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Wolf Biermann  

Zwei Portraits

 

 

7-10

1

Jürgen Fuchs, Gedächtnisprotokolle. Er hat sie niedergeschrieben, seine Gespräche mit der Obrigkeit in der DDR: Parteileitung, Staatsapparat, politische Polizei. Erlebnisse mit Leuten, Gespräche mit Freunden. Und mitteilenswert sind diese Gespräche, weil Fuchs in ihnen so redet, wie ich am liebsten singe: mit den Ohren. Fuchs hört zu beim Reden. Das ist sein naiver Trick: er hört wirklich hin! und bewegt die Worte in seinem Herzen wie in seinem Denkapparat. 

Die leeren Worte, die bedrohlichen Worte, die wütigen, die kalten, die lauernden, die schmeichelnden Worte, die freundschaftlichen, die traurigen. Er nimmt alles auf, offen wie ein Kind. Und das macht seine Position mit denen, die ihn das Fürchten lehren wollen, so sehr zum Fürchten. Ja, noch radikaler als reden kann er zuhören, und noch radikaler als zuhören kann er sich verhalten. Er verhält sich so, daß seine Freunde sich ihm öffnen können, daß seine Feinde sich entblößen müssen. Seine politische Tonart ist die der unerbittlichen Sanftheit. Sanft ist er, wie alle echten Radikalen.

2

Seine Eltern sind Arbeiter. Fuchs ist ein unvermischtes DDR-Produkt. Den Westen kennt er nicht. Fuchs hatte die Gelegenheit und nutzte sie vielleicht mehr als er sollte: er studierte Sozialpsychologie an der Universität Jena. Seine Leistungen als Student waren außergewöhnlich. Noch seine Diplomarbeit wurde so benotet, wie sie war: ausgezeichnet. Aber die letzte der Diplomprüfungen wurde Fuchs verweigert: er flog aus der Partei und wurde dann exmatrikuliert. 

Blitz und Donner der Deutschen Demokratischen Götter hatte er sich auf sein armes Haupt gezogen durch einige kurze Prosastücke, realistische Literatur, die er sich erlaubt hatte nicht nur zu schreiben, sondern auch zu verbreiten: Er las sie vor auf wenigen und winzigen Veranstaltungen in Jena und Umgebung, einmal auch in Berlin bei der Liedermacherin Bettina Wegner, in einer ihrer berühmten und inzwischen verbotenen Veranstaltungen («Kramladen» und «Eintopf»). Jürgen Fuchs kommt von unten. Und weil er sich geweigert hat, nach oben zu kriechen, ist er jetzt in die Keller unseres Staates gestoßen worden. Seit November 1976 sitzt er in U-Haft. Und wenn dieses Buch erscheint, wird ihm der Prozeß wohl schon gemacht worden sein.

 

3

Literaten werden entdecken, daß Fuchs eine Neigung zum Stil seines Freundes Reiner Kunze hat. Ich möchte auf eine gute Unähnlichkeit aufmerksam machen: Jürgen Fuchs ist Kommunist. Er polemisiert gegen Mißstände in der DDR aus einer linken, einer aufbauenden Position. In diesem Punkt ist Fuchs identisch mit meinen Genossen in der DDR: er weiß, daß nur eine kommunistische, eine radikale Kritik an der DDR wirklich solidarisch sein kann.

Den Haß unserer feudalsozialistischen Fürsten im Politbüro hat Jürgen Fuchs sich redlich verdient. Die Verfolgungen, denen er jetzt ausgesetzt ist, sind nicht die Folge von Mißverständnissen.

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Seine Leser sollten Fuchs nicht unterschätzen. Er schreibt so behutsam wie der große lateinamerikanische Liedermacher Daniel Viglietti singt: den Fuß wie festgenagelt auf dem Fußbänkchen des klassischen Gitarristen - so sitzt Daniel Viglietti vor dem großen Publikum und singt seine Lieder in sich hinein.

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Die Gedächtnisprotokolle sehen aus wie Dokumentarliteratur. Aber das täuscht, wie bei Wallraff. Da wird nicht einfach Wirklichkeit faul-fleißig abgeschrieben. Die eigentliche, die künstlerische Erfindung wurde bei Fuchs wie bei Wallraff längst geleistet, bevor niedergeschrieben wird, was ist. Denn das, was ist, das haben sie ja vorher selbst künstlich hergestellt: durch ihr mutiges und kluges Verhalten bringen sie die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen. Fuchs singt den rotgetünchten Kolossen die Melodie der marxistischen Utopie vor.

 

6

Dem Fuchs-Buch sind auch einige Texte des Leipziger Liedermachers Gerulf Pannach beigefügt. Pannach wurde in diesen Tagen verhaftet, und die Zeit im VEB-Knast wird ihm um so bitterer sein, je weniger seine Straftaten - die Lieder - bekannt werden. Freilich wäre es angemessener, ein eigenes Buch mit den Texten von Pannach herauszugeben. Aber die meisten seiner Liedertexte liegen noch in der DDR, in den Verstecken seiner Freunde und in den Archiven der Staatssicherheit. Einige Male ist Pannach mit Jürgen Fuchs zusammen aufgetreten. Die beiden passen auch gut zusammen, denn Pannach ist ein Gegenstück zu Fuchs: er ist ein ganz vorzüglicher Schreihals. Ich liebe an seinen Liedern diese wenig gezügelte Wildheit. Seine Art erinnert mich an den katalanischen Liedermacher Raimon. Ich machte Gerulf mit den Schallplatten von Raimon bekannt und erzählte ihm eine Geschichte, die mir spanische Kommunisten erzählt hatten: Als Raimon, in der Franco-Zeit halb verboten - halb erlaubt in Barcelona vor dreitausend Arbeitern singen sollte, mußte er vorher sein Programm dem Gouverneur von Barcelona vorlegen. Der Gouverneur strich die Hälfte der Lieder weg und kontrollierte dann persönlich im Konzert. Nachdem Raimon die genehmigte Hälfte gesungen hatte, ließ er die Leute geschickt-ungeschickt merken, warum er nicht weitersingen kann... Da standen die dreitausend Menschen auf und sangen dem Sänger seine verbotenen Lieder vor. So lange, bis der Gouverneur die Nerven verlor und mit seiner Begleitung aus dem Saal stürzte. 

Pannach hat etliche Lieder von Raimon ins Deutsche gebracht, so gut, daß es singbare deutsche Lieder geworden sind. Manche davon sang und spielte Pannach zusammen mit «Kuno» Christian Kunert, dem bekannten Orgelspieler der verbotenen «Renft»-Band. Kuno wurde zusammen mit Gerulf in diesem November verhaftet.

7

Gerulf Pannach ist besonders bekannt in Sachsen, in Thüringen und in Berlin. Jetzt, nachdem er eingekerkert ist, werden sich die Tonbandkopien seiner Lieder bis ins letzte Mecklenburger Dorf verbreiten. Pannachs Lieder sind so nah am DDR-Alltag, sie haben auch so viel politische Schönheit, daß sie sich auch ohne diese brutale Werbekampagne durch den wildgewordenen Staatsapparat in unserem Land verbreitet hätten.

 

8

Als er noch nicht verboten war, vor etwa eineinhalb Jahren, hat Pannach dem VEB «Deutsche Schallplatten» ein Band mit seinen Liedern für eine LP angeboten. Daraus wurde nichts, auch die Auftritte wurden immer öfter verboten, die Garotte wurde langsam und still immer mehr zugedreht. Zuletzt arbeitete Pannach mit seinem Freund Kuno als Transporthilfsarbeiter auf dem Gemüsemarkt Leipzig. Ich halte ihn für den besten jungen Liedermacher der DDR.

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Kein Wunder, daß Pannach von der offiziösen Singebewegung der DDR wie Aussatz behandelt wurde. Er trat auf den manipulierten Monsterkonzerten der Kaisersgeburtstagssänger nicht auf. Und diese Kastraten waren ganz froh, daß sie sich mit Pannach nicht auf einer Bühne messen mußten.

10

Als er noch singen durfte, trat er auf in den Pausen der Konzerte der populären Beatband von Renft. In kleinen Industriestädten sang er von jungen Arbeitern, zog mit den Beatmusikern auf die Dörfer, und er sang vor Studenten, auch in der Humboldt-Universität. Dort hörte ich ihn zum erstenmal und war erstaunt: Pannach hatte ja nichts als seine Nylon-Saiten-Gitarre - und trotzdem schaffte er es, daß das Publikum wütend pfiff, als die beliebten Popmusikanten auf die Bühne kamen und weiterspielen wollten. Das mach mal einer dem Pannach nach! 

Pannach sang damals auch ein Lied, das für ihn nun im Prozeß bestimmt kein milder Umstand sein wird. Im Refrain heißt es da: «Eigene Leute sind keine Meute / Die man nach Belieben / Dirigieren und kommandieren kann!» 

Ach, dieser traurige Monat November beweist, daß «man» es leider doch kann. Aber daß man es eben auch nicht kann, das haben Kommunisten wie Jürgen Fuchs und Gerulf Pannach in der DDR bewiesen.

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