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Teil 1   Frieden  

 

Die Politik der Friedensarbeit: 

Gewaltfreiheit, Kreativität und Empathie

 

1.  Eine grundlegende Frage, zwei grundlegende Probleme und drei Antworten

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Als wir im Jahre 1958 in Oslo das erste Friedensinstitut aufbauten (eröffnet im Januar 1959), welches sich der Forschung, der Lehre wie auch der Praxis widmen sollte, bestand das prinzipielle Problem nicht in der Forschung und der Lehre. Beide Bereiche decken das ab, was Forscher ohnehin tun sollten, insbesondere wenn sie an Universitäten oder anderen unabhängigen Instituten arbeiten.

Das grundlegende Problem bestand dann, sich Friedensarbeit vorzustellen. Vielleicht kann man die Situation vor 40 Jahren heute nicht mehr so einfach nachvollziehen: Wir befanden uns in einer frühen Phase des Kalten Krieges. Auf diesem stark ideologisierten Gebiet gab es nur eine grundlegende Frage: Auf welcher Seite stehst du?

Auf diesem Gebiet zu forschen und zu erziehen kann schon problematisch genug sein. Darüber hinaus nach Wegen der konkreten Umsetzung zu suchen, schien eine Katastrophe zu garantieren.

Ich kann mich daran erinnern, auf einer Tafel ein sehr einfaches Gesellschaftsbild aufgezeichnet zu haben, wobei die Forscher zwischen zwei Schichten, den "Eliten" und dem "Volk", eingekeilt waren. Konkreter gesagt haben wir die Außen- und Verteidigungsministerien, die dazugehörigen Parlamentsausschüsse und ihre Internationalisierung in den Allianzen oft als die "Eliten" bezeichnet. Die unabhängigen Friedensorganisationen haben wir als das "Volk" bezeichnet. Aber wir haben dieses Konzept manchmal auch auf andere Organisationen angewandt, wenn sie nicht in der einen oder anderen Allianz von den Eliten dirigiert wurden. Und dann: wir.

Es gab zwei klare Möglichkeiten: Wir konnten unsere Erkenntnisse, was immer sie auch wert waren, entweder nach oben den Eliten vermitteln oder nach unten dem Volk. Ich hatte nichts dagegen, stellte jedoch eine Bedingung: Es mußte öffentlich geschehen. Forschung ist öffentlich. Wenn sie heimlich geschieht, dann ist sie weder öffentlich, noch Forschung, und meistens schlecht.


Wenn man integer bleiben will, sollte man sich von der vom Staatssystem so geliebten Geheimniskrämerei fernhalten. Ich erinnere mich da an ein großes Projekt des Europarates im Jahre 1967. Mit den Direktoren der politischen Abteilungen aus 19 Außenministerien, von Moskau bis Washington und von Oslo bis Athen, wurden verschiedene Muster für friedliche Kooperation im Ost-West-Konflikt besprochen. Zum Schluß wurde ein Bericht erarbeitet, der dem Europarat vorgestellt wurde. Am Ende hatte ich einen enttäuschten Generalsekretär vor mir, der angenommen hatte, daß ich ihm die wirklichen Highlights für ein nicht-öffentliches Treffen reserviert hatte. Ich konnte ihm jedoch nichts Zusätzliches anbieten.

Eine Schlußfolgerung daraus war, Erkenntnisse in alle Richtungen zu vermitteln, nicht nur den Eliten und dem Volk, sondern auch dem Osten, dem Westen und den Blockfreien. Und es sollte immer die gleiche Version wie die veröffentlichte sein.1)

Aber es gab noch eine weitere Schlußfolgerung: Der Friedensforscher sollte mit dem Friedensaktivisten so kombiniert werden, daß eine Art von gut informiertem Friedens- und Konfliktarbeiter entstehen kann. Dieses Programm steckt immer noch in seinen Kinderschuhen, auch wenn es nach dem Ende des Kalten Krieges ein nahezu explosives Wachstum gegeben hat. Das Gebiet ist nicht mehr so polarisiert, der Einstieg ist nicht mehr so riskant, und die Nachfrage ist deutlicher erkennbar.

Gedacht war an einen Friedensprofi, der jenseits der universitären Anforderungen von Forschung und Lehre in die Praxis einsteigt, indem er mit mindestens einer der Parteien in einem Konflikt arbeitet. Es war nicht beabsichtigt, daß er sich darauf beschränken sollte, "die Parteien an einen Tisch zu bekommen" und sich selbst die Position einer "dritten Partei" zu reservieren.

Der Tisch könnte in einem späteren Stadium kommen. Aber ein Tisch ist zu symmetrisch für die starken Asymmetrien vieler Konflikte. Sich nur zwei Parteien in einem Konflikt vorzustellen ist naiv. Eine der Hauptaufgaben besteht darin, die Parteien diesem Tisch näherzubringen. Die grundlegende Frage lautet: Wie können Parteien auf Konflikttransformation vorbereitet werdend?

 

1)  Bei einem Treffen im schwedischen Lund hielt ich im Jahre 1974 verschiedene Vorträge über China - ein Land, das ich das Jahr zuvor besucht hatte. Es entstand auch gerade ein Buch mit Fumiko Nishimura: Learning from the Chinese people. Ich hielt einen Vortrag abends vor einer maoistischen Gruppe und am nächsten Tag für einen schwedischen Multi als Teil seiner Geburtstagsfeierlichkeiten. Einige der maoistischen Studenten kamen auch zu diesem Treffen, und sie sagten mir auch warum: "Wir wollen prüfen, ob Sie denen genau dasselbe erzählen wie uns." Sie bestätigten meine Glaubwürdigkeit.

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Heute kann ich die Aufgabe deutlicher und sicherlich einfacher formulieren, als ich dies in jenen Anfangsjahren hätte tun können. Zwei weitere spezifische Probleme und drei Antworten haben sich herausgeschält. Die Probleme beziehen sich ganz eindeutig auf die zweischneidige Natur von Konflikten: Konflikte als 'Zerstörer und Konflikte als Schöpfer; Konflikte als Gefahr der Gewalt sowie Konflikte als Chance für Wandel und sogar Fortschritt in dem Sinne, daß das Leben von vielen Menschen verbessert wird.

Die Antwort auf Konflikte als Zerstörer war klar: mit den Konfliktparteien diskutieren, wie die eigenen Ziele gewaltfrei verfolgt werden können. Ich habe eine Vielzahl von Konflikten aus der Nähe kennengelernt. Eine Erfahrung daraus ist, daß alle Konfliktparteien irgendwo in ihrem tiefsten Innern ein Ziel mit einer gewissen Allgemeingültigkeit verfolgen.2 Das Kriterium für die Gültigkeit mag auf Kant oder auf Kohlberg fußen, doch irgendwie gibt es eine universelle Gültigkeit für das angestrebte Ziel. Es geht nicht allein um "ich, mir, mein".

Das schafft jedoch Probleme: In einer begrenzten Welt werden materielle Ziele, die weitweit von jedermann verfolgt werden, zur Zerstörung der Welt führen. An diesem Punkt kommt Gewaltfreiheit voll ins Spiel. Gewaltfreiheit bezieht sich auf die Ziele, nicht nur auf die Mittel: Verfolge nur solche Ziele, deren Verwirklichung nicht auf Kosten anderer mit Gewalt erreicht werden kann.

Und nun die Antwort auf das zweite Problem, Konflikt als Schöpfer: mit den Parteien diskutieren, wie anscheinend unvereinbare Zielsetzungen miteinander in Einklang gebracht werden können. Wie kann Unvereinbarkeit transzendiert werden?3 Das ist leichter gesagt als getan: durch Kreativität. Genau wie bei der Gewaltfreiheit muß dieses Potential angeregt werden. Der Dialog mit einem Konflikt-/Friedensarbeiter kann dabei ein Ansatz sein.

 

2)  So wie ein Hitler: Auch wenn seine drei Kriege (gegen die Slawen, den Westen und gegen die Juden) vollkommen inakzeptabel waren, so besaß sein Ziel, den hochgradig ungerechten Versailler Vertrag zu revidieren, doch ein allgemein akzeptables Element. Das Problem liegt darin, durch die Rhetorik, das Verhalten, die "Verpackung" und die inakzeptablen Ziele hindurch zu jenem Kern vorzudringen, auf dem sich aufbauen läßt. Was dann passiert, ist eine andere Frage.
3)  Basierend auf solchen Erfahrungen, bauen einige von uns nunmehr eine Organisation für kreative Konflikttransformation auf. Das Motto lautet: "Frieden mit friedlichen Mitteln". Name: TRANSCEND.

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Das bringt uns zu der dritten Antwort: Beide Dialoge müssen mit einem hohen Grad an Empathie für die Konfliktparteien geführt werden. Das geht so weit, daß man ihre Konfliktlogik nachvollzieht, wenn man sie schon nicht akzeptiert.

Selbst wenn Gewaltfreiheit, Kreativität und Empathie als Richtlinien über die Jahre viel deutlicher geworden sind, so "waren sie in einer embryonalen Form schon immer vorhanden. Die konkreten Erfahrungen waren der Boden, auf dem sie wachsen konnten. Die Forschungsaufgabe ist von der konkreten Berührung mit der Realität zu weit entfernt. Ich habe sogar meine ernsten Zweifel, ob Sozialwissenschaftler, deren Realitätskontakt auf den Universitätscampus und dessen Bibliothek begrenzt ist, jemals die Forschung bereichern können. Daß sie gut aus Büchern unterrichten können, steht außer Frage. Aber das Leben im Campus-Konferenz-Kreislauf macht sie denjenigen Naturwissenschaftlern zu ähnlich, die keinen Zugang zur Natur oder einem Labor haben.

Die konkrete Friedensarbeit sollte aber auch nicht mit einem Verlassen des Campus und der akademischen Sphäre verwechselt werden, um den öffentlichen Raum zu betreten und solch ehrwürdige Rollen eines öffentlichen Intellektuellen zu übernehmen, wie die eines Publizisten oder die eines Referenten bei öffentlichen Vorträgen. Diese Aktivitäten sollen nicht herabgewürdigt werden. Die Gesundheit einer Gesellschaft hängt auch davon ab, bis zu welchem Grad kreative und couragierte Intellektuelle die Barrieren zwischen Stadt und Hochschule durchbrechen, indem sie das Unighetto verlassen und den öffentlichen Raum betreten, um an der öffentlichen Debatte teilzunehmen. Dabei werden sie von anderen als ihren Kollegen herausgefordert. Aber eine Debatte ist nicht dasselbe wie ein Dialog.

Auch sollte konkrete Friedensarbeit nicht mit Friedensaktivismus im weiteren Sinne von Demonstration und Konfrontation verwechselt werden. Der Streikposten, die Mahnwache und die Demonstration sind wichtige Mittel, um Raum und Zeit zu markieren sowie in die Zukunft zu weisen. Sie sind unersetzlich, wenn normale Worte nicht durchdringen. Sie können mehr oder weniger sinnträchtig und pädagogisch sein. Hat Greenpeace vielleicht einen Weitpreis von allen Lehreinrichtungen verdient? Und die Frauen von Greenham Common gegen die Pershing/Cruise Missiles einen für Durchhaltevermögen? Aber es handelt sich keinesfalls um einen Dialog mit den Konfliktparteien.4)

 

4)  Obwohl im Kalten Krieg die Friedensbewegung eine bedeutende Partei war (ebenso wie die Dissidentenbewegung). In Greenham Common befand sich ein bedeutender Teil der Friedensbewegung im Dialog mit sich selbst. Aber Friedensarbeit impliziert Dialog mit anderen, indem sich die Friedensarbeiter einfühlsam als außenstehende Parteien auf den Konflikt einlassen. Für eine Analyse des Prozesses, der mit dem Verschwinden des Kalten Krieges endete, siehe Johan Galtung: "Eastern Europe Fall 1989 - What Happened And Why?", in: Research in Social Movements, Conflicts and Change, Vol. 14, S. 75-97. Greenwich, CT/USA 1992.

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Es folgt nun eine Einladung, einige dieser Erfahrungen bis zu einem gewissen Grad zu teilen. In einem anderen Kontext5) habe ich beschrieben, wie ich mich durch Kriegserfahrungen im besetzten Norwegen und den Einfluß von Gandhi in Richtung Gewaltfreiheit, Kreativität und Empathie entwickelt habe. In jenem Essay habe ich mich bemüht darzulegen, wie ich durch meine Erfahrungen geformt wurde und bis zu einem gewissen Grade sie selbst geformt habe. Dieser Aufsatz dreht sich um das, - was folgte - bis jetzt; ein Aufsatz über die Jugend und einer über das mittlere Alter. Hoffentlich wird es eines Tages einen dritten Aufsatz geben, der vielleicht etwas reflektierender wird.

Um diese Erfahrungen zu vermitteln, habe ich ein Format gewährt, welches ich als Friedensarbeiter sinnvoll gefunden habe. Ich versuche nämlich, die auf den Konflikt bezogene grundlegende Diagnose (D), Prognose (P) und Therapie (T) aus der Sicht des Konfliktarbeiters in einer Zeile darzustellen. Das findet sich am Anfang jeder Geschichte, um dann im Text ausgeführt zu werden.

Schon das DPT ist kontrovers. Viele Leute auf diesem Gebiet mögen vor der Aufgabe oder Verantwortung, ihre Ansichten klar auszudrücken, zurückschrecken. Ich benötige es, um einen großen Fehler zu vermeiden: die Konfliktparteien zu manipulieren, indem ich meine eigenen Annahmen verstecke. Für sie ist der Konflikt ernst. Vielleicht ist es sogar der ernsteste Aspekt ihres bisherigen Lebens. Natürlich werden die DPT-Formulierungen mit den Parteien zusammen entwickelt. Ein Konsens ist vielleicht nicht möglich, ja vielleicht nicht einmal wünschenswert. Er kann womöglich auch vorgetäuscht sein. Aber der Friedens- und Konfliktarbeiter muß mit offenen Karten in den Konflikt einsteigen, zumindest nachdem er sich ein wenig mit der Materie vertraut gemacht hat. Also, meine Karten liegen auf dem Tisch: Gewaltfreiheit und Kreativität sowie die Anwendung von Empathie, um zu analysieren, Prognosen zu geben und konkrete Heilungsverfahren vorzuschlagen, die ohne geheime Zielsetzungen sind, soweit dies menschenmöglich ist.

 

5)   Vgl. den Abschlußessay dieses Bandes "Wie Zukunft Gestalt annimmt".

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2.  Sechzehn Konflikterfahrungen 1952-1993

 

 

1) Friedensdienst für Kriegsdienstverweigerer, 1952-1964
D: Zeitverschwendung für eine steigende Anzahl von friedensorientierten Jugendlichen
P: Zunehmende Polarisierung und Marginalisierung seitens der Regierung
T: Alternativer, gewaltfreier Friedensdienst als ein Menschenrecht

 

1951 wurde ich zum Kriegsdienstverweigerer und begann den 18monatigen Dienst (6 Monate länger als der Militärdienst) 1952, absolvierte 12 Monate und verweigerte dann die restlichen 6 Monate. Ich argumentierte, daß der gesamte Dienst, der vom Justizministerium organisiert wurde für junge Männer, die bereit waren, gewaltfrei für die Sache die Friedens zu arbeiten (wie die Trockenlegung von Sümpfen), eine reine Zeitverschwendung sei. Wenn die 6 Monate zudem eine Bestrafung sein sollten, dann sollte das von mir aus so sein. Das Gericht stimmte dem zu; es sollte so sein: Im Winter 1954/55 verbrachte ich 6 Monate in Einzelhaft im Hauptgefängnis meiner Stadt Oslo. Ich war weder der erste noch der letzte. Andere Pazifisten haben dasselbe aus Verzweiflung und Protest gegen den Zivildienst getan. Die Standardkriterien für Gewaltfreiheit waren erfüllt: Der Mißstand war klar, die Alternative war klar, der Protest war gewaltfrei, und es war ein Preis zu entrichten.

Rund 10 Jahre vergingen, und es sah so aus, als sei alles ein Kampf gegen Windmühlen gewesen. Doch eines Tages, als ich Direktor des Friedensforschungsinstituts in Oslo (PRIO) war, klingelte das Telefon. Die Anruferin war die konservative Justizministerin, und sie fragte mich, ob ich immer noch Kriegsdienstverweigerer für Friedensarbeit, in diesem Fall Friedensforschung, suchen würde, und wenn ja, wie viele, wann und für welche Tätigkeiten. Wir wurden uns sehr schnell über die Anzahl und die Aufgaben einig, und das war's. Gewaltfreiheit hatte sich für die Kriegsdienstverweigerer bezahlt gemacht ("wenn er bereit ist, so viel aufs Spiel zu setzen, dann ist er entweder verrückt, oder an der Sache ist was dran, oder beides"). Das Muster verbreitete sich in ganz Europa und darüber hinaus, und es existiert immer noch. (Es muß jedoch hinzugefügt werden, daß die Mutter der Ministerin und meine, die beide derselben sozialen Schicht in Oslo angehörten, regelmäßig zusammen Bridge spielten.)

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2) "Ost-West"-Konflikt: der Kalte Krieg, 1953-1989
D: Reduzierung auf einen (2,1)-Konflikt6); Stalinismus, Nuklearismus
P: Verschleppung - Kriege in der Dritten Welt - nuklearer Krieg / beidseitiger Genozid
T: KSZE7), GRIT8) / defensive Verteidigung, Volksdiplomatie, Gewaltfreiheit

 

Meine Generation wurde durch den Kalten Krieg geprägt. Drei Wochen in der Sowjetunion zur Zeit von Stalins Tod 1953 führten zu einer Schlußfolgerung: Der Stalinismus ist genauso schrecklich, wie gesagt wird. Doch diese Menschen wollten und wollen keinen Krieg. In mehr als 35 Jahren Konfliktbeteiligung passierte mir vieles: zum Beispiel die zweimalige Festnahme in der Sowjetunion; das Verteilen von Flugblättern über nicht-militärische Verteidigung in Prag, kurz nach dem Einmarsch der Warschauer Vertragsorganisation; oder das gewaltsame Entfernen von einem Podium in der DDR, hinein in einen schwarzen Wagen Richtung Flughafen.9 Und dann jenes bereits erwähnte Projekt für den Europarat.

Bei den langen und intensiven Gesprächen mit Direktoren der politischen Abteilung der Außenministerien beeindruckte mich, um wieviel kenntnisreicher, charmanter und kreativer sie von Angesicht zu Angesicht waren im Vergleich zu öffentlichen Auftritten, besonders wenn "die andere Seite" anwesend war. Das prägte ohne Zweifel meine Vorliebe für Gespräche mit den Parteien anstelle von Verhandlungen zwischen den Parteien. Aus diesen Gesprächen entstand eine Idee, die sich heute trivial ausnimmt: Die beteiligten Parteien des Ost-West-Konfliktes könnten sich in einer UN-Sicherheitskommission für Europa treffen, ähnlich der UN-Wirtschaftskommission für Europa. Dabei könnten alle Parteien nicht nur ein Thema (wie Rüstungskontrolle), sondern alle Themen gleichzeitig besprechen, anstatt nukleare Massenvernichtungsmittel aufeinander zu richten.

 

6)  (2,1): zwei Parteien, ein Thema; im Gegensatz zu einem realistischeren Bild, (m, n): m Parteien, n Themen. 
7)  Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.
8)  "Gradual Reciprocated Initiatives in Tension-reduction" (schrittweise, gegenseitige Initiativen zum Spannungsabbau). Vorgeschlagen von Charles Osgood in seinem Buch An Alternative to War and Surrender, Urbana, ILL/USA 1967. Vielleicht ist dies die bedeutendste Idee, die in den US-amerikanischen Friedensstudien während des Kalten Krieges entwickelt wurde.
9)  Bezüglich Details siehe mein Buch Nach dem kalten Kriege. Gespräch mit Erwin Koller, Zürich 1993.

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Im Herbst 1967 wurde diese Idee in ganz Europa vorgestellt,10 zumeist auf Treffen, die von außenpolitischen Instituten veranstaltet wurden. Die allgemeine Reaktion war positiv, vor allem in Osteuropa, welches sich unabhängiger von Moskau anhörte als Westeuropa von Washington. Aber: "Die Zeit ist noch nicht reif". Ich fühlte, daß sie überreif war.

In Prag hörte ein junger Mann zu. Als Dissident wurde er nach der sowjetischen Invasion im August 1968 aufs Land geschickt und wurde nach der Implosion des Kommunismus die Nr. 2 im Außenministerium. Sie wollten die sowjetische Armee heraushaben aus dem Land. Und die Formel, die dafür vorgeschlagen wurde, war der "Galtung-Plan"; die Zeit war jetzt "reif" dafür. Schewardnadse11 reagierte positiv, auch wenn er zunächst eine Modernisierung der WVO12 wünschte. Er benötigte einen Nachfolger für das System des Kalten Krieges; eine beständigere KSZE war einer dieser Ansätze.13 Also schlug er genau wie viele andere vor, nicht nur die Armee abzuziehen, sondern auch eine derartige Organisation, gemäß dem Pariser Vertrag vom Herbst 1990, zum Stützpfeiler für das Friedenssystem in Europa werden zu lassen. Und genauso geschah es.

Vielleicht lassen sich drei Dinge aus diesem Beispiel ableiten.

Säe Samenkörner. Man sollte sich nicht von denjenigen abschrecken lassen, die behaupten, daß Ideen zu idealistisch und nicht realistisch genug seien. Wenn sie "realistisch" gewesen wären, dann wären sie schon ganz normal von den Eliten diskutiert worden; die Eliten sind nicht dumm. Solche Ideen wären schon aufgegriffen worden. Wenn der Konflikt nicht nachläßt, dann liegt es daran, daß "realistische" Ideen oftmals nicht realistisch sind. Hieraus läßt sich nicht ableiten, daß alle Ideen der Eliten dumm sind und alle guten Ideen gegen den Trend laufen. Aber für Eliten ist Überwindung nicht so leicht. In der Atmosphäre der späten 60er, nach dem brutalen Einmarsch in die Tschechoslowakei, war der Vorschlag utopisch, daß sich Ost und West als Gleichberechtigte mit gleichen Interessen an einen Tisch setzen sollten.

Die Wege des Herrn sind unerforschlich.

 

10)  Ein aufmerksamer Beobachter meiner Aktivitäten war die Schweizer Geheimpolizei. In ihrem Bericht über mich war Anfang der 70er meine Tätigkeit für "etwas", das KSZE "genannt" wurde, ein wesentlicher Punkt. Im nachhinein scheint dies lächerlich zu sein, aber nicht zu der Zeit für rechte Extremisten wie die Schweizer Polizei und ihre Spione.
11)  Der damalige Außenminister der Sowjetunion.
12)  Die Warschauer Vertragsorganisation, im Westen normalerweise als der "Warschauer Pakt" bezeichnet.
13)  Natürlich hatten zu jener Zeit viele Leute solche Ideen, und letztlich wurde die KSZE in die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE, umgewandelt. Aber zu jener Zeit waren die westeuropäischen Eliten sehr stark mit ihrem Lieblingsprojekt beschäftigt, der Europäischen Union, welche graduell die Gestalt einer Supermacht annahm.

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Säe Samenkörner, doch wo sie gedeihen, läßt sich nicht so leicht vorhersagen. In den Jahren 1981 bis 1985 hielt ich über 500 Vorträge in ganz Europa über diese Idee und viele andere: defensive, nicht-provokative Verteidigung als Militärdoktrin; Gewaltfreiheit in Osteuropa gegen den (Post-)Stalinismus; Volksdiplomatie; asymmetrische Abrüstung, wie in Charles Osgoods GRIT.14) Ich dachte daran, daß die Adressaten wahrscheinlich kleine, demokratische, ja sogar sozialdemokratische Länder in Nordwesteuropa seien. Mittlerweile kann ich besser nachvollziehen, warum sie keine Initiativen ergriffen: Sie waren sowohl von der USA politisch abhängig wie auch gesättigte Status-quo-Länder, ganz im Gegensatz zu unsicheren osteuropäischen Ländern, die eine gewisse Anerkennung aus dem Westen suchten (und es immer noch tun).

Beharrlichkeit: Alles braucht seine Zeit. Ein Saatkorn wurde 1967 gepflanzt. Ein Assistent, der Botschafter wurde, trug die Saat mit sich, und sie ging Anfang 1990 auf. Ich hörte davon auf einer Konferenz in Luxemburg im Februar 1993, mehr als 25 Jahre, nachdem sie ausgesät worden war. Viele werden niemals etwas hören, und eigentlich sollte das auch nichts ausmachen. Aber es tat gut!

Wie ich jedoch schon erwähnt habe, war dies nicht alles, was ich - wie viele andere in verschiedenen Zweigen der Friedensbewegung während des Kalten Krieges versucht habe zu verfechten. Irgendwie ist es typisch, daß es institutionelle Vorschläge sind, die vorzugsweise vom Staatensystem aufgegriffen werden.

Unsere Sorgen, und nicht nur unsere, wurden oben unter zwei Überschriften ausgedrückt: Stalinismus in der Bedeutung von Repression und allgemeiner Verletzung von zivilen und politischen Menschenrechten sowie Nuklearismus in der Bedeutung einer realistischen Bedrohung durch einen Nuklearkrieg und exzessiver Geheimnistuerei. Der Osten im allgemeinen und die Sowjetunion im besonderen waren von beiden Befunden betroffen; der Westen im allgemeinen und die USA im besonderen waren vom zweiten Befund betroffen; die NB (die Neutralen und Blockfreien) von keinem der beiden Befunde.

Als Antwort auf die Repression wurde im Osten gewaltfreier Kampf empfohlen. Viel Zeit ging damit drauf, in Osteuropa und vor allem in Polen, der DDR und der Tschechoslowakei über Formen des Zivilen Ungehorsams, der Non-Kooperation und der konstruktiven Aktion zu informieren. Andere taten mit einem gewissen Effekt in allen drei Ländern dasselbe.15)

 

14)  S. Anmerkung 8.

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Als Antwort auf den Nuklearismus wurde alternative Verteidigung empfohlen: ein Mix aus defensiver militärischer Verteidigung, Miliz und nicht-militärischer Verteidigung.16) Andere verfolgten dieselbe Richtung, was möglicherweise eine Auswirkung auf Gorbatschows Denken über ausreichende Verteidigung hatte.17)

Eine Kurzgeschichte über Kommunikation im Kalten Krieg als kleines Drama in drei Akten:

Akt I: Vom Beginn im Jahre 1959 an wurden vom späteren Friedensforschungsinstitut Oslo (PRIO) und dem Lehrstuhl für Konflikt- und Friedensforschung Forschungspapiere verbreitet, die sich mit Friedenspolitik durch friedliche Mittel beschäftigten. Zu den Adressaten gehörte unter anderem IMEMO in Moskau, ein bedeutender Think-Tank für sowjetische Politik. Es gab keinerlei Reaktion, keine Antwort, keinen Kommentar, keine Gegenseitigkeit. Wir bezeichneten IMEMO spaßeshalber als das "Schwarze Loch im Universum", schickten aber weiterhin Papiere nach Moskau.

Akt II: Dann gab es 1982 eine Konferenz bei IMEMO, auf der ich das Manuskript eines bald erscheinenden Buches vorstellte.18 Nach dem Mittagessen wurde ich vom Bibliothekar eingeladen, das Allerheiligste der Bibliothek zu besichtigen. Und da waren sie, alle jene Publikationen, die wir versandt hatten. Es war eine bessere Sammlung als meine eigene, unterstrichen, markiert und mit Notizen versehen! Das "Schwarze Loch im Universum" war lokalisiert worden. Es zog Materie an, vielleicht sogar Energie, aufnehmend, nicht abgebend.

 

15)  Vgl. das exzellente Buch von Erich Loest, Nikolaikirche (Leipzig 1995), über die entscheidenden gewaltfreien Demonstrationen in Leipzig, vor allem im 9. Oktober 1989.
16)  Detailliert erläutert in: Es gibt Alternativen!, Opladen 1984. Das Buch liegt auch in Englisch, Italienisch, Spanisch, Norwegisch, Schwedisch und Niederländisch vor. Es wurde seinerzeit in die Sowjetunion geschmuggelt. 17 Ich möchte besonders den verstorbenen Horst Afheldt sowie Anders Boserup, Dietrich Fischer und Robert Neild erwähnen.
18)  Environment, Development and Military Activity: Towmds Alternative Security Doctrmes, Oslo 1982.
19)  Wladimir Petrowsky, der später Generaldirektor der Vereinten Nationen in Genf wurde.

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Akt III: 1991 erzählte mir der stellvertretende sowjetische Außenminister19 bei einem Treffen in Oslo, wie eine Studiengruppe junger Assistenten diese und andere Materialien als Grundlage für das benutzt hatte, was später als Gorbatschows "Neues Denken" bekannt wurde. Er war voll des Lobes für Leute, welche die Kommunikation aufrechterhielten, obwohl es keine Antwort gab, und dies trotz der westlichen Doktrinen des "Boykottiert die Sowjetunion".

 

 

3) Aufhebung der Rassentrennung in Charlottesville, VA, USA, 1958-1960

D: Mangel an Transparenz unter den drei Konfliktparteien
P: Überzogene Wahrnehmungen könnten zur Gewalt führen
T: Soziologische Erkenntnisse werden an alle vermittelt, Deeskalation

Ich war Assistenz-Professor am Fachbereich für Soziologie an der Columbia University, New York. Ich erhielt einige kleine Stipendien und fuhr mit einigen Studenten nach Charlottesville, Virginia. Einer meiner Gurus, der inzwischen verstorbene Professor Otto Klineberg, hatte mich empfohlen. Das Forschungsprojekt bestand aus einer Gruppenstudie über Eliten in der Stadt sowie den Hauptorganisationen der Rassentrennungsbefürworter (Weiße Bürgerräte), der Rassentrennungsgegner (Räte für zwischenmenschliche Beziehungen) und der Schwarzen (NAACP20). Zusätzlich wurde eine Studie zu den Ansichten einer Zufallsgruppe der Bevölkerung im Landkreis durchgeführt.

Alles sah sehr vielversprechend aus: Es sollte ein Buch über eine Gemeinschaft entstehen, die in einen Konflikt verstrickt war, der sich nicht mit dem Selbstbild vertrug, daß sie nicht nur friedvoll, sondern sogar das Zentrum des Jeffersonschen Humanismus sei. Aber das Buch wurde niemals geschrieben, obwohl es exzellente Daten gab. Es geschah etwas Wichtigeres als eine weitere Publikation.

Die Bevölkerung war nervös. Ein Kreuz des Ku-Klux-Klan war verbrannt worden. Es lag Gewalt in der Luft. Und dennoch wußte ich, daß sie alle die Gefahr übertrieben. Die Kommunikation war zusammengebrochen, und ich wußte mehr als der Bürgermeister und der Sheriff. Was war meine Aufgabe?

Ich mußte die Situation für die Teilnehmer bei Treffen und in den Medien durchschaubar machen, indem ich ihnen ihre Situation erklärte. Zudem mußte ich den Teilnehmern zeigen, wie sie in diese festgefahrene Lage geraten waren und welche möglichen Auswege es gab. Obwohl ich gegen die Rassentrennung 'war, nahm ich alle geäußerten Standpunkte ernst.

 

20) "Nationalvereinigung für den Fortschritt der Farbigen"; A.d.Ü.

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Es funktionierte: geduldige Erklärung ihrer eigenen Prozesse aus einem allgemeinen sozialwissenschaftlichen Blickwinkel, die Entmythologisierung des Konflikts. Und ich bekam meine Belohnung, nämlich einen Brief, der besagte, daß sie teilweise dank meiner Arbeit die Rassentrennung friedlich beendet hatten. Eine Rolle nahm Gestalt an.

 

4) Kuba-USA, 1960-

D: "Manifest destiny"-Anspruch Amerikas in Frage gestellt; Kalter Krieg-Interessen
P: Endlose Destabilisierungsanstrengungen, inklusive Krieg, "Tyrannenmord"
T: Kubanische Eigenständigkeit (self-reliance), US-Modell eines politischen Pluralismus

 

Die kubanische Revolution brachte 1958/59 den Sozialismus und den Kalten Krieg in die westliche Hemisphäre. Als Teilzeitjournalist der norwegischen Fernsehgesellschaft besuchte ich Kuba in den 60er und 70er Jahren (sowie 1996) mehrfach. Dabei interviewte ich Fidel Castro, Che Guevara usw. und nutzte die Rolle des Journalisten für alle möglichen Diskussionen. 1962 schmuggelte ich Medizin von Miami nach Kuba, und der Fahrer der norwegischen Botschaft half mir, sie zu verteilen. Ich traf mich dann mit Oppositionsgruppen, die meine Ansicht zum "Tyrannenmord" hören wollten. Ich war aus ethischen und pragmatischen Gründen dagegen. Die Gruppe versuchte es dennoch und wurde eingesperrt. Sie überzeugten mich davon, daß Atomwaffen nach Kuba gekommen waren. Ich informierte das norwegische Außenministerium, lange bevor die Nachricht an die Öffentlichkeit gelangte.

Aber mein Hauptaugenmerk lag auf dem "was kann getan werden". Sozialistisch-diktatorisch war nicht die Alternative zu kapitalistisch-diktatorisch, inklusive der Gefahren einer neuen Front des Kalten Krieges vor der Haustür einer nervösen USA, dem versuchten "Tyrannenmord" und einer allgemeinen Destabilisierung.

Die Vorschläge, die allgemein diskutiert wurden (und werden), waren:

1. Die Alternative zu einer roten, staatskontrollierten Wirtschaft, die von der Sowjetunion abhängt, ist nicht eine blaue, unternehmenskontrollierte Wirtschaft, die von den USA abhängig ist, sondern eine grüne, alternativ-technologische, lokale und kubanisch kontrollierte Wirtschaft, die von der Sowjetunion und den USA befreit ist.
2. Die breite private und politische Debatte in Kuba muß auch als Wettbewerb um die politische Macht in der Öffentlichkeit stattfinden.

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Wenn die USA zwei konservative Parteien hat, warum sollte es dann nicht zwei sozialistische Parteien in Kuba geben?

Kuba bewegt sich heute in Punkt 1, vielleicht auch bei 2. Aber der Dialog im US-amerikanischen Außenministerium verriet 1962 nur Interesse an Destabilisierung.

 

 

5) "Nord-Süd"-Konflikt: Krise der Entwicklung, 1960-

D: Ausbeutung, Ökonomismus, asymmetrische Externalitäten
P: Massives Elend, Gewalt, Migration im Süden; Arbeitslosigkeit im Norden
T: Alternative Wirtschaft, Eigenständigkeit I, Eigenständigkeit II

 

Hier kann ich nicht für mich in Anspruch nehmen, allzu viel Nützliches geleistet zu haben. Einmal war ich in der Lage, ein wichtiges vom Pentagon finanziertes Forschungsprojekt, "Camelot" in Chile, aufzudecken. Das Projekt sollte "herausfinden, wie die USA Armeen befreundeter Staaten helfen können". Vorgestellt wurde es als ein Projekt über Konflikte und Entwicklung, aber derartige Aktivitäten gehen weiter. Und es gibt Spuren in UN-Resolutionen (z.B. zu Cocoyoc, 1974), aber nichts, von dem ich glaube, daß es wirksame Heilverfahren sein könnten, ist bis jetzt zutage getreten.

Eine Diagnose, die auch die Ausbeutung durch den Westen mit einbezieht, ist für die normalen Eliten des Westens nicht akzeptabel. Aber das ist nicht so wichtig; andere Begriffe und Kanäle können gefunden werden. Ein Schlüsselwort dabei heißt "Externalitäten", wie z.B. Herausforderung, Ausbildung in Zusammenarbeit, Verschmutzung/Raubbau - all jene asymmetrisch verteilten Nebeneffekte wirtschaftlichen Handelns. Und dieser asymmetrische Austausch ist die solide Basis, auf welcher sich die westliche Überlegenheit aufbaut. Da die Wirtschafts-"Wissenschaft" ihre rationale Grundlage ist, lassen sich hier vielleicht auch die Heilverfahren finden: alternative Wirtschaftswissenschaft. Schlüsselaufgaben sind intellektuell. Viele Leute arbeiten daran. In der Zwischenzeit wird sich die westliche wirtschaftliche Globalisierung fortsetzen, nachdem sowohl der rote wie der grüne Sozialismus auf absehbare Zeit geschlagen worden sind. Das geschieht auf Kosten wachsender Ungleichheit. Der geschaffene Wohlstand reicht nicht einmal, um die reichen Gesellschaften gegen Elend und Krisen zu schützen.

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Schlußfolgerung: Selbst wenn ich an lokale und nationale Eigenständigkeit I in bezug auf Grundbedürfnisse sowie an Eigenständigkeit II in bezug auf einen Austausch unter Gleichen glaube,21 so muß das Grundprinzip verbessert werden. Wir befinden uns immer noch im Diagnosestadium. Es werden noch viele Menschen unter der Wucht eines triumphierenden, globalisierten Marktökonomismus und dessen wissenschaftlicher Aufbereitung leiden.

 

6) Israel-Palästina, 1964-

D: Siedlerkolonialismus; traumatisiertes auserwähltes Volk gegen indigene Bevölkerung
P: Fortgesetzte strukturelle und direkte Gewalt, Eskalation
T: Gewaltfreiheit (Intifada), Autonomie-Zwei Staaten-Konföderation

 

Es war nicht viel Zeit nötig, um das Problem als Siedlerkolonialismus auf palästinensischem Land zu kennzeichnen, mit einem Unterschied: Durch das Syndrom des auserwählten Volkes/versprochenen Landes gab es auch einen jüdischen Anspruch (nicht durch den Holocaust, diese Logik würde dazu führen, daß ein beachtlicher Teil des deutschen Territoriums den Juden übergeben würde). Wie kann man hier mit dem Zwillingsansatz von Kreativität und Gewaltfreiheit eingreifen?

1970 eine Zwei-Staaten-Lösung vorzuschlagen und an eine Evolution in Richtung auf eine Zwei Staaten-Lösung oder sogar eine israelisch-palästinensische Konföderation zu denken, muß für einige sehr merkwürdig ausgesehen haben.22 Heute ist dies der Diskurs, wenn auch (noch) nicht Wirklichkeit. Wie so viele andere hatte ich zahllose Diskussionen mit allen Seiten. Es war ganz deutlich, daß es schon von entscheidender Bedeutung war, eine Zielvorstellung zu entwickeln, die sich von "alle Juden ins Meer" und "alle Beduinen nach Hause" unterschied. Die Resolution des Palästinensischen Nationalrates (PNC) vom 15. November 1988 öffnete den Weg für eine Zwei Staaten-Lösung, die früher oder später kommen wird.
Wie steht es jedoch um die Gewaltfreiheit? Eine Gelegenheit ergab sich im November 1986: Ich wurde vom "Arab Thought Forum" zu einer Konferenz mit dem Thema Gewaltfreiheit in die jordanische Hauptstadt Amman eingeladen.

 

21)  Siehe: The True Worlds: A Transnational Perspective, New York, N. Y./USA 1980, S. 469ff., Kapitel 9. Und: Self-Reliance. Beiträge zu einer alternativen Entwick-lungsstrategie, München 1983.
22)  Vgl. das Kapitel über den Nahen Osten in: Peace Problems: Some Cmse Studies, Kopenhagen 1980. Und in: Soivmg Conflicts: A Peace Research Perspective, Honolulu, HI/USA, University of Hawai'i, Institute for Peace, 1989.

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Ich machte viele Vorschläge,23) nachdem ich den norwegischen Widerstand während des Zweiten Weltkrieges, den berühmten Fall der Berliner Frauen, die im Februar 1943 ihre jüdischen Männer aus der Internierung auf dem Weg in die Vernichtungslager befreiten, sowie Solidarnosc analysiert hatte. Die Verbindung zur Intifada, die ein Jahr später kam, ist klar, auch wenn die gewählte Form und die Rolle dieser Kinder von uns nicht vorhergesehen worden war. Aber es funktionierte ganz nach Plan: eine klare Willenskundgebung, niemals zu kapitulieren, und die Demoralisierung der israelischen Soldaten.

Einige Spuren können hier zurückverfolgt werden. Aber soziale Ursächlichkeit ist wie immer komplex, kreisförmig und weitverzweigt. Ich gehöre zu denjenigen, die meinen, daß die Intifada der israelischen Führung klarmachte, daß die Moral des palästinensischen Volkes letztlich stärker sein würde als die der jungen israelischen Soldaten, die es gewohnt waren, die Knochen der Kinder zu brechen. Das gilt auch nach dem Golfkrieg, der Israels Verwundbarkeit noch deutlicher zeigte, und nach dem Ende des Kalten Krieges, in dessen Folge die sowjetische Unterstützung für die arabischen Staaten versiegte. Letztlich scheint diese Einsicht zu dem Wunsch geführt zu haben, mit Hilfe des Osloer Kanals zu verhandeln, sowie zu den kleinen Schritten, die folgten (weit entfernt von einer Zwei Staaten-Lösung oder gar einer Konföderationsvereinbarung). Und zum Tod von Yitzhak Rabin.

Auf dem Treffen von Israelis und Palästinensern an der Columbia Universität, New York, im März 1989, nach der Resolution des palästinensischen Nationalrates, war ich der Außenseiter, der eingeladen war, um seine Vision der nächsten Schritte darzulegen:24)

- eine gemeinsame politische Kommission, welche Szenarien für Zwei-Staaten-Formeln und eine Konföderationsvereinbarung mit oder ohne Jordanien erarbeiten sollte;
- eine gemeinsame Militärkommission, welche die Möglichkeiten einer Kooperation der israelischen Armee und der PLO gegen mögliche gemeinsame Feinde und eine polizeiliche Kontrolle von Extremisten auf beiden Seiten, die gewalttätig gegen jede Art von Annäherung vorgehen, untersuchen sollte;

 

23 Siehe Johan Galtung: Nonviolence and Israel/Palestine, Honolulu, HI/USA, University of Hawai'i, Institute for Peace, 1989.
24 Johan Galtung: 60 Speeches on War and Peace, Oslo, PRIO, 1990, "Resolving the Israel/Palestine Conflict", S. 376-380.

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- eine gemeinsame Wirtschaftskommission, welche die Möglichkeit von Joint Ventures, gleichberechtigtem Austausch und einem Ende der "Sklavenmarkt"-Wirtschaft erörtern sollte, wobei israelische Firmen billige palästinensische Arbeitskräfte aufnehmen, die keine Alternative haben, und

- eine gemeinsame Kulturkommission, welche die friedlichen und versöhnlichen Aspekte der drei Religionen hervorheben sollte, inklusive Diskussionen über die Art und Weise, den gegenseitigen Respekt und das gegenseitige Verständnis zu stärken.
Wir sind noch immer weit von dieser Ebene der Kooperation entfernt.

 

 

7) Rhodesien-Zimbabwe, 1965-1970

D: Siedlerkolonialismus, "mission civilisatrice"-Komplex
P: Wirtschaftliche Sanktionen werden das Regime nicht destabilisieren
T: Unabhängigkeit durch massive Gewaltfreiheit

 

Ich war vor der Befreiung Rhodesiens sehr häufig dort, zum einen, um die Wirkung von Wirtschaftssanktionen zu studieren (Hypothese: Sie werden das Regime stärken, weil sie als Herausforderung dienen, die Wirtschaft zu verbessern), zum anderen, um Gewaltfreiheit zu fördern. Der andere Aspekt, Kreativität, war nicht so wichtig: Kolonialismus kann wie die Sklaverei nicht transzendiert werden, sondern gehört abgeschafft. Es gibt keinen Spielraum für Kompromisse. Eine andere Frage waren jedoch Garantien für Siedler, die als Bürger Zimbabwes dort bleiben wollten.

Eines Tages wurde ich von Ian Smiths Sicherheitschef abgefangen, der wußte, daß ich schon oft dagewesen war. Er fragte mich nach meinen Schlußfolgerungen. Also sagte ich: "Sie haben maximal 20 Jahre" (ich war zehn Jahre zu pessimistisch). Dann fragte ich ihn, was er am meisten fürchtete. Er antwortete: "Nicht die Guerillas, denn auf dem Gebiet sind wir besser. Aber falls sie eines Tages alle aus den Townships völlig gewaltfrei nach Salisbury (Harare) marschieren würden, dann wüßten wir nicht, was wir tun sollten. Wir können nicht auf Frauen und Kinder schießen." Die Israelis haben genau das getan und wurden deshalb moralisch besiegt.

Es gelang mir, die Nachricht einem meiner Freunde in einer der Befreiungsbewegungen zuzuspielen. Ihre Reaktion war negativ: "Wir wollen wie Männer kämpfen, nicht wie Frauen und Kinder." Ich setzte mich für massive Gewaltfreiheit, auch aller ihrer Freunde im Ausland, ein. Es nützte nichts. Die Kultur stand im Weg, nämlich eine afrikanische Machokultur, die sich nicht so sehr von der Kultur in Europa und Amerika unterscheidet. Es gab für mich keinen Weg, das zu transzendieren. Und es hörte sich so an, als ob Opfer, Heroismus, mögliche Belohnungen und das Töten einiger weißer Männer noch wichtiger wären als ein schnelles Ende der weißen Vorherrschaft.

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8) Nordirland-London-Dublin, 1970-

D: Institutionalisierung einer mehr als 300jährigen historischen Eroberung
P: Gegenseitige Entfremdung, Polarisierung, fortdauernde Gewalt
T: anglo-irisches Kondominium, starke Autonomie oder Unabhängigkeit für Ulster

 

Die Gewalt kam 1969 als Schock für ein Europa, welches sich daran gewöhnt hatte, "den Balkan" als die unruhige Gegend Europas zu sehen, und dessen Verhaltensmuster vom Kalten Krieg dominiert war. Der Konflikt hatte seine eigene Struktur: Die Mehrheit war auf der Seite der Protestanten und für eine (fortgesetzte) Union mit London; die Geschichte war auf der Seite der Katholiken und für ein Ende dieser Union. Gott war auf beiden Seiten.

1970 wurde ich von einem Abgeordneten des nordirischen Parlaments (Stormont) zu meiner Sichtweise als Friedensforscher befragt:

- ein Ende der Union und eine Vereinigung der 26+6 Grafschaften;
- Zusätze, um die irische Verfassung weniger theokratisch zu gestalten;
- Einladung an die Protestanten, die dies nicht akzeptieren können, nach Großbritannien zurückzukehren;
- "Cromwell umgekehrt", mit der Möglichkeit einer Rückkehr;
- das Evian-Abkommen von 1962 zwischen Algerien und Frankreich als Vorbild.

Das wurde zurückgewiesen; der Briefschreiber sah Fußball als Alternative.

Spätere Ereignisse haben mich vielleicht ebenfalls widerlegt. Ich glaube, daß ich sowohl das Gewicht der Geschichte überschätzt wie das Gewicht des Gewohnheitsrechts und das Recht, nach einiger Zeit im Land zu bleiben, unterschätzt habe. Aber die Menschen Nordirlands teilen auch ein Leid, welches sich verbindend auswirken mag. Vielleicht wird dies zusammen mit anderen geschichtlichen Aspekten das Rohmaterial für das Entstehen einer Ulster-Persönlichkeit liefern. Von den fünf Auswegen eines bilateralen Konflikts stechen nicht die Union mit London oder Dublin oder ein Teilungskompromiß, territorial oder nicht-territorial, heraus, sondern eine kreative Kombination von Transzendenz und Rückzug.

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Dabei sollten die Verbindungen zu London und Dublin ausbalanciert sowie die gemeinsame Kultur und autonome Institutionen gestärkt werden London und Dublin sollten gemeinsam aufgefordert werden, in den Hintergrund zu treten, wobei Unabhängigkeit innerhalb einer Konföderation ein mögliches Ziel wäre Das konnte auch für Schottland, Wales usw. interessant sein.

 

9) Kashmir-Islamabad-New Delhi, 1971-

D: Viele Menschen leben in Kashmir/Indien gegen ihren Willen
P: Fortdauernde(r) Terrorismus/Folter, gelegentliche indisch-pakistanische Kriege
T: Dreiteilung gemäß beaufsichtigter lokaler Plebiszite.

 

Es ist klar, daß die indische Regierung keinen weiteren Bürgerkrieg wünschte, nach dem Kriegshorror, der die Teilung und die Entwicklung zweier Staaten, Indien und Pakistan, aus dem Kolonialismus heraus begleitet hatte Genauso offensichtlich ist der Wunsch der pakistanischen Regierung, alle Gebiete mit einer klaren muslimischen Mehrheit zu annektieren Ungeschickte und kurzsichtige Politik hat beide Ziele in weite Ferne rücken lassen. Statt dessen hat sie zu mindestens zwei indisch-pakistanischen Kriegen geführt, einen atomaren Rüstungswettlauf provoziert und Teile Kashmirs dem Kreislauf von Terrorismus und Folter ausgeliefert.

Der dritte Weg wurde 1971 sehr ausführlich mit dem verstorbenen Scheich Abdullah in Neu Delhi sowie 1993 bei meiner Annahme des Bajai-Preises für die Forderung der Gandhischen Werte diskutiert. Dabei wurde darüber spekuliert, wie Gandhi, der Meister, das Problem Kashmir angegangen wäre

1. Er hätte die Einmischung anderer Länder in den Konflikt abgelehnt, da er an das Recht und die Pflicht der direkt beteiligten Parteien glaubte, den Konflikt selbst zu überwinden.

2. Da er genauso fest an die Menschen glaubte, hätte er die Beitrittsurkunde des Jammu- und Kashmir-Staates nicht als das letzte Wort oder als eine letztgültige Zustandsdefinition angesehen.

3. Und da er an die Menschen glaubte, hätte er "Kashmir" nicht als ein bilaterales Thema zwischen zwei Staaten gesehen, sondern als ein Thema für die Menschen von Jammu, dem Tal und Azad Kashmir.

4. Da er an die Gewaltfreiheit glaubte, hätte er den pakistanischen "Freiwilligen", der indischen Polizei, dem Militär und anderen gesagt, daß Gewalt sie nirgends hinführe, außer zu neuer Gewalt.

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5. Da er an die Demokratie glaubte, hätte er einen größeren Teil der Initiativen zur Konfliktüberwindung Menschenrechts- und anderen Basisorganisationen überlassen.

6. Da er an Fakten glaubte, hätte er eine Untersuchungskommission gefordert, die grundlegenden Fakten sind das, was die Menschen wollen, nicht das, was von Neu Delhi, Islamabad und dem UN-Sicherheitsrat diktiert wird.

7. Da er an den Dialog glaubte, hätte er einen Runden Tisch befürwortet. An ihm hatten alle interessierten Gruppen gesessen, seien sie aus dem Volk oder von der Regierung Indien und Pakistan waren eingeschlossen, und es gäbe eine offene Tagesordnung, offen für alle Themen, welche für die Teilnehmer wichtig sind.

8. Da er sehr fest an kleine soziale Einheiten glaubte und die Demokratie als Diktatur der Mehrheit ablehnte, hatte er vielleicht nicht nur Unabhängigkeit befürwortet, sondern vielleicht sogar mehr als ein Kashmir (vielleicht eines, das mit Indien, eines, das mit Pakistan verbunden und eines, das unabhängig wäre) Sie besaßen hervorragende Beziehungen in alle Richtungen, genau wie seine ozeanischen Zirkel.

 

10) Nordkorea-Südkorea-China-Japan-Vietnam-USA-Rußland, 1972-

D: Teilung einer Nation, Teilung eines Staates, durch Auswärtige
P: Koreakrieg 1950-53 wird mit einigen Modifikationen wiederholt
T: Koreanische Konfliktautonomie, Entpolarisierung - Konföderation

 

Ich kenne beide Parteien und bin schon seit mehr als 25 Jahren mitbeteiligt. Korea liegt im Kraftfeld zwischen der USA und Japan auf der einen Seite sowie China und der Sowjetunion/Rußland auf der anderen Seite. Erstere sind im Süden wirtschaftlich etabliert, werden aber von weiten Teilen der Bevölkerung abgelehnt, und letztere haben komplexere Beziehungen zu dem hochgradig autonomen Norden. Die erste Forderung wäre Konfliktautonomie. Das Verbrechen, ein Volk 1945 zu teilen, ist widerlich, und das Verbrechen wird durch die Verweigerung von Autonomie verewigt. Japan hat die komplexe Beziehung eines hochgradig illegitimen Kolonisators, und die USA haben das Trauma des ersten Krieges, den sie nicht gewonnen haben. Respekt für die Koreaner würde helfen, ist aber unwahrscheinlich.

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1972 hatte ich in Kyoto, später in Seoul und Pjöngjang die Gelegenheit, mit beiden Parteien zu diskutieren und Vorschlage für eine Konföderation zu machen, welche die Nation vereinigen könnte. Dennoch sollten die Staaten und Systeme bis zu dem Grad unterschiedlich bleiben, wie sie dies wünschten, damit keine der beiden Seiten die andere unterwandern könnte. Es wurde jedoch offensichtlich, daß die südkoreanischen Eliten an keiner Art von Vereinigung interessiert waren. Sie wollten den Zusammenbruch des Regimes im Norden, was ebenfalls von der USA gewünscht wurde, um sich für den 1950-53 entgangenen Sieg zu entschädigen.

Beide Parteien nahmen die Konföderationsidee für sich in Anspruch (teilweise richtig), so daß die Funktion des Außenstehenden war, Ideen hinzuzufügen, wie die Öffnung der Eisenbahn- und Straßenverbindung. Diese sollte der ostasiatischen Gemeinschaft dienen, die aus Korea, Vietnam, China und Japan besteht. Heute gäbe es diese Kooperation, wenn man ihnen erlaubt hätte, alleine zu entscheiden. Eines Tages können sie, und das hoffentlich ohne einen weiteren Krieg.

 

 

11) Hawai'i und der Pazifik, 1989-

D: Siedler-/Einwandererkolonialismus, Destrukturierung/Dekulturation
P: Fortdauernde Behandlung von Einheimischen als Bürger zweiter Klasse, Gewalt
T: Zwei-Kammer-Gesetzgebung in einem unabhängigen Hawai'i

 

Ich hatte viel Gelegenheit zur Friedensarbeit, da ich Hawai'i seit 1969 durch mehrmalige Gastprofessuren kannte, bevor ich in den acht Jahren zwischen 1988 und 1995 jedes Frühjahrssemester als Professor für Friedensstudien auf der Inselgruppe weilte.

Das grundlegende Problem ist klassisch: Es handelt sich um einen Siedlerkolonialismus, mit verschiedenen Etappen: Sturz der Monarchie auf Hawai'i 1893, Annektierung 1898, Hoheitsgebiet 1900 und 50. Staat der USA 1959. Alle dies kam von oben, auf Kosten der Hawai'ianer. Wären mehr als 50 Prozent der Bevölkerung Hawai'ianer, dann wäre Hawai'i heute entkolonialisiert. Aber aufgrund der missionarischen Kulturzerstörung, Krankheiten ("Werke Gottes") und des Landraubs sind sie heute auf 20 Prozent reduziert. Die weißen Siedler stellen um die 25 Prozent, der größte Teil des Rests sind Ostasiaten, die als Vertragsarbeiter geholt worden sind und selbst ausgebeutet werden. Entschuldigungen, wie die von Clinton 1993, Zurückgabe von etwas Land und Reparationen für die eingeborenen Hawai'ianer sind nicht ausreichend. Souveränität bedeutet Kontrolle über das ganze Archipel. Und das führt zu dem Problem, was mit den anderen, der Mehrheit, passieren soll.

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Eine mögliche Lösung für ein unabhängiges Hawai'i könnte eine Zwei-Kammer-Legislative sein: eine normale Kammer für alle Bürger, unabhängig von ihrer Herkunft, und eine für die Hawai'ianer. Diese würde von ihnen selbst verwaltet und hätte nur in grundlegenden Dingen ein Vetorecht, wie der Kontrolle von geheiligter Zeit und geheiligtem Raum, der Dyade von Trauma und Glorie, der Zuweisung von Land, der Kontrolle des Wohnsitzes, der Außenpolitik, der Sprache (zwei Amtssprachen), der Polizei und des Gerichtswesens für die Hawai'ianer. Dies sollte durch Gewaltfreiheit und einen langen, komplexen Erziehungsprozeß, angeführt von den Bewegungen, erreicht werden.

 

 

12) Der Golfkrieg, 1990-91

D: Reduzierung auf (2,1), Gott gegen Satan, Armageddon; CGT 25)
P: Massiver Völkermord, auch durch Wirtschaftssanktionen
T: Historische und kulturelle Komplexität miteinbeziehen, Verhandlungen, KSZNO

 

Man mußte schon sehr ignorant sein, um vom Golfkrieg überrascht zu werden. Kuwait war das Ergebnis des politischen und wirtschaftlichen Kolonialismus des Westens. Die Grenze war künstlich und umstritten. Viele andere Themen und Akteure waren in diesem außerordentlich komplexen Konflikt verwickelt. Daß die Bush-Administration hart zuschlagen würde, um den Krieg als Befreiung vom "Vietnam-Syndrom" zu benutzen und Kriege in der US-Öffentlichkeit wieder legitim zu machen, war ebenfalls offensichtlich. Aber in der Hitze des Konflikts versuchten alle Parteien, die Komplexität auf eine simple Formel zu reduzieren, mit der sie ihr Gefühl eines auserwählten Volkes, ihrer Ruhmestaten und Traumata ausleben konnten. Im Nahen Osten wiegt dies schwer. Schlüsselerinnerung: die Kreuzzüge.26)

Ich war eingeladen, um vor der größten und wirksamsten Friedensorganisation zu sprechen, den Internationalen Ärzten gegen den Atomkrieg (IPPNW). Ich schlug eine Wiederholung des Helsinki-Prozesses für den Nahen Osten vor, eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im

 

25)  CGT: "Chosen People-Glories-Traumas" (Ruhm und Traumata von Völkern, die sich für auserwählt halten).
26)  Und diese christliche Kriegserklärung an die Muslime erging in einer Rede von Papst Urban II. im französischen Clermont am  27. November 1095; bei weitem der wichtigste Jahrestag 1995.

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