktor, entkleidet sie die Natur ihres eigentlichen Charakters. Die Wirtschaft verwandelt Pflanzen, Mineralien, Wasser und Erde in Wirtschaftsgüter, diese existieren für die Ökonomie nur durch ihre Eigenschaft, verwertbar zu sein. Wie bereits dargestellt, existiert die Natur nicht für die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung.

Die Trennung des Menschen von der Natur ist das Programm der herrschenden Entwicklungspolitik. Ihr erscheint ein Mensch, soweit er Bestandteil der Natur ist, als primitiv. Zivilisation ist ein Prozeß der Säuberung von allen natürlichen Bindungen.

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Das Glaubensbekenntnis der Kolonialisten und heutigen Dritte-Welt-Leninisten entnehmen wir einem UN-Report: »Die Entwicklung der menschlichen Ressourcen muß sich parallel zur Entwicklung der natürlichen Ressourcen vollziehen.«490  Auf deutsch: Entwicklung heißt, den Abstand zwischen Mensch und Natur zu vergrößern und Ressourcen in Wirtschaftsgüter zu verwandeln, indem sie ihres Charakters als der Natur entnommene Gegenstände beraubt werden.

Die Motivation von Menschen, die in der Wirtschaft arbeiten, hat mit dem Zustand der Natur wenig bis nichts zu tun. Die Verbesserung von Produktions­strukturen, moderne Managementmethoden, wie sie aus Japan zu uns herüberschwappen, Kostensenkung oder Mitarbeitermotivation, Gehaltserhöhungen, Arbeitsplatzsicherung — all das, was das Leben des Wirtschafts­menschen ausmacht, ist gänzlich getrennt vom Ökosystem Natur. Dabei ist der Mensch in beiden zu Hause, denn er ist ein Produkt der Natur und der Wirtschaft, der biologischen wie der kulturellen Evolution. Aber er verschmäht sein biologisches Erbe. Sieht man vom dumpfen Biologismus rechter Prägung — der mit Biologie gar nichts zu tun hat, außer daß er ihre Begriffe mißbraucht — einmal ab, dann gefallen sich alle ideologischen Lager in der Pose des von einigen Millionen Jahren Evolution befreiten Wesens, quasi einer kulturellen Selbstschöpfung.

Die Wirtschaft ist aber ein offenes System, weil sie Energie aus der Natur bezieht und diese in einen wirtschaftlich unbrauchbaren Zustand verwandelt. Wirtschaft ist eine Maschine, die Energie zerstreut. Sie entnimmt an einem Ende der Natur Ressourcen in Form von fossilen Brennstoffen und Rohstoffen und stößt sie am anderen Ende wieder aus als Müll und Wärme. An beiden Enden, an denen die Wirtschaft die Natur berührt, schädigt sie diese. Je mehr Ressourcen sie ihr entnimmt, desto größer der Schaden (auch wenn die Katalysatorideologie das nie begreifen wird.491 Recycling läßt den Müllberg etwas langsamer wachsen, ändert aber nichts an der Grundtatsache, daß zu jeder Tonne Abfall am Ende seiner Nutzung fünf weitere Tonnen Müll in der Produktion und zwanzig Tonnen bei der Rohstofferzeugung hinzugerechnet werden müssen.492

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Wettbewerb und Gewinnstreben erzwingen Wachstum, und das heißt Erhöhung des Energiedurchsatzes. Effizienz könnte ökologisch dann vorteilhaft sein, wenn sie entkoppelt würde vom Wachstum. Das aber ist eine wirklichkeitsfremde Wunschvorstellung. Zwischen 1860 und 1985 ist der Energiedurchsatz der Menschheit geradezu explodiert, und zwar auf das Sechzigfache. Der Energieverbrauch wird trotz aller Einsparmaßnahmen bis zum Jahr 2020 um weitere 75 Prozent zunehmen, wenn Bevölkerung und Wirtschaft wachsen wie bisher. Kohle, Erdöl und Erdgas werden auch dann noch 88 Prozent der weltweit kommerziell gehandelten Energie ausmachen.493

Ein Wirtschaftswissenschaftler der Weltbank namens Hermann Daly hat drei Maßstäbe genannt, nach denen sich schätzen läßt, welchen Energie­durchsatz die Erde verträgt: Regenerierbaren Quellen — Böden, Wasser, Pflanzen und so weiter — darf nur soviel entnommen werden, daß ihr Bestand sich auf mindestens dem vorherigen Niveau erneuern kann. Begrenzte Quellen wie fossile Energieträger oder Erze dürfen nur in dem Maß genutzt werden, wie sie durch regenerierbare Quellen ersetzt werden können. So sollen Ölvorkommen nicht schneller ausgebeutet werden, als Sonnenkollektoren der gleichen Kapazität aus den Gewinnen des Erdölverkaufs aufgebaut werden können. Ist die Ölquelle erschöpft, dann erzeugen die Kollektoren die Menge Energie, die das Ölvorkommen vor seinem Abbau geliefert hat. Schließlich dürfen Schadstoffe nur in solchen Mengen ausgestoßen werden, die es erlauben, sie in unbedenkliche Substanzen zu verwandeln. Und die Menge biologischer Abfälle muß begrenzt sein durch die Abbaukapazität der Natur.494 Hermann Dalys drei »Gesetze« sind so einleuchtend, wie offenkundig ist, daß wir uns nicht an sie halten.

 

      Öko-Kolonisierung    

 

Für regionale wie für globale ökologische Zerstörungen gibt es verschiedene Gründe. In der Dritten Welt geht es oft ums Überleben. Bei uns meist um Luxus. Dafür werden gigantische Ressourcen verschleudert. Die Industriestaaten haben ein Viertel der Weltbevölkerung, beanspruchen aber vier Fünftel des weltweiten Energieverbrauchs495 und verantworten drei Viertel des Ausstoßes von Treibhausgasen.496

Geht man vom Verbrauch aus, dann sind 97 Prozent der globalen Umweltzerstörungen dem Norden anzulasten.497 Reiche in einem Industrieland verbrauchen zirka achtzehnmal soviel Energie wie Arme in einem Entwicklungsland. Nimmt man Japan aus der Rechnung heraus, dann geht auf das Konto jedes Nordamerikaners zehnmal soviel Kohlendioxid wie auf das eines Asiaten.498)

Zu Recht argumentieren Vertreter von Entwicklungsländern, daß die Ursachen für die Umweltzerstörung durch Industriestaaten in der Ökonomie des Reichtums begründet sind, die Ökokatastrophe in der Dritten Welt dagegen der Ökonomie der Armut entspringt. So bringt der Wirtschaftswissenschaftler Elmar Altvater die widersprüchliche Lage auf den Punkt. Die Weltwirtschaft und besonders die Schuldenkrise lassen den Ländern des Südens keine Alternative zur Ausplünderung der eigenen Ressourcen.499)

Mehr als die Hälfte der 780 Millionen ärmsten Menschen der Dritten Welt lebt in ökologisch geschädigten oder akut bedrohten Gebieten500, und ihr Kampf gegen den Hunger muß diese Regionen weiter zerstören, bis schließlich alle Lebensgrundlagen vernichtet sind.

Der Hamburger Politologe Klaus Michael Meyer-Abich verweist auf die fatale Chronik der Nord-Süd-Beziehungen, wie sie in der Umwelttragödie kulminiert. Zuerst schickte der Norden Soldaten, die die neu entdeckten Länder ausraubten, was den Reichtum des Abendlands mit begründet hat. Dem folgt eine Phase, in dem das »Recht des Stärkeren« die Finanz- und Wirtschafts­verhältnisse prägt und in der die Reichen mehr aus dem Süden bekommen, als sie ihm geben. Schließlich gesellt sich dazu die Ökokatastrophe, deren Hauptverursacher mit weitem Abstand die Industriestaaten sind. Das beschreibt Meyer-Abich, keinesfalls ein Revolutionär, als »Ökokolonisierung«.501

Schonung und Verzicht wären eine Säule einer ökologischen Reformstrategie mit globaler Wirkung. Die umweltgerechte Modernisierung wäre das zweite Standbein. Aber nur letztere kommt der technikgläubigen Entwicklungspolitik in den Sinn, denn mit ihr lassen sich neue Wachstums­schübe initiieren.

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Der Weltmarkt ruft nach Umwelttechnik, Japan als leuchtendes Beispiel auch hier. Als würde das Entropiegesetz nicht gelten bei den fleißigen Menschen Nippons. Dabei ist das so vorbildliche Japan einer der größten Energie- und Ressourcenverbraucher der Welt, mitverantwortlich für das flächendeckende Abholzen der Wälder Südostasiens und fanatischer Verfechter des Walfangs.502 Nicht einmal die cleverste japanische High-Tech-Schmiede wird Wachstum und Energiebedarf voneinander entkoppeln können, auch wenn technologisch beeindruckende Sparerfolge diesen Eindruck erwecken mögen. Und: Der aufstrebende Zweig Umweltindustrie ist selbst Ressourcen- und Energievernichter. Was die Umwelttechnik auf der einen Seite erspart, kostet sie zumindest teilweise auf der anderen.

Viele Formen von Umweltschutz lassen sich nur erreichen durch Schonung. Das gilt vor allem für das Artensterben. Vorbeugung ist auch notwendig, weil die Kosten für Ökoreparaturen überproportional steigen. Damit wächst der Energieaufwand für die Nachsorge schneller als in der umweltbelastenden Produktion. Was für einen außerbetriebswirtschaftlichen Sinn soll es haben, wenn Umweltnachsorge die Abfall- und Abwärme­menge erhöht? Lösungen sind daher nicht nach der Produktion, sondern vor und in ihr zu suchen.

Würde das Verursacherprinzip angewendet, so müßten den Industriestaaten ökologische und ökonomische Auflagen verordnet werden, gegenüber denen die Struktur­anpassungsdiktatur des IWF ein Kinkerlitzchen darstellt. Aber es geht nicht nach überlebenswichtigen Erfordernissen, sondern nach dem Credo, daß die Industrie­staaten, bei allen einzugestehenden, aber angeblich bald behobenen Schwächen, entwickelt sind und der Rest der Welt nicht.

Dabei liegen die Einsichten für jeden offen auf dem Tisch. Sie verschließen sich nicht einmal Regierungs­politikern. Der langjährige Parlamentarische Staatssekretär Hans-Peter Repnik etwa erklärt in einer schon zitierten CDU-Broschüre: 

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»Abstriche sind unumgänglich. Nicht an dem berechtigten Anspruch derer, die um das nackte Überleben kämpfen müssen, sondern Abstriche bei uns, aber auch bei den Eliten in vielen Entwicklungsländern, die sich gerne an unseren Konsumstandards orientieren.«503) Wenn auch viel Bedenkliches in Repniks Artikel steht, hier hat er recht. Nur: Wann fängt diese oder eine andere Regierung an mit den Abstrichen bei uns? Hier tut Eile wirklich not. Nein, die »Orgie des Borgens von der Erde« wird unverdrossen weitergefeiert. Schließlich leben wir ja nicht in Bangladesh.

Selbst wenn wir uns für einen Moment in die Gedankenwelt eines Entwicklungspolitikers versetzten, wäre die Forderung nach Abstrichen im Norden unabweisbar. Sonst ist Wirtschaftswachstum im Süden tödlich für die Umwelt. Würden die Menschen im Süden nur die Hälfte der Energie verbrauchen, die ein Brite durchschnittlich durch Schornstein und Auspuff jagt, dann würde bei der als sicher anzunehmenden baldigen Verdoppelung der Bevölkerung auf elf Milliarden das Dreifache der heute beanspruchten Energie gebraucht. Das Dreifache! Wo doch schon dessen dritter Teil viel zuviel ist. Alle zwölf Monate verfeuern wir schon heute soviel Öl, wie die Natur in einer Million Jahren erzeugt hat.504 

 

Unser Wachstumswahn überbeansprucht nicht nur die Energiereserven der Erde, sondern erzeugt auch den zusätzlichen Treibhauseffekt. Wer Pflanzen unter Glas anbaut, will die Wärmekraft der Sonne steigern. Glas läßt deren kurzwellige Strahlung ungehindert passieren, hält aber die langwellige Strahlung der sich so bildenden Wärme teilweise zurück. Im Ergebnis steigt die Temperatur im Treibhaus. Leben auf der Erde wäre unmöglich, würde nicht etwas mehr Wärme zurückgehalten, als die Sonne auf die Erde strahlt. Die Aufgabe des Treibhausglases für die Erde haben vor allem Kohlendioxid, Wasserdampf, Methan und Stickoxide übernommen (weitere Treibhausgase fallen in unserem Zusammenhang nicht ins Gewicht). Ohne sie wäre die Erde eine Eiswüste mit einer globalen Durchschnitts­temperatur von minus 15 Grad Celsius gegenüber den 15 Grad plus im weltweiten Mittel505, die Flora und Fauna erst ermöglichen.

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Die Nutzung fossiler Brennstoffe in Industrie, Verkehr und Heizungen hat die Menge der Treibhausgase aber stark erhöht. Wissenschaftliche Untersuchungen, vor allem Bohrungen, haben gezeigt, daß auf der Erde während Jahrmillionen der Kohlendioxidanteil in der Atmosphäre nie auf mehr gestiegen ist als auf 300 Moleküle pro eine Million Luftteilchen (also 300 parts per million: ppm). Vor Beginn der Industriellen Revolution betrug der CO2-Anteil 280 ppm, heute liegt er bei 350 ppm.

Pessimistische Prognosen schließen einen Anstieg auf fast unvorstellbare 600 ppm nicht aus, wie der heutige US-Vizepräsident Al Gore berichtet hat, als er noch Senator war.506 Es ist leider nicht überliefert, daß die Regierung der Vereinigten Staaten, deren Vizepräsident Gore ist, Maßnahmen eingeleitet hat, um als Rekorderzeuger von Kohlendioxid abzutreten. Ein klassisches Dilemma, daß Einsichten auf der Strecke bleiben, wenn man in das Interessengeflecht der Wirtschafts­gesellschaft gerät, ob als Arbeiter oder als Vizepräsident.

 

Methan, das auch die Ozonschicht auffrißt, entsteht unter anderem auf Reisfeldern durch sogenannte Sumpfgase, auf Müll­deponien und in Rindermägen. 80 Millionen Tonnen Methan gehen auf das Konto von Rülpsern und Blähungen, weitere 35 Millionen stammen aus tierischen Exkrementen in Mastanlagen und Agrarfabriken. Fünfzehn bis zwanzig Prozent des emittierten Methans stammen allein aus diesen Quellen. 507)

Das meiste aber entweicht den Reisfeldern. Bevor der Fortschritt in den Reisanbau eingezogen war, standen die Böden nur einmal im Jahr für einige Zeit unter Wasser. Der Superreis der ersten und der zweiten »grünen Revolution« und eine ausgefeilte Bewässerungstechnik erlauben es mittlerweile, zwei oder drei Ernten pro Jahr einzufahren. So bleibt der Boden die meiste Zeit unter Wasser, und die Pflanzen­rückstände verrotten, ohne daß Sauerstoff zugeführt würde. Ein Viertel des weltweit entstehenden Methans entweichen auf diese Weise in die Atmosphäre. Das Gas soll sich außerdem bilden, wenn Stickstoffdünger im Boden umgewandelt wird.508 In den letzten 200 Jahren hat sich die Methankonzentration auf 1,7 ppm verdoppelt, und sie wächst jährlich weiter um ein Prozent.509

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So wichtig der natürliche Treibhauseffekt für ein erträgliches Klima ist, ohne die Vegetation, vor allem die Wälder, wäre Leben nicht möglich. Denn der Wald hat, wie andere Pflanzen auch, die Aufgabe, Kohlen­dioxid aufzunehmen und dabei Sauerstoff zu erzeugen. Wald ist als Regulator für das Klima von ausschlaggebender Wichtigkeit. Verlieren wir ihn, steigt der Kohlendioxid­gehalt in der Atmosphäre drastisch, während gleichzeitig der Sauerstoffanteil der Luft auf ein lebensbedrohliches Maß sinkt. Klima ist ein gigantisches und hochkomplexes Ökosystem, in dem es wie in anderen Ökosystemen darauf ankommt, daß die Proportionen und Wirkmechanismen stabil bleiben.

 

      Rasend schnell wächst die tödliche Bedrohung    

 

Zu Recht betrachten wir die Zerstörung der Tropenwälder als eine große Gefahr. Diese Wälder bergen in sich die größte Lebensvielfalt auf der Erde, und viele ihrer Arten sind noch nicht erforscht. Das genetische Reservoir der Erde wird in seiner Reichhaltigkeit bedroht, wenn die tropischen Regenwälder sterben, und dies tun sie in wahrhaft atemberaubender Geschwindigkeit. Aber der Verweis auf diese Schuld des Südens ist so richtig wie heuchlerisch. Denn was die entscheidende Funktion des Kohlendioxidspeichers betrifft, gibt es keine grundsätzlichen Unterschiede zwischen den artenreichen Wäldern in den Tropen und jenen in klimatisch gemäßigten Regionen, also bei uns oder in Nordamerika, sieht man davon ab, daß die Tropen­wälder mehr Kohlenstoff speichern können. 

Die durch Entwaldung freiwerdenden Mengen an Kohlendioxid werden höchst unterschiedlich geschätzt, die Bandbreite reicht von 0,4 bis 20 Milliarden Tonnen pro Jahr.510) Ekkehard Launer nimmt an, daß jedes Jahr sechs bis sieben Milliarden Tonnen CO2 durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Erdgas freigesetzt werden, hinzu kämen ein bis zwei Milliarden Tonnen durch die Abholzung der Wälder.511)

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Während Politiker und Öffentlichkeit in den USA vor allem Brasilien kritisieren, weil es am Amazonas die gigantischen Rodungen nicht beendet, wird mit Unterstützung US-amerikanischer Steuergelder der letzte große Regenwaldbestand des Nordens in Alaska abgeholzt. Der Wald im Tongass* ist so dicht, daß er mehr Kohlendioxid absorbieren kann als Brasiliens Tropenwald.512)

Das Waldsterben in Europa ist für unser Klima prinzipiell nicht minder gefährlich als die Rodungen in anderen Teilen der Welt. Stirbt der Wald, dann stirbt am Ende nicht die Natur. Ihr wird es in ihrer unendlichen Phantasie gelingen, neue Formen des Lebens zu schaffen. Wir werden allerdings nicht mehr dazu gehören. Um so erschreckender ist es, daß die tödliche Bedrohung rasend schnell voranschreitet.

6 Milliarden Hektar der Erdoberfläche waren bewaldet, bevor der Mensch vor 3000 bis 4000 Jahren zu roden begann, um Böden landwirtschaftlich zu nutzen. Davon sind heute 4 Milliarden Hektar übrig geblieben, allerdings nur 1,5 Milliarden davon im ursprünglichen Zustand. Schätzungen zufolge gibt es noch 1,2 Milliarden Hektar geschlossene tropische Wälder. Fünfzig Prozent aller Waldverluste fallen in die Zeit zwischen 1950 und 1990. In den USA wurden 85 Prozent des Urwaldes vernichtet, in Europa liegt die Verlustquote praktisch bei 100 Prozent.513)

In China hatten Wälder einst siebzig Prozent des Bodens bedeckt, heute sind es noch zehn Prozent, in Äthiopien sank der Anteil von vierzig auf drei Prozent.514 Die weltweiten Verluste schwanken zwischen 17 und 20 Millionen Hektar pro Jahr.515) Täglich gehen 550 Quadratkilometer allein des tropischen Regenwalds verloren, mehr als die Fläche des Bundeslandes Bremen. Insgesamt ist schon mehr als die Hälfte der Tropenwälder zerstört.516 Noch mehr Bestände als im globalen Durchschnitt sind in Afrika dem Fortschritt geopfert worden.517) Und doch wird der schwarze Kontinent bedenkenlos weiter entwaldet, bis Afrika schließlich fast nur noch aus Steppe und Wüste besteht. 

*  (d-2008:)  wikipedia  Tongass-Nationalforst  

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Fünf Millionen Hektar werden dort jedes Jahr gefällt, das sind 0,8 Prozent der Bestände. Es ist kein Trost, daß der Wachstumswahn anderswo noch schneller seine hölzernen Opfer findet mit einer Waldvernichtungs­rate von 0,9 Prozent in Lateinamerika — dort sogar 2,1 Prozent der Urwälder — und 1,2 Prozent in Asien.518 Wenn diese Zerstörungswut nicht gestoppt wird, gibt es in knapp fünfzig Jahren keinen Urwald mehr519), ein unwiederbringlicher Verlust, den kein »Sekundärwald« ausgleichen kann.

 

Nun gibt es viele begründete Zweifel an internationalen Statistiken. Manche glauben, daß die Qualität der oft auf monströsem Material beruhenden Zahlenwerke schlechter werde, weil in Zeiten knapper Etats auch die Statistiker sparen müßten. Andere mißtrauen internationalen Statistiken generell, weil sie wissen, wie viele Regierungsbehörden sich einen Nutzen daraus versprechen, Daten zu fälschen. So hat Indiens Regierung beispielsweise zwei- bis dreifach mehr Waldflächen ausgewiesen, als Satelliten gefunden haben. 1979/80 haben die Vereinten Nationen die Waldverluste mit 57.000 Quadratkilometer jährlich ausgewiesen. Die Akademie der Wissenschaften der USA dagegen sprach zur gleichen Zeit von 200.000 Quadrat­kilometern, die amerikanische Satelliten gemessen hatten. Und die Enquete-Kommission des Bundestags »Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre« spricht von 160.000 bis 200.000 Quadrat­kilometern pro Jahr.520  

Zählt man zu den gerodeten die beschädigten Wälder hinzu, so schätzen Diefenbacher und Ratsch die betroffene Fläche auf rund 350.000 Quadrat­kilometer pro Jahr521, was bedeutet, daß alle zwölf Monate Wald auf einer Fläche zerstört oder ökologisch beeinträchtigt wird, die so groß ist wie das vereinte Deutschland. Die Welternährungsorganisation spricht sogar von 560.000 Quadrat­kilometern Wald, die jedes Jahr gerodet werden.522)

Die Zahlen resultieren aus unterschiedlichen Meßverfahren, sie beziehen sich teilweise auf verschiedene Wildformen und unterliegen ohnehin zahlreichen Ungenauigkeiten wie alle anderen scheinbar so detaillierten internationalen Angaben auch. Und dann gibt es Grenzfälle, die schwer zu entscheiden sind.

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Wald, dessen Kronendach licht geworden ist, weil einzelne Bäume gefällt wurden, ist zwar noch nicht zerstört, aber er erodiert schneller, bietet dem Boden geringeren Schutz gegen Regen und Sonne, erwärmt sich, wodurch große Mengen an Kohlendioxid und Methan aufsteigen, er verliert teilweise seine Fähigkeit, Wasser zurückzuhalten, ist anfälliger gegen menschliche Eingriffe und Brandgefahr und wird der Trockenheit ausgesetzt, weil mit seiner Beschädigung die von ihm »produzierte« Niederschlags­menge sinkt.523 Er ist Wald, der künftig zerstört zu werden droht, auch weil seine Widerstands­kraft sinkt. 

Wie sich ein solches Übergangsstadium der Zerstörung und die Waldvernichtung insgesamt in genauen Zahlen ausdrücken läßt, ist gleichgültig, da bei allen statistischen Abweichungen das nahe Ergebnis unabwendbar erscheint.

 

     Wachstum zerstört Natur    

 

Alle Warnungen sind versandet. Die Ursachen der Waldzerstörung liegen seit Jahrzehnten offen zutage — und damit die Maßnahmen, die geeignet wären, das tödliche Treiben zu beenden.

Die alle anderen Ursachen vereinigende Triebkraft des globalen Waldsterbens ist der Wachstumswahn. Wachstum zerstört Natur und schafft Elend, Elend zerstört Natur nicht minder. Wenn immer mehr Menschen mehr Brennholz verbrauchen, als nachwachsen kann, verwandeln sich immer größere Flächen in baumlose Steppen, Wüsten von morgen. Die Bewohner von Kano in Nigeria haben 1989  75.000 Tonnen Holz geschlagen in einem Umkreis von 25 Kilometern um die Stadt herum. Die Bürger von Ougadougou in Burkina Faso haben bereits die Holzreserven in einem Radius von 60 Kilometern erschöpft. Sie müssen ein Viertel ihres Einkommens für Brennholz aus noch weiterer Entfernung berappen.524  

Die Welternährungsorganisation FAO hat für 1980 errechnet, daß knapp 1,2 Milliarden Menschen in der Dritten Welt ihren Brennholzbedarf nur decken konnten, indem sie die Baumbestände überbeanspruchten.

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Fast die Hälfte der in Entwicklungsländer wohnenden Menschen wird schätzungsweise schon im Jahr 2000 nicht genügend Brennholz haben525, zehn Jahre später wird die Nachfrage nach Brennholz voraussichtlich auf 900 Millionen Kubikmeter explodiert sein.526

Wo Brennholz ausgeht, wird der Dung der Tiere verwendet. Aber der fehlt dann auf den Feldern, weshalb die Nahrungs­mittelerzeugung zurückgeht. In Nepal fällt die Weizenernte zum Beispiel allein aus diesem Grund um etwa fünfzehn Prozent schlechter aus als früher.527

Aber so verheerend die Feuerholzgewinnung für viele Regionen ist, sie reicht allein noch nicht aus, um die Wälder der Welt tödlich zu bedrohen. Hans Diefenbacher und Ulrich Ratsch verweisen darauf, daß bei einem hoch angesetzten Holzverbrauch von einer Tonne pro Kopf und Jahr die obere Grenze der durch Brennholzgewinnung bewirkten Waldvernichtung zwischen 25.000 und 70.000 Quadratkilometer liegt.528

Viel gravierender ist der wachsende Holzverbrauch in den Industriestaaten. Wurden im Jahr 1950 erst 4,2 Mill­ionen Kubikmeter Tropenholz exportiert, so waren es 1986 schon 56,5 Millionen Kubikmeter. Das weitaus meiste Tropenholz stammt aus Asien (48,6 Millionen Kubikmeter, davon mehr als die Hälfte aus Malaysia), am wenigsten, im Widerspruch zu vielen Diskussionen in der Öffentlichkeit, aus Lateinamerika (2 Millionen Kubik­meter). Für 1987 ergibt sich folgendes Bild: Japan war mit 15,9 Millionen Kubikmetern der bedeutendste Tropenholznutzer, weil es die eigenen Wälder schonen will. Die EG folgte mit 11,3 Millionen, wovon Westdeutschland 1,9 Millionen Kubikmeter bestritt.

Tropenholz zählt zu den wichtigsten Ausfuhrwaren der Dritten Welt529, die nicht zuletzt versucht, der Schulden­lawine durch Deviseneinnahmen zu entkommen. 14,3 Prozent der Exporterlöse Malaysias stammten 1987 aus der Tropenholzausfuhr, etwas mehr als ein Zehntel der Auslandsverschuldung des Landes. Von Burmas Exporten machten Tropenhölzer fast 64 Prozent aus, wohingegen das vielgescholtene Brasilien einen Tropenholzanteil an seinen Gesamtausfuhren von einem halben Prozent aufwies.530

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Manfred Wöhlcke weist zu Recht darauf hin, daß die entwicklungspolitische Bedeutung des Tropenholz­exports übertrieben wird, zumal den dadurch erzielten Einnahmen Devisenausgaben gegenüberstehen für die teure Technik der Holzwirtschaft: Straßenbau, Maschinenparks, Gehälter für ausländische Experten und so weiter. Wöhlcke lakonisch: »Da die Vergabe von Holzlizenzen und der Holzexport unter den Herrschaftseliten der Exportländer ein bevorzugter Sektor schneller persönlicher Bereicherung sind, nähert sich vermutlich die behauptete 'wichtige' entwicklungspolitische Bedeutung der Devisen­einnahmen in den meisten Fällen nach Abzug der auf ausländische Konten überwiesenen Bestechungs­gelder und der für den persönlichen Konsum verwandten Einnahmen der Nullgrenze.«531

Mehr als neunzig Prozent der Gewinne aus Afrikas Tropenholzexport kassieren europäische Firmen und die Europäische Union, die jährlich 66 Millionen Mark an Importzöllen und 2,2 Milliarden aus dem Mehrwert­steueraufkommen der Holzwirtschaft einnimmt. Ein Kubikmeter Holz kostet in Kamerun rund 9,20 Mark, in Europa liegt der Verkaufspreis bei wenigstens 3400 Mark.532

Einen an Irrsinn kaum zu überbietenden Grund für Waldrodungen meldete im Frühjahr 1989 die »Süd­deutsche Zeitung« unter der Überschrift »Klopapier-Hersteller will Regenwald abholzen«. Demnach zerstört ein amerikanisches Unternehmen auf der indonesischen Insel Iran Jaya mit Regierungs­genehmigung 800.000 Hektar Regenwald, um die Bäume zu Papiertaschentüchern und Toilettenpapier zu verarbeiten. Im Rahmen des 650-Millionen-Dollar-Projekts sollen auf der Fläche des abgeholzten Waldes Eukalyptusbaum-Monokulturen entstehen, weil diese Pflanze leicht zu verarbeiten sei.533) 

Am so oder anders motivierten Tropenholzexport sterben Asiens Wälder, aber weniger der Regenwald am Amazonas. Er stirbt eher an einer Landwirtschaft, in der Fleisch und andere Produkte für den Export erzeugt werden. In den Jahren 1966 bis 1983 wurden 100.000 Quadratkilometer Regenwald allein in Brasilien der Fleischproduktion geopfert.534) 

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Ein tödlicher Sieg der Entwicklungsidee mit einer eindeutigen Bilanz: 

Auf einem Hektar Regenwald leben etwa 800 Tonnen Flora und Fauna. Wird dieser Hektar abgeholzt und in Weide verwandelt, lassen sich auf ihm maximal 200 Kilogramm Fleisch erzeugen, umgerechnet 1600 Hamburger. Weil so entstehendes Weideland bald ausgelaugt ist, müssen, da die Viehwirtschaft fortgesetzt wird, weitere Hektar Wald weichen. Daher rechnet ein Experte, daß ein Hamburger unterm Strich neun Quadratmeter Regenwald kostet, »neun Quadrat­meter unersetzlichen, natürlichen Reichtums, auf ewig zerstört für den Preis eines schnellen, ungesunden Imbiß«535.

Der Versuch, aus Brasilien einen entwicklungspolitischen Musterindustriestaat der Dritten Welt zu machen, ist die entscheidende Ursache für die Amazonaskatastrophe. Wenn zu der holzfressenden Industrialisierung die Aufteilung in wenig reiche Landbesitzer und viele Landlose kommt, dann werden Menschen in die Wälder gedrängt, die sie roden, um Ackerland zu gewinnen. Aber der Boden der Regenwälder ist nicht geeignet für die Agrarwirtschaft. In unseren Breitengraden verrottet Laub langsam und bildet so Schicht für Schicht einen tiefen, nährstoffreichen Boden. 

Aber während ein Blatt bei uns eineinhalb Jahre benötigt, um zu zerfallen, wird es im amazonischen Regen­wald binnen weniger Stunden zersetzt. Das heißt, daß es sofort wieder in neues Leben verwandelt wird, ohne viel Zeit zu finden, Boden zu bilden. Der Boden im Regenwald ist daher dünn und nährstoffarm.536 Er ist bald ausgelaugt, wenn er landwirtschaftlich beansprucht wird. Es sind nach der Rodung keine Wurzeln mehr da, die den Boden festhalten, und keine Baumkronen schützen ihn vor den riesigen Regenmengen. So wird die dünne Bodenschicht wegge­schwemmt, und die Rodungsbauern dringen weiter vor in die Wälder. Nicht einmal ein Jahr nach der anspruchsträchtigen Umweltkonferenz in Rio de Janeiro hatten allein die Brandrodungen im brasilianischen Regenwald um fünfzig Prozent zugenommen. Satellitenfotos zeigten im Sommer 1993  15.172 Feuer gegenüber 10.289 im Jahr zuvor.537

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In Brasilien geht der Wald nicht an Überbevölkerung und Feuerholzgewinnung zugrunde, sondern an der geradezu absurden Konzentration des Landbesitzes in wenigen Händen:  43 Prozent des landwirtschaftlich nutzbaren Bodens gehören ein Prozent der Agrarbetriebe. Sieben Millionen der auf dem Land lebenden Familien besitzen dagegen nicht einmal einen Quadratzentimeter Boden.538 Eine Landreform zugunsten der Armen würde dem Regenwald die Invasion der Armut ersparen. Und würde dann noch darauf verzichtet, riesige Rinderherden auf ehemaligen Waldböden zu weiden, um Hamburger-Brätereien und Steakhäuser zu versorgen, wären die Hauptursachen des amazonischen Waldsterbens beseitigt.

Statt dessen wird ganz im Sinn der auf Wirtschaftswachstum ausgelegten Entwicklungspolitik, unterstützt von Weltbank, IWF und Industriestaaten, das Amazonasbecken erschlossen. Breite Schneisen für Straßen durchziehen den Wald. Die Anrainer, die sich dort angesiedelt haben, roden den Wald. Statt den Reichen wenigstens einen Teil ihres oft ungenutzten Landes wegzunehmen, fördert Brasiliens Regierung die Ansiedlung von Kleinbauern am Amazonas, obwohl es genug Land gäbe, um die Menschen zu ernähren, ohne den Wald zu beschädigen. 

In anderen Waldgebieten hat sich die Entwicklungshilfe ebenfalls ausgetobt. So zum Beispiel in Tansania, wo Gelder aus dem Norden kamen, damit eine riesige Fläche — Nabere-Farms — entwaldet werden konnte, um darauf Bohnen für Europa zu pflanzen. Auf bestem ehemaligem Waldboden wächst für denselben Bestimmungsort außerdem Kapuzinerkresse. Die Entwicklungsprofis hatten herausgefunden, daß sie am Fuß des Kilimandscharo billig Blumensamen produzieren können. Ergibt 2000 Tonnen »holländischen Blumen­samen« für die Hobbyfloristen des alten Kontinents.

Der Regierung der Elfenbeinküste haben die Entwicklungshelfer vor vielen Jahren schon klargemacht, daß Holzwirtschaft eine lukrative Sache sei. Daraufhin wurde großflächig Urwald gerodet. Auf den freigeschlagenen Flächen pflanzten die Bauern Ölpalmen. Aber die hatten keine Chance zu reifen, weil der Weltmarktpreis für deren Früchte zusammenbrach. Die Jungpflanzen wurden herausgerissen und statt dessen Hirse angepflanzt.

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Bis die Bauern registrierten, daß Urwaldrodung und landwirtschaftliche Nutzung der neuen Flächen den Grund­wasserspiegel gesenkt hatten. Der Boden trocknete aus, die Landwirtschaft ging kaputt, und die große Stunde der barmherzigen Nahrungsmittelhilfe auch für die Elfenbeinküste war eingeläutet.539 Die Geschichte der Entwicklungspolitik im Kleinformat, aber mit allen ihren schon klassischen Ingredienzen.

In der globalen Waldvernichtung, ob durch Rodung oder Gift, dokumentiert sich auf das wirksamste das Credo der Entwicklungs­politik, ihr Wachstums­fetischismus, der alle Grenzen überschreitet. Im Norden sind es vor allem die Wohlstands­gifte, die die Wälder töten, im Süden die Motorsägen, die binnen Minuten hundert Jahre alte Stämme fällen — alles im Dienst des Wachstums.

Allein die Tropenwaldabholzung trägt fünfzehn Prozent zum zusätzlichen Treibhauseffekt bei, so die Klimaschutz-Enquete-Kommission des Bundestags, die weitere Folgen der großflächigen Waldvernichtung genannt hat: Durch sie wird auch das regionale Klima gestört. In den Rodungsgebieten steigen die Temperaturen um zwei bis fünf Grad Celsius, es fallen weniger Niederschläge, und es verlängern sich die Dürreperioden. Eine längere Trockenzeit fördert die Bodenerosion und damit den Verlust landwirtschaft­licher Nutzflächen.

Zur Erinnerung: Legt man eine Karte mit den Ländern Afrikas, in denen die Wüste am weitesten vorangeschritten ist, über eine Karte, auf der die Gebiete mit den meisten unterernährten Menschen eingetragen sind, dann stellt man eine erstaunliche Übereinstimmung der betroffenen Regionen fest: Angola, Burkina Faso, Tschad, Äthiopien, Mali, Mauretanien, Niger und Somalia lassen sich darauf entdecken.540

In Tansania sind der Fluß Engare Nanyuki und seine Quellen ausgetrocknet, weil finnische Experten Regenwald am Kilimandscharo abgeholzt haben. Dort, wo die Entwickler statt dessen Koniferen-Mono­kulturen angepflanzt haben, verdirbt der Boden, so daß Tansania nun Kunstdünger aus Industriestaaten gegen knappe Devisen importieren muß.541

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Schon im Jahr 1938 hat die britische Zeitschrift <Geographical Review> berichtet, wie Entwaldung und Überbeanspruchung Böden in einen definitiven Endzustand versetzen können — in Wüste: »Die Wüste dringt nicht von außerhalb vor, sondern das Land verschlechtert sich von innen heraus.«542)

Die Enquete-Kommission des Bundestags hat daraufhingewiesen, daß die Artenverluste groß, aber nicht abzuschätzen sind. Von den die Erde bevölkernden Arten leben womöglich fünfzig bis zu neunzig Prozent in tropischen Regenwäldern. Auf sechs Quadratkilometern Urwald leben im Mittel 1500 verschiedene blühende Pflanzen, 750 unterschiedliche Bäume sowie 400 Vogel-, 150 Schmetterlings-, 100 Reptilien- und 42.000 Insektenarten. Ingesamt existieren in den Regenwäldern zig Millionen von Tier- und Pflanzenarten.543 Das genetische Reservoir der Erde ist zum Großteil in den Wälder des Südens zu finden.

Artenverluste sind irreparabel, Pflanzen und Tiere verschwinden für immer mit all den Informationen, die lebenswichtig sein könnten für unsere Fortexistenz. So stammen immer mehr Medikamente aus tropischen Regenwäldern, die Größe dieser pharmakologischen Schatzkammer ist nicht einmal zu ahnen. Und immer wieder greifen Saatgutreparateure auf natürliche Pflanzenarten zurück, weil das Labor Regenwald nach wie vor produktiver und kreativer arbeitet als alle High-Tech-Forschungs­institute der Welt zusammen. Während die biologische Evolution im Schnitt vier Arten pro Jahr aussterben läßt, bringt es das Wirtschafts­wachstum auf geschätzte 50.000 im gleichen Zeitraum.544) 

Außerdem stellte die Bundestags-Enquete-Kommission fest, daß der Lebensraum einheimischer Bevölkerungen zerstört wird. Damit werden ökologisch angepaßte Wald- und Landnutzungsverfahren ausgelöscht.545 So, wie die Waldvernichtung zum Schaden der Menschen den einen den Regen raubt, so sorgt sie woanders dafür, daß Menschen unter Wasser leiden. Weil in Indien großflächig Wälder abgeholzt wurden und die Böden dadurch weniger Wasser speichern können, werden jedes Jahr rund zwanzig Millionen Hektar Land überflutet.546

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Überall, wo großflächig abgeholzt wird, spült der Regen den Boden fort. In den letzten beiden Jahrzehnten haben die Bauern weltweit etwa 480 Milliarden Tonnen Bodenkrume eingebüßt, soviel Mutterboden, wie Indien besitzt.547 Flüsse, Seen, Stauseen, Kanäle und Bewässerungsanlagen verschlammen. Wo die Wasserrückhaltekapazität des Waldes fehlt, sinkt der Grundwasserspiegel, versiegen Quellen und Brunnen.

Dem Sterben der Wälder folgt die Wüste. Das Land, das Menschen durch Rodung gewinnen, trocknet allmählich aus. Der Nutzen ist oft von kurzer Dauer. Im vergangenen halben Jahrhundert haben sich in Afrika südlich der Sahara 65 Millionen Hektar in Wüste verwandelt. Fast drei Viertel der Weiden weltweit sind bedroht durch Verwüstung. Im Jahr 1991 haben Fachleute geschätzt, daß jedes Jahr 4,5 Millionen Hektar Boden landwirtschaftlich unbrauchbar werden, andere sprechen gar von 6 bis 7 Millionen Hektar. Ein Viertel der Erdoberfläche droht zur Wüste zu werden.548) 

In Süd- und Südostasien bezieht eine Milliarde Menschen ihr Wasser aus Waldgebieten.549) Wenn, wie vorauszusehen ist, der Kahlschlag weitergeht, wird die Hälfte dieser Wälder in wenigen Jahren zerstört sein. Felder werden verschlammen, während gleichzeitig das Grundwasser knapp wird. Aber wie sollen die Menschen Nahrungsmittel erzeugen, wenn sie kein Wasser haben und weniger Regen fällt, weil der Wald vernichtet worden ist? Was begonnen wird, um neue Anbauflächen zu gewinnen, endet in deren Vernichtung und in der Verelendung der Landbevölkerung. Die Entwicklungspolitik sorgt auf vielfältige Weise dafür, daß Menschen hungern.

Statt Supergetreide zu züchten, sollten die Entwicklungspolitiker den Wachstumswahn stoppen. Die öffentliche Debatte über den Wachstumswahn und die tödlichen Siege der Entwicklungsidee wäre für das Überleben in der Dritten Welt, aber auch im Norden, wichtiger als alle erfolgreichen Entwicklungs­hilfe­projekte zusammen, deren positive Wirkung mehr als aufgewogen wird durch die Zerstörung, mit der die Weltwirtschaft den Planeten überzieht.

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Aber debattiert und Umweltgewissen demonstriert wird über kosmetische Ersatzhandlungen. Wir halten uns schon für verantwortungs­bewußt, wenn wir auf Tropenholz verzichten. Der Gipfelpunkt unserer ökologischen Tugendhaftigkeit besteht in der Finanzierung von Aufforstungsprojekten. Wo Primärwald abgeholzt wird, wird nachgepflanzt. In manchen Ländern müssen Unternehmen, die Bäume fällen, sogar Steuern zahlen, in denen angeblich ein Wiederaufforstungsbeitrag steckt. Bis zum heutigen Tag wird aber lediglich ein Zehntel der gefällten Bäume durch neuangepflanzte ersetzt, oft ist das Verhältnis noch schlechter. Und selbst wenn es sich zum Positiven ändern würde, bliebe die Tatsache, daß kein von Menschenhand angelegter Wald den ökologischen Reichtum darstellen kann, den der Urwald repräsentiert.

Ich halte einen Verzicht auf Tropenholz für falsch. Allerdings darf es nicht in Primärwäldern geschlagen werden. Der Schutz der Urwälder ist unverzichtbar, weil nichts sie ersetzen könnte. Dagegen ist Holzwirtschaft auf aufgeforsteten Flächen ökologisch dann unbedenklich, wenn nur soviel entnommen wird, wie nachwachsen kann, besser weniger. Und schließlich müßte das Holz dort verarbeitet werden, wo es gefällt wird. Ekkehard Launer schlägt vor, Feldbau und Forstwirtschaft miteinander zu verbinden.550  Dies würde die Dorfgemeinschaften wirtschaftlich stärken, könnte den Wasserhaushalt stabilisieren, und Brennholz würde auch abfallen.

Es ist allerdings zu bezweifeln, daß sich diese und andere vernünftige Ideen im großen Stil durchsetzen. Es würden nämlich die Holzpreise steigen, wenn eine ökologische Forstwirtschaft betrieben würde und die Produzenten faire Preise verlangten. Das jedoch erlaubt die Weltwirtschaft nicht. Sie würde jeden Keim sinnvollen Wirtschaftens gnadenlos niederkonkurrieren.

 

Wir sind erst am Anfang

 

Den Preis des waldzerstörenden Wachstumswahns zahlen zuerst die Armen. Manche bedienen ihr Verdrängungs­bedürfnis, indem sie darauf hinweisen, daß es noch nicht ausgemacht sei, wie die Folgen der Klima­erwärmung aussähen. Einige schwärmen sogar von glänzenden Perspektiven, wenn etwa die Perma­frostböden in Ackerland verwandelt werden könnten.

Das Klima ist in der Tat ein Bündel von höchst komplizierten Mechanismen und noch längst nicht erforscht. Aber welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen? Der Hamburger Klimaforscher Hartmut Graßl hat unmißverständlich referiert, was Stand der Wissenschaft ist: 

»Was immer die globale Erwärmung an Folgereaktionen auslöst, an positiven oder negativen Rückkoppelungen, kann die Entwicklung verstärken oder bremsen, aber keinesfalls völlig umkehren. Das Vorzeichen bleibt — offen ist nur, wie stark und wie schnell sich die Erde aufheizen wird.« 551

Verschiedene Berechnungen zeigen, daß sich die globale Durchschnitts­temperatur bis zum Jahr 2050 um 1,5 bis 4,5 Grad Celsius erhöhen wird.552 Die zweite Weltklimakonferenz in Genf im November 1990 hat erklärt, daß bis zum Jahr 2100 ein Temperaturanstieg um 2 bis 5 Prozent zu befürchten ist, wenn die Emission von Treibhausgasen nicht verringert wird.

Aber selbst wenn Unklarheiten bleiben, ist Verharmlosen eine unentschuldbare Dummheit, weil man sich dadurch in die Lage bringt, sich nicht mehr irren zu dürfen. Verdrängen mischt sich mit Kalkulation und Technikgläubigkeit und wird so noch gefährlicher.

Wissenschaftler sagen voraus, daß der Meeresspiegel weiter steigen wird, weil sich das Wasser durch Erwärmung ausdehnt und von den teilweise abschmelzenden Eisflächen neues zufließt. Das ist für viele Menschen eine große Gefahr, wohingegen einige wenige sogar Gewinnchancen wittern. Während Bangladesh, Pakistan, Indien, Ägypten, Mosambik, der Senegal und andere Küstenanrainer oder Inseln demnächst Land ans Meer verlieren werden, wenn sie nicht gänzlich Atlantis folgen, würden gigantische Deichbauarbeiten an Europas und Nordamerikas Küsten die Konjunktur ankurbeln. Die US-amerikanische Umwelt­behörde hat ausgerechnet, daß es 32 bis 43 Milliarden Dollar kosten würde, um die Küsten der Vereinigten Staaten gegen einen Anstieg des Meeresspiegels um fünfzig Zentimeter zu schützen.

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Bei einem Meter — diese Höhe entspricht der pessimistischen Schätzungsvariante der Genfer Weltklima­konferenz von 1990 — wären es 73 bis 111 Milliarden Dollar und bei zwei Metern 169 bis 309 Milliarden.553 Das sind keine Kleinigkeiten, aber für ein Land mit der Wirtschaftskraft der USA eine überschaubare Herausforderung, zumal die Summen sich über Jahre und Jahrzehnte verteilen. Auf jeden Fall schafft die Ökokatastrophe in den reichen Ländern mit Meeresküsten eine Menge Jobs. Die Reichen werden sogar von der Umweltkrise profitieren, bis die Wirklichkeit auch sie lehren wird, daß am Ende alle Menschen gleich sind. Aber bis dahin wird geredet und nichts Entscheidendes getan.

Die Armen in der Dritten Welt werden um so mehr leiden. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt an Küsten oder in küstennahen Regionen. Raubt das Meer ihnen die Heimat und die wirtschaftliche Existenz, dann ziehen neue Flüchtlingsmillionen übers Land. Die landwirtschaftlich nutzbare Fläche wird weiter eingeschränkt mit der Folge, daß die ohnehin schon über­strapazierten verbliebenen Böden noch stärker belastet werden. Diese Opfer des Wachstums­wahns werden außerdem häufig von Naturkatastrophen heimgesucht, die aber nur zum Teil natürliche Ursachen haben. Ein höherer Meeresspiegel fördert Überschwemmungen, Trockenheit schafft Dürre, die Erwärmung der Ozeane begünstigt Tropenstürme.

Eine Untersuchung der Folgen von Naturkatastrophen hat ergeben, daß sie Arme ohnehin härter treffen als Reiche. Armut mindert selbst in dieser Hinsicht Lebenschancen. Wer mangels Alternative in wenig stabilen Hütten oder Häusern in Über­schwemmungsgebieten leben muß, ist dauernd großer Gefahr ausgesetzt. Eine Gruppe britischer Wissenschaftler hat dazu folgendes herausgefunden: »In den 23 Jahren von 1947 bis 1970 wurden 56.000 Menschen bei Naturkatastrophen in den 25 höchstentwickelten Ländern getötet, in den 25 am wenigsten entwickelten Ländern waren es 843.000. Ein Verhältnis von 1:15 also.«

Obwohl in der Dritten Welt ungefähr zwei Drittel der Weltbevölkerung lebten, entfielen 95 Prozent aller Katastrophenopfer auf sie.554 Dieses Verhältnis dürfte sich weiter verschlechtern zuungunsten jener, denen das Geld und die Technik fehlt, einige Folgen des Klimaumschwungs abzuwehren.

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Die Erwärmung wird die Armen auch dadurch treffen, daß sie die Nahrungsmittelversorgung beeinträchtigt. Einen Vorgeschmack auf wärmere Zeiten haben uns die achtziger und neunziger Jahre gegeben, die sieben wärmsten Jahre dieses Jahrhunderts sind in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten aufgetreten. Vor allem im Jahr 1988 haben Dürrekatastrophen die Nahrungs­mittel­produktion empfindlich geschädigt. Mehrere Jahre hintereinander solche klimatischen Bedingungen würden zum erstenmal Hunger durch weltweite Nahrungs­mittelknappheit verursachen.

Es kommt hinzu, daß Getreide selbst bei ausreichender Bewässerung bei höheren Temperaturen schlechter wächst. Bei rund zwei Dritteln aller Nutzpflanzen befürchten Experten, daß die Erträge niedriger ausfallen, und es ist nicht zu erwarten, daß das IRRI oder andere Saatgutlabors einen Supersuperreis oder die Supersojabohne entwickeln können, die so hitzetolerant ist, daß sie der zu befürchtenden weiteren Erwärmung verlustlos standhält. Zumal sie gleichzeitig mit der zweiten großen Gefahr für die Stabilität des Klimas fertigwerden müßten: der Zerstörung der Ozonschicht. Der dadurch verstärkte Einfall ultravioletter Strahlung nämlich bremst das Pflanzenwachstum ebenfalls, weil er die Photosynthese stört.555

Fluorkohlenwasserstoffe (FCKW) sind wie CO2 Treibhausgase, aber wie das Methan zerstören sie außerdem noch die Ozonschicht. Die FCKW sind auch deshalb eine große Gefahr, weil sie eine extrem lange Verweildauer in der Atmosphäre haben. Das bedeutet, daß die Schäden von heute das Ergebnis unseres Wirtschaftens vor Jahren bis Jahrzehnten sind. Selbst wenn ab sofort alle FCKW aus dem Verkehr gezogen würden, wäre die Welt erst in einem Jahrhundert frei von diesem Wunderstoff menschlichen Erfindungsgeistes. Um die Konzentrationen von langlebigen Gasen wie Kohlendioxid und Fluorkohlen­wasser­stoffen nur auf dem heutigen tödlichen Niveau zu halten, müßte der durch uns verursachte Ausstoß schlagartig um sechzig Prozent zurückgehen.556

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Die schönen Erfolgsmeldungen der Politik über Siege im Kampf gegen Treibhausgase und Ozonkiller sind verfrüht. Das dicke Ende kommt noch; wir sind erst am Anfang. Hatte schon der sozialdemokratische Politiker Peter Glotz hinsichtlich der Politik das treffliche Bild geprägt vom Tanker, der ewig lange braucht, bis er gebremst ist, so haben wir es mit einer unvergleichlich schwierigeren Lage zu tun. Hier kann die Politik überhaupt nicht mehr rechtzeitig reagieren, obwohl sie das sich selbst und den Wählern vorgaukelt.

Ab dem Jahr 2000 sollen weltweit keine FCKW mehr benutzt werden. Bedenkt man, daß dieses Gas bis zu fünfzehn Jahren braucht, bis es die Ozonschicht erreicht und mit seinem Zerstörungswerk beginnen kann, dann werden zum Jahrtausendwechsel die FCKW wirken, die wir zu Zeiten bester Konjunktur, ab Mitte der achtziger Jahre, ausgestoßen haben.

Die Aussichten werden zusätzlich getrübt, weil die Emission von Methan weiter wachsen wird, und zwar in hohem Tempo. Bedenken wir nur den Eifer, mit dem wir den Agrarfortschritt betreiben. Und was geschehen wird, wenn das wärmer werdende Meer Teile der in ihm gespeicherten gewaltigen Mengen von Kohlendioxid und Methan freigibt, weiß kein Mensch. Würden die Ozeane nur zwei Prozent weniger CO2 absorbieren, dann stiege der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre um hundert Prozent, da das Meerwasser fünfzigmal mehr davon aufgenommen hat, als sich derzeit in der Atmosphäre befindet. Diese gigantischen Mengen zusätzlichen Treibhausgases müßten die Meerestemperatur weiter steigen lassen, um dadurch wiederum CO2 freizu­setzen.557 Wenn jemand nach einem wirklichen Teufelskreis suchen sollte, hier ist er.

 

Ob zusätzlicher Treibhauseffekt oder Ozonschichtabbau — die klimazerstörenden Gase gefährden nicht nur die Nahrungsmittel­erzeugung, sondern auch die Gesundheit von Mensch und Tier.558 Zuviel ultraviolette Strahlung beeinträchtigt das Immunsystem. Sie ist verantwortlich für die aufsehenerregende Steigerung von Hautkrebs, vor allem in Australien, wo zwei von drei Bewohnern von dieser in manchen Erscheinungs­formen lebensgefährlichen Krankheit mindestens einmal im Lauf ihres Lebens befallen werden. 

Werden die Abwehrkräfte von Mensch und Tier geschwächt, dann breiten sich Infektionskrankheiten aller Art aus. UV-Strahlung bewirkt außerdem Sehschäden. Die größte Gefahr stammt vermutlich aus der Zerstörung von Mikroorganismen im Meer, die den Ausgangspunkt fast aller dortigen Nahrungs­ketten darstellen.

Fest steht auf jeden Fall, daß der zusätzliche Treibhauseffekt und der Ozonabbau noch lange Jahrzehnte Zeit haben werden, massiv einzugreifen in das Ökosystem blauer Planet. Sie werden trotz aller Umwelt­gipfel und Absichts­erklärungen sogar reichlich verstärkt werden.

Der Kampf um Asiens Automarkt, dem potentiell größten der Welt, ist entbrannt. Das chinesische Wirtschafts­wunder, das sich ankündigt, funktioniert ganz nach unserem Vorbild auf der Grundlage eines sich extrem steigernden Energiedurchsatzes. Wenn es im Norden teilweise gelingen mag, den Energie­verbrauch nicht proportional mit dem Wachstum der Wirtschaft zu steigern, wer könnte es China und den anderen bevölkerungs­reichen Staaten auf dem Sprung in den Wohlstand verwehren, alle unsere halbherzigen Umwelt­entlastungen zu konterkarieren. Der Weltmarkt ruft.

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 Von Christian von Ditfurth 1995