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6.  Die solare Energiewende

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Die Prognosen sagen, der globale Energiehunger steigt zwischen 1990 und 2010 um 50 Prozent. Innerhalb solcher Rahmen­bedingungen ist es völlig illusorisch, an so etwas wie Klimaschutz auch nur zu denken. So schließen sich die Treibhausfenster immer weiter. 

Dabei schickt uns die Sonne alle acht Minuten so viel Energie, wie wir in einem Jahr verbrauchen. Auf jeden Quadratmeter Deutschlands strahlt die Sonne jährlich im Schnitt mit einer Energie, wie sie in 100 Litern Öl enthalten ist.41 Doch noch immer werden die solaren Kräfte für eine Wende in der Energie­politik nur marginal genutzt. 

Die Kriege im Golf 1991 und in Tschetschenien markieren nur das Vorspiel gewaltsamer Auseinandersetzungen, wenn die Ölquellen künftig nicht mehr so reichhaltig sprudeln. Eine vollständige solare Energie­wende dürfte sich also auch als ein entscheidender Eckstein erweisen, um den Weltfrieden zu erhalten.

Spätestens zwischen 2025 und 2030 müßte das letzte fossilbetriebene Kraftwerk in Deutschland vom Netz gehen. Wenn man rechtzeitig in den achtziger Jahren die Weichen dafür gestellt hätte, wäre dies viel unkomplizierter erreichbar gewesen, als es jetzt sein wird. Aller Energieverbrauch, der nicht weggespart werden kann, wäre über dezentralen Solarstrom, Solarthermie, Wind- und Wasserenergie sowie in begrenztem Maß über Holz und andere Biomasse zu decken. Andere Arten erneuerbarer Energien könnten hinzukommen. Auf einen sinnvollen Mix kommt es an. Die Weichen sind natürlich global zu stellen. Noch basiert der statistisch erfaßte Weltenergieverbrauch zu 32% auf Erdöl, zu 25% auf Kohle, zu 17% auf Erdgas, zu 5% auf Atombrennstoff und zu 14% auf Biomasse.42 Das muß sich radikal ändern.

Hermann Scheer gelangt zu dem Schluß, die Nutzungsketten erneuerbarer Energien sind kürzer als im fossil-atomaren Bereich. Damit meint er, die materiell-technischen Aufwendungen sind in der Gesamtbilanz für die Energiebereitstellung bei den solaren Alternativen geringer.  Hermann Scheer 

Der Weg von der Kohleförderung bis zum Strom aus der Steckdose und allen dabei vorausgesetzten industriellen Zulieferungen ist sehr viel länger und unökologischer als der Weg von der Photovoltaikanlage auf dem eigenen Dach bis zur Glühlampe im darunterliegenden Zimmer. Es ist also gegenüber der fossilen Energieproduktion nicht nur der unmittelbar wegfallende Kohlendioxidausstoß von Vorteil. Zu berücksichtigen ist dabei auch: Die eigentlichen Erzeugungskosten der elektrischen Energie belaufen sich nur auf 30 Prozent des Strompreises, der Hauptanteil von 70 Prozent muß für Kapazitäten und Netzinfrastruktur aufgewendet werden. Aus diesem Umstand ergeben sich erhebliche wirtschaftliche Spielräume für eine dezentrale Solarversorgung.43

Auf eine ökologische Innovation der alternativen Möglichkeiten zur Energieerzeugung sollte gesetzt werden, damit bestehende Negativpunkte abgebaut werden können. Schon 1995 entwickelten zwei Forscher aus Berlin Solarzellen mit einem Wirkungsgrad von fast 50 Prozent. Bis zum relevanten praktischen Einsatz ist es freilich ein langer Weg. In Amerika gibt es Forschungsergebnisse, wie mit Hilfe einer dünnen Folie überaus kostengünstig solarer Strom erzeugt werden kann. Heutige Photovoltaikzellen benötigen mit 0,3 mm Dicke relativ viel von dem teuren hochreinen Silizium. Dünnschichtzellen z.B. aus Kupfer-Indium-Selenid werden auf ein Basismaterial aufgedampft mit 0,005 Millimeter Dicke. Das bedeutet eine Materialersparnis von 90 Prozent und geringere Herstellungskosten.44

Dies sollen nur ein paar Hinweise darauf sein, hier könnten ganz neue Technologien geboren werden, die sowohl in der Produktion als auch bei der Energie­erzeugung optimalen Umweltbezug erreichen. Dies heißt z.B., die zugehörige technische Ausrüstung beruht auf minimalem Stoff- und Energie­aufwand, die sonstigen mitbewegten Schattenlasten richten keinen gravierenden Schaden an.

Allerdings sollte man immer mitbedenken: 

Jede neue technische Generation, die eingeführt wird, jede optimale Wärmedämmung etc. treibt in der Bilanz die stoffliche Verbrauchs­spirale des Industrie­systems noch mal auf Hochtouren, also der zerstörerische Apparat läuft im Hintergrund weiter. Eine vollständige solare Energiewende würde ohne eine einschneidende Senkung des Energieverbrauchs einen gigantischen Verbrauch an Ressourcen verschlingen. Das kann nicht Ziel sein. 

Wir müssen uns auf einen Bruchteil des heutigen Energieverbrauchs einrichten. Das kann nicht allein durch ökologische Effizienz erreicht werden, selbst­genügsame Lebensformen müssen hinzukommen. Wir sollten uns hierzulande darauf orientieren, bis spätestens zur Mitte des angebrochenen Jahrhunderts mit ungefähr 10-20 Prozent des heutigen Energieverbrauchs auszukommen.

Während sich die Solarthermie bei der Aufbereitung von Warmwasser bereits rechnet, ist man bei der Stromerzeugung mit Solarzellen noch nicht soweit. Mit Preisen ab 1,50 DM pro kWh ist die Photovoltaik unter den gegenwärtigen Wirtschaftsbedingungen nicht konkurrenzfähig. Um das zu ändern, müssen die hohen Produktions­kosten abgebaut werden. Dies kann durch die Großserienfertigung, staatliche Subventionen und Forschungsgelder geschehen.

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Eine wirksame ökologische Steuerreform, die bei den Ressourcen ansetzt würde die veralteten Methoden zur Energieerzeugung deutlich verteuern und damit erneuerbare Energien verbilligen. Allein durch die Massenfertigung der Solarmodule könnte binnen weniger Jahre der Preis auf bis zu 0,23 DM pro kWh auch unter den deutschen Klimabedingungen gesenkt werden. Franz Alt geht davon aus, der Preis wäre noch weiter zu drücken, auf bis zu 10 Pfennig pro kWh. Natürlich wäre ein Verbrauch von unbebauten Flächen zur Solarstromerzeugung unakzeptabel, aber es gibt genug Dächer und Fassaden, in die Module integrierbar sind.

Eine weitere Möglichkeit zur Anschubfinanzierung ist das <Aachener Modell>. Dabei wird die solare Energie kostendeckend dem Erzeuger vergütet. Die Mehrkosten können die Stadtwerke auf alle privaten und industriellen Stromkunden aufschlagen, jedoch darf der Energiepreis dadurch nur um 1 Prozent steigen. Etwa ein Vierpersonenhaushalt wird im Monat bei diesem Modell nur durch wenige Euro mehr belastet. Würde dieser Freiraum überall in der Bundesrepublik genutzt, dann ergäbe sich eine installierte Stromleistung von ca. 300 bis 400 Megawatt. Das entsprach 1994 der Leistung aller jemals in der Welt installierten Solaranlagen.45) Im liberalisierten Strommarkt wird es jedoch zunehmend schwerer, diese Beträge auf den Kunden umzulegen, zudem erlischt der Fördereffekt, wenn das jeweilige Limit an Anlagen überschritten ist. Deshalb gibt es Bemühungen, eine kostendeckende Vergütung über das Stromeinspeisegesetz zu installieren. 

Eine analoge Strategie verfolgte Greenpeace mit seiner Solarkampagne. 

Ende 1995 hatte der letzte größere Produzent von Solarmodulen in Deutschland die Herstellung abgebrochen. Dies war für Greenpeace Anlaß, in einer Kampagne zu beweisen, es gibt sehr wohl einen Markt für diese Produkte. Die Organisation wollte jährlich 2.500 Bestellungen für Photovoltaikanlagen einwerben, zunächst über eine Kaufabsicht. Dies würde ausreichen, um eine rentable Solarfabrik zu betreiben. Mehr als 4.000 Bestellungen kamen zusammen. Mit diesen Kaufabsichten wurde ein Investor gesucht. Inzwischen engagieren sich auch die Mineralölkonzerne BP und Shell in der Solarbranche.

Mit der <Aktion Stromwechsel> will Greenpeace erreichen, daß jeder Strom aus erneuerbaren Energien beziehen kann. Mit der Liberalisierung des Energie­marktes fielen die alten Strommonopole. Jeder kann jetzt selbst entscheiden, ob er Strom aus Atomkraftwerken bezieht oder die solare Energiewende unterstützen will. Seit Januar 2000 bietet ein von der Umweltorganisation ins Leben gerufenes Unternehmen einen Strommix an, der zu 50% aus regenerativen Energien gespeist wird, wobei ein Mindestanteil von 1% Solarstrom enthalten ist. Der übrige Anteil stammt aus Erdgas, das in Anlagen genutzt wird, die sowohl Strom als auch Wärme produzieren. 

Das ist zwar noch nicht optimal, führt aber dennoch zu einer sehr starken Reduktion von ausgestoßenem Kohlendioxid. Einstweilen ist der Ökostrom im Preis auch ein paar Pfennige teurer pro Kilowattstunde. Es gibt auch noch weitere Anbieter von Okostrom, allerdings ist nicht jeder grüne Tarif mit einem Zubau von alternativen Energiekapazitäten verbunden, und nicht überall wird Strom aus Photovoltaik berücksichtigt. Dies jedoch ist das erklärte Ziel von dem Greenpeace nahestehenden genossenschaftlich organisierten Unternehmen.46

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Auch in anderen Ländern bahnt sich die solare Perspektive ihren Weg. Japan kaufte eine Vielzahl deutscher Solar-Patente auf. Die japanische Regierung erhöhte ihr 70.000-Solardächer-Programm von 1996 Anfang 1997 auf ein 100.000-Dächer-Programm. Soviele Haushalte bekommen einen Zuschuß für ihre Solaranlage. Auf diese Weise will das fernöstliche Land die preiswerte und massenhafte Produktion in Gang bringen. Schon in fünf Jahren soll Solarstrom in Japan so billig sein wie Kohle oder Atomstrom.

Franz Alt kommentiert: "Eher lassen sich die Herrschenden in Bonn — wieder einmal — von anderen einen Weltmarkt erobern — und das auch noch mit Hilfe deutscher Technologie, als daß sie endlich die jetzt anstehenden politischen Entscheidungen gegen die alten Energie­monopolisten treffen." Er wirft der CDU/CSU und der FDP vor, sie hänge am Tropf der Atomwirtschaft, so wie die SPD am Tropf der Kohlelobby. Damit verspielen die bundes­republikanischen Altparteien den solaren Zukunftsstandort Deutschland. Die japanische Regierung erwartet, daß durch ihre Solarpolitik etwa eine Million neue Arbeitsplätze entstehen. Dieser Aufschwung wird sich insbesondere auf den riesigen Exportmarkt gründen, bei dem Deutschland bereits den Anschluß verpaßt hat.47) Man darf gespannt sein, ob die rot-grüne Regierung in Deutschland den Rückstand aufzuholen vermag.

Wenn die Studie <Zukunftsfähiges Deutschland> davon ausgeht, bis zum Jahr 2050 müßte weltweit alle Energie solar gewonnen werden, und wir eine Vorreiterrolle der Industriestaaten annehmen, dann muß der Umbau der nationalen Energiewirtschaft in dem benannten Tempo von etwa drei Dekaden erfolgen. Möglicherweise ist aber auch dieser Zeitplan für den Übergang noch zu langsam, immerhin kann ich dies nicht ausschließen. Weltweit wird es genügend Nachzügler geben, die wirtschaftlich nicht umsteuern können bzw. dies nicht wollen. Aller Voraussicht nach wird die Umstellung der Energie­versorgung auf eine solare Basis auch hierzulande länger dauern, vielleicht zu lange.

 

Auch wenn derzeit durch eine widersinnige EU-Agrarpolitik Felder brachgelegt werden und es naheliegt, mit Energiepflanzen einen Aufschwung in der Landwirtschaft in Gang zu setzen, so sei noch mal daran erinnert: Deutschland nimmt zwei- bis dreimal mehr Umweltraum in Beschlag, als ihm auf Grund seiner eigenen Fläche eigentlich zustünde

Selbst wenn man in Betracht zieht, mann und frau könnte den Fleischkonsum drastisch einschränken, um zu einem geringeren Flächenverbrauch zu kommen, so bleibt die wichtige Frage, ob es nicht angesichts begrenzter Ackerflächen sinnvoller wäre, Schilfgräser, Hanf u.a. für Produkte auf alternativer Rohstoffbasis zu nutzen. Die Palette reicht von Kleidung bis zu Karosserieteilen. Dies würde in Bereichen helfen, den Ausstoß von Klimagasen abzubauen, wo sie sonst zum Teil nur schwer vermeidbar sind, und zudem nicht erneuerbare Rohstoffe einsparen. Außerdem ist die energetische Nutzung z.B. von Schilfgras zwar CO2-neutral, aber beim Verbrennungsprozeß entstehen auch andere Schadstoffe.

Produkte aus endlichen Bodenschätzen müssen nach und nach umfassend ersetzt werden durch solche, die sich aus Biomasse gewinnen lassen. Zum Beispiel können Kunststoffe auf Pflanzenbasis statt aus Erdöl hergestellt werden, Aluminium läßt sich oft durch Holz ersetzen. Für eine weitgehend solare Rohstoff­basis, die anzustreben ist, bleibt jedoch noch viel Forschungsarbeit erforderlich.

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Nichterneuerbare Rohstoffe sollten nur noch dort zum Einsatz kommen, wo sie nicht ersetzt werden können. Klar ist aber zugleich auch, ohne eine Senkung der materiellen Grundlast wird sich eine solare Rohstoffbasis nicht umsetzen lassen. Die Fläche dafür kann nicht geordert werden, wenn sich gleichzeitig der Verbrauch an Nahrungsmitteln auf Grund des hohen Bevölkerungswachstums in den armen Ländern global wenigstens verdoppeln wird. 

Auf der anderen Seite dehnen sich die Wüsten täglich um weitere 20.000 Hektar aus, und eine Schneise nach der anderen wird in den Regenwald geschlagen für einen Landbau, der nach drei Jahren unfruchtbare Erde zurückläßt. Die Erfordernisse des Naturschutzes verlangen, viel Fläche müßte auch aus der land­wirt­schaftlichen Nutzung herausgenommen werden.

Alternative Energieerzeugung kann nicht a priori als umweltverträglich bezeichnet werden. Da muß man fragen: Wie ökologisch wird die Solartechnik produziert und entsorgt? So ist es sicherlich auch nicht sinnvoll, alle geeigneten Landstriche mit Windrädern zu verspargeln, wenngleich man im Gegenzug sagen muß, viele Tausende Hochspannungsmasten könnten abgetragen werden, wenn regional die alternative Energieversorgung gesichert ist. Der Landschafts­zerstörung durch Braunkohletagebaue sind Windräder gewiß vorzuziehen.

In den ersten sechs Monaten des Jahres 2001 gingen bundesweit 673 neue Windturbinen in Betrieb mit einer Gesamtleistung von 821 Megawatt, so der Bundesverband Windenergie. Das sind 50 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Damit produzieren in Deutschland bereits mehr als 10.000 Windräder Strom mit einer Gesamtleistung von 6.900 Megawatt.48) Nebenbei bemerkt, erweisen sich auch Windräder auf dem Meer als interessante Alternative, zumal die Energieausbeute deutlich höher liegt als an Land. Besonders in Dänemark hat man damit begonnen.

Selbstverständlich — egal, wie man die Dinge dreht, die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes dürfte nicht zu bestreiten sein, und der Einfluß der Räder auf das Brutverhalten von Vögeln ist nicht zu leugnen. In für den Naturschutz wertvollen Gebieten sollten sie nicht aufgestellt werden. Drei Windräder in Sichtweite des eigenen Dorfes sind gewiß eher zu verkraften, als wenn man von Windparks umstellt ist.

Auch kilometerweite Monokultur im Anbau von Energiepflanzen wie etwa Schilfgras kann nicht erwünscht sein. Dies gilt ebenso für Hanf. Nur ökologisch verträglicher Anbau sollte zugelassen werden, und die Pflanzungen dürften den übrigen ökologischen Landbau nicht einschränken. Dieser braucht mehr Fläche als die herkömmliche Landwirtschaft. Allerdings steht an erster Stelle die Reduzierung des Fleischkonsums, damit große Flächen, die für Futtermittel belegt sind, frei werden. Bedauerlich ist es, wenn alternative Möglichkeiten gebremst werden, so z.B. die Entwicklung von Windhamstern, die den Auftrieb nutzen und dadurch eventuell effizienter sein könnten als herkömmliche Windräder, vermutlich wird man weitere nicht realisierte Alternativtechnologien aufzählen können.

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Die Stromgiganten gaben zu Beginn der 90er Jahre jährlich 150 Millionen Mark zur Werbung gegen die Solarenergie aus. Ein stückweit kann man das schon verstehen, sie werden in einer dezentralen Energieversorgung überflüssig. Anfang 1995 konnte man der ARD-Tagesschau entnehmen, Helmut Kohl hielt Kohle- und Kernkraftwerke damals auch in Zukunft bei einem vernünftigen Energiemix für unverzichtbar. Anhand der einzelnen politischen Entscheidungen kann man nach wie vor gut erkennen, die CDU und die FDP halten eisern an diesem Kurs fest.

 

Weltweit werden die konventionellen Energiesysteme mit jährlich 300 Mrd. Dollar subventioniert. Dabei berücksichtigt diese Zahl der Entwicklungs­hilfe­organisation der UN viele versteckte Subventionen nicht einmal. Von Ende der 90er Jahre bis 2005 werden in Deutschland noch 70 Milliarden Mark für die Kohleförderung ausgegeben.49) Die Forschungsmilliarden, die für die Atom- und Kohleverstromung investiert werden, sind rausgeschmissenes Geld, mit dem die alternativen Energien profiliert werden könnten. In der EU erhält die Nuklearforschung zwischen 1998-2002 mit 1.260 Millionen Euro doppelt soviel Forschungsgelder wie die Erneuerbaren mit 625 Millionen Euro.50) 

Trotz rot-grüner Regierung in Deutschland wird immer noch 60 Prozent der Energieforschung in den Großforschungszentren für die Atomenergie einschließlich der Fusion bereitgestellt. Nur zehn Prozent fließen in die Forschung für die erneuerbaren Energien.51) Solange dies so bleibt, muß man davon ausgehen, die Regierung will gar keinen Atomausstieg und lügt der Bevölkerung etwas vor. Hier müßte grundsätzlich umgesteuert werden.

Der Atommülltransport im März 1997 ins Wendland kostete etwa 167 Millionen Mark und einen erheblichen moralischen Verschleiß des Staates. Für erneuerbare Energien gab der Bund im selben Jahr dagegen nur 18 Millionen Mark an Forschungsgeldern aus.52 Das zeigt die Relationen der politischen Geistlosigkeit in unserem Land. Rot-grüne Transporte sind natürlich keinen Deut besser, zumal es wohl mit dem Abschluß des sogenannten Atomkonsenses 25 Jahre dauern wird, bis der letzte Atomreaktor vom Netz geht, vielleicht verzögert dies die CDU auch noch um ein paar Jahre, sie will ja weiter machen.

Der Anteil von erneuerbaren Energien in Deutschland liegt zur Jahrtausendwende in der Stromproduktion bei sechs Prozent. Das 100.000-Solardächer-Programm der rotgrünen Regierung mit einem Volumen von einer Milliarde DM, verteilt auf sechs Jahre, wird den solaren Aufschwung zumindest befördern. Für die Solaranlage gibt es einen zinslosen Kredit oder einen Investitionszuschuß beim Kauf der Anlage. Diese Förderung entspricht etwa 35 Prozent der Investitionskosten.53)  

Mit 200 Millionen Mark jährlich wird aus einem Teil der Einnahmen der ökologischen Steuerreform auch die Energiegewinnung aus Biomasse und die Geothermie gefördert. Auch die Einspeisung des Stroms aus einer Photovoltaikanlage erfährt einen kräftigen Zuschuß, am Anfang sogar noch 99 Pfennig. Dies ist sicherlich einer der wenigen Bereiche, wo der Regierungswechsel 1998 etwas gebracht hat, aber auch nur, weil es ein paar Engagierte gab, die das durchgebracht haben. Das ist ein bescheidener Anfang, die globale Aufgabe einer Klimawende würde jedoch eine andere Dimension des Herangehens erfordern. 

Es bleibt also viel zu tun.

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Auch wenn eine Reihe von Politikern, Wissenschaftlern und Managern noch immer im Tal der Ahnungslosen wohnen: 

Die Atomkraftwerke müssen sofort stillgelegt werden. Der Ausstieg ist selbst unter der hochgradig fraglichen Fortschrittsoption des Wirtschafts­standortes Deutschland möglich. Das, was seit 2001 unterschrieben von vier Atomkraftbetreibern und Regierung als Ausstieg gehandelt werden möchte, bedeutet noch für mindestens ein Vierteljahrhundert die Gefahr eines Super-GAUs in Deutschland. Es wurde zugestanden noch einmal so viel Atomstrom in Deutschland produzieren zu können, wie von den deutschen AKWs bisher in die Netze geschickt wurde. Die Technik in den Kernkraftwerken wird sich auch nicht verjüngen, insofern werden die Sicherheits­gefahren eher größer werden. Der hoch radioaktive Müll wächst beim fristgerechten Abschalten noch mal auf zusätzliche 7.000 Tonnen an.

Auch bei einem relativ schnellen Atomausstieg würden nicht "die Lichter ausgehen". Der Höchstverbrauch an Stromleistung liegt in Deutschland bei 72,6 Gigawatt. Das ist eine Nachfrage, in deren Nähe man nur an besonders kalten Tagen kommt. Die 1998 installierte Stromleistung betrug rund 108 Gigawatt. Wir kommen also auf eine Reserveleistung von mehr als 35 Gigawatt.54) Damit könnte man die atomaren Erzeuger vollständig ersetzen. Sie machen nur 20 Prozent des deutschen Kraftwerksparks, aufgegliedert nach Energieträgern, aus.55)  

Eine weitere drastische Reduzierung des Höchstverbrauchs an Strom wäre durch effektive Energiesparpolitik ohne Probleme umzusetzen. Allein bei Verzicht auf sogenannte Stand-by-Schaltungen könnten mehrere Atomkraftwerke an Stromleistung eingespart werden. Eine Reserveleistung von 35 Gigawatt ist in jedem Fall reine Verschwendung. Japan leistet sich z.B. 7% Reserveleistung in bezug zur Gesamtstrommenge. Warum Deutschland dagegen mehr als 48% braucht, ist nicht einzusehen.

Wenn es trotzdem in der Politik noch Verfechter der Atomkraft gibt, so liegt das u.a. daran, weil man noch nicht so weit ist, man braucht erst einen zweiten GAU nach Tschernobyl zum Umdenken, und außerdem können die Energieunternehmen mit den heute abgeschriebenen Atomkraftwerken noch viel Geld verdienen. Fazit: Wenn die Politik wollte, könnte sofort klar sein — wir schalten den Atomstrom sofort ab. Für Frankreich mit seinen über 70 Prozent Stromanteil, der atomar erzeugt wird, ist der Ausstieg viel komplizierter. Aber will es noch irgendein deutscher Politiker riskieren, sich am Schlußlicht zu messen? Ohnehin geraten die atomaren Transporte immer mehr unter Druck.

Jeder konnte 1998 sehen, wie es um die Sicherheit bestellt ist. Eine mehr als 3.000fach höhere Dosis, als die "zulässigen" Grenzwerte für atomare Partikel angeben, wurde am Castorenmantel gemessen. So gut, wie die Antiatombewegung derzeit in ganz Deutschland organisiert ist, wird irgendwann nicht nur wie 1997 eine ganze Streckenführung unpassierbar sein, sondern alles abgeriegelt. Die ansässigen Bauernwirtschaften hatten mit einer großen Treckerblockade den Weg nach Gorleben unpassierbar gemacht. Barrikaden aus Bäumen, Stroh, Straßenunterhöhlungen und zwei zu einem überdimensionalen X zusammen­geschweißte Stahlträger, senkrecht eingelassen in die Straße, blockierten die atomare Fracht. 

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Bevor sie auf eine Ausweichstrecke gelangen konnte, mußten erst noch 10 Stunden lang friedliche Demonstranten mit Wasserwerfern drangsaliert werden. Tausende hatten sich sitzend auf dem Transportweg zusammengekauert. Bei frostigen Märztemperaturen begann die Räumung um Mitternacht. Im März 2001 mußte der Atomzug erstmals rückwärts fahren wegen einer Aktion von vier Robin-Wood-Aktivisten, und danach war es notwendig, auch die Transporte nach La Hague und Sellafield zur Wiederaufbereitung des Atommülls mit sehr starken Polizeiaufgeboten zu bewachen.

Als sicher darf gelten, man kann hochradioaktiven Atommüll nicht über Tausende von Generationen ohne Schaden verscharren. Eine unbedenkliche Endlagerung wird es niemals geben. Wer könnte eine sichere Lagerung für viele Jahrtausende auch garantieren, nimmt man mal die hartgesottenen Ideologen aus? Die Halbwertszeit von Plutonium beträgt 24.400 Jahre. Nach ungefähr 10 Halbwertszeiten ist die Radioaktivität weitgehend abgeklungen. Allein eine realistische Versicherungspflicht für den möglichen GAU würde zur sofortigen Aufgabe der einst hochsubventionierten Atomtechnologie zwingen.

Ein wichtiger Bereich der Energiewende ist die Verkehrswende

Mit einem drastischen Anstieg des weltweiten Bestands an Personenwagen von 500 Millionen in der Mitte der neunziger Jahre um mehr als das vierfache auf 2,3 Milliarden bis zum Jahr 2030 rechnet das Heidelberger Umwelt- und Prognoseinstitut. In diesem Zeitraum werde der Autoverkehr rund 60 Milliarden Tonnen Erdöl verbrauchen, fast die Hälfte der derzeit bekannten Welterdölreserven.56 Diese Aussagen verdeutlichen, wie dringend eine Verkehrswende angesagt ist. Die Industrie­staaten müssen damit beginnen. Allein in Afrika gibt es auf dem Kontinent nur etwa soviel Fahrzeuge wie im Bundesland Rheinland-Pfalz. So gilt es dort nur, den Nachholwettbewerb einzuschränken.

Zum Jahr 2030 hin sollte sämtliche unverzichtbare Mobilität neben Fahrrädern über öffentliche Verkehrs- und Transportsysteme geleitet werden, wie Bahnen, Solarbusse und -schiffe usw. Privater Autoverkehr existiert dann nicht mehr. 

Ein solches alternatives Verkehrsmodell setzt aber auch eine völlig neu organisierte Arbeitswelt voraus, z.B. mindestens eine Halbierung der jetzigen Arbeitszeit für den formellen Erwerbssektor. Die Arbeitszeit richtet sich nach den Fahrplänen.

Unzählige Bahnhöfe und Nebenstrecken legte man in den vergangenen Jahrzehnten in Westdeutschland still. Die Preise für das Bahnfahren gehen in Wucher über. Zwischen 1950 bis kurz nach der Vereinigung baute die Bundesbahn 17% ihrer Strecke ab, der Straßenbau nahm dagegen um 40% zu.57 In Ost­deutsch­land werden die Nebenstrecken reihenweise kaltgestellt, ein Ergebnis bahnfeindlicher Politik. 

Doch mit dem ökologischen Wandel könnte sich vieles ändern. Viele tote Strecken wurden wieder aktiviert und in Betrieb genommen. Autobahnen werden auf eine Fahrbahn zurückgebaut, in den Städten viele Straßenzüge in Parkanlagen oder Fußgängerzonen umgewandelt. Die Automanie hätte ausgedient. 

Das Gros aller Versorgung, also wenigstens zwei Drittel, wäre in einem Verkehrsradius von 30 bis 50 Kilometern abzudecken, einen Welthandel im heutigen Sinne würde es bis auf minimale Reste nicht mehr geben.

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 Marko Ferst - Wege zur ökologischen Zeitenwende - 2002