Karl Wilhelm Fricke
Die
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1982 263 Seiten detopia |
Inhalt Anmerkungen (227) Verzeichnis ausgewählter Literatur (254) Personenregister (261) detopia-2019: Ich verstand lange nicht, warum solch ein beschreibendes 'populär-wissenschaftliches' Sachbuch erst relativ spät erschien und nicht schon - sagen wir - schon 1970. Die BRD-Regierung hätte doch daran großes Interesse haben müssen, es initiieren können.
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Verlag Wissenschaft und Politik, Berend von Nottbeck, Köln Fotos: Archiv Fricke 2, Gesamtdeutsches Institut 2, Jürgen Ost und Europa-Photo 4, Klaus Mehner 1
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1. Das MfS – unabdingbares Herrschaftsinstrument der SED (11)
2.
Entstehungsgeschichte und Entwicklung des MfS ... 17
3.
Das MfS und die sowjetischen Sicherheitsorgane ... 37
4.
Struktur und Einordnung des MfS in die Staats- und Rechtsverfassung
... 47
5.
Staatssicherheit und Staatspartei ... 71
6.
DDR-interne Aktionsfelder des MfS ... 97
7.
DDR-externe Aktionsfelder des MfS ... 143 8. Kaderpolitik und Kaderarbeit in der Staatssicherheit (191) Rekrutierung der Kader 192 - Ausbildung und Schulung 195 - Schwächen der Kaderpolitik 197 - Enttarnte Agenten - ihr Dasein danach 199 9. Die Chefs des MfS (203) Wilhelm Zaisser (204) Ernst Wollweber (209) Erich Mielke (212) 10. Wie sicher ist die Staatssicherheit? (219) |
Einleitung
7-10
Als der Verfasser 1982 sein Buch über die DDR-Staatssicherheit in erster Auflage veröffentlichte, hatte er die Beweggründe seiner Niederschrift bewußt offengelegt. Sie waren in den Irritationen darüber zu finden, daß die Politik der Entspannung in den siebziger Jahren die Herrschenden in der DDR nicht daran zu hindern vermocht hatte, ihre nachrichtendienstlichen Aktivitäten gegen die Bundesrepublik Deutschland aus- statt abzubauen.
Inzwischen sind bereits anderthalb Jahrzehnte vergangen, seitdem sich ein Kanzler in Bonn durch einen in seiner unmittelbaren Umgebung plazierten Agenten des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR zum Rücktritt genötigt sah – derselbe Bundeskanzler, der sich wie kein anderer um die Aussöhnung mit dem Osten verdient gemacht hatte.
Willy Brandts Verzicht auf sein Regierungsamt am 6. Mai 1974, ausgelöst durch die Entlarvung und Verhaftung von Günter Guillaume, dem DDR-Spion im Bundeskanzleramt, hat das Problembewußtsein der Öffentlichkeit hierzulande gleichwohl nicht in dem Maße geschärft, wie es dem Autor geboten schien und noch immer geboten scheint, um die »Aggression auf leisen Sohlen«1, den »heimlichen Krieg auf deutschem Boden«2, den »Kampf an der unsichtbaren Front«3 in vollem Ausmaß zu erfassen, um die politischen und moralischen Dimensionen dieser Aktivitäten zu ermessen.
Das Wissen um die DDR-Staatssicherheit kann gar nicht genug verbreitet werden. Eben dazu will das nun in dritter, aktualisierter Auflage vorliegende Buch beitragen. Die schmale Materialbasis konnte den Verfasser nicht hindern, sein Buch zu schreiben.
Im einzelnen stützt sich die Darstellung erstens auf offizielle Quellen – auf Gesetze und Regierungsdokumente der DDR, auf Beschlüsse der SED, auf Reden und Aufsätze ihrer führenden Politiker, zumal des Ministers für Staatssicherheit, sowie auf einige bislang unveröffentlichte Befehle, Dienstanweisungen und Schulungsmaterialien, deren Verfügbarkeit Überläufern zu danken ist; zweitens wurden Aussagen von Zeitzeugen herangezogen, Bekundungen ehemaliger politischer Häftlinge der DDR und ehemaliger Offiziere des MfS und des KGB, die in den Westen gekommen sind – vorwiegend solche Bekundungen, die bereits anderweitig veröffentlicht wurden und daher zitierbar geworden sind; drittens wurden Urteile bundesdeutscher Gerichte gegen Agenten des MfS ausgewertet; viertens ist die erreichbare Sekundärliteratur zum Thema einschließlich zahlreicher Artikel aus Zeitschriften und Zeitungen östlicher und westlicher Herkunft verwendet worden; und fünftens schließlich wertete der Verfasser die alljährlich vom Bundesminister des Innern veröffentlichten Verfassungsschutzberichte systematisch aus.
Generell sind die Quellen in Anmerkungen ausgewiesen, die der besseren Lesbarkeit des durchgehenden Textes wegen am Schluß des Buches, nach Kapiteln unterteilt, gebündelt angeordnet sind.
7/8
Im offiziellen Sprachgebrauch der DDR wird der Begriff der Staatssicherheit in einem eigentümlichen Doppelsinne verwendet. Einmal meint Staatssicherheit in der DDR wie hierzulande auch die Sicherheit des Staates. Die Bezeichnung des zuständigen Regierungsressorts in Ost-Berlin als Ministerium für Staatssicherheit entspricht insoweit dem in Deutschland allgemein üblichen Sprachgebrauch.
Zum anderen aber und gleichzeitig bezeichnet »Staatssicherheit« in der DDR auch konkret die Organe selbst, die für die Sicherheit des Staates zuständig sind. In Äußerungen prominenter Politiker und hoher Staatssicherheitsoffiziere in der DDR ist häufig von »der Staatssicherheit« schlechthin die Rede, von »den Organen der Staatssicherheit«, »den Genossen der Staatssicherheit«, wofür beliebig viele Belege beizubringen wären. »Feinde und Agenten sollen die Staatssicherheit fürchten«4 — das ist keine ungewöhnliche Formulierung. Ein 1969 gestifteter DDR-Ehrentitel lautet »Verdienter Mitarbeiter der Staatssicherheit«5. In dem Ostberliner Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache wird der Begriff in diesem Gebrauch sogar als semantische Neuprägung der DDR ausgewiesen6. Diesem Buch verhalf er zu seinem Titel.
Der derzeitige Minister für Staatssicherheit Erich Mielke neigt eher zu einer semantisch logischen Formulierung, indem er von »den Organen des Ministeriums für Staatssicherheit«, gelegentlich auch von »den Sicherheitsorganen« oder »den Staatssicherheitsorganen« spricht, daneben aber eine auch von Erich Honecker geteilte Vorliebe für einen anderen Ausdruck verrät. Allzu gern nämlich bezeichnet Mielke die Offiziere und Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit als »die Tschekisten der DDR«7, um sie in eine fragwürdige Traditionslinie zur Tscheka8 zu stellen, der frühen, einst von Lenin gegründeten Geheimpolizei der Bolschewiki. Dagegen ist die in der Bundesrepublik häufig anzutreffende Wortprägung »Staatssicherheitsdienst«, die in dieser Darstellung häufiger auftaucht – besonders in Zitaten –, in der DDR nur selten gebräuchlich. Der Autor hat sie dennoch gelegentlich übernommen.
Der semantisch doppelsinnige Gebrauch des Begriffs Staatssicherheit in der DDR ist gewiß nicht aus Zufälligkeit zu erklären. Offenbar soll, indem die Organe des Ministeriums für Staatssicherheit als »die Staatssicherheit« bezeichnet werden, sprachlich eine Identifikation vollzogen werden, die sie gleichsam als Verkörperung der Staatssicherheit erscheinen läßt. Das Abstraktum »Staatssicherheit« wird durch diese Konkretisierung »begreiflich«, »faßbar«.
In dem vorliegenden Buch wird zudem durchgehend das sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik in amtlichen Texten für Ministerium für Staatssicherheit verwandte Kürzel »MfS« gebraucht. Weitgehend vermieden wird hingegen die Abkürzung »SSD«, weil sie nach Meinung des Autors unangemessene Assoziationen zur SS und zum SD der Nazi-Diktatur hervorrufen kann. Die Abkürzung findet sich daher allenfalls in Zitaten. Auch Versatzstücke wie »die Firma« oder »VEB Horch und Greif« werden in dieser Darstellung nicht verwandt, weil sie unzulässig verharmlosen.
8/9
Es lag am Gegenstand seines Buches, wenn der Verfasser an Grenzen der Information stieß, die er nicht zu durchbrechen vermochte. Um Redlichkeit und Sachlichkeit in seiner Darstellung war er dennoch bemüht. Die eigene Wertung, die politische Einschätzung sind darum nicht ausgeschlossen. Auch sie finden sich in diesem Buch, das der Autor ohne Beratung und Information durch Freunde und Experten nicht hätte schreiben können. Ihnen sei an dieser Stelle herzlich gedankt! Dank schuldet der Verfasser auch seiner Frau Friedelind: Ohne ihre unermüdliche, geduldige Schreibarbeit wären weder die erste noch die zweite und dritte Auflage termingerecht zustande gekommen.
Einer grundsätzlichen Überarbeitung bedurfte das Buch auch in seiner dritten Auflage nicht, wohl aber der gründlichen Aktualisierung. Sie machten nicht zuletzt personelle Veränderungen nötig, zu denen es in der DDR-Staatssicherheit in den achtziger Jahren gekommen ist – in der Zentrale ebenso wie auf Bezirksebene.
Die spektakulärste Veränderung bestand darin, daß Generaloberst Markus Wolf, ehedem Chef der Hauptverwaltung Aufklärung, 1987 »auf eigenen Wunsch aus dem aktiven Dienst des Ministeriums für Staatssicherheit ausgeschieden«9 ist. Seither versucht er sich als Schriftsteller – nicht ohne Erfolg übrigens: Verlage in beiden deutschen Staaten brachten sein Erstlingswerk »Die Troika«10 gleichzeitig heraus. Über Wolfs Tätigkeit als Schlüsselfigur der DDR-Spionage war daraus allerdings nichts zu erfahren.
Authentisches dazu kam aus anderer Quelle: Günter Guillaume hat Markus Wolf in seinen Memoiren als Pionier beim Aufbau des »politischen Aufklärungsapparates« der DDR ausdrücklich gewürdigt. Dankbar erinnert er sich auch der Treffs, zu denen ihn der Chefin der Zentrale in Ost-Berlin gelegentlich empfing, als er während der Jahre 1971 bis 1974 im »feindlichen Machtzentrum« in Bonn sein Dasein als »sozialistischer Kundschafter« führte. »Solche Zusammenkünfte waren für mich eine unverzichtbare Gelegenheit, politisch, moralisch, menschlich aufzutanken«11, resümiert Guillaume.
Die dritte Auflage erscheint in einer Zeit, in der die Forderung nach vorbeugender Spionagebekämpfung noch immer nicht überflüssig geworden ist. Auch dazu wollte der Verfasser mit seinem Buch einen bescheidenen Beitrag leisten. Sein vordringliches Anliegen aber war und bleibt die Veranschaulichung der Rolle, die die Staatssicherheit im Herrschaftsgefüge der DDR spielt. Wie ist sie einzuschätzen? Stimmt es, daß die SED die Machtansprüche der Staatssicherheit nur noch mit Mühe zügeln kann, wie Rolf Henrich, Rechtsanwalt in Eisenhüttenstadt, in seinem aufsehenerregenden Buch »Der vormundschaftliche Staat« schreibt? »Wer hier wen kontrolliert, das ist durchaus eine offene Frage. Weder Säuberungen noch die beschwörende Verpflichtung der <Tschekisten> auf ihre unverbrüchliche Treue zur Partei konnten verhindern, daß der Staatssicherheitsdienst von Jahr zu Jahr größer und mächtiger wurde. Längst ist die Geheimpolizei der <Staat im Staate>«.12 Die These wird noch zu erörtern sein.
Die Kritik hat die vorausgegangenen beiden Auflagen des vorliegenden Buches positiv aufgenommen. Das belegt eine Vielzahl von Rezensionen nicht nur in bundesdeutschen Zeitungen, sondern auch in ausländischen Blättern – von der »Neuen Zürcher Zeitung« angefangen bis hin zu französischen und amerikanischen Fachperiodika.
Lediglich in der DDR ist das Buch offiziell nie beachtet oder erwähnt, geschweige denn rezensiert worden. Um so mehr haben den Verfasser Zeichen der Sympathie aus Kreisen der DDR-Opposition ermutigt, zum Beispiel aus der Ostberliner »Initiative Frieden und Menschenrechte«, für deren Arbeit sich das Buch, »illegal« von Hand zu Hand weitergereicht, als nützlich erwiesen hat.
10
Köln,
im Sommer 1989
Karl Wilhelm Fricke