Teil I Bericht zur Lage des Klimas
1. Die Wetteraussichten: Zunehmend wärmer - Die Welt zu Beginn des Treibhausjahrhunderts
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Den ganzen Tag hingen graue Wolken am Himmel. Regen hin und wieder, der auf das durchgeweichte Land fiel. Der Wind blies aus Südwest, Stärke sechs bis sieben, nichts Ungewöhnliches an der Küste Schleswig-Holsteins, wo das Land platt ist wie ein Tisch und wenige Bäume nur die weite Sicht verstellen. Am späten Abend legte sich der Wind und es wurde ungewöhnlich still. Tage und Wochen war es nicht so gewesen. Eine gespenstische Ruhe. Es war die Ruhe im Zentrum des Orkans. Nur einige Kilometer entfernt zog der Kern eines ungewöhnlich starken Tiefdruckgebietes vorbei. In der Nacht vom 28. Februar auf den 1. März 1990 blieb der Norden Deutschlands vom Sturm verschont.
Weiter im Süden raste ein schwerer Orkan über das Land, in einer Art, wie ihn die Meteorologen sonst nur aus den Tropen kannten. »Wiebke«, so der Name des Ungestüms, zog eine Schneise der Verwüstung durch West- und Mitteleuropa, von der französischen Küste über Belgien bis in die Schweiz und nach Österreich. Zwischen dem Saarland und Bayern knickte der Sturm vielerorts binnen Stunden mehr Bäume um, als die Förster während eines ganzen Jahres einschlagen.
Wiesbaden blieb bis in die Morgenstunden von der Außenwelt abgeschlossen, weil umgestürzte Bäume alle wichtigen Zufahrtsstraßen und Bahnlinien blockierten. Stuttgart meldete die höchsten je ermittelten Windgeschwindigkeiten. Auf dem Feldberg im Schwarzwald zeigte das Meßgerät 200,1 Kilometer in der Stunde an — dann schlug der Blitz das Instrument entzwei. Über 70 Tote forderte das Unwetter. Der Deutsche Wetterdienst in Offenbach konnte anschließend eine ungewöhnliche Meldung herausgeben: Zumindest bis Ende der Woche sei nicht noch einmal mit einem Orkan zu rechnen. Die Prognose »kein Orkan« war fast die Ausnahme im Winter 1989/90.
Schon Mitte Dezember tobte ein erster Sturm mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 180 Kilometern in der Stunde gegen die Küsten Großbritanniens und Frankreichs. Dutzende von Menschen starben. Anfang Februar kam »Hertha«, brachte ähnliche Verheerungen, gefolgt von »Judith«. Immer zogen die Wirbel aus der gleichen Richtung heran, jedesmal traf es die britische Westküste am stärksten.
In der Zwischenzeit stieg die Temperatur an manchen Orten im »winterlichen« Deutschland auf 22 Grad, der ganze Monat Februar war so warm wie nie, seit es Aufzeichnungen gibt. In der Nordsee herrschten drei Grad mehr als gewöhnlich, und in den meisten Skiorten der Alpen ließ sich nicht einmal mit Schneekanonen ein touristenversöhnender weißer Belag auf die kahlen Hänge zaubern. Ende Februar, am Rosenmontag, fegte dann »Vivian« mit mörderischer Gewalt über den Kontinent und sorgte für ein skurriles Novum: Erstmals seit dem Krieg mußte in Düsseldorf, Bonn, Bochum und anderswo »de Zoch« ausfallen. Während die Karnevalisten im Rheinland vorwiegend ideelle Schäden erlitten, stiegen in Hamburg die Pegel bedrohlich an. Fünfmal binnen drei Tagen überschwemmte eine schwere Sturmflut die Hafenanlagen der Hansestadt. Drei Tage nachdem dann »Wiebke« Europa verwüstet hatte, machten die Versicherungsgesellschaften in London die vorläufige Rechnung auf. Es galt, mindestens 15 Milliarden Mark zu ersetzen. Über 230 Personen waren bei den Stürmen umgekommen.
wikipedia Orkan_Vivian 1990 wikipedia Orkan_Wiebke 1990
Die Katastrophen füllten wochenlang die Zeitungen. Das ist normal, denn die Medien lieben Desaster jeder Art. Aber dieses Mal mischten sich vermehrt nachdenkliche Kommentare unter die übliche Weltuntergangs-Berichterstattung. Waren das die Menetekel einer Klimaveränderung, vor der die Wissenschaftler seit Jahren, genaugenommen seit einem Jahrhundert warnen? Waren die Orkane der Beweis für eine globale Erwärmung, für den vom Menschen gemachten Treibhauseffekt, den die Forscher noch nicht statistisch belegen können, über dessen Existenz es aber an den Stammtischen längst keine Zweifel mehr gibt?
Dieses Wetter, so das dumpfe Gefühl vieler, war nicht mehr normal. Keine Frage, der Winter 1989/90 in Mitteleuropa war in vieler Hinsicht anormal. Ähnlich verhielten sich die beiden Winter in den Jahren zuvor. Im Mittelmeerraum blieb der Regen aus, in der Sowjetunion fehlte der Schnee. Zwischen Moskau und Neapel erreichten die Temperaturen Rekordwerte.
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Doch extrem warme Winter hat es schon immer gegeben. Im Jahr 1186 beispielsweise, als im Januar bereits die Obstbäume blühten und im Frühjahr die Ernte begann. Auch Stürme sind nichts Neues. Besonders häufig waren sie während der sogenannten kleinen Eiszeit zwischen 1550 und 1850. Also alles schon dagewesen? Am meisten überrascht von der Orkanserie zu Beginn des Jahres waren ausgerechnet jene Wissenschaftler, die sich seit langem mit der Klimavorhersage beschäftigen. Denn obwohl sie davon ausgehen, daß eine Klimaveränderung bevorsteht, wahrscheinlich längst begonnen hat — die Orkane standen nicht auf dem Programm. Im Gegenteil: In einer wärmeren Welt sollte es hierzulande eigentlich weniger stürmen als zuvor.
Fest steht: Gewisse, vom Menschen verursachte Gase, die in der Luft nur in Spuren vorkommen, reichern sich seit Jahrzehnten in der Atmosphäre an, allen voran das Kohlendioxid, ein Stoff, der beim Verbrennen von Kohle, Öl und Gas entsteht. Dadurch wird die Luft über unseren Köpfen immer dicker, mit einer physikalisch zwangsläufigen Folge: Die Strahlen der Sonne, die ungehindert von diesen Gasen durch die Atmosphäre der Erde dringen und die Oberfläche des Planeten so wohltuend erwärmen, bleiben, wenn sie als Wärmestrahlen entweichen wollen, unter einem Schirm von Spurengasmolekülen wie in einem Glashaus gefangen. Je mehr davon in der Atmosphäre schweben, desto wärmer wird es auf der Erde. Das ist ein Naturgesetz. Die Modelle der Klimatologen sagen (und die Wirklichkeit belegt es), daß dabei die Temperaturen in hohen Breiten des Globus stärker steigen als in Äquatornähe.
Worauf der Temperaturunterschied zwischen diesen Regionen sinkt und die großen Luftströmungen schwächer werden. Zahl und Gewalt der Stürme in unseren Breiten sollten somit bei einer globalen Erwärmung abnehmen. Sind die Orkane also ein Hinweis, der gegen einen vom Menschen angefeuerten Treibhauseffekt spricht? Natürlich kann jeder Wetterkundler erklären, warum es zu den verheerenden Stürmen über Europa gekommen war: Der Winter war außergewöhnlich mild, nicht nur die Nordsee, auch der östliche Nordatlantik wiesen extrem hohe Temperaturen auf. Zwischen Grönland und Ostkanada und an der Treibeisgrenze des Nordpolarmeeres war es jedoch so kalt wie in einem Durchschnittswinter, in manchen Gebieten sogar kälter.
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Die Meteorologen registrierten einen sehr hohen Temperaturkontrast im Atlantik zwischen dem warmen Osten und dem kalten Westen — ein hervorragender Motor für Tiefdruckgebiete, die gen Westeuropa wandern. Die Tiefs zu Beginn 1990 zeichneten sich durch einen besonders niedrigen Kerndruck aus, vergleichbar allenfalls mit tropischen Wirbelstürmen. Sind die Stürme, angetrieben durch den überwarmen Nordostatlantik, damit doch ein Zeichen für einen Klimawechsel?
Von diesem Punkt an wird die Diskussion über einen Zusammenhang zwischen fünf Orkanen und einem hausgemachten Treibhauseffekt müßig. Vor allem aber überflüssig. Denn so spektakulär und zweideutig die Orkantiefs sind, so unspektakulär und eindeutig sind Indizien dafür, daß wir längst unser eigenes Klima machen:
Erstens steigen die Konzentrationen von vier der sechs wichtigsten Treibhausgase seit Beginn der Industrialisierung immer stärker an.
Zweitens steigen seither auch die Lufttemperaturen in Bodennähe und die Temperaturen an der Ozeanoberfläche, und zwar sehr beschleunigt in der jüngsten Vergangenheit.
Drittens schmelzen die Gebirgsgletscher und steigen die Meeresspiegel.
Viertens verlagern sich die Niederschlagszonen der Erde.
Fünftens schwindet der schützende Ozonschirm über unseren Köpfen.
Sechstens häufen sich — wie im Fall der jüngsten Orkane — die meteorologischen Überraschungen, mit denen kein Forscher gerechnet hat.
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Mehr kann, mehr braucht die Wissenschaft zu diesem Zeitpunkt nicht zu sagen. An der Reihe sind nun andere — Politiker, Wirtschaftsstrategen, die Industrie, jeder Einzelne. Denn es gibt nur eine einzige Lösung für das Problem: weniger Treibhausgase in die Atmosphäre zu entlassen. Das heißt, weniger fossile Brennstoffe verheizen; die extrem klimaschädlichen Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) verbieten; sparsamere Technologien entwickeln; auf überflüssigen Luxus verzichten; neue, regenerative Energiequellen erschließen; die Landwirtschaft umgestalten und die Bevölkerungsexplosion bremsen. Titanische Aufgaben stehen bevor.
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Um die ärgsten Folgen einer bereits angestoßenen Klimaveränderung zu verhindern — Überschwemmungen, Dürren, Ströme von Umweltflüchtlingen —, sind radikale, ja revolutionäre umweltpolitische Eingriffe geboten. Wir dürfen nur so viele Abfallstoffe in die Umwelt entlassen, wie diese folgenlos in ihren Kreisläufen verkraften kann. Wenn sich also klimawirksame Spurengase in der Atmosphäre anreichern, muß dies ein warnendes Signal sein, bevor wir die Auswirkungen katastrophal zu spüren bekommen. Umweltpolitik muß nach dem Vorsorgeprinzip handeln, so daß die ökologische Schmerzgrenze gar nicht erst erreicht wird.
Was wir im Moment tun, ist das Gegenteil davon. Wir nähern uns gedankenlos der Sollbruchstelle im System, warten auf den Nachweis für den hausgemachten Treibhauseffekt, wohl wissend, daß eine weit stärkere Erwärmung unvermeidbar ist, bis die Beweise auf dem Tisch liegen.
Dieses Verhalten ist geradezu schizophren. Wie sonst ließe sich erklären, daß wir einerseits Abermilliarden in die militärische Rüstung gegen einen imaginären Feind stecken. Daß wir andererseits aber so gut wie nichts gegen die womöglich größte Bedrohung der Menschheit tun, gegen eine rapide Veränderung des Weltklimas.
Gegen Ende dieses Jahrhunderts wird man rückblickend sagen können, wann eine vom Menschen bewirkte Klimaveränderung erstmals ihre Auswirkung gezeigt hat. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird man den Zeitpunkt der Klimawende auf die achtziger Jahre datieren, jenes Jahrzehnt, in dem wir uns noch über die warmen Winter gewundert haben. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß schon gegen Mitte des kommenden Jahrhunderts die kalten Winter so sein könnten wie die drei zurückliegenden, die wir für außergewöhnlich warm hielten. Und die warmen Winter um einiges wärmer, als wir es uns heute vorstellen können.
Auf dem Weg in dieses Treibhausjahrhundert werden wir einige Überraschungen erleben, die heute noch kein Mensch voraussagen kann, ähnlich den Stürmen zu Jahresanfang. Das Klima ist eine hochkomplexe Angelegenheit, und die Auswirkungen einer Klimaveränderung sind schwer abzuschätzen. Vor allem weil sie eine Erde treffen, die ohnehin unter schwerem Streß steht.
Wir haben dieses Buch — während die besagten Stürme über unseren Köpfen tobten — so lesbar wie möglich und so wissenschaftlich wie nötig geschrieben. Ein gewollter Kompromiß zwischen einem Klimatologen und einem Journalisten. Jedes Kapitel steht für sich und kann unabhängig vom Rest des Buches gelesen werden. Die folgenden Kapitel zwei bis vier erklären die Grundlagen von Wetter, Klima und Treibhauseffekt. Sie sollen helfen, die momentane Situation der Erdatmosphäre nüchtern einzuschätzen und die drohende Gefahr zu erkennen. Diese Kapitel sind wichtig, um die Komplexität des Themas Klima zu begreifen, womöglich das komplizierteste Sujet, mit dem sich die Wissenschaft je beschäftigt hat.
Wem dieser Hintergrund zu trocken erscheint, der mag direkt mit Kapitel fünf fortfahren.
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