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Franz Alt, der Scheinheilige

 

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Franz Alt, geboren am 17. Juli 1938 in Untergrombach bei Bruchsal als Sohn eines Maurermeisters (über die Mutter gibt es in den Archiven, wie so oft, keine Angaben), studierte Politologie, Theologie, Geschichte und Philosophie in Freiburg und Heidelberg und promovierte über »Adenauers erste Regierungsbildung 1949« zum Dr. phil. 1962 trat Alt in die CDU ein, 1988 wieder aus.

detopia: Wenn jemand 26 Jahre Mitglied in einer Partei ist, dann soll Jutta das nicht so formulieren, als wäre es nur ein halbes Jahr; irgendwie in Analogie zur Ehescheidung, wenn die Ehe nur ein halbes hielt.

Beim breiten Fernsehpublikum wurde er als Moderator und Chef von »Report Baden-Baden« bekannt. Aber er machte und macht sich auch unter dem Künstlernamen Francesco Altini als Zauberer beliebt. Alt ist seit 1966 mit Brigitte, geborene Mangel, verheiratet, aus dieser Ehe gibt es zwei Töchter.658)

deto: Warum schreibt sie das? Spielt das eine Rolle? Oder will sie nur Zeilen schinden?

Erst mit der zweiten Anti-AKW-Bewegung, der nach Tschernobyl, da war Franz Alt bereits 48 Jahre alt, wandelte er sich zum Atom-Gegner: »Es brauchte Tschernobyl als Schlag auf den Kopf, der mich aufweckte«.659)

deto: Wieso "erst"?

Nach seinem Engagement in der Friedensbewegung Anfang der achtziger Jahre kam er erneut heftig mit seiner Partei und den Fernsehoberen ins Gemenge und sammelte nun auch in der Ökologiebewegung Pluspunkte.

deto: eine kleine Gehässigkeit.

Schon 1983 bekam er wegen seines Engagements in der Friedensbewegung arbeitsrechtliche Schwierigkeiten. Nach jahrelangen Auseinandersetzungen mit dem Intendanten des Südwestfunks Willibald Hilf (CDU) gab Franz Alt 1991 die Report-Moderation schließlich ab und übernahm 1992, zusammen mit dem damaligen HR-Chefredakteur Wilhelm von Sternburg, die Leitung der futuristischen Sendereihe »Zeitsprung«.660) Soweit das, was bei großzügiger Betrachtung vielleicht noch für ihn sprechen mag.

deto: Ich sag nichts mehr. Die Frau (JD) ist irre. Sie hat noch nicht gesagt, daß Franz Alt 1983 ein wunderbares Buch geschrieben hat.

Der »Pazifist«, wie er sich auch 1994 noch selbst nennt,661) stellte sich dann im Golfkrieg 1991 auf Seiten der »Bellizisten«. Die Waffen und Raketen, gegen die er in der Friedensbewegung noch »im Namen der Schöpfung« wetterte, waren nun geeignete »Friedensbringer«. Auch sonst wird er von Widersprüchen gebeutelt.

Franz Alt: »Wir haben immer die Politiker, die wir verdienen. Die Gewalt oben ist nur der Ausdruck der alltäglichen Gewalt unten und umgekehrt. Deshalb gibt es einen tiefen inneren Zusammenhang zwischen Abtreibung, das heißt Gewalt gegen die Ungeborenen, und Aufrüstung, das heißt Gewalt gegen die Geborenen.«662)

In der Frage von Abtreibung und § 218 steht Alt auf Seiten der organisierten, rechten, frauenfeindlichen Abtreibungsgegner.

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Alt verharmlost auf entsetzliche Weise Auschwitz, indem er die selbstbestimmte Entscheidung von Frauen, abzutreiben, mit der Vernichtung der Jüdinnen und Juden im Faschismus gleichsetzt: »Nach 1933 wurde <lebensunwertes Leben> beseitigt, heute <störendes Leben> [...] 40 Millionen Abtreibungen pro Jahr« — Franz Alt nennt das »Holocaust«: »Das sind über 100.000 jeden Tag — etwa soviel wie die Bombe in Hiroshima sofort getötet hat. Jeden Tag Hiroshima — lautlos — wie lange können unsere Seelen diese Katastrophe >verkraften<?«663)

In seinem Buch »Liebe ist möglich« schwadroniert er über weite Strecken über die angeblichen seelischen Krankheiten von Frauen, die abgetrieben haben. In Wahrheit seien häufig abtreibungsbedingte Neurosen die Ursache ihres Todes664 und nicht Krebs, Herzinfarkt oder was immer auf dem Totenschein einer Frau stehen mag. Alt läßt keine moralische Erpressung gegen Frauen aus, die seiner höchstpersönlichen Einstellung in Sachen Abtreibung — die ihm unbenommen bleibt — zuwiderhandeln.

Es gibt faktisch kein Argument der rechtsextremistischen Abtreibungsgegnerszene, das wir nicht bei Alt wiederfinden. Zum übelsten gehört die Anlehnung an die Definition des Lebens durch einen Arzt namens Blechschmidt. Franz Alt: »Bei einem 24 Tage alten Embryo, schreibt der Embryologe Erich Blechschmidt, sind alle Organsysteme >mit denen des Erwachsenen vergleichbar«.665)

»Vergleichbar« heißt nichts und ist von Alt absichtlich vage gewählt. Tatsächlich ähnelt ein 24tägiger Embryo allen möglichen Tierembryonen mehr als einem »Erwachsenen«.

OD: "Tatsächlich"? - Ist JuDi jetzt plötzlich auch hierfür eine Expertin?

Aber bei Alts Behauptung geht es um Wichtigeres: Erich Blechschmidt, der furchtbare Medizinprofessor, wurde 1942 Chef der Anatomie der Universitätsklinik Göttingen, einem NS-Zentrum für medizinische und eugenische Experimente an Frauen, z.B. Zwangsabtreibungen und Zwangssterilisierungen.

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Blechschmidt stellte Embryonen-Modelle in jeder Entwicklungsstufe her. Die Beschreibungen seiner Experimente beweisen, daß er auch mit lebenden Embryonen experimentierte. Das Material, die »vermehrt anfallenden Frauenleichen«, kamen z.B. aus der Hinrichtungsstätte Wolfenbüttel, aus Heil- und Pflegeanstalten oder von der Gestapo. Es ist unwahrscheinlich, daß die ganz jungen Embryonen von zufällig eingelieferten toten Frauen stammten. Zumal es Anfang der 40er Jahre wissenschaftlich noch nicht möglich gewesen wäre, die Embryonen toter Frauen lange »frisch zu halten«. Woher hatte Blechschmidt die Embryonen? Blechschmidt konnte den Verdacht nie ausräumen, daß er auch mit lebenden Frauen, möglicherweise solchen aus Konzentrationslagern, experimentierte.666)

Nach 1945 wurde Blechschmidt, der Hofprofessor der Abtreibungsgegner, Ex-SA- und NSDAP-Mitglied, pauschal entnazifiziert und blieb bis zu seiner Emeritierung Direktor des Anatomischen Institutes mit dem Hauptarbeitsgebiet Humanembryologie. 1975 beteiligte er sich an der Gründung der rechtsextremistischen Abtreibungsgegnerorganisation Europäische Ärzteaktion (EÄA).667)

Die organisierten militanten Abtreibungsgegner arbeiten weltweit mit dem demagogischen Propagandafilm »Der stumme Schrei«, der in Tempo, Ton, Bildeinstellungen und Erläuterungen gefälscht ist. So kam selbst ein Expertenkreis beim Bayrischen (!) Staatsministerium für Unterricht und Kultur, dem Mitarbeiter von Gesundheitsämtern, kirchlichen Arbeitskreisen und Ärzte angehören, zu dem Schluß: »daß der Film [...] nicht [..'.] für die breite Bildungsarbeit geeignet ist [...] Der Film enthält sachlich falsche Aussagen.« Franz Alt empfiehlt den Film: »Der Film, den der New Yorker Gynäkologe Dr. Bernhard Nathanson von Kollegen drehen ließ, um endlich die Wahrheit zu zeigen, heißt <The silent scream>«.668)

 

Mit der Wahrnehmung der Wirklichkeit hat er seine Schwierigkeiten: »1982 waren wir. (! d.A.) schwanger«,669) schreibt er über sich und seine Frau. Was er nicht schreibt: 1978 war <er> schon einmal heftig schwanger. Sein biologistisches Credo: »Wir brauchen mehr Frauen. Allein durch ihre Gebärfähigkeit stehen sie dem Leben näher als Männer«670) hatte Folgen. Seine außerehelichen Kinder, ein Zwillingspaar, wurden im August 1978 geboren.

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Nun sind mir die Sexualität, die sexuellen Affären und die private Lebensform eines Franz Alt höchst gleichgültig. Von Interesse ist allerdings die Doppelmoral eines Predigers, der seine verquaste Moral anderen notfalls mit Gewalt aufzwingen will.

 

In seinem Buch »Jesus — der erste neue Mann« zitiert Alt die Bergpredigt zustimmend:

»>Ihr wißt auch, daß es heißt: Zerstöre keine Ehe! Ich aber sage euch: Wer die Frau eines anderen auch nur ansieht und sie haben will, hat in Gedanken schon ihre Ehe zerstörte (Mt 5, 27-29) Darüber können sich christliche Männer halbtotlachen, oder sie nehmen diese Worte Jesu nicht ernst [...] Wenn es ernst wird mit dem wirklichen Jesus, dann lachen oder kneifen sie.«671)

Und dann kniff der »erste neue Mann« Franz Alt selbst: Er verweigerte der Mutter der beiden Kinder, einer verheirateten Rundfunkreporterin und Historikerin, lange Jahre jegliche Alimentezahlungen. Erst 1988 stellte er sich einem Vaterschaftstest und gab die Vaterschaft dann zu. Der vielfache Millionär zahlte zu wenig Unterhalt und mußte auf Nachzahlung verklagt werden. Auf die rückwirkende Alimente-Zahlung wurde Alt 1993 eine Reduktion von einer halben Million auf 200.000 DM gewährt, weil, wie es damals hieß, »seine Bücher kaum noch verkauft werden.«672)

Aber allein die Hunderttausender-Auflagen seiner Bücher »Frieden ist möglich« und »Liebe ist möglich« könnten ihm 1 bis 2 Millionen DM Honorar eingebracht haben. Er wurde verurteilt, 2500 DM Unterhalt im Monat zu bezahlen. Eines der beiden Kinder, zu denen Alt nach eigener Aussage keinen Kontakt hat,673) ist geistig behindert und lebt in einem Heim.

Den erfahrenen Fernsehmann hindert keine private Krise an großen Träumen: »Im Moment sehe ich es nicht, daß ich der Gorbatschow oder der Walesa des Westens werde. Aber ich will das nicht ausschließen für die Zukunft.« (1993)674

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Vorerst bleibt der Eindruck, daß er anderen, ebenso durchsichtigen Zielen entgegeneifert: »Jesus war der Traum von einem Mann. Deshalb waren und sind vor allem Frauen von ihm begeistert.« (1990)675

 

Ein Herzinfarkt mit 41 Jahren war Anlaß für den Beginn einer mehrjährigen Analyse nach C.G. Jung bei der heute 84jährigen Psychotherapeutin und Jung-Schülerin Hanna Wolff. »Sie ist eine wirkliche Jesus-Nachfolgerin. Ihre Heilkraft bezeugt es. Wer heilt, hat recht [...] nur Heile können heilen«, schwärmt Franz Alt.676

Von da an beschäftigte sich der erfolgreiche Journalist intensiv mit sich selbst. Seine in den darauffolgenden Jahren veröffentlichten Äußerungen legen nahe, daß er aufsog wie ein Schwamm, was Hanna Wolff ihm im Gewand der Psychoanalyse an Ideologie bot. Er wurde nicht nur offen für die Esoterik, den neuen alten Irrationalismus, sondern auch für den diesem verwandten christlichen Antijudaismus.

Alt zitiert Wolff zustimmend: »>Im Lichte der Tiefenpsy-chologie< konstatiert Hanna Wolff den Juden ihren >Golgatha-Komplex< und uns Christen in Deutschland einen >Holocaust-Komplex< [.. .] Die heute 84jährige Hanna Wolff mit reicher Erfahrung als Pädagogin, Theologin und Psychotherapeutin: <Wo autonome Komplexe [damit meint sie Dämonen; d.A.] regieren, da ist in Ehen, Familien, einzelnen Parteigruppen, Völkern, unter allen Völkern, immer Holocaust.>«677)

Der »Holocaust-Komplex« ist eine außerordentlich verschlüsselte, psychoanalytisch verkleidete Metapher für eine Vorstufe zur faschistischen »Auschwitz-Lüge«.

Um nicht mißverstanden zu werden: Franz Alt leugnet Auschwitz nicht, er zeigt sich entsetzt über die Verbrechen des NS-Faschismus. Zu seinen Widersprüchen gehört jedoch, daß er Thesen des christlichen Antijudaismus verbreitet und modernisiert. Und dieser Antijudaismus, ob im alten oder in Alts neuem Gewand, ist eine der Hauptwurzeln des Antisemitismus.

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Micha Brumlik, Erziehungswissenschaftler in Heidelberg, selbst »Bellizist« und ehemaliger grüner Stadtverordneter in Frankfurt/Main sagt es derb: »Franz Alts >Jesus< ist der erste antisemitische Bestseller seit 1945. Im Gewande von Befreiung und Liebe werden Haß und Angst gesät.«678 

Die Grundzüge des Altschen Antisemitismus seien in aller Kürze skizziert (und die grundlegend antireligiöse Einstellung der Autorin vorausgeschickt):

In ÖkoLinX Nr. 13679 analysiert der Bielefelder Sozialwissenschaftler Heinz Gess Franz Alts Anlehnung an C. G. Jung. Gess beobachtet in der Bundesrepublik ein »Wiederaufleben eines religiös motivierten Antisemitismus«, der schon auf dem Weg zum Faschismus eine »verhängnisvolle Rolle« gespielt habe: »Daß die Juden Jesus ans Kreuz geschlagen hätten, galt häufig als Rechtfertigung dafür, Unrecht an Juden als gerechte Vergeltung anzusehen«. C. G. Jung, der Psychotherapeut, dessen Schülerin Hanna Wolff ist und auf den sich Alt in seinen Büchern positiv bezieht, habe tatkräftig mitgeholfen, solchen religiös und kulturell begründeten Antisemitismus zu verbreiten. Schon 1918 spricht Jung vom Judentum und jüdisch infiltriertem Christentum als einem dem wahren Selbst des deutschen Volkes aufgepfropften Trieb, den es herauszureißen gelte. 1933 schreibt Jung: »Die tatsächlich bestehenden und einsichtigen Leuten schon längst bekannten Verschiedenheiten der germanischen und der jüdischen Psychologie sollen nicht mehr verwischt werden. «6801934 hetzt CG. Jung, auf den sich die esoterische Szene heute wieder begeistert bezieht: »Das jüdische Problem ist ein Komplex, eine schwärende Wunde, und kein verantwortlicher Arzt könnte es über sich bringen, daran ärztliche Vertuschungsmethode zu üben. «681

So wurde Auschwitz vorbereitet: als quasi lebensnotwendige Operation am Patient »deutsche christliche Volksgemeinschaft«, als »Entgiftung des Christentums«, wie Franz Alt es heute vielleicht nennen würde.

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»Einer der <Deutschen Ideologen>«, der mit der Jungschen Lehre das »ihr innewohnende antisemitische Ticket« übernimmt, ist Franz Alt. Klassisch für den christlichen Antijudaismus ist, Jesus nicht als Juden zu sehen, die sind ja »Christusmörder«. Endlos ist die historische religiöse Auseinandersetzung darüber, daß der böse Rachegott des Alten Testaments der jüdische Gott sei, der verheißungsvolle, befreiende jedoch der christliche. Dieses antijüdische Klischee macht sich Franz Alt exzessiv zu eigen. Auch er bestreitet, daß Jesus Jude war: »Mit dieser neuen ganzheitlichen Spiritualität«, so Alt, »hatte der Jude Jesus aufgehört, Jude zu sein«.682

Der böse jüdische Gott steht bei dem sich der Frauenbewegung anbiedernden Franz Alt für »Patriarchalismus« und Nationalismus, für die Sprengung des »Ganzheitlichen«. Die Despotie des männlichen, kriegslüsternen, jüdischen Rachegottes lasse sich nur brechen, wenn der Jude aufhört, ein Jude zu sein. »Klar für Alt, daß die von ihrem >krankmachenden Gottesbild< beherrschten Juden, nachdem sie Jesus aus dem Weg geräumt haben, sich dann auch daran machen, die lebendige Religion<, die Jesus vorgelebt hat, mit dem >Gift< ihres krankmachenden Geistes zu infiltrieren und >judenfreundlich"< umzugestalten, mit der Folge, daß >das Christentum nie wirklich aus dem Schatten des Judentums herausgetreten (ist). Das ist seine Schuld. Das ist seine Tragik [. . .]«. So fallen dann alle Verbrechen des Christentums in die Verantwortung des Judentums. Indem sie das Christentum vergiftet haben, sind die Juden an dem, was ihnen in dessen Namen angetan wurde, immer selbst schuld.

Alt stützt sich in seinen Veröffentlichungen auch auf die Religionslehrerin Christa Mulack, die sich als »Radikalfemi-nistin« bezeichnet und sich als feministische Theologin versteht. Das Judentum gilt Mulack, so Brumlik,683 als »Inbegriff einer patriarchalischen Machtergreifung, einer welthistorischen Machtergreifung, die endlich zum Nationalsozialismus und schließlich zur atomaren und ökologischen Katastrophe führte«.

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Gess weist der Darstellung Franz Alts bis ins historische und religionsgeschichtliche Detail nach, daß und wie er Geschichte und religiöse Theorien verfälschen muß, um sein antisemitisches Klischee des bösen Juden zu konstruieren und daß die Aussagen Alts nicht das geringste mit einer historisch-kritischen Analyse des Christentums und des Judentums zu tun haben.

Gess: »Mag Alt auch glauben, durch Jung zur <lebendigen Religion> gefunden zu haben, die nicht <Opium>, sondern <Dynamit> ist, so vergißt er doch, daß auch Dynamit als <Opium des Volkes> fungieren kann und die Verbindung von Religion und Dynamit, wenn sie zudem noch mit einer unmittelbaren Schuldzuweisung und Identifizierung des vermeintlichen Sündenbocks verbunden ist, noch niemals in der Geschichte der Menschheit zu etwas Gutem geführt und zur Emanzipation der Menschen aus dem alten Herrschafts-, Unrechts- und Schuldzusammenhang beigetragen hat. Solches Denken führt aus solchen Zusammenhängen, auch wenn es sich als <neu> verkauft, nicht hinaus, sondern immer wieder nur noch tiefer hinein.«

Im Dezember 1990 veranstaltete die Arbeitsgemeinschaft Sozialpädagogik und Gesellschaftsbildung in Düsseldorf ein Streitgespräch »Schlug christlicher Antijudaismus in rassistischen Antisemitismus um?«. Alt weigerte sich, auf Kritik an ihm einzugehen und schrie statt dessen seine Thesen ins Publikum. Im »Unterbewußtsein« sitze »der Hitler in uns« — ohne daß wir es merken, und das seit 2000 Jahren. »Das Böse ist in uns.« Einzige Rettung sei der neue Gott, zu dem man »Pappi« sagen könne.684)

Auch über die Rettung der Welt hat Alt eine dezidierte Meinung. Wie im rassistischen Deutschland üblich, sei die Hauptursache der Naturvernichtung — neben so pflichtgemäßer wie ungenauer Überflußkritik am Norden — die »Bevölkerungsexplosion«.685)

Alt: »Nicht der Mensch, das Leben muß im Mittelpunkt stehen [.. .] Wir müssen Abschied nehmen von unserem anthropozentristischen Weltbild, so wie unsere Vorfahren einst Abschied nehmen mußten von der Vorstellung, die Erde sei der Mittelpunkt des Alls. Heute wissen wir, daß wir, wie eine Stecknadel im Heuhaufen, nur ein Teilchen im großen All sind [...] Ich glaube schon, daß wir Menschen einen besonderen Auftrag zu erfüllen haben und nicht rein zufällig auf dieser Erde sind.«686)

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Was ist nun dieser Auftrag? »Die Naturgesetze stehen noch über dem Grundgesetz«,687 sagt Alt und erinnert uns an den von ihm so heftig verehrten Herbert Gruhl, der, ich zitiere es in diesem Buch, überzählige menschliche »Populationen« notfalls, ganz ökologisch, mit der Atombombe auslöschen will. Darauf angesprochen, will Alt weder die ökodiktatorischen Ergüsse Gruhls in »Ein Planet wird geplündert« noch die atomare Drohung in »Himmelfahrt ins Nichts« kennen, sich aber gern erkundigen.688 Wie kann er denn für einen Herbert Gruhl schwärmen, sich auf dessen ökologische Werke ausdrücklich beziehen, wenn er dessen beide .Hauptwerke angeblich gar nicht kennt? Wie kann er sich als angeblicher Pazifist an einem orientieren, der in Verteidigung der angeblich überlegenen europäischen Kultur (Gruhl) Militär und >Verteidigungsgemeinschaft< gegen die >armen Volksstämmec zu benötigen behauptet? Widersprüche über Widersprüche.

Franz Alt ist immer noch einer der besten Werbeträger für die ÖDP (siehe auch S. 229-259). Zur Europawahl 1994 war wieder eine Wahlkampftournee für die ÖDP fällig, am 19. April 1994 war er zu diesem Zweck in Frankfurt/Main: Alt äußert sich zur Energiewende, macht unproblematische Ausführungen, kann sich dann aber auf Fragen aus dem Publikum nicht ganz zurückhalten.

Den Herbert Gruhl, der das Buch »Ein Planet wird geplündert« geschrieben hat, verehrt er. Daß Gruhl in diesem Buch bereits für die Ökodiktatur eintritt, will er am 7. Juni 1994 in einer TV-Sendung des WDR nicht wissen.

OD: Aber das ist doch auch ganz egal. Ich versteh Jutta nicht. Bin ich dann rechts... wenn ich sie nicht verstehe? hat das Böse schon von mir Besitz ergriffen, wenn ich ihr nicht folgen kann? - Wieso kommt sie von der Versammlung auf eine Fernsehsendung? -- Und jetzt müßte sie doch eigentlich einen Beleg bringen, daß Franz Alt es (Ökodiktatur) doch weiß. Aber stattdessen bringt sie schon wieder einen neuen Namen. (Margrit Kennedy). - Will die mich verarschen? Denkt die, ich merke das nicht?

Auch die Propagandistin der sozialdarwinistisch-rassistischen und antisemitischen Freiwirtschaftslehre Silvio Gesells, Margrit Kennedy, schätzt er und will mit ihr und den Freiwirtschaftlern zusammenarbeiten.

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Der Frankfurter Kreisverband der ÖDP läßt sich an diesem Abend im April 1994 nicht lumpen: Nicht nur Bücher von Silvio Gesell, Margrit Kennedy, Herbert Gruhl und Franz Alt werden einträchtig und werbewirksam präsentiert, sondern auf dem Materialtisch der ÖDP, neben dem Europaprogramm, liegt ein sechsseitiges Faltblatt der ÖDP »Leitlinien zu einer neuen Wirtschaftspolitik«, verfaßt von Herbert Gruhl.

Auf der Rückseite dieses Faltblattes wird auf einen ÖDP-Bundesparteitagsbeschluß verwiesen, der diesen Leitlinien Programmcharakter gibt. Beide Seiten, Alt und ÖDP, sind sich einig über ihre ökofaschistischen bzw. rassistischen Bezugstheorien und -personen. In Frankfurt liegt auch ein ÖDP-Falt-blatt »Was die ÖDP von den Grünen unterscheidet« aus. Im Punkt »2. Familien- und Frauenpolitik« verteidigt die ÖDP den schwulenfeindlichen § 175. Die CDU/FDP-Regierung beseitigte diesen diskriminierenden Paragraphen 1994, wenn auch nicht ersatzlos.

Am 29. Juni 1993 meinte der Bundesvorstand der ÖDP, er müsse die ÖDP gegen die Angriffe wegen Rechtslastigkeit, Ökofaschismus und Rassismus verteidigen. Wählerschwund und Imageschaden drohen. Den Kronzeugen für konservative Linkslastigkeit soll Franz Alt spielen, »ein Freund der ÖDP«. Franz Alt wurde von der ÖDP geehrt. Die ÖDP schreibt dazu: »Undenkbar, daß sich diese Persönlichkeiten von einer Partei ehren lassen würden, wenn diese auch- nur einen Hauch von Rechtslastigkeit hätte.« Wer ist da Belastung für wen?

Franz Alt erweitert rechte ökologische Vorstellungen um psychotherapeutische und esoterische Kategorien: »Die Ursachen der ökologischen Krise [.-..] reichen tief in die individuelle und kollektive Psyche. Die Umweltzerstörung ist das Ergebnis einer vorausgegangenen kollektiven Innenweltzerstörung [...] Wir sind fast alle Opfer und Täter [...] Die überlebensnotwendige Transformation heißt: Was bisher im Namen der Menschen geschah, soll künftig im Namen der Natur geschehen.«

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Er bezieht sich auf das »neue ethische Grundverständnis« eines Rudolf Bahro, dessen <völkisches Stammesbewußtsein> und dessen ökodiktatorisch-esoterische Positionen ich an anderer Stelle in diesem Buch kritisiere.689)

Angeregt vom Berliner CDU-Umweltstaatssekretär Professor Dr. Lutz Wicke initiierte Franz Alt gemeinsam mit Joschka Fischer (Umweltminister von Hessen, Bündnis 90/Grüne), Jo Leinen (Umweltminister des Saarlandes, SPD) und Wolfgang Rauls (Umweltminister des Landes Sachsen-Anhalt, FDP) den »Ökologischen Marshallplan«: »eine neue Koalition querbeet zu den herkömmlichen Strukturen«.690 Auch dieser Plan dient selbstverständlich nur dem Glück der Menschheit. Das Bündnis dieser Helden von Wicke bis Fischer verdeckt, um was es in Wahrheit vor allem geht: um die Akzeptanzförderung für eine rigide Bevölkerungskontrolle im Trikont. Sie nennen es militaristisch »Bevölkerungsexplosion« und proklamieren es als ihre (! d.A.) Verantwortung, »Bevölkerungsstabilisierungs-pläne« für den Süden zu entwickeln (Alt).691

Wohin der Mainstream der gutmeinenden, ständig lächelnden Scheinheiligen auch strömt, Franz Alt ist schon da. Keiner spielt wie er auf einer so breiten Klaviatur esoterisch-religiös-antiemanzipatorischen Zeitgeists. Auf dem 14tägigen Kongreß »Management 2001 - Der Mensch im Mittelpunkt« auf Lanzarote leitete Franz Alt einen Workshop. Der Kongreß wurde vom »Esoterischen Zentrum Etora Lanzarote« veranstaltet. Die versammelten Manager zahlten pro Nase 6000 bis 8000 Mark. Referent Alt kam über die Vermittlung seines TV-Kollegen, des Esoterik-Moderators und gelegentlichen »Eto-ra«-Referenten Rainer Holbe, zuständig für Ufos und andere Idiotien.692

Franz Alts futuristische Sendung »Zeitsprung« gibt ihm die Möglichkeit, neue Mythen und Fortschritts­gläubigkeit zu verknüpfen. Ciba-Geigy habe eine Methode entdeckt, ausgestorbene Tier- und Pflanzenarten wiederzuerschaffen:

»Die haben ein befruchtetes Ei einer Regenbogenforelle vier Tage lang in ein elektrostatisches Feld gelegt.

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Dadurch erinnert sich die Aura der Regenbogenforelle daran, wie sie vor 150 Jahren aussah.«693 Entstanden sei daraufhin ein doppelt so großer und doppelt so nahrhafter Uralt-Fisch. »Das ist der erste Beweis für die Existenz der morphogenetischen Felder [...] Die Wissenschaftler haben mir gesagt: >Wir können uns vorstellen, daß wir auch die Dinosaurier wieder hinkriegen.<

Aber die Konzernleitung hat dann die Forschungen eingestellt, weil die alten Tier- und Pflanzenarten ohne Chemie auskommen würden.«694)

Er zieht aus solchen »Entdeckungen« ganz praktischen Nutzen: »Ich habe gerade die erste Kamera in Auftrag gegeben, mit der man die Aura eines Menschen filmen kann.«695)

 

Wir können sicher sein, daß Franz Alt geschäftstüchtig genug ist, um sich seine Absatzmöglichkeiten für seine Bücher nicht zu versauen. Der entscheidende Faktor für seinen Einfluß sind seine Fernsehauftritte. Dort paßt er meist besser auf als in seinen Büchern oder Artikeln, und wir finden seine Positionen in moderaterer Form. Sein antijudaistisch-antisemitisches Weltbild und seine Unterstützung rechtsextremistischer Personen wie Einrichtungen findet nur, wer seine Bücher liest und ein gewisses Hintergrundwissen besitzt.

Zum Beispiel Salem: In seinem Buch »Liebe ist möglich« propagiert Alt über fast zwei Seiten das Erziehungsmodell der Kinder- und Jugendheime der Bruderschaft Salem. »Einen Weg aus der Sackgasse (der ökologischen Zerstörung)« zeige der Gründer der Salem-Kinder-Dörfer Gottfried Müller. In seinen Heimen fänden Kinder und Jugendliche »eine bleibende Heimat«. Zu den »wichtigsten Grundsätzen« gehörten »giftfreie biologische Nahrung«, »körperliche Gesundheit«, »Erziehung im Geist der Zehn Gebote und der Bergpredigt - religiöse Gesundheit [.-.'-.] Nahrung für die Seele«. Alt lobt die Aktivitäten Salems gegen Abtreibung und faßt zusammen: »Das ist praktizierte Bergpredigt heute. Die Wege natürlichen Lebens, die jungen Menschen hier wieder gezeigt werden, könnten Vorboten eines neuen natürlichen Zeitalters sein.« 696)

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Nun, die »giftfreie biologische Nahrung«, darunter Dr. Max Otto Brukers Frischkornbrei, wird notfalls mit Prügeln durchgesetzt. Die »körperliche Gesundheit« wurde in einem »Arbeitsdienst« trainiert, den Salem-Chef Müller ausdrücklich in Tradition des Reichsarbeitsdienstes der NS-Faschisten sieht. »Nahrung für die Seele«? In seiner Salem-Zeitung teilte Gottfried Müller stolz mit, daß die Kinder in seinen Heimen abends für das Wohlergehen und die Befreiung seiner SS-Freunde, der Kriegsverbrecher Herbert Kappler und Walter Reder zu beten haben (siehe Seite 350 ff.).

Kappler und Reder waren nach der Befreiung vom NS-Faschismus in Italien als Kriegsverbrecher zu jahrzehntelanger Haft verurteilt worden. SS-Obersturmbannführer Herbert Kappler, der »Gestapochef von Rom«, hatte mit seiner Truppe im März 1944 in den Ardeatinischen Höhlen bei Rom 335 Geiseln mit Genickschuß ermordet. SS-Hauptsturmführer Walter Reder ließ im Oktober 1944 fast die gesamte Zivilbevölkerung des italienischen Dorfes Marzabotto, bei Bologna, 1836 Menschen, massakrieren. »Praktizierte Bergpredigt« ? Selbst hartnäckig antireligiöse Autorinnen wie ich sind in der Lage zu begreifen, daß mit der Bergpredigt in der Ideologie des Christentums wohl anderes gemeint ist.

Schon 1979, sechs Jahre vor Franz Alts Empfehlungen für die Terrorheime von Salem, entschieden die Berliner Jugendämter, keine Kinder mehr in die Salemschen Einrichtungen einzuweisen, weil die Kinder dort rechtsreaktionär indoktriniert würden, Prügelstrafe herrsche und ein Arbeitsdienst. Einige große Zeitungen und Zeitschriften berichteten darüber, darunter der Stern und die Zeit. Den Journalisten Franz Alt, zu dessen Beruf die gründliche Recherche gehört, hat das alles — im besten Fall — nicht interessiert. Warum nicht?

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Zur besonderen Eigenart Franz Alts gehört, daß er in der WDR-Sendung im Juni 1994, angesprochen auf Salem, mit andauernd lächelndem Gesicht zusichert, dies nachprüfen zu wollen. Die Situation der Kinder im Heim berührte ihn nicht. Gegen die verbreitete Annahme von der wohlmeinenden Naivität Franz Alts spricht seine stahlharte, mit einem ewigen Lächeln maskierte, gleichgültige bis kalt-höfliche Reaktion auf jede Entdeckung seiner Kooperation mit Antisemitinnen, Öko- oder NeofaschistInnen.

Franz Alt ist nicht naiv. Er ist mindestens auf hemmungslose Art geschäftstüchtig. Er verschafft Akzeptanz. Er ist die meist lächelnde Vorhut dessen, wovon er sich immer mal wieder zu distanzieren behauptet.

 

  

Rudolf Steiner, »Arier« und Waldorfschulen 

 

»... kurz, alle Geisteszweige und Hexenbinsen werden hier, mit wahrhaft enzyklopädischer Konfusion ausgerissen und zum Strauß gebunden«  Ernst Bloch

»Etwas spitz formuliert könnte man sagen: Der Schwindel ist so geschickt als Original-Menschenliebe getarnt, daß man an ihm jahrelang vorbeigehen kann, ohne die Fälschung zu erkennen.« Ledder/Brenner697

»Dann herrscht Steiner geschwätzig und viertelsgebildet, hat Geheimes zu versenden.« Ernst Bloch

 

 

In einer Frankfurter Kneipe lag das anthroposophische Mitteilungsblatt Trigonal698 aus. Darin schreibt ein Helmut Kirchner699 gegen den Vorschlag eines Einwanderungsgesetzes, den wir von links kritisieren, weil er in rassistischer Manier Menschen aus dem Trikont nach ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit kontingentiert. Kirchner kritisiert von rechts: »Einem apokalyptischen Rassen- und Klassenwahn«

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solle »nach dem Willen« der »kafkaesken achtundsechziger Bewegung [. . .] nun alles Deutsche ausgemerzt werden«, das bedeute »die Beseitigung von Deutschland und den Deutschen als selbständige politische Größe«.

Anthroposoph Kirchner meint wahrscheinlich die Konzentrationslager und zwei Weltkriege, wenn er schreibt, wie die Geschichte zeige, hätten die Deutschen einen Fehler: Sie seien zu gutmütig, die »betreiben eine gute Sache [Humanität] so gründlich, daß daraus eine böse Sache wird«. »Dies Land kann daher weder menschlich noch ökologisch auf Dauer schon nicht mit der vorhandenen Bevölkerung auskommen.« Notfalls muß das deutsche Volk sich mit Gewalt schützen, denn »mit welchem Recht will man den hier Lebenden ihren Wohlstand nehmen und dieses demokratisch und nicht von oben herab?« Es drohe eine »Deutschendämmerung«, wenn »sämtliche ökonomischen Mittel und geistigen Kräfte des Landes [. . .] in Anspruch genommen [würden], so daß für Selbstbesinnung und kulturelle Impulse keine Kraft mehr wäre«. Denn Kultur gibt es offenbar nur rasserein, »ethnoplurali-stisch« - wie bei den Neofaschisten.

Die Sekte der Anthroposophlnnen ist einflußreich, reich, hat etwa 60 000 Mitglieder und beruht ideologisch fast ausschließlich auf der Lehre von Rudolf Steiner, der 1913 die An-throposophische Gesellschaft gründete. Es ist ihnen gelungen, in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen Fuß zu fassen: durch die 1920 von Steiner gegründeten Waldorfschulen (heute mehr als 140), den biologisch-dynamischen Landbau, seine Demeterprodukte und Drogeriewaren der Marke »Weleda«, durch Krankenhäuser wie Herdecke und eine sich als »Christengemeinschaft« bezeichnende Kirche bis hin zur Freien Hochschule für Geisteswissenschaften in Dornach bei Basel. In die Waldorfschulen flössen reformpädagogische Ansätze vom Beginn des Jahrhunderts ein, die anthro-posophische Ideologie verschleiern sollen.

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Aber führen die AnthroposophInnen nicht die Waldorfschulen, wo Kinder ohne Leistungsdruck und betont musisch ausgebildet werden? Zur Ideologie von WaldorfpädagogInnen wie dem bayrischen grünen Landesvorsitzenden und Bundestagskandidaten Gerald Häfner gehört, daß die Anthroposophie, wie es sich für eine richtige Geheimwissenschaft gehört, in den Unterricht nur möglichst geschickt einfließt: »Gewisse Teile der Geheimkunde können allerdings auch heute nur solchen mitgeteilt werden, die sich den Prinzipien der Einweihung unterwerfen«, sagt Steiner. Die anthroposophische Ideologie verwirft Rationalität und zielt auf Dumpfheit: »Es kommt nicht darauf an, die Lehren der Geisteswissenschaft verstandesmäßig zu beherrschen, sondern Gefühl, Empfindung, ja das ganze Leben mit ihnen zu durchdringen.«700)

Was fließt da in die Köpfe?

Rudolf Steiner entwickelte die Anthroposophie in enger Anlehnung an die Theosophie Blavatskys, die auch den deutschen Faschisten von Nutzen war. Menschen unterscheidet er nach »Wurzelrassen«. Es gibt sieben aufeinanderfolgende menschliche »Wurzelrassen«, die sich während der Zeitenrunde planetarischer Existenz auf einem Planeten entwickeln. Jede dieser »Wurzelrassen« zerfällt in sieben »Unterrassen«, die evolutionär aufeinanderfolgen und eine Kette menschlicher Entwicklung bilden. Nach der »Wurzelrassen«-Ideologie gibt es noch ein paar Reste niederer Menschenrassen, »die jetzt auf Erden durch ein paar elende, aussterbende Stämme und die großen menschenähnlichen Affen repräsentiert sind.«701 Blavatsky in ihrer Geheimlehre, Band II: »Ein Deci-mierungsvorgang findet über die ganze Erde statt unter jenen Rassen, deren Zeit um ist [. . .] Es ist ungenau zu behaupten, daß das Aussterben einer niederen Rasse ausnahmslos eine Folge der von den Kolonisten verübten Grausamkeit oder Mißhandlungen sei. [.:'.] Rothäute, Eskimos, Papuas, Australier, Polynesier usw. sterben alle aus [.. .] Die Flutwelle der inkarnierten Egos ist über sie hinweggerollt [. . .] und ihr Verlöschen ist daher eine karmische Notwendigkeit [...]«

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In dieser Logik liegt, daß Alice Ann Bailey, eine Anhängerin Rudolf Steiners, 1949 die Ermordung von sechs Millionen Juden im Nationalsozialismus als »Feuer der Reinigung« rechtfertigte. Denn wer ermordet wird oder im sozialen Elend lebt, ist selber schuld, weil er in seinem früheren Leben irgendein Vergehen begangen hat: schlechtes oder gar kein Karma. Steiner erklärt die karmische Notwendigkeit des »Hinsterbens« der indianischen »Rasse« beispielsweise so: »Nicht etwa deshalb, weil es den Europäern gefallen hat, ist die indianische Bevölkerung ausgestorben, sondern weil die indianische Bevölkerung die Kräfte erwerben mußte, die sie zum Aussterben führten. «702

Wer Steiner liest, muß sich mühsam durch gedanklichen Schrott kämpfen. Grundlage des anthroposophischen Weltbildes ist die »Wurzelrassenlehre«, wie sie rassistischer und menschenverachtender kaum sein kann. Nach den ersten beiden menschlichen »Wurzelrassen« kamen die »Lemurier«, die vergaßen immer alles, handelten instinktiv, weil sie kein »eigenes Vorstellungsvermögen« entwickelten. Dann die »Atlantier«, die hatten eine solche »Lebenskraft«, daß sie durch Gedankenkraft »Korn zum Wachsen« bringen konnten und sich selbst in geringer Höhe [in] über den Boden schwebenden Fahrzeugen, mit »Pflanzensamen angeheizt«, fortbewegten.703 Aus den besten »Atlantiern« wuchsen die »Arier«, die fünfte »Wurzelrasse« der Menschheit, der noch zwei folgen werden.704 Demnächst soll die sechste »Wurzelrasse« auftreten, deren Entstehungsort die USA und deren Ausgangspunkt die New-Age-Bewegung sein könnte. Aber zurück zu Steiner, dem Guru der Anthroposophen.

Auch Steiners »Wurzelrassen« haben sieben »Unterras-sen«, die natürlich nicht gleichwertig sind. Sein Rassismus entwickelt sich ganz »natürlich«. »Nur hat man sich das nicht so vorzustellen, als ob eine Unterrasse gleich verschwinden würde, wenn eine neue sich entwickelt. Es erhält sich vielleicht eine jede noch lange, wenn neben ihr andere sich entwickeln.

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So leben immer Bevölkerungen auf der Erde nebeneinander, die verschiedene Stufen der Entwicklung zeigen. «705 So kommt es, daß die Mongolen als siebte »Unterrasse« der was-weiß-ich-wievielten »Wurzelrasse« ein bißchen minderwertiger als andere sind. Steiner gesteht ihnen schon die »Denkkraft« zu, aber auch - typisch für »Unterrassen«, einen »unmittelbaren naiven Glauben.«706 Erst die fünfte »Unterrasse« der fünften »Wurzelrasse«, die »Arier«, haben »die vollständige Ausprägung der denkenden Kraft mit allem, was dazugehört«.707

Von Gruhl über neofaschistische Organisationen bis zu Steiner - alle sind sich darin einig, daß die höchstentwickelten Menschen, deren Territorium und materiellen Interessen im höchsten Maße und mit Gewalt zu verteidigen sind, die europäischen »Arier« sind. Wohin die volle anthroposophische »Denkkraft« führt, sehen wir in der Lehre des Chefideologen Rudolf Steiner: »Diese Schwarzen in Afrika haben die Eigentümlichkeit, daß sie alles Licht und alle Wärme vom Weltenraum aufsaugen. Sie nehmen das auf. Und dieses Licht und diese Wärme im Weltenraum, die kann nicht durch den ganzen Körper hindurchgehen, weil ja der Mensch immer ein Mensch ist, selbst wenn er ein Schwarzer ist. Es geht nicht durch den ganzen Körper durch, sondern hält sich an der Oberfläche der Haut, und da wird die Haut dann selber schwarz. [. . .] Überall nimmt er Licht und Wärme auf, überall. Das verarbeitet er in sich selber. Da muß etwas sein, was ihm hilft bei diesem Verarbeiten. Nun sehen Sie, das, was ihm hilft bei diesem Verarbeiten, das ist namentlich sein Hinterhirn. Beim Neger ist daher das Hinterhirn besonders ausgebildet. Das geht durch das Rük-kenmark. Und das kann alles das, was da im Menschen drinnen ist an Licht und Wärme, verarbeiten. Daher ist beim Neger namentlich alles das, was mit dem Körper und dem Stoffwechsel zusammenhängt, lebhaft ausgebildet. Er hat, wie man sagt, ein starkes Triebleben, Instinktleben. Der Neger hat also ein starkes Triebleben. Und weil er eigentlich das Sonnige, Licht

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und Wärme, da an der Körperoberfläche in seiner Haut hat, geht sein ganzer Stoffwechsel so vor sich, wie wenn er in seinem Innern von der Sonne selber gekocht würde. Daher kommt sein Triebleben. Im Neger wird das drinnen fortwährend richtig gekocht, und dasjenige, was dieses Feuer schürt, das ist das Hinterhirn. [. . .] Und wir Europäer, wir armen Europäer haben das Denkleben, das im Kopf sitzt. [..-.] Daher ist Europa immer der Ausgangspunkt für alles dasjenige gewesen, was nun das Menschliche so entwickelt, daß das zur gleichen Zeit mit der Außenwelt in Beziehung kommt. [. . .] Wenn die Neger [.. .] nach dem Westen auswandern, da können sie nicht mehr so viel Licht und Wärme aufnehmen wie in ihrem Afrika. [.■..] Daher werden sie kupferrot, werden Indianer. Das kommt davon her, weil sie gezwungen sind, etwas von Licht und Wärme zurückzuwerfen. Das glänzt dann so kupferrot.« Und nicht Kolonialisierung und imperialistische Raubzüge sind das Problem, sondern ihre »Natur«. »Das [kupferrote Glänzen] können sie nicht aushalten. Daher sterben sie als Indianer im Westen aus, sind wiederum eine untergehende Rasse, sterben an ihrer eigenen Natur, die zu wenig Licht und Wärme bekommt, sterben an dem Irdischen. [. . .] Die Weißen sind eigentlich diejenigen, die das Menschliche in sich entwik-keln. Daher sind sie auf sich selber angewiesen. Wenn sie auswandern, so nehmen sie die Eigentümlichkeiten der anderen Gegenden etwas an, doch sie gehen, nicht als Rasse, sondern mehr als einzelne Menschen/zugrunde.« Die Natur des Europäers zwingt ihn gewissermaßen zur Eroberung der Welt: »Die weiße Rasse ist die zukünftige, ist die am Geiste schaffende Rasse.«708

 

Auch Vertreterinnen des sogenannten linken Flügels der Anthroposophie gehen unbefangen mit den rechtsextremistischen Nationalrevolutionären um. In deren Zeitschrift Wir selbst finden wir neben den vermutlich nichtanthroposophischen Autoren Konrad Buchwald, Günter Kießling, Arno Klönne und Lutz Rathenow auch die AnthroposophInnen

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Josef Beuys, Rhea Tönges und Johannes Stüttgen und häufig den — nichtanthroposophischen — Nationalisten Alfred Mechtersheimer, den die Grünen Baden-Württembergs einmal in den Bundestag hievten.709)

Die Anthroposophlnnen hatten noch nie Probleme mit Geld. Einerseits, weil sie meist dem wohlhabenden Bürgertum angehören, andererseits finanzieren Konzerne wie Siemens (seit vielen Jahren) und Bertelsmann, das Bankhaus Trinkaus & Burckhardt, die Hussel Holding AG und viele andere anthroposophische Projekte. Anthroposophlnnen befinden sich auch als Teil der Esoterikszene auf geistigem Beutezug in der ehemaligen DDR. Viele Gruppen kommen sich auf ihrem missionarischen Feldzug gelegentlich ins Gehege.

Es gibt Anhaltspunkte dafür, daß innerhalb der bürgerbewegten Gruppe Neues Forum, die im Juni 1994 zu den Europawahlen kandidierte, einflußreiche esoterische Gruppen arbeiten. 1990 wurde eine Fachgruppe »Neues Bewußtsein« gegründet. Beobachter vermuten, daß innerhalb der Organisation zwei Sekten, Sannyasins und Anthroposophlnnen, um ihren Einfluß kämpfen.

Möglicherweise existieren auch Verbindungen zur völkisch-rechtsextremistischen anthroposophischen Partei »Neues Bewußtsein«. Diese Partei scheint sehr viel Geld zu haben. Es besteht der Verdacht, daß sie aus Wirtschaftskreisen verschwenderisch finanziert wird. Sie begründet »spirituell«, weshalb Unternehmens­gewinne nicht gekürzt, Löhne und Renten jedoch für einige Zeit ausgesetzt werden sollten.710) Das »neue« Bewußtsein ist das brutale alte, andauernde kapitalistische Bewußtsein.

 

Die Reaktionen auf die Kritik an Steiner in der Erstausgabe von »Feuer in die Herzen« gehörten zu den wütendsten. Seine Anhängerinnen füllten meinen Briefkasten und mein Archiv. Da war der Ministerialrat a.D. aus Bonn, der empfahl, daß ich »in Zukunft derartige Äußerungen über etwas, von dem Sie nicht nur nichts, sondern offenbar das Gegenteil verstehen«, lassen solle. Da schrieb eine, die mich als Botin der schlechten

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Nachricht von den Überschneidungen zwischen Anthroposophie und Faschismus anprangerte (statt die Nachricht): Meine Kritik sei »verwerflich« und Teil jener »moralisch schmutzigen« Verhaltensweisen, die »die Erde ruinieren«. Fast alle bestritten jedem Nichtanthroposophen das Recht auf Kritik: Nur wer Anthroposoph sei, könne Steiner verstehen, wer ihn verstünde, brauche ihn ja nicht mehr zu kritisieren«.

 

Opfer der anthroposophischen »Sekte [...] mit relativem Masseneinfluß«711) dagegen freuten sich über ein wenig kritische Öffentlichkeit nach langer Heimlichkeit. Ich erfahre von einem iranischen Lehrer, der sich an einer Hamburger Waldorfschule um eine freie Stelle bewarb. Man nähme nur »Mitteleuropäer und nur Christen« lautete die Ablehnung. Andere Waldorfschulen nehmen keine türkischen und keine »schwarzen« Kinder auf.

An vielen Waldorfschulen scheint es üblich zu sein, Kinder als »Problemkinder« aufzufassen, wenn sie kritische Fragen stellen, fluchen oder über Sexualität reden wollen: sie werden subtil unter Druck gesetzt, physisch bestraft, offen schikaniert, aus der Schule gedrängt usw. Andere berichteten von der Kollaboration der AnthroposophInnen mit den Nazis im Faschismus, über Ausgrenzungen und Ausschlüsse von Nazigegnerinnen aus anthroposophischen Lehrerkollegien und Zusammenkünften biologischdynamischer Landwirte vor 1945.

»Zunächst ist festzustellen«, schreibt der Anthroposoph Thomas Höfer in seiner Rezension der Erstausgabe von »Feuer in die Herzen« über das obige Zitat Steiners über »den Neger«, »daß der Vortrag Steiners korrekt wiedergegeben ist. Die Auslassungen sind exakt gekennzeichnet, und eine Überprüfung des Originaltextes zeigt, daß nichts weggelassen wurde, was den Sinn entstellen würde. Auch der Zusammenhang, in dem diese Äußerung steht, läßt sie nicht in einem anderen Licht erscheinen.«712 Damit geht Höfer immerhin weiter als einige Besucher von Lesungen, die schlichtweg »Lüge, Lüge!« schrien, so etwas habe Steiner niemals gesagt!

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Höfers Absicht ist es aber, Anthroposophlnnen Argumente zur Verteidigung von Steiner an die Hand zu geben. Diese Argumente sind zum Teil skurril. Steiner: »[. . .] wenn die schwangere Frau sagen wir, in den ersten Monaten der Schwangerschaft in den Wald geht und ihr das Unglück passiert, daß sie just in dieser Zeit einen Erhängten, einen, der an einem Baume sich erhängt hat und schon tot ist, findet - wenn er zappelt ist es noch schlimmer -, wenn sie den dort trifft, so schrickt sie furchtbar zusammen. Das wird in ihr ein Bild, und wahrscheinlich [...] wird sie ein Kind gebären, das bleich ist, das ein spitziges Kinn hat, das seine Glieder dünn hat und sich nicht recht bewegen kann. Bei einer schwangeren Frau genügt ein einziger solcher Anblick. «m Höfer verteidigt exakt diesen grandiosen Schwachsinn mit folgenden Worten: »Viele Aussagen Rudolf Steiners beruhen auf übersinnlicher Erkenntnis und sind daher nicht oder nur sehr schwer nachprüfbar. «714

Da ist es wieder, das anthroposophische Kritikverbot. Nein, nein, sagt Höfer, natürlich habe sich Steiner gegen ein »einfaches Lesen und Nachplappern« verwahrt und gefordert, »daß die Anthroposophen >sich die Dinge wirklich innerlich aneignen, sie zum Inhalt und zur Richtschnur ihres Lebens machen.«:«715 Sich seine Lehre aneignen, sie zum Inhalt des Lebens zu machen: diese Wortwahl meint allerdings das Gegenteil von kritischer Ablehnung der anthroposophischen Lehre.

 

Auch das folgende Zitat könnte mich veranlassen, mitleidig zu sagen: Steiner hatte schwere psychische Probleme, lassen wir ihn in Ruhe! — Wenn er nicht Chefideologe einer Sekte wäre und heute viele tausend Kinder seiner Lehre gemäß in Waldorfschulen indoktriniert würden:

»[...] wir geben diese Negerromane den schwangeren Frauen zu lesen, in der ersten Zeit der Schwangerschaft namentlich, wie sie heute ja gerade solche Gelüste manchmal entwickeln können [...] da braucht gar nicht dafür gesorgt zu werden, daß Neger nach Europa kommen, damit Mulatten entstehen; da entsteht durch rein geistiges Lesen von Negerromanen eine ganze Anzahl von Kindern in Europa, die ganz grau sind, Mulattenhaare haben, die mulattenähnlich aussehen werden.«716)

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Am Ende seiner Rezension entlarvt mich Höfer als Linke, was gewiß die meisten LeserInnen meiner Bücher überraschen wird. Tja, es stimmt: die okkulten Wahnvorstellungen eines Rudolf Steiner einschließlich seiner »geistigen Welt, bevölkert von geistigen Wesen«717) mag ich mir nicht als »Inhalt« meines Lebens »aneignen«.

Nun will ich der Leserin, dem Leser, aber nicht mein derzeitiges Lieblingszitat von Steiner vorenthalten: »Das, was wir heute als Kopf an uns tragen, das ist der umgestaltete Leib aus der früheren Inkarnation, im früheren Erdenleben. Dabei erstrecken die Beine sich als Sehfühlfäden aus den Augen heraus [. . .], um da höchst beweglich auf die Farbe zu treten, während die Arme so ätherisch geworden [sind], daß sie sich jetzt bei den Ohren heraus erstrecken und die Töne berühren. «718

Über Rudolf Steiners (1867-1925) Kindheit ist wenig bekannt, auch er selbst verrät nur Ungenaues: »Ich war ein Fremder im Dorf«, ein »Fremdling im Elternhaus«.719 Er zog sich zurück zu Bäumen und Steinen, spielte kaum mit anderen Kindern. Steiner über sich selbst als Zehnjährigen: »Wochenlang war meine Seele ganz erfüllt von der Kongruenz von Dreiecken, Vierecken, Vielecken; ich zergrübelte mein Denken mit der Frage, wo sich eigentlich die Parallelen schneiden, der pythagoreische Lehrsatz bezauberte mich [. . .] Rein im Geist etwas erfassen zu können, das brachte mir das innere Glück. Ich weiß, daß ich an der Geometrie das Glückzuerst kennengelernt habe. «720 Steiner studiert Naturwissenschaften, bricht das Studium ab, studiert Philosophie und hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. 1890 bis 1897 ist er Mitarbeiter im Goethe-Schiller-Archiv in Weimar. 1907 zieht er nach Berlin und wird dort in die Theosophische Gesellschaft (TG) eingeführt (siehe Ausführungen über Helena Blavatzky).

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Steiner schreibt nun sein Standardwerk »Die Theosophie«, hält Vorträge in ganz Europa, gründet seine eigene Zeitschrift Luzifer und ist im allgemeinen hin- und hergerissen zwischen Askese und Ausschweifungen, die er in seinen Werken und Arbeiten hart anprangert.721

1913 kam es zum Konflikt mit der Theosophischen Gesellschaft (TG), weil Steiner den als Reinkarnation Jesu Christi gefeierten Hinduknaben Jiddu Krishnamurti aus rassistischen Gründen nicht akzeptieren wollte.722)

Es sei eine »Absurdität«723 und er könne diejenigen, die den »Hinduknaben« erwählt hatten, ganz »unmöglich [...] in die deutsche Sektion« hereinnehmen.724 Steiner und seine Anhänger wurden ausgeschlossen. Er gründete die Anthroposophische Gesellschaft und begründete die Anthroposophie, eine modifizierte Form der Theosophie, einschließlich der Wurzelrassenlehre und des Reinkarnations­glaubens.

1919 gründet Steiner den Bund für die Dreigliederung des sozialen Organismus, der Freiheit des Geisteslebens, Gleichheit im Rechtsleben und Brüderlichkeit in der Wirtschaft fordert. Steiner agitiert radikal in Arbeitervorträgen unter Zuhilfenahme marxistischer Termini.725 Seine Forderungen gehen freilich in eine ganz andere Richtung, sieht er doch das größte Problem seiner Zeit in der Entgeistigung, die den von ihm verhaßten Materialismus nach sich zieht. Der Kapitalismus »wird zu einem berechtigten Kapitalismus, wenn er vergeistigt wird«. (Steiner)726

Von Steiners antroposophischen Ideen sehr angetan war der Besitzer der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik, E. Molt. Molt bat Steiner, eine Volksschule für die Arbeiterkinder seiner Fabrik zu gründen. Molt: »Bald nach dem Umsturz [gemeint ist die Novemberrevolution 1918; d. A.] setzten diese Bemühungen für meine Waldorf-Leute ein, moralisch gefordert durch die aus dem Krieg zurückflutenden Arbeitskräfte und durch die infolge des Rohstoffmangels verminderte Arbeitszeit. Ich sagte mir, daß es auf viele dieser Leute mit der Zeit allmählich demoralisierend wirken und sie mit der Zeit

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arbeitsscheu machen müßte, wenn sie arbeitslos auf der Straße liegen. Durch die Gelegenheit zu geistiger Arbeit, zum Lernen auf bisher fremden Gebieten sollte das kompensiert werden«.727

»Steiner und sein Lehrerstab versuchten, die Kinder durch eine auf anthroposophischen Prinzipien beruhenden Pädagogik zu erziehen. Das heißt, die Kinder wurden gelehrt, daß die Welt und die Natur von >Geistern< bewegt und belebt ist, sie mußten Eurythmie betreiben, eine ballettähnliche Körperübung, in der der Körper >vergeistigt< bewegt werden soll, und sie wurden nur mit den schönen und guten Seiten des Lebens konfrontiert. Mythen, Märchen und Sagen, die in den Kindern Moral erwecken sollten, waren (und sind) bevorzugte Unterrichtsmittel. «728

Im ersten Jahr wurden 191 Kinder aus Arbeiterinnenfamilien gemeinsam mit 62 Kindern aus bürgerlichen, anthroposophischen Familien unterrichtet.729 Die ersten Waldorfpädagogen kamen mit der rauhen Wirklichkeit nicht klar: Obszönitäten an der Klo-Tür, mangelnde >Ehrfurcht<, Diebstähle, Saufereien, Drogen: »Ein Mädchen etwa, das keine Märchen mochte (eine Art Todsünde für Anthroposophen) wurde von Steiner einfach zu einem Rechenfehler im Kosmos, zu einem Naturdämon erklärt! «730 Die Zahl der Arbeiterkinder sank im dritten Jahr auf unbedeutende Anteile, »hingegen interessierten sich die höheren Schichten zunehmend für die Waldorfschule, so daß es 1931 bereits zehn dieser Schulen gab«.731

1925 starb Steiner. »Sein Dreigliederungsbund wurde von den Nazis als ideologische Konkurrenz« (eben nicht als etwa antifaschistische Bedrohung; d.A.) »angefeindet«. 1935 wurde die Anthroposophische Gesellschaft aufgelöst, die letzte Waldorfschule wurde erst 1941 geschlossen. Die Waldorfschulen wurden keine frühen Opfer der Nazis - so ein beliebtes an-throposophisches Märchen -, sondern sie konnten sich relativ lange im NS-Faschismus halten: »Die Sprecher des Bundes der Waldorfschulen, Rene Maikowski und (ab 1934) Elisabeth

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Klein, die Mitbegründerin der Dresdner Rudolf Steiner-Schule, suchten und fanden persönlichen Zugang zu Entscheidungsträgern des NS-Staates wie zu dem führenden Pädagogen Prof. Bäumler im Amt Rosenberg, das für weltanschauliche Fragen der NSDAP zuständig war. «732 Beispielsweise wurde die Konzession für die Waldorfschule Stuttgart ab 1935 »mit einem Wohlverhalten gegenüber dem neuen Staat erkauft.«733

Selbst angestrengte Versuche, durch (begrenzte) Zugeständnisse anthroposophischer Verfehlungen im NS-Faschis-mus die Anthroposophie selbst reinzuwaschen, können nicht gelingen. Auch wenn vielleicht die Hälfte der Anthroposophinnen im Faschismus >nur< geschwiegen und nicht paktiert hätte, wäre die Ideologie der Anthroposophie nicht antifaschistisch, sondern bliebe mit dem Faschismus in Teilen kompatibel. Das bedeutet nicht, daß alle Anthroposophinnen Faschisten sind (einige aber waren und sind es, wirklich viele denken rassistisch), sondern daß die Anthroposophie eine derjenigen Weltanschauungen ist, die auf vielfältige und durchaus widersprüchliche Weise dazu beitragen, Faschismus vorzubereiten und zu stützen. Hochachtung gilt den (wenigen) Anthroposophinnen, die antifaschistischen Widerstand leisteten.

Bis heute wird der Nationalsozialismus unter Anthroposophinnen als Folge des Wirkens der das Böse verkörpernden Geister Ahriman und Luzifer erklärt. Für einige Anthroposophinnen waren die Jüdinnen und Juden selbst schuld an Auschwitz, sie wurden bestraft für Verbrechen, die sie in einem früheren Leben begangen haben sollten (Reinkarna-tionsglaube). Die Kritik wohlmeinender Anthroposophinnen an dieser grauenhaften, antisemitischen Schuldzuweisung gerät peinlich: »Die schlimme Auffassung von der Selbstverschuldung des Leidens des jüdischen Volkes in diesem Jahrhundert könnte ja auch nur dann auf den individuellen leidbelasteten Menschen bezogen werden, wenn man annähme, dieser sei auch schon in seinem letzten bzw. einem der letzten

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Leben ein Jude gewesen. Nach der anthroposophischen Geisteswissenschaft aber muß es fast ausgeschlossen werden, daß sich ein Mensch innerhalb von zwei oder drei Inkarnationen im selben Volkszusammenhang inkarniert«, schreibt Arfst Wagner.734)

Wagner kann gewiß als <linker> Anthroposoph gelten. Er gibt sich mit den von ihm mitherausgegebenen Flensburger Heften redlich Mühe, die unwillige Mehrheit der AnthroposophInnen davon zu überzeugen, daß sie sich mit ihrer Geschichte im NS-Faschismus beschäftigen müssen. Aber: Auch Wagner glaubt an die Reinkarnation, auch Wagner spricht von den Juden als eigenem »Volkszusammenhang«.

 

Steiner hat nicht nur den Menschen nach seiner »vierfachen Natur« aufgeteilt, seinen physischen Körper, den »ätherischen Körper«, den »Astralleib« und das »Ego«735. »Engel und Erzengel, die er bestimmten Planeten zuordnet [. . .] führen die Menschen, Völker und >Rassen< und bestimmen ihr Schicksal und ihren Charakter. Den unsinnigen Begriff des Volkscharakters erweitert Steiner zu dem der > Volksseele<«.736 Steiner weist »in seiner Anthropologie den Juden eine Sonderstellung« zu. »Der jüdische Volksgeist ist nicht inspiriert durch einen Planeten, sondern durch Jahwe, der in Steiners System für den Mond steht.«737 »Somit gehören die Juden keiner der von ihm beschriebenen Rassen an, sind unter den Völkern eine Ausnahmeerscheinung.«738 Es gibt viele Vorstufen offen antisemitischer Positionen; notwendig ist immer eine angebliche, aber nicht sichtbare Besonderheit von Jüdinnen und Juden im Unterschied zu nichtjüdischen Menschen zu konstruieren.

Aber auch das darf sicher nicht kritisiert werden, weil nicht versteht, wer nicht zu den Eingeweihten gehört: »Das geheime Wissen«, vermittelt von und Bindeglied zu »Engeln« und »Erzengeln«, konstituiert eine Elitetheorie, die Menschen nicht nur nach »Rassen« und »Volksseelen«, sondern auch nach »Eingeweihten und gar nicht oder weniger Eingeweihten unterscheidet. Daraus folgt nahezu zwingend, daß Menschen

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unterschiedlicher Bewußtseinsstufen auch unterschiedlichen Einfluß und Befehlsgewalt haben, da es eine Hierarchie in der Erkenntnis der Welt und der ihr zugrundeliegenden Mächte gibt.«739

Die Studie des Quellenmaterials läßt mich zu dem Schluß kommen: Daß Anthroposophlnnen (so viel später als andere, linke oder jüdische Bildungseinrichtungen) im NS-Faschis-mus überhaupt Unannehmlichkeiten mit den Nazis bekamen, hatte mehr mit ideologischer Konkurrenz und internen Meinungsverschiedenheiten der Nazis zu tun als mit den Inhalten der Anthroposophie oder gar der antifaschistischen Standhaf-tigkeit ihrer Anhängerinnen, zumal »man in Rudolph Heß, der sich für den biologisch-dynamischen Anbau begeisterte, einen Fürsprecher gefunden hatte.«740 Auch z. B. die Theoso-phische Gesellschaft (TG), die die Machtübernahme der Nazis begeistert begrüßt hatte, wurde verboten.

SS-Hauptsturmführer Siegfried Rascher741 war in seiner Eigenschaft als Stabsarzt der Wehrmacht an Menschenexperimenten im KZ Dachau beteiligt. Rascher war Waldorfschüler, sein Vater ein bekanntes Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft und Mitglied der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft in Dornach. Rascher verwendete »naturheilkundliche Frostschutzcreme im Rahmen seiner Unterkühlungsversuche«. Die Creme stammte von der anthroposophischen Firma Weleda AG. Die Unterkühlungsversuche, über die Rascher an Himmler berichtet, sind durch Alexander Mi-tscherlichs Buch »Medizin ohne Menschlichkeit« zu trauriger Berühmtheit gelangt. Ein Foto zeigt den Arzt Rascher neben einem Wasserbecken, in dem sich ein angebundener Gefangener in eiskaltem Wasser befindet. Ziel der Forschung war herauszufinden, wann ein Mensch stirbt, der über einen bestimmten Zeitraum in Wasser (er)friert.742)

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In Dachau arbeitete auch der ehemalige Obergärtner von Weleda, Franz Lippert, verantwortlich für die Naturkräuterplantagen der SS. Jüdische Gefangene, dann vor allem norwegische, holländische und deutsche Theologen, waren die Arbeiter: »Sie starben auf dem Felde, auf der Plantage, nachts auf dem Block. Wer bis zum Morgen lebte, ging nach dem Appell wieder zur Arbeit, auch wenn er dort zu leiden hatte und langsam dahinsiechte«.743) (Siehe auch das Kapitel über Max Otto Bruker)

Auch heute noch schicken kritisch denkende Eltern ihre Kinder in Waldorfschulen. Ihre berechtigte Kritik an den staatlichen Schulen ist das eine, ihre mangelnde Auseinandersetzung mit der okkulten Ideologie, der sie ihre Kinder mit der Anthroposophie aussetzen, ist ihnen vorzuwerfen. Sie betrachten nur die Oberfläche: scheinbar geringer Leistungsdruck, Platz für Phantasie, musische Ausbildung - aber Steiners Anthroposophie ist der »heimliche Lehrplan« (Rudolph) der Schulen. Seine Bilder hängen überall, Konferenzen werden mit Steiner-Zitaten eröffnet.744

Aus anthroposophischer Sicht ist die Welt das Wirkungsfeld eines Schöpfergeistes, diverser Erzengel und ihrer Gegenspieler Ahriman und Luzifer. Aufgabe der Lehrer ist es, sich in die Reihen des Guten einzugliedern, um, im Sinne der Reinkarnation, unter sich Stehende zu retten. Steiner selbst ist Gottes Stellvertreter, auserwählt durch sein Karma und erleuchtet durch die anthroposophische Lehre.745

In Anlehnung an Charlotte Rudolphs Kritik an der »Versteinerung der Waldorfschulen« faßt Thomas Divis zusammen: »Die Waldorfschule ist in erster Linie eine moralisierende Schule, in der die Seele gepflegt werden soll. Um den rechten Zugang zur Seele zu finden, wird versucht, die Kinder von der Außenwelt abzuschotten. Moral wird durch Märchen, Legenden, Gleichnisse, Fabeln, biblische Erzählungen und Mythen transportiert, die bis zur fünften Klasse das Fundament des Lehrplans stellen. Auch Natur, Technik, Geschichte wird über das Wirken von Geistern erklärt. In der Oberstufe müssen die Kinder den staatlich vorgegebenen Lehrplan nachholen - vielen fällt es aber schwer, zwischen Realität und Anthroposophie zu unterscheiden. 

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Kindliche Neugier am eigenen Körper und Sexualität gelten als unanständig bzw. einer gesunden Entwicklung hinderlich. «746 Und: »Von der Pubertät sollen die Jugendlichen durch Geistiges abgelenkt werden. Mitarbeit der Eltern wird vehement gefordert, Mitentscheidungsrecht haben sie jedoch keines. Das Kind muß auch im Elternhaus anthroposophisch erzogen werden (spezielle Kleidung, Essen, Tapeten, Spielzeug etc.). Wer sich nicht fügt, wird rausgeschmissen - da es sich um Privatschulen handelt, ist das kein größeres Problem.«747

1986 wurde von Waldorfschulgeschädigten in der BRD der Distelbund, der auch in Österreich existiert, gegründet.748 Der Anlaß waren Kindesmißhandlungen an Waldorfschulen. Charlotte Rudolph beschreibt sie: »Festkleben von Händen auf dem Tisch. In der Ecke stehen, gegebenenfalls bis zum Einnässen [.. :] Ohrenverdrehen, Prügeln.« Thomas Divis ergänzt: »Ein Kind moralisch zu verurteilen, und es allein vor die Gesamtkonferenz zu bestellen, scheint zu den eher üblichen Maßregelungen zu gehören. Ehemalige Waldorfschülerinnen können sich auch an rituelle Straf formen erinnern. Mir wurde z. B. von rhythmischen Schlägen mit frommen Sprüchen erzählt. In einer westdeutschen Waldorfschule mußte ein Schüler auf einen Stuhl steigen und wurde von seinem Lehrer so lange angeprangert, bis er sich übergeben mußte. Wieder woanders lernen die Kinder geradestehen, indem sie in die Höhe gehoben werden und, bis sie weinen, von oben herunter fallengelassen werden. «749

Eine Waldorfschülerin, die sich an die Klassenlehrerin wandte, weil sie von ihrem Vater sexuell mißbraucht wurde, wurde mit der karmischen Antwort zurückgewiesen: <Du hast dir deine Eltern selber ausgesucht.> Kürzlich wurde einem Jungen der Mund mit Seife ausgestrichen, weil er schmutzige Worte benutzte. Aber nicht etwa in hilfloser Wut, sondern nach langem Nachdenken. Auch Rudolf Steiner strafte Schüler brutal,750 das hindert seine Jünger nicht, ihn als fünften Evangelisten zu feiern.751

»Nur ein undemokratisches Staatswesen könnte am Ende dieses ausgehenden Jahrhunderts einen pädagogischen Sinn in der Waldorfpädagogik erkennen«752 schreibt Charlotte Rudolph. So gesehen, paßt die Waldorfpädagogik zur gegenwärtigen politischen Entwicklung.

Steiners rassistische Äußerungen seien nur aus ihrer Zeit heraus zu verstehen, damals hätten viele so gedacht, sagen einige zu seiner Verteidigung. Viele? Gilt der Meister denn nicht als besonders vergeistigt und erleuchtet? Also doch nur Vertreter des ganz gewöhnlichen, widerwärtigen rassistischen Mainstreams der 20er Jahre? »Aus ihrer Zeit heraus«? Von Rosa Luxemburg, die etwa zur selben Zeit lebte, ist kein vergleichbarer rassistischer Dreck überliefert. Und sie ist nur eine von vielen Beispielen, zu denen auch Marx und Engels gehören, die noch vor ihr lebten.753

Und was ist heute? Eine kleine Zeitung in Berlin berichtete im Juni 1994 über die Veranstaltung in der anthroposophischen Volkshochschule Forum Kreuzberg: »Rassismus - Nationalismus - Vorurteile der Zeitgenossen und ihre Überwindung durch die Anthroposophie Rudolf Steiners«. Hauptreferent des Wochenendseminars war Rainer Schnurre. »Was da [...] rüberkam, war nichts anderes als der Abklatsch einer nationalsozialistischen Rassenkunde-Unterrichtsstunde.« Schnurre fragte nach »Rassebegegnungen« und »welche Unterschiede es denn zwischen den Rassen geben würde?«

Die angeblichen Rasseeigenschaften von Chinesinnen wurden charakterisiert. Schnurre meinte: »Ein typisches Merkmal des Afrikaners sei seine andersartige Beweglichkeit, sie haben einen anderen Gang - sie laufen und bewegen sich anders als wir.« »Folglich könne gesagt werden, daß die Schwarzen etwas Kindliches an sich hätten.« Nicht genug: »Gibt es etwas Typisches in [...] den Augen von Schwarzen?«754, fragte Schnurre die Teilnehmerinnen. Eines ist sicher: »Typisch« Rassistisches in Theorie und Praxis der Anthroposophie gibt es überreichlich.

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