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   Teil 1  

  Das Phänomen Krieg 

  Weltanschauung

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Zu keiner Zeit stand die Frage der Friedensbewahrung so sehr im Mittelpunkt der Diskussion aller staat­lichen Organe, Parteien, Bewegungen, Bürger­initiativen bis hin zu kleinsten Gruppen von Einzel­persön­lichkeiten wie zur unsrigen. Und in keinem Land wird diese Diskussion so heftig geführt wie in der Bundes­republik Deutschland. 

Die Gründe dafür sind offensichtlich. Auf der einen Seite war Mitteleuropa und besonders das von Deutschen aller Stämme bewohnte Gebiet Jahrhunderte hindurch Kriegsschauplatz, auf dem sich alle Völker Europas schlugen; zwei verheerende Weltkriege in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts mit ihren Millionen und Abermillionen von Toten, Verstümmelten und Vermißten sowie dem persönlichen Elend, das fast alle Familien traf, erschütterten zutiefst die bis dahin als selbstverständlich hingenommene Tatsache, daß Staaten – nicht Völker – zur Durchsetzung ihrer eingebildeten oder wirklichen Rechte befugt seien, Kriege zu führen. 

Auf der anderen Seite besitzen heute die Supermächte, die Vereinigten Staaten von Amerika und die Sowjetunion, aber auch Mächte mittlerer Größe wie Großbritannien, Frankreich, ja sogar Indien, China und einige kleinere Mächte die Möglichkeit, einen Krieg mit jenen Waffen auszulösen, die zum Untergang der gesamten Menschheit führen können. 

Zu diesen Waffen gehören die nuklearen, biologischen und chemischen, aber auch eine ganze Reihe anderer, die erst im Abschnitt über das Atomzeitalter angeführt werden sollen. 

Darüber hinaus ist es den beiden Supermächten möglich, einen Krieg gegeneinander sogar auf das erdnahe Weltall, den Mond und vielleicht auf die der Erde nächsten Planeten auszudehnen.

Wen wundert es also, wenn die Frage der Bewahrung des Friedens in den Mittelpunkt aller Überlegungen gerückt wird? 
Wer wäre noch darüber erstaunt, daß Hunderttausende sich zu Friedensdemonstrationen versammeln?

Welche Wandlung hat sich vollzogen, wenn man, soweit es Deutschland angeht, die Friedensdemonstration in Bonn 1984 mit der berühmt-berüchtigten Demonstration des Jahres 1943 in der Berliner Sporthalle vergleicht, in deren Verlauf Goebbels mit der Zustimmung von Tausenden seine Forderung nach dem totalen Krieg erhob, oder mit den 1914 in allen Hauptstädten Europas den Krieg begeistert fordernden Menschenmassen oder gar mit der Kreuzzugs­begeisterung im Hochmittelalter!

Und doch muß hier gleich wieder eingeschränkt werden: Noch im Jahr 1982 forderten in Argentinien Tausende und Abertausende den Krieg gegen England, um die Falklandinseln zu erobern, und zur gleichen Zeit stellte sich die britische Bevölkerung fast geschlossen, zumindest aber in ihrer überwältigenden Mehrheit, mit ebensolcher Begeisterung hinter ihre Regierung, die die Falklandinseln um jeden Preis mit Waffengewalt verteidigte. 

Ähnliche Beispiele aus der jüngsten Zeit für die Bereitschaft nicht nur der Regierungen, sondern auch der Menschen zur Kriegführung bieten der Iran, der Irak, die Palästinenser, Vietnamesen und viele andere Völker der Dritten Welt. Ja, die Kriege außerhalb Europas, die nach dem Zweiten Weltkrieg geführt wurden, haben bereits jetzt zu fast den gleichen Verlusten an Menschen geführt wie jener letzte furchtbare Weltkrieg, dessen Hauptkriegs­schauplätze in Europa und in Ostasien lagen.

Festzuhalten ist, daß in der Menschheit eine gewisse Bereitschaft zum Krieg anscheinend stets bestanden hat, seit, um es biblisch auszudrücken, Kain den Abel erschlug. Aber es ist symptomatisch für die Neuzeit, daß heute die Führer aller Staaten bemüht sind, ihren Friedenswillen zu betonen und selbst den von der Völkergemeinschaft verurteilten Angriffskrieg durch das Wort Verteidigung zu bemänteln, wie es uns die weiter unten angeführten Definitionen des Krieges ganz deutlich zeigen. Dies weist auf eine Kluft zwischen den die Interessen ihrer Staaten vertretenden Männern und der Mehrheit der Bevölkerung hin, die zwar Gewalt zur Durchsetzung innenpolitischer Ziele durchaus nicht generell ablehnt, den Krieg als Mittel zur Durchsetzung staatlicher Interessen jedoch verwirft. 

Allerdings sollte man sich über diese zur Schau getragene Friedensliebe keinesfalls Täuschungen hingeben. Das Beispiel England und Argentinien hat gezeigt, wie rasch es mit Hilfe der modernen Massenmedien und einer geschickten psychologischen Kriegs­führung gelingt, auch friedliebende Völker zur bedingungs­losen Unterstützung einer Kriegspolitik zu veranlassen. Um vieles leichter noch ist es dort, wo Völkerhaß und religiöser Wahn wie im Vorderen Orient oder Rassenhaß wie in Afrika die Menschen für die Kriegsführung begeistern. 

In Wirklichkeit aber verbirgt sich wie zur Zeit der Kain- und Abel-Menschen hinter den zumeist als hehr deklarierten Kriegszielen nichts anderes als krasser Egoismus, Egoismus des Einzelnen, der Einzelstaaten, Völker­gruppen oder Blöcke. Darüber sagte Rudolf Steiner: 

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»... unsere Zeit wird ihren Untergang finden durch andere Kräfte, durch ein gewaltiges Überhandnehmen des Egoismus der menschlichen Natur, und dadurch durch einen Krieg aller gegen alle«.1)

Und er wiederholt diese Aussage an der gleichen Stelle, indem er sagt:

»Nur diejenigen, die sich dem spirituellen Leben zuwenden, werden ... einen Weg finden über die Katastrophe, die da bedeutet den Krieg aller gegen alle, und dieser Krieg aller gegen alle wird noch viel furchtbarer sein für die Menschenmassen, in denen er auftritt, als die Feuer- und Wasserkatastrophen es waren, wie furchtbar auch der Mensch sie sich vorstellen mag. Und es kann nur die Aufgabe derer sein, die sich heute dem spirituellen Leben zuwenden, daß sie alles daran setzen, daß möglichst viel von den guten Keimen unserer Zeit hinübergerettet wird in den sechsten Zeitraum, der den fünften ablösen wird2) 

Von welcher Seite man den Krieg auch betrachten mag, er ist immer eine Katastrophe für die Menschheit, für den von ihm betroffenen Einzelnen und für die mittelbar oder unmittelbar in ihn verwickelten Völker. Und doch haben sich, wie noch zu zeigen sein wird, ganz bestimmte, für die Entwicklung der Gesamt­menschheit unumgängliche Ereignisse oftmals durch Kriege ergeben. Ist daraus aber eine Notwendigkeit, eine Gesetzmäßigkeit oder eine Zwangsläufigkeit abzuleiten? Der Gang durch die Geschichte wird darauf einen Hinweis geben.

Obwohl sich die Menschheit der Tatsache bewußt ist, daß der Krieg eine Katastrophe ist, üben nach wie vor Waffen, Uniformen, Fahnen und Militärmusik eine fast unwiderstehliche Anziehungskraft auf Buben und selbst erwachsene Männer aus, und zwar gleich, welchem Volk sie angehören. Wer glaubt, diese Anziehungskraft beschränke sich nur auf die männlichen Angehörigen des deutschen Volkes, ist einem Propaganda­feldzug erlegen oder kennt andere Völker nicht. 

Daran hat auch die seit einigen Jahren in der Bundesrepublik Deutschland – und fast nur in der Bundesrepublik Deutschland – regelmäßig, besonders vor Weihnachten, verbreitete und von den Massenmedien unterstützte Warnung vor dem Kauf und dem Verschenken von Kriegs­spielzeug nichts geändert. Zwar bleiben Spielzeug­panzer und Spielzeugsoldaten, falls sie überhaupt in Spielzeug­geschäften geführt werden, in den Regalen stehen, aber um so mehr werden echten Waffen täuschend nachgebaute Wasserpistolen, Gewehre und Maschinenpistolen verkauft, mit denen die Kinder dann noch »wirklichkeitsnaher« auf der Straße spielen als mit dem sogenannten Kriegsspielzeug. Werden auch diese ihnen verweigert, so basteln sie sich sehr schnell Pfeil und Bogen oder Holzschwerter. 

Diese Erscheinung ist keineswegs neu. Als der Krieg um Troja ausbrach, versteckte die Nereide Thetis Achilles in Mädchen­kleidung unter den Töchtern des Königs Lykomedes auf der Insel Skyros. Doch die in Not geratenen Griechen schickten den schlauen Odysseus mit anderen griechischen Fürsten dorthin, um Achilles, auf dessen Kraft und Tapferkeit man nicht zu verzichten können glaubte, zu suchen.

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Schlau, wie Odysseus war, breitete er wie ein Händler vor den spielenden Mädchen Schmuck und Waffen aus. Dann ließ er plötzlich die Kriegstrompete blasen. Ohne zu zögern griff Achilles instinktiv nach dem daliegenden Schwert und hatte sich damit verraten. Dieses Beispiel sieht wie die Schilderung eines Urinstinktes beim Manne aus.

Auch die »Edda« schildert den Krieg als Männerschicksal schlechthin: Nach der Beendigung des goldenen Zeitalters sind Streit und Tod unausweichlich. Dabei gilt es gut im Gedächtnis zu behalten, daß nicht Menschen den ersten Krieg entfesselten, sondern Götter, und zwar im Wanen- und Asenkampf. In »Der Seherin Gesicht« heißt es:

Da kam zuerst Krieg* in die Welt,
als Götter Gullweig mit Geren stießen
und in Heervaters Halle brannten
dreimal brannten die dreimal geborene.3

Im gleichen Gedicht schildert die Wöluspa auch das Ende unserer Epoche im Kampf aller gegen alle:

Brüder kämpfen und bringen sich Tod.
Brudersöhne brechen die Sippe;
arg ist die Welt, 
Ehbruch furchtbar.
Schwertzeit, Beilzeit,
Schilde bersten,
Windzeit, Wolfzeit,
bis die Welt vergeht –
nicht einer will
des andern schonen.4

fólkvíg (altnordisch) – Krieg der Heerhaufen

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Oben wurde von einer gewissen Kluft gesprochen zwischen den Männern, die Staaten zu lenken haben, und denen, die Angehörige dieses Staates sind. Natürlich soll damit keineswegs gesagt werden, daß die führenden Männer etwa kriegslüstern wären und die Staatsangehörigen friedliebend. In der weitaus größten Mehrzahl der Fälle sind die einen Staat oder einen Staatenblock führenden Personen nicht weniger friedliebend als die Menschen, für deren Wohl sie zu sorgen haben. 

Aber gerade darin liegt der Unterschied. Während zumindest in den westlichen Demokratien der Einzelne in normalen Friedenszeiten zunächst sein eigenes Wohl im Auge haben darf, müssen der Staatsmann und die anderen für die Führung eines Staates oder eines Staaten­blockes verantwortlichen Männer und Frauen nicht nur für das Wohl, sondern auch für die Sicherheit der Menschen eintreten, die sie gewählt haben und für die sie verantwortlich sind. Diese Verantwortung schließt jedoch auch die Verteidigung der Gemeinschaft ein. So können unter Umständen Entscheidungen getroffen werden, die durchaus dem Willen dieses oder jenes einzelnen Menschen zuwiderlaufen und ihn dennoch für die Gemeinschaft verpflichten. 

Anders sieht es dagegen in totalitären Staaten oder Staatenblöcken aus, in denen durch jahrelange Propaganda der Einzelne dazu gebracht wird, zumindest theoretisch sein Eigenleben und Eigendasein dem Volk, der Rasse oder der Klasse hintanzustellen. 

   

     Im Spiegel der Weltanschauungen   

 

Abgesehen vom Machtstreben, das nun einmal besteht und die Mächte in Rivalität zueinander oder sogar zur Konfrontation gegen­einander bringt, ist die Einstellung zum Krieg bei den führenden Politikern nicht zuletzt durch deren Religionszugehörigkeit oder Weltanschauung bedingt. Das trifft selbst dann zu, wenn sie sich nicht immer nach deren Vorschriften oder Regeln richten.

Nehmen wir zunächst das Christentum, von dem die Politiker der westlichen Welt durch ihre Erziehung in Schule und Elternhaus ausnahmslos geprägt sind, und zwar durch die Lehren der katholischen oder evangelischen Kirche in der einen oder anderen Form. Grundlagen dieser Lehren sind in erster Linie die Aussagen des Christus, wie sie uns in der Bibel überliefert sind. Obwohl der Verfasser kein Theologe ist, möchte er auf ein paar wenige Punkte hinweisen. Nach Matthäus 24,6-8 sagt Christus in der apokalyptischen Ölbergrede, trotz seines Friedensgebotes:

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»Ihr werdet hören Kriege und Geschrei von Kriegen; sehet zu und erschreckt nicht. Das muß zum ersten alles geschehen; aber es ist noch nicht das Ende da. Denn es wird sich empören ein Volk wider das andre und werden sein Pestilenz und teure Zeit und Erdbeben hin und wieder. Da wird sich allererst die Not anheben.«

So die Übersetzung durch Martin Luther. Bei Emil Bock lautet die gleiche Stelle:

»Ihr werdet Kriegsgetümmel und Kriegsgeschrei vernehmen; sehet zu, daß es euch dann nicht an innerem Mut gebricht. Es ist notwendig, daß dies alles geschieht. Aber damit ist das Ziel des Werdens noch nicht erreicht. Ein Teil der Menschheit wird sich gegen den anderen, ein Reich gegen das andere erheben. Überall werden Hungersnöte und Erdbeben ausbrechen. Und doch sind das nur die ersten Geburtswehen der neuen Welt.«

 

Ganz eindeutig wird hier von der Notwendigkeit des Krieges gesprochen. Mit Sicherheit ist damit jedoch nicht gemeint, daß der Krieg, weil er nun einmal notwendig ist, auch angestrebt werden soll. Und doch spricht Rudolf Steiner von einem noch schreck­licheren Geschehen, das sich zwangsläufig ergeben soll. So sagt er, daß die nachatlantische Zeit zugrundegehen wird durch das Überhandnehmen des Egoismus, durch den Krieg »aller gegen alle«.5) 

Dieser Krieg aller gegen alle wird ein Krieg der Stände gegen die Stände sein, der Kasten gegen die Kasten, der Geschlechter gegen die Geschlechter, des Einzelnen gegen den Einzelnen. Und das Ich wird die Ursache dieses Krieges sein.6) Das aber besagt, daß nicht die Staaten die Ursache für den Krieg bilden, sondern daß diese Ursache im Menschen selbst liegt. Die Unzuläng­lichkeit des Menschen ist also die wahre Kriegsursache. 

Sie und damit den Krieg zu überwinden, ist Ziel dessen, der sich zum Christentum bekennt, selbst wenn dieses Ziel in der Jetztzeit noch nicht erreicht werden kann. Wichtig ist aber, daß der sich zum Christentum bekennende Mensch trotz seines Wissens um die Notwendigkeit des Krieges im Sinne der apokalyptischen Ölbergrede mit ganzem Herzen und ganzer Seele nicht den Krieg, sondern den Frieden erstrebt. Im übrigen werden die bei Matthäus 24 angegebenen Christusworte bei Markus 13,7-8 fast wörtlich wiederholt.

Wer nach dem Frieden strebt, darf Macht um ihrer selbst willen nicht anwenden. Tut er dies doch, so schlägt sein Tun über kurz oder lang auf ihn selbst zurück. So heißt es in der Offenbarung des Johannes 13,10: »So jemand in das Gefängnis führet, der wird in das Gefängnis gehen; so jemand mit dem Schwert tötet, der muß mit dem Schwert getötet werden. Hie ist Geduld und Glaube der Heiligen.« (Nach Martin Luther) Und bei Emil Bock lautet die gleiche Stelle: »Wenn einer in Unfreiheit führt, so soll er selber in Unfreiheit gehen; wer das tötende Schwert schwingt, soll selber dem tötenden Schwert verfallen. Was sich hier allein bewährt, ist die ausharrende Kraft und der Glaube derer, die dem Geist ergeben sind.«7

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Zweifellos ist damit jede Art eines Angriffskrieges für den gläubigen Christen ausgeschlossen. Dies gilt sogar für den Einzelnen im Fall der Verteidigung, wie es von der Gefangennahme Jesu bei Matthäus 26,52 nach Martin Luther steht:

»Da sprach Jesus zu ihm: Stecke dein Schwert an seinen Ort; denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen.«

Und Emil Bock übersetzt:

»Da sprach Jesus zu ihm: Stecke dein Schwert wieder an seinen Platz. Denn alle, die nach dem Schwerte greifen, werden auch durch das Schwert umkommen.«

Daß hier der Einzelne angesprochen ist, wird durch die griechische Wortwahl für »Schwert« deutlich. Im griechischen Text steht machaira. Mit machaira bezeichnete man das kurze Hiebschwert, das zur persönlichen Bewaffnung des freien Mannes gehörte, nicht aber das Kriegsschwert, das im römischen Imperium offiziell nur von den Legionären getragen werden durfte. Daß die lateinische Übersetzung des griechischen Testaments von gladius (Legionärsschwert) spricht, ist nicht ganz korrekt. Im Gegensatz dazu bringt der altsächsische Heiland ganz richtig das Wort sachs, womit das kurze Handschwert oder Hiebschwert bezeichnet wurde.

Nur in scheinbarem Widerspruch dazu steht die Aussage bei Matthäus 10,34, nach Martin Luther:

»Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.«* Bei Emil Bock lautet die gleiche Stelle genauer und sinngemäßer: »Denket nicht, ich sei gekommen, einen billigen Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bringe nicht den Frieden, sondern das Schwert.«

Obwohl auch hier im griechischen Text für Schwert das Wort machaira steht, ist aus dem Zusammenhang mit den folgenden Sätzen deutlich zu erkennen, daß »Schwert« hier als Metapher gebraucht wird, denn es wird im folgenden von der Trennung von den Blutsverwandten und der absoluten Bindung an sie, wie sie im jüdischen Volke zur damaligen Zeit üblich war, gesprochen.

* Im 12. Vortrag über das Matthäus-Evangelium vom 12. September 1910, GA 123, gehalten in Bern, sagt Rudolf Steiner: »Ein Wort aus dem Matthäus-Evangelium wird gewöhnlich ganz falsch übersetzt, das schöne, herrliche Wort: >Ich bin nicht auf diese Erde herabgestiegen, um von dieser Erde wegzuwerfen den Frieden, sondern um wegzuwerfen das Schwert!< (Matth. 10,34). Das schönste, wunderbarste Friedenswort ist leider im Laufe der Zeit in sein Gegenteil verkehrt worden.« Rudolf Steiner stützt sich bei dieser Übersetzung auf das griechische Wort baiein, das auch »wegwerfen« heißen kann. Wenigstens ist das anzunehmen. Daß Emil Bock ihm bei dieser Übersetzung nicht gefolgt ist, liegt wohl daran, daß dieser Satz dann im Zusammenhang völlig isoliert stünde. Eher ist – wie schon oben im Text gesagt – die Trennung von den alten Blutsbindungen der Geschlechter und Sippen gemeint. Dies wird auch – wie oben gezeigt – durch das Lukas-Evangelium bestätigt.

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Bestätigt wird diese Auffassung durch den Satz bei Lukas 12,51, der nach Martin Luther lautet: »Meinet ihr, daß ich herkommen bin, Frieden zu bringen auf Erden? Ich sage: Nein, sondern Zwietracht. « Zwietracht ist aber ganz sicher nicht gemeint. Das lateinische Neue Testament bringt separationem (Akkusativ) und das griechische diamerismón. Beide bedeuten »Trennung«, das griechische Wort allerdings auch »Spaltung« und »Uneinigkeit«, doch ist »Trennung« zweifellos die richtige Übersetzung. So lautet der Satz auch bei Emil Bock: »Meint ihr, ich sei gekommen, um auf Erden Frieden zu stiften? Nein, ich sage euch: Lauter Trennung wird durch mich bewirkt.«

Aus keiner dieser Aussagen ist eine Billigung des Krieges zu entnehmen. Allerdings richten sich die Gebote gegen die Anwendung von Waffengewalt stets an den Einzelnen. In besonderem Maße gilt dies für das Gebot aus dem Alten Testament: Du sollst nicht töten. In dieser Form ist die Übersetzung nicht korrekt. Wenn wir die Frage der richtigen Wortwahl für das Wort »sollen« in unserem Zusammenhang außer acht lassen, so bleibt bestehen, daß das hebräische Wort razah (z-stimmhaftes s) »gesetzwidrig töten« oder »morden« heißt. Über das Töten im Krieg wird damit zunächst nichts ausgesagt.

In bezug auf die Notwendigkeit des Krieges, wie sie weiter oben durch die Christus-Worte belegt worden ist, muß betont werden, daß diese Notwendigkeit etwa in dem Sinne zu verstehen ist, wie die Notwendigkeit des Verrats des Judas. In der Bergpredigt, die vor allem bei Matthäus 5-7 wiedergegeben wird, stellt der Christus dagegen ganz eindeutige Forderungen an jeden Einzelmenschen. Mittel der Vervollkommnung des Einzelnen ist dort nicht der Kampf, sondern unzweideutig die Nächsten­liebe, ja sogar die Feindesliebe. Voraussetzung aber für die Erfüllung dieses Liebesgebotes bleibt die Überwindung des Egoismus, auch des Staatsegoismus. Natürlich gehört auch der Klassen- und Rassenegoismus hierher. 

Verkennt man diese Tatsache und bekämpft man allein gewisse Maßnahmen der Aufrüstung oder Nachrüstung, so verhält man sich wie derjenige, der Symptome einer Krankheit wie etwa Schmerzen bekämpft, ohne deren Ursachen zu beseitigen. Darauf muß im Kapitel über das Atomzeitalter noch näher eingegangen werden. Der einzige, der zur Zeit in einem Buch die radikale Befolgung der Bergpredigt und ihrer Gebote der Nächstenliebe fordert, ist Franz Alt.

In der Befolgung der Gebote der Bergpredigt lange nicht so radikal wie der Katholik Franz Alt haben sich die katholischen deutschen Bischöfe in ihrem Hirtenbrief »Gerechtigkeit schafft Frieden« ausgedrückt. Darin heißt es wörtlich: »Sie [die Bergpredigt] bringt Grundeinstellungen für die Gestaltung des Lebens der Christen zur Sprache – Grundeinstellungen, die auch für das politische Verhalten des Christen gelten.

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Aber die Weisungen der Bergpredigt sind eben keine Gesetze, die schematisch anzuwenden wären ... Es wäre deshalb ein Mißverständnis, das gesellschaftlich-politische Leben unmittelbar nach den Weisungen der Bergpredigt gestalten und ordnen zu wollen. Vernunft und Klugheit, die vom Träger politischer Ordnung zu fordern sind, werden durch die Befolgung der Weisungen Jesu nicht ersetzt.« Die Friedensliebe des Christen versuche jedoch immer, »den Gegner für den Frieden zu gewinnen, gewaltfreie Lösungen der Konflikte zu erschließen und Felder der Kooperation anzubieten«.9 Die evangelische Kirche verhält sich zu diesem Problem nicht genauso, aber ähnlich.

Die im Mittelpunkt stehende Grundfrage ist die nach dem Notwehrrecht des Staates. Schon weiter oben wurde der Angriffskrieg als gegen die christliche Ethik verstoßend abgelehnt. Fast alle Staaten im Westen erkennen das Recht des Einzelnen zur Kriegs­dienst­verweigerung unter gewissen Auflagen an, die zumeist auf religiösen Gewissensentscheidungen beruhen. Am großzügigsten verfährt dabei die Bundesrepublik Deutschland, während Frankreich die striktesten Einschränkungen für Kriegsdienst­verweigerer in seinen Gesetzen verankert hat. Die Schweiz kennt dieses Recht gar nicht; ein dahingehender Antrag wurde erst kürzlich vom Schweizer Volk per Volksabstimmung abgelehnt. 

Im Osten dagegen ist die Kriegsdienst­verweigerung nur in ganz wenigen Staaten möglich, unter anderem auch in der DDR, in der Kriegsdienst­verweigerer unter großen Schwierig­keiten anerkannt werden können und einen Ersatzdienst in Baubataillonen abzuleisten haben, als Soldaten in Uniform.

In der Bundesrepublik Deutschland hat jeder das Wahlrecht, sich für den Wehrdienst zu entscheiden oder nach dem Wort des Christus nach Matthäus 5,3 8-39 zu handeln: »Ihr habt gehört, daß da gesagt ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch, daß ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern, so dir jemand einen Streich gibt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch dar.« (Martin Luther)

Und nach Emil Bock lautet das Gebot: »Ihr habt das Wort gehört, das gesprochen worden ist: ›Ein Auge für ein Auge, ein Zahn für einen Zahn.‹ Aus dem Ich heraus jedoch sage ich euch: Stellt euch dem Bösen nicht entgegen. Schlägt jemand dich auf deine rechte Backe, so biete ihm die linke auch dar.«

Sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche fassen diesen Satz, nicht in seiner ganzen Radikalität auf, sondern schränken ihn durch das Notwehrrecht des Staates nach innen und nach außen ein.10) 

Zweifellos bleibt es dem Einzelnen überlassen, diesem Gebot bis zur letzten Konsequenz zu folgen und sich weder gegen Übergriffe gewalttätiger Verbrecher im Innern noch gegen einen äußeren Feind zu wehren. Der Staat in seiner Gesamtheit kann das nicht.

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Er hat eine unabdingbare Verpflichtung zum Schutz aller seiner Bürger gegen Verbrecher. Er kommt ihr mit Hilfe der Justiz nach, der Polizei und seiner Rechtsordnung nach innen. Den Schutz gegen einen Angriffskrieg von außen übernehmen die bewaffneten Streitkräfte. Solange die Welt noch so ist, wie sie im Augenblick sich darstellt, kann kein Staat auf das Notwehrrecht verzichten. Gerade in einer Zeit, in der Kriege nicht mehr »der Zeitvertreib der Könige« sind und der einzelne Bürger davon mehr oder weniger unberührt bleibt, muß dieses Notwehrrecht eines der vornehmsten Rechte des Staates bleiben. 

In modernen Kriegen, die immer mehr den Charakter von Religions- oder Weltanschauungskriegen annehmen, müssen auch diejenigen geschützt werden, deren Leben nicht nur durch die Kriegshandlungen selbst, sondern auch durch die ihnen nachfolgenden Verfolgungen durch den potentiellen totalitären Gegner gefährdet ist. Auch wer sich für die Kriegsdienstverweigerung entscheidet, muß sich die Frage ernsthaft vorlegen, ob seine Entscheidung nicht auf Egoismus physischer, seelischer oder geistiger Art beruht und er es wirklich verantworten kann, seinen Nächsten durch Unterlassung Tod und Verderben auszusetzen.

Im übrigen wird das Notwehrrecht des Staates an keiner Stelle im Neuen Testament angezweifelt. Mehrmals spricht Jesus mit Soldaten, und niemals findet er abschätzige Worte über ihren Beruf; im Gegenteil, man denke nur an das Beispiel des Haupt­manns von Kapernaum. Sein Gebot an sie lautet lediglich, sie sollten sich mit ihrem Sold begnügen und sich von unnötiger Gewaltanwendung fernhalten. Gibt es aber eine Gewaltanwendung, so wird eine solche durch die Lage gerechtfertigte und notwendige stillschweigend anerkannt. Ebensowenig findet sich in der Anthroposophie Rudolf Steiners ein pejoratives Urteil über Soldaten. Zu Rudolf Steiners Bekanntenkreis gehörte der Chef des Großen Generalstabs des deutschen Heeres von 1914, Generaloberst von moltke. Verschiedentlich betont Rudolf Steiner auch, daß Soldaten wie jeder andere, falls sie nach der Erkenntnis höherer Welten streben, zunächst ihre Pflicht zu erfüllen haben.

Sieht der Soldat oder derjenige, der zum Wehrdienst ansteht, seine Aufgabe in der rechten Weise als Notwehr und Opfergang an, so folgt er dem Christuswort nach Johannes 15,13: »Niemand hat größere Liebe denn die, daß er sein Leben lasset für seine Freunde.« (Martin Luther) Und Emil Bock übersetzt: »Eine größere Liebe kann niemand haben als die, sein Leben hinzugeben für seine Freunde.« 

Natürlich ist das Verhalten westlicher Staatsmänner nicht nur auf die bewußt oder unbewußt mit ihrer Erziehung aufgenommene christliche Lehre zurückzuführen; sicher gibt es unter ihnen auch solche, die das weit von sich weisen würden. Dennoch ist das christliche Kulturgut, in dem sie auf gewachsen und belehrt worden sind, ein nicht zu übersehendes, wichtiges und ausschlaggebendes Moment ihres Verhaltens.

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Darüber hinaus sind zweifellos die geschichtliche Überlieferung ihres Volkes, dessen traditionelle Politik und die dem augenblicklichen Stand entsprechende Lage zu berücksichtigen.

Wie liegen nun die Verhältnisse im Osten? Während im Westen Staatsmänner, Völker und Blöcke zumindest in der christlichen Tradition verankert sind oder sich darauf berufen und damit den Krieg nur als Notwehrakt, wenigstens in der staatsrechtlichen Theorie, gelten lassen, liegen die Verhältnisse im kommunistischen Osten völlig anders. Allerdings sind dort die kulturellen und geistes­geschichtlichen Voraussetzungen keineswegs einheitlich. Ein großer Teil der heute kommunistischen Staaten wie die DDR, Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn und Rumänien wurzeln in der christlich-abendländischen Kultur. Die Erfahrung zeigt, daß sich diese jahrhundertealte Tradition auch von den sich zum Marxismus-Leninismus bekennenden führenden Männern dieser Staaten nicht ohne weiteres abschütteln läßt. Anders verhält es sich dagegen mit der Supermacht Sowjetunion und der kommun­istischen Nuklearmacht China.

Trotz der Kulturrevolution unter mao tse-tung erweist sich in der Gegenwart immer mehr, daß sich das kulturelle Erbe des alten China nicht völlig verleugnen läßt. Dennoch gilt auch für das asiatische Millionenvolk, das fast ein Drittel der gesamten Menschheit darstellt, jene Definition des Krieges, die, weiter unten aufgeführt, von der Sowjetunion zum Dogma erhoben und von allen Staaten des marxistisch-leninistischen Lagers anerkannt wird. Obwohl zweifellos ein großer Teil der europäischen Bevölkerung des sowjetischen Riesenreiches noch der orthodoxen christlichen Lehre anhängt, gilt dies für die führenden Staatsmänner der Sowjetunion nicht, die bereits als Kinder in der marxistisch-leninistischen Tradition aufgewachsen sind.

Darüber hinaus nimmt der Anteil der europäischen Bevölkerung der Sowjetunion aufgrund der ständig rascher nachlassenden Geburtenzahlen immer mehr ab, während der asiatische, zu einem großen Teil islamische Teil der Bevölkerung in selbst für die russische Führung besorgnis­erregender Weise zunimmt. 

In dem vom Deutschen Militärverlag der ddr herausgegebenen deutschen Militärlexikon, das eine Übersetzung des sowjetischen ist und damit für den gesamten Ostblock gilt, wird der Krieg wie folgt definiert:

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Krieg – bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Staaten (Koalitionen oder Klassen) zur Verwirklichung ihrer politischen und ökonomischen Ziele. Er ist die Fortsetzung der Politik bestimmter Klassen mit gewaltsamen Mitteln.
Der Krieg ist eine gesellschaftlich-historische Erscheinung, die auf einer bestimmten Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung entstand.

Er ist das Ergebnis der Entstehung des Privateigentums an Produktionsmitteln, der Klassen und des Staates. Der K. wurde zum Mittel der Stärkung des Staates der Ausbeuterklassen, der Eroberung fremder Länder, der Unterdrückung und Ausplünderung fremder Völker. Gestützt auf die Erkenntnisse von Marx und Engels und auf das Studium der Kriege, besonders in der Epoche des Imperialismus, gab W. I. Lenin eine wissenschaftliche Klassifizierung der K. (Lehre von gerechten und ungerechten K.).

Die Wurzel der K. in der Gegenwart ist das imperialistische System mit den ihm innewohnenden inneren Widersprüchen, der Kampf der imperialistischen Staaten um Absatzmärkte, Rohstoffquellen, Kapitalanlage Sphären, das Streben der aggressiven imperialistischen Kräfte nach der Weltherrschaft durch Vernichtung des sozialistischen Lagers in einem dritten Weltkrieg. 

Diese Wurzeln der K. verschwinden endgültig erst mit der Beseitigung des Kapitalismus und dem Sieg des Sozialismus im Weltmaßstab. 

Unter den Bedingungen der Existenz des sozialistischen Weltlagers der internationalen Arbeiterklasse und ihrer kommunistischen und Arbeiterparteien, der ständig wachsenden Zahl friedliebender Staaten, der organisierten Weltfriedens­bewegung und der wachsenden nationalen Befreiungsbewegung der Völker, der Kolonien und abhängigen Länder ist bereits vor dem Sieg des Sozialismus in der ganzen Welt die reale Möglichkeit gegeben, die aggressiven imperialistischen Kräfte zu bändigen und den Krieg aus dem Leben der Völker zu bannen.

Zunächst einmal gibt diese Definition eine Erweiterung des Begriffes Krieg. Danach ist der Krieg nicht nur die bewaffnete Auseinandersetzung von Staaten allein, sondern auch von Klassen, d.h. also, daß die Revolution zum Begriff Krieg gehört.

Ursprung ist nicht wie in der christlichen Lehre die Unvollkommenheit des Menschen oder sein Egoismus, sondern Krieg ist das Ergebnis der Entstehung des Privateigentums an Produktionsmitteln, was als dem imperialistischen System immanent angesehen wird. Der Krieg selbst kann nur durch die Beseitigung des Kapitalismus und den Sieg des Sozialismus auf der ganzen Welt überwunden werden. Bevor wir zu weiteren Schlußfolgerungen kommen, sehen wir uns noch an, was lenin über den gerechten bzw. ungerechten Krieg sagt.

Unter der Überschrift »Krieg, gerechter (fortschrittlicher Krieg)« bringt das gleiche Lexikon die folgende Definition:

Krieg einer unterdrückten Klasse gegen die Unterdrückerklasse, nationale und koloniale Befreiungskriege. K. der Völker gegen drohende nationale Versklavung, K. des siegreichen Proletariats zur Verteidigung des Sozialismus gegen imperialistische Staaten. Verschiedene Arten gerechter K. können sich zu einem gemeinsamen Ziel vereinigen. Gerechte K. hat es in allen Gesellschaftsordnungen gegeben, besonders häufig aber sind sie in der Gegenwart. Gerechte K. werden von der internationalen Arbeiterklasse und den kommunistischen und Arbeiter-Parteien entschieden unterstützt.

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Auf die Frage des gerechten und ungerechten Krieges muß weiter unten noch eingegangen werden. Hier bleibt zunächt einmal festzuhalten, daß im sowjetischen Sinn gerechte Kriege, zu denen ja auch – wie wir gehört haben – die Revolutionen gehören, wenn sie von der Arbeiterklasse geführt werden, die entschiedene Unterstützung der kommunistischen und Arbeiter-Parteien, d.h. der Sowjetunion und des Ostblocks, finden. Dies wurde im übrigen auch von den führenden sowjetischen Staatsmännern, zuletzt von Breschnew und Gromyko, durchaus nicht geleugnet, sondern offen erklärt. 

Entsprechend dieser Definition ist es nach sowjetischer Auffassung ganz selbstverständlich, daß die Sowjetunion denjenigen kommunistischen Kräften einer Arbeiterklasse zu Hilfe kommen wird, die durch eine kommunistische Revolution in einem Staat die Macht zu ergreifen oder gegen »konterrevolutionäre Kräfte« zu halten versucht. So hat auch gromyko das Eingreifen der sowjetischen Streitkräfte gegenüber dem Westen ideologisch erklärt. So auch erklärt sich die sowjetische Unterstützung überall dort auf der Welt, wo sich eine Lage ähnlich wie etwa der in Afghanistan oder ein Krieg zwischen einem sozialistischen und »imperialistischen« Staat ergibt. Sowohl breschnew als auch gromyko haben erklärt, daß sie nicht gewillt sind, von diesem Grundsatz abzuweichen oder ihn aufzugeben.

Aus der Definition des gerechten oder fortschrittlichen Krieges ergibt sich zwangsläufig die Definition des ungerechten Krieges, die im gleichen Lexikon abgedruckt ist. Sie lautet:

Krieg, ungerechter – imperialistische Eroberungskriege, K. zur Niederschlagung der revolutionären Bewegung der unterdrückten und ausgebeuteten Klassen, K. zur Niederschlagung der nationalen und kolonialen Befreiungsbewegung, K. zur Festigung der Ausbeuterordnung, K. gegen die errichtete Macht der Arbeiter und Bauern, gegen sozialistische Staaten.

Ungerechte K. werden von der internationalen Arbeiterklasse und den kommunistischen und Arbeiter-Parteien entschieden bekämpft, wenn es nicht gelingt, deren Entfesselung zu verhindern.

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Das bedeutet natürlich, daß allein die Sowjetunion als Vertreterin der internationalen Arbeiterklasse entscheidet, welcher Krieg gerecht und welcher ungerecht ist. Kommt sie zu der Auffassung, daß ein ungerechter Krieg irgendwo auf der Welt geführt wird, so ist sie zur entschiedenen Bekämpfung des Feindes der Arbeiterklasse entschlossen. Bisher hat sich erwiesen, daß sie das auch überall tut. Allerdings kann ihre Hilfe und Unterstützung unterschiedlich ausfallen.

Propagandistische Unterstützung und Hilfe durch Waffenlieferungen werden in solchen Fällen überall geleistet. Sie schreitet nur dort selbst mit Waffengewalt ein, wo es ihr die Lage erlaubt, d.h. vornehmlich in den Ländern und Räumen, die wie die Tschechoslowakei und Ungarn oder die ddr in ihrem eigenen Machtbereich liegen und zu ihrem Blocksystem gehören, oder wo sie dies, ohne das Risiko eines weltweiten Krieges eingehen zu müssen, tun kann wie etwa in Afghanistan. Andere Möglichkeiten bestehen wie etwa in Polen durch die Stützung einer kommunistischen Militärjunta oder durch die Entfesselung von Stellvertreterkriegen wie 1950 in Korea, in den folgenden Jahren in Vietnam oder in der neuesten Zeit in Äthiopien, das gegen das abgefallene Somali vorging, sowie im Tschad und Mittelamerika.

Im übrigen läßt diese Definition – und es ist sehr wichtig, dies festzuhalten – den Krieg nicht nur als staatliche Notwehr im westlichen Sinne zu. Die Klassenkampftheorie erklärt ja Revolutionen, also Angriffe gegen die bestehende Macht, als Verteidigung der Rechte der Arbeiterklasse. Aus dieser Definition ergibt sich logischerweise auch, daß überall dort, wo sozialistische Staaten ihre Rechte »verteidigen« oder »Befreiungskriege« gegen »imperialistische Aggressionen« führen wollen, sie ihre Angriffe als Verteidigung deklarieren. Wiederum bestimmt die Sowjetunion allein, welcher Krieg als Angriffskrieg und welcher als Verteidigungskrieg zu bewerten ist. Vergleichen wir diese Auffassung mit der im Westen geltenden Auffassung von der Notwehr des Staates und der durch die christliche Ethik bestimmten Überwindung des Egoismus, auch des Staatsegoismus, so ist festzustellen, daß im Ostblock gerade das Gegenteil der Fall ist. Nicht die Überwindung des Egoismus aller steht an erster Stelle, sondern die Durchsetzung des egoistischen Wollens einer Klasse oder von Staatengruppen. Auf all diese Dinge muß im letzten Kapitel noch eingegangen werden.

 

Eine kurze Bemerkung über die Einstellung zum Krieg und die Kriegsursachen muß der Dritten Welt gelten, zumal zumindest ein Land, nämlich Indien, heute im Besitz der entscheidenden Waffe, der Atombombe, ist. Der Verlauf der Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg hat auch gezeigt, daß Kriege in der Dritten Welt oft die Gefahr eines Weltbrandes in sich bergen und nur mit Mühe eingedämmt werden können. Das eklatanteste Beispiel hierfür bietet der Nahe Osten.

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Ein sehr großer Teil der Dritten Welt gehört dem islamischen Glauben an. Der Koran aber fordert nach wie vor den dschihad (arabisch eigentlich »Anstrengung«), den »Heiligen Krieg« der Mohammedaner gegen alle Ungläubigen. Das geht so weit, daß selbst in einem Krieg zweier mohammedanischer Staaten gegeneinander, wie im Augenblick im Krieg des Iran gegen den Irak, der »Heilige Krieg« ausgerufen werden kann, falls das eine Land einer anderen mohammedanischen Sekte angehört als das andere. Dies stellt eine ständige Gefahr für den Weltfrieden dar. Neben diesen religiösen Gründen bildet der in der Dritten Welt erwachende Nationalismus eine weitere sehr ernste Gefahr für die Entfesselung von Kriegen.

Ein Wort muß noch, unabhängig von religiösen, ethischen und politischen Gründen, über die Rolle der Geschlechter bei der Auslösung von Kriegen verloren werden. Immer wieder wurde behauptet, daß Frauen als Führer von Staaten eine gewisse Garantie für die Einhaltung des Friedens böten. Schon die alten Griechen wußten das anders. Ursache des Trojanischen Krieges war nach der Sage das Urteil des Paris und der Raub der Helena. In der modernen Zeit haben Frauen an der Spitze von Staaten mit gleicher Bereitschaft Kriege geführt – und auch mit gleicher Erbitterung – wie Männer; dazu brauchen nur die Beispiele indira gandhi, golda meir und margaret thatcher angeführt zu werden. Weitere Namen könnten diese Reihe ergänzen.

 

Noch einmal muß betont werden, daß diese Anschauungen und Definitionen über den Krieg, wie sie für den Westen, den Osten und die Dritte Welt vorgetragen wurden, nur Grundsätze umreißen. Damit soll nicht gesagt werden, daß alle Staatsmänner, gleich in welchem Lager sie sich befinden, auch unbedingt nach ihnen handeln. Die praktische Politik kann durchaus davon abweichen. Weder schützt die christliche Grundauffassung westliche Politiker davor, im Kampf um die Macht auf der Welt die Notwehr zu überschreiten, noch zwingt sie unter allen Umständen die östlichen Politiker dazu, einen Krieg im Sinne der Übertragung der Klassenkampftheorie auf die bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Staaten zu entfesseln. 

Dennoch besteht, von der ethischen Frage abgesehen, ein grundlegender Unterschied in der Praxis: Der am 4. April 1949 in Washington abgeschlossene Nordatlantik-Vertrag, dem die Bundesrepublik Deutschland am 23. Oktober 1954 beitrat, legt ganz eindeutig den ausschließlichen Verteidigungscharakter dieses Vertrages im Artikel 5 fest, in dem es heißt:

»Die Parteien vereinbaren, daß ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird; sie vereinbaren daher, daß im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten. Von jedem bewaffneten Angriff und allen daraufhin getroffenen Gegenmaßnahmen ist unverzüglich dem Sicherheitsrat Mitteilung zu machen. Die Maßnahmen sind einzustellen, sobald der Sicherheitsrat diejenigen Schritte unternommen hat, die notwendig sind, um den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit wiederherzustellen und zu erhalten.«

Zwar lautet der entsprechende Artikel des am 14. Mai 1955 abgeschlossenen Warschauer-Pakt-Vertrages recht ähnlich, doch geht ja aus dem vorher Gesagten hervor, wie leicht durch einen dialektischen Kunstgriff in bezug auf die Auslegung eines gerechten bzw. ungerechten Krieges ein tatsächlicher Angriff zur Verteidigung deklariert werden kann. Dies geht deutlich aus der Definition des Wortes »Kriegswissenschaft« hervor, das sich allerdings im genannten Lexikon des Deutschen Militär-Verlages in Ost-Berlin nicht findet. Diese Definition ist dagegen im sowjetischen Lexikon gleicher Art enthalten, das dem ostdeutschen zugrunde liegt. Darin heißt es:

»Die Kriegswissenschaft vermittelt ein System von Kenntnissen über die Gesetzmäßigkeiten des Krieges, die Art seiner Vorbereitung und Führung ...  Die sowjetische Kriegswissenschaft ist historisch fortschrittlich, da sie von der besten wissenschaftlichen Theorie des Marxismus-Leninismus geleitet wird, dem dialektischen und historischen Materialismus. Sie fußt auf der Verallgemeinerung und den Ableitungen der marx-leninschen Wissenschaft über die Gesellschaft und auf den Interessen der Volksmassen, des sozialistischen Staates und des ganzen sozialistischen Lagers, welche nur gerechte Befreiungskriege führen können.«11) 

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