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Die theoretischen Herausforderungen der modernen Bewußtseinsforschung

 

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Seit Bestehen der modernen Wissenschaft haben Generationen von Forschem mit großer Begeisterung und Entschlossenheit die verschiedenen Wege eingeschlagen, die vom kartesianisch-Newtonschen Paradigma nahegelegt wurden. Sie waren schnell bei der Hand, wenn es darum ging, theoretische Formulierungen und Beobachtungen abzulehnen, die einige der von der Fachwelt akzeptierten grundlegenden philosophischen Annahmen in Frage gestellt hätten.

Die meisten Wissenschaftler sind durch ihre fachliche Ausbildung so gründlich vorprogrammiert worden oder haben sich durch ihre praktischen Erfolge so beeindrucken und mitreißen lassen, daß sie ihr Modell im wahrsten Sinne des Wortes als akkurate und erschöpfende Beschreibung der Realität auffaßten.

In dieser Atmosphäre wurden zahllose Beobachtungen aus verschiedenen Bereichen systematisch verworfen, verheimlicht oder gar lächerlich gemacht, weil sie mit dem mechanistischen und reduktionistischen Denken, das von vielen mit dem wissenschaftlichen Denken schlechthin gleichgesetzt wurde, unvereinbar waren.

Lange Zeit waren die Erfolge dieses Bemühens so verblüffend, daß sie die praktischen und theoretischen Fehl­schläge verdeckten. Angesichts der sich rapide entwickelnden Krisen in der Welt, die den stürmischen wissen­schaftlichen Fortschritt begleiten, wurde es zunehmend schwieriger, nur seine positiven Seiten zu sehen. Die alten wissenschaftlichen Modelle bieten zweifellos keine befriedigenden Lösungen der menschlichen Probleme, denen wir uns auf individueller, sozialer, internationaler und globaler Ebene gegen­übersehen. Viele prominente Wissenschaftler haben auf unterschiedliche Weise den zunehmenden Verdacht geäußert, daß das mechan­istische Weltbild der westlichen Wissenschaft erheblich zu der gegenwärtigen Krise beigetragen, wenn nicht sogar sie verursacht hat.

Ein Paradigma ist mehr als nur ein nützliches theoretisches Modell für den Wissenschaftler. Durch indirekte Beeinflussung des einzelnen und der Gesellschaft prägt seine Philosophie die Welt. Die kartesianisch-Newtonsche Wissenschaft hat ein sehr negatives Bild vom Menschen geschaffen. Es stellt ihn als eine biologische Maschine dar, die von instinkthaften tierischen Impulsen gesteuert wird. Höhere Werte wie spirituelles Bewußtsein, Liebe, ästhetische Bedürfnisse oder der Gerechtigkeitssinn finden in ihm keinen richtigen Platz.

All diese Dinge werden als Abkömmlinge von Grundinstinkten gesehen oder als Kompromisse, die der menschlichen Natur eigentlich fremd sind. Nach dieser Vorstellung gelten der Individualismus, der Egoismus, der Wettbewerb und das Prinzip des »Überlebens des Stärkeren« als natürliche und ihrem Wesen nach gesunde Neigungen. Die materialistische Wissenschaft, die geblendet war von ihrem Bild der Welt als einem Konglomerat aus mechanisch interagierenden getrennten Einheiten, erwies sich als unfähig, den Wert und die lebenswichtige Bedeutung von Kooperation, Synergie und ökologischen Anliegen zu erkennen.

Ihre stupenden technischen Errungenschaften, mit deren Hilfe die meisten materiellen Probleme der Mensch­heit gelöst werden konnten, erwiesen sich als Bumerang. Sie haben eine Welt geschaffen, in der ihre größten Triumphe — die Atomenergie, die Weltraumraketen, die Kybernetik, die Laser-Technik, die Computer und andere elektronische Vorrichtungen sowie die Wunder der modernen Chemie und Bakteriologie — unser Leben bedrohen und sich zu einem leibhaftigen Alptraum gewandelt haben.

Wir haben jetzt eine politisch und ideologisch geteilte Welt, die im Schatten ökonomischer Krisen, der Umweltverschmutzung und des Gespenstes des Atomkriegs steht. Angesichts dieser Situation fragen immer mehr Leute nach dem Sinn und Zweck eines rapiden technischen Fortschritts, der weder von emotional reifen Menschen kontrolliert noch von einer Spezies nutzbar gemacht wird, die genügend entwickelt ist, um mit ihren gewaltigen Errungenschaften konstruktiv umzugehen.

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Je mehr sich die ökonomische, sozio-politische und ökologische Situation in der Welt verschlechtert, desto mehr Menschen scheinen die Strategie einseitiger Manipulation und Beherrschung der materiellen Welt aufzugeben und nach Antworten in ihrem Innern zu suchen. Man interessiert sich zunehmend für eine Bewußtseinsentwicklung, von der man sich eine Alternative zur globalen Zerstörung erhofft. Dies zeigt sich in einer wachsenden Popularität der Meditation und anderen alten und fernöstlichen spirituellen Praktiken, der Selbsterfahrungstherapien und einer klinischen sowie experimentellen Bewußtseinsforschung. Diese Aktivitäten haben erneut die Tatsache ins Licht gerückt, daß traditionelle Paradigmen nicht in der Lage sind, eine große Anzahl unvereinbarer Beobachtungen aus vielen verschiedenen Bereichen zu erklären und einzuordnen.

In ihrer Gesamtheit sind die Daten aus solchen Beobachtungen von wesentlicher Bedeutung. Sie machen das dringende Bedürfnis nach einer drastischen Revidierung unserer Grundvorstellungen von der menschlichen Natur und der Beschaffenheit der Realität deutlich. Viele aufgeschlossene Theoretiker und Praktiker der Psychologie und Psychiatrie sind sich der Tatsache bewußt, daß zwischen der gegenwärtigen Form ihrer Wissenschaften und den großen alten oder östlichen spirituellen Traditionen — den verschiedenen Arten des Yoga, dem Kaschmir-Shaivismus, dem tibetanischen Vajrayana, dem Taoismus, dem Zen-Buddhis-mus, dem Sufismus, der Kabbalah oder der Alchemie — eine abgrundtiefe Kluft besteht. Der Reichtum an tiefgründigem Wissen über die menschliche Psyche und das Bewußtsein, der sich in diesen Systemen über die Jahrhunderte und sogar Jahrtausende angesammelt hat, ist von der westlichen Wissenschaft nicht adäquat anerkannt, erforscht und integriert worden.

Auch Anthropologen, die Feldforschung in nichtwestlichen Kulturen betreiben, haben seit Jahrzehnten über verschiedenartige Phänomene berichtet, für die traditionelle Theoriesysteme nur oberflächliche und wenig überzeugende oder überhaupt keine Erklärungen liefern. Obwohl viele außergewöhnliche kulturspezifische Beobachtungen wiederholt in reichhaltig dokumentierten Untersuchungen beschrieben worden sind, werden diese in der Regel achtlos übergangen oder als primitiver Glaube und Aberglaube bzw. als psycho­pathologische Phänomene einzelner Personen oder ganzer Gruppen interpretiert.

In diesem Zusammenhang verweisen wir auf die Erfahrungen und Praktiken von Schamanen, die Trance­zustände, die Rituale von Naturvölkern, spirituelle Heilungspraktiken oder die Entwicklung verschiedener paranormaler Fähigkeiten bei einzelnen Personen oder ganzen sozialen Gruppen. Diese Situation ist noch viel komplizierter, als sie auf Anhieb erscheinen mag. Informelle und vertrauliche Kontakte mit Anthropologen haben mich davon überzeugt, daß viele von ihnen beschlossen haben, über gewisse Aspekte ihrer Feldforschung nicht zu berichten, weil sie sonst fürchten, von traditionell orientierten Kollegen ausgelacht oder geächtet zu werden und ihr professionelles Image zu gefährden.

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Die theoretischen Unzulänglichkeiten und Fehlschläge des alten Paradigmas beschränken sich nicht auf Daten aus exotischen Kulturen. Es wird ebensosehr von westlichen Untersuchungen in Klinik und Labor in Frage gestellt. Die Experimente mit Hypnose, Reizentzug und Reizüberflutung, willentlicher Kontrolle internaler Zustände, Biofeedback und Akupunktur haben viele alte und östliche Praktiken in einem neuen Licht erscheinen lassen, aber mehr theoretische Probleme aufgeworfen als befriedigende Antworten gegeben.

Die psychedelische Forschung hat in einer Hinsicht Klarheit in viele historische und anthropologische Daten gebracht, die früher Verwirrung schafften, nämlich in Daten über Schamanismus, Mysterienkulte, Übergangsriten, Heilungszeremonien und paranormale Phänomene nach dem Gebrauch heiliger Pflanzen. Gleichzeitig bestätigte sie einen großen Teil des alten Wissens über das Bewußtsein, das die Naturvölker und die Völker des Ostens besitzen, und brachte einige grundlegende philosophische Annahmen der mechanistischen Wissenschaft ins Wanken. Wie ich später ausführlich besprechen werde, haben die Experimente mit psychedelischen Drogen das konventionelle Verständnis von Psychotherapie, die traditionellen Modellvorstellungen von der menschlichen Psyche, das bisherige Bild vom Menschen und sogar Grundannahmen über die Beschaffenheit der Realität nachhaltig erschüttert.

Die Beobachtungen aus der psychedelischen Forschung sind keineswegs auf den Gebrauch von psychisch wirksamen Substanzen eingeengt. Die im wesentlichen gleichen Erfahrungen finden sich im Zusammenhang mit modernen Psychotherapieformen, die keine solchen Substanzen zu Hilfe nehmen, und in den Körpertherapien, etwa in der Jungschen Analyse, in der Psycho-Synthesis, in verschiedenen neo-reichianischen Therapien, in der Gestalttherapie, in modifizierten Formen der Primärtherapie, im katathymen Bilderleben mit Musik, im Rolfing, in verschiedenen Rebirthing-Techniken, in der Technik des Past-Life Regression und in den »Beichtsitzungen« der Scientology-Bewegung. 

Eine von meiner Frau Christina und mir entwickelte Technik, die holonome Integration oder holotrope Therapie, kombiniert unter Verzicht auf Drogen oder Medikamente kontrollierte Atemübungen, anregende Musik und gezielte Körperarbeit. Diese Behandlungsform kann ein weites Erlebensspektrum öffnen, das praktisch mit dem Spektrum des psychedelischen Erlebens identisch ist; sie soll in einem späteren Abschnitt (S. 362 ff) beschrieben werden.

 

Eine andere wichtige Quelle von Informationen, die die etablierten Paradigmen der mechanistischen Wissenschaft in Frage stellen, ist die moderne parapsychologische Forschung. Es ist zunehmend schwieriger geworden, Daten aus vielen methodisch sauberen und sorgfältig durchgeführten Experimenten von vornherein zu ignorieren oder zu leugnen, nur weil sie sich nicht mit dem traditionellen Vorstellungs­system vereinbaren lassen.

Respektable Wissenschaftler mit hervorragendem Ruf wie Joseph Banks Rhine, Gardner Murphy, Jules Eisenbud, Stanley Krippner, Charles Tart, Eimer und Alyce Green, Arthur Hastings, Russell Targ und Harold Puthoff haben zahlreiche Hinweise auf die Existenz von Telepathie, Hellsehen, Astralprojektion, Telekryptoskopie, mediale Diagnose und Heilung oder Psychokinese angesammelt, die Schlüsselfunktion für ein neues Verständnis der Wirklichkeit besitzen.

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Interessant ist, daß moderne, mit der Quantenlehre vertraute Physiker paranormalen Phänomenen im allgemeinen ein ernsthafteres Interesse entgegenbringen als traditionelle Psychiater und Psychologen. In diesem Zusammenhang sollten wir auch die faszinierenden Daten aus der Thanatologie erwähnen. Diese legen u.a. nahe, daß klinisch tote Personen häufig die Situation in ihrer Umgebung vollkommen richtig wahrnehmen können, und zwar von Punkten, die ihnen nicht einmal bei vollem Bewußtsein zugänglich wären.

 

Statt all die Ergebnisse aus den genannten Bereichen zusammenfassend darzustellen und ihren gemeinsamen Nenner zu verdeutlichen, möchte ich mich im folgenden auf Beobachtungen aus der psychedelischen Forschung, insbesondere aus der LSD-Psychotherapie, beschränken.

Für dieses Vorgehen habe ich mich nach einiger Überlegung entschieden, und zwar aus mehreren gewichtigen Gründen. Die meisten Forscher, die sich mit der Wirkung psychedelischer Drogen befassen, sind zu dem Schluß gekommen, daß diese Substanzen am besten als Verstärker oder Katalysatoren geistiger Prozesse verstanden werden können. Sie scheinen nicht drogenspezifische Zustände herbeizuführen, sondern bereits bestehende Matrizen oder Potentiale des menschlichen Geistes zu aktivieren. Die Person, die sie einnimmt, gerät nicht in eine »toxische Psychose«, die zu den psychischen Funktionen im Normalzustand wenig oder gar keinen Bezug hat. Sie begibt sich statt dessen auf eine phantastische Reise in ihr Unbewußtes und Überbewußtes. Die Drogen erschließen also den Zugang zu einer Vielfalt sonst verborgener Phänomene, die dem menschlichen Geist innewohnende Fähigkeiten repräsentieren und eine wichtige Rolle in der Dynamik normaler geistiger Prozesse spielen.

Da das Spektrum psychedelischen Erlebens den gesamten Erlebensbereich umfaßt, der beim Menschen möglich ist, beinhaltet es auch die bereits genannten Phänomene in anderen, mit Drogen nicht in Beziehung stehenden Bereichen, etwa in Zeremonien von Naturvölkern, in verschiedenen spirituellen Praktiken, in den Selbsterfahrungstherapien, in modernen Labortechniken, in der parapsychologischen Forschung und in biologischen Notsituationen oder Sterbeerlebnissen. Gleichzeitig ermöglicht der verstärkende und katalytische Effekt psychedelischer Drogen eine Herbeiführung ungewöhnlicher Bewußtseinszustände von außerordentlicher Klarheit und Intensität, dies zudem unter kontrollierten Bedingungen und mit großer Verläßlichkeit. Diese Tatsache stellt für den Forscher einen beträchtlichen Vorteil dar und macht die psychedelischen Phänomene für ein systematisches Studium besonders geeignet.

Der wichtigste und offenkundigste Grund für die Beschränkung der Diskussion auf die psychedelische Forschung ist mein eigenes seit langem bestehendes wissenschaftliches Interesse für dieses Gebiet.

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Da ich mehrere tausend Sitzungen mit LSD und anderen bewußtseinsverändemden Substanzen durchgeführt und selber viele Male psychedelische Zustände erlebt habe, schreibe ich mir für diesen Bereich eine fachliche Kompetenz zu, an der es mir in diesem Maße bezüglich der anderen relevanten Bereiche mangelt.

Seit 1954, als ich mich zum ersten Mal für psychedelische Drogen interessierte und mich mit ihnen vertraut machte, habe ich persönlich über 3000 LSD-Sitzungen geleitet und hatte außerdem Zugang zu mehr als 2000 Aufzeichnungen über Sitzungen, die von Kollegen und Kolleginnen in der CSSR und den USA durchgeführt wurden. 

Die Versuchspersonen in diesen Experimenten waren »normale« Freiwillige, verschiedene Gruppen psychiatrischer Patienten und Personen, die an Krebs starben. Die Gruppe der freiwilligen Nicht-Patienten setzte sich zusammen aus Psychiatern und Psychologen, Wissenschaftlern anderer Disziplinen, Künstlern, Philosophen, Theologen, Studenten und Studentinnen sowie psychiatrischen Krankenschwestern und -pflegern. Die Patienten mit emotionalen Störungen fielen in verschiedene diagnostische Kategorien. Dazu gehörten u.a. Personen mit verschiedenen Formen von Depression, mit Psychoneurosen, Alkoholsucht, Schlafmittelsucht, sexuellen Abnormitäten, psychosomatischen Störungen, Borderline-Syndromen und Schizophrenie. Die beiden Hauptmethoden in diesen Untersuchungen — die psycholytische und die psychedelische Therapie — habe ich an anderer Stelle ausführlich beschrieben (69).

In den Jahren meiner klinischen Arbeit mit psychedelischen Drogen wurde immer offenkundiger, daß sich die Beschaffenheit des LSD-Erlebens und zahlreiche Beobachtungen im Rahmen der psychedelischen Therapie nicht angemessen mit dem kartesianisch-Newtonschen Bild vom Universum und speziell mit den vorherrschenden neurophysiologischen Modellen des Gehirns erklären ließen.

Nach jahrelangen theoretischen Kämpfen und Verwirrungen kam ich zu dem Schluß, daß die Daten aus der LSD-Forschung eine drastische Revidierung der existierenden Paradigmen für die Psychologie, Psychiatrie, Medizin und möglicherweise die Wissenschaft im allgemeinen dringend erforderlich machten. Gegenwärtig habe ich kaum Zweifel, daß unser heutiges Bild vom Universum, vom Wesen der Realität und insbesondere vom Menschen oberflächlich, unrichtig und unvollständig ist.7

Im folgenden will ich kurz die wichtigsten Beobachtungen aus der LSD-Psychotherapie schildern, die ich für ernsthafte Herausforderungen der vorherrschenden psychiatrischen Theorie, der heutigen medizinischen Anschauungen und des auf Isaac Newton und Rene Descartes zurückgehenden Modells vom Universum halte. Einige dieser Beobachtungen stehen im Zusammenhang mit bestimmten formalen Charakteristika der psychedelischen Zustände, andere mit ihrem Inhalt und wiederum andere mit einigen offenbar außergewöhnlichen Verbindungen zwischen ihnen und der Struktur der äußeren Realität.

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Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, daß die folgende Diskussion nicht nur für psychedel­ische Zustände gilt, sondern auch für verschiedene Zustände veränderten Bewußtseins, die sich spontan einstellen oder die durch andere Mittel als Drogen herbeigeführt werden. Alle Fragen, mit denen wir uns befassen, beziehen sich deshalb generell auf das Verständnis des menschlichen Geistes sowohl in seinen gesunden als auch in seinen kranken Manifestationen.

Ich möchte mit einer kurzen Beschreibung der formalen Charakteristika außergewöhnlicher Bewußtseins­zustände anfangen. In psychedelischen Sitzungen und in anderen ungewöhnlichen Sinneserfahrungen können Abfolgen verschiedener dramatischer Ereignisse mit einer Lebhaftigkeit, Unmittelbarkeit und Intensität wahrgenommen werden, die der normalen Wahrnehmung der materiellen Welt entspricht oder sie sogar übertrifft. Obwohl der optische Aspekt dieser Sequenzen für die meisten Leute am hervorstechendsten ist, können auch in allen anderen Sinnesbereichen sehr realistische Erlebnisse auftreten. Gelegentlich dominieren vereinzelte überstarke Geräusche, menschliche und tierische Stimmen, ganze Musikfolgen, intensive physische Schmerzen oder andere Körperempfindungen sowie deutlich wahrnehmbare Geschmäcker und Gerüche. Der Denkprozeß kann in äußerst tiefgehender Weise beeinflußt werden, und unter Umständen interpretiert der Intellekt die Realität in einer Weise, die für die betreffende Person im Normalzustand ganz und gar nicht charakteristisch ist. Die Beschreibung der Hauptelemente des Erlebens in außergewöhnlichen Bewußtseinszuständen wäre unvollständig, ohne das breite Spektrum von heftigen Emotionen zu erwähnen, das normalerweise zu beobachten ist.

Viele psychedelische Erfahrungen haben offenbar eine Allgemeinqualität, die auch alltäglichen Erfahrungen eigen ist. Sie spielen sich in einem dreidimensionalen Raum ab, wobei die Zeit linear verläuft. Es finden sich aber schnell weitere recht typische Erlebensmerkmale. Der psychedelische Zustand umfaßt viele Ebenen und Dimensionen. Wenn Ereignisse in einer Weise ablaufen, die für das kartesianisch-Newtonsche Raum-Zeit-Schema typisch ist, dann scheint dies nur eine Möglichkeit von unendlich vielen zu sein. Alle Möglichkeiten des psychedelischen Erlebens aber besitzen die Charakteristika, die wir sonst mit der Wahrnehmung der materiellen Welt der »objektiven Realität« in Verbindung bringen. Personen im LSD-Rausch sprechen häufig von Bildern, doch besitzen diese nicht die Eigenschaften unbeweglicher Photographien. Vielmehr sind sie in ständiger dynamischer Bewegung und vermitteln in der Regel Aktion und dramatisches Geschehen. 

Doch auch der Begriff »innerer Film«, der so häufig in Berichten über LSD-Erlebnisse auftritt, trifft das Charakteristische nicht. 

In der Kinematographie wird die Dreidimensionalität des Geschehens auf der Leinwand künstlich durch die Bewegung der Kamera vorgetäuscht. Der Raum muß in die Zweidimensionalität des Films »hineingelesen« werden und hängt letztlich von der Interpretation des Betrachters ab. Im Gegensatz dazu haben psychedelische Visionen echten dreidimensionalen Charakter und tragen alle Merkmale der alltäglichen Wahrnehmung bzw. können sie zumindest in bestimmten Fällen tragen. Sie scheinen einen spezifischen Raum einzunehmen und können aus unterschiedlichen Richtungen und Winkeln mit einer echten Parallaxe gesehen werden.

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Es ist möglich, wie mit einem Zoom-Objektiv verschiedene Stufen und Ebenen des Erlebenskontinuums herauszuholen, feine Strukturen wahrzunehmen oder zu rekonstruieren und durch transparente Media der anvisierten Objekte wie etwa durch eine Zelle, einen embryonalen Körper, Teile einer Pflanze oder einen Edelstein hindurchzusehen. Diese willentlich gesteuerte Brennpunkteinstellung ist nur ein Mechanismus, mit dem die Bilder verwischt oder deutlich gemacht werden können. Man kann die Bilder auch scharfe Konturen annehmen lassen, indem man die Verzerrungen, die durch Angst, Abwehrmechanismen oder Widerstände entstehen, überwindet, oder indem man den Inhalt sich zeitlich linear entfalten läßt.

Ein wesentliches Merkmal psychedelischen Erlebens ist die Transzendierung von Raum und Zeit. 

Das lineare Kontinuum zwischen dem Mikro- und dem Makrokosmos, das für unser alltägliches Bewußtsein so absolut bestimmend zu sein scheint, existiert nicht mehr. Die wahrgenommenen Objekte können jede Größendimension haben, es können sowohl Atome, Moleküle und einzelne Zellen als auch astronomische Körper, Sonnen- und Milchstraßensysteme sein. Die Phänomene aus dem Bereich der »mittleren« Dimension, die wir direkt mit unseren Sinnen erfassen, stehen gleichrangig neben solchen, die gewöhnlich nur mit Hilfe komplizierter technischer Vorrichtungen wie Mikroskopen oder Teleskopen unserer Wahrnehmung zugänglich gemacht werden können. Im Erleben ist der Unterschied zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos willkürlich. Beide können sich nach Belieben austauschen. Im LSD-Rausch kann man sich als einzelne Zelle, als Fötus oder als Milchstraßensystem erleben, und zwar sowohl gleichzeitig als auch abwechselnd durch einfache Brennpunktverschiebung.

In ähnlicher Weise wird auch die Linearität zeitlich abfolgender Ereignisse transzendiert. Szenen aus verschiedenen lebensgeschichtlichen Zusammenhängen können gleichzeitig ablaufen und durch ihre Erlebensmerkmale in einer sinnvollen Verbindung miteinander stehen. So können ein traumatisches Kindheitserlebnis, eine schmerzliche biologische Geburt und so etwas wie eine Erinnerung an ein tragisches Ereignis in einer früheren Inkarnation gleichzeitig Teil eines komplexen Erlebensmusters sein. Und wiederum hat die betreffende Person die Wahl, sich auf irgendeine dieser Szenen zu konzentrieren, sie alle gleichzeitig zu erleben oder sie abwechseln zu lassen, während sie sinnvolle Verbindungen zwischen ihnen entdeckt. Der lineare Zeitabstand, der unsere Alltagserfahrung beherrscht, existiert nicht mehr und Ereignisse aus verschiedenen lebensgeschichtlichen Phasen treten in Clustern auf, wenn ihnen die gleiche starke Emotion oder ein ähnlicher intensiver körperlicher Schmerz gemeinsam ist.

In psychedelischen Zuständen gibt es viele Erlebensalternativen zum Newtonschen Modell der linearen Zeit und des dreidimensionalen Raums, das für unsere Alltagsexistenz charakteristisch ist. In solchen Zuständen können Ereignisse aus der jüngsten oder fernen Vergangenheit und aus der Zukunft mit einer Lebhaftigkeit und Vielschichtigkeit erlebt werden, wie sie im alltäglichen Bewußtsein nur dem gegenwärtigen Augenblick anhaften.

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Es gibt psychedelische Erfahrungen, in denen sich die Zeit enorm zu verlangsamen oder zu beschleunigen scheint, in denen sie rückwärts fließt oder ganz zu existieren aulhört. Sie kann zirkulär oder zirkulär und linear gleichzeitig wirken, spiralenförmig voranschreiten oder bestimmte Abweichungs- und Verzerrungs­muster zeigen. Sehr häufig wird die Zeit als Dimension transzendiert und nimmt räumliche Merkmale an. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erscheinen zu ein- und demselben Zeitpunkt nebeneinandergestellt. Gelegentlich berichten Personen im LSD-Rausch auch von verschiedenen Zeitreisen. Sie wandern zurück in die historische Vergangenheit, durchschreiten Zeitschleifen oder treten überhaupt aus der zeitlichen Dimension heraus und an einer anderen Stelle wieder ein.

Die Wahrnehmung des Raumes kann ähnliche Wandlungen durchmachen. In außergewöhnlichen Bewußtseinszuständen werden die Enge und Begrenzung eines Raumes mit nur drei Koordinaten deutlich spürbar. Personen im LSD-Rausch berichten häufig, daß sie den Raum und das Universum als gekrümmt und in sich selber geschlossen erleben, oder sie sind in der Lage, Welten mit vier, fünf oder mehr Dimensionen wahrzunehmen. Andere haben das Gefühl, sie seien ein dimensionsloser Punkt im Bewußtsein. Der Raum läßt sich als ein willkürliches Konstrukt und als eine Projektion des Geistes sehen, die keineswegs objektive Existenz besitzt. Unter bestimmten Umständen werden beliebig viele einander durchdringende Universen verschiedener Ordnung in holographischer Koexistenz wahrgenommen. Wie schon im Fall der Zeitreisen kann man eine lineare Verlegung an einen anderen Ort durch eine geistige Reise im Raum erleben. Man kann einen direkten und unmittelbaren Transport durch eine Raumschleife mitmachen oder überhaupt die räumliche Dimension verlassen und an einer anderen Stelle wieder betreten.

Ein weiteres Charakteristikum psychedelischer Zustände ist die Transzendierung der scharfen Trennung zwischen Materie, Energie und Bewußtsein. Innere Visionen können so realistisch sein, daß sie Phänomene der materiellen Welt täuschend nachahmen, und umgekehrt kann das, was im alltäglichen Leben als feste und greifbare Materie erscheint, in Energiemuster, einen kosmischen Tanz von Vibrationen oder ein Spiel des Bewußtseins auseinanderfallen. Die Welt voneinander getrennter Individuen und Objekte wird durch ein Wirrwarr von Energiemustern und Bewußtsein ersetzt, in dem verschiedene Arten und Ebenen von Begrenzungen nur spielerischen und willkürlichen Charakter haben. Diejenigen, die ursprünglich die Materie als die Grundlage der Existenz ansahen und den Geist für ihren Abkömmling hielten, können zunächst entdecken, daß das Bewußtsein ein unabhängiges Prinzip im Sinne des psychophysischen Dualismus darstellt und es schließlich als die einzige Realität akzeptieren. In kosmischen und allumfassenden Erlebnissen wird die Dichotomie zwischen Sein und Nicht-Sein überschritten. Form und Leere erscheinen als gleichwertig und austauschbar.

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Ein sehr interessanter und wichtiger Aspekt psychedelischer Zustände ist das Auftauchen komplexer Erfahrungen mit verdichtetem oder zusammengesetztem Inhalt. Im Laufe einer LSD-Psychotherapie können einige solcher Erlebnisse als vielfach determinierte Symbolbildungen entschlüsselt werden, die in höchst kreativer Weise Elemente aus vielen verschiedenen, emotional und thematisch miteinander verbundenen Bereichen kombinieren.8)

Es gibt eine deutliche Parallele zwischen diesen dynamischen Strukturen und den Traumbildern, wie sie von Sigmund Freud (54) analysiert wurden. Aridere verdichtete Erfahrungen scheinen viel homogener zu sein. Sie spiegeln nicht viele verschiedene Themen und Bedeutungsebenen — auch solche widersprüchlicher Natur — wider, sondern stellen die Pluralität des Inhalts in vereinheitlichter Form durch Summierung verschiedener Elemente dar. Zu dieser Kategorie zählen Erfahrungen wie die zweifache Einheit mit einer anderen Person oder ein Bewußtsein, das das Bewußtsein einer ganzen Gruppe von Personen, der gesamten Bevölkerung eines Landes (etwa Indien, das zaristische Rußland, das Dritte Reich) oder gar der gesamten Menschheit einschließt. Andere wichtige Beispiele wären archetypische Erfahrungen von der großen oder schrecklichen Mutter, von dem Mann oder der Frau, vom Vater, vom Liebhaber, vom kosmischen Menschen oder von der Gesamtheit des Lebens als eines kosmischen Phänomens.

Diese Tendenz zur Schaffung verdichteter oder zusammengesetzter Bilder äußert sich nicht nur im inneren Erleben bei einer psychedelischen Erfahrung. Sie ist auch für ein häufiges und wichtiges Phänomen verantwortlich, nämlich die illusorische Verwandlung anwesender Personen oder der physischen Umgebung. Diese tritt als Folge des auftauchenden unbewußten Materials bei einer Person im LSD-Rausch auf, die ihre Augen offen hält. Die resultierenden Erfahrungen sind komplexe Gemische aus Wahrnehmungen der Außenwelt und den aus dem Unbewußten projizierten Elementen. So kann ein Therapeut gleichzeitig in seiner normalen Identität und als Elternteil, Henker, archetypische Erscheinung oder Charakter aus einer früheren Inkarnation wahrgenommen werden. Das Behandlungszimmer kann sich in das Kinderzimmer, die entbindende Gebärmutter, in eine Todeszelle, ein Bordell, eine Eingeborenenhütte und viele andere Dinge verwandeln, die aber gleichzeitig auf einer anderen Ebene ihre ursprüngliche Identität bewahren.

Das letzte besondere Merkmal außergewöhnlicher Bewußtseinszustände, das hier erwähnt werden muß, ist die Transzendierung des Unterschieds zwischen dem Ich und den Elementen der Außenwelt, oder — allgemeiner ausgedrückt — zwischen dem Teil und dem Ganzen. In einer LSD-Sitzung kann man sich selber als jemand oder etwas anderes erleben, und zwar mit oder ohne Verlust der ursprünglichen Identität.

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Die Erfahrung, daß man selber nur ein unendlich kleiner und isolierter Bruchteil des Universums ist, läßt sieh offenbar mit der gleichzeitigen Erfahrung vereinbaren, jeder andere Teil dieses Universums oder die Gesamtheit der Existenz zu sein. Personen im LSD-Rausch können gleichzeitig oder abwechselnd viele verschiedene Formen der Identität annehmen. Das eine Extrem ist die volle Identifikation mit einer isolierten, begrenzten und entfremdeten biologischen Kreatur, die in einem materiellen Körper wohnt oder dieser Körper selber ist. In dieser Form unterscheidet sich der einzelne von allen und allem anderen und bildet nur einen nahezu unendlich kleinen und letztlich unbedeutenden Bruchteil des Ganzen. Das andere Extrem ist die volle Identifikation mit dem undifferenzierten Geist des Universums oder der Leere, also mit dem gesamten kosmischen Netzwerk und der Gesamtheit der Existenz. Die zuletzt genannte Erfahrung ist paradox, da sie sowohl das Inhaltslose als auch das alles Beinhaltende umfaßt. Nichts existiert in einer konkreten Form, doch alles ist als Möglichkeit oder im Keim vorhanden.

Die Beobachtungen im Zusammenhang mit dem Inhalt außergewöhnlicher Erlebnisse fordern das kartesianisch-Newtonsche Paradigma noch mehr heraus als die oben beschriebenen formalen Charakteristika. Jeder aufgeschlossene LSD-Therapeut, der schon zahlreiche psychedelische Sitzungen durchgeführt hat, ist mit einer Unmenge von Daten konfrontiert worden, die sich nicht in die bestehenden wissenschaftlichen Theoriensysteme einfügen lassen. In vielen Fällen gibt es keine Erklärung, weil es an Informationen über die möglichen Kausalzusammenhänge mangelt, in anderen ist eine solche sogar unvorstellbar, wenn man die gegenwärtigen Postulate der mechanistischen Wissenschaft beibehält.

In meiner Arbeit mit LSD fand ich es schon vor langer Zeit unmöglich, die Augen vor einem ständigen Zustrom erstaunlicher Daten zu schließen, nur weil diese nicht mit den Grundannahmen der gegenwärtigen Wissenschaft vereinbar waren. Ich durfte mich auch nicht mehr damit trösten, daß es irgendwelche vernünftige Erklärungen für sie geben müßte, obwohl ich mir solche nicht in den kühnsten Träumen vorstellen konnte. Ich verschloß mich nicht mehr der Möglichkeit, daß sich unser gegenwärtiges wissenschaftliches Weltbild — wie schon so viele Anschauungen zuvor — als oberflächlich, unrichtig und inadäquat erweisen könnte. An diesem Punkt fing ich an, all die verwirrenden und widersprüchlichen Beobachtungen zu registrieren, ohne sie beurteilen oder erklären zu wollen. Sobald ich nicht mehr von den alten Modellen abhängig war und mich lediglich als teilnehmender Beobachter fühlte, wurde ich mir nach und nach dessen bewußt, daß es bedeutsame Vorstellungen sowohl in den alten und östlichen Philosophien als auch in der westlichen Wissenschaft gab, die verblüffende und vielversprechende Erklärungsalternativen boten.

Ich habe bereits in einem anderen Rahmen ausführlich die wichtigsten Beobachtungen aus der LSD-Forsch­ung beschrieben, die das mechanistische Weltbild ins Wanken bringen. In diesem Kapitel will ich nur kurz die hier relevanten Untersuchungsergebnisse zusammenfassen und den interessierten Leser auf die Originalquelle verweisen.9)

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Bei der Analyse des Inhalts psychedelischen Erlebens hat es sich für mich als nützlich erwiesen, zwischen vier Haupttypen von Erfahrungen zu unterscheiden. Die oberflächlichsten von ihnen, d.h. solche, zu denen der Durchschnittsmensch den leichtesten Zugang hat, sind die Erfahrungen abstrakter oder ästhetischer Art. Sie haben keinen speziellen symbolischen Gehalt, der mit der Persönlichkeit des betreffenden Menschen in Verbindung steht, und lassen sich — wie in traditionellen Lehrbüchern der Medizin nachzulesen — mit anatomischen und physiologischen Merkmalen der Sinnesorgane erklären. Auf dieser Ebene psychedelischer Zustände habe ich nichts gefunden, was sich einer Interpretation im streng kartesianisch-Newtonschen Sinn widersetzen würde.

Die nächste Ebene psychedelischen Erlebens ist die psychodynamische oder biographische Ebene bzw. die Ebene der Erinnerungen. Hierzu gehören das komplexe Wiedererleben emotional befrachteter Erfahrungen aus verschiedenen Lebensabschnitten und symbolische Erlebnisse, die sich als Variationen oder Neulcombinationen von Daten des bisherigen Lebens entschlüsseln lassen. Am ehesten lassen sie sich mit Traumbildern vergleichen, wie die Psychoanalyse sie beschreibt. So ist auch die Freudsche Theorie für die Erklärung der Phänomene auf dieser Ebene äußerst nützlich. Die meisten dieser Erfahrungen tangieren nicht das kartesianisch-Newtonsche Modell. Das ist auch nicht verwunderlich, da ja Freud selber ausdrücklich und voll bewußt von den Prinzipien der Newtonschen Mechanik Gebrauch gemacht hat, als er das Theoriengebäude der Psychoanalyse entwarf.

Es mag vielleicht überraschen, daß Ereignisse in den ersten Lebenstagen und -wochen — wenn auch nur gelegentlich — mit photographischer Genauigkeit wiedererlebt werden können. Auch scheinen Erinnerungen an ernsthafte körperliche Traumen wie ein Erlebnis des beinahe Ertrinkens, Verletzungen, Unfälle, Operationen und Krankheiten von größerer Bedeutung zu sein als Erinnerungen an psychische Traumen, wie sie von der gegenwärtigen Psychologie und Psychiatrie hervorgehoben werden. Sie sind offenbar für die Entwicklung verschiedener emotionaler und psychosomatischer Störungen direkt relevant. Dies trifft sogar für Erinnerungen an Ereignisse im Umfeld von Operationen zu, die unter Vollnarkose durchgeführt wurden. So neu und überraschend aber einige dieser Ergebnisse für die Medizin und Psychiatrie auch sein mögen, sie lassen noch nicht die Notwendigkeit eines umfassenden Paradigma­wechsels erkennen.

Ernsthaftere theoretische Probleme schaffen die psychedelischen Erfahrungen des dritten Typs, die ich als perinatale Erfahrungen bezeichne.10) Klinische Beobachtungen aus der LSD-Psychotherapie legen nahe, daß das Unbewußte des Menschen Erinnerungskonstellationen oder Matrizen enthält, deren Aktivierung zum Wiedererleben der biologischen Geburt und zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Tod führt. Das resultierende Erleben von Tod und Wiedergeburt ist in der Regel begleitet von einer Öffnung innerlich angelegter spiritueller Bereiche, die unabhängig sind von Rasse, Kultur und Erziehung des betroffenen Menschen. Diese Art der psychedelischen Erfahrung wirft zwei wichtige theoretische Probleme auf.

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Abbildung 2

Erlebnis von Tod und Wiedergeburt aus einer perinatalen LSD-Sitzung. Der Körper der Klientin erhebt sich aus Tod und Dunkelheit mit Bildern von Friedhöfen, Särgen und brennenden Kerzen. Sie reckt ihre Arme hoch, und ihr Kopf scheint sich in einer transzendenten Lichtquelle aufzulösen.

 

Personen im LSD-Rausch können also Elemente ihrer biologischen Geburt in all ihrer Komplexität und manchmal mit erstaunlichen, objektiv nachweisbaren Einzelheiten wiedererleben. Ich konnte die Richtigkeit vieler solcher Erlebnisse bestätigen, wenn die Bedingungen dafür günstig waren, und zwar häufig bei Personen, die vorher keine Kenntnisse von den Umständen ihrer Geburt besessen hatten. Sie konnten Eigenheiten und Anomalien ihrer fötalen Lage, Einzelheiten der Entbindung, geburtshelferische Maßnahmen und Details der nachgeburtlichen Pflege erkennen. Dazu gehörten beispielsweise wiedergeweckte Erinnerungen an eine Steißlage, an eine placenta previa, an eine um den Hals geschlungene Nabelschnur, an während der Geburt verwendetes Rizinusöl, an Geburtszangen, an verschiedene Manipulationen mit den Händen, an verschiedene Betäubungsmittel sowie an spezielle Wiederbelebungsmaßnahmen. (S. Abb. 1, S. 33.)

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Die Erinnerungen an diese Ereignisse scheinen auch im Gewebe und in den Zellen des Körpers zu wohnen. Das Wiedererleben des Geburtstraumas kann mit der erneuten psychosomatischen Aktivierung aller einschlägigen physiologischen Symptome einhergehen, wie etwa mit einer Pulsbeschleunigung, mit Würgen und gleichzeitigen heftigen Veränderungen der Hautfarbe, mit einer Speichel- und Schleimüberproduktion, mit übermäßigen, von Energieentladungen unterbrochenen Muskelspannungen, mit spezifischen Haltungen und Bewegungen sowie mit dem Auftreten von Quetschwunden und Muttermalen. Dies sind Anzeichen dafür, daß das Wiedererleben der Geburt unter LSD-Einwirkung mit biochemischen Körperveränderungen gekoppelt sein könnte, die die damalige Situation kopieren, wie es sich etwa anhand eines niedrigen Sauerstoffgehalts im Blut, biochemischer Anzeichen für Streß und besonderer Merkmale des Kohlehydrat­stoffwechsels zeigt. Diese komplexe Neuinszenierung der Geburtssituation, die sich bis auf subzellulare Prozesse und biochemische Reaktionsketten zu erstrecken scheint, bringt konventionelle wissenschaftliche Modelle in ernste Verlegenheit.

Es gibt aber andere Aspekte des Tod-Wiedergeburt-Prozesses, die sich sogar noch schwieriger erklären lassen. Die Symbole, die die Erfahrungen des Sterbens und Wiedergeborenwerdens begleiten, können vielen verschiedenen Kulturen entnommen sein, selbst wenn die entsprechenden mythologischen Themen der unter LSD-Einwirkung stehenden Person vorher nicht bekannt waren. Gelegentlich tauchen nicht nur die verbreiteten Symbole für den Tod-Wiedergeburt-Prozeß aus der jüdisch-christlichen Tradition auf — die Demütigung und Folterung Christi, sein Tod am Kreuz und seine Auferstehung —, sondern auch Einzelheiten der Isis und Osiris-Legende oder der Mythen des Dionysos, Adonis, Attis, Orpheus, Mithra, des nordischen Gottes Baidur bzw. ihrer kaum bekannten mesoamerikanischen Gegenstücke. Der Reichtum an Informationen, der manchmal unter LSD-Einwirkung zutage tritt, ist wahrlich bemerkenswert.

Die kritischste und ernsthafteste Herausforderung an das kartesianisch-Newtonsche Modell vom mechanist­ischen Universum geht von den psychedelischen Phänomenen der letzten Kategorie aus. Es handelt sich um ein ganzes Spektrum von Erlebnissen, für die ich den Begriff transpersonal geprägt habe. Der gemeinsame Nenner dieser reichhaltigen Gruppe von außergewöhnlichen Erfahrungen ist das Gefühl, daß das eigene Bewußtsein die Grenzen des Ich überschritten und das Raum-Zeit-System transzendiert hat.

Viele Erfahrungen dieser Kategorie lassen sich als Regression in die historische Vergangenheit und Erforschung des biologischen, kulturellen oder spirituellen Vorlebens interpretieren. Nicht selten werden in psychedelischen Sitzungen sehr konkrete und realistische Episoden aus dem fötalen und embryonalen Stadium erlebt. Viele berichten auch von lebhaften Erinnerungen auf der zellularen Ebene des Bewußtseins, die ihre Existenz als Samen und Ei zur Zeit der Empfängnis widerzuspiegeln scheinen.

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Abbildung 9 

Der »schlechte Mutterleib«, wie er in einer hochdosierten LSD-Sitzung erlebt wurde: Der Klient identifiziert sich mit dem gequälten Fötus, der in einem von heimtückischen Dämonen betriebenen Laboratorium Folter und Schrecken ausgesetzt ist. Erlebnisse dieser Art finden sich unter den hauptsächlichen Ursprüngen der Paranoia. Wie das Bild zeigt, ist dieser Zustand verwandt mit dem des Huhn-Embryo, der von seinen eigenen Abfallprodukten vergiftet wird, und dem von Fischen in verschmutzten Gewässern.

 

Abbildung 16 

Eine zerschmetternde Begegnung mit der Bösen Mutter in Gestalt der indischen Göttin Kali, wie sie in einer psychedelischen Sitzung im Augenblick des Ich-Tods erlebt wurde. Archetypische Hingabe an das weibliche Prinzip, ausgedrückt im rituellen Küssen der blutenden Genitalien der Göttin, entspricht dem Wiedererleben der Erinnerung an oralen Kontakt mit der mütterlichen Vagina im Augenblick der Geburt.

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Manchmal geht die Regression offenbar noch weiter und die betreffende Person hat das feste Gefühl, Episoden aus dem Leben ihrer biologischen Vorfahren oder gar aus der gesamten Existenz eines Kollektivs oder einer Rasse wiederzuerleben. Gelegentlich berichten Personen unter LSD-Einwirkung auch von Erfahrungen, in denen sie sich mit verschiedenen Tieren im Stammbaum der Evolution identifizieren oder in denen sie das deutliche Empfinden haben, Ereignisse aus ihrer Existenz in einer früheren Inkarnation wiederzuerleben.

Andere transpersonale Phänomene beinhalten ein Überschreiten der räumlichen statt der zeitlichen Grenzen. Hierzu gehören die Erfahrungen, das Bewußtsein einer anderen Person, einer Gruppe von Personen oder der gesamten Menschheit zu besitzen. Es können sogar die Grenzen einer rein menschlichen Erfahrung verlassen werden. An ihre Stelle tritt dann so etwas wie das Bewußtsein von Tieren, Pflanzen oder leblosen Gegenständen. Im Extremfall ist es möglich, sich der gesamten Schöpfung, des ganzen Planeten oder gar des gesamten materiellen Universums bewußt zu sein.

Personen, die in psychedelischen Sitzungen solche transpersonalen Erlebnisse haben, öffnet sich der Zugang zu detaillierten und ziemlich esoterischen Kenntnissen über die entsprechenden Aspekte des materiellen Universums, die bei weitem den Grad ihrer Allgemeinbildung und ihrer speziellen Kenntnisse auf diesen Gebieten überschreiten. So gewähren die Berichte von Personen, die unter LSD-Einwirkung Episoden aus ihrer embryonalen Existenz, den Augenblick ihrer Empfängnis und Elemente eines Bewußtseins auf der Ebene von Zellen, Körpergewebe und Körperorganen erleben, reichhaltige und medizinisch korrekte Einsichten in die anatomischen, physiologischen und biochemischen Aspekte der beteiligten Prozesse.

Ähnlich bringen Erlebnisse aus dem Leben der Vorfahren, Elemente des kollektiven und rassischen Unbewußten im Jungschen Sinn und Erinnerungen an »frühere Inkarnationen« recht bemerkenswerte Einzelheiten über bestimmte historische Ereignisse und Kostüme sowie über Architektur, Waffen, Kunst oder religiöse Praktiken der jeweiligen Kulturen ans Tageslicht. Diejenigen, die im LSD-Rausch Ereignisse aus der Phylogenese wiedererlebten oder das Bewußtsein von Tieren lebender Arten hatten, empfanden diese Erlebnisse nicht nur als ungewöhnlich authentisch und überzeugend, sondern gewannen auch außerordentliche Einblicke in die Psychologie, Ethologie, in spezielle Verhaltensweisen, komplexe Reproduktionszyklen und Werbetänze verschiedener Spezies.

Viele Personen unter LSD-Einwirkung hatten unabhängig voneinander die Gewißheit, daß das Bewußtsein nicht ein Produkt des Zentralnervensystems sei und als solches nicht auf Menschen und höhere Wirbeltierarten beschränkt sei. Sie empfanden es als ein Hauptmerkmal jeder Form von Existenz, das sich nicht auf etwas anderes zurückführen oder von etwas anderem ableiten läßt. Diejenigen, die sich mit dem Bewußtsein von Pflanzen oder Pflanzenteilen identifiziert hatten, erhielten manchmal bemerkenswerte Einsichten in botanische Prozesse wie die Keimsprossung, die Photosynthese in Blättern, die Bestäubung oder den Austausch von Wasser und Mineralien in Wurzeln.

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Ebenso häufig findet sich ein Gefühl der Identifikation mit dem Bewußtsein von anorganischer Materie oder anorganischen Prozessen, wie etwa von Gold, Granit, Wasser, Feuer, Blitzen, Wirbelstürmen, vulkanischen Aktivitäten oder sogar einzelnen Atomen und Molekülen. Wir schon im Fall der oben erwähnten Phänomene können auch hier überraschend korrekte Einsichten vermittelt werden.

Eine andere wichtige Gruppe von transpersonalen Erlebnissen umfaßt Telepathie, mediale Diagnose, Hellsehen, Hellhören, Präkognition, Psychometrie, außerkörperliche Erfahrungen, und andere paranormale Phänomene. Einige von ihnen sind charakterisiert durch ein Überschreiten der normalen zeitlichen Begrenzungen, andere der räumlichen Begrenzungen, oder sie stellen eine Kombination aus beidem dar. Da viele andere Formen transpersonaler Phänomene ebenfalls recht häufig den Zugang zu neuen Informationen über außersinnliche Kanäle verschaffen, wird die klare Trennung zwischen Psychologie und Parapsychologie — wenn man die Existenz transpersonaler Erfahrungen anerkennt — gegenstandslos oder erscheint zumindest willkürlich.

Die Existenz transpersonaler Phänomene verstößt gegen die fundamentalsten Annahmen und Prinzipien der mechanistischen Wissenschaft. Sie implizieren so scheinbar absurde Vorstellungen wie die Relativität und Willkürlichkeit aller physikalischen Grenzen, nichtlokale Verbindungen im Universum, Kommunikation mit unbekannten Mitteln und über unbekannte Kanäle, Erinnerungen ohne materielles Substrat, Nicht-Linearität der Zeit oder ein Bewußtsein, das alle lebenden Formen (einschließlich einzelliger Organismen und Pflanzen) und sogar die anorganische Materie umfaßt.

In vielen transpersonalen Erfahrungen geht es um Ereignisse aus dem Mikrokosmos oder Makrokosmos — aus Bereichen, die mit den menschlichen Sinnen nicht direkt wahrgenommen werden können — oder aus Zeitabschnitten, die historisch dem Ursprung des Sonnensystems, des Planeten Erde, der lebenden Organismen, des Nervensystems und des Menschen vorausgehen. Diese Erlebnisse legen deutlich nahe, daß jeder von uns in einer noch nicht geklärten Weise Informationen über das ganze Universum oder die Gesamtheit der Existenz besitzt, den potentiellen Zugang zu allen ihren Teilen hat und in einem gewissen Sinn das gesamte kosmische Netzwerk selber ist — wie er auch gleichzeitig nur einen unendlich kleinen Teil dieses Kosmos, ein isoliertes und unbedeutendes biologisches Wesen darstellt.

Der Inhalt der bisher besprochenen Erfahrungen enthält Elemente aus der Welt der Phänomene. Obwohl ihr Inhalt den Gedanken in Frage stellt, daß sich das Universum aus objektiv existierenden, voneinander getrennten materiellen Gegenständen zusammensetzt, geht er nicht über das hinaus, was die westliche Welt als »objektive Realität« — im Sinne dessen, was wir in normalen Bewußtseinszuständen wahrnehmen — betrachtet.

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Abbildung 3

»Zellulare Ebene des Bewußtseins: Die Botschaft des DNS«.
Zeichnung von Terrell P. Watson.

 

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Es wird generell akzeptiert, daß wir einen komplexen Stammbaum von menschlichen und tierischen Vorfahren haben, daß wir Teil eines bestimmten rassischen und kulturellen Erbes sind und daß wir eine komplexe biologische Entwicklung von der Verschmelzung zweier Keimzellen bis zu einem hochdifferenz­ierten Metazoon durchgemacht haben. Unsere Alltagserfahrung weist darauf hin, daß wir in einer Welt leben, die aus einer unendlichen Anzahl anderer Elemente als uns selber besteht — aus anderen Menschen, Tieren, Pflanzen und leblosen Gegenständen. Wir akzeptieren dies alles auf der Grundlage direkter Sinneswahrnehmung, von Übereinkunft, empirischen Beweisen und wissenschaftlicher Forschung. 

In transpersonalen Erfahrungen des Zurückgehens in die Vergangenheit oder der Überschreitung der räumlichen Grenzen ist es also nicht so sehr der Inhalt, der uns überrascht, sondern die Möglichkeit, verschiedene Aspekte der phänomenalen Welt außerhalb von uns direkt zu erfahren und sich mit ihnen im Bewußtsein zu identifizieren. Unter normalen Umständen würden wir diese Aspekte als vollkommen getrennt von uns und erlebensmäßig unzugänglich betrachten. Im Fall der niedrigen Tiere, der Pflanzen und der anorganischen Materie dürften wir wohl auch davon überrascht sein, daß ein Bewußtsein auch dort existiert, wo wir es nicht erwarten. In Beispielen der klassischen außersinnlichen Wahrnehmung ist es wiederum nicht der Inhalt dieser Erfahrungen, der ungewöhnlich oder überraschend ist, sondern die Art und Weise, wie wir bestimmte Informationen über andere Menschen erhalten, oder die Wahrnehmung einer Situation, die nach den Regeln des gesunden Menschenverstands und der bestehenden wissenschaftlichen Paradigmata für uns unerreichbar sein müßte.

Die ohnehin schon gewaltige theoretische Brisanz dieser Beobachtungen wird aber noch weiter durch die Tatsache verschärft, daß in psychedelischen Sitzungen transpersonale Erfahrungen, die die materielle Welt korrekt widerspiegeln, auf derselben Ebene und in enger Verflechtung mit anderen Erfahrungen auftreten, deren Inhalt nicht mit der in der westlichen Zivilisation vorherrschenden Weltanschauung übereinstimmt. In diesem Zusammenhang können wir die Jungschen Archetypen als Beispiel anführen, die Welt der Götter, Dämonen, Halbgötter und Superhelden sowie komplexe Inhalte aus Mythologie, Legende und Märchen. Selbst diese Erfahrungen können verbunden sein mit richtigen Einblicken in die Folklore, die religiösen Symbole und die mythischen Strukturen verschiedener Kulturen, mit denen jemand vor der LSD-Sitzung nicht vertraut war oder für die er sich nicht interessiert hatte. Zu den allgemeinsten und umfassendsten Erfahrungen dieser Art zählen die Identifikation mit dem kosmischen Bewußtsein, dem Geist des Universums öder dem Nichts.

Die Tatsache, daß transpersonale Erfahrungen den Zugang zu richtigen Informationen über verschiedene, der betreffenden Person zuvor nicht bekannte Aspekte des Universums vermitteln können, erfordert allein schon eine fundamentale Revision unserer Vorstellungen von der Beschaffenheit der Realität und den Beziehungen zwischen Bewußtsein und Materie.

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Ebenso brisant ist die Entdeckung archetypischer und mythologischer Bereiche oder Wesenheiten, die anscheinend eine eigene Existenz führen und nicht als Abkömmlinge der materiellen Welt wegerklärt werden können. Es gibt aber noch weitere, höchst verblüffende Informationen, denen ein neues Paradigma gerecht werden muß.

In vielen Fällen scheinen transpersonale Erfahrungen in psychedelischen Sitzungen auf das Engste mit dem Geschehen in der materiellen Welt verbunden zu sein. Solche dynamischen Wechselbeziehungen zwischen inneren Erfahrungen und der Welt der Erscheinungen lassen vermuten, daß das, was am psychedelischen Geschehen beteiligt ist, die physischen Grenzen des betreffenden Menschen überschreitet. Eine detaillierte Analyse und Diskussion dieses faszinierenden Phänomens muß einer zukünftigen Veröffentlichung vorbehalten bleiben, da sie sorgfältige Einzelfallanalysen erfordert. An dieser Stelle möchte ich nur kurz die allgemeinen Merkmale dieses Phänomens beschreiben und ein paar charakteristische Beispiele anführen.

Wenn während des psychedelischen Prozesses bestimmte transpersonale Themen aus dem Unbewußten der betreffenden Person auftauchen, so geht dies häufig damit einher, daß bestimmte äußere, an und für sich höchst seltene Ereignisse, die zu diesem inneren Thema in einem direkten und spezifischen Zusammenhang stehen, gerade dann auftreten. Das Leben einer solchen Person weist zu diesem Zeitpunkt eine erstaunliche Anhäufung äußerst ungewöhnlicher Zusammentreffen auf. Sie scheint mit den Worten Carl Gustav Jungs (91) vorübergehend in einer Welt der Synchronizität statt der einfachen linearen Kausalität zu leben. So häuften sich verschiedene gefährliche Ereignisse und Umstände im Leben bestimmter Personen gerade dann, als sie sich in ihren LSD-Sitzungen dem Erlebnis des Ich-Tods näherten. Diese Situationen verschwanden auf nahezu magische Weise, wenn dieser Erlebnisprozeß abgeschlossen war. Es hatte den Anschein, als ob diese Menschen aus irgendeinem Grund die Erfahrung ihrer eigenen Vernichtung durchmachen mußten, doch hatten sie die Wahl, dies in symbolischer Weise in ihrer Innenwelt oder aber in der Realität geschehen zu lassen.

Ähnlich kann sich ein Jungscher Archetyp, der während der psychedelischen Therapie im Bewußtsein einer Person auftaucht, in ihrem Leben in seinem Grundmotiv manifestieren. Wenn sie beispielsweise in einer Sitzung mit den Problemen des Animus, der Anima oder der bösen Mutter konfrontiert wird, dann tauchen in der Regel ideale Repräsentanten dieser archetypischen Bilder in ihrem Alltag auf. Oder wenn Elemente aus dem kollektiven oder rassischen Unbewußten bzw. mythologische Themen aus einer bestimmten Kultur die LSD-Sitzung einer Person beherrschen, dann kann dies in ihrem Alltagsleben verblüffend häufig von Ereignissen begleitet sein, die mit der betreffenden geographischen oder kulturellen Zone in Verbindung stehen: Angehörige dieser bestimmten ethnischen Gruppe tauchen in ihrem Leben auf, sie erhält unerwartete Briefe oder Einladungen zum Besuch des betreffenden Landes, oder es häufen sich die spezifischen Themen in Büchern, die ihr geschenkt werden, bzw. in Filmen oder Fernsehprogrammen, die zu dieser Zeit laufen.

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Eine andere interessante Beobachtung dieser Art machte ich in Verbindung mit Erinnerungen an frühere Inkarnationen. Einige Personen erleben während ihrer LSD-Sitzung gelegentlich lebhafte und komplexe Handlungszusammenhänge aus anderen Kulturen und anderen Zeitabschnitten, die alle die Qualität von Erinnerungen besitzen und gewöhnlich von ihnen selber als Episoden aus früheren Leben beschrieben werden. Während sich bei ihnen diese Erfahrungen entfalten, sehen sie gewöhnlich bestimmte Personen aus ihrem jetzigen Leben als wichtige Figuren in diesen karmischen Situationen. In diesen Fällen werden häufig gegenwältige Spannungen, Probleme und Konflikte mit diesen Personen erkannt oder als Abkömmlinge der destruktiven kannischen Muster interpretiert. Das Wiedererleben und Lösen solcher karmischen Probleme geht in der Regel mit dem Gefühl einer tiefen Erleichterung, einer Befreiung von den »Fesseln des Karmas« und dem Empfinden höchsten Glücks einher.

Die sorgfältige Überprüfung der Dynamik jener zwischenmenschlichen Konstellation, die als Abkömmling des gelösten karmischen Musters gesehen wurde, führt häufig zu erstaunlichen Ergebnissen. Die Gefühle, Einstellungen und Verhaltensweisen der Menschen, die von der unter LSD-Einwirkung stehenden Person als Hauptfiguren in einem Zusammenhang aus einer früheren Inkarnation erkannt wurden, verändern sich häufig in einer bestimmten Weise, nämlich hin zu grundlegender Übereinstimmung mit den Ereignissen in der psychedelischen Sitzung. Es muß darauf hingewiesen werden, daß diese Veränderungen ganz unabhängig eintreten und nicht konventionell, also mit Hilfe eines einfachen Ursache-Wirkung-Modells, erklärt werden können. Zum Zeitpunkt der psychedelischen Erfahrung kann zwischen den beteiligten Personen eine Entfernung von Hunderten oder Tausenden Kilometern bestehen, und die Veränderungen können sich selbst dann einstellen, wenn es überhaupt keine physische Kommunikation zwischen den betreffenden Menschen gibt. Die Gefühle und Verhaltensweisen der vorgeblichen Hauptfiguren werden unabhängig von Faktoren beeinflußt, die in keinster Weise mit der speziellen LSD-Erfahrung in Verbindung stehen, doch scheinen die charakteristischen Veränderungen bei allen Beteiligten nach einem allgemeinen Muster und zur gleichen Zeit, mit nur wenigen Minuten Abstand, abzulaufen.

Ähnliche Fälle von außergewöhnlicher Synchronizität treten sehr häufig in Verbindung mit verschiedenen anderen Formen transpersonaler Phänomene auf. Anscheinend gibt es eine verblüffende Parallele zwischen solchen Ereignissen und den Grundannahmen des Bellschen Theorems aus der modernen Physik (12), das ich später noch besprechen werde. Beobachtungen dieser Art werden aber keineswegs nur im Zusammenhang mit psychedelischen Zuständen gemacht. Sie finden sich auch im Rahmen einer Jungschen Analyse oder verschiedener Selbsterfahrungstherapien, im Laufe meditativer Praxis oder in spontanen Aufwallungen transpersonaler Elemente im alltäglichen Bewußtsein.

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Nach der Beschreibung der wichtigsten Beobachtungen aus der psychedelischen Forschung, die den gesunden Menschenverstand und die bestehenden wissenschaftlichen Paradigmata herausfordern, erscheint es von Interesse, die Veränderungen in der Weltanschauung der Personen, die selber perinatale und transpersonale Erfahrungen durchgemacht haben, näher zu betrachten. Dies hat besondere Bedeutung im Hinblick auf die Diskussion im nächsten Abschnitt, der sich mit den dramatischen Veränderungen in der wissenschaftlichen Weltanschauung im Laufe dieses Jahrhunderts beschäftigt.

Solange man unter LSD-Einwirkung mit Phänomenen konfrontiert wird, die im Prinzip Dinge aus dem bisherigen Leben betreffen, stellen sich keine größeren Veränderungen im Weltbild ein. Im Laufe der Erforschung der traumatischen , Vergangenheit neigt man zu der Erkenntnis, daß bestimmte Aspekte oder Bereiche des Lebens dem eigenen Wesen nicht entsprechen, weil sie nichts anderes darstellen als blinde und automatisierte Wiederholungen bestimmter Fehlverhaltensweisen, die in der frühen Kindheit erworben wurden. Das Wiedererleben solcher traumatischer Ereignisse, die diese Verhaltensmuster bedingten, hat in der Regel einen befreienden Effekt und ermöglicht eine klarere Wahrnehmung und Differenzierung der Dinge. Es führt auch zu angemesseneren Reaktionen in den bisher beeinträchtigten Beziehungen und Situationen. Typische Beispiele dafür wären etwa eine gestörte Einstellung gegenüber Autoritätspersonen als Folge traumatischer Erfahrungen mit dominierenden Eltern, durch Geschwisterrivalität geprägte Beziehungen mit Gleichaltrigen oder beeinträchtigte sexuelle Beziehungen aufgrund von eingeschliffenen Verhaltensmustern in der Beziehung zum Elternteil des anderen Geschlechts.

Sobald Personen unter LSD-Einwirkung die perinatale Ebene betreten und die Doppelerfahrung von Geburt und Tod durchmachen, erkennen sie in der Regel, daß sich die mangelnde Selbstverwirklichung in ihrem bisherigen Leben nicht auf bestimmte Abschnitte oder Bereiche beschränkt. Sie haben plötzlich das Empfinden, daß ihr Gesamtbild von der Realität und ihre generelle Strategie zur Daseinsbewältigung falsch und unecht war. Viele bisherigen Einstellungen und Verhaltensweisen, die früher natürlich erschienen und fraglos akzeptiert wurden, werden jetzt als absurd und irrational erlebt. 

Es wird deutlich, daß sie auf die Angst vor dem Tod zurückzuführen sind und Überbleibsel eines ungelösten Geburtstraumas darstellen. So werden jetzt eine hektische Lebensweise, quälender Ehrgeiz, Wettbewerbs­streben, das Bedürfnis, sich selber zu beweisen, und Genußunfähigkeit als unnötige Alpträume wahr­genommen, aus denen man erwachen kann.

Diejenigen, die den Tod-Wiedergeburt-Prozeß bis zu seinem Ende durchmachen, stellen die Verbindung mit inneren spirituellen Quellen her und erkennen, daß ein mechanistisches und materialistisches Weltbild in der Angst vor Geburt und Tod wurzelt. Im Anschluß an die Erfahrung des Ich-Tods wächst häufig die Fähigkeit, das Leben zu genießen, in einem beträchtlichen Maß.

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Zukunft und Vergangenheit werden weniger wichtig als der gegenwärtige Augenblick, und an die Stelle eines hektischen Strebens nach Zielen tritt eine Faszination vom Geschehen des Lebens an sich. Für die betreffende Person besteht die Welt aus Energiemustern statt aus fester Materie, und ihre Abgrenzungen gegen die übrige Welt werden weniger absolut und mehr fließend. Zwar sieht sie die Spiritualität jetzt als eine wichtige Kraft im Universum, doch ist für sie immer noch die Welt der Erscheinungen die objektive Realität. Die Zeit bleibt weiterhin linear, der Raum euklidisch und das Prinzip der Kausalität unangetastet, obwohl der Ursprung vieler Probleme jetzt im Prozeß der Geburt statt in der frühen Kindheit gesehen wird.

 

Die tiefgreifendsten und grundlegendsten Veränderungen in der Auffassung von der Realität stellen sich in Verbindung mit verschiedenen Formen transpersonaler Erfahrungen ein. Sobald das LSD den transpersonalen Bereich aufschließt, werden die Grenzen linearer Kausalität bis ins Unendliche erweitert. Die betreffende Person hält es jetzt für durchaus möglich, daß wichtige Einflüsse auf ihre Psyche nicht nur von ihrer biologischen Geburt, sondern auch von verschiedenen Aspekten und Stadien ihrer embryonalen Entwicklung, ja sogar von Umständen zur Zeit ihrer Empfängnis oder ihrer Einnistung im Mutterleib ausgehen. Mehr noch, sie bezieht Erinnerungen aus dem Leben ihrer Vorfahren und ihrer Rasse oder überhaupt aus der Phylogenese, eine bewußte Intelligenz des DNS-Moleküls und metaphysische Aspekte des genetischen Kodes, die Dynamik archetypischer Strukturen und eine Reinkarnation mit dem Gesetz des Karma als plausible Denkmodelle zur Erklärung des enorm erweiterten Erlebensspielraums mit ein.

Wenn jemand am alten medizinischen Modell festhält, wonach es ein materielles Substrat für das Gedächtnis geben muß, dann ist er nun der Auffassung, daß der Kern einer einzelnen Zelle — des Samens oder des Eis — nicht nur die in medizinischen Lehrbüchern aufgeführten Informationen über die Anatomie, Physiologie und Biochemie des Körpers, über konstitutionelle Faktoren, über vererbliche Anfälligkeiten für bestimmte Krankheiten und über Charaktermerkmale der Eltern enthält, sondern auch komplexe Erinnerungen aus dem Leben unserer menschlichen und tierischen Vorfahren sowie detaillierte und zugängliche Daten über alle Kulturen der Welt. 

Da unter LSD-Einwirkung auch eine bewußte Identifikation mit Pflanzen und anorganischer Materie bis hin zu molekularen, atomaren und subatomaren Strukturen sowie mit kosmogenetischen und erdgeschichtlichen Ereignissen erfolgt, müßte er letztlich postulieren, daß in Samen und Ei das gesamte Universum in irgendeiner verschlüsselten Form enthalten ist. An diesem Punkt erscheinen Alternativmodelle, die sich an die Mystik anlehnen, sehr viel angemessener und vernünftiger als ein mechanistisches Weltbild.

Gleichzeitig untergraben viele transpersonale Erfahrungen häufig die Vorstellung, daß die Zeit linear und der Raum dreidimensional sein muß, da sie im eigenen Erleben viele alternative Möglichkeiten präsentieren. Die Materie neigt nicht nur zu einer Auflösung in spielerische Energiemuster, sondern in ein vollkommenes kosmisches Vakuum. Form und Leere werden zu relativen und letztlich austauschbaren Begriffen.

Hat jemand erst einmal eine größere Anzahl von verschiedenen transpersonalen Erfahrungen gemacht, dann erscheint ihm das kartesianisch-Newtonsche Weltbild als ernsthaftes philosophisches System unhaltbar. Es wird zu einem zwar pragmatisch nützlichen, aber grob vereinfachenden, oberflächlichen und willkürlichen Modell zur Strukturierung der alltäglichen Erfahrungen. 

Man hält sich zwar immer noch an die Vorstellungen von fester Materie, der Dreidimensionalität des Raums, der in eine Richtung verlaufenden Zeit und der linearen Kausalität, doch wird das philosophische Verständnis der Existenz sehr viel komplexer und differenz­ierter. Es nähert sich dem Weltbild, das für die großen mystischen Traditionen der Welt charakteristisch ist. Das Universum wird als ein unendliches Gewebe aus Abenteuern im Bewußtsein erlebt und Dichotomien wie die zwischen dem Erlebenden und dem Erlebten, zwischen Form und Leere, Zeit und Zeitlosigkeit, Determinismus und freiem Willen oder Existenz und Nicht-Existenz sind transzendiert worden.

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