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Teil 5  Weltpolitik

5.1  Das Scheitern der Politik 

 

291-300

Auf Konferenzen der UNO treffen sich die Reichen der reichen Länder und die Reichen der armen Länder, um ihre Interessen aufeinander abzustimmen.

Im Weltmaßstab kommen günstigstenfalls Andeutungen heraus, Absichtserklärungen, die schön klingen, aber nicht helfen. Nach dem heutigen Stand unserer Kenntnisse müssen wir als wahrscheinlich annehmen, daß die ökologische Belastungsfähigkeit der Erde längst über­schritten ist. Das bedeutet, daß Maßnahmen ergriffen werden müßten, den globalen Schadstoffausstoß schlag­artig und durchgreifend zu vermindern.

Außerdem ist Frieden nicht zu haben um den Preis, daß zwei Drittel und mehr der Bevölkerung auf diesem Planeten unter menschen­unwürdigen Bedingungen leben müssen. Mit einer eher kosmetischen Neuorientierung der Entwicklungshilfe und so gigantomanischen wie folgenlosen Konferenzen wie denen über den Umwelt­schutz in Rio de Janeiro 1992, über das Bevölkerungs­wachstum in Kairo 1994 oder über das Weltklima in Berlin 1995 ist es nicht getan. 

Auch der Freihandel als Entwicklungsmotor begünstigt die wirtschaftlich Starken. Kein Land dieser Erde wurde Industriestaat, weil es sich zuvor dem Freihandel verschrieben hatte. Ganz im Gegenteil war der Aufbruch ins technische Zeitalter meist verbunden mit dem Schutz des einheimischen Marktes. Japan ist dafür bis zum heutigen Tag ein schlagendes Beispiel.

Wie die Reformen im Detail aussehen müßten, ist in unserem Zusammenhang nachrangig. Das Ziel einer Entwick­lungspolitik, die diesen Namen verdiente, müßte sein, den Wohlstand im Norden erheblich zu verringern, um Spielräume im Süden zu schaffen. Es müßte Reichtum transferiert werden vom Norden in den Süden.

Bei einer lange Zeit weiter wachsenden Erdbevölkerung müßte der globale Energiedurchsatz zurückgehen. Die Entwicklungs­länder dürften daher keineswegs in dem Maß wirtschaftlich gesunden, wie die Industrie­staaten auf Wachstum verzichten. Um den Wachstumswahn zu beenden, müßte eine dramatische Reduzierung im Norden also begleitet werden von einer maßvollen Steigerung im Süden.

Das alles steht im Konjunktiv, und dabei wird es bleiben. 

Es gibt keine Marktwirtschaft ohne Wachstum. Es gibt gewiß Korrekturen etwa der Handels­konditionen in der Weltwirtschaft, aber bisher und in alle Zukunft wird es keine Terms of trade geben, die den Raubbau des Nordens im Süden — nicht vergessen: im Verein mit den Reichen der Dritten Welt — stoppen würde.

Das ist nicht die Schuld der Unternehmer und nicht die Schuld der diesem System verhafteten Politiker, zumindest nicht in dem Sinne, daß man ihnen ihrer Mehrheit Bösartigkeit unterstellen dürfte. Gewiß dienen viele Projekte der heutigen Entwicklungs­politik den Industriestaaten und den dort angesiedelten multi­nationalen Unternehmen. Aber selbst wenn die Entwicklungs­politiker begriffen, daß ihre ökonomischen und sozialen Kriterien außerhalb des Nordens schon gar nicht greifen, an der Grundtatsache würde sich nichts ändern. 

Schon Karl Marx hat Wert darauf gelegt, daß es sich um wirtschaftliche Mechanismen handelt, die den Kapitalismus steuern, und nicht um vermeintliche oder tatsächliche Charakter­eigenschaften von Kapital­eigentümern. Kein Unternehmen kann sich den Gesetzen des Weltmarkts entziehen, es sei um den Preis der sicheren Pleite. Kein Manager kann es sich erlauben, die Spielregeln zu mißachten, es sei denn um den Preis seines Rausschmisses. Man kann von der Wirtschaft nicht verlangen, daß sie nicht mehr Wirtschaft ist. Daran ändern auch vereinzelte löbliche Initiativen von Unternehmern nichts.

Die Politik unterliegt den Gesetzen des Marktes, zwar nicht so direkt wie die Unternehmen, aber wenn sie versucht, sich ihnen zu entziehen, schlägt die wachstumswirtschaftliche Wirklichkeit gnadenlos zu. Wenn Politiker es nicht mehr verstehen, dem von ihnen geschürten, aber auch ohne sie existenten Drang zum Wohlstand zu dienen, werden sie abgewählt. 

* (d-2015:)  wikipedia  Terms_of_Trade   Einfuhrtauschverhältnis

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Jede demoskopische Umfrage beweist aufs neue, daß wirtschaftliche Kompetenz im Zentrum aller politischen Überlegungen des Wählers steht. Angesichts von Arbeitslosigkeit und Einkommens­verlusten geraten alle anderen Fragen in den Hintergrund.

Pierre Trudeau, einst Ministerpräsident Kanadas, hat zu seiner Amtszeit einmal Beratern ein Regierungs­programm zur Diskussion vorgelegt, das sich an den Empfehlungen des <Club of Rome> orientierte. Seine Mitarbeiter erklärten mit besten Gründen, daß dies der sicherste Weg sei, abgewählt zu werden und die eigene Partei zu vernichten.559 Keine Frage, die Berater hatten recht.

Die Politik ist nach wie vor national orientiert, in Teilen der Welt allmählich ergänzt durch Interessen großer Wirtschaftsräume und Staaten­zusammen­schlüsse. Voraussetzung für die Aufhebung der Nationalpolitik sind allerdings vergleichbare wirtschaftliche und politische Verhältnisse, und offenkundig spielt die Kultur­geschichte keine geringe Rolle. Sieht man von Ausnahmen an den Rändern ab, so schließen sich die Reichen in großen Wirtschaftsblöcken zusammen, in denen sie armen Staaten bestenfalls eine Statistenrolle zuweisen.

Aber noch sind die Politiker im Norden abhängig von ihren nationalen Parlamenten und nationalen Wahlen. Da mögen Vertreter der verschiedenen Parteien die schönsten Worte finden, mit denen sie die globale Verantwortung ihrer Länder beschwören, es strotzt alles von größter Unverbindlichkeit. Die Verpflichtungen im Wahlkreis wiegen schwerer. Dort fällt alle vier oder fünf Jahre die Entscheidung über die weitere Existenz des Politikers. Sein Engagement für Sorgen außerhalb seiner Verpflichtung zur Wohlstandsmehrung zählt kaum. Der rheinland-pfälzische CDU-Nachwuchspolitiker Stephan Schwarz, der sich für Hilfsmaß­nahmen für Bosnien eingesetzt hatte und lieber dort mit anpackte, als im Wahlkreis an Türen zu klopfen, wurde trotz großen Medieninteresses an seiner Person nicht wiederaufgestellt als Bundestagskandidat. Und jeder andere, der anderes wichtig nimmt als das, was seiner Klientel im Landes­maßstab oder im Wahlkreis gefällt, ist Abgeordneter gewesen.

wikipedia  Pierre_Trudeau  (1919-2000)

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Ob Außenpolitik, Weltpolitik, Militärpolitik, Wirtschafts­politik — jede Politik ist Innenpolitik, weil jede geprägt ist durch die nationalen Interessen: bei allen parteipolitischen Differenzen letztlich durch die Wahnvorstellung, den bereits gewonnenen Lebensstandard sichern und möglichst noch steigern zu müssen. Das ist das Gegenteil von dem, was nötig wäre.

Ein Umbau der Welt im Legislaturperiodentakt ist eine lächerliche Vorstellung. Politiker, die dies forderten und gleichzeitig zum Verzicht aufriefen, würden als Verrückte verjagt.  

Die Demokratie ist jeder noch so schön ausgemalten Form von Diktatur vorzuziehen, aber die ihr Wesen ausmachenden Mechanismen schließen es aus, daß das Vernünftige getan wird. 

Wer glaubt, Wahlen gewinnen zu können mit der Forderung, das Überleben der Menschheit zu sichern, hat nichts begriffen. Der Wähler interessiert sich weniger für das Überleben der Menschheit, aber mehr für die Sicherheit seines Arbeitsplatzes, die Ausbildung seiner Kinder, die Sicherung seines Einkommens, die Bereitstellung bezahlbarer Wohnungen und die garantierte Rente im Alter. Die Menschheit kommt danach.

Hätte das eigene, auch das kollektive Tun direkte Rückwirkungen auf uns — die Lage wäre einfacher. Aber unser und aller anderen Menschen Handeln wirkt vermittelt, und vor allem trifft es in erster Linie jene, die uns zeitlich und räumlich fern sind. Nein, die Politik hat in den eigenen und den Augen des Wählers die Aufgabe, die Bedürfnisse der »eigenen Leute« zu befriedigen.

Die bisherige Betrachtung der Politik setzte einen besonderen Umstand stillschweigend voraus: daß nämlich unsere Politiker wenigstens wissen, was sie tun müßten, es aber nicht tun, weil sie es nicht tun können. Diese Unterstellung aber wäre schmeichel­haft. Nicht jeder handelt in vollem Bewußtsein falsch wie Pierre Trudeau, und kaum einer ist so ehrlich. Unfraglich gibt es unter Politikern kompetente Experten für diese und andere Fragen. Wer etwa den Bericht der Bonner Enquete-Kommission »Schutz des Klimas« studiert, findet diesen Eindruck nachhaltig bestätigt.

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Aber die Politik machen nicht die Experten, sondern die Meinungsführer und wichtigen Funktionsträger, meist »Generalisten« — was sie auch sein müssen, um Führungsaufgaben jenseits von Fachressorts wahrzunehmen. Es wurde zu Recht viel gespöttelt, als Kanzler Helmut Kohl bei einer Konferenz die »Datenautobahn« mit der Autoautobahn verwechselte und gar nicht begreifen wollte, was es mit dem »information highway« des US-Präsidenten Bill Clinton auf sich hat.

Davon wie von den Fragen, die wir hier abgehandelt haben, wissen die meisten unserer Politiker selten mehr, als ihre Redenschreiber für sie notiert haben. Das liegt nicht daran, daß sie dumm wären, sondern an den Selektionskriterien der politischen Demokratie. Der Bonner Medien­journalist Günter Walter hat dieses Phänomen einmal treffend als »Möllemanisierung der Politik« karikiert. In der Medien­demokratie fällt Sachkompetenz als Qualitätsmerkmal zurück hinter andere Kriterien: Telegenität, »Outfit«, Rhetorik, keine Skandale. 

In den USA geht es schon so weit, daß das gesamte private »Vorleben« eines Präsidenten oder Gouverneurs, eingeschlossenen seine eheliche Treue, zum Gegenstand der öffentlichen Debatte wird — ein Präsident darf zwar Soldaten in den Tod schicken und Bomben werfen lassen, aber wehe, er läßt sich nachträglich bei einem fünfzehn Jahre zurückliegenden Seiten­sprung erwischen.

Aber wir wollen es bei diesem Hinweis auf eine heuchlerische öffentliche Moral belassen und festhalten, daß die Qualifikations­merkmale des Politikers weit abgerückt sind vom Wissen. Das kann man sich in Wirtschafts­wunderzeiten leisten, wo es auf die Motivationskraft der Politik ankommt. Aber in einer komplizierten Lage mit unübersichtlichen Rückkoppelungen ist es brandgefährlich, Politiker zu wählen, die in Talkshows schön parlieren können, aber spätestens hinsichtlich der indirekten Folgen ihres Handelns nicht wissen, was sie tun.

Es gibt in Deutschland für fast jeden Beruf fest bestimmte Ausbildungsgänge, bei manchen sind die Zulassungs­kriterien streng. Nur in der Führung der Nation leisten wir es uns, daß Menschen zu Einfluß gelangen, die als langgediente »Parteisoldaten« — so heißt das wirklich! — alle Tricks der politischen Konkurrenz gelernt haben, die sich durchsetzen können, um dann als Gipfelpunkt der Karriere Minister zu werden in einem Ressort, in das sie sich erst »einarbeiten« müssen.

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Und so wird dann ein Grundschullehrer erst Bildungsminister und dann Wirtschaftsminister, eine Frauen- mutiert zur Umweltministerin, und aus einem Umwelt- wird stante pede ein Bauminister. Die Frage stellt sich, ob es in gefährlichen Zeiten ausreicht, Lehrlinge zu Ministern zu berufen.

Sehen wir von ihren antiken Ursprüngen ab, so wurde die moderne Demokratie geboren in der Ausein­ander­setzung mit der Adels­herrschaft. Dem Diktat der Monarchen setzte das aufstrebende Bürgertum die Forderung nach Selbst­bestimmung entgegen. Demokratie hat sich seitdem als ein taugliches Instrument des Interessenausgleiches bewährt, trotz aller vor allem sozialen Ungerechtigkeit, die geblieben ist. Demokratie erlaubt es, die divergierenden Bedürfnisse und Forderungen in einer Gesellschaft zu vermitteln, und sie gibt den heute politisch Unterlegenen die Chance, morgen zu siegen, wenn auch nur zeitweilig. In der Demokratie wird politische Macht öffentlich kontrolliert, und ihre Freiheiten erlauben es den abhängig Beschäftigten, Rechte zu erkämpfen. Demokratie ist nicht pazifistisch, aber friedlich im Vergleich zu jeder Diktatur — bei allen militaristischen Exzessen demokratischer Regierungen, die beiden großen Kriege dieses Jahrhunderts gehen nicht auf ihr Konto. 

 

Die strukturelle Unfähigkeit unseres politischen Systems

 

Die moderne Demokratie ist der politische Ausdruck des wirtschaftlichen Aufstiegs einer Klasse, die die kapitalistische Produktions­weise verkörpert. Sie eignet sich besser als jedes andere existente System dazu, die Früchte des Wachstums zu verteilen. Solange ihr dies gelingt, ist sie stabil. Gelingt es ihr aber nicht oder fehlt es an Verteilbarem, gerät sie in Gefahr. Der Nationalsozialismus ist nicht denkbar ohne die vorausgehende Weltwirtschaftskrise, die das unter den Folgen des selbst angezettelten Weltkriegs leidende Deutschland besonders hart traf.

Trügerisch ist die Vorstellung, die deutsche Demokratie bliebe auf ewig stabil, gänzlich unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Konstitution.

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Eine Partei, die ihre Politik an globalen Bedürfnissen ausrichtete, würde das Schicksal erleiden, das Trudeaus Berater ihrem Chef prophezeiten für den Fall, daß er Empfehlungen des Club of Rome folgte. Es ist in der Regel nicht billige Bereicherungs­sucht oder Profilneurose, die politische Parteien die Macht anstreben oder um jeden Preis verteidigen läßt. Dazu sind Parteien da. Ihre Mitglieder und Funktionäre sind davon überzeugt, daß nur ihre Politik dem Land, den Arbeitern, den Unternehmern, den Bauern, den Protestanten, den Katholiken, den Frauen, den Männern und so weiter nutzt.

Die Weltgeschichte wartet bisher vergebens auf den Augenblick, in dem eine politische Partei in der Demokratie freiwillig abtritt, weil sie eingesehen hat, daß sie falsch gehandelt hat. Selbst wenn sie dies unter dem Druck der Öffentlichkeit und der Tatsachen wenigstens teilweise eingesteht, dann hält sie sich selbst doch für die einzige Alternative zu sich selbst, nur sie allein könne das Land aus der Krise führen; so oder so ähnlich lauten die Stereotypen. Kein Zweifel, daß jene, die das sagen, so denken. Aber das macht die Sache nur schlimmer.

Die Demokratie ist untauglich, Herausforderungen zu bewältigen, die scheinbar oder tatsächlich außerhalb der Interessen liegen, die sie vermittelt. Die strukturelle Unfähigkeit unseres politischen Systems tritt auch zutage, wenn es um Fragen geht, die unsere Interessen scheinbar oder tatsächlich nur am Rand berühren. Das gilt für die zeitliche Dimension nicht weniger als für die geographische und kulturelle. Bei allen gegenteiligen Beteuerungen, die fernere Zukunft belastet unser kollektives geistiges Leben nicht, zumal es davon keine Bilder gibt.

Und die Gegenwart ist nur die Gegenwart, in der wir leben, nicht die der anderen. Da gibt es zwar diese schrecklichen Bilder, aber deren entledigen wir uns durch Spenden und Entwicklungs­hilfe. Der Miniaturanteil des Jahresetats des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammen­arbeit und Entwicklung am Bundeshaushalt entspricht unserer Anteilnahme an den Dingen außerhalb unseres geographischen und kulturellen Lebenskreises.

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Eine Regierung ist für eine Legislaturperiode gewählt, und ihr Programm entspricht dieser Vorgabe. Eine Opposition hofft darauf, nach den nächsten Wahlen zum Zug zu kommen, und daran richtet sie ihre Arbeit aus. Daß es ein Leben außerhalb des Wahlperiodentaktes gibt, wird einer zunehmend auf sich selbst bezogenen Politik fremd. Man betrachte die Gegenstände des Streits, die Blitzpunkte parteipolitischer Profilierung, und man vergleiche sie mit den Nöten, denen ein Großteil dieser Welt sich ausgesetzt sieht. Schauen wir nur einmal mit den Augen eines Afrikaners auf unser politisches Geschehen, und wir erkennen, daß das meiste von dem, was TV-Sendungen, Zeitungsredaktionen und Bundestagsdebatten erregt, unwichtig ist. Vieles davon geht ja schon an den Interessen der eigenen Wähler vorbei, so sehr hat sich in der Politik der Konkurrenzkampf verselbständigt.

Nur ein wichtiges Beispiel: der Streit um Auslandseinsätze der Bundeswehr. Würden die Verantwortlichen und die Massen­medien alle bisherigen Erfahrungen mit Militäreinsätzen auswerten, so kämen sie unweigerlich zu dem Schluß, daß alles getan werden muß, um Konflikte zu lösen, bevor die Kontrahenten zu den Waffen greifen. Die Politiker aber diskutieren aufgeregt darüber, ob Sanitätssoldaten schon zuviel seien, ob der Einsatz von Transportflugzeugen nie genau bestimmte Grenzen — Grenzen welcher Natur? — überschreite oder ob sogar der massive Einsatz aller Mittel militärischer Gewalt opportun sei, weil in einigen Situationen nur so der Frieden wiederhergestellt oder bewahrt werden könne.

Die bewaffneten UN-Einsätze der letzten Jahre, bei denen es zu Kampfhandlungen gekommen ist, sind kläglich gescheitert, ob am Golf, in Somalia oder in Bosnien. Erstaunlicherweise weisen gerade Militärs immer wieder darauf hin, daß die Militarisierung der Außenpolitik gar nichts löst, aber alles noch schlimmer macht. Während einige konservative Politiker mit markigen Sprüchen den Stammtisch in Bonn fortsetzten, erklärten Generale im und außer Dienst, daß der Jugoslawien-Krieg wie andere Konflikte nicht zu beenden ist durch einen militärischen Eingriff von außen, solange seine Ursachen nicht beseitigt sind.

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Es wäre also sinnvoll, wenn Experten und Politiker darüber nachdenken würden, wie sich Kriegsgründe frühzeitig erkennen und durch Kooperation überwinden lassen. Ist der Krieg einmal ausgebrochen, bleiben nur noch Notnägel, über deren Wert man sich trefflich streiten kann. Und das tun unsere Politiker. Kaum einer, der vorschlägt, was man tun kann, um Kriege zu verhindern. Aber das wäre eine vordringliche Aufgabe der internationalen Gemeinschaft.

Seit die Konfrontation der beiden weltpolitischen Blöcke durch den Untergang des einen beendet ist, wird der Aufrüstungsirrsinn zunehmend ersetzt durch eine Außenpolitik mit der Faust. Im Golfkrieg demonstrierten die USA und ihre Verbündeten dem Rest der Welt, zu was sie nun fähig sind. US-Truppen räumen in der Karibik und in Panama auf. Präsident Bush feiert Weihnachten bei den Marines in Somalia, und Kriegsschiffe der NATO kontrollieren das Mittelmeer.

Der Ost-West-Gegensatz ließ beide Seiten nach Bündnispartnern außerhalb der Blöcke suchen, um neue Einflußzonen zu gewinnen. Aber jede Seite war begrenzt in ihren Möglichkeiten, diese Ziele umzusetzen. Und sie mußten Rücksicht nehmen auf die Interessen von Staaten der Dritten Welt. Sie konnten es sich nicht leisten, deren Forderungen einfach vom Tisch zu wischen. Der Westen kann dies mittlerweile tun, ohne daß er machtpolitische Einbußen befürchten müßte. Wer interessiert sich heute für eine neue Weltwirtschafts­ordnung, über die in den achtziger Jahren noch heftig debattiert wurde?

Die Unfähigkeit der Demokratie, Aufgaben zu lösen, die nicht eng mit kurzfristigen gesellschaftlichen Interessen verbunden sind, und die Rückkehr zur Großmachtpolitik werden die Welt in neue Turbulenzen führen. Nach allen großen Kriegen glaubten die Überlebenden, es sei das letzte Mal gewesen. Nach dem Wegfall des Religionsstreits 1648 sahen die Zeitgenossen keinen Kriegsgrund mehr.

Nach den verheerenden Erfahrungen des ersten Massen- und Materialkriegs 1914 bis 1918 waren viele überzeugt, daß das vierjährige Massenmorden eine für alle Zeiten ausreichende Lektion gewesen sei. Nach den US-amerikanischen Atombombenabwürfen 1945 waren kluge Köpfe gewiß, daß Krieg nun nicht mehr führbar sei. 

Und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vertreten viele Politiker und ein großer Teil der Öffentlichkeit die Ansicht, daß die Zeiten weltpolitischer Bedrohungen vorüber seien. Auch dies eine Illusion, wie sich zeigen wird.

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 Von Christian von Ditfurth 1995