Vorwort 1978 von Herbert Gruhl
Die heutigen Notwendigkeiten
IIUnd auf vorgeschriebenen Bahnen / Zieht die Menge durch die Flur;
Den entrollten Lügenfahnen / Folgen alle. - Schafsnatur!
Johann Wolfgang Goethe, Faust
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Die Notwendigkeiten am Ende des zweiten Jahrtausends nach Christi Geburt werden weder von den Regierenden noch von der Mehrheit der Regierten begriffen. Darum stehen die Wenigen, die unsere gegenwärtige Epoche durchschauen, vor nahezu unlösbaren Aufgaben. Es war und ist das Ziel dieses Buches, unser gegenwärtiges Zeitalter, welches ein materiell unvergleichlich erfolgreiches, aber ein geistig zurückgebliebenes der Menschheitsgeschichte ist, zu analysieren. Nur wenn das gelungen ist, können sich Chancen für Vorschläge ergeben, wie den Herausforderungen angemessen zu begegnen ist.
Es ist erfreulich, daß »Ein Planet wird geplündert« zu einem Handbuch für eine neue Richtung in unserem Lande geworden ist. Sie wird dargestellt von einer Minderheit, die aber gerade von den wachen, den gegenüber der Zukunft sensiblen und verantwortungsvollen Menschen gebildet wird. Diese sind in vielen, zum Teil isolierten Gruppierungen aktiv, aber sie schließen sich nun immer stärker zusammen. Sie beschränken sich keineswegs auf den »Umweltschutz«, worauf die Gegner die Probleme verniedlichend zu reduzieren versuchen. Sie greifen all die wichtigen Weltprobleme auf, die heute zu Überlebensproblemen geworden sind.
Wir sind keineswegs »Pessimisten«, weil wir die Illusion derer nicht teilen, die sich selbst zwar »Optimisten« nennen, die aber meist nur blind hinter den »Lügenfahnen« trotten. Wir sind auch keine Untergangspropheten, sondern nüchterne Rechner, die das Denken noch nicht den Fachleuten überlassen haben - und wir besitzen eben nicht die Fähigkeit der Scharlatane, zu verschweigen, was nicht opportun erscheint. Mit dem Gegner Dummheit allein könnten wir leicht fertig werden; aber mit den raffinierten Interessengruppen der heutigen Zeit, die sich mit unabsehbaren Geldmachtmitteln die Dummheit dienstbar gemacht haben, wird es ein erbittertes Ringen werden.
In Anbetracht der sich alle Tage deutlicher abzeichnenden Entwicklung kann sich in Europa und Nordamerika kaum noch jemand auf Unwissen berufen. Die einander jagenden internationalen Konferenzen bestätigen fortwährend die Analysen dieses Buches. Auf all den Zusammenkünften geht es um die Verfügbarkeit der Bodenschätze, um deren Preise und um die gerechte Verteilung. In das diplomatische Ringen ist der gesamte Meeresgrund und selbst der Untergrund der Weltmeere einbezogen. Und jetzt beginnt auch der Streit um die Ausbeutung des letzten Kontinents, der Antarktis.
Die alten Industrienationen aber tun so - besonders in ihrer gesamten Innenpolitik -, als wären sie noch die Herren der Welt. Die Regierungen verkünden nach wie vor Pläne für die herrliche Zukunft, ob dies nun Fünfjahrespläne im Osten oder Energieprogramme im Westen sind. Erich Fromm sagt daher in seinem 1977 erschienenen Buch »Haben oder Sein« treffend:
»Alle zitierten Daten sind der Öffentlichkeit zugänglich und weithin bekannt. Die nahezu unglaubliche Tatsache ist jedoch, daß bisher keine ernsthaften Anstrengungen unternommen wurden, um das uns verkündete Schicksal abzuwenden. Während im Privatleben nur ein Wahnsinniger bei der Bedrohung seiner gesamten Existenz untätig bleiben würde, unternehmen die für das öffentliche Wohl Verantwortlichen praktisch nichts, und diejenigen, die sich ihnen anvertraut haben, lassen sie gewähren.«
Die Verantwortlichen sind offenbar unfähig, sich einmal die Welt konkret vorzustellen, die sie mit aller Gewalt anstreben: Ihre Welt des Jahres 2050, in der jährlich über 30mal mehr wertvolle Bodenschätze ausgebeutet, wo unter unvorstellbaren Umweltschäden 30mal mehr Güter produziert und in wertlosen Abfall verwandelt werden sollen als heute. (Dies wäre die Folge einer jährlichen Steigerung von nur 5%!) Es ist die Vernachlässigung der Zeitdimension, die Befangenheit in der Gegenwart, die zu dieser unverständlichen Sorglosigkeit verführt. Die Politiker aller Länder stellen sich blind und beruhigen nicht nur sich selbst, sondern in einer schon beleidigenden Weise auch ihre Wähler, indem sie zwar unsicher, aber immer noch unverdrossen ihre rosaroten Zukunftsbilder verkünden.
Dagegen sprach der inzwischen verstorbene deutsche Bundespräsident Gustav Heinemann in seiner Abschiedsrede 1974 die folgenden fundamentalen Worte: »Wir können uns nicht damit beruhigen, daß wir noch so gut dran sind. Wie sollen Kinder und Enkel auf einer Erde leben können, die wir ausrauben und zerstören?« Damit hat er uns auch an die ethische Dimension unseres derzeitigen Verhaltens erinnert.
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Eine verhängnisvolle Ursache der Sorglosigkeit liegt in der zeitlichen Verschiebung; heute geht noch alles relativ gut, eine akute Gefahr scheint nicht vorhanden zu sein. Darum Erich Fromms Verwunderung: »Wie ist es möglich, daß der stärkste aller Instinkte, der Selbsterhaltungstrieb, nicht mehr zu funktionieren scheint?« Der Selbsterhaltungstrieb ist heute noch nicht herausgefordert, er kann nur über den Umweg des Denkens in die Zukunft und wieder zurück geweckt werden. Wir müßten schon heute das tun, was erst in 30 Jahren erforderlich zu sein scheint.
Das andere Verhängnis ist, daß die Menschheit im Osten wie im Westen inzwischen von der totalitärsten Ideologie beherrscht wird, die sie bisher hervorgebracht hat: der Lehre vom sogenannten »ständigen wirtschaftlichen Wachstum«. Diese fordert nicht nur die Unterwerfung des Denkens wie frühere Ideologien, sondern auch des Verhaltens im Alltag: beim Arbeiten, Kaufen, Konsumieren und Wegwerfen. Diese totale Einbindung aller Kräfte in ein System ist nur mit dem Einsatz der Menschen in einem Krieg vergleichbar; denn damals wurden auch alle für den Sieg mobilisiert. Dabei wurde keineswegs das Kriegsziel beschrieben (etwa: wie schön und angenehm das Leben danach sein würde), vielmehr: welche Schrecknisse die Niederlage des Deutschen Reiches zur Folge hätte. Nur damit wurde der »Endsieg« als einzig denkbares Ziel begründet, ohne daß dieses Ziel inhaltlich irgendwie definiert worden wäre.
So ist es auch heute! Niemand vermag zu sagen, wie viele Verdoppelungen der Produktion noch erzielt werden sollen. Niemand kann beschreiben, wie unsere Welt dann aussehen würde und ob eine solche Welt überhaupt wünschbar wäre. Die Verfechter des »wirtschaftlichen Wachstums« begründen dessen Notwendigkeit keineswegs mit positiven Zielvorstellungen, sondern mit negativen Schrecknissen: Es werde sonst zu einer Massenarbeitslosigkeit kommen, das Sozialsystem werde zusammenbrechen, und schließlich könne der Staat seine Schulden nicht mehr bezahlen. Um diesen Übeln auszuweichen, müsse der bisherige Kurs fortgesetzt werden. Daß aber diese Übel eben dadurch immer weiter verschlimmert werden, daß gerade dieser totale Krieg gegen die Erde zum Verlust der Lebensbasis führen muß, das wird verdrängt.
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In Fortführung dieser Argumentation heißt es dann, ohne »Wachstum« werde nicht nur die Wirtschaft zusammenbrechen, sondern auch die Demokratie. Man behauptet damit allen Ernstes, daß der viel bemühte »mündige Staatsbürger« nur dann bei guter Laune zu halten sei, wenn er alle Jahre mehr materielle Güter bekomme. Seine Einsicht wird also sehr gering veranschlagt. Man hat nicht bemerkt, daß der Bürger sich durchaus Gedanken macht, ja, daß sein Mißtrauen gegen die Versprechungen ständig zunimmt und damit die Gefahr, daß nicht nur die verantwortlichen Personen, sondern auch die jetzigen Institutionen ihre Glaubwürdigkeit verlieren.
Die von vielen Seiten vorgeschlagenen Rezepte entspringen der Denkweise dieses technologiegläubigen Zeitalters. Mehr Wissenschaft, mehr Technik, neue Erfindungen, neue Rohstoffe, neue Energiequellen werden alle Probleme mit weiterem »Wachstum« lösen, so heißt es. Aber auf diese Weise ist keine Rettung zu erhoffen. Denn alle diese Patentrezepte enden in einer erhöhten Ausbeutung der nicht nachwachsenden Ressourcen dieser Erde. Die Vorschläge werden auch selten konkret. Es bleibt bei der allgemeinen Redensart, die Menschheit hätte schließlich »noch immer« Auswege aus bedrohlichen Zuständen gefunden. Die nüchternen Fakten sagen aber genau das Gegenteil: Noch nie haben auf diesem Planeten vier Milliarden Menschen gelebt - und noch nie haben diese Menschen weit über 4 Milliarden Tonnen an wertvollen Rohstoffen Jahr für Jahr vernichtet. Die Weltbevölkerung wird sich dazu noch in weniger als 40 Jahren verdoppeln; die Menge der verbrauchten Rohstoffe soll aber schon in 15 Jahren verdoppelt werden - damit die Irrlehre noch weiter aufrechterhalten werden kann.
Kein wie auch immer geartetes Wirtschaftssystem kann die schizophrene Forderung erfüllen, wonach auf die Verknappung nicht nachwachsender Ressourcen mit der exponentiellen Erhöhung ihres Verbrauchs geantwortet werden müsse. Die Wachstumstheoretiker haben wohl wenigstens teilweise gemerkt, wie unhaltbar und amoralisch ihre Argumente sind; denn sie behaupten inzwischen unverfroren, daß sie mit den Steigerungen die gleichen Ziele anstrebten wie wir. Drei Thesen werden aufgebaut:
1. These: Nur anhaltendes »Wachstum« könne die zusätzlichen finanziellen Mittel erwirtschaften, die für den Umweltschutz benötigt werden. - Im Klartext heißt das: Die Zerstörung muß erst vergrößert werden, damit sie dann rückgängig gemacht werden kann. Das ist so, als wenn der Arzt dem Kranken erklären würde: »Ihre Krankheit kann nur mit großen Kosten geheilt werden, erarbeiten Sie sich erst einmal soviel Geld, damit wir dann die Behandlung beginnen können.«
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Jede industrielle Expansion geht auf Kosten der Umwelt, und von den Schäden kann immer nur ein Teil beseitigt werden. Dies wird in dem Abschnitt »Die Grenzen des Umweltschutzes« (Seite 127-133) dargelegt. (Dazu kommt dann noch das entscheidende Problem der Erschöpfung der Ressourcen bei diesem Vorgang.) Die Heuchelei dieser These wurde in den letzten Jahren offenkundig: In der Bundesrepublik Deutschland werden die Umweltschutzvorschriften zum Teil sogar abgebaut.
2. These: Unsere Wirtschaft müsse weiter wachsen, damit wir den armen Entwicklungsländern helfen können. Das hört sich so an, als täten wir das alles ganz uneigennützig für andere. Die Wahrheit sieht so aus, daß die Bundesrepublik Deutschland noch nicht einmal 0,5 % ihres Bruttosozialprodukts in die Entwicklungshilfe leitet, also bestenfalls den zweihundertsten Teil. Und man hat noch nie etwas davon vernommen, daß mit der Steigerung des Bruttosozialprodukts der Anteil für die Entwicklungshilfe erhöht worden wäre. Bei 5% Steigerung behalten wir also auch 199 Teile für uns und 1 Teil bekommen die Entwicklungsländer. Und diese Hilfe bringt in den meisten Fällen noch Handelsvorteile, die größer sind als dieser Aufwand. Die Dritte Welt sieht immer deutlicher, daß der Wohlstand der Industrieländer mit den billig abgegebenen Bodenschätzen immer weiter hochgetrieben wird.
Die armen Völker haben inzwischen erkannt, daß der Abstand zu den reichen immer größer wird. Dies kann auch nach den Gesetzen der Mathematik gar nicht anders sein. Nehmen wir an, unser Bruttosozialprodukt sei gleich 100, und vergleichen wir dieses mit einem Entwicklungsland, welches sich auf dem Niveau 10 befindet. Dann haben wir bei 5% Steigerung nach einem Jahr 105 erreicht, jene 10,5, nach zwei Jahren ist das Verhältnis 110,250 zu 11,025 - nach 14 Jahren stehen wir bei 200, jene bei 20. Der Abstand beträgt dann nicht mehr 90 Punkte wie am Anfang, sondern 180 Punkte. Führt man dies weitere 14 Jahre fort, dann wird der Abstand sich auf 360 Punkte erweitert haben (400 zu 40).
3. These: Weiteres »Wachstum« sei unerläßlich, damit wir die sozialen Probleme in unserem Lande »lösen«. Diese Behauptung ist aus den gleichen mathematischen Gründen falsch wie die These 2. Da auch im Inland die Steigerungen der Einkommen überwiegend in Prozenten erfolgen, wächst hier der Abstand zwischen Armen und Reichen nach der gleichen Gesetzmäßigkeit, lediglich durch verschiedene Maßnahmen etwas abgemildert.
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Durch letzteres ändert sich aber nur wenig daran, daß auch hier das sogenannte »wirtschaftliche Wachstum« nicht zu mehr sozialer Gerechtigkeit führt. Ganz im Gegenteil, je länger diese Art von Steigerung fortgesetzt werden wird, umso mehr sozialer Zündstoff wird sich damit ansammeln; denn alle prozentualen Steigerungsraten sind ausgesprochen ungerecht und werden im Laufe der Jahre immer ungerechter. Es werden hier also zur Zeit keineswegs Bedingungen für einen sozialen Ausgleich geschaffen, vielmehr solche, die zu künftigen sozialen Unruhen führen werden.
Aus diesen drei Thesen ergibt sich, daß sogar die positiven Begründungen, die man für das »Wachstum« zu geben versucht, falsch sind. Ganz abgesehen davon, daß diese Forderungen des Menschen nur erhoben werden könnten, wenn die Voraussetzungen zu ihrer Realisierung auf diesem Planeten vorhanden wären. Sie sind es leider nicht bzw. nur vorübergehend. Aber vorübergehend - das heißt nicht einmal für einige Jahrhunderte - eben auch nur um den Preis, daß den nächsten Generationen eine Welt der ausgeplünderten Lagerstätten - angefüllt höchstens mit radioaktivem Material - zurückgelassen wird. Das einzige, was unzähligen Generationen ein immerwährendes echtes Wachstum garantieren kann, ist die Natur. Und gerade von dieser werden Jahr für Jahr große Teile vernichtet; fruchtbares Land wird mit Beton Übergossen, um darauf weitere Industrien, öffentliche Gebäude und Plätze, Straßen und Flughäfen anzulegen. Wälder, Wiesen und Gewässer schwinden dahin, der Rest wird mit immer mehr Chemikalien und Giften angereichert, die auch die Luft bis in die Stratosphäre und ebenso die Weltmeere bis auf den Grund durchsetzen. Die Fische werden genauso ausgerottet wie unzählige Tierarten und Pflanzen auf dem Land.
Wir müssen mit Schrecken erkennen, daß uns der technische und wirtschaftliche Fortschritt (im bisherigen Sinne des Wortes, gegen die Natur und ihre Gesetze gerichtet) sehr schnell in eine hoffnungslose Lage eskaliert.
In dieser an sich ausweglosen Situation kommt überraschend Hilfe von anderer Seite. Die psychologischen und anderen Wissenschaften, die sich mit dem Menschen beschäftigen, führen den Beweis, daß die materialistische Zielsetzung auf das Wohlleben hin eine selbstzerstörerische Fehlentwicklung für den Menschen selbst ist. Damit keimt zur Zeit der radikalen Enttäuschung zugleich die einzige verbleibende Hoffnung: daß die echte Erfüllung menschlichen Seins auf ganz anderen Wegen zu finden ist, wogegen der in den letzten 200 Jahren beschrittene ein Irrweg war. Die Chance ergibt sich somit aus der Rückbesinnung des Menschen auf sich selbst.
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Ein erfülltes menschliches Leben hängt nicht von der Höhe des Einkommens und der zur Verfügung stehenden Besitztümer ab. Die Erfüllung ergibt sich nicht aus dem, was ein Mensch hat, sondern aus dem, was er innerlich ist. In der geistig-seelischen Innenwelt entstehen alle wesentlichen Erlebnisse. Sie können in den Stunden der Muße ebenso gegenwärtig sein wie bei der Arbeit. Liebe, Glück, Freude und Glaube benötigen nicht einmal Raum und Zeit. Befriedigung und Selbsterfüllung wird gewonnen durch Hingabe, die von der Freundschaft bis zur Aufopferung des Selbst reicht. Keine Gemeinschaft kann ohne diese Solidarität bestehen.
Viele Menschen in allen Ländern wissen und noch mehr ahnen, daß eine Epoche zu Ende geht, daß nur durch Erfüllung der Überlebensbedingungen ein Weiterleben möglich sein wird. Sie sind durchaus bereit, als unmittelbar Betroffene an der Gestaltung eines »neuen Lebensstils« mitzuwirken. Doch die private Bereitschaft allein genügt nicht. Das gesellschaftliche System muß umgestaltet werden - und zwar so schnell wie möglich.
Damit ist nicht das rechtlich-konstitutionelle System gemeint - denn das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland z. B. bietet Möglichkeiten genug - als vielmehr Geist und Inhalt und besonders die Rolle der Wirtschaft. Man hat der Wirtschaft zunächst alle Freiheit gelassen, die sie so ausgiebig genutzt hat, daß sie allmächtig wurde. Nun steuert nicht mehr der Staat und schon gar nicht das Parlament, sondern die Wirtschaft den Kurs, und der Staat ist ihr beflissenster Diener. Nur wenn die Wirtschaft wieder in die dienende Rolle gestellt wird, kann die Frage angegangen werden, wie sie beschaffen sein muß. Es kann nur eine arbeitsintensive Gleichgewichtswirtschaft sein, die höchst sparsam mit Energie und Rohstoffen umgeht, wobei die notwendige Bewahrung der ökologischen Lebensbasis ihr harte Grenzen setzt.
Bis heute gilt in aller Politik der Grundsatz: Ökonomie geht vor Ökologie. Wobei man eben nur den industriellen Produktionsapparat sieht, dessen Steigerung und dessen Funktionieren. Die ökologische Lebensgrundlage des Menschen und aller Lebewesen wurde überhaupt nicht beachtet, weil man meinte, sie sei eben immer da und somit nicht Gegenstand notwendiger Sorge des Menschen. Inzwischen werden alle Naturgüter immer knapper, so daß ihnen die Hauptsorge auch der Ökonomie selber, schon aus deren Eigeninteresse, gelten muß.
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Denn auch die Ökonomie wird nur zu ihrem langfristigen Schaden bei der Verfolgung kurzfristiger Interessen stehenbleiben können. Noch viel mehr wird allerdings die Politik von der langfristigen Sorge um die Erhaltung dieser Erde beherrscht sein müssen. Wir brauchen heute eine ökologische Politik, nur dann ist es auch eine soziale Politik. Keine Politik kann beanspruchen, sozial zu sein, wenn sie sich nicht den kommenden Generationen ebenso verantwortlich fühlt wie der gegenwärtigen.
Für eine zukunftsbezogene ökologische Politik gelten folgende Grundsätze:
Ökologische Politik sorgt für die Grundbedürfnisse des Lebens.
Sie behandelt Pflanze und Tier - die gesamte Natur - als Partner.
Ökologische Politik erstrebt zeitliche Dauer, darum gilt ihre Vorsorge der Erhaltung der Bestände.
Ökologische Politik muß sich zuerst auf einen überschaubaren Lebensraum richten. Dies führt zu einer zunehmenden Unabhängigkeit und Selbstversorgung, woraus sich ein höheres Maß an Freiheit ergibt. Damit werden internationale Konflikte vermindert und echte Partnerschaften mit anderen Völkern möglich.
Die ökologische Politik muß eine Stabilisierung der Bevölkerung anstreben, da es auf diesem Planeten für die Menschen keine Ausweichräume mehr gibt. Wir müssen vor allem den Entwicklungsländern bei der Stabilisierung ihrer inneren Verhältnisse helfen.
Ökologische Politik muß sich am echten Nutzen für den Menschen orientieren und das ökologisch Vertretbare - angesichts der Verantwortung gegenüber kommenden Generationen - ermitteln.
Der Kreislauf der Natur muß das Vorbild von Technik und Wirtschaft werden. Die Grundsätze der Natur, nämlich Sparsamkeit und Wiederverwendung, müssen Grundsätze auch im technisch-industriellen Bereich werden.
Im Mittelpunkt der Pflege des Menschen muß das naturgegebene fruchtbare Land stehen, welches mit kostenloser Sonnenenergie Reichtum schafft.
Die Arbeit muß ökonomisch sinnvoll und ökologisch unschädlich sein. Sie hat der Selbstverwirklichung und Selbstbestätigung zu dienen, nicht nur dem materiellen Nutzen. Daraus ergibt sich der hohe Rang für alle kulturellen und geistigen Betätigungen.
Gemeinschaftsaufgaben, soziale Sorge für die Nächsten, sind Werte an sich.
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Alle müssen versuchen, sich aus den Zwangsläufigkeiten der bisherigen globalen Entwicklung zu befreien. Solange der Mensch sich den Wachstumszwängen unterwirft, wird er immer höriger - nur wenn er andere Gesetze als die höheren erkennt, kann er ein Stück Freiheit zurückgewinnen.
Gewiß, die Probleme der Industriegesellschaft sind auch dann, ganz langfristig gesehen, unlösbar, da auch ein gleichbleibender Verbrauch die Bodenschätze aufzehrt. Aber unter welch wahnsinnigen Zeitdruck diese Politik der Steigerung die Menschheit bringt, das beweist eine ganz einfache Rechnung: Wenn ein Rohstoff bei gleichbleibendem Verbrauch noch für 1000 Jahre reicht, dann reicht er bei 3% jährlicher Steigerung nur 117 Jahre und bei 6% jährlicher Steigerung sogar nur 71 Jahre; also ein einziges Menschenalter statt derer 14. Sollte nicht wenigstens auf diesen enormen Zeitgewinn hingearbeitet werden? Wenn längere Fristen zur Verfügung stünden, dann ließen sich vielleicht noch weitere Auswege finden, wobei sich in dieser Zeit vor allem auch die Zahl der Menschen vermindern könnte. Wieviel Aufklärung, wieviel Erkenntnis ist auf diesem Wege aber noch nötig! Werden wir erst Katastrophen erleben müssen, ehe sich die große Mehrheit der Bevölkerung diese Erkenntnisse zu eigen macht? Darum ist dies letzten Endes eine Probe aufs Exempel, was eigentlich die Vernunft vermag! Kann die Vernunft eine so große Macht werden, daß sie es sogar mit hochgradig militärisch ausgerüsteten Machtapparaten aufnehmen könnte?
Kann sich eine Idee der materiellen Beschränkung und des Verzichts durchsetzen? Denn wie wenig die christliche Lehre im Verlauf von 2000 Jahren vermocht hat, ist uns allen bekannt. Und sie war doch in ihrem Ansatz großartig, mit gewaltigen Erfolgen in der ersten Zeit und weltweiter Verbreitung. Kann solch eine Idee heute Erfolg haben? Das ist die Frage, die wir alle stellen müssen. Wir werden sie nicht beantworten können - und handeln müssen wir dennoch. Das ist die große Schwierigkeit, vor allem auch für diejenigen, die in der Politik stehen.
Doch selbst wenn uns eine Gleichgewichtswirtschaft auf ökologischer Basis nicht gelingen würde, so wäre es dennoch Wahnsinn, all unsere Kraft für die bisherige Entwicklung einzusetzen. Denn bei deren Fortsetzung wird die Frist bis zur Katastrophe in verantwortungsloser Weise weiter verkürzt, wobei dann der Absturz gar noch von einer größeren Höhe erfolgen müßte. Wir dürfen vor allen Dingen nicht mehr den Spuren der Herde über die zertrampelten Fluren folgen. Wir müssen auch den falschen Führern die Gefolgschaft aufkündigen, um uns auf die wesentlichen Inhalte menschlichen Seins zu konzentrieren.
Dies ist die schwere Aufgabe der gegenwärtigen humanistischen Protestbewegung, die den Gegensatz zwischen den alten Fronten bald völlig überlagern wird. Die politische Auseinandersetzung wird mehr und mehr zu einem harten Kampf zwischen den Zerstörern dieser Erde und ihren Bewahrern werden. In der neuen Bewegung treffen sich letzte Häuflein von Christen mit den Ökologen, mit den Freunden der Erde, mit den Müttern, die ihre Kinder lieben, - alle in der gemeinsamen Verantwortung für das Leben auf dieser Erde.
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Barsinghausen am Deister,
Anfang 1978
H. G.