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Die ökologische Zeitenwende - Plädoyer für ein zukunftsfähiges Kultursystem

 

 

1.  Epochenschnitt 

 

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Erst vor wenigen tausend Jahren begann der Siegeslauf patriarchaler Gesellschaften, begleitet von der Verdrängung und Zerstörung der matriarch­alen Kulturen in vielen Teilen der Welt. Offenkundig gelangten manche Stämme des Homosapiens über den Gebrauch von Jagdwerkzeugen auch zu räuberischen Überfällen auf andere Stämme. Unwirtliche Lebens­bedingungen oder Naturkatastrophen mögen dies befördert haben. 

Räuberische Nomaden, die matriarchale Gesellschaften kriegerisch unterwarfen und mit dem patriarchalen Machtgefüge überzogen, zerstörten deren ursprüngliche Gentilordnung. Patriarchale Lebensmuster kamen auch zum Tragen, wenn die Überfallenen sich erfolgreich verteidigten. Auch hier führte die Abwehr­situation zu einer männlichen Elite, die das matriarchale Gefüge auflöste.(1)

Aus dieser Kettenreaktion heraus dürften die ersten patriarchalen Reiche mit Zentralgewalten entstanden sein. Der Mann baute seine Macht über Tätigkeiten aus, von denen die Frau mehr und mehr ausgegrenzt wurde, und je komplexer die gesellschaftlichen Hierarchien wurden, desto mehr stärkte dies das Gewebe des Patriarchats. Am Ende erntete natürlich die männliche Oberschicht die Früchte solchen Erfolgs.

Diese Veränderung in der großen Ordnung des irdischen Menschseins ist — gemessen an der Gesamtgeschichte — ein zeitlich kurzer, aber entscheidender Abschnitt in der Evolution unserer Gattung vom sozial-kulturellen Aspekt her. Der Aufstieg der Männerbünde mit dem Machtzuwachs durch Waffengewalt und die zugehörige Ausbeutung, effektivere Technik u.a. führten zu schwerwiegenden und tragischen Verwerfungen auch in allen nachfolgenden Geschichts­epochen, sosehr diese auch immer Teilfortschritte und begrüßenswerte Innovationen mit sich brachten. 

Mit der zivilisatorischen Krise droht diesem schiefen Bauwerk jetzt der Einsturz, zumindest die westliche Luxusvariante geht in die Brüche. 

Aus der europäischen Feudalordnung wuchs das kapitalistische Syndrom endgültig als effektivere Form des Kolonialismus heraus. Die Macht der Hierarchien und Waffen, als bewährte Wegbereiter seit dem Aufstieg des Patriarchats, erweisen sich wiederum als hilfreiche Geburtshelfer.

Alle nutzbaren natürlichen und menschlichen Ressourcen geraten unter die Kuratel der kommerziellen Gewinnvermehrung bei stetig erweiterter Reproduktion der industriellen Basis. Die Metamorphosen der Herrschaftsgefüge führten zu einem System, das universell vom Finanzkapital abhängig ist. Mit dem 19. Jahr­hundert gerann Kapital, Technik, Staat und Gesellschaft immer mehr zu einer "modernen" Megamaschine,2 deren Eigen­gesetz­lich­keiten sich zu einem Programm verdichten, das sich gegen den Menschen verselbständigt.

Die Menschen richten ihr Augenmerk immer mehr auf einen ständig wachsenden Wohlstand aus. Auch wenn dieser Zug schon in der ursprünglichen gesell­schaftlichen Basis angelegt ist, so erhält er doch eine viel stärkere Dynamik. 

Die Kehrseite dieser Entwicklung zeigt sich in einer pathologischen Arbeits­gesell­schaft, so milde diese heute der Ausprägung nach in den westlichen Industriestaaten erscheint, gegenüber den offenkundigen Ausbeutungs­zusammen­hängen in der Vergangenheit und jenseits der reichen Areale auf dem Erdball. 

detopia-2021:  Schütze 1989    Rieseberg 1992 

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Die wirtschaftlichen Erfolge und anderen Siegesdaten der imperialen Metropolen bilden den Nährboden für den westlichen Fundamentalismus, das ideologische Firmament, das den Blick für einen konsequenten Rettungs­weg verbaut. In dieser übermütigen Siegeraura moduliert sich der westliche Machtwahn zur Heils­botschaft. Nur der eigene Weg ist der einzig richtige, alle anderen sind mehr oder minder zu bekämpfen. Mit diesem aggressiven ideolog­ischen Krebsgeschwür wird die ganze übrige Welt überzogen.

Carl Amery spricht davon, unsere derzeitig herrschende Wirtschaftsreligion sei im Grunde ein System der Entrückung, ein geschlossenes System ohne wesentliche Berücksichtigung der Lebenswelt. In dieser abgehobenen Sphäre hat der wichtigste der heutigen Fundamentalismen sein Zuhause.3 Hermann Scheer spricht von einer Selbstideologisierung des westlichen Systems. Es sei von sich selbst besessen, darin liege seine fundamentalistische Anlage. Es geht um eine gezielte Ausdehnung der Einflußnahmen und Ausweitung seiner Operations­räume.4

Längst steht die Menschheit an einer weltgeschichtlichen Wendemarke, rast die Zivilisation auf eine ökologische Richtstatt zu. Die extrem widersprüchliche Emanzipation des Menschen von den naturgegebenen Lebensverhältnissen verwandelte sich in einen bislang gut getarnten grandiosen Vernichtungskrieg gegen das gesamte Leben auf der Erde. Allerdings zeigt die ökologische Krise nur das auffälligste Symptom für das Scheitern gesellschaftlicher Systeme, die auf Kolonialismus, Gewinnsucht und "Männerbündelei" beruhen.

wikipedia  Richtstätte

Die Staatengemeinschaft auf dem Planeten Erde gerät immer tiefer in einen Strudel politischer Dynamik, der in totalitäre Ökodiktaturen münden und bis in tyrannische Despotien auswachsen kann. Gerade in den armen, weniger begüterten Ländern der Welt sind Menschen­rechts­verletzungen häufig Normalität. Von dort ist es kein allzu großer Schritt, daß Menschen unter unsäglichen Bedingungen sich selbst überlassen werden oder mit verschiedenen Formen von Vernichtung menschlichen Lebens konfrontiert werden. Darin eingeschlossen ist auch kalkulierte Massenvernichtung. Die aktuellen Brandherde in der Welt und die Geschichte der letzten Jahrtausende zeigen unzählige Ebenbilder dafür.

Vielgestaltiger Weltbürgerkrieg erwartet uns, mit beinahe unlösbaren Verstrickungen um lebensnotwendige Ressourcen. Geraten die natürlichen Gleich­gewichte gänzlich aus den eingepegelten Kreisläufen, werden künftige Generationen über Jahrhunderte unter unermeßlichem Elend und Siechtum dahin­vegetieren, bis die Menschheit unter Umständen endgültig ausgelöscht ist.

Mit Unverständnis, berechtigter Verachtung und Haß werden nachfolgende Generationen auf unser heutiges Tun blicken, weil wir ihnen jegliche Lebens­perspektive verbaut haben. Konzernmanager und die heutige Politikerschar wird man und frau als hauptschuldige Schwerverbrecher outen.

Aber auch der einzelne Bürger, die einzelne Bürgerin in den reichen Ländern besitzt ein Schuldkonto. Unsere hochprivilegierte Lebens­weise, die auf tönernen Füßen steht, ist organisierte Verantwort­ungslosig­keit. Das wird zunehmend ins gesellschaftliche Bewußtsein dringen. Derzeit belastet z.B. jeder Bundes­bürger die Atmosphäre mit jährlich etwa 11 Tonnen Kohlendioxid im Schnitt. 

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Die historische Herausforderung, die heute vor uns steht, ist um ganze Dimensionen gewaltiger und schwieriger, als es die Verhinderung des deutschen Hitler­faschismus gewesen wäre. Damals hätte vermutlich ein starker gemäßigter Konservatismus zum richtigen Zeitpunkt und ein kooperativerer Umgang zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten genügt, um die meisten braunen Auswüchse im Keime zu ersticken. Heute steht eine völlige Neugestaltung so ziemlich aller gesellschaftlichen Bereiche an. Nichts wird mehr so bleiben können, wie es war. Ein alternativer Kultur­aufbruch ist unausweichlich.

Kein Politiker sollte heute noch wagen, Sonntagsreden auf die Tragik nationalsozialistischer Verbrechen zu zelebrieren, ohne im gleichen Atemzug von den Verbrechen zu reden, die unsere Generation mit dem ökologischen Overkill anrichtet.

Danach wird es keine neue Stunde Null geben. Insofern stellt unsere heutige Praxis die Nazibarbarei in den Schatten. Hitler kann übertroffen werden, in der Dimension menschlicher Tragik für die Erdenvölker, ohne daß eine analoge Figur auf die welthistorische Bühne tritt. Der dritte Weltkrieg ist längst entfesselt. Die große Mehrheit bemerkt es nur noch nicht. Es ist unser Kreuzzug gegen die zukünftigen Generationen.

Zweifelhafter als je zuvor scheint, ob der Mensch zu einer lebensfrohen dauerhaften Gesell­schafts­verfassung gelangt. Der Modus, einen Pol auf Kosten des anderen Pols zu entwickeln, der eine Voraussetzung für unsere "moderne" Industriegesellschaft ist, untergräbt immer massiver die eigenen Grundfesten. Im kapital­bestimmten Bann reißen wir mit unserer Lebensweise die Gleichgewichte der Natur aus den Fugen. In der Wirtschaft bestimmt nicht der Gebrauchs­wert und seine Herstellung mit niedrigster Belastung der Biosphäre die Perspektive, sondern die Vermehrung von Profit und Lohn. Konkurrenz treibt die materielle Expansion ins Nimmersatte.

Begriffen werden muß: 

Mit jedem Artikel, den ich im Geschäft kaufe, ob es sich dabei um Lebensmittel, Haushaltsgeräte, den Fernseher oder das neue Auto handelt, ist ziemlich gleichgültig, fördere ich durch den darin geronnenen Verbrauch an Elektroenergie und Fahrkilometern die Treibhauskatastrophe und das Waldsterben. Allein die Posten Kraftwerke und Verkehr tragen mit über 50 Prozent zu den CO2-Emissionen in der BRD bei. 

Dazu kommt die Summe aller sonstigen ökologischen Schattenlasten. Jedes industrie­technische Wirtschaften erzeugt also seinen spezifischen Anteil an der universellen Krise zwischen den Ökosystemen und dem Menschen. Die Gesamtlast an Kilowatt pro Kopf bzw. pro Quadratkilometer Erdfläche und der Stoffumsatz ist in der Bilanz um etliche Größen­ordnungen in den reichen Ländern zu hoch. 

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Marko Ferst 2002