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Miteinander reden 

Streitgespräch mit Daniel Cohn-Bendit (STERN, 1992)

 

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Bekenntnisse, seien sie nun religiöser oder politischer Art, binden jene, die gleich denken, und trennen sie in der Regel von Andersdenkenden.

Die Weltanschauung des Naturwissenschaftlers basiert auf dem Axiom, daß es eine außersubjektive Wirklichkeit gibt, in der Ereignisse nach Gesetzen ablaufen, die man erforschen kann. Der Naturforscher geht zwar auch von Annahmen (Hypothesen) aus, stützt aber seine Aussagen auf durch Beobachtung und Experimente erarbeitetes Erfahrungswissen, und er ist jederzeit bereit, Hypothesen über Bord zu werfen, die sich nicht als tragfähig erweisen. Er bemüht sich in diesem Sinne um Objektivität und auch darum, den Weg der Datenerhebung nachvollziehbar und damit auch seine Schlußfolgerungen durch andere nachprüfbar zu machen. 

Das heißt nicht, daß ein Naturforscher von persönlichen Werthaltungen und Überzeugungen frei ist. Er kann bestimmte Vorstellungen des Schönen pflegen, sein Land lieben oder jedes Bekenntnis zur Nation aus persönlichen Gründen ablehnen und damit durchaus unterschiedliche politische Zielvorstellungen im Auge haben. Und es ist ihm durchaus, wie jedem anderen Bürger auch, gestattet, über seine Vorstellungen zu sprechen. Als Wissenschaftler wird er bemüht sein, seine Werthaltungen nach Möglichkeit zu begründen. Wichtig ist, daß er stets erkennen läßt, welche seiner Aussagen auf empirisch begründeten Schluß­folgerungen beruhen und welche bewertenden Charakters sind. 

So stufe ich, durchaus bewertend, Organismen nach Organisations- und Differenzierungsgrad in höhere und niedere ein und betrachte dementsprechend Bakterien nicht als die Krone der Schöpfung, obgleich sie an Individuenzahl und Biomasse vermutlich alles, was auf Erden lebt, übertreffen (vgl. dazu die Diskussion in diesem Buch, S. 18). Ich bejahe auch das Leben, bekenne mich zu meiner Kulturnation, zu Europa und auch zur größeren Gemeinschaft der Menschen, abgestuft sicherlich nach Nähe. 

Aber ich hinterfrage zugleich, wie diese meine Präferenzen zustande kommen, ob ich mit ihnen alleinstehe oder ob ich sie mit den meisten Mitgliedern meines engeren Kulturbereichs oder gar mit den meisten Menschen teile. Ich will verstehen, weshalb wir uns so leicht mit einer Gemeinschaft und ihren Symbolen identifizieren, was es mit unserer ja nicht ungefährlichen Indoktrinierbarkeit auf sich hat. Kurz, ich will herausfinden, wie diese uns oft als völlig irrational, ja unsinnig erscheinenden Phänomene zu erklären sind. Handelt es sich um stammesgeschichtlich oder kulturell entwickelte Dispositionen oder um individuell erworbene Verhaltensmuster? Erfüllen sie bestimmte Funktionen?

Bei der Frage nach der Stammesgeschichte denken die Biologen natürlich in weiten Zeiträumen. Wir wissen um die fürwahr erstaunliche Tatsache, daß uns eine ununterbrochene Ahnenkette mit jenen wahrscheinlich bereits vor drei Milliarden Jahren lebenden Urzellern verbindet, aus denen die Bakterien und Echtzeller hervorgingen. Wir wissen um die Wirkmechanismen der Evolution Bescheid: um die schöpferische Entfaltung des Lebensstromes, der in einer blinden Dynamik und in erratischem Kurs alle Lebens­möglich­keiten abtastet. Eine der erstaunlichsten Erkenntnisse ist die, daß wir offenbar als erste und einzige der Zielsetzung fähig sind und damit unseren weiteren Kurs als Art vorausdenkend planen und dementsprechend ein generationen­übergreifendes Überlebensethos entwickeln könnten, das das Schicksal künftiger Generationen in Betracht zieht. In der gegenwärtigen Weltsituation ist es von größter Bedeutung, daß uns dies gelingt.

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Dazu ist eine freiwillige Geburtenbeschränkung in jenen Regionen Voraussetzung, in denen die ökologische Tragekapazität überschritten wird. Hiervon hängt der innere wie äußere Friede in der Welt ab und auch die Möglichkeit, ökologisch verantwortlich zu wirtschaften. Gelingt es uns nicht, das zu erreichen und zwar in allernächster Zeit , dann lernen wir aus Bevölkerungszusammenbrüchen, Kriegen und Revolutionen, wie schon so oft in der Geschichte. Aber müssen wir beim heutigen Wissensstand immer noch aus Katastrophen lernen?  

Um dies zu verhindern, sind alle aufgerufen, über die Barrieren unterschiedlicher Weltanschauungen und Ethnizität hinweg das Gespräch zu pflegen. Wir müssen miteinander reden und nicht aneinander vorbei. Das ist sicher nicht immer leicht. Aber solange wir offenbleiben, auch eine gegnerische Meinung anzuhören und zu überdenken, lohnt sich das Gespräch, selbst wenn wir einander nicht überzeugen. Man lernt nicht nur, den Partner zu verstehen, sondern auch, was ihm mitunter an der eigenen Weise, sich auszudrücken, Schwierigkeiten des Verstehens bereitet oder auch, was affektive Ablehnung hervorruft, die man eigentlich vermeiden will.

Als ein gelungenes Gespräch ist mir das Stern-Streitgespräch mit Daniel Cohn-Bendit in guter Erinnerung, das der Stern-Redakteur Peter Sandmeyer mit Geschick moderierte.

Wir waren in diesem Gespräch Meinungsgegner, aber wir waren darüber hinaus Partner im Gespräch und kamen einander so wohl auch näher. Für mich war es ein interessantes und profitables Gespräch. 

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Ich darf es hier für meine Leser mit Erlaubnis des Stern wiedergeben (es ist 1992 in der Nr. 52, S. 32-42, veröffentlicht worden):

 

Abb. 25 Irenäus Eibl-Eibesfeldt und Daniel Cohn-Bendit beim Stern-Streitgespräch.
Foto: Robert Lebeck/STERN/PICTURE PRESS Life.

 

Stern: Herr Cohn-Bendit, Sie fordern »das Wagnis der multikulturellen Demokratie«. Zeigen die jüngsten Ereignisse nicht, daß das »Wagnis« in Wahrheit ein Schrecknis ist?

Cohn-Bendit: Jede gesellschaftliche Entwicklung ist ein Pulverfaß. Aber wir versuchen ja gerade in unserem Buch zu zeigen, daß die Frage »Bin ich für oder gegen die multikulturelle Gesellschaft?« falsch gestellt ist. Wir haben diese Gesellschaft. Wir leben in ihr. Zuwanderung wird es auch weiterhin geben - egal, welche Regelungen man dafür zu finden versucht.

Stern: Haben Sie von der Zukunft dieser Gesellschaft eine bestimmte Vision?

Cohn-Bendit: Nein. Visionär ist allenfalls die Hoffnung, daß man bei uns die Tatsache der Einwanderung anerkennt und lernt, das Positive daran aufzugreifen und die Schwierigkeiten gelassen zu meistern.

Stern: Herr Professor Eibl-Eibesfeldt, ist das eine Vision oder eine Utopie?

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Eibl-Eibesfeldt: Auf jeden Fall ist sie sehr problematisch, diese multikulturelle Immigrationsgesellschaft, wie sie Cohn-Bendit oder auch Heiner Geißler skizziert haben. Wenn in einem dichtbevölkerten Land konkurrierende Solidargemeinschaften entstehen, ist das gefährlich — um so gefährlicher, je unterschiedlicher diese Gemeinschaften sind. Bei der europäischen Binnenwanderung, die es seit Jahrhunderten gibt, sehe ich weniger Probleme, denn da sind die Immigranten immer in den neuen Nationen aufgegangen, sie wurden zu Deutschen, zu Wienern, zu Franzosen...

Cohn-Bendit: Stimmt nicht! Gucken Sie sich meine Eltern an. Die sind 1933 nach Frankreich ausgewandert; mein Vater ist 1949 nach Deutschland zurückgekehrt, meine Mutter in Paris geblieben. Aber sie sind nie Franzosen geworden. Sie sind von Frankreich veränderte deutsche Emigranten geblieben.

Eibl-Eibesfeldt: Ja, sicher, aber innerhalb von zwei Generationen kommt es gewöhnlich zu einer Assimilation. Es hat seinerzeit auch bei der polnischen Einwanderung ins Ruhrgebiet anfangs eine Abgrenzung der Polen gegeben, die zu Konflikten geführt hat.

Cohn-Bendit: Zuerst sind sie ausgegrenzt worden! Das hat dann zu ihrer Abgrenzung geführt.

Stern: Letzten Endes ist doch aber dabei Schimanski herausgekommen.

Cohn-Bendit: Auf den heute alle Deutschen stolz sind.

Eibl-Eibesfeldt: Der spricht und denkt ja auch deutsch. Die Einwanderer sind der Kultur des Gastlandes beigetreten. Sie haben die deutsche Sprache übernommen, sie haben sich mit der deutschen Kultur identifiziert; das mag manchmal zwei oder drei Generationen dauern, aber auf die Integration kommt es an. Wie bei den Hugenotten: Die haben ihren Glauben und ihre Kirche behalten, aber sie wurden zu Deutschen.

Cohn-Bendit: Entschuldigung, das geht mir zu schnell. »Die wurden zu Deutschen«, sagen Sie und dann so salopp und nebenbei: »Das hat zwei, drei Generationen gedauert.«

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Eibl-Eibesfeldt: Ja, sicher. Es hat manchmal auch Konflikte gegeben.

Cohn-Bendit: Meistens. Aber unser Problem heute ist doch gerade ein Rechtssystem in Deutschland, das Einwanderern gar keine Möglichkeit gibt, den Status des Ausländers zu verlassen. »Deutscher ist, wer deutschen Blutes ist«, heißt es im Staatsangehörigenrecht. Ein in Deutschland geborener Türke kann kein Deutscher werden. Der ist permanent Ausländer.

Eibl-Eibesfeldt: Aber das malen Sie doch ein bißchen schwarz. Es werden doch ganz viele Ausländer zu deutschen Staatsbürgern.

Cohn-Bendit: Ganz wenige.

Eibl-Eibesfeldt: Europäer haben überhaupt keine Schwierigkeiten.

Cohn-Bendit: Europäer brauchen keine deutsche Staatsangehörigkeit, weil sie der EG angehören. Die können in Deutschland leben und arbeiten, aber sie bleiben Italiener oder Franzosen. Es gibt in Deutschland keine republikanische Form der Eingliederung von Einwanderern. Wir haben eine ethnische Definition des Deutschen, und das ist nicht nur nicht modern, das ist schlimm.

Eibl-Eibesfeldt: Aber so etwas Merkwürdiges wie »ethnische Identität« finden Sie doch überall auf der Welt! Von den kleinsten Buschmann-Gruppen über große Stammesgesellschaften in Neuguinea bis hin zu ganzen Staaten. Überall werden das Familien-Ethos, die Geborgenheit und das Gesetz der Kleingruppe auf die Großgruppe übertragen. Dahinter scheint ja ein menschliches Grundbedürfnis zu stecken. Die Frage ist, ob man Ihre multikulturelle Utopie den Menschen einfach aufzwängen und dabei auch noch sagen darf: »Alles wird friedlich und schön.«

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Cohn-Bendit: Wo habe ich das gesagt? Kein Wort habe ich von friedlich, kein Wort von schön gesagt.

Eibi-Eibesfeldt: Dann meine Gegenfrage: Warum wollen Sie das dann den Deutschen oder irgendeiner anderen Nation verordnen? Das fördert nicht den inneren Frieden.

Cohn-Bendit: Moment mal! Das hätte man sich früher überlegen müssen! Das ist doch politisch unverschämt. Erst holt man die Leute ins Land, weil man sie wirtschaftlich braucht, bietet ihnen dafür eine Lebensperspektive, und plötzlich, 20, 30 Jahre später, sagt man: »Stopp, wir wollen nicht mehr mit euch spielen, wir haben einen Fehler gemacht.« So kann man mit Menschen nicht umgehen.

Eibl-Eibesfeldt: Kann man keine Fehler-Korrekturen machen?

Cohn-Bendit: Das geht nicht mehr. Diese Menschen haben sich doch bei uns niedergelassen. Gucken Sie sich mal die Stadt Frankfurt an. Da leben 26 Prozent Ausländer. Die leben über 15 Jahre dort. Wollen Sie die wieder vertreiben?

Eibl-Eibesfeldt: Nein.

Cohn-Bendit: Dann geben Sie ihnen alle Bürgerrechte!

Eibl-Eibesfeldt: Gut. Aber ich glaube, man muß die Erteilung der Staatsbürgerschaft verbinden mit der Verpflichtung, sich der neuen Solidargemeinschaft anzuschließen. Sonst kann die sich in ihrer Identität bedroht fühlen.

Stern: Aber wer bedroht da eigentlich wen? Wir haben in den alten Bundesländern einen Ausländeranteil von 7,7 Prozent, in den neuen ist es ein einziges Prozent. Nun wird niemand behaupten wollen, daß die Ausländerfeindlichkeit in den neuen Bundesländern geringer ist als in den alten. Die Zahl der Einwanderer und die Gefühle im Einwanderungsland scheinen ja nicht viel miteinander zu tun zu haben.

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Cohn-Bendit: Darf ich noch einmal verdeutlichen, was diese Zahlen bedeuten: In allen neuen Bundesländern zusammen gibt es nicht ganz so viele Ausländer - Asylbewerber eingeschlossen - wie in Frankfurt am Main. Und da flippen die Menschen zwischen Rostock und Zwickau schon aus.

Eibl-Eibesfeldt: Aber das ist dort eine fast irrationale Situation. Die Leute dort haben Angst. Das hängt zusammen mit dem Zerfall aller alten Institutionen, Bindungen und Identitäten. Ich habe ja viel in traditionellen Kulturen geforscht, die aus Kleingruppen bestehen, wo jeder jeden kennt und eine Atmosphäre allgemeinen Vertrauens herrscht. Der Mensch ist offenbar so gebaut, daß Bekanntheit Vertrauen stiftet, während er dem Fremden gegenüber ambivalent ist und eher zur Angst neigt. In den neuen Bundesländern ist den Menschen sozusagen alles fremd geworden.

Stern: Vergrößern die Ausländer das Angstpotential?

Eibl-Eibesfeldt: Bis zu einem gewissen Grad, ja.

Stern: Wodurch?

Eibl-Eibesfeldt: Wenn sie sich nicht integrieren, wenn sie ihre eigene Kultur pflegen, dann kommt es zu einer Konfrontation.

Cohn-Bendit: Sie sprechen ein tatsächliches Problem an. Wir haben ja unser Buch deswegen »Heimat Babylon« genannt, weil wir uns bewußt sind, daß alle Menschen Heimatbedürfnisse haben, das Bedürfnis nach einer überschaubaren Alltagsumwelt. Einwanderung aber bedeutet Verunsicherung, weil Menschen gezwungen werden, sich mit neuen, fremden Menschen, deren Kultur und Lebensweise auseinanderzusetzen. Das ist ein Problem. Nur: Die Entscheidung, daß das so ist, ist längst gefallen. Uns bleibt nur übrig, mit diesen Realitäten umzugehen und die Zusammenhänge, in denen wir leben, möglichst gut zu regeln.

Stern: Gibt es denn noch Spielraum für eine solche Regelung? Wird die allgemeine Verunsicherung nicht von Tag zu Tag größer?

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Cohn-Bendit: Vielleicht. Aber das hängt nicht mit den konkreten Zahlen zusammen. Sie wissen genauso wie ich, daß es Antisemitismus gibt auch ohne einen einzigen Juden. Nicht die Einwanderung oder der Fremde sind bedrohlich, sondern die Imagination der Einwanderung, der Mythos, die Einbildung.

Stern: Nun sind die rumänischen Zigeuner bei uns aber unübersehbar. Die sind ja keine Einbildung.

Cohn-Bendit: Gut. Die Roma aus Rumänien sind eines der schwierigsten gesellschaftlichen Probleme, das man nicht in einem Land allein lösen kann. Die leben wirklich so, wie Professor Eibl-Eibesfeldt das warnend beschrieben hat, als eine enge Gemeinschaft, in der Unterdrückung gestählt.

Stern:    ... mit dem festen Vorsatz, sich nicht zu integrieren.

Cohn-Bendit: Falsch, schauen Sie sich doch die Geschichte der Roma und Sinti in Deutschland an, da hat sich ja ein Großteil integriert. Es wird immer eine Minderheit geben, die es nicht tut. Und die ist in der Tat aggressiv und herausfordernd. Aber da stellt sich die Frage des Umgangs mit ihr, der Unterbringung. Wenn man die einfach irgendwo campen läßt, dann bekommt man die Ergebnisse von Rostock. Da sind Stadtverwaltung, Landesverwaltung, Politik gefragt. Wenn die ihren Job nicht machen, gibt's eine Katastrophe. Aber die ist dann politisch hervorgerufen.

Stern: Nicht zuletzt die optisch und sozial besonders auffälligen Zigeuner haben ja bei etlichen Deutschen das Gefühl hervorgerufen, das Boot sei voll. Mehr Ausländer vertrage das Land nicht. Ist das Boot voll?

Eibl-Eibesfeldt: Ökologisch würde ich sagen: ja. Das gilt aber nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa. Wenn die europäische Bevölkerung gleichmäßig um etwa ein Drittel sinken würde, dann könnten wir nach wie vor einen hohen Stand der technischen Zivilisation halten, wären aber weniger gefährdet. Malen Sie sich bloß einmal aus, was passieren würde, wenn Europa von der Öleinfuhr abgeschnitten würde. Über Nacht würde hier Massenelend herrschen. Deshalb bin ich gegen weitere Zuwanderungen.

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Cohn-Bendit: Die geschickteste Argumentation gegen die Einwanderung ist natürlich die ökologische, weil sie davon ausgeht — und wer wollte da widersprechen —, daß die Gesellschaft nicht beliebig ausdehnbar, sondern begrenzt ist von ihren natürlichen Möglichkeiten. Nur: Wir können uns die Welt leider nicht ausdenken, wir finden sie vor. Ich stimme Ihnen ja zu: Jede Auswanderung und jede Einwanderung ist eine Qual für Körper und Seelen. Sie erfordert eine irrsinnige zivilisatorische Leistung der Neuorientierung, und die muß von beiden Seiten aufgebracht werden, von den Einwanderern und denen, die sie aufnehmen. Mir wäre es auch lieber, wenn dieser Wanderungsdruck aufhören würde. Das erfordert eine vernünftige Weltpolitik und Zeit — 10,15, 20 Jahre. Und in dieser Zeit müssen wir die Einwanderung politisch strukturieren.

Stern: Sonst?

Cohn-Bendit: Sonst verdienen wir das Schicksal anderer Völker, die Einwanderung schlecht geregelt haben. Am schlechtesten die nordamerikanischen Indianer. Das Ergebnis ist bekannt.

Eibl-Eibesfeldt: Daß die die Leute von der »Mayflower« durchgefüttert haben, war ihr größter Fehler.

Stern: Eibl-Eibesfeldt sagt, daß Boot sei voll. Cohn-Bendit sagt, es ist noch Platz an Bord. Wie viele passen noch rein?

Cohn-Bendit: Es gibt in der Bundesrepublik trotz der starken Einwanderung in den letzten 20 Jahren nicht mehr Menschen als vorher. Viele glauben ja, die Bevölkerungsdichte sei immer größer geworden, aber das stimmt nicht. Neu ist nur das Ende der Lebenslüge vom »Gastarbeiter«, der als Gast kommt, arbeitet und wieder geht. In Frankfurt-Höchst wohnen heute 36 Prozent Immigranten auch wegen der Hoechst AG , und die werden dort bleiben. Mit denen müssen wir Heimat neu definieren.

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Eibl-Eibesfeldt: Wenn Sie sagen, wir müssen akzeptieren, was ist, würde ich zustimmen. Mit der Einschränkung aber, daß in Zukunft die Integration absolut im Vordergrund steht. Und da hört man aus dem Mund von Politikern oft das genaue, unkluge Gegenteil. Deutschland brauche 200000 bis 300000 Einwanderer pro Jahr, hat Herr Klose kürzlich gesagt, weil für gewisse Arbeiten keine Deutschen zur Verfügung stehen. Das ist doch Sklavenhaltermentalität! Früher haben Angebot und Nachfrage den Arbeitsmarkt reguliert. Wenn man keine Krankenschwestern mehr für einen bestimmten Preis bekommen hat, dann mußte man eben raufgehen mit den Preisen. Heute holt man die Krankenschwestern aus Korea, importiert also Preisdrücker.

Cohn-Bendit: Aber das ist ja genau das Problem der Debatte! Diese Gesellschaft will alles zugleich. Sie will eigentlich keine Einwanderung, aber sie will auch keine Einschränkungen. Sie will ihren Lebensstandard und ein bestimmtes Fortschrittstempo halten. Alles zusammen ist nicht möglich. Es ist übrigens genauso unmöglich, was manche Linke wollen, die sagen: Einwanderung ja, aber von dem Augenblick an, wo sie hier sind, sollen die Einwanderer gefälligst unser progressives Bewußtsein haben. Wir wollen autofreie Innenstädte, aber die kommen natürlich auch, um Auto zu fahren. Es gibt nicht nur eine soziale Ungleichheit, sondern auch eine Erfahrungsungleichheit. Genau deswegen brauchen wir ein Einwanderungskonzept und eine pluralistische Integration, die nicht den Einheitsdeutschen anstrebt, sondern dafür sorgt, daß Türken Türken bleiben können und Taubenzüchter Taubenzüchter und Lesben Lesben und alle friedlich miteinander leben, als gleichberechtigte Bürger.

Stern: Das klingt aber doch sehr nach multikulturellem Paradies ohne Konflikte.

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Cohn-Bendit: Es gibt Konflikte. Es gibt zwischen Ausländern und Deutschen unbestreitbar eine Real-Konkurrenz in der Unterschicht: um Wohnungen, um Arbeitsplätze, um Schulbildung und so weiter. Aber es gibt unter den Deutschen noch ein anderes Phänomen, das ich Wohlstands-Chauvinismus nenne. Nehmen Sie die Stadt Pforzheim, eine der reichsten Städte der Welt mit einer der niedrigsten Arbeitslosenzahlen - aber 20 Prozent Republikaner-Wählern. Die sind nicht von Konkurrenz bedroht, sondern von der Angst, etwas abgeben zu müssen an Lebensqualität, an deutscher Identität, etwas einzubüßen von ihrer Sattheit.

Stern: Kein Mensch verzichtet gern auf Wohlergehen. Wie wollen Sie dieser Stimmung begegnen?

Cohn-Bendit: Ein Signal wäre die Wahl eines Asylbeauftragten mit Zwei-Drittel-Mehrheit des Bundestags, der dann Vorschläge entwickelt. Ein anderes Signal wäre ein Einwanderungsgesetz.

Stern: Einwanderungsland Deutschland mit exakt reglementiertem Zutritt?

Cohn-Bendit: Ich habe keine Scheu vor der Reglementierung der Einwanderung und entsprechenden Kontrollen an den Grenzen. Nur hört es da nicht auf, sondern fängt erst an. Wie setzt man Einwanderungskonzepte in den Städten um, in den Stadtteilen, in den Schulen? Wir können nicht einfach die Assimilation verlangen. Die stärkste Waffe der Integration ist für mich die Demokratie. Wir geben den Einwanderern alle demokratischen Rechte, aber sie haben dann auch alle demokratischen Pflichten.

Eibl-Eibesfeldt: Widerspruch! Ich halte die Assimilation für notwendig, weil ich befürchte, daß in Krisensituationen, wie sie uns sicher bevorstehen, eine Gruppe, die sich als anders absetzt, das Ziel von Angriffen wird. Das ist gefährlich.

Cohn-Bendit: Sie fordern damit auch die Assimilation der Juden. Juden dürfen demnach ihre eigene Identität nicht behalten.

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Eibl-Eibesfeldt: Aber entschuldigen Sie! Heine hat deutsch gedichtet. Heine war ein Deutscher. Mendelssohn war ein Deutscher.

Cohn-Bendit: Auch die jungen Türken sprechen deutsch.

Eibl-Eibesfeldt: Dann werden sie zu Deutschen.

Cohn-Bendit: Ändern Sie erst mal die Definition des Deutschen als Bluts-Definition. Sind Sie dafür?

Eibl-Eibesfeldt: Ich würde sagen: Ja, wenn die Einwanderung aus dem europäischen Raum kommt.

Cohn-Bendit: Nein! Einwanderer sind Einwanderer. Wir haben ja auch ohne Probleme die chilenischen Flüchtlinge verkraftet, aus denen inzwischen zum Teil Deutsche geworden sind.

Eibl-Eibesfeldt: Aber das waren ja auch Lateinamerikaner! Problematisch wird es doch, wenn, wie Klose sagt, zum Beispiel 300000 Einwanderer aus Afrika kämen. Das würde auch eine biologische, anthropologische Veränderung Deutschlands herbeiführen.

Cohn-Bendit: Dann müssen Sie die Grenzen nach Frankreich schließen, weil in Frankreich ein paar Millionen Franzosen maghrebinischer Abstammung leben.

Eibl-Eibesfeldt: Sie wollen den Anschein erwecken, als ob die Integrationsfähigkeit eines Landes unbegrenzt ist. Das ist sie aber nicht. Man muß sich doch auch fragen: Was ist einer Bevölkerung zumutbar? Ab wann überfordert man sie?

Cohn-Bendit: Aber wie wollen Sie die Zumutbarkeit kalkulieren? Die Unmöglichkeit sehen Sie doch am Beispiel der neuen Bundesländer. 26 Prozent Ausländer in Frankfurt, und es klappt - ein Prozent Ausländer in der Ex-DDR, und es klappt nicht.

Eibl-Eibesfeldt: Aber gerade dort zeigt sich, wie kritisch die Lage in einer Angst-Situation plötzlich werden kann. Deswegen brauchen wir die Assimilation.

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Cohn-Bendit: Bloß nicht! Stellen Sie sich mal die Bundesliga vor, wenn alle ausländischen Spieler, Yeboah eingeschlossen, wie deutsche spielen würden. Das wäre doch gräßlich. Gerade das Beispiel Bundesliga beweist doch, wie toll es ist, wenn Menschen hierher kommen, die ein bißchen anders sind.

Eibl-Eibesfeldt: Ja und nein. Es kommt wirklich auf den prozentualen Anteil an. Die Menschen sind ja nicht so, daß sie andere Ethnien grundsätzlich ablehnen. Wenn aber eine Bevölkerung sich so vermehrt, daß sie auf ihre Nachbarn Druck ausübt und sie gewissermaßen moralisch zur Aufnahme verpflichtet, bloß weil dort weniger sind, dann ist das ein Riesenproblem. Man kann das gerade in Brasilien studieren am Beispiel der Verdrängung der Urwaldindianer durch Menschen aus den überquellenden Elendsvierteln von Rio und Säo Paulo.

Cohn-Bendit: Völlig richtig. Ich wäre blöd, das nicht zu sehen. Genau deswegen will ich ein Einwanderungs­gesetz und einen Asylbeauftragten, damit die Debatte durchsichtig und einsichtig für die Bevölkerung wird.

Eibl-Eibesfeldt: Aber es herrscht ja jetzt schon Unruhe in der Bevölkerung wegen des Anwachsens konkurrierender Gruppen, darauf muß man doch Rücksicht nehmen.

Cohn-Bendit: Gefährlich, gefährlich! Es gibt auch gegenüber den Juden Unruhe in Deutschland. Es gibt aber nur 40000 Juden im ganzen Land.

Eibl-Eibesfeldt: Diese Unruhe gibt es nicht. Das sind Ausnahmen, einige Verrückte.

Cohn-Bendit: Ich lade Sie gerne ein, mal die Aktenordner mit Drohbriefen zu lesen, die ich bekomme. Zu 90 Prozent fangen sie mit allgemeinen Beschimpfungen von Ausländern an und hören mit Schmähungen der Juden auf. Wie gesagt: Obwohl es kaum Juden gibt, gibt es dieses rassistische Vorurteil. Deswegen ist auch die Asyl-Debatte, wie sie geführt wurde und wird, so gefährlich. Die Verunsicherung, die sie schürt, macht nicht halt bei den Asylbewerbern, sie gilt am Ende allen Fremden, die bei uns leben. Die meisten Deutschen haben Asylbewerber doch nur im Fernsehen gesehen.

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Eibl-Eibesfeldt: Aber sie haben vielleicht gelegentlich auch eine Zeitung gelesen. Da erfuhr man beispielsweise, daß jeder Asylbewerber pro Jahr mindestens 15.000 Mark kostet. Das ist bei einer halben Million Asylbewerbern in diesem Jahr eine ganz hübsche Summe.

Cohn-Bendit: Richtig. Die liegen uns auf der Tasche. Um genau zu sein, seit 1981, als die Regierung Schmidt die »Asylanten-Flut« — damals waren es 100.000 — begrenzen wollte und ihnen deswegen Arbeitsverbot erteilte. Man schafft also erst eine soziale Situation, die Aggressivität in der Bevölkerung hervorruft, und beruft sich dann auf diese Aggressionen, um die Situation zu »bereinigen«. Wer die Bevölkerungsgruppe in dieser Richtung kitzelt, der hält sie nicht mehr auf.

Stern: Wo ist der Weg zurück zum Konsens?

Eibl-Eibesfeldt: Die bis jetzt Eingewanderten, die nicht zurückwandern wollen oder können, müssen zu Deutschen werden. Sie müssen sich unserer Solidargemeinschaft anschließen. So wie die Juden, die dem Glauben nach Juden bleiben, aber sonst Deutsche sind.

Cohn-Bendit: Wir sind vielleicht nicht so weit auseinander. Bundeskanzler Kohl hat sich ja nach dem Mordanschlag von Mölln vor die Fernsehkameras gestellt und gesagt: Die Opfer gehören emotional zu uns. Gut. Besser wäre es gewesen, wenn er fortgefahren wäre: »Und deswegen werden wir ermöglichen, daß Menschen, die hier geboren sind oder seit zehn Jahren hier leben, das Recht auf die deutsche Staatsbürgerschaft haben.« Das würde entkrampfen.

Eibl-Eibesfeldt: Nur, wenn sie sich unserer Solidargemeinschaft anschließen.

Cohn-Bendit: Das tun die doch! Die zahlen Steuern, die zahlen Kranken- und Sozialversicherung.

Eibl-Eibesfeldt: Ich meine, daß sie auch Deutsch sprechen. 

Stern: Und Schillers »Glocke« auswendig lernen? 

Eibl-Eibesfeldt: Das nicht. Das muß man nur in der Schweiz.

Cohn-Bendit: Aber Herr Professor, kommen Sie doch mal in einen Frankfurter Stadtteil. Die türkischen Jugendlichen, die hier geboren sind, sprechen Deutsch mit hessischem Akzent. Wenn die nach zehn Jahren in die Türkei kommen, werden sie dort als »die Deutschen« bezeichnet.

Eibl-Eibesfeldt: Wenn das so ist, dann dürfte es Deutschland ja gelingen, mit dem Problem fertig zu werden. Im Augenblick scheint es mir aber noch so, als würden sich Gemeinschaften bilden, die sich gegeneinander abgrenzen. Das muß nicht auf Dauer so sein, wenn man die Integration und auch die Assimilation fördert. Nur: Bei weiterer Zuwanderung sehe ich schwarz.

Cohn-Bendit: Wir stehen aber nicht vor der Frage, ob wir weitere Zuwanderung wollen oder nicht. Wir stehen nur vor der Frage, ob und wie wir sie regeln wollen.

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Ende

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