4. Der Trend ist kein Schicksal
Das
Beauvais-Syndrom (162) Die materielle Macht geistiger Kräfte (165)
Weltprobleme und die gegenwärtige Depression (174)
Anpassungen der
Gesellschaft an die Zukunft (180)
Das Beauvais-Syndrom
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Die Geschichte Manhattans und der Niederlande beweist, wie sich unterschiedliche menschliche Gruppen soziologisch und technologisch auf verschiedenen Wegen entwickelt haben, um ihre Probleme zu lösen, die sich entweder aus ihren Handlungen oder aus natürlichen Bedingungen ergaben. Manhattan und die Niederlande bezeugen ebenfalls, daß Zivilisationen im allgemeinen ihre Vorstellungen, Praktiken und Techniken, die einst für ihren anfänglichen Erfolg verantwortlich waren, bis zur Absurdität steigern können.
Die Wolkenkratzerarchitektur stellt ein zweckdienliches Verfahren dar, mit dem Raummangel fertig zu werden, und sie sorgt für optische Reize in modernen Städten, verursacht jedoch auch oft ein physiologisches Trauma und Langeweile in ästhetischer Hinsicht.
Der Gebrauch des Motorfahrzeugs war zunächst eine vergnügliche Möglichkeit, den Bewegungsspielraum zu erweitern, ist aber nun zu einer gefährlichen gesellschaftlichen Sucht geworden. Glücklicherweise können scheinbar selbstmörderische Tendenzen aufgehalten werden, bevor sie irreparable Schäden angerichtet haben. Obwohl alle Zivilisationen sterblich zu sein scheinen, sind einige imstande, wie Phönix aus der Asche zu steigen.
Die gotische Architektur liefert ein gut dokumentiertes Beispiel einer atemberaubenden Technik, die einst, was die Nichtbeachtung von Sicherheitsvorschriften betrifft, zu weit getrieben wurde. Die ersten großen Werke der christlichen Architektur waren romanischen Stils. Wundervolle Kirchen und Klöster dieser frühen Periode existieren bis heute, und wahrscheinlich hätte sich die romanische Architektur nach ihren eigenen Grundsätzen weiterentwickelt, wenn nicht der Einfluß eines außergewöhnlichen Mannes, in der Geschichte als Abbe Singer bekannt, dazwischengekommen wäre.
Singer wurde 1080 oder 1081 nahe Saint Denis, 5 Kilometer von meinem Geburtsort Saint Brice entfernt, geboren. Er wurde von der Kirche ausgebildet, gehörte dem Benediktinerorden an und wurde in jungen Jahren ein angesehener Ratgeber der französischen Könige Ludwig VI. und später Ludwig VII.
1122 wurde er zum Abt der großen Benediktinerabtei zu Saint Denis gewählt und vertrat die Stelle des Regenten von Frankreich, während sich König Ludwig VII. am 2. Kreuzzug beteiligte. Er war von kleiner Statur und soll körperlich ein Schwächling gewesen sein, aber auch ein Mann von ungeheurer Energie, der sein ausgeprägtes verwalterisches Talent sowohl seinem kirchlichen Amt als auch der französischen Regierung zur Verfügung stellte.
Die Abtei von Saint Denis wurde im 7. Jahrhundert gegründet, dann umgebaut und erneut von Karl dem Großen im Jahre 775 feierlich eingeweiht. Um 1135 ersetzte Singer sie durch ein viel größeres Bauwerk von anderem architektonischen Stil.
Diese neue Abtei, die noch heute existiert, markierte den ersten bedeutsamen Übergang vom romanischen zum gotischen Stil. Sie wurde sogleich zu einem sakralen Wahrzeichen und diente Königen und deren Familien bis zur Französischen Revolution als Grabstätte.
Ungefähr 32 Kilometer nördlich von Saint Denis und ungefähr 16 Kilometer östlich des Dorfes Henonville, wo ich aufgewachsen bin, begann die kleine Stadt Senlis im Jahre 1155 den Bau ihrer Kathedrale, die einige Zeit, zusammen mit der Abtei von Saint Denis, die stattlichste Leistung früher gotischer Baukunst darstellte. Von nun an entstand in Europa und insbesondere in Frankreich eine Vielzahl von Kathedralen und kleineren Kirchen im gotischen Stil. Während all diese sakralen Bauten ihre architektonische Anregung aus Saint Denis und Senlis bezogen, versuchten sich mehrere Städte einander in Größe und Höhe ihrer Kathedralen und in der Kühnheit ihrer Baukunst zu übertreffen.
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Das Gewölbe des Mittelschiffs der Pariser Kathedrale von Notre-Dame, das 1163 fertiggestellt wurde, besaß die Rekordhöhe von 30,5 Metern. Dieser Rekord wurde von Chartres im Jahre 1194 mit 34,74 Metern gebrochen, danach von Reims im Jahre 1212 mit 38,1 Metern, dann von Amiens 1221 mit 42,7 Metern. Dieser Wettbewerb zwischen den Städten war, was die bauliche Gestaltung betraf, eine zumindest ebenso anregende Triebfeder wie die Verherrlichung Gottes.
Das Schiff der Kathedrale von Amiens war so hoch, daß es ein Gefühl der Unsicherheit hervorrief, seine Pracht und Kühnheit jedoch erweckten den Neid der Bewohner von Beauvais, einem kleinen Städtchen südlich von Amiens und 16 Kilometer nördlich von Henonville. 1247 begann Beauvais mit dem Bau seiner eigenen Kathedrale, mit der Absicht, ihr Gewölbe 4 Meter höher als das von Amiens zu errichten. Zudem wagte es Eudes de Montreuil, der Baumeister der neuen Kathedrale, das Gefühl der Weite und Lichtdurchflutetheit durch die Verringerung der Anzahl und Dicke der Säulen und Streben zu erhöhen. Das Licht konnte daher durch Fenster ins Innere fluten, die wegen ihrer Schmalheit und Höhe von 18,3 Metern bemerkenswert waren. Der Chor wurde innerhalb von 25 Jahren fertiggestellt, das Gewölbe jedoch brach im Jahre 1284, zwölf Jahre nach seiner Vollendung, zusammen. In den folgenden vierzig Jahren wurde der Chor verstärkt, was jedoch etwas auf Kosten seiner künstlerischen Wirkung ging. Die Bauarbeiten wurden während des Hundertjährigen Krieges mit England unterbrochen, aber 1500 wiederaufgenommen. Der Bau der riesigen Querschiffe wurde in Angriff genommen, und 1522 wurde die türmchen-artige »Laterne« über dem Kreuz der Querschiffe in einer Höhe von 152 Metern errichtet.
Die Kathedrale von Beauvais war nun das größte, höchste und gewagteste Bauwerk der Welt, stürzte aber 1573 am Himmelfahrtstag ein, glücklicherweise einige Minuten nachdem die Menge der Gläubigen die Kathedrale verlassen hatte, um einer Prozession durch die Stadt zu folgen.
Die mittelalterlichen Baumeister hatten ein ungerechtfertigtes Vertrauen in ihre Fähigkeiten entwickelt und die gotische Baukunst über die zuträgliche Sicherheitsgrenze hinaus getrieben. Das Unglück bedeutete das Ende dieses Baustils, er wurde fortan durch den Renaissance-Stil abgelöst.
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Viele andere Zivilisationen haben ein ähnlich übertriebenes Vertrauen in das soziale und technologische Können entwickelt, das anfänglich ihren Erfolg begründete. Im alten China trug die disziplinierte und weltoffene Gelehrsamkeit der Beamten lange Zeit zur Qualität der Regierung bei, führte jedoch schließlich zur Starrheit des Mandarin-Systems. In Frankreich bewirkte die Zentralgewalt in den Händen der Könige von Gottes Gnaden den großen innen- wie auch außenpolitischen Machtzuwachs, mündete aber letztlich in die Revolution.
Heutzutage stellen der rücksichtslose Verbrauch von Energie und Ressourcen, die sinnlose Vermehrung von Kraftfahrzeugen und die ständig zunehmende Verstädterung die Parallelen zum Beauvais-Syndrom dar. Sie werden unweigerlich zu Katastrophen führen, wenn die westliche Zivilisation weiterhin am materiellen Wachstum als Hauptwert festhält.
Die Geschichte beweist, daß technisches Können, wirtschaftlicher Wohlstand und politischer Organisierungsgrad niemals eine ausreichende Gewähr dafür boten, daß eine Gesellschaft erfolgreich bleiben oder weiterbestehen wird. Menschliche Institutionen müssen durch bindende Kräfte geistiger Natur zusammengehalten werden. Die Macht solch geistiger Kräfte trägt zum Überleben vieler ethnischer Gruppen, trotz jahrhundertelanger politischer Unterjochung, bei - wie im Falle der Juden, Iren, Indianer und Basken. Geistige Kräfte sind auch ein entscheidender Faktor beim Auf- und Abstieg sozialer und kirchlicher Institutionen, ja, selbst von Nationalstaaten und Weltreichen.
Die materielle Macht geistiger Kräfte
Zur Zeit von Jesu Geburt war Rom das Verwaltungs- und Finanzzentrum eines riesigen Imperiums. Augustus waren der Rang des Konsuls, der Titel des Princeps und die tribunizische Gewalt verliehen worden. Er reiste unermüdlich durch das Reich, um direkt mit den Problemen vertraut zu werden.
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Er stellte die gesellschaftliche Ordnung wieder her, reorganisierte das Heer, sicherte die Grenzen, reformierte das Steuerwesen und das Verwaltungsrecht, förderte die Künste und die Literatur und war an der Ausformung des römischen Baustils beteiligt. Livius, Ovid, Horaz und Virgil schrieben zu seiner Zeit.
Mindestens ebenso wichtig wie seine Reformen im materiellen Bereich war jedoch das neue Ansehen, das er den alten heidnischen Religionen in Verbindung mit patriotischen Werten gab. Diese Politik entschärfte die Konflikte in Italien und vermehrte die geistige Bedeutung des Lebens. Ein Beweis für die Durchschlagkraft der Verwaltungs- und Sozialstrukturen, die von Augustus geschaffen oder unterstützt wurden, ist die Tatsache, daß sie ihn überdauerten und drei Jahrhunderte über seinen Tod hinaus gut funktionierten.
Edward Gibbon hat, als er über das Zeitalter Antonius' schrieb, hervorgehoben, daß die menschliche Rasse nie glücklicher gewesen ist als zu jener Zeit, fast hundert Jahre nach dem Tode von Augustus. Aber es gab auch die Kehrseite dieses Bildes, - das Übel der Sklaverei, die Verelendung der städtischen Bevölkerung, die Konzentration der Privilegien in den oberen Klassen - alles Symbole des Mangels an geistigen Werten, der wahrscheinlich einen großen Anteil an der schließlichen Annahme des Christentums von Menschen aus vielen verschiedenen sozialen Klassen hatte, auch von solchen, die aus der herrschenden Lage Nutzen zogen.
Die Staatsbeamten des Römischen Reichs waren in technischer und organisatorischer Hinsicht hochqualifiziert; sie führten Lebensmittel, Wasser, Rohstoffe und Fertigwaren aus allen Teilen der damals bekannten Welt ein. Sie schufen ungeheure Bauten, Straßen und Aquädukte, von denen heute noch viele existieren und manche sogar noch benutzt werden. In der Tat entwickelten sie eine technische Zivilisation, die nahezu dem Entwicklungsstand kurz vor der Erfindung der Dampfmaschine entsprach. Sie stellte jedoch fast ausschließlich eine materialistische Zivilisation dar, die geistigseelische Sehnsüchte nicht befriedigte.
Mit der Ausdehnung des Reiches wuchsen auch die Bedrohungen, sowohl von innen als auch von außen. In Italien herrschte Unzufriedenheit in den weniger begünstigten Provinzen und sozialen Klassen.
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Die starke Abhängigkeit von Nahrungsmittel- und Rohmaterialeinfuhren schuf finanzielle Probleme, besonders als Roms Kornkammern in Nordafrika aufgrund von Mißwirtschaft nicht mehr liefern konnten. Außerhalb Italiens konnten die Barbaren in Nord- und Osteuropa niemals vollständig unter Kontrolle gebracht werden. Zur Zeit des Todes von Mark Aurel im Jahre 180 waren die Probleme Roms so schrecklich geworden, daß nach den Worten des Senators und Geschichtsschreibers Dio Cassius das »Zeitalter des Goldes« vom »Zeitalter des Eisens« abgelöst worden war; noch wichtiger war aber wahrscheinlich der fortschreitende Verlust geistiger Werte, die einst Roms Größe ausgemacht hatten.
Von außen war das Imperium von den Barbaren zerstört worden, aber hauptsächlich deshalb, weil es im Inneren durch den Verlust an Stolz und Pflichtbewußtsein geschwächt worden war - Werte, die Rom befähigt hatten, die Mittelmeerländer und Teile Westeuropas zu beherrschen.
Jesus wurde zu einer Zeit, als das Reich unzerstörbar erschien, geboren. Zu dieser Zeit beherrschte die Synagoge das religiöse wie auch gesellschaftliche Leben der Juden in Palästina; die von ihr bewahrten Werte erschienen ebenso unvergänglich wie die des römischen Rechts. Die Jünger Jesu besaßen außer ihrer Glaubensausübung und moralischen Grundeinstellung keine gesellschaftliche Organisation, ihre geistige Natur gab ihnen jedoch die Kraft, Feindseligkeiten und Verfolgungen zu überleben sowie ihre Gemeinden zu vergrößern und schließlich die bestehende soziale Ordnung zu ersetzen.
Wer hätte sich während der Zeit der Pax Romana vorstellen können, daß das Römische Reich unter dem Ansturm der Barbaren zusammenbrechen würde und daß die Barbaren ihrerseits sehr schnell die Lehren des Kreuzes annehmen würden?
Außer den wenigen Fakten aus dem Neuen Testament ist über das Leben Jesu nichts bekannt. Seine Entscheidung, sich um geistiger Werte willen zu opfern, war wahrscheinlich die wichtigste. Er hätte die Möglichkeit gehabt, nicht nach Jerusalem zurückzukehren, um damit das Gericht zu umgehen, das zu seiner Kreuzigung führte; er hat sich jedoch freiwillig gestellt und mit dieser Haltung die Tatsache versinnbildlicht, daß die Aufopferung für eine Sache oft mächtiger ist als die offensichtliche Entschlossenheit, den Lauf der Dinge zu beeinflussen.
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Die Geschichte des Islam zeigt ebenfalls, daß geistige Werte bei der Gestaltung der Geschichte mächtiger sein können als materielle Kräfte.
Mohammed wurde um 570 n. Chr. in Mekka geboren und verbrachte seine Jugend als Schafhirte und in Armut. Obwohl er schließlich Geschäftsmann wurde, hatte er es sich schon frühzeitig zur Gewohnheit gemacht, sich ab und zu zum Meditieren und Beten in die Berge zurückzuziehen. Im Jahre 610, als er vierzig Jahre alt war, hatte er eine Vision, in der ihm ein Engel die Worte Gottes offenbarte und ihn anwies, sie in Erinnerung zu behalten und anderen Menschen zu lehren. Mit dem Predigen begann Mohammed aber erst im Jahre 613, als er, in typischer Beduinenart, seine göttliche Eingebung durch Sprechgesang, von lebhaften Steigerungen und Ermunterungen untermalt, weitergab. Er verkündete die Existenz und Allmacht des einzigen und alleinigen Gottes, des Schöpfers des Universums, eines Gottes der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit.
In Mekka bekehrte er einige Menschen, als erste seine eigene Frau, wurde jedoch von der dortigen Gemeinde abgelehnt. Deswegen zog er 622 in die Oase von Medina (die Hedschra), wo er Anhänger fand, die ihm im Januar 630 die Rückkehr nach und die Kontrolle über Mekka ermöglichten. Zum Zeitpunkt seines Todes im Jahre 632 war praktisch die gesamte arabische Halbinsel zu seiner Lehre des Monotheismus und den Verhaltensregeln bekehrt worden, die ihm in seiner Vision eingegeben worden waren. Seine Biographen stimmen darin überein, daß sein Einfluß nicht auf die doktrinären Lehren, sondern vielmehr auf seine moralische Überlegenheit und seinen politischen Scharfsinn zurückzuführen ist.
Mohammeds Jünger verbreiteten den islamischen Glauben so nachdrücklich mit Waffengewalt, daß sie innerhalb eines Jahrhunderts nach seinem Tod ein Reich geschaffen hatten, das sich von den Pyrenäen in Frankreich bis zum Pamir in Zentralasien erstreckte.
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Spanien, Nordafrika, Ägypten, das byzantinische Reich südlich des Taurus und das persische Reich wurden zu einer politischen Einheit zusammengeschlossen, die sich 4800 Kilometer von Osten nach Westen erstreckte, eine große Vielfalt von Menschen und Gegenden einschloß und der Größe des Römischen Reiches auf seinem Höhepunkt gleichkam.
Den Arabern gelang es, ein Jahrhundert lang die Kontrolle über die von ihnen eroberten Gebiete aufrechtzuerhalten, jedoch strebten die verschiedenen Teile des Reiches wieder nach politischer Autonomie, sobald die Araber ihre leidenschaftliche Religiosität verloren.
Obgleich die meisten Menschen den moslemischen Glauben bewahrten, wandelte sich das Reich hingegen zu einer Welt von verschiedenen und sich häufig untereinander bekriegenden Staaten, die sich einer gemeinsamen Identität auf der Basis des religiösen Glaubens bewußt waren, aber durch Stammes- oder Rassenzugehörigkeit gespalten waren. Als die Mongolen im Mittelalter die moslemische Welt überrannten, existierte das arabische Reich nicht mehr, da es seine religiöse Leidenschaft längst verloren hatte.
Die phänomenale Fähigkeit des menschlichen Geistes, materielle Kräfte zu bezwingen und den Lauf der Dinge zu beeinflussen, wird am besten in historischen Situationen erkannt, die mit einer bestimmten Person in Zusammenhang gebracht werden können, - wie im Falle von Jesus, Mohammed oder Gandhi - Personen, die auf ein Problem zugehen und dann entschlossen handeln, selbst wenn dies eine Selbstaufopferung bedeutet.
In vielen Fällen jedoch sind soziale und politische Neuerungen nicht auf den überwältigenden Einfluß einer einzelnen Person zurückzuführen, sondern auf Veränderungen in begrenzten Gruppen von Menschen, die eine neue Stimmungslage schaffen und so den Boden für die Handlungen der Massen vorbereiten. Die moderne Welt wurde zum Beispiel von den Philosophen der Aufklärung geprägt, die die rationalistische Betrachtungsweise der Natur und der Menschheit begründeten, die letztlich zur Entwicklung der technologischen Zivilisation und zur Anerkennung der konstitutionellen Regierungsform führte.
In unserem Jahrhundert waren die Entstehung Israels als unabhängiger Staat und die Japans als westlich orientierte Nation auch nicht die Folgen spektakulärer einzelner Heldentaten, sondern das Ergebnis kollektiven Stimmungswandels.
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Viele Persönlichkeiten spielten bei der Entstehung Israels eine Rolle, aber die zionistische Bewegung selbst hat einen diffusen Ursprung. Der Zionismus knüpfte während des späten 19. Jahrhunderts in Ost- und Mitteleuropa an die kulturelle Beziehung der Juden zu Palästina an. Diese uralte Hinwendung zu dem »Gelobten Land« wurde verstärkt, als der weltweit zunehmende Antisemitismus jüdische Intellektuelle davon überzeugte, daß ihre Ideale nur in Palästina, ihrer historischen Heimat, realisiert werden könnten.
Die ersten landwirtschaftlichen Siedlungen Palästinas wurden 1882 von einer Handvoll Jugendlicher gegründet; im Jahre 1900 gab es deren 22, 1918 waren es bereits 47. Seit dieser Zeit schritt die zionistische Bewegung voran, wenn auch auf der Grundlage verschiedener Weltanschauungen.
Gewisse Zionisten wollten die landwirtschaftlichen Siedlergemeinschaften dazu benutzen, eine wirklich neue Gesellschaft auf der Basis sozialistischer oder gar kommunistischer Prinzipien zu schaffen; viele frühere Kibbuzim kamen der Verwirklichung dieses Ideals sehr nahe.
Andere Zionisten fanden es weniger wünschenswert, einen unabhängigen jüdischen Staat aufzubauen, sondern wollten ungeachtet des Standorts ein jüdisches Kulturzentrum errichten, das zur Erneuerung des Judentums und zur Verbreitung seines geistigen Einflusses dienen sollte. Wieder andere Zionisten betonten den religiösen Gesichtspunkt dieses Unterfangens und bestanden auf der strikten Einhaltung der religiösen Gebote im jüdischen Leben. Schließlich gab und gibt es noch viele Juden, die dem eigentlichen Prinzip des Zionismus und der Errichtung eines eigenen jüdischen Staates feindlich gegenüberstehen.
Wahrscheinlich waren es die antisemitischen Greueltaten im Zweiten Weltkrieg, die das Entstehen des neuen Staates Israel unausweichlich machten. Was auch immer sein Schicksal sein wird, sein unglaublicher Erfolg in vielen soziokulturellen und technologischen Erscheinungen des Lebens macht noch einmal deutlich, daß menschliche Entschlossenheit und Willenskraft fast alle natürlichen Hindernisse überwinden können.
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Israel ist der Schauplatz einer Vielzahl gleichzeitig stattfindender gesellschaftlicher Experimente, von kommunistischen Kibbuzim bis hin zu kapitalistischen Industrieunternehmen, von der konservativen Erstarrung der Orthodoxie bis hin zum aufgeschlossenen Geist der großen Universitäten. Das gleichzeitige Auftreten all dieser gesellschaftlichen Experimente in einem kleinen Land mit einer kleinen Bevölkerung und begrenzten Ressourcen beweist, daß die Menschen ihre Fähigkeiten, zu entscheiden, zu denken, zu handeln und damit schöpferisch zu sein, nicht verloren haben.
Die Modernisierung Japans begann im 19. Jahrhundert mit Veränderungen, die dazu führten, daß die damals von Feudalherren ausgeübte politische Macht an den kaiserlichen Thron zurückging. Diese Revolution fand während der Herrschaft von Mutsuhito statt, der 1868 den Namen Meiji (»Erleuchtete Regierung«) annahm. Man erkannte, daß Japan nicht die militärische Stärke besaß, die Amerikaner und Europäer vom Eindringen in ihr Land abzuhalten, mit seinen Bewohnern Handel zu treiben und damit die japanische Lebensweise zu verändern.
Die Regierung sah, daß die westliche Stärke von Konstitutionalismus, nationaler Einheit, Industrialisierung und militärischer Macht abhing, und entsandte Missionen, um verschiedene Gesichtspunkte des politischen und technologischen Lebens in Amerika und Europa zu untersuchen. Es folgten sehr bald politische Reformen und ein Industrialisierungsprogramm, das rasch an private Investoren übergeben werden konnte. Zu diesem Zweck wurde dem Shinto-Kult eine hohe Position in der politischen Hierarchie eingeräumt, um den Buddhismus mit der Verehrung nationaler Gottheiten zu ergänzen. Das System der Universalbildung, das 1873 eingeführt wurde, diente der Entwicklung einer umfassenden Sittenlehre, die weitgehend auf der Shinto-Ideologie und der japanischen Lebensweise fußte. Die Loyalität gegenüber dem Kaiser, getragen von den Lehren des Konfuzius und der Shinto-Verehrung, wurde so zum Zentrum der Sozialethik.
Der Erfolg dieser Revolution zeigt sich deutlich am industriellen Wachstum Japans und der sogar noch bemerkenswerteren Überwindung der Katastrophen des Zweiten Weltkriegs.
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Aber es ist nicht klar, warum Japan so viel erfolgreicher in der Anpassung an die und in der Entwicklung von den wissenschaftlichen und technologischen Errungenschaften westlicher Zivilisation war als andere asiatische Länder. Eine vorläufige Erklärung wird in einem Buch gegeben, das vor ein paar Jahren in Japan ungeheuer beliebt war und das unter dem Titel <The Japanese and the Jew> (Die Japaner und die Juden) erschienen ist. Nach Ansicht des Autors Isaiah Ben-Dasan (er soll ein in Japan aufgewachsener Jude sein) haben einige Besonderheiten des japanischen Klimas die Entwicklung strenger Kooperationsverfahren unter den japanischen Bauern erforderlich gemacht, um einen erfolgreichen Reisanbau zu gewährleisten. Diese Verfahren führten zu einem Zusammenhalt und einer Disziplin im Leben der Japaner, die den Arbeitskräften eine schnelle Umstellung auf technologische Arbeitsweisen mit hohem Organisationsniveau und hoher Standardisierung erleichterte.
Weitere Faktoren dieser Erfolgsgeschichte werden in einem neueren Buch, »Shinohata, A Portrait ofa Japanese Village« (Shinohata, Das Antlitz eines japanischen Dorfes) von R. P. Dore, einem Engländer, der lange in Japan gelebt hat, vorgestellt. Bis 1960 war das japanische Dorfleben spartanisch einfach, mit einem sehr geringen Mechanisierungsgrad. Dann wurde die Feldarbeit innerhalb von ein paar Jahren mechanisiert und das Dorf von elektrischen Geräten überschwemmt. Nach Dore wurden die Grundsteine für diese Revolution zwischen 1890 und 1910 gelegt, als die Meiji-Führung sich entschloß, den Überschuß der japanischen Wirtschaft nicht für die Landwirtschaft oder die Wohlfahrt der Menschen, sondern für die industrielle Entwicklung zu verwenden. Der technologische Aufschwung wurde daher auf Kosten der Bauern erreicht, die bis in die sechziger und siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts keinen Nutzen davon hatten. Eine solche Politik, die so lange die Bedürfnisse der einfachen Leute ignoriert hat, wäre unter normalen demokratischen Bedingungen wahrscheinlich nicht möglich gewesen. Voraussetzung dafür waren die hochzentralisierte Struktur des politischen Systems und die Disziplin der Japaner.
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Die ökonomischen und technologischen Folgen der Meiji-Revolution werden in Japan durch die geometrische Gestaltung vieler moderner Gebäude und durch die straffe Struktur des Berufslebens, das dem Fremden oft als brutale Reglementierung erscheint, verkörpert.
Japan ist in ähnlicher Weise eine menschliche Schöpfung wie die Niederlande. Die Natur war nicht großzügig mit dem Land und die Geschichte nicht immer freundlich. Aber die Japaner haben das Beste daraus gemacht, sie ernteten Reis an steilen Hängen, kultivierten Land an der rauhen See, errichteten starke Wälle und Dämme, um Flußüberschwemmungen zu verhindern. Schon vor Jahrhunderten begannen sie mit der Erschließung ihrer kleinen, felsigen Inseln, und jede Generation hat die Verpflichtung, mehr zu leisten, an die nächste weitergegeben. Sie haben das schnellste und beste Verkehrssystem der Welt und sind jetzt dabei, ein Eisenbahnnetz fertigzustellen, das alle Inseln Japans mit noch größerer Geschwindigkeit als der berühmte Hokkaido-Expreß verbinden wird. Wie jedoch in Holland, so kann sich auch hier diese technisierte Lebensweise ihren Grenzen nähern. Viele Tokioter Pendler, die fast ein Fünftel ihres Tages oder noch mehr in einem völlig verstopften Vorortzug verbringen, kommen zu Hause an und denken wehmütig an ihre Kindheit in einer Provinzstadt.
Als meine Frau und ich Japan nach einem ausgedehnten Besuch vor ein paar Jahren verließen, gaben uns die vielen Menschen, die sich um uns gekümmert hatten, als letztes Geschenk ein Spielzeug, das einen kleinen Kessel darstellte, der früher in den Dörfern zum Kochen über dem Feuer benutzt wurde. Das war der Dank dafür, daß ich in meinen Vorlesungen betont hatte, daß geistige menschliche Werte dem Leben auch ohne die Vorteile der fortgeschrittenen Technologie Charme verleihen können.
Einige Elemente des modernen japanischen Lebens rechtfertigen die Hoffnung, daß eine menschliche Gesellschaft, die sich für die technologische Zivilisation entschieden hat, auch weiterhin Eigenschaften pflegen kann, die inneren Werten entspringen statt einem ausschließlich zweckmäßigen Denken und die ihren Ursprung in der Unergründlichkeit der Menschheitsgeschichte haben.
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Weltprobleme und die gegenwärtige Depression
Das bedrückendste an der modernen Welt ist nicht die Schwere ihrer Probleme; da gab es in der Vergangenheit schon Schlimmeres. Es ist die Entmutigung des menschlichen Geistes, die vielen Menschen von heute, besonders in den Ländern der westlichen Zivilisation, dazu bringt, ihren Stolz auf das menschliche Dasein zu verlieren und daran zu zweifeln, ob wir imstande sein werden, mit unseren Problemen und denen der Zukunft fertig zu werden.
Auf einer Konferenz über <Ethik im Zeitalter der vordringenden Technologie>, die vor einigen Jahren in Israel abgehalten wurde, ging der amerikanische Philosoph Max Black so weit, zu sagen: »Übrigens glaube ich, daß die Probleme, die durch den technischen Fortschritt entstehen, wahrscheinlich unlösbar sind.«
Solch ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit hat historische Vorläufer.
Gilbert Murray führte den Untergang der griechisch-römischen Zivilisation auf ein Nervenleiden zurück. Die Geschichte zeigt jedoch auch, daß andere Gesellschaften dunkle Zeiten in der Vergangenheit erlebt und es doch geschafft haben, sich davon zu erholen - was Japan und Deutschland in unserer Zeit bewiesen haben.
Ich bin wie jeder andere auch von den tausend Teufeln der gegenwärtigen sozialen, technologischen und umweltbedingten Krisen beunruhigt. In der Tat sehe ich mich sogar zu der Meinung veranlaßt, daß wir mindestens zwei oder drei Jahrzehnte am Rande der Katastrophe verbleiben werden, und sei es nur aufgrund der Wahrscheinlichkeit akuter, wenn auch nur zeitweiliger Verknappungen von Energieträgern und anderen Ressourcen.
Ich erkenne auch, daß einige Faktoren der gegenwärtigen Weltprobleme quantitativ und qualitativ anders sind als die der Vergangenheit. Zum Beispiel:
Die heutigen Probleme sind nicht mehr isoliert zu sehen oder auf kleine Bevölkerungsgruppen beschränkt.
Viele Schadstoffe treten, wie im Falle von Radioaktivität und saurem Regen, fast auf der ganzen Erdkugel auf.
Nützliche technologische Erfindungen bedingen häufig unerwartete Folgen, wie zum Beispiel der weitverbreitete Einsatz von Pestiziden zur Insektenvernichtung gefährliche Veränderungen in der Nahrungskette von Vögeln, Fischen und schließlich Menschen verursacht.
Es gibt eine noch nie dagewesene Verkettung von Faktoren; die politischen Auseinandersetzungen im Mittleren Osten beeinflussen die Erdölgewinnung und damit sowohl westliche Lebensweisen als auch die Versuche der armen Nationen, eine produktivere Landwirtschaft und Industrie zu entwickeln.
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Es gibt heute große Tragödien auf der Welt. Paradoxerweise ist die gegenwärtige Depression nicht auf wirklich erfahrene Schwierigkeiten zurückzuführen, sondern auf Katastrophen, die noch nicht eingetreten sind und vielleicht nie eintreten werden. Wir sind zutiefst von der Möglichkeit eines Atomkriegs und wirklich ernsthafter Reaktorunfälle beunruhigt, aber auch besorgt angesichts der unbewiesenen Behauptung, daß der weitverbreitete Gebrauch von Treibgas in Spraydosen die Ozonschicht zerstören und uns gefährlichen Dosen ultravioletter Strahlen aussetzen wird.
Wir sind gemeinsam besorgt, weil wir voraussetzen, daß sich die Lebensbedingungen verschlechtern werden, wenn die Erdbevölkerung und die Technik weiter mit der jetzigen Geschwindigkeit wachsen. Die Erde wird bald übervölkert und ihre Ressourcen werden erschöpft sein; es wird eine katastrophale Nahrungsmittelknappheit geben; die Umweltverschmutzung wird unsere Lungen zersetzen, unsere Sehkraft trüben, uns verseuchen, das Klima verändern und die Umwelt zerstören. Die Einkommenskluft zwischen den reichen Ländern und den Habenichtsländern wird sogar noch größer werden. Das wird mit Sicherheit den Terrorismus verstärken und vielleicht schließlich zum Einsatz nuklearer Waffen führen, und sei es nur in Form einer Erpressung.
Seit wenigen Jahrzehnten drücken die meisten Beiträge von Soziologen, Wirtschaftswissenschaftlern und Umweltforschern eine pessimistische Stimmung über die Zukunft aus. Die Ausgaben der <Grenzen des Wachstums>, die 1972 vom Club of Rome veröffentlicht wurden, verdienen in dieser Hinsicht besondere Beachtung, weil sie die ersten waren, die eine scheinbar wissenschaftliche Grundlage für die pessimistische Atmosphäre, die jetzt im überwiegenden Teil der Welt vorherrscht, geschaffen haben.
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Sie wurden gelesen oder zumindest als absolutes Evangelium von Millionen von Menschen zitiert, die sich mit den Voraussagen eines Jüngsten Gerichts mit Massenhunger, Ressourcenverknappung, überwältigender Umweltverschmutzung und politischem Chaos irgendwann im nächsten Jahrhundert abgefunden haben. Viele ähnliche Veröffentlichungen erschienen in letzter Zeit. Alle nehmen in bezug auf die Zukunft der Welt oder Teile von ihr die Form von Computermodellen an, die auf der Basis bekannter Daten über Bevölkerungszahlen, Ressourcen, Umweltverschmutzung und gegenwärtige Trends in dieser oder jener demographischen, sozialen, ökonomischen und technologischen Kategorie ausgearbeitet sind.
Der letzte und gewaltigste Beitrag zu dieser Art Weltspiel ist ein 800 Seiten langer Bericht, der <Global 2000 Report to the President> (Global 2000, Der Bericht an den Präsidenten), der in den Vereinigten Staaten vom Bundesausschuß für Umweltfragen und dem Außenministerium in Zusammenarbeit mit 13 Bundesbehörden angefertigt wurde. Der Zweck des Reports besteht in der Ermittlung »der voraussichtlichen Veränderungen der natürlichen Ressourcen, der Weltbevölkerung und der Umwelt auf der Erde bis zum Ende dieses Jahrhunderts«, um als Grundlage für eine langfristige Planung zu dienen. Zu Beginn des Berichts benennen die Autoren die Schwierigkeiten, verläßliche Informationen für solch ein ehrgeiziges Projekt zu erhalten.
Einige Beispiele sollen genügen, um die Unzuverlässigkeit der Informationen, die als Basis für quantitative Studien über die gegenwärtige Situation und die Zukunft der Welt dienen, zu veranschaulichen.
Nach den offiziellen Statistiken des englischen Ministeriums für Landwirtschaft, Fischerei und Nahrung war die gesamte Nahrungsmittelmenge in Großbritannien 1976 so niedrig, daß es so aussieht, als ob die Engländer im Durchschnitt viel weniger als das Minimum verzehrten, das die UNO-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft empfohlen hat. Dennoch waren praktisch alle Briten zu dieser Zeit ausreichend ernährt, und nicht wenige waren eigentlich übergewichtig. In Großbritannien wie auch in anderen Teilen der Welt verwenden die Menschen bei ihrer Ernährung und bei den meisten Tätigkeiten Artikel, die in den offiziellen Statistiken nicht auftauchen.
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Da die statistischen Unterlagen in Großbritannien weitaus besser als in den meisten, wenn nicht allen Teilen der Welt sind, wird der Satz »Müll rein, Müll raus«, der als Kritik an der Verwendung unzuverlässiger Informationen beim Aufstellen von Weltmodellen in vielen soziologischen Untersuchungen geprägt wurde, anscheinend vom <Global 2000 Report> und ähnlichen Studien gutgeheißen.
Der Mangel an überzeugenden Informationen über die fossilen Brennstoffreserven der Welt wie Erdöl, Erdgas, Kohle und Torf fällt bereits beim gelegentlichen Lesen von Zeitungen oder Zeitschriften auf. Die Unsicherheit hinsichtlich der in Aussicht gestellten sogenannten ständig verfügbaren Brennstoffe, die indirekt oder direkt etwas mit der Sonne zu tun haben, ist sogar noch größer.
Zusammen mit den Autoren des Berichts kann man davon ausgehen, daß der Verbrauch nichtenergetischer Mineralien weiter ansteigen wird und daß die seltener vorhandenen zur Mangelware werden könnten. Kürzlich wurde aber auf einer Tagung von Geologen aufgezeigt, daß neue Techniken bis hin zu geochemischen Methoden die Existenz ausgedehnter Reserven unentbehrlicher Mineralien in vielen Teilen des amerikanischen Kontinents aufdecken werden.
Die Abholzung hat sicherlich tragische Ausmaße erreicht, besonders in tropischen und subtropischen Gebieten, aber die Aussage, »wenn die gegenwärtigen Tendenzen anhalten, wird die Walddecke ...in den weniger entwickelten Regionen (Lateinamerika, Afrika, Asien und Ozeanien) bis zum Jahre 2000 um vierzig Prozent abnehmen«, muß von der Information ergänzt werden, daß große Wiederaufforstungsprogramme in vielen Teilen der Welt laufen, zum Beispiel in Nordafrika, der Sahelzone, Äthiopien, Indien und in besonders großem Umfang in der Volksrepublik China.
Jahrhundertelang waren große Hochebenen und Hügelgebiete als Ergebnis eines Rodungsprozesses, der vor Tausenden von Jahren einsetzte, eigentlich baumlos. 1949 jedoch begann die Volksrepublik ein Aufforstungsprogramm, das sich nach den offiziellen Statistiken jetzt über rund 280.000 km2
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ausdehnt und jährlich eine Zuwachsrate von 40.000 km2 hat. Diese Zahlen scheinen mit den Berechnungen westlicher Besucher, die unlängst über China flogen, übereinzustimmen. Ein besonderer Aspekt dieses Aufforstungsprogramms ist die Schaffung einer Großen Grünen Mauer, die sich vom Fluß Amor in der Mandschurei bis zu den hochgelegenen Halbwüsten der Provinz Kansu über eine Länge von fast 3.200 Kilometern erstreckt und schließlich mehr als 800.000 km2 Land bedecken wird. Dieses Projekt hat schon auf einer von der Erosion besonders bedrohten Fläche von rund 81.000 km2 begonnen. Während die historische große Mauer in China im 3. Jahrhundert v. Chr. gebaut wurde, um das Reich des Himmels gegen die Mongolen zu schützen, wird das neue Bauvorhaben zum Schutz der Volksrepublik vor ökologischen Katastrophen errichtet.
Die Sinnlosigkeit des Versuchs, nützliche Voraussagen über die Beschaffenheit der zukünftigen Welt zu treffen, offenbart sich in fast komischer Weise in dem Teil, der sich mit dem Gesundheitswesen befaßt. Der Bericht führt an, daß die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt für die Welt insgesamt um elf Prozent von 58,8 Jahren 1975 auf 66,5 Jahre im Jahre 2000 als Ergebnis eines besseren Gesundheitswesens steigen wird, stellt aber gleichzeitig fest, daß, da eine längere Lebenserwartung Übervölkerung und sinkenden Lebensstandard bedeutet, das Endergebnis des besseren Gesundheitswesens ein Ansteigen der Krankheits- und Sterbequoten in vielen Teilen der Welt sein wird. Jeder, der mit den Unsicherheitsfaktoren und der Komplexität der Tendenzen des öffentlichen Gesundheitswesens vertraut ist, wird diese Aussagen mit großem Vorbehalt zur Kenntnis nehmen.
Es gibt nichts Sensationelles an der allgemeinen Schlußfolgerung des Berichts: »Wenn sich die gegenwärtigen Entwicklungstrendsfortsetzen, wird die Welt im Jahre 2000 noch übervölkerter, verschmutzter, ökologisch noch weniger stabil und für Störungen anfälliger sein als die Welt, in der wir heute leben... Trotz eines größeren materiellen Outputs werden die Armen der Welt in vieler Hinsicht ärmer sein, als sie es heute sind.«
Solche grimmigen Warnungen sind bis zum Erbrechen seit den Prophezeiungen der Apokalypse wiederholt worden.
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Wie andere glaube auch ich, daß unsere bestehende technologische Zivilisation am Ende zusammenbrechen wird, wenn die gegenwärtigen Tendenzen anhalten ... aber was ist das für ein großes »Wenn«?
Obwohl lateinamerikanische Wissenschaftler ähnliche Methoden und Informationstechniken benutzten wie der Club of Rome und der »Global 2000 Report«, kamen sie zu völlig anderen Schlußfolgerungen als die erwähnten Studien, weil sie andere Fragen stellten.
Statt zukünftige Verhältnisse auf der Basis gegenwärtiger Politik und Trends zu entwerfen, fragten die Autoren des Buches »The Latin American World Model« (Das lateinamerikanische Weltmodell): »Wie können globale Ressourcen am besten genutzt werden, um die Grundbedürfnisse aller Menschen zu befriedigen?« Weil diese Untersuchung annimmt, daß bestimmte soziale und technologische Veränderungen an verschiedenen Orten stattfinden können, sollten und mit großer Sicherheit auch werden, entwirft sie eine Zukunft, in der menschliche Grundbedürfnisse innerhalb relativ kurzer Zeit in Lateinamerika und Afrika befriedigt werden könnten.
Eine weitere Arbeit betont, daß »Grenzen des Wachstums» mit seinen Fragestellungen den Bedingungen der nördlichen industrialisierten Länder entgegenkommt. Wenn dieselben Fragen an die unterentwickelten südlichen Länder gestellt worden wären, hätte man völlig andere Antworten bekommen, weil die Grenzen des Wachstums in diesen Gegenden nicht physischer, sondern soziopolitischer Natur sind und zum Beispiel weitgehend von der Landwirtschaft abhängen. Die ökonomischen, technologischen und landwirtschaftlichen »Wunder«, die in den letzten Jahrzehnten in Japan, Südkorea, Taiwan und der Volksrepublik China geschehen sind, machen deutlich, daß Tendenzen oft auf den Kopf gestellt worden sind. Es ist wahrscheinlich eine Tatsache, daß in der modernen Welt langlebige Tendenzen sehr selten sind.
Menschen werden schwerlich passive Zeugen von Situationen bleiben, die sie als gefährlich oder unangenehm ansehen. Ihre Eingriffe können oft unklug sein, aber sie ändern immer den Lauf der Dinge und spotten den Versuchen Hohn, die Zukunft durch Extrapolation bestehender Tendenzen vorherzusagen.
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In menschlichen Angelegenheiten sind deterministische Schlußfolgerungen immer weniger wahrscheinlich, weniger interessant und gewöhnlicherweise auch weniger wichtig als die aktuellen Vorgänge, weil diese weitgehend aus wohlüberlegten menschlichen Entscheidungen und Handlungen hervorgehen. Meiner Meinung nach haben die Industrieländer eine gute Chance, zu überleben und sogar wohlhabend zu bleiben, weil sie lernen, sich der Zukunft anzupassen.
Anpassungen der Gesellschaft an die Zukunft
Wir passen uns Hitze, Kälte, Gedränge, Armut und anderen Umwelt- und Sozialverhältnissen an, wenn wir diese Verhältnisse erfahren und ihre Auswirkungen durch entsprechende Veränderungen unserer physiologischen Mechanismen und Lebensweisen abschwächen. Die Forderung, die die Überschrift dieses Absatzes erhebt, klingt deswegen unsinnig, weil die Gesellschaften die größtenteils unvorhersehbaren Verhältnisse, an die sie sich in späteren Jahren anzupassen haben, noch nicht erlebt haben.
Unsere persönlichen biologischen Anpassungen jedoch sind feiner, als es scheinen mag. Im täglichen Leben reagieren unsere Sinne und unsere Körper auf Situationen, die sich noch gar nicht ereignet haben, die wir aber vorausahnen. Unser Herz beginnt zum Beispiel bei dem bloßen Gedanken, rennen zu müssen, um einen Zug zu erreichen, schneller zu klopfen; unsere Ausschüttung verschiedener Hormone steigt, wenn wir wissen, daß wir bald mit einer bestimmten Situation konfrontiert werden, sogar mit einer so harmlosen, wie vor einem unbekannten Publikum einen Vortrag zu halten. Auf ähnliche Weise können Gemeinschaften sich auf die Zukunft - sogar auf eine ferne -einstellen, wenn sie die möglichen Auswirkungen det Situationen, mit denen sie sich wahrscheinlich auseinandersetzen müssen, voraussehen und vorher schon entsprechende Maßnahmen angesichts dieser Erwartungen treffen.
Bis heute haben die wichtigsten Veränderungen die Welt völlig überrascht.
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Folglich gab es auch keine Möglichkeit, ihr Auftreten zu beeinflussen, und es war schwierig, ihre Auswirkungen zu kontrollieren. Im Gegensatz dazu werden jetzt die möglichen Konsequenzen technologischer und sozialer Neuerungen diskutiert, und zwar lange, bevor sie auftreten, und besonders dann, wenn sie gefährlich werden könnten. Wir versuchen uns den <Zukunftsschock> vorzustellen, den die Menschheit durch die Veränderungen der Umwelt und Lebensweisen erfahren wird. Allein die Tatsache jedoch, daß bestimmte Symptome schon antizipiert werden, bringt uns dazu, im Vorgriff eine geistige und soziale Anpassung einzuleiten, was zur Folge hat, daß die Symptome wahrscheinlich gar nicht auftreten, jedenfalls nicht in der prophezeiten Weise. Jetzt werden zum Beispiel Schritte unternommen, die uns vor den Missetaten des »Großen Bruders« und vor anderen gesellschaftlichen Miseren schützen sollen, die George Orwell für 1984 vorausgesagt hat. Zukunftsvisionen haben selbstverständlich schon immer das menschliche Handeln beeinflußt, aber erst in den letzten Jahrzehnten konnte sich eine bedeutende Anzahl wichtiger Prognosen auf eine breite Skala verläßlicher Informationen und bisweilen auch auf genaue wissenschaftliche Kenntnisse stützen.
Die möglichen Folgen natürlicher Prozesse menschlichen Handelns vorwegzunehmen ist etwas ganz anderes, als die Zukunft vorauszusagen. Zum einen würde eine Voraussage die vollständige Kenntnis sowohl der Vergangenheit als auch der Gegenwart erfordern, was unmöglich ist. Zum anderen drücken die Menschen dem natürlichen Lauf der Dinge immer den Stempel ihrer eigenen Entscheidungen auf. Es gibt natürlich Aspekte der Zukunft, die weitgehend voraussagbar sind, weil sie sich logisch und unausweichlich aus vorangegangenen Verhältnissen und Geschehnissen ergeben. Zum Beispiel kann man mit hohem Präzisionsgrad die Menge Wasser vorherbestimmen, die sich in einem Staubecken sammelt, das in einer geologischen Formation mit bekannten Eigenschaften gebaut wurde, hinter einem Damm bekannten Ausmaßes, und das von einem Wasserlauf mit bekannter durchschnittlicher Strömung gespeist wird; man kann mit hoher Wahrscheinlichkeit auch vorhersagen, wie lange das Becken verwendbar sein wird, weil es sich mit Schlick und anderen Erosionsrückständen füllt.
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Im Gegensatz zu solchen auf der Logik basierenden Zukunftsaussagen kann man nicht vorhersagen, ob der Damm gebaut wird oder nicht, und falls er gebaut wird, wann und wo das sein wird. Solche Entschlüsse setzen unzählige menschliche Entscheidungen voraus - Entscheidungen technologischer, ökonomischer, ästhetischer und sogar ethischer Natur.
Insofern legt die logische Zukunft den menschlichen Handlungen Zwänge auf, aber es gibt auch eine gewollte Zukunft, die zuerst im menschlichen Kopf entsteht und beschlossen wird und die nur durch systematische Planung und Anstrengung Gestalt annimmt. Optimisten - ich versuche, zu ihnen zu gehören - sind diejenigen, die glauben, daß die auf humanistischen Werten basierende, gewollte Zukunft erfolgreich mit dem Nutzeffekt der Naturkräfte und den Sozialstrukturen, die sich aus der wissenschaftlichen Technologie ergeben, gekoppelt werden kann. Die folgenden Beispiele verdeutlichen, daß die gewollte Zukunft in vielen Fällen wünschenswerte Veränderungen mit sich bringt, die auf der Vorwegnahme der Auswirkungen und Geschehnisse, die noch nicht eingetreten sind, basieren. Mit anderen Worten: Soziale Anpassungen an die Zukunft finden jetzt statt.
Der nordamerikanische Kontinent hatte nie eine große Bevölkerungsdichte, aber er wäre vielleicht übervölkert, wenn die hohe Geburtenrate der Vergangenheit noch weitere Jahrzehnte angehalten hätte. Die Beiträge der Demographen, insbesondere das ausgesprochen populäre Buch von Paul Ehrlich, <The Population Bomb> (Die Bevölkerungsbombe), schufen ein weitreichendes Bewußtsein von den Bedrohungen der Lebensqualität, die vom unkontrollierten Bevölkerungswachstum ausgehen. Obwohl also noch immer genug Raum und ungenützte Ressourcen in den Vereinigten Staaten und Kanada vorhanden sind, hat die Vorhersage, daß Nordamerika im nächsten Jahrhundert übervölkert sein könnte, bedeutend zum Rückgang der durchschnittlichen Familiengröße beigetragen. Die Geburtenrate ist jetzt so niedrig, daß der nordamerikanische Kontinent irgendwann im nächsten Jahrhundert vielleicht sogar eine Nullrate im Bevölkerungswachstum erreicht, was in einigen europäischen und asiatischen Ländern noch eher eintreten könnte.
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Die Verschlechterung der Umweltbedingungen wurde erst vor zwei Jahrzehnten ein in der Öffentlichkeit lebhaft diskutiertes Thema, und die meisten Programme zur Behebung der Umweltverschmutzung sind noch nicht einmal zehn Jahre alt. Mittlerweile wurde jedoch in einigen Bereichen die Umweltqualität schon sehr verbessert, und zwar infolge von Kontrollmaßnahmen, die besonders in Europa und Nordamerika in den sechziger und siebziger Jahren initiiert wurden. Das Ausmaß der allgemeinen Schadstoffbelastung hat in vielen großen amerikanischen und europäischen Städten - ja, sogar in Tokio - abgenommen. Einige Flüsse und Seen, die derart verunreinigt waren, daß man sie als »tot« bezeichnete, wurden in den sechziger Jahren wieder regeneriert und entwickelten ein reichhaltiges Unterwasserleben. Dazu zwei Beispiele aus Europa und den Vereinigten Staaten.
Mit dem Einsetzen der industriellen Revolution und bis in die späten fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts war London die am stärksten verschmutzte Großstadt der westlichen Welt. Als Ergebnis der Kontrollmaßnahmen, die der Londoner Stadtrat im Jahre 1957 einleitete, stieg die jährliche Menge der Sonnenstunden in London um ungefähr fünfzig Prozent, es gab in den letzten zehn Jahren kein einziges Mal die berühmte »Waschküche«; die von Shakespeare erwähnten Singvögel können wieder in den Stadtparks gehört werden, und der Lachs - der empfindlichste aller Fische - ist in die Themse zurückgekehrt. In New York war die Jamaica Bay von Müll und Abwässern ungeheuer verschmutzt, ist heute aber dank verschiedener Umweltschutzmaßnahmen in so gutem Zustand, daß Fische und Schalentiere, selbst Austern, so reichlich vorhanden sind, daß man eine Fischindustrie versorgen könnte. Außerdem ist die Bucht zu einem artenreichen Vogelschutzgebiet und zu einem sehr anziehenden Erholungsgebiet geworden.
Einst vernichtete Wälder dürfen sich wieder erholen. In einigen Teilen Afrikas und Asiens und insbesondere Chinas werden massiv Aufforstungsprogramme durchgeführt.
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Gegenden, die bereits versandet waren, werden vor Ziegen und anderen Tieren geschützt und können auf diese Weise eine vielfältige Fauna und Flora wiedererlangen - zum Beispiel in Israel, aber auch in einigen Teilen Nordafrikas und der Sahelzone. Während sich in vielen Teilen der Welt die Umwelt weiter verschlechtert, besonders in der Form der Desertifika-tion und der Zerstörung des tropischen Regenwaldes, gibt es Anzeichen dafür, daß einige Gesellschaften lernen, mit der Natur umzugehen.
Ein interessanter Gesichtspunkt des Fortschritts in Umweltfragen ist die Tatsache, daß Maßnahmen gegen Umweltzerstörungen immer, lange bevor die Situation hoffnungslos geworden war, getroffen wurden. Die Gesetze zur Kontrolle der städtischen Luftverschmutzung sind, ehe die Stadtluft tatsächlich bedrohlich verschmutzt war, ausgearbeitet worden und in Kraft getreten. Seen und Flüsse waren weit davon entfernt, »tot« zu sein, als die Kontrolle der Wasserverschmutzung begann. Man sah jedoch voraus, daß die Luft- und Wasserverschmutzung gefährliche Ausmaße annehmen würde, falls man die Schadstoffemissionen im bisherigen Umfang noch ein oder zwei Jahrzehnte zulassen würde. Die Maßnahmen zum Schutze der Umwelt wurden daher nicht als Antwort auf einen aktuellen Notstand, sondern eher unter Antizipierung eines zukünftigen Notstands getroffen.
Anpassungen an die Zukunft werden auch im Falle der Rohstoffversorgung ersichtlich. Vor ein paar Jahrzehnten wurde erkannt, daß einige Metalle voraussichtlich knapp werden würden. Lange bevor jedoch eine wirkliche Knappheit eintrat, wiesen Wissenschaftler nach, daß mit Hilfe geeigneter technologischer Veränderungen die Funktionen knapp werdender, seltener Metalle auch von reichlicher vorhandenen Metallen oder einigen synthetischen Produkten erfüllt werden könnten. Zugegebenermaßen zieht der Gebrauch von Ersatzprodukten im allgemeinen höhere Energiekosten nach sich, aber die Anpassung an die Zukunft findet sogar in der Energieproduktion statt.
Die Kosten aller Energieträger sind in den letzten zehn Jahren erheblich gestiegen, aber bisher gab es noch keine wirkliche Verknappung, außer als Folge von sozialen oder politischen Unruhen wie zum Beispiel Arbeitskonflikten
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oder dem arabischen Ölembargo im Jahre 1973. Es gibt immer noch enorme Reserven verschiedener fossiler Brennstoffe in einigen Teilen der Welt, aber ihr Abbau kann natürlich durch technische oder politische Schwierigkeiten verhindert werden.
Sobald man erkannt hatte, daß die Erdölreserven nicht unbegrenzt sind und nicht mehr als ein paar weitere Jahrzehnte ausreichen würden, begannen die Industrieländer mit dem Bau von Kernreaktoren als Energiequellen. Jedoch haben Geologen schon früh auf die Begrenztheit der natürlichen Ressourcen von Uran hingewiesen und den Umstand, daß sie bald erschöpft sein würden, falls die Kernenergie im großen Umfang durch die konventionelle Kernspaltung produziert werden würde. Deshalb konzentrierten Kerntechniker ihre Anstrengungen auf die Entwicklung des Brutreaktors, der Kernbrennstoffe während der Energieerzeugung herstellt. Auf diesem Gebiet wurde der Forschung in den Vereinigten Staaten und Europa hohe Bedeutung beigemessen. Doch in den sechziger und siebziger Jahren nahmen einige Gruppen von Wissenschaftlern und Bürgern Stellung gegen das Brüterprogramm. Sie zweifelten nicht unbedingt an der Durchführbarkeit des Projekts, waren aber von den Gefahren, die eine Inbetriebnahme mit sich bringen würde, alarmiert, insbesondere von der unvermeidlichen Vermehrung von Plutonium.
Die Sorge um die möglichen Folgen der Kernspaltungstechnik begann die offizielle Politik zu beeinflussen. Sowohl in Europa als auch in den Vereinigten Staaten wird ein steigender Prozentsatz von Forschungsgeldern in bisher vernachlässigte Energiequellen gesteckt - Sonnenenergie, Wind, Wellen, Gezeiten, Biomasse, geothermische Energie und in die sogenannten synthetischen Brennstoffe. Letztere sind verschiedene Arten von Öl und Gas, die aus der Verwandlung von Kohle in Gas, Kohleverflüssigung, Schieferölgewinnung und Teersandumwandlung entstehen. Die synthetische Brennstoffproduktion befindet sich immer noch im Experimentierstadium; es ist jedoch erwähnenswert, daß man schon mehr über ihre möglichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und auf die Umwelt weiß, als man bis vor zwei Jahrzehnten über die Auswirkungen von Kohle und Erdöl wußte.
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Zusätzlich zu den präventiven Gesichtspunkten gegenüber voraussichtlichen Gefahren hat die Anpassung an die Zukunft nunmehr auch einen kreativen Charakter angenommen. Zum Beispiel beinhaltet der Begriff »gesunde Umwelt« nicht nur das Fehlen schädlicher Einflüsse, sondern auch die Schaffung einer Umgebung, die ästhetische und emotionale Werte einbezieht.
Städteplaner waren bisher fast ausschließlich mit öffentlichen Gesundheitseinrichtungen, Transportsystemen und der Leistungsfähigkeit der verschiedenen städtischen Wirtschaftsbereiche befaßt. Jetzt beginnen sie zusätzlich, die Bedeutung von Parkanlagen, Fußgängerzonen und Stadtzentren zur Förderung von sozialen und kulturellen Aktivitäten hervorzuheben. Die Angst, daß die urbanen Agglomerationen bald nicht mehr in den Griff zu bekommen sind, regt auch zu Versuchen an, sie in kleinere Gemeinden aufzuteilen, die leichter zu überschauen und zu lenken sind.
Die Fähigkeit, langfristig Folgen zu erkennen, bedeutet noch nicht, daß die modernen Gesellschaften notwendigerweise rechtzeitig und wirksam genug handeln können oder wollen, um schädliche Auswirkungen zu verhindern. Pessimisten haben allen Grund zu der Annahme, daß irgendwann und irgendwo eine soziale oder technische Neuerung so rasch und so weit vorangetrieben wird, daß sie der Menschheit oder der gesamten Ökologie nicht wiedergutzumachende Schäden zufügt. Aber obwohl eine Katastrophe infolge von Maßlosigkeit nicht ausgeschlossen werden kann, darf man auf die wunderbare und unverwüstliche Elastizität der natürlichen Systeme und der Menschen hoffen. Fortschreitende Kenntnisse führen zur besseren Einschätzung langfristiger Folgen technologischer und sozialer Neuerungen und werden uns so vielleicht zur Überwindung des Mythos von der Unausweichlichkeit verhelfen.
Ein biologisches Problem, das kürzlich in der Öffentlichkeit viel Wirbel erregt hat, soll als letztes Beispiel und vielleicht als Karikatur des sozialen Prozesses, der mit dem Begriff Anpassung an die Zukunft bezeichnet wird, dienen. Die neuen wissenschaftlichen Methoden der sogenannten Genmanipulation machen es möglich, die Erbanlagen von Mikroben zu modifizieren. Aus diesem wissenschaftlichen Tatbestand haben viele Menschen geschlossen, daß es schließlich möglich sein könnte, auch das genetische Erbgefüge aller anderen lebenden Organismen, einschließlich der menschlichen Spezies, zu verändern.
Bei Menschen ist die Genmanipulation allerdings heute wissenschaftlich nicht möglich, und es gibt viele Biologen, die meine Ansicht teilen, daß sie nie wirklich bedeutend werden wird, weil die Komplexität höherer Organismen einen hohen Integrationsgrad beinhaltet, der durch jede wesentliche Veränderung irgendeines Bestandteiles grundlegend gestört werden würde. Dennoch sind einige Institute für Bioethik gegründet worden, in denen Ärzte, Biologen, Soziologen, Juristen und Theologen gemeinsam die medizinischen, ethischen, juristischen und theologischen Aspekte der Modifikation menschlicher Natur diskutieren, die eventuell durch die Methoden der Genmanipulation entstehen könnten.
Und so versuchen wir uns nicht nur an die von der wissenschaftlichen Technologie geschaffene Zukunft anzupassen, sondern auch an die Zukunft, die sich die wissenschaftliche Dichtkunst ausdenkt.
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