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10.  Zur Umgestaltung des Regierungssystems

   Anmerk

 

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Da Parteien sich stets im Vier-Jahres-Rhythmus durchwursteln und Wahlen zum eiskalten Geschäft um Stimmenfang und Politposten verkommen, dabei aber die zwingenden Kursänderungen auf der Strecke bleiben, ist es, meine ich, erforderlich, darüber nachzudenken, wie durch eine Veränderung des parlament­arischen Systems diese Schwächen gemildert werden können. 

Überdies gehen alle irdischen Belange, die aus sich heraus keine soziale Macht bilden können, nicht in den politischen Werdeprozeß ein. Man berücksichtigt sie nur so weit, wie diese in den Ringkämpfen der verschiedenen Interessen­haufen zu einer relevanten Größe aufsteigen. Diese Systemschwäche bringt über kurz oder lang jedes noch so stabile Gemeinwesen in einen Schlingerkurs, insbesondere wenn die Korrekturmöglichkeiten so extrem beschnitten sind wie in den heutigen Massen­gesellschaften.

Die Fragen um die Rückbindung der Gattung Mensch an ökologische Kreisläufe, an die Gesetze der irdischen Naturordnung, sollten sich als Zentralgestirn politischer Praxis heraus­kristallisieren. Die grundsätzlichen Entscheidungen in den gesellschaftlichen Rahmen­bedingungen müssen über den metropolitanen Verteilungs­kämpfen stehen, die heute den Bundestag so übermäßig beschäftigen. 

Das Gemisch aus Partialinteressen darf nicht mehr den zivilisatorischen Gang der Staatspolitik im Blindgang lenken. Diese Situation ist auch erheblich daran beteiligt, weitgehende Reformbestrebungen, die über die üblichen Minimalschritte in der allgemeinen Stagnation hinausgehen, erfolgreich zu verhindern. Das Politische muß über dem Ökonomischen den Rahmen geben und darf nicht Opfer des expansionistischen Antriebs der Gesellschaft werden.

Schon wegen der historischen Erblast der europäischen Nationalstaaten durch die beinahe globale Kolonialisierung der Völker in den vergangenen Jahr­hunderten gehört das außenpolitische Verhältnis zu den Menschen in den armen Regionen dieser Welt zu den prioritären Belangen, die auf eine höhere Stufe der Staatsaufgaben gehören. 

Der Hauptgrund für diese Aufwertung liegt aber in der aktuellen Schuld der reichen Länder durch das von ihnen getragene mafiose Weltwirt­schaftssystem, das jegliche soziale Gerechtigkeit gegenüber den Schwächsten auf dieser Erde ausradiert. Zu sprechen ist über den dadurch wesentlich mitinduzierten Völkermord, der meist im blinden Fleck westlicher Wahrnehmung verschwindet. 

Demokratie, die nur die reichen Stände dieser Welt einbezieht, ist ein Lügengespinst. Eine ökologische Weltordnung kann niemals zustande kommen, wenn die Schritte für ein gerechtes Süd-Nord-Verhältnis und die radikale Abrüstung aller Militärpotentiale nicht mit Vehemenz und Ausdauer angegangen werden. 

Neben der erforderlichen zivilisatorischen Transformation sind in der heutigen parlamentarischen Demokratie die seelischen Grundlagen zukunfts­fähiger Lebensweisen, ist die spirituelle Dimension gesellschaftlicher Entwicklung, völlig ausgeklammert. 

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Mehr noch: wenn man sich die Zwischenbemerkungen zu manchen Bundestagsreden anhört, in bezug auf den Vernunftquotienten, kann einem nur Angst und Bange werden über das Ausmaß an kulturellem Verfall. 

Überhaupt scheint der gegenwärtige Politikbetrieb sehr dafür geeignet zu sein, die Feinheiten inneren Menschseins zusammenzustauchen. Insofern ist es zwiespältig, aber dennoch notwendig, diese Ebene in der politischen Sphäre neu zu initiieren. Die Politik muß sich auf den Gegenpol ihrer gegenwärtig so oft repräsentierten Selbstsucht einlassen. Sie sollte ihren Anteil auf dem Weg zu einer seelischen und geistigen Hochkultur beitragen. Integrale Weisheit muß zu den obersten Schichten im Staat vordringen können, ohne vorher durch das politinterne Klima abgedrängt zu werden, so daß die Träger ausfallen oder sich opportunistisch verhalten. 

Im ganzen steht die Frage, ob die in der zivilisatorischen Entwicklung ausgegrenzten Sektoren wieder Sitz und Stimme in einer eigenen Institution erhalten, sozusagen der parlamentarischen Demokratie überbaut werden und dadurch die in ihr richtig gefaßten Schlüsse stärken. Wir brauchten ein übergeordnetes Ethik- und Ökoparlament. Unter dem Titel <Ökologisches Oberhaus> und ähnlichen Bezeichnungen ist eine solche politische Institution bereits in der Diskussion. Rudolf Bahro brachte sie mit seinem Buch <Logik der Rettung> in den öffentlichen Diskurs.93

Wen das Mal des problematischen historischen Bezugs im Namen zu sehr stört, der könnte es auch <Ökologisches Bundeshaus> nennen. Da erstere Bezeichnung aber bereits im Umlauf ist und das "Ober-" auch signalisiert, es handelt sich hier um das oberste Organ des Staates, will ich mich der gängigen Bezeichnung anschließen. Mitunter taucht für die gleiche Idee auch die Bezeichnung <Ökologischer Rat> auf. Beachten muß man aber: hinter diesem Begriff verbergen sich zwei verschiedene Konzeptionen. Unter Ökologischem Rat wird häufig auch ein Gremium aus Experten verstanden, die den bestehenden demokratischen Institutionen beigeordnet werden, maximal ein Vetorecht erhalten und Vorschläge einbringen dürfen, aber keine gestaltende bzw. gesetz­gebende Funktion haben. Davon soll hier nicht die Rede sein.

 

Für die Konstitution eines übergeordneten Ethik- und Ökoparlaments finden sich in der Bundesrepublik immer mehr Fürsprecher, so auch der Präsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt und Energie, Ernst Ulrich v. Weizsäcker. Er meint, wir brauchten einen Anwalt für die kommenden Generationen, aber auch für die nichtmenschliche Natur. Es könne nicht angehen, daß nur die Übermacht der Jetztzeit regiert und die schnelle Mark und die Arbeitsplätze für heute, egal, was später aus dieser Entwicklung heraus passiert.

Ein konstruktives Wechselspiel zwischen den bestehenden Institutionen und den Zukunftsinteressen müsse Zustandekommen, bei dem letztere das nötige Gewicht bekommen. Die bisherige Wahlpraxis könne diese Intention nicht einlösen. Es drohe, daß die jetzige Generation die materielle Substanz aufbrauche, die kommende Generationen zum Leben benötigen.

Ein Teil des Erfolgs der bestehenden Demokratie liege auch darin, meint Weizsäcker, daß sie die langfristigen Anliegen abstreifte. Dies muß korrigiert werden, ohne in die Fehler der Monarchie zurückzufallen.

  wikipedia  Ernst Ulrich von Weizsäcker  *1939      232/233


Daran kritisiert Rupert Scholz, Mitglied der Verfassungs-Kommission, daß ein Ökologischer Rat doch sehr an die Wirtschafts- und Sozialräte erinnere und diese jeweils nur von den Sonderinteressen ausgingen. Ein Ökologischer Rat läge genau in derselben Spur. Daß diese Annahme völlig verquer ist, dürfte aus den bisherigen Ausführungen hinlänglich klargeworden sein. 

Einen wunden Punkt trifft aber sein zweites Argument. So sagt Scholz, wenn ein solcher Rat aus der allgemeinen Politik herausgelöst würde, dann werden Entscheidungs­befugnisse, die eigentlich dem Parlament zustehen, an ein Gremium gegeben, das demokratisch nicht legitimiert ist. Dies verstoße gegen das Demokratie­prinzip.94

Nun ist es zweifellos so, daß man denjenigen, die die Vorschläge für so eine übergeordnete Instanz ins Leben gerufen haben, zur Last legen muß, sich um die demokratische Architektur nicht entschiedener gekümmert zu haben. Dabei geht es nicht um das demokratische Wollen, das ist sehr wohl artikuliert, aber es gibt fast keine Vorschläge, wie sich dies in konkreter Struktur niederschlagen soll. Man muß sich darüber im klaren sein, mit der demokratischen Anbindung steht und fällt die Idee des Ökologischen Oberhauses, und ich meine, es gibt sehr wohl Wahlmodalitäten, die diesen Anspruch einlösen können, ohne daß ein Bundestags­double dabei herauskommt. 

Findet sich für dieses Problem eine optimale Lösung, wären dann auch die Befürchtungen von Rupert Scholz hinfällig, die demokratischen Spielregeln seien in Gefahr. Nur müßte man ihn dann fragen, welches Argument noch dagegen spräche, wenn er bei seiner Gegenposition bliebe. Und er müßte die Annahme entkräften, er wolle nur, daß alles beim alten bleibt. Andere Äußerungen von ihm hinterlassen da einen begründeten Verdacht.

Desweiteren zu einem Vorschlag von Alexander Solschenizyn

Beinahe ähnlich der Oberhauskonstruktion, aber erst mal nicht direkt auf das Natur-Mensch-Thema bezogen, liegt seine Überlegung, für die russischen Verhältnisse eine Sobornaja Duma zu begründen, als ethische Instanz des Staates, die das Parteiengerangel begrenzt. Er hält es nicht für möglich, daß sich ein hohes Niveau der Tätigkeit aller staatlichen Gewalten einstellt, wenn man nicht zu einer solchen Einrichtung käme. Diese Behauptung wäre doch mal eine spannende Denkanregung für die Verfassungs-Kommission? Immerhin verfügen wir in Deutschland über eine demgemäße politische Einrichtung nicht, obwohl man meinen könnte, das deutsche Regierungssystem sei ausgereifter als die russischen Gehversuche.

Solschenizyn möchte in der <Sobornaja Duma> das Volksgewissen versammelt sehen, zusammengesetzt aus angesehenen Personen, die sich als moralisch integer, weise und lebenserfahren erwiesen haben. Wie er selbst einräumt, kann er sich aber keine wirklich unanfechtbare Auswahlmethode vorstellen. So scheint mir dann auch sein Vorschlag, diese Kandidatinnen aus den verschiedenen Ständen der russischen Gesellschaft zu rekrutieren, nicht sehr schlüssig.95   

 Solschenizyn-Buch

Wie könnte nun aber der Umbau des deutschen Regierungssystems aussehen? 

Das Ökologische Oberhaus wäre also dem Bundestag übergeordnet, kann durch Vetorechte und verfassungsrechtliche Vorgaben Rahmen für dessen Arbeit setzen. Ihm stünde außerdem zu, der Regierung Beschlußinitiativen zu unterbreiten. 

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Gesetzesvorlagen sowie Ge- und Verbote kann es sowohl dem Bundestag, dem Bundesrat als auch den Länderparlamenten verordnen. Außerdem würden Themen für Volksabstimmungen festgelegt und perspektivische Alternativen ausgearbeitet. Für Volksentscheide muß das parlamentarische Gremium jedoch ähnlich wie andere Initiatoren eine stattliche Anzahl von Unterschriften beibringen, von Bürgerinnen und Bürgern, die das Anliegen unterstützen.

Mit Zweidrittelmehrheit darf das Oberhaus beschließen, Entscheidungen, die im Regelfall im Bundestag oder in einem Landtag behandelt werden, an sich zu ziehen. Jedoch die Auflösung des Bundestages etc. sollte es nicht verfügen können. Genauer müssen noch die Trennlinien fixiert werden, welche Kompetenzen den verschiedenen parlamentarischen Häusern zustehen, wo dies noch nicht eindeutig ist.

Die Funktion des Bundespräsidenten könnte künftig über rein repräsentative Aufgaben hinausgehen. Als Staatsoberhaupt würde er zusammen mit einem Präsidialrat dem Ökologischen Oberhaus vorsitzen. Bislang wird der deutsche Bundespräsident durch eine Bundesversammlung gewählt, die sich zu gleichen Teilen aus Mitgliedern des Bundestags und der Länderparlamente zusammensetzt. Mit der Umgestaltung des deutschen Regierungssystems fiele diese Aufgabe den Abgeordneten des Ökologischen Oberhauses zu, die sowohl den Bundespräsidenten als auch den ihm beigeordneten Präsidialrat, der aus etwa sechs bis acht Abgeordneten bestünde, aus ihrer Mitte heraus wählen. 

 

Im Gegensatz zu Rudolf Bahro plädiere ich nicht für eine Präsidentschaftswahl, sondern für eine Direktwahl aller Abgeordneten des Oberhauses. Eine zusätzliche Präsidentschaftswahl würde dieses Volksvotum elementar schwächen, wenn dem Bundespräsidenten überproportionale Machtbefugnisse zugestanden würden, und nur dann wäre eine solche Wahl auch hinreichend sinnvoll. Nicht nur wegen der Rolle des Reichspräsidenten bei der Aufgabe der Weimarer Republik scheint mir eine so übermäßige Machtkonzentration in den Händen einer Person als ungünstig. 

Selbst wenn man idealtypisch voraussetzt, man hätte volksabgestimmt den Präsidenten, der den gesellschaftspolitischen Kurs und die Wahl der Mittel optimal trifft, so bleibt er als einzelner immer ein Opfer der eigenen persönlichen Grenzen. Der Präsident des Ökologischen Oberhauses müßte über weniger Machtbefugnisse verfügen als etwa der amerikanische, der russische oder der französische Präsident, aber weit mehr als der heutige deutsche Bundes­präsident.

Über die hier dargelegte Position sprach ich auch mit Rudolf Bahro und machte ihm meinen Kritikpunkt an seiner Konzeption kenntlich. Wie er mir sagte, wäre ihm die von mir monierte Regelung nicht unbedingt verteidigenswert, wichtiger sei ihm das prinzipielle Anliegen des Ökologischen Oberhauses.

Die Legislaturperioden des Öko- und Ethikparlaments auf 10 bis 15 Jahre zu dehnen, wie Jens Reich meint, scheint mir wenig sinnvoll, weil dies einer konzeptionellen Stagnation Vorschub leisten würde und neue verkrustete Politstrukturen zeugen könnte.96) Man braucht sich bei seiner parlamentarischen Arbeit nicht mehr anzustrengen, weil der eigene Sitz auf Jahre hinaus sicher bleibt. 

Jens Reich bei detopia

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So ist festzuhalten: 

Die optimale Dauer der Legislaturperiode läge bei etwa sechs oder sieben Jahren, sie dürfte aber auch nicht unter dieser Zeitspanne liegen, um zu vermeiden, daß das Agieren für kurzfristige Absichten zu sehr in den Vordergrund tritt und die Ambitionen zur Wiederwahl die eigentliche Arbeit behindern. In erster Linie hängt das Ausmaß dieses Problems selbstverständlich von der Motivation der Akteure und Akteurinnen ab und dem parlamentarischen Arbeitsstil, in dem sie wirken.

Alle gesellschaftlichen Gruppierungen sollten durch Einzelpersonen für dieses Oberhaus kandidieren können. Parteien wären nicht zugelassen. Damit ließe sich der verfassungsmäßige Auftrag der Parteien, an der Willensbildung der Gesellschaft teilzunehmen, besser gewährleisten als in der bisherigen Konstellation, die auf eine überproportionale Beherrschung der öffentlichen Meinungsbildung und Gesellschaftsentwicklung hinausläuft, was zu Recht als Parteiendiktatur kritisiert wird.

Zudem müßten die Gehälter der Parlamentarier dem Durchschnitt des normalen Einkommens der Arbeitnehmer angepaßt sein. Es kann nicht sein, wie es heute der Fall ist: in allen Lebensbereichen, die den normalen Bürger betreffen, werden die finanziellen Flüsse gekürzt, aber die Parlamentarier beschließen sich auf Kosten der Steuerzahler einen Goldesel, der immer üppigere Diäten für die Taschen der Abgeordneten abwirft. Über 12.000 DM pro Monat reichen für einen Bundestagsabgeordneten nicht, es müssen Schritt für Schritt immer noch zusätzliche Tausender her. Es fragt sich nur, welche Unabhängigkeit in Sachen Bestechlichkeit dem Bundestagsabgeordneten bleibt, wenn er nun so unabhängig und verwöhnt ist, daß er mit den Geldsummen des normalen Alltags nicht mehr rechnen kann?

Maßgehaltene Diäten und Rentenversorgungen etc. sind das eine; angegangen werden muß auch der Lobbyismus für wirtschaftliche und andere antiökologische Sonderinteressen. Auch hier sind tiefgreifende Veränderungen vonnöten, und ein kritischer Blick auf die Nebeneinkünfte der Abgeordneten ist unbedingt geboten.

Über eines sollte man sich jedoch keine Illusionen machen: 

Das Ökologische Oberhaus als neue politische Institution wird erst zur Realität, wenn an wichtigen Schaltstellen der heutigen Gesellschaft die Scheuklappen fallen. Davon sind wir heute noch sehr weit entfernt. Eine provisorische Vorwegnahme des Ökologischen Oberhauses könnte dieses Ansinnen beschleunigen.

Warum sollten nicht Umweltverbände und andere NGOs, möglicherweise unter Schirmherrschaft des Bundespräsidenten, einen Ökologischen Rat heranbilden, der die Funktion der angestrebten neuen Institution erst mal symbolisch übernimmt, ohne die verfassungsmäßigen Rechte, und insofern nur als öffentliches Forum ohne staatsjuristische Verbindlichkeit fungiert. Diese Einschränkung ist zunächst mal notwendig, da im ersten Schritt auch keine demokratische Wahl der Delegierten ermöglicht werden kann, dies aber für das eigentliche Oberhaus unerläßlich ist. 

Gegenüber dem Wahlmodus zum Bundestag und den Länderparlamenten gäbe es gravierende Unterschiede, da Parteien bei diesem obersten Organ nicht direkt antreten können, sondern nur einzelne Personen. Mit diesem Verfahren soll gesichert werden, daß ein möglichst großer Anteil an unabhängigen Persönlichkeiten Zugang hat, sowie auch NGOs, die insgesamt über eine größere Mitgliederbasis verfügen als Parteien.

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Gewählt würde nicht nach regionalen Wahlkreisen, sondern nach einer bundesweiten zentralen Liste, so daß also jeder Wähler und jede Wählerin alle zur Absdmmung stehenden Personen durch das eigene Votum für das Ökologische Oberhaus nominieren bzw. im Einzug begünstigen kann. Indem nicht nur über eine regionale Personenliste mit wenigen Wahlmöglichkeiten entschieden wird, ist die demokradsche Reichweite größer gefaßt, was dann aber auch bedeutet, daß der Wahlakt selbst nicht mehr mit Kreuzchenmachen und Zettelfalten erledigt sein kann. Damit wird der Wähler nicht nur erheblich einflußreicher, sondern der Wahlakt selbst fällt auch anspruchsvoller aus. 

Dem Ökologischen Oberhaus sollten etwa zwischen 80 und 120 Abgeordnete angehören. Dies würde bedeuten, daß für eine Wahl wenigstens 200 Kandidatinnen und Kandidaten zur Debatte stünden, die auf den Wahlformularen alphabetisch ohne Zugehörigkeitsdaten und Titel verzeichnet wären. Konkret könnte der Wahlmodus so gestaltet werden: Jeder Wahlberechtigte vergibt zehn Kreuze. Diese kann er je nach Belieben für eine einzelne Person einsetzen oder auf verschiedene aufteilen. Damit erhöht sich die Verantwortung der Wählerinnen markant, da nicht mehr nur nach dem einen oder anderen Parteiblock entschieden werden kann. Auch wenn nur zehn Kreuze zu vergeben sind, so ist eine solche Auswahl nicht mehr in der Wahlkabine zu bewerkstelligen, die Unterlagen müßten, wie bei der Briefwahl, vorher zugesandt werden. 

Vorteilhaft an dem Wahlverfahren ist auch, daß die Medienpräsenz für den Bewerber zwar günstig ist, jedoch auch weniger bekannte Bewerber eine Chance haben. Zweifellos wird die Rolle der Medien sehr richtend ausfallen, und sie birgt dadurch problematische Züge in sich. Aber sowohl derjenige, der etwa 5 Millionen Kreuze auf sich ziehen kann, als auch der, der nur einige hunderttausend Kreuze bekommt, wäre gleichwertiges Mitglied des Oberhauses, solange er zu den 80 bis 120 Personen zählt, die die meisten Summen bekommen.

Zu Recht verweist Tine Stein darauf, daß regionale Autoritäten bei der Kandidatur für das Ökologische Oberhauseine Chance erhalten sollten.97) Dazu folgender Vorschlag:

Wenn jemand regional, bezogen auf das jeweilige Bundesland, besonders viele Stimmen erhält im Gegensatz zum Bundesergebnis, dann kann er über das regionale Votum in das Oberhaus einziehen, zusätzlich zu der amtlich vorgesehenen Mandatsanzahl. Man könnte so vorgehen, daß man sagt, der Kandidat oder die Kandidadn im betreffenden Bundesland, welche die meisten Stimmen auf sich vereinen können, ziehen zusätzlich in das Oberhaus ein, auch wenn sie bundesweit nicht die erforderliche Stimmenanzahl erhalten. Mindestens müßten jedoch zehn Prozent der Kreuze im eigenen Bundesland gewonnen werden.

Tine Steins Überlegung, das Oberhaus nicht über bundesweite Listen wählen zu lassen, sondern generell nach dem Territorialprinzip, also daß für eine bestimmte Region nur regionale Vertreter gewählt werden können, bringt einige Probleme mit sich. Es würde bedeuten, der Wähler müßte mit der Regionalliste vorlieb nehmen, könnte also z.B. nicht Vertreter einer anderen Region wählen oder eine überregional bekannte Persönlichkeit. Diese Einschränkung der Wahlmöglichkeiten, so daß ich am Ende möglicherweise jemanden wählen muß, den ich eigentlich nicht für die günstigste Wahl halte, ist nicht akzeptabel. 

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Auch eine Kombination von Bundes- und Regionallisten würde bedeuten, daß diese Einschränkung nur zum Teil aufgehoben ist und der Schwierigkeitsgrad der regionalen Vertreter in das Oberhaus zu gelangen, weit geringer wäre als für diejenigen, die bundesweit antreten. Damit würde es zwei Klassen von Abgeordneten geben. Deshalb scheint mir die Wahl nach bundesweiten Listen als die beste Lösung, auch wenn sie Spielraum für mediale Verzerrungen läßt und von den technischen Details wie dem Umfang der Wahllisten umständlicher ist.

Um die problematischen Auswüchse in der Art des Sichdarstellens beim Personenwahlkampf zu begrenzen, wäre Wahlkampf, analog wie ihn die Parteien heute betreiben, nicht zugelassen. Dies beträfe z.B. Wahlplakate, Postwurfsendungen, Fernsehspots und Infostände etc. Lediglich öffentliche Veranstaltungen wären in begrenztem Ausmaß zulässig und könnten auf genormten Veranstaltungsplakaten angekündigt werden. Wer sich nicht daran hält, wird disqualifiziert.

Mindestens ein halbes Jahr vor dem Wahltermin würden im Handel Materialien erhältlich sein, in der die vorläufige Kandidatenliste ohne Zusätze abgedruckt wäre. Ebenfalls könnte in sehr preiswerter Buchform eine Kurzdarstellung der Kandidaten und Kandidatinnen erworben werden, die auf ca. zwei Seiten kurze Angaben zu ihrer inhaltlichen Position enthält, zudem einige kurze Angaben zum Lebenslauf. Außerdem sollte es eine Anlaufstelle geben, von der individuell ausführliche Materialien der Kandidatin oder des Kandidaten abgefordert werden können. Dies muß ganz einfach und ohne Umständlichkeiten für jeden abfragbar sein. Ein Anruf sollte genügen.

Auf den ersten Blick mag es so aussehen, als ob es nur auf schwerfälligen Wegen möglich ist, zu ausgewogenen Informationen zu gelangen, auf wen ich als Wähler die zehn Kreuze verteile. Zugleich muß man aber auch zugeben, daß es weit weniger mit Demokratie zu hat, wenn ich nur dem einen oder anderen ideologischen Haufen meine Stimme zuschlage. Über die Personen, die daraus folgend Politik ausführen, erfährt man dann höchstens über die Spiegelungen der Medien noch etwas. Wie objektiv diese sind, ist unter anderem von den Redakteuren abhängig.

Von denjenigen Kandidaten, die man per Abstimmung in den Bundestag hievt, weiß der Wähler größtenteils nicht mal den Namen. Wenn man sich die regionalen Spitzenvertreter merkt, ist man schon gut informiert. Insofern ist der vorgeschlagene Modus zur Oberhauswahl um ein Vielfaches intelligenter als bisherige Wahltypen. Natürlich können dafür dann nicht mehr die bequemen Schwarzweiß-Entscheidungen herhalten. All diese neuen Schritte müssen u.a. durch die Medien sorgfältig eingeführt werden, damit in der Bevölkerung der Sinn und die Logik dieser Maßnahmen bestmöglich verständlich wird. Mediale Effekthascherei, die auf emotionales Aufputschen setzt statt auf wahrheitsfindende Aufklärung, dürfte als gefährliches Gift wirken. 

Gleiches gilt für Autorinnen, die Vorschläge denunzieren, jedoch keine Gegenangebote vorstellen. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich z.B. an einen entsprechenden Artikel von Oliver Geden.98) 

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Nicht minder schwierig ist das Problem: Wie kommt man zu den kandidierenden Abgeordneten, aus denen das Volk dann auswählen kann?

Bei den üblichen Wahlen bestimmt die Parteibasis die Kandidatinnen für die Regionalversammlung, auf der diese dann bestimmen, welche Personen für den Wahlparteitag des Landes delegiert werden. Auf diesem Parteitag bestimmen dann die Delegierten die Kandidatinnen, die für die Wahl gegen die anderen Parteien antreten. Über mehrere Stufen von Stellvertreterdemokratie kommen also die Namen auf den Wahllisten und die Direktvertreter zustande. Dies kann man nun nicht unbedingt als Musterbeispiel basisbestimmter Entscheidung auffassen. Es sind nur noch sehr schwache Spuren demokratischen Verfahrens diagnostizierbar. 

Das Wahlverfahren der Vertreter/innen für das Ökologische Oberhaus gestaltet sich dadurch, daß es dieses Selektionsverfahren der Parteien nicht zur Voraussetzung haben kann, grundsätzlich anders als die bisherigen Wahlsysteme. Zwei Möglichkeiten dazu: Eine Variante der Vorauswahl bestünde darin, daß jede Kandidatin und jeder Kandidat eine hohe Anzahl an Stimmen von wahlberechtigten Personen, die ihre Kandidatur für das Ökologische Oberhaus befürworten, vorlegen müßte. Das Mindestlimit könnte um 3000 Unterzeichnerinnen liegen. Es müßte aus der direkten Erfahrung heraus geprüft werden, ob das optimale Limit eher höher oder niedriger ausfallen sollte. Damit Frauen chancenreicher in politische Ämter gelangen können und das Oberhaus nicht zu einer reinen Männergesellschaft gerät, ließe sich hier eine Begünstigung einbauen. Sie brauchten gegenüber ihren männlichen Kollegen ein Drittel weniger Unterschriften für ihre Kandidatur zu sammeln. Im hier angeführten Beispiel wären dies 1000 Stimmen weniger.

Kandidaten, die eine zweite Legislaturperiode anstreben, bedürfen dafür 50 Prozent mehr Unterschriften. Sind also für den Antritt 3000 Unterschriften erforderlich, wären es nach sechs oder sieben Jahren dann 4500. Für eine dritte Legislaturperiode wären schon 6000 aufzubringen. Diese Regelung ist aus zwei Gründen sinnvoll. Einerseits verfügt der bzw. die Abgeordnete über eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter, welche/r dabei unterstützen kann, außerdem ist er/sie bekannter, so daß er/sie gegenüber den Neuen eindeutig im Vorteil ist. Zudem soll der Hang, an einem Oberhaussitz über mehrere Amtsperioden zu kleben, nicht gefördert werden.

Eine zweite Möglichkeit für die Vorauswahl der Kandidaten wäre eine Doppelwahl. Zunächst würden die Vertreter/innen gewählt, die auf einem Wahlkongreß bestimmen, wer für den zweiten Wahlgang für das Ökologische Oberhaus nominiert wird. Mit dieser Variante würde die hohe Hürde der Unterschriftensammlung auf einen weit niedrigeren Level gesenkt werden können oder auch ganz wegfallen können. Der Ausleseprozeß, der heute durch die Parteien bei Wahlvorgängen diktiert ist, würde in die Bevölkerung hineingegeben mit allerdings nur einer Stufe an Stellvertreterdemokratie. 

Die zuerst beschriebene Variante zur Vorauswahl der Oberhauskandidaten weist jedoch einen entscheidenden Vorzug auf. Die Entscheidungsmacht bei der Auswahl wird nicht an Stellvertreter delegiert, von denen der Wähler nicht wissen kann, welche Entscheidungen sie für oder gegen die jeweiligen Bewerber für die Oberhauswahl treffen. 

Nachteil dieser Variante ist, daß Personen, die an Parteien oder Organisationen gebunden sind, eine bessere Infrastruktur haben, um zu den nötigen Unterschriften zu kommen, und damit leichter diese Hürde überwinden können. Hier muß man wahrscheinlich Hilfestellungen für Bewerber/innen in Betracht ziehen, die sich nicht auf Großorganisationen stützen können.

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Heute erklären uns viele Politiker, sie würden sich um den Erhalt der Umwelt sorgen, obwohl sie in Wirklichkeit die Spielräume der Wirtschaft beständig weiten und für sie die Grenzen des Wachstums dort liegen, wo Umweltauflagen nicht die finanziellen Ergebnisse bei wirtschaftlichen Unternehmungen behindern. Wenn es darum geht, zu einem sozialökologischen Generationenvertrag über eine Begrenzungsordnung zu gelangen, dann stellt sich sehr schnell heraus, daß die meisten Politiker nicht auf eine nachhaltige Lebensweise setzen, sondern auf nachhaltige Dummheit.

Natürlich ist das kein Privileg dieser Kaste, speziell Wirtschaftsmanager, aber auch große Teile der Bevölkerung sehen viel mehr den kurzfristigen Vorteil als den dauerhaften Erhalt des Gemeinwesens. Das gesellschaftliche Klima ist durch die Verdrängung der Gefahren des drohenden ökoglobalen Holocausts geprägt, unmittelbare Probleme regieren die Arena der Aufmerksamkeit. Die alte Zeitrechnung ist noch nicht aufgegeben, ihr Takt bestimmt noch das menschliche Selbstverständnis.

Solange in der bundesdeutschen Gesellschaft nicht begriffen ist, wie tief die Einschnitte sein müssen, um eine tatsächliche ökologische Umkehr zu initiieren, bedarf es für das Ökologische Oberhaus einer Zugangsbeschränkung. Dieses neue oberste Staatsorgan Deutschlands wäre nur eine Karikatur des Bundestags, wenn es nicht ein Organ der ökologischen Zeitenwende wird. Ohne diesen Jahrhundertauftrag wäre es nur eine leere politische Konstruktion. Allerdings besteht bislang auch wenig Sorge, daß es als Instrument zur Legitimation der verbrauchten Kräfte eingespannt wird. Erst wenn uns der ökologische Notstand auf den Pelz rückt, könnte auf eine analoge Institution zur Befestigung von Unrechtsstrukturen unter Wahrung des äußeren Anscheins, es würde der richtige Weg vertreten, zurückgegriffen werden. 

Dies setzt aber einen anderen inneren Aufbau voraus, als er hier von mir aufgezeichnet ist. Einstweilen wird sich das Parteienkartell nicht auf einen derart umfassenden Entzug seiner eigenen Macht einlassen. Das Ökologische Oberhaus müßte schon von einer größeren Volksbewegung eingefordert werden. Am Ende wird es nur die Einsicht richten, daß eine neue politische Gesamtlösung ansteht und mit den Konzepten von gestern nichts mehr zu retten ist. 

Jede höher qualifizierte Arbeitstätigkeit setzt heute ein Studium voraus. Ohne umfassende Fachkenntnisse operiert kein Arzt einen Patienten. Hilfsarbeiter zeichnen keine Brückenbauten aufs Reißbrett. Auch nichtakademische Berufe sind an eine mehrjährige Ausbildung gebunden. 

Wenn es aber um die Steuerung der Gesellschaft geht, dann ist plötzlich all dies Nebensache. Dann herrscht ein anderer Fahrplan: Wie kann man sich in der Polithierarchie hochdienen? Kenntnisreichtum zählt nur bedingt, viel wichtiger ist es, beim Machtpoker die richtigen Karten in der Hand zu halten.

Nun macht es sicher keinen Sinn, einen speziellen Studiengang für künftige Abgeordnete des Öko- und Ethikparlamentes zu entwerfen, jedenfalls nicht als Pflichtveranstaltung. Gegen frei angebotene Kurse mit verschiedener Ausrichtung ist nichts zu sagen. Das kann durchaus sinnvoll sein, um sich besser in die künftige Aufgabe einarbeiten zu können. 

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Angebracht ist aber unbedingt eine Art Prüfung, die eine profunde Bildung auf den Gebieten Ökologie und Ethik belegt, insofern diese die Drehscheibe jeglicher Politik bilden, ihr den Rahmen geben. Etwa Politiker wie Scharping, Schröder, Westerwelle, Merkel und viele andere dürften wegen ihrer mangelhaften ökologischen Kompetenz keinen Platz in so einem Oberhaus erhalten. Letztlich muß eine intelligente Form der Zugangs­beschränkung gefunden werden, die als Hilfsinstrument fungiert, jedoch nicht nach hinten losgeht und dann z.B. sortiert, welche ökologische Sicht die dem Zeitgeist gerade genehme ist.

Eine Möglichkeit für diese Beschränkung wäre eine Art kurze Dissertation, die vorgelegt und mündlich vor einer Qualifizierungs-Kommission verteidigt werden müßte, wobei auch alle anderen schriftlichen Quellen des Kandidaten bzw. der Kandidatin einzubeziehen wären. Speziell Aussagen, aber auch Handlungen, die ökologischer Intention als auch einer gerechten Weltordnung entgegenstehen, wären zu berücksichtigen, insbesondere wenn der begründete Verdacht besteht, daß die vorgelegte Arbeit in Widerspruch zu anderen eigenen Aussagen steht oder der Bewerber sie für sich hat anfertigen lassen. Ohnehin müßte eine Sammlung von Richtlinien, die mindestens einzuhalten wären, Ausgangspunkt sein, um übermäßig subjektive Beurteilungen zu vermeiden. Die Richtlinien würden dann auch für eventuelle Disqualifizierungen als Begründungsmaßstab herangezogen werden.

Derzeit könnte z.B. die Agenda 21 wichtige Anhaltspunkte für die Richtlinien abgeben, spätere Papiere werden ganz sicher weiter sehen. Anträge, die sich für den Ausschluß eines speziellen Kandidaten aussprechen, können mit ausführlicher Begründung auch formell aus der Bevölkerung heraus an die Kommission gestellt werden. Die Qualifizierungs-Kommission selbst könnte sich nach der ersten Legislaturperiode zu je einem Drittel aus Oberhausabgeordneten, Vertretern aus NGOs und mit dem Themenfeld befaßten Fachwissenschaftlern zusammensetzen. Für die erste Konstitution müßte man nach einer speziellen Lösung suchen. Offen ist, nach welchen Schlüsseln die Kommission zu ihrer personellen Besetzung kommt, auch hier sind weitergehende Vorschläge gefragt. Wünschenswert wäre, wenn diese Art der Zugangsbeschränkung langfristig an Bedeutung verlöre, weil die geforderten Grundeinstellungen von selbst eingehalten werden.

Rudolf Bahro sieht Ökologische Räte als Verfassungsorgane für das Verhältnis zur Natur von der Gemeinde bis zur UNO für nötig an,99) wobei die Abhängigkeit des Oben vom Unten so geregelt werden sollte, daß ein leichtes Übergewicht für die unteren Ebenen entsteht.100) Bezogen auf die Gemeinde- und die Landesebene halte ich eine gemeinsame Institution für sinnvoll. Wie wir gesehen haben, ist der Aufwand, um das Ökologische Oberhaus personell zu konstituieren, recht hoch. Vor diesem Hintergrund scheint es sinnvoll, einen regionalen Ökorat auf der Landkreisebene zu institutionalisieren, der die unmittelbaren ökologischen Belange der Region im Blick behalten muß. 

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Für jeden Landkreis würden etwa zehn Personen gewählt, die zusammen mit den anderen Kreisen die Landesversammlung der Ökoräte bilden. Sie würden gegenüber dem Landesparlament und den Gemeinderäten biosphärische Stabilitätsforderungen vertreten und die ökologische Neugestaltung der Region mit Vorschlägen voranbringen bzw. gegen negative Entwicklungen ihr bindendes Veto einbringen. Im Landesparlament können Vorschläge der regionalen Ökoräte nur mit zwei Dritteln der Abgeordneten abgewiesen werden, Gleiches gilt für die Gemeindeebene. Auflagen der Landesversammlung der Ökologischen Räte sind nicht abweisbar.

Gestärkt werden müßten auch die Rechte der Gemeinden. Wenn auf dem Areal der Gemeinde (darunter fällt nicht nur das gemeindeeigene Land) z.B. Bauten geplant werden, dann können diese nicht gegen den Gemeindewillen vorgenommen werden. Anders ausgedrückt am konkreten Beispiel: Wenn der Gorlebener Gemeinderat beschließt, das Zwischenlager für hochradioaktiven Müll wird abgerissen, dann muß die Bundesregierung die finanziellen Mittel dafür bereitstellen.

Wenn Horno und Hoyersdorf nicht wegen der Braunkohle weggebaggert werden wollen, dann kann wie im Fall Horno keine Brandenburger SPD kommen und diesen Willen mit einem selbstgestrickten Gesetz brechen. Politische Schmiergelder, die zuweilen bei Problemfällen fließen, wie dem im Wendland, sollten zum Straftatbestand erhoben werden. Seit 1977 wurden vom Bund an das Land Niedersachsen und die Gemeinden im Umkreis des atomaren Zwischenlagers eine halbe Milliarde Mark "Akzeptanzgelder" gezahlt.101)

Die Institution des Ethik- und Ökoparlaments beruht wie auch alle üblichen Parlamente auf einem Entscheidungsmodus, der Mehrheiten den längeren Arm verleiht, unabhängig davon, ob diese Mehrheiten näher an der Wahrheit verortet sind oder nicht. 

Tatsache ist aber: Neue kreative Gedanken und Entwürfe formieren sich immer aus Minderheiten heraus bzw. werden von einzelnen entwickelt. Dieser Einsicht könnte ein Staatsforum Rechnung tragen. Es würde einen Ort konstituieren, an dem kreatives Gedankengut zur Gestaltung der Zukunft eingebracht und diskutiert werden kann, ohne Amt bzw. Mandat innezuhaben. Aus diesem Forum heraus gäbe es über verschiedene Wege die Möglichkeit, Reden an das Ökologische Oberhaus zu halten, die dann auch öffentlich verbreitet würden. Mindestens alle zwei Monate sollte ein ganzer Tag dafür angesetzt werden. Zahlreiche Konferenzen und Einzelveranstaltungen würden die hauptsächliche Tätigkeit des Staatsforums ausmachen. Abgeordnete aller Parlamente können im Staatforum auch initiativ tätig werden. Prüfen muß man, inwieweit Lobbyisten, insbesondere aus der Wirtschaft, hier zum Problem werden können, und welche Maßnahmen dagegen zweckmäßig sind.

Insgesamt läuft das Staatsforum auf eine Art unkonventionelle Universität bzw. höherrangigen Verständigungsort für gesellschaftliche Umgestaltung hinaus. Diese Idee ist nicht an das Ökologische Oberhaus gebunden und könnte im Prinzip sofort praktisch aufgebaut werden, sofern sich genügend Unterstützer/innen finden. Allerdings kann ich mir schwerlich vorstellen, daß sich die Christdemokraten, aber wohl auch die Sozialdemokraten nicht alle zwei Monate Reden von Vordenkerlnnen anhören würde, selbst wenn diese aus den eigenen Reihen kämen.

 

Ein Wort zu dem Vorschlag Erich Fromms, einen <Obersten Kulturrat> ins Leben zu rufen.102)  

Von der Anlage her würde er einzelne Aufgaben innehaben, die dem Ethik- und Ökoparlament und dem Staatsforum hier zugebilligt sind. Angedacht ist von Fromm, daß dieses Gremium aus Vertretern der geistigen und künstlerischen Elite des Landes bestünde, deren Integrität über jeden Zweifel erhaben ist. Sie sollen die Regierung, die Politiker und die Bürger in allen Angelegenheiten, die Wissen und Kenntnis verlangen, beraten. 

Da ein qualitativ hohes Niveau der Informationen entscheidend ist für den Weg zu einer echten Demokratie, wären sie insbesondere beauftragt, ein System zur Verbreitung von objektiven Informationen zu etablieren. Zudem sollte der Kulturrat Untersuchungen über verschiedene Spezialprobleme in Auftrag geben können. Beide Anliegen könnten auch in dem von mir vorgeschlagenen Staatsforum wahrgenommen werden. 

Allerdings ist Vorsicht geboten, was die objektive Informations­verbreitung betrifft. Man sollte sie ganz sicher anstreben, aber auch ernst nehmen, daß objektive Informationen nicht an den Bäumen wachsen, und ein offenes Forum mag dem Anliegen nach objektiver Information förderlich sein, aber garantieren kann es dies keinesfalls. In jedem Falle scheint mir aber ein Staatsforum mit offenen Türen sinnvoll. Ein Kulturrat, der sich auf eine doch eher informelle Auswahl von geistig-kulturellen Spitzen stützt, scheint mir zu eng gefaßt. 

Natürlich wird man und frau sich gründlicher damit auseinandersetzen müssen, welche Befugnisse im Staatsforum auf welche Weise von wem wahr­genommen werden können. Jedenfalls sollte man auf so viel Selbstorganisation wie möglich setzen.

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 Marko Ferst - Wege zur ökologischen Zeitenwende - 2002