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1  An der Schwelle zum dritten Jahrtausend  

 

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Sind wir geistig und materiell für das dritte Jahrtausend gerüstet? Vielen kommen angesichts der gegen­wärtigen Unsicherheiten Zweifel. Wohin führt die in Europa allenthalben festzustellende Individ­ualisierung der Gesellschaft? Bemerken wir nicht eine zunehmende Erodierung bürgerlicher Tugenden und, wohl im Gefolge, Zerfallserscheinungen in den traditionellen nationalen Solidargemeinschaften? Wohin führt die Globalisierung der Wirtschaft? 

Von einer erhofften weltweiten Verbrüderung ist zunächst nichts zu bemerken, wohl aber von einer Wieder­kehr eines rücksichtslosen Wettbewerbs, den die Soziale Marktwirtschaft überwunden zu haben glaubte. Weltweit nimmt die Armut zu, vor allem in den Entwicklungsländern, denn dort werden die meisten Kinder geboren. In Afrika betrug der jährliche Bevölkerungszuwachs (Geburten- minus Sterbefälle) zwischen 1990 und 1995 nach Angaben der Vereinten Nationen 2,8 % gegenüber 0,2 % in Europa. 

Dabei erreicht die Tragekapazität unseres Planeten für ein menschenwürdiges Dasein ihre Grenzen. Jährlich geht durch Erosion mehr Ackerland verloren, als neu unter den Pflug genommen werden kann. Wanderbewegungen sind die Folge, die unseren Frieden bedrohen, denn auch Europa ist übervölkert und lebt unter anderem vom Import fossiler Energieträger. Nicht auszudenken, welche Folgen ein plötzliches Ausbleiben der Öllieferungen für Westeuropa haben könnte. Zwei Ölkrisen haben wir ja bereits erlebt.

Grund zum Pessimismus? Nicht unbedingt. Man kann all diese Entwicklungen auch als Ergebnis eines außer­ordentlichen Erfolges betrachten. Wie keine andere größere Art zuvor haben wir Menschen uns über unseren Planeten verbreitet, und wir schufen uns mit der arbeitsteiligen städtischen Großgesellschaft Voraussetzungen für eine einmalige kulturelle Entfaltung im wissenschaftlichen, künstlerischen und technischen Bereich. In hundert Jahren schafften wir den Fortschritt von den ersten unbeholfenen Automobilen zur Raumfahrt. Kinder spielen heute mit elektronischen Geräten, die sich die kühnste Phantasie der Utopisten des vorigen Jahrhunderts nicht auszudenken vermochte. 

Wir sind zweifellos klug, und das könnte uns weiterhelfen.

Zum fatalistischen Treiben-Lassen der Dinge sehe ich keinen Grund. Wir sind, wie Hubert Markl (1986) es einmal ausgedrückt hat, ein »Volltreffer der Evolution«, und das sollte uns zu weiteren Hochleistungen ermutigen. Eigentlich ist kaum vorstellbar, was eine Art, der in einem einzigen Jahrhundert der Durchbruch vom mechanischen ins elektronische Zeitalter gelang, in weiteren tausend, ja zehntausend Jahren alles erreichen könnte.

Allerdings gibt es offensichtliche Probleme. Denn während wir die diffizilsten technischen Herausforderungen bewältigten — diskutieren und experimentieren wir seit Jahrhunderten mit mäßigem Erfolg Fragen der sozialen Gerechtigkeit und der politischen Führung, die zunächst einfacher lösbar scheinen als die Konstruktion einer Marssonde. Wie kommt es, fragen wir uns, daß wir als so intelligente Wesen mit der Lösung unserer sozialen und neuerdings auch ökologischen Probleme solche Schwierigkeiten haben? 

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Eibl 1998