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Die 1,5-Kilowatt-Gesellschaft 

Intelligente Energienutzung als Schlüssel zu einer ökologisch nachhaltigen Wirtschaftsweise

Eine Rede von Hans-Peter Dürr 1993 in Wien und 1994 in Wuppertal (siehe Nachweise)

 

01   02   03     04   5 Engpässe bei Energiequellen und Energiesenken   ( Ziegler S.161 )   6 Das persönliche Energie-Budget    7 Politische Umsetzungsstrategien  


   1.  Einführung  

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Die folgenden Überlegungen haben mit der Vision einer ökologisch nachhaltigen, gerechten und lebens­werten menschlichen Zivilisation zu tun, eine Utopie, deren Realisierung aus heutiger Sicht unwahrscheinlich erscheint. 

Und doch müssen wir wohl — wenn wir der Menschheit langfristig eine Über­lebens­chance sichern wollen — eine solche Zivilisation mit allen Mitteln anstreben. 

Dies überhaupt zu versuchen, verlangt nicht, daß wir zu Traumtänzern werden und unsere Augen vor der eigentlichen Wirk­lichkeit verschließen. Im Gegenteil: 

Wir sollten die Wirklichkeit in vollem Umfange ins Visier nehmen und dabei erkennen, daß die Zukunft nicht einfach nur eine festgefügte Fortsetzung der Vergangenheit ist, die uns mit unverrückbaren Wahrscheinlich­keiten notwendig in bestimmte Richtungen zwingt — sondern daß die Zukunft im weit höherem Maße offen ist als es unserer durch vergangene Erfahrung und selektive Wahr­nehmung konditionierten Phantasie auf den ersten Blick erscheinen mag. 

Wir sind aufgefordert, die Zukunft im vollem Bewußtsein unserer Einbettung in einen größeren Zusammen­hang mitzugestalten, anstatt uns fatalistisch dem sogenannten <natürlichen Lauf> der Dinge zu ergeben, die immer mehr Folgen unseres eigenen maßlosen Tuns sind. 

Lassen wir uns also bei den uns wünschenswerten Zielen nicht von der vermeintlichen Unwahrschein­lichkeit ihrer Verwirklichung abschrecken. Prüfen wir vielmehr deren prinzipielle Möglichkeit und überlegen wir uns Wege, die von der Unwahrscheinlichkeit über die Wahrscheinlichkeit zur Tatsächlichkeit führen könnten.

Dies bedeutet keine Aufforderung zu einer <Augen-zu-und-durch>-Strategie, sondern zu einem Handeln, daß in weit höherem Maß als wir dies heute tun, die hohe Komplexität und die wechselseitigen Bedingtheiten der Wirklichkeit wahrnimmt und berücksichtigt. <Ganzheitlich> wahrnehmen, global denken und dann auch lokal handeln, sollte dabei unsere Devise sein.

Es ist selbstverständlich unmöglich in einem kurzen Vortrag, den vollen Bogen zu spannen. Ich will es trotzdem in Ansätzen versuchen mit dem Ziel, daß am Schluß etwas steht, was mit konkretem praktischen Handeln zu tun hat. Diese Absicht soll auch mein Vortragstitel ausdrücken, der sogar - konkreter geht es wohl nicht - eine benannte Zahl <1,5 Kilowatt> enthält, was bei manchem allerdings nur Assoziationen zum elektrischen Strom weckt, hier jedoch allgemeiner auf die Frage abzielen soll, welche Energieansprüche jeder von uns vernünftigerweise in Zukunft stellen darf, ohne unsere Erde irreversibel zu ruinieren. 

Mein Vortrag bewegt sich also allgemein in dem heute so heiß diskutierten Spannungsfeld von Ökologie und Ökonomie. Ich bin mir voll bewußt, daß zu diesem Thema hier in Wuppertal zu reden bedeutet, <Eulen nach Athen zu tragen>. Dennoch: Im ersten Jahr der Europäischen Union, wo in der Öffentlichkeit vielfach Hoffnungen auf wachsende Märkte und Wohlstands­verbesserungen keimen, sollte immer und immer wieder auf die eigentlichen Grundprobleme unserer heutigen wirtschaftlichen Entwicklung hingewiesen und über geeignete Abhilfen laut nachgedacht werden.

Unsere wirtschaftlichen Betrachtungen und Handlungsweisen lassen ja in der Regel völlig unberücksichtigt, inwieweit die globale gesamtwirt­schaftliche Entwicklung überhaupt mit der notwendigen Vorbedingung verträglich ist, das endliche und nicht beliebig robuste Ökosystem unserer Erde, in dem wir Menschen auf Gedeih und Verderb eingebettet sind, uns langfristig als Lebens­grundlage zu erhalten.

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Ursprünglich hatte die wirtschaftliche Entwicklung ja vor allem zum Ziel, dem Menschen die physischen Bürden des Lebensalltags zu erleichtern und sein allgemeines Wohlbefinden zu fördern. Aufgrund der speziellen Rahmenbedingungen und Spielregeln unseres Wirtschaftssystems, die nicht nur zu hohen Leistungen, sondern zu Höchstleistungen in einem ganzen begrenzten Sinne zwingen, hat sich jedoch hier eine verhängnisvolle Eigendynamik entwickelt, die unserer Steuerung zu entgleiten droht oder bereits schon entglitten ist.

Ähnlich wie dem Sport durch die Forderung zur Höchstleistung im unerbittlichen Konkurrenzkampf seine ursprüngliche Bestimmung zur Gesundheitsförderung langsam verloren geht, so wird die Wirtschaft ihrer Aufgabe, die wesentlichen Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, immer weniger gerecht. 

So zeichnet sich doch immer deutlicher ab, daß das unerbittliche Wettrennen der verschiedenen Länder und Ländergruppen um größere Marktvorteile letztlich von denjenigen gewonnen werden wird, die am schnellsten, raffiniertesten und umfassendsten die Naturschätze unserer Erde zu ihren Gunsten auszuplündern vermögen. Dieses Wettrennen gleicht deshalb immer mehr einem Wettsägen an dem Ast, auf dem wir letztlich alle sitzen. Hierbei ist die beunruhigende Erkenntnis wichtig, daß dieses unsinnige und selbstmörderische Tun in keiner Weise <unnatürlich> ist. Denn die Natur wird niemanden in den Arm fallen, seine eigenen langfristigen Überlebenschancen zu mindern, so wie die Natur ja auch keine direkten Hinweise gibt, Überlebensvorteile besser wahrzunehmen. Sie überläßt vielmehr alle diese Entscheidungen, scheinbar teilnahmslos, dem ewigen Spiel von <Versuch und Irrtum>.

Unsere geistigen Fähigkeiten erlauben uns, Gesetzmäßigkeiten in der Natur zu erkennen und damit in gewissem Umfange Zukünftiges vorherzusehen und vorherzusagen. Durch geeignete Manipulation des Gegenwärtigen erwächst uns dadurch die Fähigkeit, in gewissem Umfange Prozesse in eine von uns gewünschte Richtung zu lenken.

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Es ist diese Fähigkeit eines bewußten Verständnisses der Natur zusammen mit unserer (in einer langen erfolgreichen Stammes­entwicklung etablierten) Vernunft, die uns prinzipiell die Flexibilität gibt, nicht alle Versuche und die dabei möglichen Irrtümer mitsamt ihren negativen Folgen (einschließlich des totalen Scheiterns) auch wirklich und tatsächlich ausführen zu müssen, sondern nicht-erfolgversprechende Wege in weiser Voraussicht von vorneherein zu meiden. 

Diese Flexibilität stellt in der Tat einen enormen Überlebensvorteil dar, vorausgesetzt jedoch, wir nutzen sie. Denn die Natur fühlt sich von uns keineswegs brüskiert, wenn wir mit dem monotonen Hinweis, <Realisten> zu sein — also in freiwilliger Beschränkung (wie Walter Kroy das einmal so schön formuliert hat), die Welt nur <durch den Rückspiegel zu beurteilen> —, starrköpfig darauf bestehen, unsere besonderen zukunfts­ahnenden Fähigkeiten ungenutzt zu lassen und partout alle Fehl­entwicklungen voll ausbaden zu wollen.

Die Natur wird uns dann eben nach altbewährter Methode — wie unzählig viele Lebensformen vor uns, die wegen Unvermögens oder Dummheit sich nicht vorteilhaft in die über vier Milliarden Jahre währende Entwicklung einklinken konnten — einfach aus der Evolution entlassen. Die Natur kann nämlich ohne uns leben, aber wir nicht ohne die Natur und ihr auf der Erdoberfläche speziell ausgeprägtes Ökosystem, in das wir eingepaßt sind.

  

  2. Ökologisch nachhaltige Wirtschaftsweise  

 

Es erscheint offensichtlich: Ohne eine Änderung der Rahmenbedingungen und der Spielregeln der von uns praktizierten Ökonomie können keine der uns heute bedrängenden Probleme — der Friedenssicherung, des Ressourcenschutzes, der Mitwelt­verträglichkeit und der Herstellung und Bewahrung wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Ausgewogenheiten zwischen den Menschen und den Völkern — langfristig gelöst werden. Bei der jetzigen wachstums­orientierten Wirtschafts­weise lassen wir nämlich irrtümlicherweise die wesentliche und notwendige Einbettung des Menschen in seine natürliche Mitwelt außer acht.

Wir tun dies, weil wir aus der beobachteten relativen Robustheit des in mehr als vier Milliarden Jahren stetig gewachsenen und hochausgetesteten Ökosystems der Erde den fatalen Fehlschluß ziehen, die Umwelt sei ein unendlich ergiebiges und unendlich nachsichtiges Medium, aus dem wir nach Belieben einerseits Ressourcen für unsere wachsende Produktion und unseren üppigen Lebensstil entnehmen und in das wir andererseits die dabei entstehenden Abfälle alle folgenlos abkippen können. Ähnlich wie bei einem gesunden Körper, den wir vermöge eines differenzierten und leistungsfähigen Immunsystems getrost Krankheiten aussetzen und dadurch seine Gesundheit sogar noch weiter stärken können, so läuft dies alles relativ glimpflich ab, solange die äußeren Eingriffe nicht zu massiv oder für das System zu fremdartig werden.

Es gibt in der Natur ein wichtiges Grundgesetz — in der Physik als Entropiesatz oder <Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik> bekannt, nach dem in abgeschloss­enen Systemen eine unwahrscheinliche Konfiguration (kleine Entropie) im Laufe der Zeit sich automatisch in eine wahrscheinlichere (mit größerer Entropie) verwandelt. Dies hat die wesentliche Konsequenz, daß jegliche Ordnungsstruktur in einem System, jede Besonderheit, jedes Ausgezeichnetsein letztlich abgebaut und zerstört wird, sich also von alleine in Unordnung auflöst, wenn nicht von außen eine ordnende Hand eingreift. Das überrascht uns nicht. Wir können diese Erfahrung täglich bei unserem Schreibtisch machen.

Zu diesem <natürlichen> Trend zur Ordnungsminderung oder auch — wenn wir sinngemäß höher differenzierte Strukturen mit einem höheren Wert belegen — zur <Wertzerstörung> beobachten wir nun auf unserer Erdoberfläche erstaunlicherweise eine Gegenentwicklung der ständigen <Wertschöpfung> oder <Werterzeugung>, wie sie am deutlichsten in der Evolution des Lebendigen zu immer höher differenzierten Organismen zum Ausdruck kommt. Dieses scheinbar anormale Verhalten zur <Wertsteigerung> und strukturellen Höherentwicklung geschieht aber nicht im Widerspruch zum Entropiesatz, der eine automatische Vermehrung von Unordnung oder Entropie fordert, sondern ist eine Folge davon, daß die Erde im elektromagnetischen Strahlungsfeld der Sonne liegt.

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Durch das Sonnenlicht wird der Erde dauernd Ordnungsenergie oder Syntropie (negative Entropie) zugeführt. Die Sonne spielt also gewissermaßen in der Evolution des Lebens die Rolle einer ständig <ordnenden Hand>, welche den allgemeinen Wertzerfall teilweise in einen Wertzuwachs umkehrt. Es ist diese ständige Syntropiezufuhr — dieses stetige <Einkommen> an Ordnungsenergie, an Syntropie, das wir täglich kostenlos von der Sonne entgegennehmen, welche die Evolution des Lebendigen auf der Erde vorantreibt und die primär auch für die Wertschöpfungs­prozesse der Menschen verantwortlich ist.

Wenn wir dabei von einem <Wertschöpfungsprozeß der Menschen> sprechen, so muß dieser hier zunächst in der hier verwendeten allgemeineren Bedeutung verstanden werden und nicht in dem in der Ökonomie üblichen eingeschränkteren Sinne. In der Ökonomie bezieht sich Wertschöpfung ja im wesentlichen auf die <Erzeugung von Tauschwerten>, was in der Regel bei der hier verwendeten Werte-Definition mehr einem <Wertvernichtungsprozeß> gleicht. Denn die enorme industrielle Entwicklung wurde erst möglich durch eine sekundäre Nutzung der Sonnen-Syntropie über die fossilen Energieträger Kohle, Erdöl und Erdgas. 

In einem Jahrhundert verschleudern wir mit diesen Energieressourcen ein ungeheures Syntropie-'Vermögen' unserer Erde, das in der Vergangenheit — vermöge der Photosynthese energiereicher Kohlenstoff­verbind­ungen durch grüne Pflanzen und Kleinorganismen — über Hunderte von Jahrmillionen aus der Sonneneinstrahlung (also millionenmal langsamer) aufgesammelt wurde.

Die 'Wertschöpfung' und Produktivität moderner Industriegesellschaften gleicht deshalb mehr der Methode eines Bankräubers, der die geringen Kosten seiner Schweißgeräte mit den wesentlich größeren <Gewinnen> bilanziert, die ihm als Beute beim Knacken von immer neuen und reicher gefüllten Tresoren mit Naturschätzen zufällt. Dieser Vergleich mag schief erscheinen. Denn wie insbesondere Wirtschafts­wissen­schaftler immer wieder betonen:

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Die uns umgebende Natur sei doch unermeßlich reich an Naturschätzen, die niemanden gehören (warum also Raub?), und außerdem seien diese Naturschätze ja in der natürlich vorkommenden, in der Erde verborgenen Form zunächst völlig wertlos (warum also Schätze?), wenn eben nicht der intelligente, einfallsreiche menschliche Geist genügend Verstand entwickelt hätte, sich hierzu einen geeigneten Zugang zu verschaffen. Die von niemanden bestrittene Endlichkeit bestimmter nicht-erneuerbarer Ressourcen erscheint also bei dieser Betrachtung im wesentlichen unwirksam, da sie gewissermaßen immer wieder durch die unbegrenzte Phantasie des Menschen, sich immer neue Ressourcen zu erschließen, überlistet oder sogar überkompensiert wird.

Bei einem Rückblick auf die Vergangenheit mit ihren großen wissenschaftlich-technischen Erfolgen mag diese Vorstellung gerechtfertigt erscheinen. Dies bedeutet jedoch nicht, daß sie letztlich schlüssig ist. Im Gegenteil: Die hemmungslose Eskalation im Verbrauch nicht-erneuerbarer Ressourcen führt in der Folge zu einer immer mehr beschleunigten Erschöpfung dieser Ressourcen und ihrer nachfolgenden Ersatzstoffe. Die Substitution von Ressourcen gelingt nämlich nur teilweise und ist letztlich begrenzt, weil auch Naturwissenschaftler keine Zauberer sind, obgleich sich manche in diesem Sinne sehen und als solche anbieten. Es erscheint beliebig unwahrscheinlich, daß diese losgetretene Lawine aus sich heraus je geeignete Gegenkräfte wird entwickeln können, um ihre Dynamik einzufangen, bevor sie, wegen der Endlichkeit der Erde, in einer vor allem für uns Menschen gigantischen Katastrophe endet.

Diese offensichtliche Destabilisierung wird darüber hinaus noch erheblich verschärft durch eine direkt damit gekoppelte Eskalation in der Erzeugung von ,Müll’, als was wir die Endprodukte dieser Ressourcen ansehen, die — weil für uns unbrauchbar — nicht mehr auf eine geeignete Weise zum Anfangspunkt des Produktions­kreislaufes zurückgeführt werden.

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Auf Grund des Entropiesatzes ist jeglicher Wertzuwachs immer gleichzeitig mit einem Wertzerfall verknüpft. Dies ist für uns jedoch oft nicht so sichtbar, weil die Wertminderung etwa durch eine nicht wahrgenommene Verwandlung von hochwertiger Energie — zum Beispiel elektrischer Energie oder chemischer Energie eines Brennstoffes — in minderwertige Wärmeenergie erfolgt. Je weniger und je langsamer Umwandlungen stattfinden, umso geringer der Wertzerfall oder der Syntropieverbrauch.

Deshalb sind Mäßigung und Entschleunigung die besten Voraussetzungen, um bei Syntropiezufuhr den <unnatürlichen> Aufbauprozessen gegenüber den <natürlichen> Abbauprozessen eine Chance zu geben. Im Gegensatz zur Technik, die vor allem in ihrer alten Form rasante, hochbeschleunigte Prozesse bevorzugt und damit Syntropie nutzlos verschleudert, bevorzugt die uns umgebende Natur bei ihren Umwandlungen genügend sanfte und langsame Prozesse, um die Syntropie voll auszunutzen.

Da die Zukunft wegen der komplexen Struktur der Wirklichkeit in wesentlichen Teilen nicht nur praktisch, sondern prinzipiell nicht prognostizierbar ist — physikalisch sprechen wir in diesem Zusammenhang von einem <deterministischen Chaos> —, liefert die in der Technik an einfachen Systemen erfolgreich erprobte und deshalb dominant bevorzugte Strategie, Prozesse bezüglich bestimmter, ausgewählter Optionen zu maximieren, nur kurzfristige Vorteile. 

Um langfristig überlebensfähige Strukturen zu entwickeln, müssen vielmehr Entwicklungsprozesse gewählt werden, bei denen die Zahl möglicher Optionen maximiert wird, damit höhere Flexibilität und deshalb eine bessere Anpassungsfähigkeit an sich verändernde äußere Bedingungen erreicht wird. Die Existenz des Menschen ist dafür das beste Beispiel. Aus diesem Grunde dominiert in der uns umgebenden Natur die differenzierte Vielfalt über die machtvolle Einfalt, und dies nicht — so viel wir heute wissen — aufgrund einer eingeprägten Absicht der Natur, sondern als Ergebnis eben dieses Ausleseprozesses. Ein Evolutionsprozeß, der höher differenzierte Strukturen hervorbringen will, muß daher genügend langsam erfolgen, um den vielfältigen Neuschöpfungsversuchen eine Chance zu geben, ihre Lebensfähigkeit und möglicherweise ihre relative Überlegenheit in Wechselwirkung mit den schon existierenden Lebensformen gründlich zu erproben.

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Es wäre deshalb für uns Menschen ratsam, bei unseren Handlungen die Natur nicht als unseren Gegenspieler zu betrachten, sondern voll mit ihr zu kooperieren, um an ihrer über Viermilliarden Jahre alten Erfahrung teilzuhaben. Wir müssen unser Handeln und Wirtschaften so ausrichten, daß wir die Vitalität und Produktiv­kraft unseres irdischen Ökosystems - d.h. seine ökologische <Nachhaltigkeit> im Sinne der <Sustainability> - in unserem eigenen Interesse fördern und nicht zerstören.

   

  3. Realisierung einer ökologisch nachhaltigen Wirtschaft  

 

Doch wie läßt sich eine ökologisch nachhaltige Wirtschaft in unseren heutigen <real existierenden> Gesellschaftssystemen praktisch verwirklichen? Hier stehen wir vor einer fast unlösbaren Aufgabe. Denn die Möglichkeit, irgendwelche Ziele überhaupt <aktiv> ansteuern zu können, setzt zunächst eine prinzipielle Steuerungsfähigkeit des gesellschaftlichen Systems voraus, was wiederum eine ausreichende Flexibilität und Reaktionsfähigkeit seiner Glieder verlangt. Dies kann wohl nur bei einer genügend weitgehenden Dezentralisierung der gesellschaftlichen Gesamtstruktur erreicht werden.

Denn Flexibilität verlangt notwendig eine umfassende und unabhängige Partizipation der Menschen, was nur in relativ kleinräumigen Strukturen — <small is beautiful> (nach Fritz Schuhmacher und seinem geistigen Vorgänger, dem Alternativen Nobelpreisträger 1983 Leopold Kohr) — funktioniert, da sie wechselseitige Dialoge voraussetzt. Auch brauchen wir dringend zur Orientierung <neue> Wertvorstellungen. Vermutlich müssen die Werte dabei gar nicht so neu sein, sondern könnten unmittelbar an den tradierten Weisheiten der alten Weltkulturen anknüpfen, die uns Liebe, Mitgefühl und Kooperation lehren.

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Dem gegenüber scheint unser westlicher <wissenschaftlich-technisch-wirtschaftlicher Fundamentalismus> — mit seiner irrigen Vorstellung, bei ausreichender Kenntnis aller Gegebenheiten letztlich alles <in den Griff> bekommen zu können, und mit seiner primitiven Bewertung, alle Werte entsprechend dem Tauschwert allein durch Geld zu beziffern — eher in letzter Konsequenz zu Sinnentleerung, Erstarrung und Einebnung ethnischer und kultureller Vielfalt zu führen.

Ethnische und kulturelle Vielfalt ist jedoch für die Überlebensfähigkeit der Menschheit so wichtig wie die Artenvielfalt für die belebte Natur; sie ist der hochdifferenzierte Humus, aus dem neue Formen wachsen müssen. Allerdings wird die ethnisch-kulturelle Vielfalt ihre vitalitätsstärkende Rolle nur spielen können, wenn diese nicht durch Arroganz und Machtstreben in unzähligen, unfruchtbaren Nationalitäten­streitig­keiten zermürbt und aufgerieben wird, sondern in wechselseitiger Hochachtung und aktiver Toleranz, im Geltenlassen eines <sowohl-als-auch> ihre synergetischen und symbiotischen Wechselbeziehungen entwickelt, bei denen zum Nutzen aller das Ganze mehr wird als die Summe seiner Teile.

Die vor uns stehende Aufgabe einer ökologisch nachhaltigen Wirtschaft ist in der Tat gigantisch und ihre Realisierung, wie von allen <Realisten> immer wieder betont, absolut utopisch.

Wenn aber - wie immer gesagt wird - die Utopien von gestern die Realitäten von heute sind, so müssen den Realitäten von morgen Utopien heute vorausgehen. Viele betonen in diesem Zusammenhang, daß dies vor allem und zunächst einen grundlegenden Bewußtseinswandel bei uns in den industrialisierten Ländern und eine entsprechende Veränderung unseres Lebensstils nötig macht. Das ist zweifellos richtig. Aber wir würden dazu wohl die Einsichtsfähigkeit und den Idealismus der Menschen überfordern.

Zur Unterstützung dieses Prozesses müssen dringend die Gesetze staatlicher Verfassungen und die Rahmenbedingungen der Wirtschaft derart geändert werden, daß in dem von ihnen zugelassenen freien Spiel der Kräfte die augenblickliche krasse Diskrepanz zwischen ökonomischer und ökologischer Rationalität gemildert und langfristig aufgehoben wird.

Recht und Wirtschaft müssen ihre Naturvergessenheit überwinden und in ihren Normen und Handlungsweisen berücksichtigen, daß unsere Umwelt künftig nicht mehr als kostenlose Goldmine und Müllkippe einkalkuliert und mißbraucht wird.

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Umweltschutz nur als einen gigantischen Reparaturbetrieb zu interpretieren, wie dies vornehmlich heute geschieht, ist kurzsichtig und irreführend, da jegliche vermehrte Aktivität (sofern sie nicht einer besseren Verwertung der Sonnensyntropie dient) — aufgrund des Entropiesatzes — notwendig irgendwo zusätzliche Zerstörung bewirkt. Wir müssen deshalb mit aller Kraft auf Formen der Produktion und des Verbrauchs hinwirken, bei denen Schäden von vornherein weitgehendst vermieden werden.

Die Einführung ökologisch motivierter gesetzlicher Rahmenbedingungen in eine Wirtschaftsordnung steht nicht im Widerspruch zur Vorstellung einer ,freien Marktwirtschaft’ in ihrer ursprünglichen Bedeutung, weil Freiheit nie von Verantwortung entkoppelt werden kann. Auch die bisher üblichen Marktmechanismen sind ja nicht ,frei’ im Sinne von <willkürlich>, da sie sich an gewisse Normen — so vor allem die Menschenrechte, die verfassungsmäßige Ordnung, die Sittengesetze und andere Gesetze von Recht und Ordnung — halten müssen. Es ist dringend geboten, hier weitere Forderungen zu erheben, um wenigstens die verbal proklamierten Bedingungen des Generationenvertrags zu erfüllen, der uns doch verpflichtet, nach Möglichkeit unseren Kindern keine minderwertigere Erde als die von unseren Eltern übernommene zu hinterlassen.

Jeder, der sich einmal mit den Fragen des <nachhaltigen Wirtschaftens> befaßt hat, weiß selbstverständlich, wie schwierig es ist, präzise zu beschreiben, was wir nun eigentlich praktisch darunter verstehen sollen. Es erscheint unmöglich, den Begriff der <Nachhaltigkeit> genügend zu konkretisieren, um ihn etwa in Form eines allgemeinen Rezeptbuches für alle Interessenten anwendbar zu machen. Das hat nicht nur mit einer augenblicklichen Unkenntnis zu tun, die etwa durch weitere Forschung und Expertisen ausgeräumt werden könnte, sondern ist von einer prinzipiellen Art.

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Genau betrachtet sind wir dabei nämlich als Menschen in keiner schlechteren Situation als die ‚Natur’ selbst: denn die ‚Natur’ auf der Erde versucht ja (unserer heutigen Kenntnis nach) nicht ihre langfristigen, nach immer weiterer Differenzierung strebenden Ordnungsstrukturen aufgrund eines umfassenden Superplanes (mit einem bestimmten Ziel im Auge) zu verwirklichen, sondern sie muß diese nach dem Prinzip von <Versuch und Irrtum>, gewissermaßen spielerisch, aber unter optimaler Ausnützung synergetischer Vorteile - also konstruktiven Zusammenwirkens schon existierender Lebensformen - herausfinden. Nachhaltigkeit wird also nicht in der genauen Befolgung ganz bestimmter Rezepte, sondern durch eine offene, aufmerksame, umsichtige Lebenseinstellung erreicht.

Leichter ist es dagegen anzugeben, welche Maßnahmen und Verhaltensweisen ein ökologisch nachhaltiges Wirtschaften verschlechtern oder befördern werden, was allerdings nicht heißt, daß wir dadurch der Lösung unserer Aufgabe schon wesentlich näher wären. Denn die eigentlichen Schwierigkeiten treten doch bei der praktischen Umsetzung auf. Hierbei müssen wir einerseits schmerzhaft erkennen, daß wir uns selbst als Verbraucher und potentieller Nutznießer im Wege stehen. Andererseits müssen wird zusätzlich auch gegen alle die vielfältigen Machtstrukturen ankämpfen, deren Reichtum und Einfluß zu wesentlichen Teilen ja bisher durch ein <Nicht-nachhaltiges Wirtschaftsverhalten> gespeist wurden.

Um bei den Änderungsbemühen nicht sofort Don-Quixotisch zu scheitern, ist es deshalb wichtig, sorgfältig nach <Katalysatoren> zu suchen, die nüchtern und illusionslos von den bestehenden wirtschaftlichen und politischen Kräfte ausgehen und sie konstruktiv für die notwendigen Transformationen einzuspannen versuchen.

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    4. Energie als Schlüssel zum Einstieg  

 

Im Hinblick auf die notwendigen Veränderungen unserer Wirtschaft in Richtung auf eine ökologisch nachhaltige Wirtschaftsweise kommt den Fragen der langfristigen Energieversorgung und -nutzung eine Schlüsselrolle zu.

Dies ist offensichtlich, spielt doch die <arbeitsfähige> Energie und die mit ihr verbundene Syntropie als Motor aller Umwandlungsprozesse in der Natur eine entscheidende Rolle. Dazu kommt, daß Fragen der Energie, verglichen mit den hochkomplexen ökologischen Problemen, wissenschaftlich und technisch einfacher zu fassen sind. Deshalb bietet sich die Energieproblematik als Einstieg in die umfassende Problematik einer ‚Nachhaltigen Wirtschaft’ besonders an und erscheint auch als Ansatzpunkt für eine praktische Umsetzung in der Gesellschaft hervorragend geeignet.

Zunächst einige begriffliche Klarstellungen. Für den Physiker ist die Energie eine Größe, für die ein strenger Erhaltungssatz gilt, was besagt: Energie wird nirgends erzeugt und nirgends verbraucht. Energie kann sich nur von einer Form in eine andere verwandeln, z. B. von elektrischer Energie in Bewegungsenergie oder in Wärmeenergie. Was wir verbrauchen, ist eigentlich nicht Energie, sondern wir brauchen zunächst etwa: Licht zur Beleuchtung, Kraft zum Antrieb einer Maschine oder zur Verformung von Materialien, ein warmes Zimmer, die Möglichkeit zum Kochen, uns schneller als zu Fuß fortzubewegen usw. Wir nennen dies Energiedienstleistungen.

Sie hängen eng mit der vorher schon erwähnten Ordnungseigenschaft Syntropie zusammen. Die verschiedenen Formen der Energien sind nämlich nicht gleichwertig. Es gibt kostbare, <arbeitsfähige> Energie (mit hoher Syntropie), wie z.B. elektrische oder mechanische Energie und nutzlose, <nicht-arbeitsfähige> Energie, wie z.B. gleichverteilte Wärmeenergie. Bei jeder Umwandlung von Energien findet gewöhnlich eine Qualitätsminderung der Energie statt, wird Syntropie verbraucht. Bei Energiedienst­leistungen wird höherwertige Energie in minderwertigere Energie, meist Umgebungswärme, verwandelt.

Wenn wir z.B. Auto fahren, so wird letztlich — wenn wir an unseren Ausgangspunkt zurückkehren — keine Energie verbraucht. Vielmehr wird die im Benzin gespeicherte chemische Energie vollständig in Wärmeenergie der Reifen, der Straßen, der Bremsbeläge, der Luft usw. verwandelt. Auch ein warmes Zimmer braucht keine Energie. Die Heizung ist nur zur Kompensation der Wärmeverluste an die kältere Umgebung nötig.

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Intelligente Energieerzeugung und Energienutzung bedeutet deshalb die Qualitätseigenschaft der Energie, ihre Syntropie bestmöglich zu nutzen. Hier liegen enorme Möglichkeiten für eine effizientere Befriedigung unserer vielfachen Bedürfnisse. Diese Potentiale werden gewöhnlich weit unterschätzt, zum Teil weil sie unter der üblichen Bezeichnung <Energieeinsparungen> bei uns ganz falsche Assoziationen und meist mit negativer Färbung wecken.

 

Bei der Betrachtung verschiedener Energieformen ist es lehrreich, sich einmal anschaulich ihre quantitativen Entsprechungen vor Augen zu führen. Ein Vergleich der mechanischen, elektrischen und thermischen Energie-Einheiten liefert aufschlußreiche Überraschungen.

So läßt sich z.B. bei Verbrennung von 1 kg Steinkohle, also etwa von zwei Händen voller Eierkohlen, eine Tonne (100 x 10-Liter-Eimer) Wasser um 7° erhitzen.

Mit derselben Energie kann man aber dieselbe Wassermenge, also eine Tonne Gewicht, etwa 3000 m hoch heben! Dies entspricht der mechanischen Arbeit eines Zugpferdes für einen ganzen Arbeitstag (10 Stunden) oder von vier Menschen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Elektrisch betrachtet entspricht dies 8 Kilowattstunden, also der von einer Kochplatte (1 kW) über 8 Stunden abgegebenen Wärmeenergie.

Auffallend ist also, wie wenig kostbar mechanische Energie ist und damit auch die physische Arbeits­energie des Menschen. Verglichen mit den Stromkosten dürften wir einem Sklaven mit seiner körperlichen Energieleistung von etwa einer Fünftel Kilowattstunde pro Stunde nach heutigen Stromtarifen nur etwa 50 Pfennig für seinen zwölfstündigen Arbeitstag oder etwas mehr als 4 Pfennig für die Arbeitsstunde bezahlen. Hier wird deutlich, was billige Energie heißt.

Wir können dies noch anschaulicher machen, wenn wir diese Zahlen mit dem durchschnittlichen Energie­verbrauch einer einzelnen Person (Mann, Frau, Kind) in den Industrie­nationen und den Entwicklungs­ländern vergleichen.

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Der Leistung 1 kW, d.h. von durchschnittlich 1 kW-Stunde (kWh) für jede Stunde Tag und Nacht, entsprechen mehr als die Leistung eines Pferdes oder von vier Menschen in dauerndem Einsatz oder 1/10 Liter Erdöl pro Stunde. Da Menschen (und auch Pferde) nicht ununterbrochen arbeiten können, ist die bessere Vergleichszahl 1 kW = 10 Sklaven.

Bei einer mittleren Energieverbrauchsleistung von 11 kW in den USA heißt dies, daß jeder US-amerikanische Staatsbürger im Schnitt 110 Sklaven für sich beschäftigt, ein mittlerer 4-Personenhaushalt also insgesamt ein Gesinde von 440 Sklaven. Ein Europäer mit einer mittleren Energieverbrauchsleistung von 6 kW beschäftigt immerhin noch 60 Sklaven, während ein Mensch aus einem armen Entwicklungsland wie Bangladesch mit einer Energieverbrauchsleistung von knapp 100 W gerade noch einen Sklaven für sich beansprucht. Ein Chinese hat schon 10 Sklaven. Wir sollten uns diese Zahlen immer wieder vor Augen halten, wenn wir über die Frage der Zumutbarkeit einer Mäßigung unseres Energieverbrauchs nachdenken.

Im Vergleich zu den chemischen Energien (die im Ursprung, aufgrund der Kräfte in der Atomhülle, elektromagnetischer Natur sind), wie sie beim Verbrennen von Steinkohle oder Benzin auftreten, werden bei der Spaltung von schweren Atomkernen, wie z.B. dem spaltbaren Uranisotop U-235, auf die Masse bezogen eine Million mal mehr Energie freigesetzt: 1 kg U-235 entspricht energetisch also etwa 1000 Tonnen oder 1 Kilotonne Steinkohle. Andererseits ist das spaltbare Uranisotop nur zu 0,7 % im Natururan vorhanden.

  

  5. Engpässe bei Energiequellen und Energiesenken  

 

Unsere menschlichen Aktivitäten werden aus einer Reihe von Energiequellen gespeist. Als praktisch zeitlich unbegrenzte Energie-Ressource, gewissermaßen als ständiges Energie-Einkommen, steht uns nur die täglich von der Sonne zugestrahlte <arbeitsfähige> Energie (mit einer Leistung von 178.000 Terawatt) zur Verfügung, (wobei wir, wenn wir <unbegrenzt> sagen, davon absehen, daß unsere Sonne bald ihre Lebensmitte erreicht hat und in etwa 5 Milliarden Jahren ihre Kernfusionsenergie-Vorräte aufgezehrt haben wird).

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Soweit diese Sonnenstrahlung nicht schon von der oberen Erdatmosphäre in den Weltenraum reflektiert wird, können wir sie primär direkt über das Sonnenlicht oder sekundär als Wasser- und Windenergie oder über Biomasse nutzen.

Wirtschaftlich wird die Sonnenenergie heute nur in einem sehr begrenzten Umfange genutzt. Von dem heutigen Weltprimär­energieverbrauch (1990) mit einer Leistung von etwa 13 Terawatt, was etwa 1/13 700 der Sonneneinstrahlung oder der Körperleistung von 130 Milliarden Sklaven oder bei 5,4 Milliarden Menschen auf der Erde durchschnittlich 2,4 kW pro Person oder 24 Sklaven entspricht, werden weltweit nur etwa 1,6 Terawatt (TW) oder 12 % durch Biomasse und weitere 0,8 TW oder 6 % durch Wasserkraft abgedeckt.

Diese Zahlen sollten verglichen werden mit den 40 TW der Sonnenenergie (also etwa dem dreifachen des Welt-Primärenergieverbrauchs), die nach heutigen Schätzungen auf den Landflächen der Erde im Mittel als Biomasse gebunden werden, was also bezüglich der Gesamt-Sonnenstrahlung nur zu etwa 0,2 Promille gelingt.

Dieser winzig klein erscheinende Wirkungsgrad geht jedoch nur zu einem kleinen Teil, nämlich zu etwa 5 %, zu Lasten der eigentlichen Photosynthese der Pflanzen. Hier spielt vor allem eine Rolle, daß etwa nur ein Viertel der Sonnenenergie, nämlich im wesentlichen nur im roten und violetten Wellenlängenbereich des sichtbaren Lichtes, photosynthetisch aktiv ist und in diesen Bereichen im Mittel nur zu 28 % konvertiert wird.

Hierbei ist die Energieaufnahme im langwelligen (roten) Bereich (33 %) effektiver als im kurzwelligen (ultravioletten) Bereich (22 %), weil im Schnitt für die Bindung eines Kohlenstoffatoms sechs Photonen unabhängig von ihrer Energie nötig sind. Durch Reflexion des Lichtes an den Pflanzen gehen nochmals 25 % verloren. Insbesondere im grünen Bereich, also gerade dort (Wellenlänge 0,48 Mikron), wo die Sonne ihre höchste Intensität besitzt, ist sogar wegen der starken Reflexion dieses Lichtes durch grüne Pflanzen die Biomassebildung am geringsten.

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Zusammengenommen wird dadurch der Wirkungsgrad auf etwa 0,25 x 0,28 x 0,75 = 5 % reduziert. Dieses charakterisiert ein absolutes Maximum. Ungefähr wird dies auch kurzzeitig realisiert im tropischen Regenwald (direkt gemessene Biomassebildung bis zu 4,4 %). Die über ein Jahr gemittelte Ernteproduktivität in den USA liegt bei 1,7 %, wobei allerdings eine zusätzliche Energiezufuhr durch den Kunstdünger gegengerechnet werden muß. Auch in den Tropenwäldern sinkt wegen des Eigenverbrauchs und der starken Abbauprozesse im warmen Klima die Netto-Biomassenrate auf weniger als 1 %. Im allgemeinen bleibt aus ähnlichem Grunde auch andernorts die Netto-Biomassenrate wesentlich unter 1 %, insbesondere wenn auch eine große Zahl anderer Faktoren wie Bewölkung, Blattabschattung, klimatische (Temperatur) und geographische Bedingungen berücksichtigt werden.

Im Vergleich zu der von außen auf die Erde fallenden Sonnenstrahlung ist die auf der Erdoberfläche ankommende Sonnenstrahlung um etwa 44 % reduziert, weil ein erheblicher Teil aufgrund von Reflexion in der oberen Atmosphäre (33 %), Verdunstungsarbeit (21 %) und Winderzeugung (2 %), verloren geht. Zieht man nun noch in Betracht, daß nur etwas weniger als 30 % der Erdoberfläche von 510 Millionen km2 aus Land besteht, von dem wiederum ungefähr nur 60 Millionen km2, also weniger als die Hälfte (oder rund 12 % bezogen auf die Erdoberfläche) für die Photosynthese 'ausreichend’ pflanzen­überwachsen ist, so daß sich leicht die früher erwähnte Biomassenbildung von etwa 0,02 % verstehen läßt. 

Für die mittlere Biomassen-Erzeugungsrate auf den bewachsenen Flächen errechnet sich ein Wert von etwa 0,65 W/m2. Es ist nicht ganz richtig, die Meere bei dieser Aufrechnung ganz zu vernachlässigen, da sich im Küsten­bereich ähnliche Erzeugungsraten für die Biomasse wie im Tropenwald ergeben, die allerdings auch hier nur von kurzem Bestand ist, zum Teil weil sie den gewichtigen Anfang einer langen Nahrungskette bildet.

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Der Löwenanteil, nämlich 82 % des Welt-Primärenergieverbrauchs von 13 TW oder 10,7 TW, ist jedoch nicht mit der ständig zuströmenden Sonnenenergie verbunden, sondern basiert auf nicht-erneuerbaren Energieträgern, so vor allem 77 % auf den fossilen Brennstoffen Kohle, Erdöl und Erdgas, und etwa 5 % auf Atomkernspaltung.

Das gesamte jemals vorhandene Weltvorkommen an fossilen Brennstoffen, von denen wir schon einen großen Teil aufgebraucht haben, entspricht energiemäßig nur der Sonneneinstrahlung von etwa zwei Wochen. Dies mag uns überraschen, wenn wir daran denken, daß sich die fossilen Lagerstätten über Zeiträume von hundert Millionen Jahren gebildet haben. Wir müssen dem gegenüber uns jedoch daran erinnern, daß weit weniger als ein Promille der Sonnenenergie zeitweise in Biomasse gebunden wird und Biomasse geologisch nur unter ganz besonderen geologischen Bedingungen (mit weniger als einer millionstel Wahrscheinlichkeit) in tiefere Erdschichten gelangt.

Die zeitlichen Reichweiten der nicht-erneuerbaren Energieträger ergeben sich aus einem Vergleich des Vorkommens und der Verfügbarkeit dieser Energieträger in der uns zugänglichen Erdkruste mit unserem jetzigen und künftig zu erwartenden Energieverbrauch. Hier treten gravierende Engpässe auf. Vergleicht man etwa den jetzigen Weltverbrauch von fossilen Energieträgern, der etwa einer halben Stunde Sonneneinstrahlung entspricht, mit dem <zwei-wöchigen> Vorkommen der fossilen Brennstoffe, so kommt man auf eine Reichweite von etwa 600 Jahren.

Diese Abschätzung ist aber viel zu grob. Sie muß in dreierlei Hinsicht verbessert werden. Erstens lassen sich nicht alle Vorkommen wirtschaftlich vernünftig abbauen. Zweitens müssen wir in Betracht ziehen, daß Vorrat und Verbrauch bei den verschiedenen fossilen Energieträgern in sehr verschiedener Beziehung zueinander stehen. So ist insbesonders Erdöl im Vergleich zu Kohle viel seltener, der Verbrauch von Erdöl jedoch höher als der von Kohle. Dies bedeutet, daß Erdöl wesentlich schneller als Kohle bei Fortschreibung des jetzigen Trends zur Neige gehen wird.

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Wir müssen schließlich drittens berücksichtigen, daß der Verbrauch keineswegs bei den jetzigen Zahlen stehenbleiben wird, sondern, wie dies die Vergangenheit gezeigt hat, wohl weiterhin jährlich eine gewisse Zuwachsrate (etwa 3 % für Erdöl und Erdgas und etwas weniger für Kohle) erfährt. Unter allen diesen Gesichtspunkten gelangt man für die Reichweiten etwa zu den Prognosen: Steinkohle und Braunkohle 200 Jahre, Erdöl 45 Jahre und Erdgas 60 Jahre.

Selbst wenn wir die Vorräte an fossilen Energieträgern auf irgendeine Weise - etwa durch massiven Einsatz von Kernenergieträgern - effektiv verdoppeln könnten, so würde dies bei einem 3%-igen jährlichen Wachstum des Energie­verbrauchs die drohende Verknappung nur um etwa 23 Jahre hinauszögern. Wir müssen also zu drastischen Mitteln greifen, um aus unserem globalen Energiedilemma herauszukommen.

Das ist aber noch nicht alles. In unseren Überlegungen haben wir bisher nämlich nur die künftigen Engpässe auf der Ressourcenseite der Energie in Betracht gezogen. Wie heute immer deutlicher wird, treten jedoch auf der Entsorgungs­seite nicht minder große Schwierigkeiten auf, die langfristig ebenfalls eine Beschränkung des Energieumsatzes notwendig machen. Allgemein bekannt ist dies heute ja durch die Erzeugung von Kohlendioxyd bei der Verbrennung von kohlenstoffhaltigen Brennstoffen (vor allem also von Kohle, dann aber auch von Erdöl und im geringeren Maße von Erdgas), das als Treibhausgas Klima­veränderungen im globalen Maßstab herauf­beschwört. 

Vermutlich ist dies nur die Spitze eines Eisbergs, erscheint es doch unmittelbar einleuchtend, daß alle anthropogenen, technisch aufbereiteten und angewendeten Energieflüsse in irgendeiner Weise, direkt oder indirekt, zu mehr oder weniger großen Störungen des irdischen Ökosystems führen.

   

Wolfram Ziegler hat in einer Studie, in welcher der anthropogene Ausfall biologischer Arten als wichtiger Hinweis für die technisch-zivilisatorische Überbelastung der natürlichen Systeme gewertet wird, die interessante These vertreten, daß der anthropogene und letztlich thermische durchschnittliche Energiefluß pro Zeit- und Flächeneinheit effektiv als Kausal- und Kenngröße für die Umweltbelastung geeignet sei. Für Mitteleuropa kommt er hierbei auf eine maximale Grenzbelastung von 160 ± 20 kW/km2 oder 0,16 ± 0,02 W/m2.

Es ist interessant, diese <empirisch> ermittelte Grenzbelastung mit der in Deutschland im Mittel am Boden einfallenden Sonnenstrahlung von 116 W/m2 zu vergleichen. Die Grenzbelastung liegt hierzu bei etwa einem Promille. Aufschlußreicher erscheint vielleicht ein Vergleich mit dem früher abgeschätzten Mittelwert für die sonnen-induzierte Biomasse von etwa 0,65 W/m2 (also etwa 0,5 % im Vergleich zur am Boden ankommenden Sonnenstrahlung). Dies bedeutet, daß der ökologisch maximal verträgliche kommerzielle Energieumsatz bei etwa einem Fünftel der im Mittel durch Sonnenenergie gebildeten Biomasse liegt. Für den Globus ließe sich daraus eine Grenzbelastung durch anthropogene, technisch aufbereitete Energieumsätze in Höhe von insgesamt 8 TW extrapolieren.

Es sollte vielleicht nochmals betont werden, daß die hier abgeschätzten Grenzwerte unabhängig von der Ressourcenfrage sind, da von den negativen Auswirkungen der Energieumsetzung auf die Ökosphäre (output oder Entsorgung) und nicht von der Knappheit von Primärenergieträgern (input) ausgegangen wurde. Wir nehmen dabei an, daß Sonnenenergie-Nutzung nicht in die hier akzentuierten anthropogenen, technisch aufbereiteten Energieumsätze eingerechnet werden muß, was gerechtfertigt erscheint, solange diese nicht extrem anders als in der Natur (z.B. durch hohe Konzentration) vor sich geht. Da das Biosystem der Erde sich über Jahrmilliarden auf die Sonneneinstrahlung als wesentliche Primär­energie­quelle eingestellt hat, erscheint das hier gewonnene Ergebnis, daß eine Störung des Biosystems dann schädlich wird, wenn es sich den Werten der sonnen-induzierten Biomasse nähert, recht plausibel.

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    6  Das persönliche Energie-Budget   

 

Eine solchermaßen vorgegebene energetische Grenzbelastung der Ökosphäre von etwa 8 TW würde dann entsprechend der jeweiligen Bevölkerungsdichte eine Begrenzung des mittleren Pro-Kopf-Verbrauchs an Primär­energie erfordern. 

Unter der Annahme einer gleichverteilten Nutzung der <Natur> auf unserer Erde durch die derzeitig etwa 5,4 Milliarden Menschen — was offensichtlich ein Gebot der Gerechtigkeit sein sollte, würde aufgrund dieser Überlegungen ein Primär­energie­verbrauch pro Kopf von nur etwa 1,5 Kilowatt­stunden , also 1,5 kW pro Stunde zulässig erscheinen. 

Dies entspricht pro Kopf und Jahr 13.000 Kilowatt­stunden oder 1300 Liter Erdöl oder 1,6 Tonnen Steinkohlen oder auch 13.000 km Inter­kontinentalflug.

Dieser Wert von 1,5 kW muß mit den etwa 6 kW pro Kopf-Verbrauch eines Mitteleuropäers, den 11 kW eines US-Amerikaners, den 800 W eines Chinesen oder den 80 W eines Bewohners der ärmsten Länder verglichen werden.

Lassen Sie mich bezüglich dieser Zahl 1,5 kW oder 8 TW für den totalen Verbrauch eine kurze kritische Bemerkung machen.

Zweifellos ist die hier vorgestellte Abschätzung einer Energiegrenzbelastung des irdischen Ökosystems von etwa 8 TW (was der persönlichen Primär­energie­leistung von 1,5 kW entspricht) reichlich anfechtbar. Dennoch gewinnt man den Eindruck, daß ein Wert in dieser Größenordnung in vielerlei Hinsicht plausibel erscheint. Er ist nicht weit weg von dem jetzigen Weltmittelwert ohne Biomasse und Wasserkraft von 10,7 TW (was einem Pro-Kopf-Wert von 2,0 kW entspricht), von dem wir den Eindruck haben, daß er langfristig schon nicht mehr ökologisch verträglich sei.

Sollten wir jedoch in der Tat unsere Abschätzung zu pessimistisch gemacht haben, so wird dies in Zukunft außerordentlich hilfreich sein, da wir mit Sicherheit, wenigstens in den nächsten Dekaden, mit weit mehr als 5.4 Milliarden Menschen zu rechnen haben. Schließlich haben die insgesamt nur noch 8 TW kommerzielle Primärenergie eine Größenordnung, von der man sich gut vorstellen kann, daß sie — wenn wir nun auch die prekäre Ressourcenseite mitberücksichtigen — langfristig direkt oder indirekt ganz aus Sonnenenergie gespeist werden könnte.

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Doch welche Konsequenzen hätte die Forderung einer solchen Absenkung des Energieverbrauchs für die nördliche Welt und insbesondere auch für uns hier in Europa? Ein Absenken des Energieverbrauchs in Mitteleuropa auf 1/4 des jetzigen Verbrauchs (in den USA sogar auf 1/7), der unserer Forderung gerecht wird, ist selbstverständlich nicht einfach, aber unmöglich ist es nicht. Eine grobe Betrachtung ergibt, daß eine erste Halbierung unseres jetzigen Energieverbrauchs allein durch technische Maßnahmen — also intelligentere Formen der Energie-Erzeugung und der Energie-Nutzung ohne Schmälerung der Energiedienstleistungen — möglich sein sollte. Eine zweite Halbierung würde aber wohl nur durch eine Änderung unseres Lebensstils möglich sein.

Diese zweite Halbierung stellt die eigentliche Herausforderung für uns dar. Um ihr wirksam zu begegnen, wird individueller guter Wille und Idealismus dringend nötig sein, aber langfristig kaum ausreichen. Wir brauchen dazu äußere Hilfestellungen. Dies beschert uns ein typisches Henne-Ei-Problem: Eine Bereitschaft zu einer solchen Änderung wird durch eine äußere Hilfestellung gefördert, die andererseits politisch nur durch eine solche Bereitschaft initiiert und inszeniert werden kann. Es geht also darum, für diese Bereitschaft eine kritische Masse zu schaffen.

   

      7 Politische Umsetzungsstrategien    

 

Eine Initiative in Richtung einer 1,5-Kilowatt-Gesellschaft kann m.E. nur von der Bevölkerung ausgehen. Sie hat dafür, wie ich glaube, genügend Verant­wortungs­bewußtsein. Die Menschen müssen das Problem aber von ihrem eigenen Standort sehen und richtig einschätzen können. Was bedeutet dies konkret? 

Ich halte es für nicht ausgeschlossen - und dies ganz im Sinne, wie es auch von Ernst Ulrich von Weizsäcker seit Jahren in aller Deutlichkeit propagiert wurde -, daß in Deutschland oder auch in der ganzen Europäischen Gemein­schaft eine geeignete Lenkungsabgabe auf nicht-erneuerbare Energieressourcen wie etwa Kohle, Erdöl, Erdgas und Kernenergie politisch durchgesetzt werden kann, so daß deren Marktpreise sich in den nächsten 15 bis 20 Jahren real auf etwa das Drei- bis Vierfache ihres jetzigen Preises erhöhen würden, vorausgesetzt

Ein kleinerer, nicht zurückgegebener Teil sollte zur Erschließung der Sonnenenergie in allen Formen und zur Reparatur der durch den erhöhten Energieverbrauch verursachten Umweltschäden, also zur Internalisierung der durch diesen Verbrauch aufgetretenen und noch auftretenden externen Kosten, verwendet werden. Der Schwerpunkt der Investitionen sollte jedoch anfänglich eindeutig bei einer Umstrukturierung der Produktion in Richtung auf Energieeffizienz und Schadensvermeidung als auf Schadensreparatur gerichtet sein. Ein durch eine Preiserhöhung erzeugter zusätzlicher Kostendruck würde langfristig die Schadensvermeidung vor der Schadensreparatur wirtschaftlich begünstigen.

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Ich sollte vielleicht noch eine kurze Bemerkung anfügen, auf welche Weise die bei der Lenkungsabgabe vereinnahmten Gelder wieder an die Verbraucher zurückfließen sollen. Viele betrachten die Rückführung dieser Gelder als den eigentlich kritischen Teil einer solchen Maßnahme, weil es sich hierbei doch um ganz beträchtliche Summen handelt, die dem Staate, der diese ja zunächst kassiert, enorme Manipulationsmöglichkeiten einräumen würde. Andererseits ist aber ja eine gezielte Verwendung letztlich die eigentliche Absicht einer Lenkungsabgabe.

Eine dadurch bewirkte Erhöhung der Staatsquote im Wirtschaftsgeschehen wird jedoch von einigen mit großer Skepsis betrachtet. Viele möchten deshalb die Verfügung über diese Gelder im wesentlichen den Steuerzahlern selbst überlassen. Dies kann am leichtesten wohl durch eine geeignete Absenkung der Mehrwert­steuer geschehen oder, noch gerechter — wie es etwa in der Schweiz vorgesehen werden soll, durch Bildung eines Ökofonds, aus dem jeweils am Jahresende das eingesammelte Geld als Ökobonus gleichmäßig an alle Staatsangehörigen ausgeschüttet wird. Bei dieser Verteilung nach dem Gießkannenprinzip würden wir aber dann gerade auf eine zusätzliche hochwirksame Ökolenkung verzichten. 

Ich würde es deshalb für eine bessere Lösung halten, einen solchen Ökofond im Rahmen einer staatsunabhängigen Stiftung einzurichten, die durch ihre Statuten auf die Förderung der ökologischen Nachhaltigkeit der Wirtschaft festgelegt ist. Diese Stiftung sollte durch einen geeignet ausgewählten ökologischen Stiftungsrat geleitet werden, der sich aus kompetenten und weitsichtigen Personen aus allen Teilen der Gesellschaft konstituiert und der für eine verantwortungsvolle, ökologisch optimale und sozial ausgewogene Verteilung der Gelder sorgen soll.

Eine auf diese oder ähnliche Weise kaufkraft-abgepufferte Energieverteuerung könnte eine entscheidende Wende in unserer Wirtschaftsweise bewirken. Sie würde in der Folge nicht nur den gesamten Primärenergieverbrauch senken, sondern insgesamt den Umsatz von <Material> dämpfen, wodurch eine erhebliche Verminderung des Schadstoffausstoßes resultieren würde. Außerdem würde durch eine dadurch letztlich bedingte Verteuerung des Transports auch eine räumliche Dezentralisierung von Produktion, Handel und Gewerbe wesentlich begünstigt werden.

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Dies wiederum würde die Bewahrung und Entwicklung eigenständiger wirtschaftlicher und kultureller Strukturen fördern mit allen ihren positiven Konsequenzen bezüglich größerer Unabhängigkeit der spontan kommunikationsfähigen Lebenseinheiten (der Regionen) und damit zu einer höherer Lebensqualität ihrer Menschen führen.

Im Gegensatz zu dieser optimistischen Vorstellung halten die meisten jedoch eine solche Energie­verteuerung politisch für praktisch undurchführbar, weil sie glauben, daß dies — um lokale Benachteiligungen und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden — notwendig eine globale Einführung voraussetzt, was kaum konsensfähig erscheint.

Meines Erachtens ist jedoch der Erfolg einer Energie-Lenkungsabgabe für ihre Initiatoren nicht notwendig an eine weltweite Einführung gekoppelt. Denn bei dem geschilderten Vorgehen würden einerseits kompensierende Vergünstigungen durch das teilweise rücklaufende Geld die Nachteile für den einzelnen wesentlich mindern helfen, andererseits aber — und dies ist wohl das Entscheidendere — würden die dadurch stimulierten, kräftigen Entwicklungen intelligenter Energieerzeugungs- und Energienutzungs­technologien, von denen viele als entwicklungsreife Pläne ungenutzt in diversen Schubladen verstauben, für die Pioniere einen zukunftsträchtigen Markt mit enormen langfristigen Vorteilen erschließen.

Es könnte hier also eine Innovationslawine mit starken positiven Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt ins Rollen kommen, die durch die Möglichkeiten der <sanften> Technik, der Mikroelektronik und Informatik, wissenschaftlich-technisch unterstützt würde.

Wichtig wäre es allerdings dabei, der Bevölkerung klar zu machen, daß es sich bei diesen Lenkungsabgaben nicht um neue Steuern zur Finanzierung irgendwelcher anderweitiger Staatsausgaben (außer der Internalisierung externer Kosten) handelt, sondern um ein ,Abhalte-Anreiz-Steuerungs­instrument’ mit dem Hauptziel, eine intelligentere Nutzung der arbeitsfähigen Energie zu fördern und damit den Verbrauch an Primärenergie drastisch abzusenken.

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Denn ökologisch betrachtet rangiert <Energieeinsparung> eindeutig günstiger als die Bereitstellung zusätzlicher fossiler oder nuklearer Energien, und dies gilt auch wirtschaftlich, wenn wir mit <richtigen>, die externen Kosten berücksichtigenden Preisen rechnen. Bei richtiger Vorteilnahme sollte auch für <den kleinen Mann> oder <die kleine Frau> insgesamt dadurch kaum eine wirtschaftliche Verschlechterung eintreten.

 

Zur weiteren Erhöhung der Akzeptanz einer solchen Maßnahme bei der Bevölkerung wäre es wohl psychologisch ratsam, durch eine detaillierte Auflistung und Veröffentlichung der Energieaufwendungen der wichtigsten Verbrauchsgüter (in deren gesamtem <Lebens>-Zyklus) und Dienstleistungen dem einzelnen Menschen die Möglichkeit zu bieten, sich eine eigene Vorstellung von seinem persönlichen Energieverbrauch zu verschaffen.

Die Abschätzung der gesamten Energieaufwendungen von Produkten <von der Wiege bis zur Bahre> verlangt im allgemeinen eine komplizierte Produktlinien-Analyse, die auf unübersichtliche Weise vom gesamten Wirt­schafts­prozeß abhängt. Für den hier anvisierten Zweck ist jedoch nur eine ganz grobe Bewertung für die energie-intensivsten Produkte nötig, um einen Eindruck von der jeweiligen Energiequalität der Produkte zu vermitteln.

Greenpeace Schweiz hat z.B. 1990 eine solche Liste und entsprechende Fragebogen erstellt, der sich auf einen Schweizer Staatsbürger mit einem mittleren Pro-Kopf-Energieverbrauch von 6,5 kWh pro Stunde bezieht und die folgende Verteilung bei der Primärenergie aufzeigt:

Mit Hilfe solcher Listen und Fragebögen könnte im Prinzip jeder in einem zweiten Schritt selbst versuchen, sein persönliches <Energie-Menü> im Rahmen seines mittleren 1,5 kW-Energie-Leistungsbudgets zusammen­zustellen. Jeder von uns würde dadurch ein Gefühl entwickeln, an welcher Stelle und in welchem Maße wir heute <über unsere Verhältnisse> leben und welche Schritte er oder sie persönlich unternehmen müßte, um zu einem ökologisch verträglicheren Lebensstil zu gelangen.

Mit der Vorstellung einer <1,5-kW-Gesellschaft> sollten wir dabei nicht eine Ökodiktatur suggerieren, die eine 1,5-kW-Beschränkung als strikte Forderung erhebt, sondern diese Vorstellung soll neue Vorbilder schaffen und zur allgemeinen Bewußtseinbildung beitragen. Sie soll die Menschen befähigen, die notwendige kritische Masse für eine Änderung zu bilden.

Denn viele, so glaube ich, würden wohl bei dieser Übung mit Erleichterung feststellen, daß eine solche Energiebeschränkung, die zweifellos an manchen Stellen einschneidende Änderungen lieber Gewohnheiten und dement­sprechend auch empfindliche Opfer verlangt, jedoch keineswegs von uns erfordert, künftig in <Sack und Asche> zu vegetieren und sehr wohl ein im besten Sinne sinnerfülltes, lust- und freudvolles Leben zuläßt.

Wir brauchen heute dringend Entwürfe für solche positiven, in vollem Sinne lebenswerte Lebensstile. Es gibt solche, und deshalb wird auch ein Wandel nicht ausgeschlossen sein. Wir müssen ihn nur wirklich wollen und ihn, vor allem katalytisch, richtig auf den Weg bringen.

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Ende

 

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Die 1,5-Kilowatt-Gesellschaft - Intelligente Energienutzung als Schlüssel zu einer ökologisch nachhaltigen Wirtschaftsweise - Hans-Peter Dürr 1993