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20)  Hoffnung im unternehmerischen Kalkül - von Eberhard Witte

 

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   Passives und aktives Hoffen 

Die Hoffnung aus der Sicht des unternehmerisch Handelnden ist nicht die Hoffnung auf einen »warmen Regen«, den man nicht beeinflussen, sondern nur herbeisehnen kann. Insofern ist die unternehmerische Hoffnung nicht der Gegenpol zu dem Klagelied »no future«. Vielmehr ist die Hoffnung im unternehmerischen Kalkül der konkrete Anlaß, gestaltende Maßnahmen zur Realisierung der Hoffnung zu ergreifen. Es wird nicht nur etwas erhofft, sondern etwas unternommen.

Dabei werden die realistischen Hoffnungen an den bisherigen Erfahrungen gemessen. Die ökonomische Theorie des Anspruchsniveaus (level of aspiration) besagt, daß der wirtschaftende Mensch seine Ziele nach oben korrigiert, sobald er seine bisher geltenden Ziele erreichen konnte, und daß er seine Ziele bescheidener formuliert, wenn ihm dies nur eingeschränkt gelang.

Vielleicht wird hoffnungsvolles Verhalten angeboren; sicherlich wird es auch anerzogen und durch langjährige Erfahrungen erlernt.

Das Besondere an den Zukunftserwartungen des Unternehmers liegt in der Tatsache, daß er seine Hoffnungen nur dadurch erfüllen kann, daß er die Hoffnungen anderer, insbesondere der Konsumenten, erfüllt. Er ist also nicht nur ein Hoffender, sondern auch ein Erfüller von Hoffnungen. Allerdings bricht die Grundlage seiner Hoffnungen sofort zusammen, falls er sich in den Hoffnungen seiner Abnehmer getäuscht hat.

Im unternehmerischen Kalkül wird die Hoffnung nicht durch die Angst aufgehoben. Dies ist nur bei emotionaler, gegenüber der Zukunft passiver Haltung der Fall. Dort mindern Ängste die Hoffnungen und vertreiben Hoffnungen die Ängste. Der Unternehmer weiß, daß Chancen und Risiken untrennbar miteinander verbunden sind, und zwar nicht gegenläufig, sondern dergestalt, daß mit höheren Chancen auch ein höheres Risiko verbunden ist. Hoffen heißt hier also bereit sein, auch größere Gefahren (Ängste) bewältigen zu wollen.

   Hoffen und rechnen  

Ein weiteres Charakteristikum des unternehmerischen Hoffens ist die Quantifizierung der Zukunftserwartungen, und zwar sowohl der Chancen als auch der Risiken. Damit ist nicht gesagt, daß die Hoffnung vollständig berechnet werden kann. Der perfekt ökonomisch denkende, voll rationale Mensch, der nur in der Modellfigur des Homo oeconomicus existiert, kennt keine Hoffnungen. Denn er weiß alles, er handelt unter vollkommener Information über gegenwärtige und zukünftige Ereignisse. Seine Entscheidungen enthalten keine Ermessensspielräume; sie sind errechenbar. Der in der Wirklichkeit handelnde Unternehmer ist jedoch kein Homo oeconomicus, sondern ein Mensch mit unsicheren Erwartungen. Allenfalls bedient er sich der Regeln der Wahrscheinlichkeit, um aus den Erfahrungen der Vergangenheit zukünftige Ereignisse zu prognostizieren.

Die Betriebswirtschaftslehre hat im Verlaufe unseres Jahrhunderts eine Fülle von Planungs- und Gestaltungsinstrumenten entwickelt, die dem praktisch Handelnden helfen sollen, sich in den komplexen Entscheidungsproblemen zurechtzufinden. Dabei weiß jeder, daß eine »optimale«, perfekte Lösung nicht erwartet werden kann. Es wird in der modernen Wirtschaftswissenschaft viel bescheidener versucht, annehmbare, zufriedenstellende Lösungen zu finden. Aber auch dabei kommt es wieder auf die subjektiven Urteile der Entscheidungsperson an, was sie annehmen will und was sie zufriedenstellt. Die vielfältigen Entscheidungsmodelle (mit oder ohne Computer), die Entscheidungstechniken, Netzpläne und Algorithmen, Investitionsrechnungen und Finanzierungsregeln sind lediglich formale Hülsen, in die die subjektiven Erwartungen der Entscheidungsperson eingefüllt werden.

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Die moderne Theorie geht nicht einmal mehr davon aus, daß die wirtschaftlichen Größen, mit denen gerechnet wird, eindeutig sind. Vielmehr wird mit »unscharfen Mengen« (fuzzy sets) gerechnet, die z.B. einen Umsatz nur in einer bestimmten Bandbreite der Erwartungen angeben. Andererseits kann mit Hilfe großzahliger Berechnung von Einzelfällen die Unsicherheit sozusagen »im Durchschnitt« bewältigt werden. Forderungsausfälle, Reklamationen, Personalfluktuation und Produktionsfehler lassen sich mit einer angebbaren Fehlerbegrenzung errechnen, sobald die einbezogenen Fälle eine gewisse statistische Menge umfassen. Ein Teil der Zukunft läßt sich also berechnen, jedoch leider der unwesentlichere Teil.

Demgegenüber sind Gegenstände des Hoffnungskalküls gerade diejenigen zukünftigen Ereignisse, die nicht häufig und regelmäßig genug auftreten, um der statistischen Berechnung zugänglich zu sein, andererseits nicht unwichtig und selten genug sind, um ignoriert werden zu können.

   Das Prinzip der Vorsicht  

Angesichts der Tatsache, daß ein Unternehmer nur dann überzeugt handeln kann, wenn er von Hoffnung erfüllt ist, möchte man meinen, daß das Rechnungswesen darauf eingestellt ist, die Hoffnungen zu begründen. Tatsächlich aber sind sowohl die gesetzlichen Vorschriften zum Rechnungswesen als auch die in der Praxis gewachsenen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung durchgehend darauf gerichtet, das Prinzip der Vorsicht zu verwirklichen. Es besagt, daß unrealisierte Gewinne noch nicht im Rechnungswesen berücksichtigt werden dürfen, während unrealisierte drohende Verluste bereits voll Eingang finden müssen (Imparitätsprinzip). Hoffnungen dürfen also nicht, Ängste müssen aber gebucht werden.

Eine Fülle von Aktivierungsverboten, Niederstwertbe-stimmungen, Abschreibungspflichten und Rückstellungsgebote sind der konkrete Ausdruck dieser durch das Rechnungswesen gezügelten Hoffnung. Zum Beispiel ist es nicht erlaubt, ein selbstentwickeltes Patent als Aktivposten in die Bilanz aufzunehmen, weil es seinen Marktwert noch nicht unter Beweis gestellt hat. Im Falle eines schwebenden Prozesses muß mit dem Schlimmsten gerechnet und eine Rückstellung mit dem Höchstwert des Risikos dotiert werden. Die Lebensdauer von Anlagen darf eher unter- als überschätzt werden, und bei Währungsverbindlichkeiten ist der ungünstigste Erwartungskurs als Rückzahlungsbetrag maßgebend.

Damit wird immer deutlicher, daß die Hoffnung im unternehmerischen Kalkül nicht als unbegründete Erwartung des Erwünschten behandelt wird, sondern als zukünftiger Mindesterfolg, der unter Einkalkulierung aller zurechenbaren Risiken ermittelt ist. Wenn dem Prinzip der Vorsicht konsequent gefolgt wird, dann ist die Zukunft stets etwas besser, als es das Rechnungswesen ausweist.

Wer allerdings das Prinzip der Vorsicht übertreibt, wird vom Unternehmer zum Unterlasser. Er reiht sich in die Gruppe der Pessimisten ein, die keine Zukunft sehen.

  Partner des Hoffens 

Es genügt nicht, daß der Unternehmer unter Abwägung aller Risiken von seinen Hoffnungen selbst überzeugt ist. Er allein ist nicht in der Lage, seine Hoffnungen aktiv zu realisieren. Vielmehr ist er auf die Mitwirkung der verschiedensten Partner angewiesen: Kreditgeber, Mitarbeiter und Zulieferer von materiellen und ideellen Leistungen. Selbst die unbeteiligte Umwelt ist heute nicht zu ignorieren, weil sie sich mit ihrem Widerspruch zu Wort meldet, falls sie sich betroffen fühlt. Insoweit sind auch diejenigen in das unternehmerische Kalkül einzubezie-hen, die wegen ihrer Hoffnungslosigkeit dem unternehmerischen Handeln entgegenstehen.

Am deutlichsten wird die Notwendigkeit, Partner des Hoffens zu gewinnen, bei der Kreditaufnahme. Schon das Wort Kredit signalisiert die Bereitschaft, an den Kre-

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ditnehmer und seine Hoffnungen zu glauben (Gläubiger). In einer Kreditbeziehung ist es normal, daß der Kreditnehmer von höheren Hoffnungen erfüllt ist, als der Kreditgeber. Deshalb wird ein pragmatisch gewachsenes Instrumentarium der Kreditwürdigkeitsprüfung angewendet, um dem Kreditgeber (anhand von Kennzahlen, Perioden- und Betriebsvergleichen) eine hinreichend sichere Grundlage für eine Mindesthoffnung zu bieten. Obgleich also das Prinzip der Vorsicht bereits im Kalkül des Unternehmers berücksichtigt wurde, wird es um einige Grade verschärft aus der Sicht des Kreditgebers erneut angewandt.

Während es bei Kreditbeziehungen noch um rein monetäre, jedenfalls ökonomische Vertrauensbeziehungen geht, ist das Verhältnis zwischen Unternehmer und Arbeitnehmer umfassender. Der Kapital- und Kreditgeber riskiert als Mittel zur Realisierung seiner Hoffnung das von ihm eingesetzte Geld. Demgegenüber setzt der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz und seine berufliche Zukunft ein. Er ist also ebenfalls daran interessiert, daß die Hoffnungen des unternehmerischen Kalküls zutreffen. Dabei richtet sich das Vertrauensverhältnis nicht nur auf die richtige Wahl von Produkt und Markt, sondern auch auf die Erhaltung und Weiterentwicklung eines produktiven Sozialklimas. Dieses nämlich entscheidet darüber, ob Teile der Belegschaft fluktuieren oder ohne Hoffnung resignieren. Wenn es dagegen gelingt, die realistischen Hoffnungen der Unternehmenspolitik auf die Mitarbeiter zu übertragen, dann entsteht eine Hoffnungsgemeinschaft.

Die Lieferanten sind ebenfalls von der hoffnungsvollen Zukunft des Unternehmens zu überzeugen. Sie gewähren nicht nur Kredit, sondern orientieren ihre eigene ökonomische Tätigkeit an den Zielen des Abnehmers. Mit fortschreitender Rationalisierung werden die Produktionsund Handelsketten immer enger geschlossen und zeitlich empfindlicher. Auch geringfügige Beeinträchtigungen können eine Kettenreaktion auslösen und die Hoffnungen der vorgeschalteten Lieferanten zerstören.

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Auch die Abnehmer sind an der langfristigen Verwirklichung der unternehmerischen Hoffnung interessiert. Bei allen langlebigen Wirtschaftsgütern, insbesondere bei solchen, die durch regelmäßige Serviceleistungen gebrauchsfähig gehalten werden, sind die Abnehmer über die Deckung des Augenblicksbedarfs hinaus an einer dauerhaften Beziehung interessiert. In der modernen arbeitsteiligen Wirtschaft besteht ein hochkomplexes Geflecht der gegenseitigen Abhängigkeit. Die zerstörten Hoffnungen des einen zerstören die Hoffnungen des anderen. Die verwirklichten Hoffnungen des einen geben auch dem anderen hoffnungsvolle Entwicklungsmöglichkeiten.

Diese Zusammenhänge greifen über die reinen wirtschaftlichen Tatbestände hinaus und beziehen auch die staatliche Infrastruktur, das Rechtssystem, die politische Stabilität im Lande und in den Nachbarstaaten mit ein. Insofern ist Wirtschaft stets auch ein Bestandteil der Gesellschaft, deren Hoffnungen oder deren Hoffnungslosigkeit nicht unerheblich für das unternehmerische Kalkül sind.

Unter diesem Aspekt erscheint das unternehmerische Kalkül nur als der Spezialfall des aktiv Hoffenden. Das unternehmerische Verhalten, das Risiken bewußt übernimmt und Mithoffende motiviert, ist nicht auf die Welt des Kaufmanns beschränkt. Die wissenschaftlichen Leistungen, die Phantasie des Erfinders und des Ingenieurs sowie die Visionen des Künstlers folgen dem Denkmuster, das hier als unternehmerisches Kalkül beschrieben wurde. Nicht zuletzt wird vom Politiker und von den Meinungsführern der Gesellschaft erwartet, daß sie ein aktiv gestaltendes Hoffnungskalkül entwickeln.

Wenn die hier dargelegte Behauptung richtig sein sollte, daß die unternehmerisch Handelnden in Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst und Politik nicht nur ihre eigenen Hoffnungen erfüllen, sondern auch Partner des Hoffens gewinnen, dann sind sie für das Klima der Hoffnung in der Gesellschaft verantwortlich. Wenn sich Hoffnungslosigkeit breitmacht, haben sie versagt.

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21 - Führung und Verantwortung in der Wirtschaft von Hermann Clemm

 

Romano Guardini, einer der großen Denker unseres Jahrhunderts, der mehrere Jahrzehnte hier in München lebte und lehrte, stellte die Macht des Menschen über Mitmenschen und Natur als eines der wichtigsten Themen unserer Krisenzeit dar. Die Zukunft der Menschheit hänge vor allem davon ab, ob es gelänge, eine neue Ethik der Machtausübung zu entwickeln und zu verwirklichen. Als Christ meinte er damit eine Machtausübung, die sich als Dienst am »Nächsten« und gegenüber Gott versteht, und die sich an der »Mitmenschlichkeit« (Nächstenliebe) und damit an Gerechtigkeit und Barmherzigkeit orientiert. Gelänge dies nicht, sei eine »globale Katastrophe« kaum vermeidbar; gelänge dies aber, so könne die Menschheit aus der derzeitigen bedrohlichen Krise heraus sogar einem friedlicheren Zeitalter entgegengehen.

Führung und Verantwortung - zwei Begriffe aus dem Bereich der Machtausübung - betreffen damit einen Angelpunkt der Hoffnung auf eine positive Lösung der weltweiten Probleme, die mit Stichworten wie Atomkrieg, ökologische Katastrophe, Bevölkerungsexplosion, Hungersnöte, ideologische und religiöse, z.T. mit Fanatismus ausgetragene Konflikte, Menschenrechtsverletzungen, Orientierungslosigkeit angedeutet seien.

Gegenstand dieser Betrachtungen ist die Machtausübung in einem Teilbereich des menschlichen Zusammenlebens, nämlich in der Wirtschaft, einem Bereich, dem für das Wohl der Menschen große, wenn auch nicht ausschlaggebende Bedeutung zukommt, was zunächst kurz skizziert werden soll. Daran schließen sich die Fragen nach Führung und Verantwortung in der Betriebs-, Volks- und Weltwirtschaft und etwaige Erfordernisse umzudenken fast zwangsläufig an.

Aufgabe der Wirtschaft ist vor allem die Versorgung der Menschen mit Sachgütern und Dienstleistungen für

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den Lebensunterhalt, aber auch für den »Luxus«. Dabei soll sie aber zugleich für »Arbeit und Brot« der in ihr Beschäftigten sorgen. Dies bedeutet nicht nur, daß die Beschäftigten eine möglichst gerechte und zumindest für ihren und ihrer Familie Lebensunterhalt ausreichende Entlohnung erhalten, sondern auch, daß die Arbeit »human«, unter menschenwürdigen Bedingungen zu leisten, ist; dazu gehört außerdem, daß sie vom Beschäftigten als sinnvoll erkannt und akzeptiert werden kann. Denn eine sinnvolle berufliche Arbeit gehört zu den wesentlichen Voraussetzungen für ein erfülltes menschliches Leben -innerhalb und außerhalb der Wirtschaft.

Schon diese wenigen Bemerkungen zeigen den hohen Stellenwert der Wirtschaft und zugleich die Ziele, an denen sich Führung und Verantwortung zu orientieren haben. Vor einer Überbewertung, einer Vergötzung der Wirtschaft ist jedoch zu warnen; sie ist ja keineswegs die einzige Voraussetzung für das Wohl und Glück der einzelnen Menschen, der Völker und der Menschheit. Hierfür sind auch zahlreiche andere private wie »öffentliche« Faktoren von Bedeutung. Genannt seien körperliche und seelische Gesundheit, Freiheit und das Recht auf Selbstverwirklichung, Freundschaft, Liebe, Ehe und Familie, Sport und andere erfreuliche Freizeitbeschäftigungen; wichtig sind aber auch Muße und Kult (Religion), Kultur im Sinne von geistiger und künstlerischer Bildung und Betätigung sowie die Sicherung alles dessen durch die am Gemein- und Individualwohl orientierten, ordnenden staatlichen Tätigkeiten und Institutionen. Immerhin sind so elementare, die Existenz vieler Menschen betreffende Erscheinungen wie Hungersnot, Massenarbeitslosigkeit, Massenelend, Gefährdung der Natur (Umwelt) und der Verbrauch unwiederbringlicher Rohstoffe vorwiegend Themen der Wirtschaft; am Gemeinwohl orientierte Führung und Verantwortung in der Wirtschaft und in der Wirtschaftspolitik schließen damit die Bemühung um die Beseitigung oder zumindest Verminderung dieser Mißstände und Gefahren ein. Wer hier vor allem gefordert ist und in welcher Weise, wird allerdings erst erkennbar, wenn man sich zuvor die derzeitigen Prinzipien und

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Strukturen der Wirtschaft in West und Ost klarzumachen versucht.

Man kann derzeit — grob vereinfacht - zwei elementar unterschiedliche Prinzipien der Wirtschaftsführung erkennen: Die westliche oder kapitalistische Wirtschaft ist in erster Linie eine Markt- und Wettbewerbswirtschaft; in ihr wirken vorwiegend Privatunternehmen, die einzelnen, mehreren oder vielen Eigentümern (Gesellschaftern) gehören. Die kleineren Unternehmen werden vorwiegend von den Eigentümern selbst geführt, die größeren dagegen überwiegend von »Fremden«, d.h. gar nicht oder geringfügig am Unternehmen als Eigentümer beteiligten Managern, die von den Gesellschaftern bestellt werden. Der Staat hat in diesem »System« lediglich für günstige Rahmenbedingungen zu sorgen und greift nur in Ausnahmefällen regulierend (durch Verbote einerseits und gezielte Förderungsmaßnahmen andererseits) ein. In den sozialistischen Ländern herrscht dagegen die Planwirtschaft vor; die in ihr tätigen Unternehmen sind nicht Privat-, sondern »Volkseigentum«. Sie werden von Partei- oder Staatsfunktionären geführt, die sich, streng kontrolliert, an den - ebenfalls von Partei bzw. Staatsfunktionären aufgestellten - Plänen zu orientieren haben. Für die beiden Prinzipien könnte man westliche Denker als »Stammväter« benennen, nämlich Adam Smith einerseits und Karl Marx andererseits. Für den liberalen Briten Smith war der nach Gewinn strebende und damit vorwiegend - wenn auch nicht schrankenlos - egoistisch handelnde Unternehmer der beste Motor und Garant für eine optimale Güterversorgung und zugleich für die Beschaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen. Für Marx, der seine Theorien u. a. auf seine Beobachtungen in der Frühindustrialisierung mit gravierenden Mißständen stützte, war der Unternehmer schlechthin der Ausbeuter, der zugunsten des Proletariats enteignet werden müsse, was seit der Oktoberrevolution unter Lenin und Stalin in Rußland und den später zum kommunistischen Lager hinzugekommenen Ländern auch weitgehend geschehen ist.

Beide Systeme wurden in den letzten Jahrzehnten praktiziert und weiterentwickelt. Gewisse Annäherungen

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sind zwar insoweit festzustellen, als einerseits die kapitalistische Wirtschaftsführung durch gesetzliche Regelungen insbesondere zugunsten der Arbeitnehmer eingeschränkt wurde und andererseits im Ostblock Tendenzen zur Wiedereinführung von marktwirtschaftlichen Elementen einschließlich der Zulassung von Privatunternehmen zu erkennen sind. Dennoch stehen sich beide Systeme noch nicht als »friedliche Konkurrenten«, sondern eher wie »rechthaberische Ideologen« gegenüber; daß es statt dieser Konfrontation zu einem Dialog kommen werde, in dem man bereit ist, die Gegenseite anzuhören und eigene »ideologische« (Vor-)Urteile in Frage zu stellen und zumindest partiell zu korrigieren, ist zu hoffen; dies wäre der den meisten Erfolg versprechende Weg zu friedlichen Konfliktlösungen; ein Pochen auf die eigenen Erfolge (eigene Fehler und Schwächen ignorierend) und das Herumreiten auf Fehlern und Mißerfolgen der Gegner (gegnerische Erfolge und teilweise richtige Meinungen ignorierend) entspricht zwar dem menschlichen Trieb nach Selbstbestätigung, führt aber zu Polarisation und Verhärtung und erhöht damit die Gefahr von gewaltsamen Konfliktlösungen.

Aus unserer westlichen Perspektive kann es allerdings kaum einen Zweifel darüber geben, daß die privatkapitalistische Wettbewerbswirtschaft wesentlich erfolgreicher arbeitet als die staatskapitalistische Planwirtschaft. Warum dies so ist, darüber sollte man - möglichst rational und möglichst wenig emotional und »ideologisch« - diskutieren. Offensichtlich ist, daß das westliche System, das auf persönliches Gewinnstreben ausgerichtet ist, die Menschen wesentlich mehr zu Leistungen und Verbesserungen motiviert als eine - angeblich - ausschließlich am Gemeinwohl orientierte staatliche (Funktionärs-)Plan-wirtschaft; zu vermuten ist im übrigen, daß der Egoismus in diesem System keineswegs beseitigt ist, sondern sich an anderen Stellen festgesetzt hat, z.B. in der Funktionärshierarchie (Nomenklatura), die gegenüber dem »einfachen Volk« zahlreiche Privilegien genießt und im übrigen für Korruption (noch) anfälliger zu sein scheint als der westliche Staatsapparat. Daß das westliche System auch

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wesentlich mehr individuelle Freiheitsrechte gewährt, kommt als weiterer Vorteil hinzu; inwieweit dies für den wirtschaftlichen Erfolg ursächlich ist, bleibe dahingestellt.

Unter Anwendung von neuzeitlicher Naturwissenschaft und Technik wurden während der letzten Jahrzehnte in Ost und West, jedenfalls in den entwickelten Ländern, große Fortschritte im materiellen Wohlstand aller Bevölkerungsschichten erzielt. Vieles wurde dabei erreicht, wovon frühere Generationen nur träumen konnten; man denke nur an die Erfindung und Weiterentwicklung des Autos, des Flugzeugs, der modernen Energieversorgung, der Kommunikationstechnik, des (Massen-)Tourismus, vor allem aber auch der modernen Gesundheitsversorgung.

Unverkennbar sind allerdings auch wesentliche ökonomische Fortschritte in den sozialistischen Ländern. Vergleiche zwischen den Erfolgen in West und Ost, die fast nur zugunsten des westlichen Systems ausfallen, könnten teilweise korrekturbedürftig werden, wenn man die unterschiedlichen Ausgangssituationen im zaristischen Rußland und dem damals zivilisatorisch schon weitentwickelten Mittel- und Westeuropa bedenkt.

Auf die Schwächen, aber möglicherweise auch auf einige Vorzüge des planwirtschaftlichen sozialistischen (staatskapitalistischen) Systems sei hier schon mangels eigener Kenntnisse und Erfahrungen nicht weiter eingegangen, auch wenn das Thema Führung und Verantwortung dort natürlich eine ebenso bedeutende Rolle spielt wie im Westen, und zwar sowohl in der sowjetischen Wirtschaft selbst als auch in ihren wirtschaftlichen Beziehungen zu anderen Völkern und last not least ihre ökologischen Auswirkungen auf Nachbarländer. Auch die uns vertraute »privatkapitalistische« Marktwirtschaft bietet ja genügend Stoff für Betrachtungen über Führung und Verantwortung, insbesondere vor dem Hintergrund der unbestreitbaren Leistungen und Erfolge wie auch der Schwächen und Gefahren, die gerade in den letzten Jahrzehnten deutlicher zutage getreten sind.

Von erfolgreicher Führung wirtschaftlicher Unternehmen spricht man bei uns dann, wenn die Unternehmen

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längerfristige Erfolge - im Sinne von Gewinnen für die Unternehmer bzw. Miteigentümer - erzielen; an diesen Erfolgen partizipieren regelmäßig auch die Arbeitnehmer. Dies setzt in unserer Marktwirtschaft voraus, daß »marktgerechte« Produkte entwickelt, produziert und verkauft werden, und dies zu Preisen, die die Gestehungskosten übersteigen. Eine solche Leistung entsteht durch koordinierte Gemeinschaftsarbeit aller in den Betrieben Beschäftigten: bei der Entwicklung der Produkte und der Produktionsanlagen, bei der möglichst kostengünstigen und dennoch einwandfreien Produktion, beim Vertrieb der Produkte und bei der Finanzierung alles dessen, verbunden mit einer motivierenden und gerechten Personalführung. Die Führung sowohl der einzelnen Bereiche als auch die Gesamtplanung und Koordinierung erfordern eine Führungsmannschaft mit großen Führungsqualitäten, Kenntnissen und Erfahrungen. Erfolge und Mißerfolge von Unternehmen beruhen ja zu einem erheblichen Teil auf den unternehmerischen Fähigkeiten der Manager. Vergleiche zwischen Unternehmensleitern und Dirigenten, Heerführern und Politikern bieten sich an; hier wie dort sind die großen und genialen Persönlichkeiten in der Minderzahl, da sie eine Mischung von großer (»natürlicher«) Begabung, erworbenen Fähigkeiten, theoretischen und praktischen Kenntnissen, meist kombiniert mit Ausdauer und Fleiß, darstellen. Daneben gibt es viele »normale«, gute Führungspersönlichkeiten, weshalb wirklich schlecht geführte Unternehmen relativ selten anzutreffen sind.

Wie kommt es aber vor diesem vorwiegend positiven Hintergrund zu den vielerörterten Mängeln und Gefahren - einschließlich Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung und angeblicher Ausbeutung der unterentwickelten Länder. Das hat verschiedene Ursachen; die Markt- und Wettbewerbswirtschaft erzielt zwar viele positive Ergebnisse - wie ja Wettbewerb auch in vielen anderen Bereichen motiviert -, andererseits kann sie einige Probleme ohne staatliche Eingriffe kaum lösen. Generell setzen sich in einer Wettbewerbswirtschaft meist die Stärkeren (und »Tüchtigeren«) durch und zwar zu Lasten der Schwäche-

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ren; diese »Schwächeren« können Konkurrenten sein, ebenso Lieferanten - z.B. in unterentwickelten Ländern -, oder auch »wehrlose Kreaturen« im Bereich der Natur (Tiere, Pflanzen; auch Gewässer und Luft könnte man dazu zählen). In einem früheren Stadium der »privatkapitalistischen« Wirtschaft konnte man wohl auch noch generell »die Arbeiter« als die (dem »Kapital« gegenüber) Schwächeren und besonders Schutzbedürftigen ansehen; dies hat sich aber, u.a. durch die Arbeiter-Interessenvertretung seitens der Gewerkschaften, durch gesetzliche Vorschriften und einen Gesinnungswandel bereits erheblich geändert. Die angemessene Berücksichtigung von Arbeitnehmerinteressen ist mittlerweile nicht nur rechtlich - einschließlich eines Mitbestimmungsrechts - weitgehend gesichert, sondern gehört auch zu den Selbstverständlichkeiten einer guten und verantwortungsbewußten Unternehmensführung.

Noch nicht ganz so weit ist man offenbar auf dem Gebiet des Naturschutzes und beim »Nord-Süd-Dialog« mit der Dritten Welt. Die ökologischen Bedrohungen in Gestalt von Luft- und Wasserverschmutzung, der Vernichtung von Pflanzen- und Tierarten, die durch die industrielle und industriell-landwirtschaftliche Tätigkeit und durch bestimmte Konsumgewohnheiten auftreten, wurden zwar in den letzten Jahren zunehmend, teilweise geradezu panikartig, ins allgemeine Bewußtsein aufgenommen, unter anderem auf Grund alternativer Protestbewegungen. Auch wurden bereits erhebliche Maßnahmen zur Verbesserung des Umweltschutzes ergriffen. Dennoch bleibt offenbar noch viel zu tun, und zwar in vielen Regionen der Welt. In unserer Markt- und Wettbewerbswirtschaft besteht dabei die Schwierigkeit, daß der »Umweltschutz« meist mit erheblichen Kosten für die betroffenen Unternehmen verbunden ist. Diese führen nur dann nicht zu Wettbewerbsnachteilen, wenn auch alle Konkurrenten (im In- und Ausland) zu solchen Maßnahmen gezwungen werden und so generell eine von den Käufern akzeptierte Preiserhöhung zur Deckung dieser Umweltschutzkosten vorgenommen werden kann. Andernfalls führen solche Umweltschutzmaßnahmen zu

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standortbedingten Wettbewerbsnachteilen, die das Unternehmen zur Produktionseinstellung zwingen können. Ob »der Markt« kostspielige Umweltschutzmaßnahmen eines Unternehmens durch Akzeptierung höherer Preise honorieren würde, wenn er gleichwertige Produkte von einem mangels Umweltschutzmaßnahmen billiger produzierenden Konkurrenten billiger kaufen kann, erscheint als zweifelhaft. Auf dem Markt wird ja — jedenfalls einstweilen - regelmäßig nur nach der Qualität und dem Preis der Produkte gefragt, nicht aber, ob und inwieweit bei der Produktion oder Beschaffung »Gemeinwohl-Interessen« oder andere ethische Prinzipien berücksichtigt wurden. Wie ein Gesinnungswandel der Marktteilnehmer herbeigeführt werden könnte, so daß bei Angebot und Nachfrage mehr als bisher auf die Schonung der Umwelt geachtet wird, ist besonders nachdenkenswert. Dies wäre wohl der unserer freiheitlichen Ordnung am ehesten entsprechende Weg, der Bedrohung der Umwelt durch Produktion und Konsum zu begegnen. Hoffnungsvolle Ansätze gibt es zum Beispiel beim Angebot und der Nachfrage von umweltfreundlichen Kraftfahrzeugen und Verpackungsmitteln. Dabei wird man auf staatliche Regelungen jedoch nicht verzichten können, sei es auch nur, um den Gesinnungswandel zu unterstützen. Wie die staatlichen Regelungen im einzelnen auszusehen haben, wenn sie sich sowohl am Gemeinwohl als auch an den gemeinsamen Interessen der Wirtschaft orientieren sollen, bleibe einstweilen dahingestellt. Daß die Erhaltung der Natur in einem möglichst gesunden Zustand ein vorrangiges Anliegen im Interesse der Allgemeinheit und der nachfolgenden Generationen ist, darüber dürften kaum Zweifel bestehen; daß dies obendrein für Juden und Christen und Angehörige anderer Religionen einem göttlichen Gebot entspricht, kommt hinzu. Fraglich ist allenfalls, wieweit diese »Natur-Erhaltungs-Pflicht« im einzelnen geht. Denn daß die Natur im Rahmen der Jahrtausende langen zivilisatorischen Entwicklung erheblich verändert wurde, daß dabei zahlreiche Arten vernichtet und andere - z.B. durch Züchtung - verändert wurden, ist nicht nur unbestritten, sondern wird wohl auch höch-

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stens von einigen Romantikern als verwerflich angesehen. Inzwischen ist allerdings ein Zustand erreicht, bei dem die Frage nach dem Maß weiterer zulässiger oder vertretbarer Veränderungen und Eingriffe als berechtigt und notwendig erscheint.

Ähnliche Überlegungen gelten für die Beziehungen zur Dritten Welt, zu jenen Regionen der Welt, deren Zivilisation und Wirtschaft, zumindest an unseren Maßstäben gemessen, unterentwickelt sind. Viele dieser Länder standen während der letzten Jahrhunderte unter europäischer Kolonialherrschaft, andere - wie die Länder Südamerikas - wurden von Europäern erobert, zivilisiert und beherrscht, und zwar auf eine Weise, die den meisten Menschen unserer Zeit - offenbar als Folge eines ziemlich allgemeinen Gesinnungswandels - als wenig gerecht oder gar als unmenschlich und »diskriminierend« erscheint. Vieles hat sich in diesen Ländern insbesondere nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geändert; der Kolonialismus wurde beendet, die Völker wurden in die politische Selbständigkeit entlassen, sie leben jedoch fast alle noch unter politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen, die entwicklungsbedürftig sind. Vor diesem Hintergrund sind zwei miteinander sowohl rivalisierende als auch teilweise verbundene wirtschaftliche Aktivitäten der entwik-kelten Länder zu sehen, nämlich einerseits die - aus einer Mischung von Caritas, schlechtem Gewissen und volkswirtschaftlichem Eigeninteresse bestehende und gespeiste - Entwicklungshilfe und andererseits die »normalen« marktwirtschaftlichen Beziehungen zu den Entwicklungsländern. Nach unseren marktwirtschaftlichen Spielregeln kann die eigentliche - karitative - Entwicklungshilfe nicht Sache der (gewinn-orientierten) Privatunternehmen sein; sie ist in erster Linie Aufgabe der internationalen Wirtschaftspolitik. Auf Leistungen, Fehlleistungen und Verbesserungsmöglichkeiten auf diesem Gebiet näher einzugehen, ist hier nicht möglich. Festzuhalten bleibt allerdings, daß es das Ziel der Entwicklungspolitik sein muß, die unterentwickelten Länder so zu stärken, daß sie nicht mehr »caritas-bedürftige«, sondern starke, gleichberechtigte und selbstbewußte Partner der

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»entwickelten« Staaten werden, wie ja überhaupt das Ziel der internationalen Politik nicht mehr die Hegemonial-herrschaft einzelner Völker, Kontinente, Rassen oder »Systeme« (Ideologien), sondern eine Partnerschaft gleichberechtigter Völker (Völker- und Staaten-Familie) sein muß, wie dies, wenn auch noch zu unvollkommen, in den Vereinten Nationen vorgezeichnet ist. Dies ist nur möglich, wenn die Besitzenden bereit sind, auf ihre Vorteile zumindest partiell zu verzichten. Für Wirtschaftsunternehmen der »westlichen Welt« sind die Entwicklungsländer in erster Linie Lieferanten wichtiger Rohstoffe und Rohprodukte; daneben sind sie Export-Kunden, insbesondere auf dem Gebiet der Investitionsgüter-Industrie; darüber hinaus kann man dort aber auch Tochter-Unternehmen aufbauen, die in der Lage sind, unter z.T. besonders günstigen Rahmenbedingungen zu produzieren. Verantwortungsbewußte Wirtschaftsunternehmen werden sich nach unseren Markt-Spielregeln zunächst einmal am Erfolg des eigenen Unternehmens orientieren; das bedeutet zugleich die Ausnützung der Gegebenheiten des Marktes, in den die Entwicklungsländer einbezogen sind. Daß dabei Möglichkeiten zum billigen Einkauf von Rohstoffen und Rohprodukten, aber auch zur Anstellung von - im Vergleich zu Europa und USA - billigeren Arbeitskräften genutzt werden, liegt für jeden Privat-Oko-nomen auf der Hand - und ist grundsätzlich auch zumindest solange nicht verwerflich, als die »Partner« dabei auch auf ihre Rechnung kommen, eine Existenzgrundlage finden oder behalten und gegenüber ihrem vorherigen Zustand sogar bessergestellt werden. All dies ist bei der Diskussion über die angebliche »Ausbeutung« der Entwicklungsländer zu berücksichtigen, so auch, welche großen Fortschritte in den Entwicklungsländern auf den - marktwirtschaftlich orientierten - Tätigkeiten westlicher Wirtschaftsunternehmen beruhen einschließlich der Schaffung von zahlreichen Arbeitsplätzen mit humanen Arbeitsbedingungen. Dennoch bleibt ein Unbehagen, wenn man bedenkt, daß die Betätigung westlicher Wirtschaftsunternehmen zur Unterstützung oder »Festschreibung« ungerechter sozialer Strukturen beitra-

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gen kann; auch mag man sich fragen, wie es auf das Selbstbewußtsein eines Volkes wirkt, wenn seine Wirtschaft von ausländischen Unternehmen mehr oder minder beherrscht wird, mögen sie sich auch noch so sozial oder gar karitativ verhalten. (Was würden etwa wir Deutschen empfinden, wenn die deutsche Industrie vorwiegend von Unternehmen beherrscht würde, die in US-amerikanischem und/oder japanischem Eigentum ständen?) Alles dies sind wohl Fragen, auf die es keine »einfachen Antworten« gibt, über die es sich aber wohl weiter nachzudenken lohnt, wenn man eine friedlichere und gerechtere internationale Wirtschaftsordnung anvisiert.

Welche Fragen die Arbeitslosigkeit - ein weiteres Übel unserer Zeit - aufwirft, sei nur angedeutet. Zu den wesentlichen Ursachen der Arbeitslosigkeit, jedenfalls in unseren Regionen, gehören Veränderungen der Marktverhältnisse, insbesondere die Sättigung mancher Teilmärkte in Verbindung mit dem Aufbau und Bestand von Überkapazitäten. Beispiele hierfür sind die Stahlerzeugung, der Schiffsbau sowie insbesondere der Wohnungsbau, aber auch die Textilerzeugung, wobei sich hier für uns der Aufbau von Fertigungskapazitäten in Ländern mit geringeren Arbeitskosten bemerkbar macht. Hinzu kommt, daß durch technische Weiterentwicklungen (Mikroelektronik, Roboter) Produktionen aufgebaut werden konnten, die die »Produktivität pro Arbeitsplatz« erhöhen und dabei die menschliche Arbeit erleichtern, in ihrer Wirkung verbessern oder gar schlicht überflüssig machen. Die aufgezeigten Aspekte deuten bereits die Vielschichtigkeit der Problematik an. Eindeutigen Verbesserungen sowohl der Produktivität als auch der Arbeitsbedingungen stehen Nachteile, insbesondere die unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten unausweichliche »Freisetzung« von Arbeitnehmern aus Gründen der Ko-stenminimierung, gegenüber. Mit einem Appell an die Unternehmensführungen ist dieses Problem nicht zu lösen, denn in unserem System hat die Unternehmensführung in erster Linie für den ökonomischen Erfolg des eigenen Unternehmens zu sorgen, der zugleich der Garant für die Weiterexistenz dieses Unternehmens und

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(möglichst vieler) seiner Arbeitsplätze ist. Rationalisierungsmaßnahmen, auch solche, die mit der Freisetzung von Arbeitsplätzen verbunden sind, sind unter den gegebenen Markt- und Konkurrenzbedingungen häufig unumgänglich. Eine rein marktwirtschaftliche Lösung des Arbeitslosenproblems erscheint mir daher als eher unwahrscheinlich. Vermutlich bedarf es hier staatlicher Eingriffe, insbesondere zur Förderung von neuen Produktionsstätten und -verfahren. Auf die Dauer wird allerdings ein weitergehender Umdenkprozeß kaum vermeidbar sein - und obendrein im Interesse nahezu aller Beteiligten liegen. Sofern nämlich die »Produktivität pro Kopf« ständig erhöht wird, ein ständiges Wachstum aber auf keine entsprechende Nachfrage stößt, ist es notwendig, entweder mit weniger Arbeitskräften in der Produktion auszukommen und die »Freigesetzten« anderweitig sinnvoll und mit entsprechendem Einkommen ausgestattet zu beschäftigen, oder aber eine generelle Verminderung der Arbeitszeit und eine Erhöhung der »Freizeit« in Kauf zu nehmen. Daß dies in unseren Breitengraden ein »Reizthema« ist, insbesondere wenn es dabei um die Beibehaltung oder Veränderung der Löhne geht, weiß jeder Kundige. Patentlösungen gibt es natürlich nicht, das Problem ist aber bei gutem Willen zumindest längerfristig lösbar.

Dieser Rundgang durch die Wirtschaftslandschaft mit der Darstellung einiger schwieriger Probleme unter dem Gesichtspunkt einer verantwortungsvollen Wirtschaftsführung im Kleinen wie im Großen einschließlich einer nationalen und internationalen Wirtschaftspolitik konnte weder eine umfassende Darstellung sein noch Problemlösungen bieten, er sollte eher zum Weiterdenken anregen. Vielleicht ist deutlich geworden, daß es bei alledem um die Wiederentdeckung und Verwirklichung eines »uralten« Gebotes geht, das von Juden und Christen in besonderer Weise, aber auch von allen »Andersgläubigen« anerkannt ist, daß man den Nächsten ebenso lieben solle wie sich selbst. An diesem »einfachen« Gebot sind nach den Worten Jesu alle Gesetze - insbesondere der De-

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kalog - und alle prophetischen Anweisungen ausgerichtet. Dieses Gebot verlangt weder einen »absoluten Altruismus« - etwa in dem Sinne, daß der Einzelne »nichts«, dagegen die Gemeinschaft, der Staat oder welche Institution auch immer, »alles« sei; vielmehr wird durchaus ein erhebliches Maß an Eigenliebe zugebilligt, nur darf eben auch diese weder »absolut gesetzt« noch im Vergleich nur »Nächsten«-liebe zu stark werden. Dieses Gebot zu verwirklichen, wurde zwar seit Jahrtausenden insbesondere von großen Einzel-Persönlichkeiten und Gemeinschaften (z.B. Orden) auf vielfachen Wegen versucht, es erweist sich aber heute als besonders aktuell und dringlich angesichts der bedrohlichen Situation der Welt; seine Umsetzung auch in »Spielregeln für das Wirtschaftsleben« gehört zu den Erfordernissen unserer Zeit. Daß dies alles eine »utopische« oder »romantische« Idee sei, ohne Chance zur auch nur partiellen Realisierung, könnte nur der meinen, der eine romantische Vorstellung vom Begriff der (Nächsten-)liebe hat. Sie setzt eine realistische Erforschung und Diagnose der Welt mit all ihren Teilbereichen und Problemen voraus, allerdings getragen von grundsätzlicher »Zustimmung zur Welt« und der Anerkennung aller Kreatur und ihrer Existenzberechtigung; sie bemüht sich sodann aufgrund der sorgfältigen Analyse um Gerechtigkeit, d.h. um sach- und personengerechte Lösungen im Sinne des alten römischen Kernsatzes »suum cuique«; sie weiß allerdings auch, daß Gerechtigkeit durch Barmherzigkeit (Güte) ergänzt werden muß, um nicht in Grausamkeit zu entarten. Da sie bei alledem auf Widerstand stoßen wird, braucht sie Tapferkeit, um persönliche Opfer und Leiden in Kauf zu nehmen; und sie bemüht sich nicht zuletzt auch um die - maßvolle -Beherrschung der eigenen Triebe einschließlich Eitelkeit und Ehrgeiz - kurz: die Nächstenliebe schließt alle Kardinaltugenden im Sinne der alten abendländischen Tradition ein. Eine solche Ausübung der Nächstenliebe wäre zugleich die Verwirklichung allgemein anzuerkennender Führungsqualitäten, jedenfalls eher als das Verhalten des »cleveren, super-dynamischen Unternehmers oder Managers«, der bei näherem Hinsehen in erster Linie ein

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erfolgreicher Radikalegoist ist. »Führerfiguren« solcher Art, die als wirkliche Vorbilder dienen können, sind gesucht - aber sicher auch längst in erheblicher Zahl vorhanden, auch wenn sie nicht ständig im Blickpunkt unserer Mediengesellschaft stehen. Für Rotarier, die sich in Führungspositionen der Wirtschaft befinden, bedeutet dies alles zugleich ein Ernstnehmen der berühmten »4-Fragen-Probe« im täglichen Berufsleben. Wir brauchen nur den Kreis der Betroffenen im Sinne meiner Betrachtungen weit genug zu ziehen, um die Aktualität, die Brisanz und die Unbequemlichkeit dieser Probe, dieser »Fragen an uns selbst« zu erkennen:

1. Ist es wahr (?) - zum Beispiel was ich über Konkurrenzunternehmen einerseits und mein Unternehmen andererseits individuell, gegenüber Dritten und in der Werbung behaupte?

2. Ist es fair für alle Beteiligten (?) - einschließlich aller schwachen und »unterprivilegierten« Marktteilnehmer, aller von mir abhängigen Mitarbeiter - aber auch gegenüber der Umwelt einschließlich der »Natur«?

3. Wird es Freundschaft und guten Willen fördern (?) -auch gegenüber gleich starken anderen »Ideologien« oder schwächeren »Entwicklungsbedürftigen« ?

4. Wird es dem Wohl aller Beteiligten dienen (?) - mit anderen Worten: Ist es nicht nur am »Eigenwohl« (Eigennutz), sondern auch am »Gemeinwohl« (im engeren und weiteren Sinne) orientiert?

Ein solches Ernstnehmen der vier rotarischen Fragen wäre ein Dominostein auf dem Wege zu einem allgemeinen Gesinnungswandel, der nach der Mahnung Guardinis erforderlich ist, wenn eine »globale Katastrophe« vermieden und eine friedlichere, weil gerechtere »Weltordnung« im Sinne einer Völkergemeinschaft herbeigeführt werden soll.

Alle Gläubigen - Juden, Christen und andere - wissen allerdings, daß zu unserer menschlichen Bemühung eine gnädige Mitwirkung Gottes hinzukommen muß. Unsere Hoffnung muß und darf aber auch sie - zuversichtlich -einschließen.

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