Georg Franck

Mentaler Kapitalismus

Eine politische Ökonomie des Geistes

 

 

2005 bei Hanser, 285 Seiten

2005

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Umweltbuch

Franck-1998

 

 

Verlag zum Buch

Der Werbung und den Medien können wir nicht mehr entkommen. Aber was bedeutet das für uns? Der öffentliche Raum verwandelt sich zunehmend in eine gigantische Werbefläche für Produkte aller Art. Die ästhetischen und politischen Konsequenzen sind überhaupt noch nicht abzusehen. Georg Franck beschreibt zum ersten Mal die Welt unter der Herrschaft dieses mentalen Kapitalismus - und wird damit kontroverse Diskussionen auslösen.

 

 

 

Presse

 

"Georg Franck ist ein selten anregendes Buch gelungen, das alle Achtung und Aufmerksamkeit verdient."  Focus, 07.11.05 

 

"Der spannende, aktuelle und elegante Essay von Georg Franck jedenfalls verdient: alle Achtung! ...Ein rundum kluges Buch. Eines, nach dessen Lektüre man die Welt anders sieht." ---Hendrik Werner, Die Welt, 10.12.05 

 

"Francks Großessay strotz nur von solchen hellsichtigen Beobachtungen, beispielsweise über die Funktionsweise von Werbung und kommerziellen Medien ... extrem lesenswert." ---Robert Misik, Falter, 42/05 

 

 

Mentaler Kapitalismus (2005) von Georg Franck

Eine politische Ökonomie des Geistes 

Inhalt.pdf  

Vorwort 7     Einleitung 11

 

Die These 14
Ein neuer Universalismus 15   Zum Begriff des mentalen Kapitalismus 20   Plan der Arbeit 27

Kapitel 1: Denkökonomie. Rückblick auf die Mechanisierung der geistigen Produktion 31
Wittgensteins Vergleich 32   Vom linguistic turn zur differance 37   Der neue Funktionalismus 50
Neue Märkte 55  Von der Denkökonomie zur Wissensindustrie 58   Produktivität und Verteilung 66

Kapitel 2: Kulturelles und soziales Kapital 69
Pierre Bourdieus Konzeption des immateriellen Kapitals 73   Distinktion und Prestige 80   Die feinen Unterschiede 83
  Die wertschätzende Kraft und ihre Reproduktion 88   Die Höhe der Kultur und die vertikale Differenzierung der kulturellen Märkte 95

Kapitel 3: Die Wissensindustrie 105
Was heißt: Fortschritt der Erkenntnis ? 107   Das Zitat: Maß für den wissenschaftlichen Wert? 113  Die motivierende Kraft kongenialer Beachtung 118
Tauschwert und Gebratichswert 121   Präsenz und Realität 129

Kapitel 4: Massengeschäft und Hochfinanz 133
Bank und Börse 133   Das Finanzwesen und die Mengenexpansion des Zahlungsmittels 138
Über das Fernsehen. Noch einmal Bourdieu 141   Die Prominenz der Sachen und Zeichen 146
Vom Informationsmarkt zur Prominentenbörse 151  Die Kultur des Narzißmus 154
Identität und Politik 157   Selbstachtung und Selbstverachtung 160
Vom Höhenmaß der Kultur zum spezifischen Alter des Kapitals  166   Der Einkauf in den Parnaß  170

Kapitel 5:  Funktionalismus der Auffälligkeit 173
Die erste Postmoderne 178   Das Erfolgsrezept des Dekonstruktionismus 186
Wie Klassiker entstehen 192   Rem Koolhaas und die Zweite Moderne 196
Klassiker, re-investiert 202   Medienästhetik 215

Kapitel 6: Marken und Cameras. Ausbeutung und Konflikt 219
Technologien der Attraktion und Technologien der Diskriminierung 220
Das soziale Gefälle 223   Der Druck der Verwertung 226   Selbstverstärkung und Eskalation 228
Die Notwehr des darbenden Selbstgefühls 232    Die narzißtische Kränkung 237

Kapitel 7:  Die ontologische Differenz 241
Realität und Präsenz 244   Die Metaphysik der Präsenz 250
Von der Dekonstruktion zur Politischen Ökonomie 255 
Sein und Seiendes 259

 

Anmerkungen  261    Literatur  267    Bildnachweis  277    Register  279  

 

Aus dem Buch (2005)

 

Geben wir Acht auf das, worauf wir Wert legen, oder legen wir Wert auf das, worauf wir achten? Die Frage erinnert an jene nach Henne und Ei. Wertlegen kommt nicht ohne Achtgeben, Achtgeben nicht ohne Wertlegen vor. Alles Werten geht auf die angenehmen oder unangenehmen Gefühle zurück, die unser Achten färben. Und alles Achten ist, wie blaß und verschwommen auch immer, emotional gefärbt. 

Trotzdem ist es nicht gleichgültig, was vorher kommt, das Wertlegen oder das Achtgeben. Wenn das Wertlegen dem Achten vorausgeht, dann ist es der Wert, der entscheidet, was wichtig und relevant ist. Wenn hingegen der Wert, den wir legen, der Beachtung folgt, die die Sache findet, dann wird wichtig und erheblich, was Aufsehen erregt. 

Versteht es sich nicht von selbst, daß der erste Fall der rationale und maßgebliche ist? Darf es denn sein, daß eine Sache wertvoll wird nur, weil sie auffällt? Gegenfrage: Ist es nicht so, daß sich der Wert, den wir legen, mit der Acht, die wir geben, verändert? Folgt das Werten nicht gerade dort der Beachtung, wo die Wertschätzung sich um Bildung und Verfeinerung bemüht? Und lernen wir vieles nicht erst dadurch schätzen, daß wir darauf achten, worauf die andern achten? Sagt uns der Rückblick auf die Acht, die wir gegeben haben, nicht mehr über den Wert, den wir eigentlich legen, als die vorausblickende Einschätzung der Relevanz es hätte können? 

Und war schließlich nicht, was so viel Beachtung einnahm, auch besonders wichtig? Wir sind zurück bei Henne und Ei. Es scheint hoffnungslos zu fragen, was vorher kommt, das Wertlegen oder das Achtgeben. Wäre es nun aber müßig, über den Vorrang zu streiten, dann gerieten Grundannahmen ins Gleiten. Es wäre dann unsinnig, über den Wert von Kulturgütern zu debattieren. Wenn nicht zu entscheiden ist, ob die Beachtung dem Wert oder der Wert der Beachtung folgt, dann ist es gleichgültig, ob eine Sache Beachtung findet, weil sie wertvoll ist, oder wertvoll wird, weil sie Beachtung findet.

Wunschdenken wäre es dann, auf eine Objektivierung kultureller Werte und künstlerischen Rangs zu hoffen. Die Unterscheidung zwischen Urteilskraft und Herdentrieb wäre gegenstandslos. Kulturelle Relevanz und künstlerische Qualität wären dann nicht mehr zu unterscheiden von zufällig aufgeschaukelter Beachtung. Keine Kultur, die nicht von – und in – der Beachtung ihrer Mitglieder leben würde. Kein Betrieb der Kultur aber auch, der nicht Unterschiede des Werts und Stufen der Verbindlichkeit etablieren würde. Wie objektiv sind diese Unterschiede, wie gültig die Grade? Ist immer Macht im Spiel, wenn Unterschiede durchgesetzt werden? Ist immer Gewohnheit die Macht, die das Gefälle aufrecht erhält? Oder hat die Verbindlichkeit tiefere, im Wesen der Sachen liegende Gründe? Gibt es objektive, dem subjektiven Dafürhalten entzogene Bestimmungsgründe des Werts? 

Mit diesen Fragen schlagen sich die Kulturwissenschaften seit ihren Anfängen herum. Die Antworten schwanken. Sie schwanken aber nicht wirr, sondern in Wellen. Sie schwanken im Rhythmus gewisser Konjunkturen. Wenn wir nicht annehmen wollen, daß diese Konjunkturen den Launen zufällig aufgeschaukelter Beachtung folgen, dann müssen Erfahrungen hinter den schwankenden Antworten stecken. Es müssen Erfahrungen mit eben dem Prozeß sprechen, der Werte ermittelt und Geltung etabliert. Eine scharfe Wende hat die Auffassung von der Verbindlichkeit kultureller Werte mit der Ankunft der Postmoderne genommen. Die Annahme, es gebe so etwas wie objektiven Wert und universelle Verbindlichkeit verfiel der Kritik. Die Kritik hatte sich den Glauben an Wesensunterschiede vorgenommen, aus denen ein für allemal folgt, was unter den Sachen, über die wir reden, zu verstehen ist. 

Die Wesen, die wir in die Welt setzen, wenn wir uns darüber verständigen, was wir von den Sachen, über die wir reden, beanspruchen zu sein, wurden zum Opfer der Dekonstruktion. Die Dekonstruktion ist keine Kritik an Geltungsansprüchen, wie sie schon immer geübt wurde. Die Dekonstruktion setzt bei der Machart der Ansprüche an, aus denen die Wesen entspringen. Auf diese Machart kommen wir zurück. Bemerkenswert an der Dekonstruktion ist der kritische Impuls aber nicht nur für sich. Bemerkenswert ist auch, daß der Impuls praktisch wurde. Die Botschaft von der Hinfälligkeit der Wesen drang weit über die Philosophie hinaus. Die Entstabilisierung wesentlicher Unterschiede wurde zu einer Strategie der kulturellen Produktion. Sie wurde zum Ferment des Zeitstils. 

Der Universalismus, den die Moderne mit Pathos hochgehalten hatte, wurde zu einer Kategorie der Kritik. An die Stelle des Bilds der Kultur als der die Menschheit verbindenden Einheit trat das Bild einer zersplitterten Vielfalt der Kulturen, deren jede einzelne eine eigene Wirklichkeit konstruiert. Ein solches Umschlagen der Grundstimmung kommt nicht von ungefähr. Er ist auch von keiner bloß theoretischen Revolution zu erwarten. Das Ausmaß des Bebens spricht für eine Diskontinuität in den grundlegenden Produktions- und Rezeptionsbedingungen der Kultur. Da müssen Grundlagen nachgegeben haben, auf die gebaut worden war. Da ging eine Epoche zu Ende. Allerdings gab es keinen Zusammenbruch der Produktion. Der Betrieb ging weiter. Man lernte, ohne feste Verankerung zu leben, richtete sich ein auf dem wankenden Boden, genoß den neuen Spielraum. Das Auflösen und Verflüssigen führte nicht in die Katastrophe. Ein dynamischer Wechsel trat ein. Das Aufgelöste und Aufgewirbelte konfigurierte sich neu. Was also hatte sich da getan?

Die These

Die These dieses Buchs ist, daß tatsächlich etwas Grundlegendes in Bewegung geraten ist. In das Verhältnis von Wertlegen und Achtgeben ist eine neue Dynamik eingekehrt. Das Hin und Her ist in einem größeren Zusammenhang aufgegangen. Es ist in einem Zusammenhang aufgegangen, der zwar schon lange spürbar gewesen sein mußte, der aber latent blieb, weil ihn niemand für möglich hielt. Das Wechselspiel von Achtgeben und Wertlegen hat zu einem Gesellschaftsspiel zusammengefunden. Zu einem Spiel, in dem Acht eingesetzt wird, um Beachtung einzunehmen. Das Achten, worauf andere achten, ist in einen Kreislauf des Gebens und Nehmens übergegangen. 

Mehr noch: Der Kreislauf hat sich zu einem System hoch differenzierter und hoch integrierter Märkte entwickelt. Das Achten der Individuen aufeinander verkettet sich zu einem kollektiven Resultat. Die Summe der getauschten Beachtung tritt als Sozialprodukt in Erscheinung. Dem Mengensystem der getauschten Beachtung ist ein System bewertender Tauschrelationen eingezogen. 

Die These ist, daß dieses System der Bewertung die objektivierende Funktion übernommen hat, die so lange in Gründen jenseits des subjektiven Wertens und Achtens gesucht wurde. 

Diese These ist stark. 

Sie läuft auf die Hypothese hinaus, daß der Epochenbruch den Durchbruch einer immateriellen Ökonomie markiert. Die These besagt, daß die Ökonomie der Aufmerksamkeit ein Maß an Rückkopplung und Selbstregulierung angenommen hat, welches externe Stabilisatoren überflüssig, wenn nicht dysfunktional macht. Aus dem Kreislauf des Acht-Gebens, um Beachtung einzunehmen, ist ein System horizontal und vertikal differenzierter Märkte hervorgegangen. 

Diese Entwicklung hat sich im Hintergrund, ohne Plan vollzogen. Sie hat sich selbst organisiert. Auch die ökonomische Form, die wir nun von der Warte des entwickelten Systems aus erkennen, war nicht vorgegeben. Sie hat sich herausgebildet in einem Prozeß der Selbstorganisation, der blind ist und sich hinter dem Rücken der Beteiligten vollzieht. So wird auch jetzt erst sichtbar, daß die so lange latent gebliebene Entwicklung eine Vorgeschichte war. Sie war die Vorgeschichte eines dynamischen Regimes des Tauschwerts, das nun die Regie über die kulturelle Wertschöpfung übernommen hat. 

Horizontale Differenzierung heißt, daß sachlich differenzierte Märkte nebeneinander entstehen. Differenzierung in der Vertikalen meint, daß Märkte entstehen, deren Funktion es ist, das Geschehen auf den anderen Märkten zu koordinieren. Die Stufe zur Differenzierung in diese beiden Richtungen ist erreicht, wenn kapitalistische Verhältnisse Einzug halten. Die These, daß ein dynamisches Regime des Tauschwerts die Regie über die kulturelle Wertschöpfung übernommen hat, meint, daß die Ökonomie der Aufmerksamkeit in die Statur eines kapitalistischen Systems hineingewachsen ist. 

 

 

 

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Georg Franck (2005) Mentaler Kapitalismus - Eine politische Ökonomie des Geistes