WSL: Weltbund zum Schutz
der biologischen Substanz des deutschen Volkes
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Zum Wesen der Anthroposophie gehört ihre enge Verbindung zum Faschismus. 1989 erschien ein Buch von Werner Georg Haverbeck: Rudolf Steiner — Anwalt für Deutschland. Haverbeck, der im Hause des Führerstellvertreters Rudolf Heß der Anthroposophie zum ersten Mal begegnete,755) ist ein einflußreicher Ideologe, der zum Aufbau und zur Vernetzung der ökofaschistischen Szene beiträgt.
Haverbeck wurde am 28. Oktober 1909 geboren. Als Jugendlicher wurde er Mitglied der Bündischen Jugend, die Lagerfeuerromantik mit der Glorifizierung soldatischen Seins und der »Volksgemeinschaft« verband. 1928 trat er in die SA ein und war von 1929 bis 1932 Mitglied der Reichsleitung der NSDAP-Studentenschaft und der Reichsjugendführung der Hitlerjugend, daneben war er noch Reichsamtsleiter in der NS-Organisation »Kraft durch Freude«.
1933 wird sein Ausweis von Rudolf Heß mit dem Vermerk ausgestattet: »Dieser Mann darf nicht verhaftet werden.« Damit entging er der innerparteilichen Säuberung anläßlich des »Röhm-Putsches«. Im selben Jahr berief ihn Heß zum Leiter der Reichsmittelstelle für Volkstumsarbeit. Diese Stelle war maßgeblich an der Organisierung des Nürnberger Parteitages und der Großveranstaltungen im Berliner Sportpalast beteiligt. Haverbeck wurde 1937 Referent im Stab des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß und promovierte gleichzeitig, sein Doktorvater war der Gründer des SS-Instituts »Deutsches Ahnenerbe«, Hermann Wirth, von dem wir schon gehört haben. Rechtzeitig zu Kriegsbeginn erhielt Haverbeck die Zuständigkeit für die deutsche Rundfunkpropaganda in Dänemark und wurde 1942 Referatsleiter für ganz Südamerika. Haverbeck meldete sich später freiwillig zum Fronteinsatz und war bei Kriegsende Offizier.756)
Ab 1950 studierte er Theologie und wurde Pfarrer der anthroposophischen Glaubensgemeinschaft (»Christengemeinschaft«) in Marburg. Seit 1960 arbeitete er in der Erwachsenenbildung. 1963 gründete er das Collegium Humanum (CH) in Vlotho/Nordrhein-Westfalen. 1973 wurde er Professor für angewandte Sozialwissenschaften an der Fachhochschule Bielefeld757 und 1974 zum Präsidenten des Weltbundes zum Schutz des Lebens (WSL) gewählt. Er bleibt bis 1982 im Amt. 1975 gründet Haverbeck zusammen mit Gustav Heinemann den Deutschen Rat für Umwelt und Lebensschutz. 1978 beruft ihn Erhard Eppler in die Gustav-Heinemann-Initiative, die heute mit der Friedrich-Ebert-Stiftung und den IG Medien kooperiert. 1979 wird Haverbeck Berater von Egon Bahr in Umweltschutzfragen.758
Haverbeck engagierte sich gegen Atomkraftwerke und für die Ostermarsch- und Friedensbewegung, was ihn manchen Leuten sympathisch macht. Aber es gibt auch rechte und rechtsextremistische Gründe gegen Radioaktivität und Krieg: Der nächste Krieg werde besonders das deutsche Volk dezimieren, und Radioaktivität schade auch »arischem« Erbgut, so die Argumentationsstränge in diesen Kreisen. 1981 gehörte er zu den Erstunterzeichnern, möglicherweise zu den Autoren des rassistischen »Heidelberger Manifests«, in dem vermeintlich ökologisch-wissenschaftlich die Notwendigkeit der »Ausländerbegrenzung« propagiert wird.
In Haverbecks Interpretation werden der Erste und der Zweite Weltkrieg zu einem dreißigjährigen Verteidigungskampf des deutschen Volkstums gegen ausländische Aggressoren. Hauptgegner ist das »Weltherrschaftsstreben der angelsächsischen Rasse«,759 hinter dem die »dem altjüdischen Bewußtsein entsprechenden intensiven Vorstellungen von einer Berufung zur Weltherrschaft«760 stecken. Der »Verzichtpolitiker« Hitler761 sei durch Polen und die USA762 zum Krieg genötigt worden.
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Daß es »Massenvernichtungslager« gegeben habe, bezeichnet Haverbeck als »historische Lüge«, »Feindpropaganda«, als »Greuelpropaganda« der Alliierten763) und erfüllt mit seinem Antisemitismus und der Verharmlosung des Faschismus wesentliche Voraussetzungen einer neofaschistischen Position. Rußland, Opfer in zwei Weltkriegen, wird zum Aggressor; die Ermordung von über 20 Millionen Russen durch die Truppen Hitlers geschah »zum Heile beider Völker«.
Haverbeck meint, die Unterarten des Menschen seien ebenso wie die Pflanzen und Tiere einem jeweiligen Ökosystem zugeordnet. Umweltschutz sei deshalb Völkerschutz, Schutz der biologischen Substanz, beziehungsweise der nationalen Identität vor Überfremdung.764 Auch für die Republikanerinnen ist die »Überbevölkerung« Deutschlands mit Flüchtlingen und Migrantinnen schuld an der Umweltzerstörung. Umweltschutz ist für sie die »Erhaltung des deutschen Volkes, seiner Gesundheit und seines ökologischen Lebensraumes«.765
Wer steckt nun hinter dem Weltbund zum Schutz des Lebens (WSL)? Gründungspräsident des deutschen WSL war der Medizinalrat Dr. Walter Gmelin. Gmelin schrieb 1965 in der Zeitschrift Erbe und Verantwortung. Eugenische Rundschau, daß »Intelligenz eine Sache der Erbmasse sei«. Gmelin war im Faschismus Arzt an der berüchtigten Vernichtungsanstalt Grafeneck bei Münsingen im heutigen Baden-Württemberg. Bis zu seinem Tode im Jahr 1974 gehörte er zum »wissenschaftlichen Beirat« der rassistischen und ausländerfeindlichen Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung (GfbAEV), die rassistische Forderungen, darunter die nach einem Verbot von »Mischehen«, erhebt. Dort treffen sich auch Jürgen Rieger, »Neonazi in Anwaltsrobe« (Die Zeit), Alain de Benoist, Vordenker der französischen »Neuen Rechten« und Rolf Kosiek, ehemaliger NPD-Landtagsabgeordneter.
Gmelins Nachfolger im Amt des WSL-Präsidenten wurde Helmut Mommsen, Mediziner und Professor in Frankfurt.766
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Mommsen referierte gelegentlich auf Tagungen der Neonazizeitschrift Bauernschaft, die von Thies Christophersen herausgegeben wird, der mehrfach wegen neonazistischer Straftaten vorbestraft und Verfasser der Broschüre über »die Auschwitzlüge« ist. Mommsen gehört wie Gmelin zum wissenschaftlichen Beirat der gemeinsam mit südafrikanischen Buren gegen die »Rassenmischung« kämpfenden GfbAEV.767
1970 folgt Beck, Professor für Geographie in Bonn. 1971 Max Otto Bruker, Arzt und Klinikleiter in Lahnstein. Auch er sitzt im wissenschaftlichen Beirat der GfbAEV und ist eine schillernde Figur in der ökofaschistischen Szene (siehe nächstes Kapitel). 1974 wird Werner Haverbeck Präsident und bleibt auch nach dem Ende seiner Amtszeit bis heute die zentrale Figur des WSL und des Collegium Humanuni. 1982 wird Bruker noch einmal kurzzeitig Präsident. Von 1983 bis 1989 ist Ursula Haverbeck-Wetzel Präsidentin, die Frau von Werner Haverbeck: »Ich bin aus religiösen Gründen nicht bereit, mich von irgendeinem Menschen zu distanzieren, auch nicht von Adolf Hitler. «768 Sie schreibt zum Beispiel im antisemitischen, rechtsextremistischen Blatt Sieg und in der nationalrevolutionären Zeitschrift Junges Forum. Für sie ist »der Nationalsozialismus [...] nicht gleich Judenverfolgung und Vergasung«.769 Die »positiven Seiten« des Nationalsozialismus sind in ihren Augen das Streben nach Gesundheit, die Tendenz, Überkommenes wie Bauerntum, Volksbräuche, Naturschönheiten zu pflegen und zu verehren.
Der heutige Präsident, seit 1989, ist Ernst Otto Cohrs, Versandhändler für biologisch-dynamischen Gartenbau in Rothenburg an der Wümme. Cohrs besaß früher einen Verlag, in dem er Bücher wie Es gab keine Gaskammern oder Der Auschwitz-Mythos herausbrachte. Er arbeitet mit der rechtsextremen Zeitung Sieg zusammen, und wir finden seine Verlagsanzeigen in Zeitungen wie Bauernschaft des in Dänemark lebenden Faschisten Thies Christophersen.770
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Der WSL ist eine der etabliertesten und einflußreichsten Umweltschutzvereinigungen. 1983 legte auch der reiselustige Papst Johannes Paul II. seinen Katholiken den WSL, der ein zutiefst religiöses Anliegen habe, das die volle Unterstützung der Kirchen verdiene, ans Herz.
Die Bildungsstätte des WSL, das Collegium Humanum (CH) in Vlotho, ist ein Zentrum ökofaschistischer Schulung. Es wurde auf Initiative von Werner Haverbeck 1963 als Verein gegründet. Entgegen dem Anspruch im Programm, »eine Bürgerinitiative des freien Geisteslebens« zu sein, die »sich um eine vorurteilslose Urteils- und Bewußtseinsbildung gegenüber allen gesellschaftlichen Fragen« auszeichnet, finden wir im Zusammenhang mit dem Collegium jede Menge Personen und Organisationen aus der rechtsextremistischen und neofaschistischen Szene mit dem Schwerpunkt Ökofa-schismus. Das Collegium Humanum ist eine rechtsextremistische Bildungs- und Koordinationsstelle, die gemäß dem Erwachsenenweiterbildungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen lange Jahre staatlich gefördert wurde.
Zu den Organisationen und Veranstaltungen im CH gehören: Komitee zur Vorbereitung der Feierlichkeiten des 100. Geburtstags Adolf Hitlers, Sonnwendfeiern mit Gästen unter anderem aus der FAP, den Goden und dem Bund der heimat-treuen Jugend (BHJ), einer militanten, rechtsextremistischen Jugendorganisation. Ehemaliger Mitarbeiter war Michael Kremer, ein Vertrauter von Michael Kühnen und Autor im österreichischen Hetzblatt Sieg, der seine Artikel mit »Heil Deutschland« unterzeichnet.
In letzter Zeit fällt auf, daß Seminare mit Titeln wie »Heilsame Berührungen« (Therapeutic Touch), Angebote zur »Lichtmassage« oder über Anthroposophie im Programm zu finden sind. Das CH wird zum ideologischen Scharnier und zur Bildungszentrale zwischen neofaschistischer, ökofaschistischer, esoterischer, völkischer, anthroposophischer, germanisch-urheidnisch-urreligiöser Szene ausgebaut. Einrichtungen wie diese brauchte der Ökofaschismus für die Verschärfung seiner gesellschaftlichen Sprengkraft.
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Rassismus, Antisemitismus, Rechtsextremismus und Neofaschismus werden ökologisch geschminkt. Im WSL-Info Nr. 1 lesen wir: »Nicht nur die Natur muß vor einer ökologischen Überanspruchung geschützt werden, auch der Mensch kann in eingeengtem Umraum nicht gedeihen, und schließlich müssen auch die >autochthon<, d.h. >aus ihrem Umraum gewachsenem und in ihrer Eigenart zu verstehenden Völker vor einer Entfremdung der ihnen angeborenen Eigenart gegenüber geschützt werden.«771)
Da haben wir ihn wieder, den Ethnopluralismus des Neofaschismus. Zur deutschen Eigenart gehöre der Agrarstaat, daß das nicht so ist und daß Atomkraftwerke das deutsche Volk bedrohen, erklärt Professor Haverbeck damit, daß keine sechs Millionen Juden vergast worden seien. Die Zahl sei künstlich festgelegt, um die acht Milliarden Mark Reparationszahlungen rechtfertigen zu können. Die wiederum machten es nötig, daß die BRD ein Industriestaat und kein Agrarstaat wurde. In einem Agrarstaat, der dem deutschen Wesen entspreche, gebe es auch keine Atomkraftwerke.772
Braunes Müsli — der »Ernährungspapst«
Dr. med. Max Otto Bruker
Vor Gericht traf ich Dr. med. Max Otto Bruker zum ersten Mal 1993: Ein kleiner, weißhaariger, 84jähriger Mann, schwarzrandige Brille, weinrotes Sakko. Seine blonde Begleiterin, Ilse Gutjahr, die Geschäftsführerin des EMU-Verlages, in dem Brukers Bücher erscheinen, attackiert mich mit wütenden Blicken. Wir stehen in Frankfurt vor Gericht. Bruker versucht, die erste Ausgabe von »Feuer in die Herzen« zensieren zu lassen.773
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Er leugnet, was zu beweisen ist: Der Arzt und Bestsellerautor war lange Jahre eine Scharnierstelle zwischen Ökologie- und Naturkostbewegung auf der einen und Neonaziszene auf der anderen Seite. Mit seiner Klage hat er mich auf die Idee gebracht, mich umfassender mit ihm zu beschäftigen. Und so bringt Brukers Versuch, sich die braunen Flecken vom Gewand zu kratzen, letztendlich immer neue rechte Verbindungen ans Licht.
Bruker überreicht dem Gericht ein Schreiben, das ihn entlasten soll. Ein gewisser Gottfried Müller, Vorsitzender der »Bruderschaft Salem« und verschiedener anderer Salem-Ver-eine, schreibt ihm: »...danke ich Ihnen sehr herzlich dafür, daß Sie beim Aufbau unseres Kinder- und Jugendhilfswerks [.-...] als treuer [..-.] Berater in Ernährungsfragen mitgeholfen haben, daß aus diesen Anfängen heraus das heutige weltweite Salem-Hilfswerk mit der Salem-Vollwerternährung entstehen konnte. «774 Aber Salem, nicht zu verwechseln mit dem Internat am Bodensee, ist keine harmlose, karitative Einrichtung.
Salem-Chef Gottfried Müller hat furchtbare Freunde. Zum Beispiel den Ex-SS-Obersturmbannführer Herbert Kappler. Der »Gestapochef von Rom«775 pflegte in den 40er Jahren an vielen Vormittagen sein Büro zu verlassen, um die Wirkung von ihm befohlener Folterungen zu beobachten. Im März 1944 knieten 335 Menschen in den Ardeatinischen Höhlen bei Rom. Kappler und seine Truppe ermordeten sie einen nach dem anderen per Genickschuß.776 Kappler wurde 1948 in Italien zu lebenslanger Haft verurteilt. Er konnte 1977 flie-hen.777
Im Oktober 1944 ließ SS-Hauptsturmführer Walter Reder die Zivilbevölkerung des italienischen Dorfes Marzabotto, nahe Bologna, ermorden.778 1836 Menschen wurden Opfer von Reders Rache für die erfolgreiche Flucht antifaschistischer Partisanen in die Berge.
Reder vergewaltigte Frauen, bevor sie ermordet wurden, und ließ zu, so beschreibt ein Gericht spä-
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ter, »daß seine Offiziere und Truppen [Frauen] vergewaltigten, die erst kurz zuvor aus den Haufen der Leichen niedergemetzelter Eltern, Verwandter und Freunde herausgezogen worden waren«.
Die SS-Mörder warfen Säuglinge in die Luft und erschossen sie wie Tontauben. Ein 17jähriges Mädchen wurde vor den Augen seiner Familie vergewaltigt, dann rammte man ihr einen Pfahl in den Unterleib und ließ sie sterbend liegen.779 SS-Reder wurde 1951 in Italien zu lebenslanger Haft verurteilt und 1985 vorzeitig entlassen.
Gottfried Müller, Chef der Kinder- und Jugendheime Salem - für Franz Alt die »praktizierte Bergpredigt«780 -, schrieb an den inhaftierten SS-Kappler: »Du sollst wissen, daß mir Dein und Deines Mitgefangenen Walter Reder Schicksal sehr am Herzen liegt. Auch unsere Salem-Kinder haben Euch in's Herz geschlossen und beten zu Gott, daß ER Euch nach 30jähriger Gefangenschaft bald die Freiheit schenke.«781
Als Kappler 1977 befreit wird, jubelt die Salem-Zeitung: »Unser Freund und Bruder ist nun wieder in seiner geliebten deutschen Heimat«. Wir »sind glücklich, daß wir uns seit Jahren zu Euren engsten Freunden zählen dürfen [..-.] Aufgrund unserer Befreiungs-Aktionen [...] und ständiger Hinweise auf das an [...] Dir begangene Unrecht [...] gelang nach Gottes Ratschluß die Befreiung.«782
Brukers Ernährungsratschläge, schreibt SS-Freund Müller in dem Brief, den Bruker 1993 dem Frankfurter Gericht vorlegt, hätten dazu geführt, »daß aus den bei uns von den Jugendbehörden untergebrachten Kindern mit niedrigem Intelligenz-Quotient bald ein Kinderorchester mit Blasmusik entstehen konnte«.783 Müllers Pädagogik bewerteten die Berliner Jugendämter 1979 völlig anders. Sie stoppten die Einweisung von Kindern in die drei Salemdörfer in Bayern (Stadtsteinach und Hochheim) und Niedersachsen (Kovahl). In den Publikationen der »Bruderschaft« werde ein rechtsreaktionärer bis faschistischer Ton angeschlagen, die Personalausstattung sei zu niedrig, die Geschäftspraktiken und Verwendung von Spendengeldern undurchsichtig, ein »Arbeitsdienst« sei eingerichtet worden.784
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Tatsächlich finde ich in der Salem-Zeitung (Auflage: 500000) vom Oktober 1977 folgenden Aufruf: »Salem Arbeitsdienst. [.-'..] Bei Salem entstand ein solcher freiwilliger Arbeitsdienst, wie er früher (! d. A.) schon einmal existierte. Junge, ordentliche Menschen, Nichtraucher, melden sich in unserer Salem-Zentrale«. Im nach dem Vorbild des NS-Reichsarbeitsdienstes (RAD) errichteten »Dienst« sollen nur »tadellose Elemente« mitarbeiten. Zur Rettung der »sauberen, gesunden, tüchtigen Jugend« will Müller vor der »hereinbrechenden Vernichtungsflut«, dem »Verfall von deutscher Sitte und Moral«, einen »dauerhaften Damm« aus Spenden errichten.785 »Bedenkt uns«, bettelt Müller seine Leserinnen und Leser an, »auch über den Tod hinaus. Vergeßt nicht, uns in Euer Testament aufzunehmen.« Jährlich fließen Millionenbeträge in Salems Kassen. Immer wieder sind Gerichte damit beschäftigt, die tatsächliche Verwendung der Spendengelder zu untersuchen.786
Bruker, dem Müller so innig für die Aufbauhilfe dankt, wird im Impressum der Salem-Zeitung, z. B. in den Jahren 1973 bis 1979, als Mitglied des »Kuratoriums des Kinder- und Jugendhilfswerks Salem« genannt. Bruker bestreitet diese Mitgliedschaft lange und behauptet, ohne sein Wissen im Impressum als Kuratoriumsmitglied genannt worden sein -sieben Jahre lang. In den Jahren der Kuratoriumstätigkeit des Salem-Aufbauhelfers Bruker herrscht unter den Salem-Kin-dern die nackte Angst vor fortwährenden Schlägen. Brukers Vollwertkost und die HJ-Pädagogik Gottfried Müllers werden mit Gewalt durchgesetzt. Kindern, die heimlich Süßigkeiten oder Wurst essen, drohen Prügel. Erzieher, die mit den Kindern ins Kino (»Möwe Jonathan«) gehen, werden entlassen. Fernsehen und Pop-Musik sind Teufelswerk. Lange Zeit sind Puppen, Stofftiere, Bilder an der Wand und Haarspangen verboten.787 Salem-Erziehung ist Pädagogik in NS-Tradition.788
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Wenn Dr. med. Max Otto Bruker heute Vorträge hält (etwa »Ärztlicher Rat aus ganzheitlicher Sicht«), sind viele Säle voll und sein Publikum lauscht dem »meistgelesenen deutschen Arzt« mit gläubigem Blick. Meine Recherche führt mich in zahlreiche Buchhandlungen. Stichworte Medizin, Ernährung, Naturheilkunde, Ökologie. Manche Läden führen zwei Dutzend verschiedene Bücher des »Ernährungspapstes«. Seine Empfehlungen wirken bis in Manager- und Angestelltenkreise, auch wenn sie geringes Interesse an »Öko« haben.
Bruker schreibt über Diabetes, Rheuma, Herz- und Kreislaufkrankheiten und vieles mehr. Immer wieder sind Klagen von Patienten zu hören, daß Dr. Brukers Frischkornbrei und Vollwertrohkostmenüs in ihrer dogmatischen Ausschließlichkeit nicht von allen Patienten vertragen werden. Nach Brukers Auffassung sind die Patienten schuld. Vielleicht haben sie heimlich von teuflischem Zucker gegessen?
Krankheit, so das Dogma Brukers, ist ausschließlich die Folge persönlichen Fehlverhaltens: »Vor drei Generationen kannte nämlich niemand die Krankheiten, die zivilisationsbedingt«789 sind. »Essen Sie bitte in Ihrem eigenen Interesse nichts, was nicht auch Ihr Urgroßvater zu sich genommen hat. Vor hundert Jahren war die Welt nämlich noch in Ordnung.«790 Unabhängig davon, daß z. B. Kinderarbeit, Sozialistenverfolgung und Kolonialismus nicht »in Ordnung« waren, ignoriert Bruker auch heute die sozialen Verhältnisse, die Menschen krankmachen: miese Wohnungen, vergiftete Luft, Lärm, entfremdete Arbeit, Erwerbslosigkeit.
Alles unwesentlich, glaubt Bruker. Ernährten sich nur alle nach seinen Anweisungen, sei »aus ganzheitlicher biologischer und geisteswissenschaftlicher Sicht« selbst »Krebs kein Problem mehr. «791
»Diese vollendete Krankheit« sei die Strafe, wenn gegen die Naturgesetze verstoßen wird. Wenn das »Menschengeschlecht« die »Warnsignale gegen die Eingriffe in die Schöpfungsgesetze« nicht mehr erkennt, »[. . .] wird der fortschrittliche Teil der Menschheit in einem Akt der ausgleichenden Gerechtigkeit durch Krankheit, insbesondere durch Krebs, liquidiert«.792)
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Sein Frischkornbrei soll der Vermehrung des »deutschen Volkes« dienen: »Bei einer biologisch vollwertigen Kost« bringen »auch 15 Schwangerschaften, die hintereinander folgen, ebensowenig Gesundheitsschäden mit sich [...] wie dies bei im Freien lebenden Tieren der Fall ist«,793 sagt Dr. med. Max Otto Bruker. Mißtrauisch gibt er Ratschläge für die Kontrolle der Zuchtbereitschaft der Frau: Der »Wahrheitsgehalt« der »Beteuerung einer Frau, daß sie fest im Glauben und ganz auf christlichem Boden stehe«, könne an ihrer Bereitschaft zu mehr als einer Schwangerschaft »geprüft« werden: »Wenn sie ein zweites Kind strikt ablehnt, sind ihre Beteuerungen als leere Worte entlarvt. «794
Will eine Frau weder Kinder kriegen noch sich à la Bruker ernähren, droht des großen Müslimeisters Strafe: »Myome«795 und andere Plagen sind die »Protestreaktionen« der »Natur«, an denen auch der »Unterleib der Frau« beteiligt sei. So strafe die Natur die »Trägerin der Fortpflanzung«, gefährde die sich verweigernde Frau doch »das Weiterbestehen der Art«. »Äußerst sinnvoll« sei, daß Frauen, die durch Verhütungsmittel oder falsche Ernährung ihren Körper »schädigen«, »durch Beschwerden an den Fortpflanzungsorganen an ihre Verantwortung für die nachfolgenden Generationen gemahnt«796 werden. Aber nicht jede deutsche Frau soll Kinder kriegen dürfen: Will sie Kinder, mag aber Biokost nicht, wünscht Bruker - Strafe muß sein -, daß ihr »die Fähigkeit zur Fortpflanzung verlorenginge, damit deren Nachkommen nicht die Folgen ihrer gesundheitsschädlichen Lebensweise büßen müssen«.797
Der gnadenlose Arzt hat noch weitere merkwürdige Bekannte. Um sich gegen mich zu verteidigen, zieht sein Anwalt an diesem Gerichtstag im Juli 1993 noch einen anderen Brief aus der Tasche. Absender ist Jürgen Rieger (48), Staranwalt der militanten Nazi-Szene.798 Rieger bestätigt Bruker,
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daß dieser »nie Mitglied in der Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung e. V.« (GfbAEV) gewesen sei. Riegers Vorgänger habe Bruker »seinerzeit in den Beirat der Gesellschaft aufgenommen, ohne dazu Ihr Einverständnis einzuholen«.799
Rieger dementiert eine Behauptung, die ich nicht gemacht habe: daß Bruker Mitglied in der GfbAEV gewesen sei. Nun gibt die GfbAEV aber eine Zeitschrift mit Namen Neue Anthropologie heraus. Die Impressa der Neuen Anthropologie nennen Bruker von 1972 bis 1982 als Mitglied des »Wissenschaftlichen Beirates« der GfbAEV. Nach der Salem-Zeitung will Bruker jetzt auch noch im Impressum der »Neuen Anthropologie« ohne sein Wissen genannt worden sein. Diesmal elf Jahre lang.
Beim Versuch, die Lügengespinste zu durchdringen, stoße ich auf ein Interview mit Bruker im Jahre 1985. Seinen Kritikern empfiehlt er dort: »Jeder, der um Wahrheitsfindung bemüht ist, hat es jetzt leicht. [. . . ] Er findet mein Lebenswerk zusammengefaßt dargestellt in dem Buch >Lebensgespräche< [.. .] verfaßt von einem objektiven wahrheitsliebenden Journalisten, Eberhard Cölle«.800 Der »objektive« Cölle fragt schon 1983: »Doch gewiß sind Sie noch in weiteren Gremien aktiv« ? Bruker antwortet: »Ferner werde ich im wissenschaftlichen Beirat der Gesellschaft für Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung geführt, die vor 15 Jahren von Herrn Weis im Rahmen des WSL gegründet wurde. «801 Antwortet so einer, der »ohne Einverständnis« wissenschaftlicher Beirat genannt worden sein will?
Bruker behauptete nun vor Gericht: Der »objektive, wahrheitsliebende Journalist« habe sich geirrt, der Fehler sei nachträglich richtiggestellt worden. Damit wäre er fast durchgekommen. Aber etwas an der Sache bleibt mir im Hals stecken. Ich suche weiter. Nach 14 Tagen Suche finde ich im Mai 1994 Pfarrer Günther Heipp, den Vorsitzenden des WSL Saar. Bis 1973 versuchte er die »neonazistische Unterwanderung« des
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WSL zu verhindern und rückgängig zu machen. Immer wieder schreibt er an den Präsidenten Bruker. Dem fällt der hartnäckige, antifaschistische Kritiker sichtlich auf die Nerven: »Ihre vagen Angriffe gegen die Deutsche Gesellschaft für Erb-gesundheitspflege - es ist nicht sicher auszumachen, ob Ihr Ausdruck >Neonazis< auf diese Gesellschaft gemünzt ist oder auf andere Personen - sind übrigens heute gegenstandslos, da die Gesellschaft heute einen anderen Namen trägt (sie heißt nun Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung< und wird heute von Herrn Jürgen Rieger, 2 Hamburg-Blankenese, Isfeldstr. 7 geleitet). Ich lege Ihnen den wissenschaftlichen Beirat und die Mitarbeiter in Kopie bei und bitte Sie, nun ganz konkret dem Präsidenten mitzuteilen, welcher Mitarbeiter in Ihren Augen ein Neonazi ist.«802
Derselbe Bruker, der im Juni 1994 in einem weiteren Prozeß vor dem Landgericht Frankfurt/Main behauptet, er habe 1982 entdeckt, daß er fälschlicherweise als Beiratsmitglied genannt worden sei und das sofort habe korrigieren lassen, schreibt rund zehn Jahre zuvor einen Brief an Heipp, dem er die Liste der »Wissenschaftlichen Beiräte und Mitarbeiter« beilegt. Schauen wir uns doch einmal »ganz konkret« an, wer auf dieser Liste verzeichnet ist: Ich finde den Euthanasiearzt Gmelin, den NPD- Chefideologen und Landtagsabgeordneten Rolf Kosiek, den französischen Neurechten-Führer Alain de Be-noist, viele andere Neonazis und - Max Otto Bruker selbst.
Bruker lügt, weil er einiges zu verbergen hat. Die GfbAEV wurde 1962 (nicht 1968, wie Bruker behauptet) unter dem Namen »Deutsche Gesellschaft für Erbgesundheitspflege« gegründet.8031971 stellt sie die rhetorische Frage: »Wer begeht biologischen Verrat?<«, um zu antworten: »Jeder, der das Erbe seiner Vorfahren, seine Erbgesundheit [...] durch Verzicht auf Nachkommen vertut. [.-..] Den Kampf gegen solchen >Verrat< führt die Deutsche Gesellschaft für Erbgesundheitspflege (GfE), e. V «.804 Menschenverachtendes Denken in
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der Tradition der NS-Rassenhygiene zieht sich bis heute, ohne Unterbrechung, durch die Gesellschaft und ihre Zeitschrift.
Der Rassenwahn scheint 1994 überall hoch im Kurs zu stehen. Der Psychologieprofessor Richard Lynn von der nordirischen Universität Ulster will der Frage nachgehen, ob es von der »Rasse« abhängt, welche Auswirkungen die Ernährung auf die Intelligenz hat. Der rechtsextreme »Pioneer Fund« mit Sitz in New York finanziert diese Forschungen mit 50 000 US-Dollar. Die Organisation wurde 1937 zur Förderung der Forschung über Rassen und »Rassehygiene« gegründet. In der Gründungscharta stand noch der heute gestrichene Hinweis auf die Hautfarbe, die »Verbesserung der weißen Rasse«. Die beiden Gründer, die US-Wissenschaftler Harry Loughlin und Frederick Osborn bekamen von der Universität Heidelberg 1936 die Ehrendoktorwürde verliehen, wegen ihrer Verdienste um die Nazi-Eugenik. Die Sterilisierungspolitik der Nazis war für Osborn ein »höchst aufregendes Experiment«. Die Studentinnen der Universität Ulster fordern den Rücktritt des Professors Lynn.805
All die Jahre listete die Neue Anthropologie feinsäuberlich alle Mitglieder des »Wissenschaftlichen Beirates« der GfbAEV auf. Elf Jahre lang, von 1972 bis 1982, finde ich neben Bruker Alain de Benoist, Rolf Kosiek und rund zwei Dutzend andere. Im Jahr 1975, Bruker ist als »Wissenschaftlicher Beirat« verzeichnet, veranstaltet die GfbAEV einen Kongreß, auf dem Kosiek seine rassistischen Thesen vorträgt: »Das Seelische ist rassisch bedingt [. . .] Das Volk hat eine Seele. Tödlich für ein Volk ist es, wenn es seine Seele, seine Symbole, seine Aufgabe verliert, wie es seit Jahrzehnten hier geschieht. «806
Brief Schreiber Jürgen Rieger war jahrelang Vorsitzender der GfbAEV. Der »Nazi in Anwaltsrobe« (Die Zeit) sagt 1986 der Nationalzeitung, welche geschichtlichen Leistungen er bewundert: »die der Wehrmacht und der Waffen-SS im Zweiten Weltkrieg«.807 Brukers Kumpel Rieger war auch Kopf der »Nationalistischen Front« (NF), die bei Pogromen gegen
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Flüchtlinge und Immigrantinnen in vorderster Reihe aktiv war. 1985 in Bielefeld gegründet und Ende 1992 vom damaligen Innenminister Seiters (CDU) verboten, war sie zugleich eine der tragenden Organisationen der sogenannten Revisionismus-Kampagne.808
»Revidiert« werden soll die Geschichte des »Dritten Reichs«. Ziel ist, den millionenfachen Mord an den deutschen und europäischen Jüdinnen und Juden in den Gaskammern zu leugnen. Faschisten wie Ewald (Bela) Althans, juristischer Berater: Jürgen Rieger, der englische »Historiker« David Irving, Thies Christophersen, Michael Kühnen (inzwischen gestorben), Christian Worch und andere militante Vertreter von NS-Traditionen wollen Nazi-Deutschland als angebliches Opfer fremder (jüdischer und alliierter) Mächte entschulden. Eines der Flugblätter von Jürgen Riegers »Nationalistischer Front« schreit die Schlagzeile: »Schluß mit den Holocaust-Vorwürfen ! Deutscher, willst Du ewig zahlen?«809
1981 erklärt Rieger als Verteidiger des ehemaligen SS-Offiziers Wigand, der Grund für die Errichtung und Absperrung des Warschauer Ghettos sei das Bestreben gewesen, den Flecktyphus einzudämmen und es sei »durchaus fraglich, ob auch nur ein Jude an Hunger im Ghetto gestorben wäre, wenn es mehr Solidarität unter den Juden gegeben hätte. «810
Von den fast 450000 Jüdinnen und Juden in Warschau überlebte fast niemand. Sie verhungerten, wurden zu Tode gequält, erschossen oder vergast. Ab 1942 deportierte die SS täglich bis zu 12 000 Juden aus Warschau in die Gaskammern von Treblinka, weitere 50 000 starben während und nach dem Aufstand im Ghetto.
Die Neue Anthropologie propagiert 1981 die verstärkte Vermehrung von »intelligenten Menschen«, »zumal bei Asozialen Kinderreichtum oftmals unverhältnismäßig groß ist.«811 (Rieger) 1986 erklärt Rieger, ein »verstärkter Zuzug« von Asylsuchenden müsse »zu verstärkter Rassenmischung führen, was angesichts der damit verbundenen vermehrten
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Krankheiten [. . .] vom anthropologischen Standpunkt aus abzulehnen ist.«812 Mit der GfbAEV will die bundesdeutsche Naziszene die »wissenschaftlichen« Grundlagen für »Rassereinhaltung« der »deutschen Volksgemeinschaft/germanischen Rasse« beweisen. »Rassevermischung« soll strafgesetzlich verfolgt werden.
»Die sozialökonomisch niedrige Stellung der Neger in den USA ist nicht für ihre mindere Intelligenz verantwortlich«, schreibt Rieger schon 1969, »sondern ihre mindere Intelligenz für die sozialökonomisch niedrige Stellung. «8B Gegen Europa sprächen die Auswirkungen der »Bastardisierung«814 durch Rassenvermischung: »Eine Verbindung zwischen Schweden oder Flandern und Deutschland [...] ist begrüßenswert, eine zwischen Deutschland und den romanischen Ländern muß kompromißlos bekämpft werden. «815»Mischehen« müßten in Deutschland »gesetzlich verboten werden. Dem individuellen Egoismus zweier Menschen kann nicht das Glück aller kommenden Generationen geopfert werden. «816
Wie sich der Vorsitzende der GfbAEV ein gesundes Volk vorstellt, sagt er uns: »Wecken wir die Kräfte unserer Rasse, die unter der genormten Zivilisationsfassade verborgen schlummern. >Die weißen Riesen kommen !<, dröhnten die Trommeln vor der Kampftruppe des Oberst Hoare im Kongo. Erweisen wir uns dieses Namens als würdig!«817
Rieger verteidigt Nazi-Mandanten, formuliert faschistische Texte und organisiert die Nazi-Szene. Wo immer sich die militanteste braune Szene zu Aufmärschen und Versammlungen trifft, ob 1991 beim »Rudolf-Heß-Gedenkmarsch« in Bayreuth oder anderswo, die NF war dabei und Rieger meist mittendrin.818 Die NF schulte Kader und bildet militärisch aus, z. B. die neofaschistische »Wiking-Jugend«.819
Die NF sieht sich als Nachfolger des Strasser-Flügels der NSDAP, der sogenannten Nationalrevolutionäre.820 Es gibt immer wieder Leute, die Fraktionskämpfe innerhalb der NSDAP zu antifaschistischen Widerstandsaktionen umdich-
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ten. Die Fäden des braunen Netzwerks, auf die ich während meiner monatelangen Recherche stoße, haben keine Enden, führen mich zu immer neuen Verbindungen. Zu meiner Verblüffung stoße ich auf einige Anarchisten, Alternative und einzelne Grüne, die sich positiv auf Strasser beziehen. So geht die Rechnung der »Nationalrevolutionäre« um Siegfried Bublies Schritt für Schritt auf: seit der Hippiebewegung der 60er und 70er Jahre die Köpfe der unpolitischen Teile der Alternativbewegung für neofaschistisches Gedankengut zu öffnen. Heute ist eine Einstiegsdroge die sogenannte »nationale Frage«. Und auch bei der Verabreichung dieser »gesunden« Kost hilft Dr. med. Max Otto Bruker.
Was ist von der Beziehung zwischen dem Faschisten Jürgen Rieger und Max Otto Bruker zu halten:
- wenn die »Deutsche Gesellschaft für Erbgesundheitspfle-ge« laut Auskunft des Bruker-Vorgängers Prof. Dr. Beck im August 1971 dem WSL »korporativ angeschlossen ist und gleichzeitig einen Arbeitskreis bildet«;821
- wenn auf Beitrittserklärungen der »Deutschen Gesellschaft für Erbgesundheitspflege« diese auch als »Abt. Genetik im Weltbund zum Schutz des Lebens, Sektion Deutschland« bezeichnet wird;
- wenn Jürgen Rieger Vorsitzender der GfbAEV ist, während diese korporatives Mitglied des WSL ist, dessen Präsident zur gleichen Zeit Bruker ist?
- wenn Bruker noch 1985 behauptet: »Herrn Rieger kenne ich nicht«,822 während er ihn zu diesem Zeitpunkt seit mindestens 14 Jahren kennt, denn es scheint nicht glaubwürdig, daß der Vorsitzende und der Präsident, die eine so enge politische Kooperation eingehen, für die beide auf ihrer Verbandsseite verantwortlich.sind, sich nicht kennen! ? Und warum schreibt Rieger noch 1993 offensichtlich unwahre, entlastende Briefe für Max Otto Bruker?
Ich frage Bruker an jenem Gerichtstag im Juli 1993 (der zweite Prozeß begann im Mai 1994) nach seinen braunen Kon-
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takten. Bruker bestreitet jeden braunen Kontakt (ein Jahr später wird er die meisten zugeben müssen). Groß scheint seine Angst, sein neues Buch könne sich schlecht verkaufen. Nie, nie habe er Nazi-Kontakte gehabt! Da sei bloß einmal eine Frau in den Vorstand des »Weltbund zum Schutz des Lebens« (WSL) gekommen, die habe so Nazi-Zeug geredet und die sei dann gegangen.
Mein Anwalt Winfried Seibert aus Köln, eigentlich ein gelassener Mensch, bekommt einen Zornesausbruch. Dieser »Weltbund zum Schutz des Lebens«, dessen Präsident Max Otto Bruker zweimal war, sei »eine faschistische Organisation«, das habe er, Seibert, bereits früher, ganz unabhängig von seiner Mandantin, feststellen müssen. Da hat er recht, ich komme später auf den WSL zurück und hoffe, die geneigten Leserinnen mit meinen Skizzen aus diesem braunen Spinnennetz nicht zu verwirren.
Bruker, der behauptet, »nie, nie« Kontakte zu Neonazis gehabt und sich nie parteipolitisch betätigt zu haben, saß am 2. März 1979 mit Nazis an einem Tisch. Eingeladen hatte die »Wählergemeinschaft Grüne Liste Rheinland-Pfalz« zu einer Podiumsdiskussion nach Koblenz unter dem Titel »Die Grünen stellen sich«.823 Einer der sechs Referenten ist Max Otto Bruker. Neben ihm: Helmut Schmitz, Landesvorsitzender der NPD Rheinland-Pfalz.824 Die Diskussionsleitung hat der »Nationalrevolutionär« Siegfried Bublies, damals Funktionär der »Jungen Nationaldemokraten« (JN), der Jugendorganisation der NPD. Hinter der Veranstaltung steckt das Konzept von JN-Kadern, eine braune grüne Partei aufzubauen. Es ist ein Kampf um neue Einflußbereiche, und dafür braucht man eine erfolgreiche rechte Deutung der Ökologie. Aus dieser »Wählergemeinschaft Grüne Liste Rheinland-Pfalz« geht schließlich bei den rheinland-pfälzischen Landtagswahlen die »NPD-Grüne Liste« hervor.825
Als Vertreter des Landeskoordinationsausschusses der »Wählergemeinschaft Grüne Liste Rheinland-Pfalz«826 hatte
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Bruker bereits im April 1978 zur Gründung einer rechten »Grünen Liste« in seine Klinik in Lahnstein eingeladen. Bei der Konstituierung des Landeskoordinationsausschusses im Oktober war dann gleich ein ganzes Bündel von Vertretern rechtsextremistischer und Neonazi-Organisationen vertreten: NPD, Junge Nationaldemokraten (JN), Vereinigung Verfassungstreuer Kräfte (VVK), 5 %-Block usw.
Bruker, der parteipolitisch nie engagiert gewesen sein will, ist nicht zum ersten Mal Aktivist für eine rechte Partei. Schon bei der Bundestagswahl 1969 kandidierte er auf der Liste der rechtsextremen »Freisozialen Union« (FSU). Die FSU wurde von Anhängern der Freiwirtschaftslehre Silvio Gesells gegründet. Als Kandidat und stellvertretender Vorsitzender des »5 %-Blocks«827 versuchte Bruker auch 1976 in den Bundestag zu gelangen. Zur Unterstützung dieses »5%-Blocks« trat auch Erwin Schönborn mit seiner neofaschistischen »Vereinigung Verfassungstreuer Kräfte (VVK)« an.828 Der ehemalige NS-Reichsarbeitsdienstführer Schönborn ist zugleich Vorsitzender des 1975 gegründeten »Kampfbundes Deutscher Soldaten« (KDS). Der KDS leugnet die Massenvernichtung von Juden829 und hetzt in einem Flugblatt: »10 000 DM Belohnung zahlen wir für jede einwandfrei nachgewiesene >VER-GASUNG< in einer >GAS-KAMMER< eines deutschen KZ's. Wir akzeptieren keine KZ-Zeugen aus Polen, Israel oder den USA, die wie in den NS-Prozessen, MEINEIDE geschworen haben, ohne dafür belangt werden zu können. «830
Nie Kontakte zur NPD? Ich finde ein Flugblatt der NPD-nahen »Bürgerinitiative Ausländerstopp« von 1981, den »Aufruf der fünfzigtausend: Ausländerstopp jetzt!«. Man wolle sich die »Überflutung mit Ausländern nicht mehr länger gefallen lassen«, gegen die angebliche »Flut von Scheinasy-lanten« hetzt das Pamphlet, gegen kriminelle Ausländer und gegen die »Einschmelzung der Ausländer in das deutsche Volk«. 12 Jahre später wird der Bundestag mehrheitlich diesem Druck nachgeben. Unter den Unterzeichnern finde ich,
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neben zahlreichen NPD-Funktionären und Jürgen Rieger, Dr. med. Max Otto Bruker.
Bruker, der gern den ehrenwerten, menschenfreundlichen Arzt mimt, war über lange Jahre eine zentrale Scharnierstelle zwischen dem rechten Teil der Ökologiebewegung und der Neonazi-Szene. Zu seinem braunen Netz gehört auch der -bereits erwähnte »Weltbund zum Schutz des Lebens« (WSL), dessen Präsident Bruker von 1971 bis 1974 und 1982 war. Gegründet von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern wie Prof. Günter Schwab oder dem NS-Euthanasie-Arzt Walter Gmelin blühte unter Brukers Präsidentschaft der braune Sumpf im WSL.
Nur der saarländische Landesverband um Pfarrer Günther Heipp kämpfte gegen die immer rechtere Orientierung. Heipp greift im Oktober 1973 die herrschende Riege um Bruker an. Es geht immer noch um den WSL-»Arbeitskreis Humangenetik«, identisch mit der »Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung«. Die Leitung des bundesdeutschen WSL habe sich, kritisiert Heipp weiter, ausdrücklich hinter Jürgen Rieger und Dr. Rolf Kosiek gestellt. Heipp scheitert mit seinen Demokratisierungsversuchen und tritt mit seinem Landesverband Saar aus. Man wolle »sich mit diesen Tendenzen«, mit »Rassenhetze, Volksverhetzung, Aufforderung zu und Anwendung von Gewalt in der Politik« nicht identifizieren. Auch auf Initiative Brukers wird Heipp schließlich aus dem WSL ausgeschlossen, obwohl er mit dem Landesverband Saar bereits ausgetreten ist.
»Biologische Medizin« nannten die Nazis z. B. die Versuche des Herstellers für biologische Heilmittel, der Firma Madaus und des »Biologischen Instituts Dr. Madaus« in Dresden-Radebeul.831 Diese Versuche hatten das (nicht mehr erfolgreiche) Ziel, Millionen Menschen medikamentös-pflanzlich zu sterilisieren: Kriegsgefangene, Roma und Sinti, alle, die als Arbeitskräfte ausgebeutet wurden, sich aber nicht fortpflan-
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zen sollten.832 Die Förderung der Naturheilkunde durch Naziführer wie Streicher, Himmler oder Heß lag nicht an deren persönlicher Vorliebe, sondern an der Nützlichkeit der Funk-tionalisierung der Naturheilkunde für NS-Interessen: Die persönliche Verantwortung für die Gesundheit des einzelnen wurde zum Kampfbegriff gegen soziale Verantwortung und gegen die Solidarität mit den Schwachen.
Gesundheit und individueller Leistungswille waren »deutsche« Pflicht gegenüber Vaterland und Führer. Heilpflanzen sollten dem NS-Staat Kosten sparen helfen für die Kriegsproduktion, Anbau und Verwendung »deutscher Heilpflanzen« die Autarkie, die kriegsnotwendige Unabhärtgigkeit vom Ausland fördern und die kriegswichtige chemische Industrie entlasten helfen. »In vier Jahren muß Deutschland in allen jenen Stoffen vom Ausland gänzlich unabhängig sein, die irgendwie durch die deutsche Fähigkeit beschafft werden können«, proklamierte Adolf Hitler auf dem Reichsparteitag 193 6.833
»Reiner Natur-Bienenhonig aus den Heilkräuterkulturen Dachau« lautet die Schrift auf einem Stempel mit Biene und Blümchenschnörkel.834 Himmler selbst hatte die Heilkräutergärten in Schleißheim und Dachau seit 1937 anlegen lassen. Der Obergärtner der anthroposophischen Weleda-Heilmittel-werke, Franz Lippert, der der SS angehörte, wurde 1941 als Obergartenmeister an die Heilkräuterplantage im KZ-Dachau versetzt.835 Die Gefangenen waren profitabel, denn sie waren billige Arbeitskräfte, erst »Schutzhäftlinge«, dann KZ-Insassen. »Jedes Stück Boden war besudelt mit dem Blut geschlagener und erschlagener Häftlinge«, heißt es in dem Bericht eines Überlebenden.836 Bis 1941 starben jüdische Menschen auf der Plantage, danach waren es vor allem Priester und Theologen. Es entstand ein Ausbildungs- und Forschungszentrum in Sachen »Volksmedizin«. SS-Mannschaften wurden teilweise biologisch-dynamisch ernährt und mit Naturheilmitteln kuriert.837
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Die heutige Umweltbewegung ist sich kaum bewußt, daß sie höchst unterschiedliche Traditionslinien hat, eine verschüttete linke oder soziale und eine konservative bis faschistische. Die Lebensreform- und Naturschutzbewegung der Weimarer Republik hatte Millionen Mitglieder und Anhängerinnen. Der größere Teil ließ sich widerspruchslos in den NS-Faschismus integrieren. Daß dies geschehen konnte, lag auch daran, daß Träger einer sozial engagierten Naturheilkunde von den Nazis ermordet oder, wie der Arzt Friedrich Wolf, ins Exil getrieben wurden.838"
Brukers braune Geschichte begann nicht erst in den 60er Jahren. Während der NS-Zeit arbeitete er an der Bremer Klinik für homöopathisch-biologische Medizin. Und schließlich, Wochen nach dem ersten Gerichtstermin, finde ich Brukers NS-Akte im Archiv des »Berlin Document Center«. Das Dokument belegt: Dr. med. Max Otto Bruker war Mitglied der SA838b und Anwärter für den Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebund (NSDÄB).
Während die meisten sozial engagierten Naturheilkundler den Faschismus nicht überlebten, bestimmen NS-Täter und -Mitläufer wie Bruker heute weitgehend, was wir unter gesunder Ernährung und Lebensführung verstehen sollen. Die Beschäftigung mit Bruker, dem Mann an der Nahtstelle zwischen Ökologiebewegung und Neonazis, sollte wenigstens eine Erkenntnis wert sein: Die Verantwortung für die soziale und die ökologische Lage aller Menschen ist nicht zu trennen. Müsli ist nicht gleich Müsli.
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Der Braungeist in der Pfandflasche:
Ökologie in rechtsextremistischen und neofaschistischen Programmen839)
Die Programme von Rechtsextremistinnen und Neofaschi-stlnnen aus rund zehn Jahren zu lesen, befördert zwei Erkenntnisse: Erstens hat die rechtsextremistische und neofaschistische Szene den Umweltschutz — mit vielfältigen Widersprüchen — längst für ihre Interessen vereinnahmt und verformt. Zweitens haben sich fast alle Parteien, und damit ein großer Teil der bundesrepublikanischen Gesellschaft, rechtsextremistischen und neofaschistischen Vorstellungen in nur zehn Jahren auf erschreckende Weise angenähert. Der Erfolg der extremen Rechten läßt sich nicht nur in Wahlergebnissen messen, sondern liegt vor allem in ihrem erfolgreichen Kampf um kulturelle Hegemonie.
Nationalrevolutionäre Ideologen wie Henning Eichberg oder Günter Bartsch vermischen germanisch-keltisch-indianische Kulte mit völkisch-nationalem Gedankengut zu einer neuheidnischen Mixtur, die bis weit in die Alternativszene hinein Anklang findet. Ihre Achse in die Friedensbewegung war die Forderung nach Abschaffung aller Atomwaffen, die die Nationalrevolutionäre mit der Forderung nach der deutschen Wiedervereinigung einschließlich Österreichs und ehemals deutscher Ostgebiete verbanden. Sie erhielten zeitweise Zulauf von frustrierten Ex-Kommunisten und Ex-Anarchisten, beteiligten sich am Aufbau der Grünen und wurden erst Mitte der achtziger Jahre hinausgeworfen. Wir wissen nicht, ob endgültig.
Christentum, Kapitalismus und Marxismus zerstören — so Eichberg — die ökologische Balance und die Identität der Völker. Gegen den Internationalismus setzen Nationalrevolutionäre, ähnlich wie die Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP), einen »nationalen Sozialismus«.
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Eichbergs Plädoyer für eine neue »nationale Identität« ähnelt in Argumentation und Begrifflichkeit dem von Antje Vollmer, die den »Stolz auf eine nationale und politisch kulturelle Identität trotz aller historischen Lasten [...] fördern« will.840 1983 organisierte die Arbeitsgemeinschaft »Deutschlandpolitik« der Alternativen Liste Berlin einen Vortragsabend mit Eichberg, der erst nach heftigen Protesten ausfiel.
Wo Rudolf Bahro von »Stammesbewußtsein« und »deutscher Volkstiefe« spricht, gibt sich die FAP mit »Deutsche Arbeitsplätze für deutsche Arbeiter« und »Gemeinschaftssinn statt Klassenkampf« zufrieden,841 was in Göttingen unter Leitung des niedersächsischen Landesvorsitzenden Karl Polacek auch lebensgefährliche Anschläge auf ausländische Menschen und Linke einschließt.
Die FAP will - wegen des »gestörten Verhältnis[ses] des Menschen zur übrigen Natur« — eine »ökologische Revolution«. Marxismus, Liberalismus, Christentum hätten den »Menschen aus seinem Eingebundensein in die natürlichen Kreisläufe unserer Erde herausgerissen«. Gegen »die sich abzeichnende ökologische Katastrophe« genüge kein »technischer Umweltschutz«. Eine »radikale Bewußtseinsrevolution« müsse die »Wiedereinordnung des Menschen in das Gesamtgefüge des irdischen Lebens« herbeiführen.842 Noch ein Bündnispartner für's New Age.
Die NPD versuchte bereits 1973, die Stimmung der Gegenkultur aufzufangen: »Die verschmutzte und verseuchte Umwelt des zur Masse degradierten und in zunehmender Vereinsamung lebenden Menschen ist nur das hervorstechendste Symptom des zerstörten Gleichgewichts [das nie näher bestimmt wird] von Natur und Mensch.«843 1988 spinnt sie den Faden zur Esoterikszene weiter: »Zur Wiedererlangung [. . .] lebensnotwendigen Umweltbewußtseins ist zuerst eine innere Revolution des menschlichen Denkens erforderlich. Nicht das unbegrenzte Anhäufen materieller Güter und ein hemmungsloser Konsum gibt den Menschen Lebenssinn und
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Glück, sondern das Erlebnis der Natur, die Pflege kultureller Werte, die soziale Geborgenheit in Familie und Volk.«844
Rechtsextremistische und neofaschistische Gruppen legen Waffendepots an (»materielle Güter«) und meinen mit der »Pflege kultureller Werte« und der »sozialen Geborgenheit im Volk« offensichtlich mörderische Angriffe auf Flüchtlinge in Hoyerswerda, Rostock, Mölln, Solingen, Mannheim, Magdeburg und anderswo. Sie knüpfen auf verschiedene Art und stets diffus an Unzufriedenheit und Sinnleere an, um dann auf völkische Ideologie umzupolen. In der gesamten extremistischen und neofaschistischen Programmatik werden Werte wie selbstbestimmtes Leben und Arbeit, Freiheit von Ausbeutung, Rassismus und Sexismus, internationale Solidarität, kulturelle Freiheit, Gleichheit aller Menschen, Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise zur Rettung von Mensch und Natur stets aufs äußerste bekämpft.
Umweltschutz sei vor allem eine nationale Frage, oberstes Ziel die Rettung des »deutschen Industrievolkes«, dessen »gefährdeter Bestand«845 gesichert werden müsse. Unter »Gesundheit« versteht die extremistische Rechte stets »Erbgesundheit«, das heißt die rassische Reinhaltung vermeintlich hochwertigen »arischen« Erbgutes und die brutale Selektion von »erbkrankem Menschenmaterial«. Die Umweltschutzforderungen etwa von Republikanern (vorrangiges Staatsziel wie bei der DVU die »heile Umwelt«) und FAP ähneln sich wie ein Müllcontainer dem anderen. Umweltschutz ist als »Sicherung der Existenzgrundlagen unseres Volkes auch eine patriotische Aufgabe«, sagen die Republikaner. Der gesunde Bestand der Deutschen ein »höherer Wert als kurzsichtiges Gewinn- und Wohlstandsstreben«. Nichtssagend und niemals an die Wurzel - die kapitalistische Produktion - gehend, ihre Liste von Umweltschutzwünschen: »zukunftssichere Umweltpolitik [. . .] langlebige Güter [. . .] [gegen] Verschwendung von Energie und Rohstoffen [. . .] umweltverträgliche Verfahren [....] Verursacherprinzip [. . .] Wiederaufarbeitung gebrauch-
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ter Rohstoffe [. . .] ökologisches Müllkonzept [._.,] Pfand-und Mehrwegsysteme [. . .] verantwortungsbewußte Energiepolitik« usw. Statt eines ökologischen Verkehrssystems genügt den Republikanern »bleifreies Benzin in ganz Europa«.846 Sie haben Angst ums Wasser, wollen aber das Kapital nicht mit wirksamen Eingriffen in die Produktion verschrek-ken, was bleibt, ist der »Ausbau von Kläranlagen«.847
Ebenso banal und kapitalfreundlich die FAP: »Die ökologischen Belange [■...] mit einer funktionierenden Wirtschaft in Einklang gebracht werden [. . .] Senkung der [. . .] Schadstoffwerte [. . .] Erhöhung des Strafmaßes bei Umweltschutzverbrechen [. . .] technisch beste Filteranlagen [. . .] dauerndes Wirtschaftswachstum [. . .] gedrosselt [. . .] Abbau des Profitstrebens [....] Abklingen des übersteigerten Konsums [. . .] Umdenkprozeß [. . .] Entwicklung alternativer Energiegewinnung [...] optimale Rohstoffrückgewinnung [....] Kreislaufsystem der Natur soll [. . .] in [...] Wirtschaftsbereichen übernommen werden [. . .] Grün- und Parkanlagen [. . .] Gesundheitsaufklärung [..-.] gesundes Ernährungsbewußtsein [. . .] Gesundheit — nicht Geld und Profitsucht [. . .] im Vordergrund auf dem Weg zu einer neuen Ordnung. «848 Auf dem Weg zu dieser »neuen Ordnung« gibt es viele potentielle Bündnispartner, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden.
Wie fast alle rechtsextremistischen und neofaschistischen Organisationen lösen auch die Republikaner ihren Widerspruch zwischen technokratischem Fortschrittsglauben und völkischer Romantik nicht auf. Bedrohlich »einseitig« sei die »These >weg von der Kulturlandschaft - hin zur Naturlandschaft«, denn »wir dürfen das Erbe unserer Väter«, also die Kulturlandschaft, »nicht verschleudern«. Man bekennt sich »zu einer neuen Ethik, die Mensch, Tier und Natur als Einheit erfaßt. Das Tier ist keine Sache«, sondern »ein Freude und Schmerz empfindendes Lebewesen, das unseres Schutzes bedarf«, eine Wertvorstellung, die bei »Menschen aus fremden Kulturen [. . .] zu fördern«849 sei. Während ein Mensch
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aus Angola von deutschen Rassistinnen aus dem Fenster geworfen wird oder eine Frau aus Vietnam durch Messerstiche von Skinheads stirbt, bringt man ihnen noch rasch nahe, wie wertvoll den Deutschen der Schäferhund ist.
Auch die Nazis begründeten die vermeintliche Hochwertigkeit der »arischen Rasse« mit ihrer besonderen »germanischen« Naturverbundenheit und vermeintlichen Tierliebe. Nur wie geht das zusammen mit der unbedingten Bewahrung des schützenswerten Kulturgutes »deutsches Waidwerk« durch die Republikaner? Dieses »Waidwerk«, die Jagd, sei »angewandter Naturschutz« und keinesfalls - Achtung, Klientelkollision! - ein »Gegensatz zum Tierschutz«.850 Da wird -Peng! - am Ende stolz die Strecke abgeschritten. Manchmal kombinieren sich rechtsextremistische Positionen auch anders. Als ich vor einigen Jahren sagte, daß ich abgetrieben habe, demonstrierte der Jagdkritiker und Harburger Grüne Georg Fruck, wie sich bei Rechtsextremisten Menschenverachtung und Lebensschutz paaren: »Jutta Ditfurth gehört in Vorbeugehaft, damit sie in den nächsten Jahren nicht noch mehr Leben zerstört. «851 Vermutlich bis zu den Wechseljahren?
»Deutschland soll deutsch bleiben«852, »Deutsche Wohnungen vorrangig für Deutsche!«853, »Nationale Identität und Selbstbestimmung«854 will auch Gerhard Freys neofaschistische Deutsche Volksunion (DVU). Umweltschutz heißt für sie vor allem »schärfere Gesetze gegen Umweltverschmutzer« sowie »strenge Untersuchung importierter Nahrungsgüter und Futtermittel«, die »Einschränkung der Tierversuche« und ein »härteres Vorgehen gegen Tierquäler«.855 Bleibt die Frage, wie die Sache mit den Jägern zu lösen ist?
In allen Texten finden wir nur einen völkisch-national beschränkten Umweltbegriff, primitiven Fortschrittsglauben und technokratische Reparaturvorstellungen auf niedrigstem Niveau. Nirgends eine ökologische Forderung, die geeignet wäre, die Natur zu retten. Nach den Programmen der Rechtsextremisten und Neofaschisten laufen Atomanlagen und
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gehen radioaktive Verseuchung weiter, Gentechniklabors und die Manipulation des Lebens, Dioxinproduktion, Pestizidex-port, Rohstoffverschwendung, Klimazerstörung, Ausrottung von Tier- und Pflanzenarten und die Vergiftung des Menschen als eines Teils der Natur.
Für die NPD ist Raumordnung Lebensraumordnung, und die Verkehrspolitik ist ihr »unterzuordnen. Sie muß neue Siedlungs- und Wirtschaftsräume erschließen.« Polen oder erst Österreich? Ex-Verkehrsminister Krause (CDU) lag im Jahr 1992 ganz auf der Linie des Verkehrsprogramms der NPD von 1973: Die »bestehende [n] Verkehrswege« sind auszubauen. Ein »Generalverkehrsplan« soll »neuen Verkehrsbedarf [.-..] wecken. Hierfür ist der beschleunigte Ausbau eines modernen Straßennetzes von den Autobahnen bis zu den Kommunalstraßen [. . .] unerläßlich.«856 Neben Polizisten, Bauern, Jägern, Rassisten, Abtreibungsgegnern und Umweltschützern wollen die Republikaner auch die Autofahrer befriedigen: »Das Kraftfahrzeug hat [. . .] Freiheit und Lebensqualität des Menschen wesentlich erhöht.« Darauf folgt: kein Tempolimit.857 Ein tatsächlich ökologisches Verkehrskonzept ohne Auto, bestehend aus dichtvernetztem Schienenfernverkehr, öffentlichem Personennahverkehr, bequemen und' sicheren Rad- und Fußwegen usw. finden wir in keinem Programm.
Einige Rechtsextremistinnen und Neofaschistlnnen lehnen die Atomenergie ab, weil die vermeintlich höherwertige deutsche Erbsubstanz bedroht sei. Die Republikaner haben nichts gegen Atomenergie, wenn der Energiebedarf nicht anders zu decken und »die Endlagerung« sichergestellt sei.858 Es geht schließlich um die »Sicherung unserer Energie- und Rohstoffversorgung« .859 Auf dem Weg nach Osten wird man 1990 noch atomenergiefreundlicher: »Das Störfallrisiko deutscher Kernkraftwerke ist unter Abwägung aller Kriterien verantwortbar.« So sind Schönhubers Republikaner der SPD nur um einen kleinen Stechschritt voraus.
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Sechs Millionen ermordete Jüdinnen und Juden? Die neofaschistische NPD hat ein anderes Problem: »Zwei Kriege innerhalb einer Generation [. . .] haben an der gesundheitlichen Substanz des deutschen Volkes gezehrt«, wie sich auch die Umweltzerstörung »nachteilig [. . .] auf die Volksgesundheit« auswirkt. »Anomale und krankhafte Auswüchse« sind vom deutschen Volk fernzuhalten, ebenso wie »chemische Farbstoffe« und »immer mehr Erbkranke«, die durch die Künste der Medizin »zur Fortpflanzung kommen«. Weil die Euthanasie noch nicht durchsetzungsfähig ist, soll in den Schulen über Erbschäden aufgeklärt und sollen Geschlechtskranke - unter Strafandrohung - namentlich erfaßt werden.860 Wer Aids hat, für den verlangen auch die Reps »Meldepflicht«.
»Gesundheit ist ein sozialer Begriff, genau wie das organische Dasein der Menschen, als Menschen, insgesamt. So ist sie überhaupt erst sinnvoll steigerbar, wenn das Leben, worin sie steht, nicht selber von Angst, Not und Tod überfüllt ist«, schreibt Ernst Bloch im Prinzip Hoffnung861 und stellt diesen Wert eines gesellschaftlichen Begriffs von Gesundheit dem rassistischen Volks- und Erbgesundheitsbegriff der extremistischen Rechten entgegen, den diese mit Gewalt durchsetzen wollen. Individuelle Freiheiten und Entfaltungsmöglichkeiten und ein Recht auf physische, psychische und soziale Gesundheit im Sinne Blochs sind Werte, die Rechtsextremisten hassen. »Volksbewußtsein und Umweltbewußtsein sind nicht voneinander zu trennen«, sagt die NPD, denn »Millionen Fremde [..-.] werden eingeschleust« und bedrohen »unser Volk in seiner Existenz«; so geht es auch anderen völkischen Gütern: die »Gefährdung der Eichen« nimmt zu.862 In bezug auf die ehemalige DDR war die Forderung nach Freizügigkeit selbstverständlich. Da ging es um Deutsche. Für Europa bedeutet Freizügigkeit in der Sprache der Republikaner »Kriminellen-Import«, »soziale Spannungen« und »finanzielle Belastungen«,863 und bei der FAP bricht der dumpfe Haß auf den »humanistisch gebärdenden Kosmopolitismus vollends hervor. «864
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Als »Gemeinschaft deutscher Patrioten« setzen sich die Republikaner »für die Erhaltung des Bestandes des deutschen Volkes, seiner Gesundheit und seines ökologischen Lebensraums als vorrangiges Ziel der Innenpolitik« ein. »Diesem Zweck wird [. . .] auch der Umweltschutz dienen. «865 Wer den alltäglichen Härtetest in der Leistungsgesellschaft nicht besteht, hat Pech, wegen »der Grenzen des Sozialstaates« wollen die Reps »die Überprüfung des Leistungskataloges einleiten«.866
Ökologie in rechter Interpretation ist eine lebensgefährliche Kampfansage an Schwache und Kranke und hat eine direkte Verbindung zum Utilitarismus (etwa: Bewertung von Menschen nach ihrem ökonomischen Nutzen) der sogenannten Bioethiker um Peter Singer, die neu und wissenschaftlich verbrämt diskutieren, was unwertes Leben sei.867
Die Republikaner sind rechtsextremistische Technokratinnen. Voller Fortschrittsglauben schwärmen sie von der »großen Segnung« Transplantationsmedizin, um gleich darauf, vielleicht als Angebot an andere Bündnispartner, »Lehrstühle für Naturheilkunde« zu fordern und der Homöopathie wie der Anthroposophie innigste Sympathie zu bekunden. Sie ahnen, wie nützlich die Gentechnologie für ihren völkischen Rassismus einmal sein könnte. Die »unabsehbaren Nebenwirkungen« der »kontrollierten Eingriffe in die Erbanlagen«, die »für die Menschheit großen Nutzen bringen« könnten, sollen -wie tröstlich - international »geprüft und abgestimmt« werden.
1983 und 1987 empörten die ausländerfeindlichen Positionen der Republikaner eine linksliberale Öffentlichkeit. Letztere gibt es 1992 praktisch nicht mehr. Statt eines »Ausbeu-tungs«- oder gar »Kapitalismusproblems« haben wir angeblich ein »Asylproblem«, und das menschenverachtende Wort »Asylant« für Flüchtling oder Immigrantin ist fester Bestandteil bundesdeutscher Mediensprache. Wer die Programme und Beschlüsse der Parteien vergleicht, wird feststellen, daß
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sich die SPD heute ausländerfeindlicher artikuliert als die - vorsichtig formulierenden - Republikaner von 1983 und 1987. Mit der »Türkeninvasion 1986 aufgrund der EG-Freizügigkeitsklausel«868 hinkt die FAP der pogromevorbereitenden Sprache der bürgerlichen Parteien und Medien von 1992 hinterher: »Menschenflut«, »Asylantenstrom« und »Bevölkerungsexplosion«.
Getrennte Müllsammlung, Pfandflaschen, Sammellager und Zwangsarbeit: Wie der Bund Naturschutz in Starnberg und die Republikaner will auch die FAP die »gesetzliche Einführung eines Arbeits- und Sozialdienstes für gemeinnützige Aufgaben« wie die »Beseitigung von Wald- und Flurschäden [. . .] Rohstoffrückgewinnung«, wofür »notorische Arbeitslose dienstverpflichtet werden« können.869
Die »Arterhaltung« des »deutschen Volkes« (NPD) und seine aggressive Expansion verlangen gebärfreudige deutsche Mütter. Gegen die »Abwertung und Zerstörung der Familie«, der »biologischen und kulturellen Grundgemeinschaft, die Lebenszelle von Volk und Staat« ist anzukämpfen. Ein Mittel ist die schulische »Familienkunde« und das Mutter-und-Haus-frau-Training für die »weibliche Jugend«. Der »biologische Bestand unseres Volkes« ist durch Abtreibung »bedroht«, die darum unter Strafe zu verbieten ist.S70 Da können die Republikaner im wesentlichen zustimmen. Früher drei (1983: Gefahr für die Mutter, Vergewaltigung, mögliche Mißbildung des Kindes), 1987 und 1990 nur noch zwei Ausnahmen (Gefahr für die Mutter, Vergewaltigung) eines rigiden Abtreibungsverbots zeigen, wie eine Programmkorrektur unangenehme Debatten erspart, weil durch die Reproduktionstechnologie die Qualitätskontrolle von Embryonen gesellschaftlich weitgehend durchgesetzt ist. Als kleines Zugeständnis an berufstätige Republikanerinnen betonen die Reps, daß Frauen und Männer »trotz ihrer Wesensunterschiede von gleichwertiger Tüchtigkeit im Leben und Beruf« sind. »Insbesondere der Frau« aber sei es »gegeben, durch Wärme und Hingabe ein Klima der
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Geborgenheit zu schaffen, in welchem Familie und Kinder gedeihen können. Hier liegt die besondere und von keinem >Hausmann< oder Kollektiv erfüllbare Berufung der Frau«.871
Eine zentrale Forderung der Republikaner von 1990 wird 1992 von CDU/CSU/SPD und FDP erfüllt: zentrale Sammellager für Flüchtlinge. Während Menschen unter demütigenden Lebensbedingungen in Sammellagern auf ihre gewaltsame Deportation zurück zu Folter, Krieg und Hunger warten sollen, stehen deutsche »Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung«. Damit die Volksgemeinschaft kein hochwertiges »arisches« Erbmaterial verplempert, sollen Frauen ungewollte Schwangerschaften zum Zwecke der Adoption austragen müssen.872 Bis in die Wortwahl haben rechtsextremistische und neofaschistische »Lebensschützer« (mensch möge die Bundestagsdebatte zum § 218 vom Juli 1992 im Wortlaut nachlesen) die Bundestagsfraktionen CDU/CSU/ SPD/FDP/Grüne und Bündnis 90 in der »Lebensschutzfrage« auf ihren Kurs gebracht, ein wesentlicher Schritt zur Eroberung der kulturellen Hegemonie in der BRD durch rechtsextremistische und (öko)faschistische Kräfte.873
»Lebensschutz« heißt für die DVU: »Schluß mit dem Abtreibungs-Mißbrauch«874 und Kampf »gegen jede Diskriminierung und Entrechtung der Frontsoldaten, einschließlich der Waffen-SS«.875 Auch die Lebensschützer von der FAP halten Abtreibung für ein »Verbrechen gegen die Gesetze einer gesunden Natur und gegen Gott«. Konsequenterweise wird im übernächsten Satz gefordert: »Das Alemente-Zahlen wird abgeschafft oder nur noch symbolisch mit ca. 50 DM gefordert«876 (Originalschreibweise der FAP). Lebensschutz ä la FAP heißt demzufolge: 50 Mark Zeugungsgebühr, Unterstützung des SDI-Programms der USA, so viele deutsche Waffen, daß »kein Durchkommen« mehr ist, Bewunderung des deutschen Soldatentums, dessen »Leistung« in zwei Weltkriegen »noch in Jahrtausenden Beachtung und Bewunderung« fänden. Elsaß-Lothringen, Südtirol und Österreich sollen zurück ins Reich.
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Wie sie die Prioritäten des Lebensschutzes setzt, verrät uns die FAP auch mit der (berechtigten) Forderung nach Abschaffung der Käfighaltung für Hühner bei gleichzeitiger Einführung der Todesstrafe für Menschen. Die »heutigen Atomkraftwerke sind für das dichtbesiedelte Deutschland ungeeignet«. Vor allem aber hat die Autofahrerpartei FAP ein Problem: »Jeder Autobahnparkplatz muß sofort eine Toilette bekommen. Wo sind wir denn!«877
Für deutsche Sicherheitsinteressen müssen die Menschen im Trikont, nicht die Armut reduziert werden. Wegen der »Bevölkerungsexplosion und der wachsenden Umweltgefährdung« besteht Entwicklungshilfe »in erster Linie« aus »konsequenter Familienplanung der betreffenden Staaten«, nicht aus selbstbestimmter Familienplanung der Individuen. Wer »diese Maxime« mißachtet, bekommt nur noch Hilfe bei »Naturkatastrophen und Hungersnöten«.878 Nicht weniger menschenverachtend und unhistorisch ist die Mentalität derjenigen, die heute für Grünhelme plädieren.
Umweltschutz muß notfalls militärisch durchgesetzt werden. Gemeint ist damit bei rechtsextremistischen, neofaschistischen und bürgerlichen Parteien stets die ökologische Rechtfertigung von Kapitalinteressen. Schon 1973 formulierte die NPD, worin ihr ab 1991 Vertreterinnen aller Bundestagsparteien einschließlich der Grünen und außer der PDS/ Linke Liste prinzipiell folgen werden.8791992 wollen Vertreterinnen von CDU/CSU/SPD/FDP/ Grünen und Bündnis 90 Grünhelmtruppen in alle Welt schicken. Die NPD von 1973 gibt sich erst einmal mit Ersatzdienstleistenden für die »Pflege der von Verkarstung und Versteppung bedrohten Kulturlandschaft« zufrieden und verlangt den Ausbau des »Deutschen Jugenddienstes [. . .] zu einer idealistischen Volksbewegung« für die »Arbeit an Feld, Flur und Gewässern« zur Sicherung des »Bestandes unseres Lebensraumes«, um den »Kern Europas gesund [zu] erhalten«.880)
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Nur neun Jahre früher als Umweltminister Klaus Töpfer (CDU), Freimut Duve (SPD) oder Udo Knapp (Grüne/Bündnis 90) haben die Republikaner 1983 die »Wehrbereitschaft« des deutschen Volkes zugunsten der Natur geschärft: »Großräumige Düngungsversuche mit Hubschraubern der Bundeswehr sind als flankierende Maßnahme dringend erforderlich. « Sie bleiben im Grad der Militarisierung und der territorialen Ausdehnung noch weit hinter dem ökologisch-verklei-deten Eurochauvinismus von Duve, Knapp & Co. zurück,881) denn die wollen, wie wir sehen werden, deutsche Grünhelme in aller Welt.
Die Militarisierung der Ökologie setzt voraus, daß die Schuld des kapitalistischen Zentrums Europa für mehr als 500 Jahre Ausbeutung des Trikont geleugnet oder sogar gutgeheißen wird. Es wird absichtlich ignoriert, daß aus dieser ursprünglichen Akkumulation von Kapital (Ausplünderung der eroberten Kontinente) weltwirtschaftliche Strukturen entwickelt worden sind, später unter Beteiligung der USA und Japans als der beiden anderen kapitalistischen Zentren, welche die Chancen auf eine eigenständige Entwicklung des Trikont zerschlugen, manipulierten, zum Spielball der Interessen des reichen Nordens machten.
Und daran soll sich nichts ändern. Unterstützt werden sollen nur solche Länder, »die eine umweltbewußte Politik betreiben, damit deutschen Lungen nicht die Luft ausgeht. Ansonsten müssen »unsere Beziehungen zu den Ländern der >Dritten Welt< [. ..] mit unseren außen-, sicherheits- und wirtschaftspolitischen Zielen synchron laufen«, sagen etwa die Republikaner. Befreundete Tri-kontstaaten, sprich solche, die sich den Interessen der BRD unterworfen haben, dürfen auf die Hilfe eines der reichsten Staaten zählen: »Pionierbataillone der Bundeswehr, z.B. zur Hilfe beim Straßenbau« oder Verteilung »landwirtschaftli-che[r] Überproduktion im Rahmen der EG durch Ausbil-dungsflüge für die Transportgeschwader der Luftwaffe«.882)
Die von der Armee massakrierten guatemaltekischen Indianerinnen könnten einiges erzählen über Hochlandstraßen, die mit deutscher Hilfe gebaut wurden, und es nun dem Militär ermöglichten, ihre Zufluchtsorte zu stürmen.
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An keinem Punkt der Betrachtung kann auch nur die Vermutung entstehen, daß RechtsextremistInnen und NeofaschistInnen Mensch und Natur retten wollen. Trotz gelegentlicher so großspuriger wie nebulöser Kapitalismuskritik verehren sie allesamt die »sozialökologische Marktwirtschaft« (Republikaner), den Kapitalismus, und damit die Grundlagen von Elend und Raubbau.
Ihre »radikale Bewußtseinsrevolution« meint, ähnlich wie bei Fritjof Capra, nichts als Unterordnung unter die bestehenden Herrschaftsverhältnisse, unter Eliten, mit neu-alter mystisch-völkisch-ökologischer Begründung.
Kultur wurde der neue Code für Rassismus, Ökologie der Schlachtruf zur gentechnischen oder bevölkerungspolitischen Reduktion von Menschen, Identität bestimmt sich nicht individuell, sozial oder human, sondern national oder eurochauvinistisch und legt die Wurzeln für Rassismus. Auch Selbstbestimmung wird national verstanden, rechtfertigt imperialistische Angriffe und hat mit der Freiheit etwa der Auswahl von Lebensformen, selbstbestimmter Arbeit oder sexueller Selbstbestimmung nichts zu tun.
Gesundheit wurde in die völkische Kategorie der Erbgesundheit des Volkskörpers transformiert und begründet eugenische und gentechnische Selektion und rassistische Anschläge. Aus verschlampten, kaum sozial verteidigten, positiv besetzten Begriffen wurden Kampfbegriffe der Rechten für einen drohenden neuen wissenschaftlich und ökologisch modernisierten Faschismus. Dieser wird wenig zu tun haben mit dem historischen Nationalsozialismus. Geschichte wiederholt sich allenfalls als Farce (Marx). Während faschistische und rassistische Deutsche Flüchtlinge jagen und totschlagen, entwickeln die Herrschenden auf der europäischen Ebene politische Strukturen, die in eine parlamentarisch verkleidete europäische bürokratische Regierungsdiktatur führen werden.
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Erste Anmerkung 456) Letzte Anmerkung 882) => also 426 Anmerkungen !!
Ende Teil III